Die Marquise Pescara. Ein Gemälde Tizian’s in der Dresdner Gallerie

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Autor: Alexander von Ungern-Sternberg
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Titel: Die Marquise Pescara. Ein Gemälde Tizian’s in der Dresdner Gallerie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 241–244
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Bild „Maria mit dem Kinde und vier Heiligen“; Bildausschnitt Maria Magdalena; Quandt’s Katalog pag. 36 MDZ München
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[241]
Die Marquise Pescara.
Ein Gemälde Tizian’s in der Dresdner Gallerie.
Von A. v. Sternberg.[1]

Unter den schönen Frauen Roms, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, war Junia, die Fürstin Romagnola, die schönste. Ihr Wuchs hielt sich in dem reinsten Ebenmaß der Antike, ihr Antlitz zeigte, bei aller Vollendung der Form, wenn man etwas tadeln wollte, zu große Ruhe, man möchte sagen, Kälte. Nichts erschütterte diese junonischen Züge. Ein Reiz von Gefälligkeit und Lieblichkeit wäre eine Unmöglichkeit gewesen, allein er würde es bezaubernd gemacht haben, während es jetzt nur befehlend und herrschend war.

Junia war die einzige Tochter eines der reichsten Adelshäuser Roms, ihr Vater, der Fürst Romagnola, stand in hohem Ansehen, er hatte den Ruf eines strengen Mannes von untadelhaften Sitten. Sein Name wurde zuerst genannt, wenn es auf Vollbringung einer That ankam, dem Vaterlande wichtig und der Gesammtheit von Nutzen. Wenn man ihn suchte, fand man ihn, aber man mußte ihn suchen, da wo man die stolzen Erlen suchte, die sich ihres Werthes bewußt waren. Fügsamkeit und Geschmeidigkeit war nicht seine Sache, obgleich er höfischer Sitte zugethan war. Der Papst Paul III. erhob ihn zu einem Großwürdenträger des römischen Stuhls und Carl V. fügte in das Wappen des römischen Edlen die drei rothen Lilien des castilianischen Adels. Diese Auszeichnungen erfreuten den Fürsten, aber sie überraschten ihn nicht: sein Stolz war auf sie gefaßt.

Tizian’s Madonna.

Aehnlich dem Vater war Junia. Auch sie trug das Haupt hoch. Man sagte sich in Rom, daß sie des Vaters Geheimsecretair sei, wenigstens wußte man, daß sie mit ihm arbeitete, und daß, wenn man sie aus der Thüre des Cabinets ihres Vaters treten sah, irgend eine wichtige Entscheidung zur Reife gediehen sei. Die fremden Fürsten, sowie ihre Gesandten blickten zuerst auf die umwölkte oder auf die heitere Stirn Junia’s, wenn sie sich Gewißheit verschaffen wollten, ob das, was sie durchzusetzen gekommen waren, durchsetzbar war oder nicht. Ein zürnendes Auge der jungen Fürstin erschreckte, ein sinnendes weckte Hoffnungen, ein niedergesenktes lähmte diese Hoffnungen und ein offenes, freies machte Glückliche. Ein lächelndes sah man nie. Ehe hätte man sich Pallas Athene lächelnd denken können.

Paul der Dritte hatte den päpstlichen Thron bestiegen mit schwankendem Fuße und unsicherem Blick. Mißtrauend, wie er war, sah er dicht neben seiner Erhöhung seinen Sturz. Der Boden unter ihm schien zu beben und er getraute sich keinen sichern Schritt zu thun. Aus der dumpfen Enge einer Klosterzelle hervorgegangen, hatte er nie gelernt, einen großen und freien Blick auf die Geschicke der Menschen zu werfen und sein Geist nahm die Richtung zu Kleinlichem und Armseligem hin. Romagnola war es, der ihm Stütze und Halt wurde. Der Stolz und der Trotz dieses Mannes legten in die Seele dieses Greises zu Zeiten feste Entschlüsse und eifrige Thaten. Aber es gab Augenblicke, wo dieser Günstling ihm ebenfalls verdächtig wurde, so wie er alle Welt beargwöhnte, und diese Zeichen der Schwäche benutzten des Fürsten Feinde, um ihn zu stürzen. Es gelang ihnen ihr Plan nicht, aber so viel erreichten sie, daß Romagnola durch Gesandtschaftsreisen öfters dem [242] persönlichen Verkehre mit Seiner Heiligkeit entzogen wurde. Und dies war ihnen ein mächtiger Vortheil.

Wir richten unsern Blick auf Junia; denn mit ihr haben wir es ausschließend zu thun. Sie verließ ihren Vater nie. Mochte es sein, daß man ihn nach Spanien sandte, an den Hof Frankreichs oder zu einem der kleinen italienischen Fürsten, sie war stets in seinem Gefolge. So sehen wir sie denn auch jetzt, wo unsere Erzählung beginnt, an dem Hofe zu Ferrara, wo damals sich drei berühmte Männer aufhielten: Ariost, Aretino[2] und – der noch junge Tizian, aber bereits durch geniale Schöpfungen seines Pinsels bekannt. Man kann sich denken, welchen Eindruck auf diese an sich so verschiedenen poetischen Naturen die Erscheinung eines Weibes machte von dem großartigen Schönheitsgepräge der jungen Fürstin. Sie entschlossen sich alle drei, ihr den Hof zu machen, und sie fanden einen Nebenbuhler in dem Herzog, der sich beeilte, den Vater mit Gunstbezeigungen zu überschütten, um dadurch die Tochter für sich zu gewinnen. Doch die Göttin blieb auf ihrem Siegeswagen, sie stieg nicht herab, um Einen aus diesem Gefolge zu wählen. Der berühmte Sänger des Orlando fand keine Demüthigung des Stolzes darin, die Nächte hindurch wie ein gewöhnlicher Citherspieler unter dem Fenster des Palastes zu stehen, um sein Lied zu singen – vergebens. Tizian bemühte sich um nur eine Sitzung, um eine Skizze zu vollenden, die er im Geheimen angefangen; er erhielt diese Gunst nicht, und Aretino’s schönste Sonnette blieben unbeachtet. Nur den Artigkeiten des Herzogs wurde ein gemessenes Entgegenkommen gezeigt, aber dieses galt der Diplomatie, nicht der Liebe. Verzweifelnd über die Kälte des göttergleichen Weibes entschloß sich Ariost, den Hof zu verlassen, Tizian stürzte sich in ein theologisches Thema und malte ein Concil der Kirchenväter, die über die unentweihte Empfängniß Mariä disputirten, nur Aretino, der boshafte, der tückische Aretino, beleidigt, sich abgewiesen zu sehen, verließ den Gegenstand früher seiner Liebe, jetzt seines Hasses, nicht und sann auf eine Gelegenheit, um sich zu rächen.

Der Fürst verließ mit seiner Tochter den Hof von Ferrara; Aretino begleitete ihn nach Rom. Er war der angenehmste Gesellschafter, den man sich wünschen konnte. Geistvoll, witzig, immer bereit, ein treffendes Wort zu geben und zu nehmen, stets in heiterer Laune und voll von Aufmerksamkeiten gegen die, denen er sich verpflichtet zeigen wollte. Ein gewandter Weltmann, wie es keinen zweiten gab, hatte er den weitesten Horizont vor sich, und da die Empfindlichkeit und Reizbarkeit seines Gewissens ihn nicht beengte, so erweiterte er diesen Horizont auch gelegentlich nach Richtungen hin, wo das Auge eines ehrlichen Mannes nicht hindringt. Boshaft bis in die tiefste Falte seiner Seele hinein, zeigte er die offene Stirn und das heitere Lächeln einer Natur, die Ursache hat, zu glauben, daß sie sich ebenso mit dem Himmel wie mit der Erde gut stehe. Er, der seine Feder angesetzt hatte, um die berüchtigten Gemälde Julio Romanos so zu erklären, daß die Linien, die die Feder zog, noch die an Zügellosigkeit übertraf, die der Griffel vorgezeichnet hatte; ich sage, dieser Mann machte, wenn er wollte, so reizende Schäfergedichtchen, daß sie die Unschuld selbst mit Entzücken las. Junia wußte, was sie an ihm hatte: sie wollte ihn auch gern zum Gesellschafter, nur nicht zum Liebhaber, und da Aretin auf diese Stellung verzichtet hatte, so gab ihm Junia Ersatz, indem sie ihm zeigte, wie sehr sie mit ihm harmonirte, wenn es darauf ankam, über Bücher, Menschen und Dinge ein Urtheil zu fällen.

„Sie ist ein Teufel,“ schrieb er an Ariost, „aber ich werde sie zu meinen Füßen legen. Ich oder sie – Einer von uns muß siegen. Nie hat mich ein Weib so beschäftigt, wie dieses – das soll sie mir entgelten. Ich sinne über meine Rache, wie ein Poet über sein Gedicht. Ich sitze Nächte lang auf und ziehe sie heimlich groß, und freue mich an ihrem Wachsthum. Armer Ariosto, der Du glaubtest, dieses Weib könne durch einen schönen Vers besiegt werden! Es sind andere Mittel nöthig – um daß sie falle. Für’s Erste habe ich schon bemerkt, daß sie mit ihrer Stellung nicht zufrieden ist, sie will noch unabhängiger dastehen, als es bei diesem sie verzärtelnden Vater der Fall ist. Dies kann nur durch Heirath geschehen. So weit hab ich sie. Jetzt gilt es, den Mann zu finden. Ich will mich unter meinen Schülern umsehen. Es ist nicht die erste Frau, die ich verderbe! Erkundigt Euch, Freund Ariosto, nach einem gewissen Bernardo, er muß jetzt in Neapel verweilen, wenn er nicht als Bravo im Albaneser Gebirge umherstreift. Denn wie ich ihn verließ, war er von allen Mitteln entblößt, und wurde von den Sbirren verfolgt. Schreibt mir, was ihr über ihn in Erfahrung gebracht habt. Lange Zeit habe ich mich damit abgegeben, diesen jungen Mann zu bilden – für meine Zwecke; dann wurde mir die Arbeit zu mühevoll und ich ließ ihn seiner Wege gehen. Es thut mir leid, mein Entschluß war vielleicht zu rasch, ich hätte länger ausharren sollen; allein der Draht, den ich befestigte, um ihn nach Gefallen daran zu ziehen, wollte nicht haften, ich wurde ungeduldig, was ich doch sonst nicht leicht werde. Jetzt will mir sein Bild nicht aus dem Kopfe. Er ist über alles Maaß hinaus wild, frech und zügellos, aber dabei mir gehorsam. Wir wollen sehen, was sich nachholen läßt. Vor allen Dingen muß er aus dem Schlamm gezogen werden, in welchen er sich jetzt gestürzt. So können wir ihn nicht brauchen.“

Einige Wochen später schrieb Aretin nochmals:

„Was Ihr mir von dem Bernardo schreibt, trifft zu. Er war also eingefangen und sollte bereits auf die Galeere abgeliefert werden. Der Commandore, dem Ihr mein Schreiben abliefert, der mein Freund und mir Dank schuldig ist, weil ich ihn einst aus einer häßlichen Geschichte gerissen, hat, wie ich es gewünscht, rasch gehandelt und den Bernardo entschlüpfen lassen. Nun will ich mit ihm eine Zusammenkuft halten und ihn instruiren. Sollte er für diesen Zweck nicht tauglich sein, so bringe ich ihn in päpstliche Dienste, und er muß mir als Spion diejenigen überwachen, von denen ich etwas zu fürchten habe. Doch ich hoffe, er wird meine Erwartungen erfüllen. Ihr schreibt mir, theurer Bruder, daß Ihr den Burschen nicht so schön findet, als Ihr nach meinen Andeutungen ihn zu finden den festen Glauben gehabt. Laßt ihn nur erst in feinem genuesischem Sammet stecken, mit der goldenen Kette um den Hals! Sein schwarzes wildes Lockenhaar, seine dunkeln, glühenden Augen! Ich will ihn schon die Kunst lehren, alles dieses und noch manches Andere in’s gehörige Licht zu stellen! Dazu bin ich der Mann. Beim Bacchus, wozu hätte ich denn meine Weiberkenntniß! Der Fürst geht nach Madrid, seine Tochter natürlich mit ihm, sie sollen Carl V. von Seiten Sr. Heiligkeit beglückwünschen und ihn nach Rom zur Krönung einladen. Der Fürst, der ohne mich nicht leben kann, hat mich gebeten, ihn zu begleiten. Ich gebe mir die Miene, als folgte ich aus Höflichkeit und erzwungen dieser Einladung, die mir das Erwünschteste ist, was mir hätte kommen können.“

Nach Verlauf dreier Monate sehen wir Junia am Hofe zu Madrid. Sie ist die Sonne, um die sich Alles bewegt. Carl, der Held des Tages, nicht mehr jung, aber immer noch ein Glücksjäger bei den Schönen, wetteifert mit seinem jugendlichen Sohne, Philipp, der schönen Römerin ein Lächeln zu entlocken. Feste folgen auf Feste; der spanische Adel tummelt in Festturniren seine andalusischen Rosse, um den stolzen Blick der jungen Fürstin auf sich zu lenken. Die Sonne von Sevilla hat farbige Früchte gereift, glühende Romanzen und Notturnos, und diese werden unter dem Balkone der kaiserlichen Hofburg von verführerischen Stimmen in die blaue Mondnacht gesendet. Was tausend Frauen rührt, Junia rührt es nicht. Sie bleibt kalt, ruhig, leidenschaftslos, immer bedacht, die Schritte ihres Vaters zu leiten, auf seinem Wege die Hindernisse hinwegzuschaffen, kurz, immer mit Politik beschäftigt, und wenn sie sich eine müßige Stunde gönnt, so verplaudert sie diese mit Aretin, mit dem sie zusammen Sonnette dichtet und Epigramme fertigt. Auch mit Ariost bleiben Beide im Briefwechsel. An den Letzteren schreibt Aretin:

„Erwäge meine Lage! Immer in der Nähe eines Weibes, das ich bis zum Wahnsinn begehrt habe und das ich jetzt vernichten will. Je liebenswürdiger sie sich mir zeigt, um so schärfer wetze ich mein Messer. Ich hole aus zum Stoße, während sie, nichts ahnend, lächelnd und sicher an meiner Seite sitzt. Kalt und berechnend, gehe ich Schritt vor Schritt weiter, und ziehe meine Pflanzen, wie der sorgsame Gärtner groß, indem ich sie vor jedem Nachtwind, jedem Sturmwind hüte.“

Im Gefolge des Gesandten der Republik von St. Marco erschien am Hofe Carl’s ein Marquis Pescara, ein Mann, der die Blicke auf sich zu lenken wußte. Groß, schön gewachsen, mit dem Anstand eines Fürsten, machte er zugleich den Eindruck eines Piraten, der die Welt, mit tausend Gefahren kämpfend, durchzogen hatte. [243] Unbeugsamer Trotz lag in seinen Augen und Wildheit und Spott leuchtete unter den schwarzen Wellen seines gekräuselten Bartes. Man war neugierig über seine Herkunft, doch waren die Zeugnisse da, daß sein Wappen ein untadeliges sei, und Mitglieder seiner Familie sich in den Registern des goldenen Buches des venetianischen Adels fanden. Dies genügte. In einer Zeit, wo so viele glückliche Abenteurer umherzogen, die Söhne von Vätern, die diese Söhne nicht anerkannten, wollte und konnte man nicht so genau prüfen. War doch Don Juan von Oesterreich selbst ein solcher Abenteurer. Der Marquis Pescara wurde mit Beifall aufgenommen, und Aretin führte ihn in dem Hause des Fürsten Romagnola ein. Junia gab nicht das mindeste Zeichen, als wenn sie sich mit dem neuen Ankömmlinge beschäftige, und doch war dem so.

Eines Tages sagte sie zu Aretin, als sie eben die Satyren des Lucian gelesen hatten, eine Lectüre, die Junia liebte und die Aretin vortrefflich zu illustriren wußte, indem er sie auf die Gegenwart anwendete: „Signor, gebt mir einen Rath, soll ich mich vermählen?“

„Wozu? seid Ihr mit dem Manne nicht zufrieden, den Ihr habt?“

„Ich, einen Mann?“

„Nun ja, Ihr habt Euch selbst; die schöne Hülle ist eine Lüge: ein Weib seid Ihr nicht.“

„Ihr sucht das Weib nur in der Schwäche.“

„Sollen wir sie in der Stärke suchen, was sind wir Männer denn?“

„Was Ihr stets gewesen seid; so lange die Stärkeren, als kein Stärkerer kommt.“

„Sei es; doch was hat das mit der Ehe zu thun? Die großen Geister heirathen überhaupt nie. Sie schließen augenblickliche Verbindungen, die sie rasch zerreißen, wenn sie ihnen lästig fallen. Nur der grosse Haufe schließt Ehen, weil es des großen Haufen Geschäft ist, die Welt zu bevölkern. Was macht sich ein Philosoph daraus, Vater genannt zu werden? Er, der die Ideen seine Kinder nennt?“

„Genug! was sagt Ihr von dem Marquis Pescara?“

„Der Venetianer?“

„Derselbe.“

„Wenn ich zu wählen hätte, würde ich ihn nicht wählen, er beweist zu wenig Fügsamkeit und Unterwürfigkeit. Hat er auch noch je eine Serenade gebracht?“

„Ist das nöthig?“

„Wenn er auf den Saiten eines Herzens spielen will, muß ich vorher sehen, daß er die Saiten der Cither zu rühren weis?, sagt die Catalonierie.“

„Ich liebe die singenden Männer nicht, sie sollen reden oder – schweigen.“

„Das letztere ist die Eigenschaft unseres Helden.“

„Sagt ihm, daß er heute bei dem Feste nicht fehle, das man meinem Vater zu Ehren gibt. Es ist das Abschiedsfest, morgen gehen wir nach Rom zurück.“

„Ich werde Euren Auftrag bestellen, Signora.“

Aber er bestellte diesen Auftrag nicht. Wie die Kerzen im hellglänzenden Prachtsaale schimmerten, war unter der Menge Einer nicht zu finden, und dieser Eine war der Marquis von Pescara. Junia hatte ihn schon gesucht und sie flüsterte jetzt ihrem Vertrauten zu: „Habt Ihr ihn herbeschieden, wie ich gesagt?“

„Signora, dieser Wildfang hat es vorgezogen, eine Jagdpartie, die schon längst verabredet war, heute abzuhalten. Er läßt sich entschuldigen.“ Die Fürstin erwiderte nichts; es war nicht der leiseste Zug von Bewegung in ihrem Gesichte zu lesen, und dennoch las Aretin darin, daß er gesiegt habe. Diese Vernachlässigung, die erste, die sie erfuhr, reizte die Stolze. Aretin wußte jetzt, daß er rasch vorwärts schreiten durfte. Er gab seiner Creatur Befehl, sich um das Opfer zu bewerben, das reif war, zu fallen.

Das Abschiedsfest war vorüber, einige Tage mußte der Fürst noch zugeben; als es wirklich zur Reise kam, erschien der Kaiser, den Herzog von Olivarez an der Hand führend.

„Ich komme als Brautwerber, Fürstin!“ sagte der mächtige Herrscher mit der gütigen Stimme eines Protectors; „hier, einer der ersten Granden meines Reiches wirbt durch mich um Eure Hand, Donna Junia! Werdet Ihr Euch weigern, einem würdigen Manne, der zugleich mein Freund ist, anzugehören?“

„Sire,“ entgegnete die junge Römerin, „Seine Hoheit, der Herzog kommt zu spät; vor einer Stunde habe ich mich mit dem Marquis Pescara verlobt!“

Welche Worte! der ganze Hof ist sprachlos vor Erstaunen. Man blickt auf den Vater; auch dieser scheint zum ersten Mal diese Nachricht zu hören. Indessen läßt sich nichts anderes hier thun, als dem Marquis Glück zu wünschen, der über den Herzog von Olivarez den Preis davon getragen hat, ohne daß man wußte, daß er überhaupt nach diesem Preise ringe. Junia triumphirte und über Junia triumphirte Aretin.

In Bologna wurde die Hochzeit mit fürstlicher Pracht gefeiert, dann begaben sich die jungen Vermählten nach Rom. In der Vorhalle des Palastes Romagnola fand folgendes Gespräch statt.

Aretin: „Kennt Ihr schon, Signor, den ganzen Umfang des Vermögensantheils, der Euch zugefallen?“

Der Marquis: „Vollkommen. Es sind Landgüter und baare Geldsummen.“

Aretin: „Die ersteren behaltet, von den letzteren gehört mir die Hälfte.“

Der Marquis: „Euch, Signor?“

Aretin: „Mit vollkommenem Rechte; ich zog Euch aus der Niedrigkeit empor und habe Euch erstens eine Stellung und dann diese Heirath verschafft. Ihr wißt, ihr waret genöthigt, einen falschen Namen anzunehmen, und doch hat Euch die Gerechtigkeit gefunden. Ihr waret verloren, wenn ich nicht kam, Euch zu retten. Euere Familie hatte sich von Euch losgesagt.“

Der Marquis: „Soll ich Euch für alles dieses dankbar sein?“

Aretin: „Haltet es damit, wie ihr wollt.“

Der Marquis: „Nun denn, ich halte es so, daß ich Euch keinen Dank und auch kein Goldstück zahle! O, ich weiß auch, wie ich in der Welt mich zu benehmen habe!“

Einen Augenblick leuchtete ein Blitz in Aretin’s Auge, dann sagte er mit seinem gewohnten kalten Lächeln: „Gut, Signor, ich habe ja die Papiere des Commandore über Euch in meinen Händen. Morgen erfährt ganz Rom, daß Bernardo und der Marquis Pescara eine und dieselbe Person ist.“

Der Marquis gab nach, indem er mit den Zähnen knirschte und seinen Dolch in der Scheide zuckte. Jetzt war Aretin’s Mission vollendet; das, was nun folgen sollte, konnte er getrost seinem Zöglinge überlassen.

Sieben Jahre waren vergangen und nun entrollten die letzten Scenen dieser Tragödie. Wir haben es jetzt mit dem Bilde zu thun, das die Meisterhand Tizians schuf und auf dem die Heldin unserer Erzählung uns zum letzten Male und in einer gänzlich umgeschaffenen Gestalt entgegentritt. Wir sehen ein stolzes Herz gebrochen, einen wilden Sinn gebeugt. Laßt uns nun die Geschichte dieses Bildes erzählen.

Wir haben es jetzt mit Tizian zu thun. Eines Abends sitzt der berühmte Künstler mit einigen Freunden bei einem kleinen Festmahle in der Villa des Cardinals Orsini in Rom, da wird ihm gemeldet, daß Jemand ihn zu sprechen wünsche. Es ist der Bote einer vornehmen Dame, die ihn zu sich bescheidet. Der Name dieser Dame klingt dem Künstler fremd in’s Ohr, dennoch machte er sich sogleich bereit, dem Diener zu folgen, nachdem er seine Freunde nur wenige Augenblicke zu verlassen gedenkt. Er wird in einen Palast geführt und in einem prachtvoll decorirten Gemache allein gelassen. Bald öffnete sich die Thür und eine hoch und schlank gewachsene Frau, in schwarze Schleier gehüllt, tritt herein, bleibt stehen und scheint sich die Züge und die Gestalt des Künstlers mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Endlich nimmt sie einen Sessel ein, ihrem Gaste gegenüber. Als sie den Schleier zurückschlägt, glaubt Tizian, diese edlen, reinen Formen, die die Schönheit, aber auch die Kälte des antiken Marmors an sich tragen, schon einmal gesehen zu haben.

„Ihr erkennt mich nicht wieder, Meister,“ hebt sie an, es sind über zehn Jahre, daß wir uns in Ferrara gesehen haben.“

„Fürstin Romagnola!“ ruft der Künstler.

„So hieß ich damals,“ entgegete sie.

„Ihr seid vermählt?“

„Gewesen.“

Nach diesen Worten entsteht eine Pause. Die Dame sieht zu Boden nieder und ihre Stirn ist umwölkt, die starre Blässe ihres Gesichts scheint sich noch gesteigert zu haben. Mit Anstrengung nimmt sie endlich wieder das Wort und sagt: „Damals, Meister [244] Tizian, wünschtet ihr mein Bild zu malen, ich hatte Gründe, Euch dieses Begehren, obgleich es meiner Eitelkeit schmeichelte, abzuschlagen, ich komme, um Euch zu bitten, dieses Bild jetzt zu schaffen.“

„Ihr sollt in mir Eueren gehorsamen Diener finden, Signora. Bestimmt mir nur den Tag und die Stunde, denn ich mache diesmal nur einen kurzen Aufenthalt in Rom.“

„Laßt es morgen in der Frühstunde sein.“

„Wohl. Ihr wünscht doch ein Bildniß?“

„Nicht das allein. Ihr sollt mich in Verbindung bringen mit der Madonna und dem Christkinde, und zwar will ich als Reuige und um Vergebung Flehende vor der Mutter Gottes erscheinen.“

Tizian glaubt seinem Ohre nicht trauen zu dürfen, als er diese Worte hört. Die stolze Junia eine Fromme! Die Freundin Aretin’s eine Devote! Diese Gedanken müssen in dem offenen und freien Antlitz des großen Mannes zu lesen gewesen sein, denn die Dame schlägt verwirrt und finster die Blicke von Neuem zur Erde, und von Neuem entsteht eine Pause beiderseitiger Befangenheit.

„Wollt Ihr?“ fragt sie.

„Gewiß,“ erwidert er, „nur laßt mich über diese Aufgabe nachdenken. Ich habe schon mehr als eine galante Dame vor den Thron der jungfräulichen Gottesmutter gebracht, aber es war nicht gerade nöthig, sie in Reue und Zerknirschung darzustellen. Ich habe diese schönen Frauen dargestellt, wie sie eine anständige und respectvolle Verbeugung vor der Mutter Gottes machen, dies ist, dünkt mich, genug. Wozu ein Weiteres? Soll die Weit unnützer Weise Dinge erfahren, die sie nichts angehen? Wenn ich Euch als Magdalena male, mit Thränen im Auge, und zaghaften Schrittes dem Throne der Madonna sich nähernd, so wird alle Welt fragen, was hat die Fürstin verbrochen, warum kommt sie in solcher Gestalt vor die Gottesmutter? Aber dies sind nur meine besonderen Ansichten, Signora, thut was Euch gefällt, ich bin nur froh, daß Euere erhabenen Züge sich endlich einmal meinem Pinsel anvertrauen.“

Den andern Tag wurde das Bild begonnen. Der Künstler hatte eine Skizze mitgebracht. Auf dieser sah man die Mutter Gottes in der Hütte sitzen, das Kind auf dem Arme, und mit dem Gepränge einer Fürstin, gefolgt von einer Dienerschaar, trat die schöne Frau in ihrem weltlichen Glanze in diesen bescheidenen Raum.

„So will ich’s nicht,“ rief die Dame etwas heftig, „die Madonna soll auf dem Throne sitzen und ich will als niedere Magd vor ihr stehen. Seht her, in diesem Gewande!“

Und damit warf sie den langen schwarzen Schleier ab und stand in einem einfachen weißen Kleide vor dem Künstler, der, geblendet von der Schönheit und dem wundersamen Ernste dieser Gestalt, mit langen prüfenden Blicken auf dieser Form weilte. Es war allerdings nicht die Demuth und Zerknirschung einer Magdalena, wie man sie gewöhnlich darstellt, es lag zu viel Trotz, zu viel finstrer Unmuth in diesen Zügen, aber es war dennoch eine irdische Größe, die sich vor der himmlischen beugte. Das wundervolle Gemälde, das Tizian geschaffen, zeigt uns den Seelenzustand, dieses stolzen, nicht gebeugten, nur gebrochenen Weibes.

Dieses Bild fesselte unsern Künstler so sehr, daß er statt der Tage, die er bleiben wollte, Wochen blieb. In dieser Zeit wurde er mit der Marquise so vertraut, wie es überhaupt möglich war, mit ihr vertraut zu werden. Allein das finstere Geheimniß, das ihre Seele einschloß, erfuhr er nicht. Den Verlust ihres Vaters beklagte sie innig, von ihrem Gemahl, den sie vor wenigen Jahren verloren, sprach sie nicht, ebensowenig von zwei Kindern, die bald hintereinander gestorben. Diesen Umstand erfuhr der Künstler durch Andere. Aber ein Gespräch hatte er eines Tages mit ihr, dessen Inhalt ihn mit einem namenlosen Grausen erfüllte und, wenn er die einzelnen Andeutungen, die in den Worten dieser Frau lagen, weiter zu verfolgen versuchte, ihn vor ihr zittern machten.

Welch’ eine Welt von Stolz, von Eigenmacht, von wilder Rachgier und kalter Grausamkeit lag in diesem Weibe? Welche Verbrechen belasteten ihre Seele!

Es war von dem Geschick der Frauen im Allgemeinen die Rede gewesen, plötzlich fuhr die Marquise auf und sagte:

„O, nennt mir irgend ein Schreckniß in der Welt, eine entsetzliche Qual, eine die Seele zerreißende Demüthigung, es ist alles nichts gegen das Geschick eines Weibes, das von einem Manne, den sie haßt, die Pfänder einer schmachvollen Ehe unter dem Herzen tragen muß! Da ist alles beisammen, was Erniedrigung und Elend heißt. Von dem ein Leben zu hegen, der unseres Lebens Feind! O, ihr ewigen himmlischen Gewalten, kann es da anders kommen, als daß in der Hand dieses niedergetretenen Weibes Dolch oder Gift ihre willkommenen Dienste leisten?“ – Nach einer Welle setzte sie hinzu: „Ihr habt mich auf meiner Höhe gesehen, ich bin von dieser Höhe vor der Welt nicht hinabgestiegen, und wenn mir ein solcher Sturz drohte, so würde ich ihm rasch zu entgehen wissen. Daß ich mich mit dem Himmel versöhnen will, ist nur allein mein Entschluß, keine äußere Gewalt bringt mich dazu. Ich will dieses Bild, das ihr auf mein Geheiß malt, in meinem Gemache aufstellen, und wenn es mir gelingt, mein Herz zu bezwingen, so will ich, demüthig, wie ich hier im Bilde stehe, vor die Gebenedeite hintreten und ihr sagen: Bereuen kann ich nicht, was ich gethan habe; ich konnte nicht anders! Doch gib mir Frieden, heiligste und reinste der Frauen – gibt mir Frieden – Frieden!“

Diese letzten Worte wurden mit einem herzzerreißenden Tone gesprochen, der in diesem stolzen Munde ganz besonders erschütternd klang. –

Wenige Jahre nach diesen Vorfällen erfüllte Rom die Kunde von einer entsetzlichen That, die Thäterin selbst war nicht mehr unter den Lebenden. Die Marquise Pescara, so hatten jetzt die Nachforschungen ermittelt, hatte ihren Mann und ihre Kinder vergiftet. Der Verdacht war bereits einmal schon rege geworden, doch hatten die Stellung der Verbrecherin und ihre mächtigen Verwandten ihn niedergehalten, es kam jetzt zur öffentlichen Anklage. Aretin – hatte diese Anklage erhoben. Die Marquise fand man eines Morgens todt in ihrem Gemache. Rom hatte sein schönstes, aber auch sein verbrecherischstes Weib verloren.

Das Bild Tizian’s von ihr gewann an großer Bedeutung, just da die Schicksale dieser Frau bekannt wurden. Auch wir, die ferne Nachwelt, stehen mit ganz anderm Gefühl vor diesem Bilde, da wir seine Geschichte kennen, als wenn wir nur die Meisterschaft des großen Künstlers zu bewundern hätten.

Ueber Tizian selbst fügen wir kein Wort weiter hinzu. Sein Leben und seine Werke sind weltbekannt.




  1. Aus dem in einigen Monaten bei Brockhaus erscheinenden 2. Bande der „Geschichte und Bilder der Dresdner Gallerie“ –. Unser heutiges unter dem Namen „Tizian’s Madonna“ bekanntes Bild befindet sich im zweiten Saale des Dresdner Museums (in Quandt’s Katalog pag. 36)
    D. Redact. 
  2. Ein italienischer Classiker des 16. Jahrhunderts, ein feiner Kunstkenner, damals gefürchtet wegen seiner scharfen Satyre und seines stets schlagfertigen Witzes, als Mensch aber wegen seines wüsten Lebens und seiner Zügellosigkeit wenig geachtet.
    D. Redact.