Die Metzger und ihr Brunnen
Die Metzger und ihr Brunnen.
Wenn Literatur und Malerei sich in unserer Zeit fortwährend bestreben, das Leben des deutschen Volkes in Schrift und Bild mit glücklichem Humor zu feiern, und namentlich dem Handwerkerstand ein Interesse an sich selbst, an seinen Gebräuchen und Besonderheiten zu geben, so hat die Bildhauerkunst in größeren Werken noch wenig oder keine Beiträge dazu geliefert. Ist es doch in ihr recht schwer, beim Humor die Schönheit der Formen festzuhalten, den Naturalismus nicht zur Caricatur herabsinken zu lassen. Die deutschen Bildhauer des Mittelalters nahmen es mit ihren Humoresken zum Theil nicht so genau wie wir. Sie opferten der Wahrheit und Charakteristik gar oft die Schönheit.
Unter allen Gegenständen des täglichen Gebrauchs eignet sich wohl keiner zu heiterer, volksmäßiger Ausschmückung so gut, als der Brunnen. Der Bildhauer Conrad Knoll in München, bekannt durch seinen Tannhäuserschild, seine Heroen-Statuen am Rathhaus zu München, Palm-Standbild zu Braunau, Wolfram von Eschenbach zu Eschenbach etc., hat neuerdings in seiner ebenso schönen als originellen Ausschmückung des Fischbrunnens eine heitere Sitte der Münchener Bürgerschaft in sinniger Darstellung verherrlicht, die in einer nicht unbedeutenden geschichtlichen Begebenheit Baierns wurzelt und den deutschen Süden mit seiner naturkräftigen Lebenslust vortrefflich charakterisirt. Diese Sitte heißt der Metzgersprung und ihre Entstehung ist, wie die Chronik berichtet, in der Stadt Nürnberg zu suchen.
Als im Jahre 1346 eine Partei gegen Ludwig den Baier, zu Gunsten Karl des Vierten sich gebildet hatte, beschlossen mehrere Nürnberger Zunftmeister die Anhänger Ludwig’s zu überraschen, und zur Verabredung der Art und Weise hatte man sich am 15. Februar 1346 am Schönen Brunnen zusammenbestellt. Zwei Metzgerjungen aus München, Sewald Snyder und Michael Tumbläger, aber versteckten sich trotz der Kälte in den Brunnen, hörten Alles mit an, erkannten die Verschworenen, theilten das Vorhaben ihren Meistern mit und retteten die Stadt dem Kaiser Ludwig.
Dieser gab darauf der Metzgerzunft in Nürnberg das Privilegium, alljährlich am Faschingstag ihre Lehrlinge öffentlich frei zu sprechen. Als nun die zwei jugendlichen Retter des Vaterlandes als Meister nach München zurückkehrten, führten sie dieselbe Sitte in der Residenz ein. Anfangs nur im Keller gehalten, wurde sie nach einer neuen Fleischerordnung und Metzgerzunft öffentlich und litt nur in den Jahren 1463, 1515 und 1517 durch die Pest eine Unterbrechung. Selbst als die Seuche vorüber war, fürchtete sich Jedermann auf der Straße ohne Noth zu erscheinen; die Stadt glich der Oede eines Kirchhofes. Da machten die Metzger einen rühmlichen Anfang, neue Lebenslust hervorzurufen. Tanzend zogen sie durch die Straßen der Residenz, um zu beweisen, daß die Luft wieder rein sei, und sprangen in den Brunnen, zu zeigen, daß auch das Wasser keine giftigen Stoffe mehr berge; hierauf wagten sich denn die übrigen Bewohner auch wieder heraus. Nun wurde während drei Jahrhunderten bis aus die neueste Zeit das heitere Spiel des Metzgersprunges jährlich wiederholt. Einige Lehrlinge der ehrbaren Zunft erhalten zu ihrer Standeserhöhung das frische Brunnenbad, sie ziehen mit Musik in fröhlichem Zuge durch die Stadt zum Fischbrunnen, und ein Altgeselle bringt nach der lustigen Einweihung den neuen Freigesprochenen und der Stadt mit einem Becher Wein ein Lebehoch.
Diese Scene nun hat der Künstler an dem neuen Fischbrunnen, den man statt des alten schadhaften zu setzen beschloß, auf echt künstlerische Weise dargestellt.
Das Brunnenmonument ist gleichsam in drei Stockwerken aufgebaut. Das untere, der Sockel von röthlichem Marmor, erhebt sich aus einem achteckigen Brunnenbassin von grauem Granit. Ueber diesem baut sich in schönen architektonischen Verhältnissen eine gleichfalls achteckige Säule auf, welche von den verschiedenen Gruppen, Figuren und Ornamenten umgeben und geschmückt ist. Aus dem ersten Theile dieser Säule fließt und springt das Wasser aus Löwenköpfen und Delphinen in Muscheln oder in das große [293] Becken. Dazwischen erblickt man rechts und links auf dem Sockel sitzend eine Gruppe von je zwei Burschen in der abenteuerlichen Tracht der Metzgerlehrlinge am Faschingstage, Jacken und Beinkleider mit Kälberschwänzen besetzt, Wasserkübel ausschüttend. Im übermüthigen Spiel hebt der Eine drohend den Kübel in die Höhe, als wollte er ihn über seinen Genossen ausleeren. Bei der zweiten Gruppe hingegen hält ein Bursche einen gefangenen Fisch triumphirend hoch, den sein Camerade neckisch anspritzt. Auch fehlt der übliche Früchtekorb nicht, aus welchem bei dem Faschingsspiel Aepfel und Nüsse unter die Straßenjugend geworfen werden.
An dem oberen verjüngten Theile der Säule stehen vier Tannenbäumchen in Kübeln, die Stämme mit Festschmuck von Wappen, Schildern und Bändern verziert, ihre Zweige zu Nischen bildend, unter welchen ein Quartett Musiker in Knabengestalten anmuthig placirt ist, von denen der Eine die Flöte, der Zweite das Horn, der Dritte die Schalmei und der Vierte den Dudelsack bläst. Die originelle knappe Kleidung der Knaben hebt ihre jugendlichen Formen reizend hervor und erhöht dadurch den Eindruck von Naivetät, welcher dieses kleine Tonkünstler-Quartett auszeichnet. Auf der Plattform über diesen Kinderfiguren steht der Altgeselle, ebenfalls in leichter Kleidung, welche die kräftigeren schönen Formen sehen läßt; den Weinkrug in der Linken, schwingt die Rechte den Becher hoch in der Luft.
Außer diesen heiteren Darstellungen finden sich bei näherer Betrachtung an untergeordneten Stellen noch zwei Reliefs, welche auf jene grauenvolle geschichtliche Erinnerung hindeuten, die man mit der Sitte des Metzgersprungs in Verbindung bringt. Unter den großen Muschelschalen, zwischen den sitzenden Gruppen, kauern als Träger der Schalen zwei unheimliche Gestalten, stets vom Wasser bespült, die eine mit Schädeln und Todtengebeinen, die andere mit Fledermäusen gekrönt. Sie halten erdrückte drachenartige Gewürme in ihren Händen, Symbole der Pest und Cholera. Dagegen nippen oberhalb der von Wasser überfließenden Schalen ein Paar allerliebste Tauben hüben, und drüben ein Paar der Kufe entsprungene muntere Fischlein von dem erfrischenden Naß. Die sich kreuzenden Wasserstrahlen, welche von den speienden Delphinen aufwärts steigen und aus den Löwenköpfen und den Wasserkübeln abwärts sprühen, beleben das Ganze und verleihen den fröhlichen Gruppen noch größeren Reiz.
Das Monument ziert an derselben Stelle des alten Brunnens, der die heitere Scene erlebte, als Schmuck den Marienplatz, dessen Besuch wir allen Reisenden dringend empfehlen.