Die Minneköniginn und die schwarzen Schwestern

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Autor: anonym
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Titel: Die Minneköniginn und die schwarzen Schwestern
Untertitel: Bruchstücke aus einer abenteuerlichen Geschichte
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1792, Zweyter Band,
S. 387–410
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[387]
IV.
Die
Minneköniginn
und
die schwarzen Schwestern.
Bruchstücke
aus
einer abenteuerlichen Geschichte.




In einer der angenehmsten Nächte die man nur unter dem schönen Himmel von Sicilien genießen kann, lag Graf Campobello mit seiner reizenden Tochter, im Fenster einer einsamen Burg am Fuße romantischwilder Gebürge. Er schaute auf die weisse Heerstraße, welche sich nicht weit davon in einen ungeheuern Wald schlängelnd verlor. Der Mond stieg eben über die schwarzen Felsenmassen herauf, alle Gegenstände waren umflossen von seinem zauberischen Lichte, Nachtigallen schlugen in dem dunkeln Gebüsch, ein geheimnißvolles Wehen flüsterte in den Gipfeln der Bäume.

[388] Fioretta hielt mit kindlicher Zärtlichkeit ihren Vater umschlungen, die Seelen waren gestimmt zu hoher, unschuldiger Freude. Der gute Alte erwartete seinen Sohn aus Palermo zurück, wohin er ihn in einer wichtigen Angelegenheit geschickt hatte, und es war ihm den ganzen Abend über so wohl gewesen, als hätte er die beste, schönste Handlung seines Lebens noch einmal glücklich ausgeübt. Don Francesco hatte geschrieben, er wolle unfehlbar die Stunde der Mitternacht im Schlosse seines Vaters schlagen hören, alles war bereit ihn auf das feierlichste zu empfangen. Die sämmtliche Dienerschaft hatte sich schon auf dem Hofe versammelt, die Thurmwächter standen mit brennender Lunte, um durch den Donner der Kanonen die schlummernde Nachbarschaft von der erfreulichen Ankunft ihres jungen Gebieters zu benachrichtigen. Ein großes Feuer brannte in der Mitte des Burgplatzes und alle finstern Thorgewölbe waren durch hellflammende Pechkränze erleuchtet.

Weil Don Francesco aber wohl noch eine Stunde ausbleiben konnte, so lagerte sich Dienerschaft und Besatzung um einen unbekannten Wanderer, der durch sein liebliches Harfenspiel die Erlaubnis gewonnen hatte, auf der Burg so lange auszuruhen als es ihm gefallen würde. Eine wunderbare Begeisterung hatte ihn jezt ergriffen, er stürmte gewaltig durch die Saiten seiner Harfe, aber sie [389] erklang so traurig und herzerschütternd, daß alle bis zu Thränen gerührt wurden. Er sang die Jammerklage über ein liebliches Mädchen, das in der Blüte der Jahre, ihrem Vater, ihrem Geliebten aus den Armen gerissen ward, um zu schmachten in fürchterlicher Einsamkeit. So oft er nun weinend und stammelnd aussprach: „Wo ist mein Kind, mein armes Kind?“ – war es als höre man ein unterirdisches Poltern in den uralten Gräbern der Sarazenen welche einst bey der Belagerung dieser Feste fielen, und am Fuße der Thürme begraben lagen. Der Harfner stand da in flatterndem Gewande, ehrwürdig durch seine edle Miene, und einen langen schneeweissen Bart, seine Augen funkelten, sein Haar flog im Winde, er blickte wehmüthig in die Hallen des Schlosses.

Endlich rief er, wie mit dem Tode ringend: „Ach Gott, sie ist dahin!“ – und es pochte lauter in den Grabgewölbern, rollte unter dem Boden hin, daß das Feuer knisterte, das Gemäuer erbebte, die Zuhörer von ihren Sitzen auffuhren mit blassem Gesichte, berganstehenden Haaren. – Da floß plötzlich ein sanftes Minnelied von den Lippen des Harfners und der schnelle Uebergang vom Schauerhaften ins Liebliche zerschmelzte auch das roheste Herz in süße, sanfte Gefühle.

Unterdessen hatte sich alles Leben hieher gedrängt, im Innern der Burg herschten schon Stille [390] und Finsterniß. Graf Campobello und Fioretta waren allein in dem entferntesten Flügel, sie hörten nur das leise Summen der Harfe.

Noch nie hatte Fioretta ihren Vater so munter gesehen, froher Scherz strömte von seinem Munde und ein liebenswürdiger Enthusiasmus schien seine durch Alter und Erfahrung abgekühlten Lebensgeister, selbst bis zum höchsten lyrischen Schwunge anzuflammen. Stunden lang sprach er von den Süßigkeiten seiner ersten und einzigen Minne, manche heisse Zähre floß dem Andenken seiner verewigten Francesca, und das Herz der kleinen Fioretta fühlte sich durch diese Schwärmerey gewaltig in die Enge getrieben. Wohl zehnmal versuchte sie ein paar Worte zu lallen, immer ward ihr Mund geschlossen von der Macht wunderbarer Gefühle. Endlich brachen ihre Thränen unaufhaltsam hervor und diese seltsame Scene versetzte den alten Ritter plötzlich aus seiner Traumwelt zurück in die Wirklichkeit. Zärtlich liebkosend fragte er nach der Ursache des Weinens, ein Feuerkuß auf seine Hand war Fioretta’s Antwort. Er bat, er beschwor seinen Liebling, und erhielt endlich von den Lippen des hocherröthenden Mädchens, das unter hellen Thränen hervorgestammelte Bekenntnis: „Vater, ich liebe!“

Der alte Graf fühlte noch in seinem Herzen den sanften Wellenschlag, welchen die entzückenden [391] Bilder der Vorwelt darin erregt hatten, er ward zwar etwas ernsthafter, allein seine Seelengüte konnte den süßen, natürlichen Trieb seiner Tochter unmöglich tadeln. Er lockte ihr den Namen des Geliebten ab, und gerieth vor Freuden außer sich, als er Don Rodrigo nennen hörte.

Fioretta erschrack, die Thräne welche noch in ihrem Auge zitterte, hatte ihr einen kleinen optischen Betrug gespielt, sie glaubte ihr Vater zürne, und wäre ohnmächtig hingesunken, wenn der gute Mann sie nicht enthusiastisch an sein Herz gedrückt und ausgerufen hätte: „Rodrigo, den Liebling meiner Seele, den edlen Mannhaften Ritter! Segne dich der ewige Gott für diese Wahl! – Ach Francesco, wo bleibst du? – Nun will ich gerne sterben, meine Kinder sind glücklich!“ – Fioretta dankte ihm nicht mit Worten, sondern mit einem Blicke vor dem sich die Himmel hätten öffnen mögen. Campobello verstand ihn, und drückte das vortrefliche Kind noch inniger an seine Brust. Eine feierliche Stille folgte, unbeschreibliche Wonne hatte sich ihrer Herzen bemächtigt. Endlich lösete sich das Band der Zunge, und der ehrliche Alte sprach mit einer so hinreissenden Beredtsamkeit von seinem Glücke und den Freuden der Zukunft, daß selbst die schüchterne Fioretta zulezt im Dythyrambischem Tone mit einstimmte. [392] – Wer kennt nicht die Zauberinn Phantasie? wer weiß nicht, wie allmächtig sie das Leblose und das Lebendige in ihren Kreis hineinzieht, um das Ideal ihres Gemähldes zu vollenden? Jetzt schien die ganze wilde Gegend umher zu lächeln, und sogar die schwarzen Ruinen einer in dem nahen Walde liegenden uralten Felsenburg verloren in Fioretta’s Augen das Schauerliche, wovor sie sonst so oft gezittert hatte.

In dieser hohen Spannung süßer Empfindungen schreckte sie plötzlich das Geräusch eines seidenen Kleides, welches in dem langen Gange der zu ihrem Zimmer führte, an die Wand schlug. Fioretta schmiegte sich furchtsam an ihren Vater, und dieser wendete sich eben um, das kommende Abenteuer zu beobachten, als die schöne Signora Bianca durch die offene Thür, in seine Arme flog. Man wünschte sich gegenseitig einen guten Abend und es begann ein trauliches Gespräch über das bilderreiche Licht des Mondes und über die Feyer einer schönen Nacht. Eine Schwärmerey drängte nun die andre und die romantische Bianca ging bald über vom Schönen ins Erhabene und Schauerliche. Unvermerkt färbten sich die Waldruinen schwärzer in Fioretta’s Augen und das Flüstern des Abendwindes, der dann und wann über den langen, einsamen Gang hintanzte oder am Schloßgemäuer [393] hinauflispelte, schien ihr die Gegenwart eines furchtbaren Geistes zu verkünden. Der Graf bemerkte das ängstliche Herzklopfen seines Lieblings, der sich jetzt immer näher an ihn drängte, und scherzte leise über den verlornen Muth des liebenden Mädchens. Aber Fioretta riß sich loß, seufzte tief, ging im Zimmer umher und lehnte sich endlich an das Fenster, welches in den Schloßgarten ging, wo sie keine schreckliche Ruinen sah, sondern lauter sanfte, lieblich mit Mondlicht verschmolzene Bilder. Hier überließ sie sich einem unbeschreiblichen Gefühle, zusammengesetzt aus schwärmender Liebe und der Ahndung einer traurigen Zukunft. Graf Campobello und Signora Bianca setzten unterdessen ihr Gespräch fort, und blickten nur verstohlen auf die arme schwermüthige Fioretta.

Bianca.

Ach, Signor, es war eine Zeit, wo der Anblik einer Lilie oder Rose alle Wünsche meines Herzens befriedigte, wo ich mit jedem Blumenkranze den geheimnißvollen Zirkel meiner unschuldigen Freuden zusammenband, und am Busen meiner Freundinnen ein wahres Elysium schwärmte. Damals lebte ich noch am Fuße des Aetna, in einer himmlischen Gegend.

[394] Bianca blikte hier schnell um sich, als höre sie jemand kommen. Graf Campobello bemerkte ihre Verlegenheit nicht, weil er sich eben nach seiner Fioretta umsah.

Campobello.

Ha! es freut mich, liebe Signora, daß Sie von selbst auf Ihre Lebensgeschichte kommen, bis jezt sind Sie mir vollkommen räthselhaft, und ich möchte fast behaupten, daß Sie eine kleine Zauberinn sind, weil Ihnen schon auf den ersten Blick alle Herzen wohlwollen.

Bianca.

Wenigstens sind meine Zaubermittel sehr unschuldig, sie bestehen größtentheils in einem offenen, liebevollen Herzen; aber was meine Geschichte anbetrift, lieber Vater –

(Sie blikt nach den Ruinen.)

Campobello.

Nun? darf ich nichts davon wissen?

Bianca.

Alles, alles, so bald es mir erlaubt seyn wird. – Sehn Sie doch das Flämmchen welches dort unter den Ruinen herumschleicht!

[395] Campobello.

Ein Irrlicht, ich sah es oft, selbst Fioretta fürchtet sich nicht mehr davor.

Bianca.

Sicilien ist ein wunderbares Land, es war von den ältesten Zeiten her der Sammelplatz seltsamer Dichterschwärmereien. Ueberall sieht man Spuren aus jenen romantischen Tagen, in welche die Phantasie so gern sich verliert, und wobey das Herz so willig verweilt. Ueberall trauern die Ruinen einer majestätischen Größe, die Wälder liegen voll Säulen und Ueberbleibsel uralter Tempel und Amphitheater. Ernste Grabmäler und Trümmer einst schöner Villen und Palläste wechseln wunderbar mit einander ab, und alles dringt so gewaltig auf den Zuschauer ein, daß er sich in wenig Augenblicken, aus der jetzigen kleinen Welt wie herausgerissen, unter Feen, Heroen, und sichtbare Götter versezt fühlen muß. O, es wird mir sonderbar zu Muthe, wenn ich an den Tag gedenke, wo ich verirrt von meinen Gespielen, nichts als das Brausen eines endlosen Waldes hörte, wo ich mit Weinen und Wehklagen einen Hügel erstieg, um vielleicht von seiner Höhe herab den verlornen Weg wieder zu entdecken. Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo ich alles [396] sagen darf, was ich hier sah und hörte, allein etwas müssen Sie davon wissen, um sich manches Auffallende in meiner Geschichte erklären zu können.

Fioretta war unterdessen wieder näher gekommen, und schloß sich jezt noch enger an ihre Freundinn, als vorher an ihren Vater. Das blasse Mondlicht hatte auch über die Schönheiten des Gartens sein mystisches Netz ausgespannt, die dunkeln Lauben waren zusehends schwärzer geworden und die sonst liebliche Abendkühle hatte der Schwärmerinn manchen geheimen Schauer abgejagt. Bianca schien sehr zufrieden, daß ihre Freundinn auch etwas von ihren Abenteuern hören wollte und, abgerechnet daß sie zuweilen etwas schüchtern um sich blickte und immer starrer auf die schwarzen Ruinen sah, fuhr sie mit heitrer Miene, aber mit ungewöhnlich leiser Stimme in ihrer Erzählung fort.

Bianca.

Kaum hatte ich die Spitze des Hügels erreicht, als ich die Ebene eines großen Thales erblickte, das von fürchterlichen Felsen umschlossen, öde und einsam, wie eine wüste Insel im stürmenden Ocean da lag, und alles Lebendige aus sich verbannt zu haben schien. Nicht immer war es so gewesen, [397] denn die Mitte der Ebene leuchtete von den weissen Ruinen marmorner Riesengebäude. Vorzüglich zog eine majestätische Colonnade, die zu einem wohlerhaltenen, prächtigen Dom führte, meine Aufmerksamkeit so heftig an sich, daß ich meinen Kummer vergaß, den steilen Abhang des Hügels hinabkletterte, und ohne Furcht, auf die erhabene Säulenreihe zueilte. Unterwegs sah ich manches uralte Denkmal voll seltsamer Figuren, deren Deutung ich eben so wenig als die Inschriften, verstehen konnte. Doch glaubte ich auf manchem Marmor das geheiligte Feuer der römischen Vestalinnen zu erblicken, wovon mir eine ältere Freundinn zuweilen etwas erzählt hatte. Allein ich flog alles vorbey, und trat endlich in die herrliche Colonnade. Hier war mehr als das Werk gemeiner Menschheit, eine überirdische Größe strahlte aus jedem einzelnen Stücke hervor, und das Ganze konnte ich nicht ohne ein ehrfurchtvolles Zittern anschauen. Lange stand ich in stumme Bewunderung versunken, endlich störte ein nahes Geräusch den hohen Flug meiner Phantasie. Es war eine Schlange die aus ihrer Höhle hervorkroch, um sich an den Strahlen der untergehenden Sonne zu wärmen. Wie oft war ich nicht vor diesem gräßlichen Thiere geflohen, jezt schien es mir so traulich und gut, weil die schauerhafte Stille einer öden Gegend uns jedes lebendige Wesen willkommen [398] macht. Ich hatte schon beschlossen zurückzugehen, die Gegenwart der Schlange machte mir Muth, durch den Säulengang in den Dom selbst einzutreten.

Bianca schwieg und blickte ängstlich nach den Ruinen. Plözlich rief sie: „Ist das Feuer?“ – Alle sahen das schwarze Gestein hell leuchten.

Campobello.

Der Mond scheint vielleicht auf das glänzende Thor von Erz, welches da oben seyn soll.

Bianca.

Ein Thor von Erz, und wohin führt dieses?

Campobello.

Das weiß der gerechte Gott!

Er machte hier als ein rechtgläubiger Sicilier das Zeichen des Kreuzes über sich und Fioretta, die sich jezt noch näher anschmiegte. Bianca verfiel in ein tiefes Nachdenken, woraus sie erst durch ein wiederholtes Fragen des alten Ritters geweckt werden konnte.

Campobello.

Und der Dom?

[399] Bianca.

Der Dom! Ach, hätte ich ihn doch nie gesehen! – aber vergeben Sie, lieber Vater, warum haben Sie die fatalen Ruinen nicht längst schon dem Boden gleich machen lassen?

Es rauschte, Bianca sah sich um, eine schwarze Gestalt winkte ihr am Ende des Ganges, sie erblaßte und sank ohnmächtig zur Erde. Graf Campobello richtete sie auf, Todeszüge bedeckten ihr Gesicht, ein schauerhaftes Zucken durchfuhr ihren ganzen Körper. Fioretta wollte um Hülfe rufen, aber noch ehe sie das Seil der Glocke erreichen konnte, erhohlte sich Bianca, seufzte tief, entschuldigte sich und erzählte bald weiter, nachdem sie vorher die Thüre des Zimmers angeschoben hatte.

Bianca.

Ich trat mit ehrfurchtsvollem Schauern in den feyerlichen Dom, der oben durch eine meisterhaft angelegte Kuppel ein gewisses romantisches Licht erhielt, welches ich nur hier allein gesehen habe. Die Sonne hatte sich schon größtentheils verloren, aber ihre lezten Strahlen schossen aus einem schwarzen Gewitter-Horizont empor, fürchterlich wie eine nächtliche Feuersbrunst. Vielleicht hatte dieser Umstand Einfluß auf das wunderbare Helldunkel, [400] welches dem ungeheuren Domgewölbe das magische Ansehen eines Feenpallastes gab. Die Bauart des Innern war über allen Ausdruck erhaben, Säulen von schneeweissem Marmor mit goldgestreiften Kapitälern schmückten die herrlichgeformte Wand, einige schwarze Marmortafeln mit großen, goldenen Characteren überraschten mein Auge, und ein mysteriöses Echo gab meinem Ohre auch das leiseste Rauschen eines Blattes hundertfach zurück, indem es Geistern gleich an den Wänden des Doms herumzuschweben schien. Gegen den Haupteingang über lag eine verschlossene Thüre, schneeweiß mit schwarzer Einfassung, oben strahlte eine goldene Krone. Ich konnte mich nicht sättigen an dem Anblicke, solche Größe und Schönheit hatte ich nie gesehen, nie vermuthet. Allein ich ward fürchterlich aufgeweckt aus meinen überirdischen Träumen, das Gewitter überzog würklich mein einsames Thal, ich ward plötzlich in rabenschwarze Finsterniß eingehüllt, der Donner rollte tausendfach verstärkt in dem Domgewölbe, und jeder Blitz öffnete eine fürchterliche Aussicht auf die weissen Ruinen, welche mir jezt eben so viel herumwandelnde Gestalten zu seyn schienen. Ich warf mich in wahrer Todesangst auf die Knie, und erwartete den Feuerstrahl der mich zerschmettern sollte. Das Gewitter kam immer näher, ein rasender Orcan riß, so schien es mir, die Säulen [401] der Colonnade nieder, sie stürzten mit unbeschreiblichen Krachen übereinander, mich durchschauerte die Todesangst: nun bist du lebendig begraben! Aber der Blitz goß durch die Kuppel eine solche Flammenfluth in das Innre des Doms, daß ich die Augen schliessen mußte, aus Furcht geblendet zu werden. Endlich verzog sich das Gewitter, und es ward wieder todstill um mich her, izt um so grauenvoller, da noch immer das tiefste Dunkel über dem Thale ruhte. Ich fing schon an, mich wieder nach dem Gebrüll des Donners und nach dem Heulen der Stürme zu sehnen, denn die schauerliche Einsamkeit machte das Mark in meinen Gebeinen erstarren. Kaum wagte ich es, mich zu regen, bey jedem leisen Laute fuhr ich zusammen, der Wiederhall schien mit den fürchterlichen Gestalten im Bunde zu stehen, welche meine Phantasie mir, bey jeder Bewegung des Auges, riesenmäßig vormahlte. Ach, was gelobte ich nicht da in der Angst meines Herzens! Als Pilgrim wollte ich barfuß wallen zum heiligen Grabe nach Jerusalem; als Nönnchen wollte ich alle meine süßen Lebensplane aufgeben, und allein in enger, trauriger Zelle meine Tage unter Gesang und Gebet dahinschwinden sehn. Aber nichts rettete mich izt aus meinem Grauen, vielmehr glühte es immer heftiger in meiner Einbildungskraft. Plözlich höre ich ein Geräusch und falle zitternd, eiskalt, [402] mit den Zähnen klappernd, aufs Angesicht zur Erde. – O, du ewiger Gott, was ging mit mir vor in dem wunderbaren Dom? noch ist mir alles räthselhaft, noch hat nicht die leiseste Ahndung mir das geringste seiner feierlichen Geheimnisse enthüllt. Mir ist zu Muthe wie einem, der in ein verwünschtes Castell geräth, und überall mit himmelanstehenden Haaren, Wirkungen ohne Ursachen sieht; die Pforten fliegen auf und zu, er gewahrt niemand der sie bewegte; er flieht, glaubt gerettet zu seyn, aber hinter ihm donnern siebenfache Schlösser und Riegel, und Hu! eine eiskalte Hand fährt ihm über den Rücken. – Ach, Vater, wann und wie wird alles das enden? – (Sie blikt nach den Ruinen.)

Campobello.

Bianca, was ist das? Sie werden blaß – es ist nicht richtig – erzählen Sie ein andermal weiter.

Bianca.

Nein, lieber Vater, ich habe angefangen und will enden. Wer weiß, wie lange wir noch beysammen sind. Nur die Gegenwart ist unser, die Zukunft, ach! ist ungewiß.

[403] Campobello.

Nur in Gottes des Herren Namen, nur Signora, bitte ich Sie, halten Sie ein, wenn Sie sich dem schreklichen Punkte ihrer Geschichte nähern, den ich voraussehe. Ich zittre für Sie, jeder Umstand hat mich erschüttert, aber – Himmel! wo ist Fioretta, wo ist meine Tochter?

Fioretta’s Sitz war leer, man sah sie nicht in dem Zimmer, fand sie nicht auf dem langen Gange, der Graf rief, Bianca rief, die Kleine war verschwunden. Schon wollte Campobello nach dem Burgplatze gehen, wo itzt alles eingeschlummert zu seyn schien, als er beym Scheine des sterbenden Feuers, seine Fioretta allein und todblaß unter den Säulen der großen Halle stehen fand. Eine unbekannte Lampe brannte neben ihr, es regte sich etwas im nächsten Winkel. Campobello eilte mit Freudengeschrei zu seiner Tochter, weinend sank sie in seine Arme, konnte nicht sprechen, nur stammeln, ihre Augen kündigten einen innerlichen Kampf an, sie zitterte heftig am ganzen Körper. Man brachte sie zurück ins Zimmer und Bianca’s liebkosende Hülfe ermunterte sie bald, aber niemand konnte sie zum Sprechen bringen, jede Frage beantwortete sie mit einem Strom von Thränen. Endlich ließ der alte Graf seine Fioretta in Ruhe, und bat Bianca, ihre Geschichte [404] fortzusetzen bis die Stunde der Mitternacht schlagen würde.

Bianca.

Noch lag ich mit dem Angesichte auf der Erde, als das Geräusch um mich her lebhafter ward und endlich gar eine entzückende Musik von Harfen und Töten mein Ohr umsummte. Ich blikte schüchtern auf, und siehe da, es war sonnenhell in dem Dom, die goldenen Inschriften, schienen zu flammen, und zwischen zwey der schönsten Säulen stand ein königlicher Thron, vor welchem auf einem niedlichen Altar, aus goldenen Rauchgefäßen, süße, blaue Weihrauchswolken empor stiegen. Ich lag auf den Knien und betete an, gewaltig pochte Herz, aber ihm war so wohl, als müß es einem Erretter aus Feuer und Fluthen, das längstgewünschte, innig und tiefgefühlte Dankopfer darbringen. Eine Weile war nun alles still, dann klangen wieder Harfen und Flöten, begleitet von lieblichen süßen Mädchenstimmen. Endlich rauscht es hinter der verschlossenen Thür, sie springt auf unter Pauken und Trompetenschall und zwey Chöre himmlischschöner Jünglinge und Jungfrauen hüpfen, Blumenkränze in der Hand, mit Gesang und Musik in den Dom hinein. Ich ziehe mich schnell an die Wand zurück, niemand scheint mich zu bemerken, im ganzen großen Gewölbe fluthet [405] Weihrauchdampf, die herrlichen Wohlgerüche stimmen das Herz zu großen und erhabenen Gefühlen.

Noch einmal schmettern die Trompeten, rollen die Pauken, und durch die offene Thür tritt herein – – O! wie soll ich dich nennen, Göttliche? Wie sollen meine armen Worte den Glanz und die Majestät darstellen, womit du von deinem Throne Besitz nahmst? Womit soll ich den rührenden, erschütternden Chorgesang vergleichen, der dir aus der schönsten,[WS 1] lebenvollsten aller Gruppen entgegenhallte? – Verzeihen Sie, lieber Vater, daß ich meinen Empfindungen[WS 2] freien Lauf lasse, anstatt zu erzählen, was ich in dem romantischen Dom sah und hörte. – – –

Die Schloßuhr schlug itzt dreyviertel auf zwölfe, Fioretta rief seufzend: „Bald, bald kommt mein Bruder!“ Bianca schien verlegen über den Ton dieses Ausrufs, Campobello erinnerte sie mit der Erzählung fortzufahren.

Bianca.

Im himmelblauen Seidengewande, blitzend von Gold und Edelgesteinen saß die Göttin in höhrer Majestät auf dem Throne, und alles um sie her, sog Freude und Wonne aus ihren zauberischen [406] Blicken. Dreymal erscholl der Chorgesang, dann begann das Opfer. Die schönste der Jungfrauen ging Hand in Hand mit dem edelsten Jüngling zum Altar, beyde warfen frischen Weirauch auf das Feuer und in starken Wogen drängten sich die Wohlgerüche empor. Leise begann nun wieder der liebliche Gesang, er stieg, ward ernst, Kraftvoll, Hymne, Dythyrambe. Die Göttin winkte mit einem Lilienscepter, welchen sie in der Hand trug, und immer leiser tönte der Gesang, bis er endlich ganz verhallte. Noch ein Wink und alles wendete sich plözlich gegen mich, ich werde eingeschlossen in den herrlichen Kreiß, der schönste Kranz strahlt auf meinem Haupte, Harfen und Flöten umsummen mich, tausend fröhliche Herzen schlagen in meinem Busen. Lächelnd erhebt sich nun die Erhabene von ihrem Throne, eilt auf mich zu durch den offnen Kreis, umarmt mich und giebt mir die süßesten, liebkosendsten Worte. Indem schallt eine rauhe Stimme aus der Ferne, das Licht im Dom verschwindet, es verschwindet, es verschwinden Altar, Thron, Chöre und Göttin, Finsterniß kehrt zurück, es wird still um mich her, ich zittere, es rauscht etwas an der Aussenseite des Doms, ich sinke ohnmächtig zur Erde.

Der Morgen brach an, ich wußte nicht, wo ich war, die Auftritte der vorigen Nacht hatten [407] mir alle Besinnung geraubt. Die wärmenden Strahlen der Sonne, welche durch die Thüre hereindrangen, wekten mich endlich, ich trat heraus, und sah zu meinem größten Erstaunen, die Colonnade unbeschädigt, aber rund um sie her Spuren fürchterlicher Verwüstung. Mit inniger Wehmuth, mit hellen Thränen im Auge, nahm ich jetzt Abschied von dem majestätischen Dom und von seinen wunderbaren Bewohnern. Alles was ich je von Sylphen, Gnomen und Salamandern gehört hatte, bemächtigte sich meiner Einbildungskraft, oft standen mir die Haare zu Berge, wenn sich im Durchwandern der Ruinen etwas regte, aber das Gefühl welches mich dann durchschauerte, hatte für mich etwas unbeschreiblich angenehmes. Meine Adern schwellten an von ungewohnter Kraft, ich stürmte über Trümmer, Hügel, Felsen, Gebürge hin und stand nach einigen Stunden ohne zu wissen wie, am Ausgange des Waldes, der gerade auf das Landhaus meiner Mutter zuführte.

Sie empfing mich mit ernsten, forschenden Blicken, ich mußte ihr alles erzählen, sie hieß mich einige Stunden ausruhen, und nachher ihre Befehle erwarten. Ich gehorchte, legte mich auf mein Ruhebett und versuchte zu schlafen. Umsonst – noch immer umschwebte mich die liebenswürdige Gruppe des romantischen Doms und ich [408] war eben in sonderbare Träume versunken, als meine Mutter mir mit einer Donnerstimme zurief: „Stehe auf und folge mir!“ –

Ich ging ihr nach, am ganzen Leibe zitternd, durchwühlt von schreklichen Ahndungen. Wir hatten einen großen, dunkeln Garten hinter unserm Hause, und in diesem lag die etwas verfallene Oeffnung eines unterirdischen Gewölbes, welches mein armer Bruder gewöhnlich den Todtenkeller nannte, und wovor er sich erstaunend fürchtete.

Campobello.

Wie, Signora, Sie hätten einen Bruder?

Bianca.

Ach, ich hatte ihn, er ist dahin, wehe dem der mir ihn raubte!

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als alle ein Getöse hörten, wie wenn man an die Fenster eines Nebenzimmers Leitern anlegte. Weil aber Campobello und Fioretta an diese Sonderbarkeiten schon gewöhnt waren, so faßte sich auch die erschrockene Bianca bald wieder, und fuhr fort in ihrer Geschichte.

[409] Bianca.

Stellen Sie sich mein Entsetzen vor, als ich meine Mutter vor dem Todtenkeller still stehen sah, als auf ihren gellenden Ruf eine verdekte Pforte sich öfnete, als sie mich die Stufen hinabriß, und die Flügel der Pforte über mir donnernd zusammenschlugen! Ewiger Gott, ich ward kalt wie Eis vor Schauer und Schrecken und doch war alles dieses noch nichts gegen dasjenige, was ich bald nachher sah und hörte. Eine ungeheure schwarze Hand, wem sie gehörte, konnte ich nicht erkennen, rauschte immer vor uns her, ich wankte sinnlos meiner Mutter nach, aber das blaue Flämmchen welches die schwarze Hand trug, leuchtete so gräßlich, daß ich meine Augen schliessen mußte. Der lange, unterirrdische Gang endete sich an einer ungeheuren, ehernen Pforte, meine Mutter stand still, ich wagte es aufzublicken, alles um mich her war schrecklich und schauervoll. Dumpf erscholl das Klopfen der schwarzen Hand und plözlich flog die Pforte mit einem so betäubenden Gerassel auf, daß ich ohnmächtig zur Erde niederstürzte. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem großen Gewölbe, wo in jeder Ecke eine Pechfackel brannte und in dessen Mitte ein Haufen schwarzer Gestalten hokte, die sobald ich mich regte, mit Ungestüm und Geheul über [410] mich herfiel, mich bey den Haaren ergriff und einen so unmenschlichen Fluch über mich aussprach, daß mir noch itzt davon Mark und Gebeine zittern. Meine Mutter – – –

Indem schlug die Stunde der Mitternacht, es rasselten die Ketten des Uhrwerks im Schloßthurme, die Glocke schien zu heulen weil, ein plözlicher Windstoß den Schall brach, und noch brummte sie vom letzten Schlage, als ein schmetternder Schuß am Eingange des Waldes fiel. Bianca fuhr schreckvoll zusammen, Fioretta schrie: Gott! Francesco! Der alte Graf sprang nach der Thüre, die Glocken brummten in den Thürmen, niemand war oben; die Kanonen donnerten; niemand hatte sie angerührt, die Dienerschaft stürmte durch einander, das ganze Schloß gerieth in Aufruhr.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schnösten
  2. Vorlage: Enmpfindungen