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Die Moderatoren

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Die Moderatoren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23–28, S. 353–356, 369–372, 385–388, 401–404, 429–431, 438–441
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[353]
Die Moderatoren.
Erzählung aus Texas.
Von Fr. Gerstäcker.
1. Die Farm in Texas.

In den Jahren 1841 und 1842 war es, daß sich die westlichen Ansiedler der Vereinigten Staaten von Nordamerika genöthigt sahen, gegen das überhand nehmende Gesindel der Pferdediebe und Buschklepper selber energisch aufzutreten, denn die Gesetze konnten oder wollten sie nicht mehr schützen. Ein Verbrechen nach dem anderen wurde verübt, ohne daß man der Verbrecher habhaft werden konnte, und geschah das wirklich einmal, so erhielten diese fast stets durch bestechliche Advocaten und falsche Zeugen ihre Freiheit wieder und trieben ihr Unwesen dann ärger als je.

Damals bildeten sich, endlich zum Aeußersten getrieben, besonders in Missouri und Arkansas, Vereine von Männern, die sich Regulatoren nannten und ihre furchtbaren Gerichte im freien Walde hielten. Jetzt half dem Gesindel kein erkaufter Advocat, kein heimlicher Genosse mehr; man dachte gar nicht daran, sie den machtlosen Gerichten des Staates zu überliefern. War einer der Burschen ertappt, so fand er sich plötzlich den furchtbaren Rächern gegenüber und er wurde, wenn überführt, je nach Frevel, den er verübt – entweder ausgepeitscht und aus dem Staat gewiesen, oder auch noch viel häufiger am nächsten Baume aufgehangen.

Das half. Das Gesindel fand bald, daß gerade der Staat, in dem es ich sonst am Freisten und Ungestörtesten bewegt, Arkansas zu heiß für sie wurde. Schon der Name Regulator schreckte sie aus der sicheren Ruhe auf, und was sich irgend retten konnte, floh nach dem benachbarten Texas hinüber, das, noch wilder als Arkansas, ihnen vorläufige Sicherheit und ein offenes Feld für ihr rechtloses Leben bot.

[354] Schon in damaliger Zeit betrachteten aber die Amerikaner Texas als ihr Eigenthum, wenn es auch erst dem späteren Kriege mit Mexiko, im Jahr 1846, vorbehalten blieb, das weite reiche Land für immer der spanischen Race zu entreißen und der Union als Staat einzuverleiben. Viele Amerikaner hatten sich deshalb schon dort angesiedelt, und im Inneren entstanden Farmen und Colonien und wurden Plantagen und Städte angelegt. Trotzdem war das eigentliche Texas noch ein entsetzlich wildes Land. Zahlreiche Indianerhorden lebten im Innern von Jagd und Fischfang, und es gehörte wirklich der zähe, ausdauernde Charakter amerikanischer Backwoodsmen oder Hinterwäldler dazu, um mit Frau und Kind in eine solche Wildniß zu ziehen und sich dort häuslich niederzulassen.

Wilde Nachbarschaft fanden sie da jedenfalls genug, und zu den Indianern und Squattern gesellten sich dann noch, besonders in jenen Jahren, die aus den Staaten ausgestoßenen Individuen: flüchtige Pferdediebe und Straßenräuber, bankerotte Kaufleute, entflohene Sclaven, Deserteure und Cassendiebe, kurz Alle, die im Osten ein Verbrechen verübt und Entdeckung fürchteten, oder sich sonst lästigen Verbindlichkeiten entziehen wollten. Brauchten sie ja doch auch nur den Red River zu kreuzen und in diese weiten Wälder einzutauchen, um vor einer Verfolgung, die aber auch nur in den seltensten Fällen versucht wurde, vollständig sicher zu sein.

„Er ist nach Texas gegangen,“ lautete denn auch in damaliger Zeit die allgemeine Redensart für solche, die plötzlich von dem Schauplatz eben nicht ruhmvoller Thaten verschwanden, und „go Texas!“ war gleichbedeutend mit „geh zum Teufel!“

Und trotzdem bildete sich schon damals in dem weiten herrlichen Land der Kern einer tüchtigen Bevölkerung, der anwuchs und sich mehrte, bis er im Stande war seine Unabhängigkeit zu erklären und offen die Waffen gegen das faule mexicanische Regiment zu ergreifen. Freilich mußte es erst einen Gährungsproceß durchmachen, welcher es von vielen Schlacken läuterte, und der verlangte Blut – viel Blut. Aber die Backwoodsmen waren auch die Leute dazu, ihn rasch und kräftig durchzuführen.

Es ist das in der That eine ganz eigene Menschenrace, und wenn sie sich schon, ebenso wie ihre östlichen Brüder, Amerikaner nennen, so sind wahrlich Engländer und Franzosen nicht aus verschiedenartigeren Stoffen zusammengesetzt, als die eigentlichen Yankees und ihre Pioniere, die Backwoodsmen des Westens. Solche Männer, wie diese, gehörten aber auch dazu, um in den wilden Urwald vorzudringen und von feindlichen Indianerhorden umgeben, von den Thieren des Waldes lebend, mitten in die trostlose Wildniß hinein ihre Hütte zu bauen und eine Heimath zu gründen. Da war Daniel Boone, der zuerst nach Kentucky vordrang, wo er die Bären hetzte und zugleich selber von den Rothhäuten gehetzt wurde, aber dennoch nicht nachließ, bis er festen Fuß gefaßt, so daß man recht gut sagen kann, er allein, als einzelner Mann, eroberte ein weites herrliches Land. Da war Davy Crockett, das Urbild aller Jäger und Squatter, mit ihren guten und bösen Eigenschaften, den zuletzt in demselben Texas sein Geschick ereilte – da waren tausend Andere, die vereinzelt in die Wildniß zogen und Stand hielten, bis ihnen Freunde folgten und eine Colonie bildeten, dann aber nicht etwa der sicheren Nachbarschaft froh wurden, sondern sie weit eher lästig und unbequem fanden und die Axt wieder in den Gürtel schoben, die wollene Decke auf den Rücken warfen, die Büchse schulterten, und auf’s Neue in den wilden Wald hinein zogen.

An Gefahren dachten diese Leute nicht. Der Backwoodsman war darin aufgewachsen. Wilde Thiere fürchtete er nicht, die hatten ihn zu fürchten, und die Indianer? – er war mehr Indianer als sie selber, denn mit dem nämlichen Scharfsinn begabt, einer Spur zu folgen oder einem Hinterhalt zu entgehen, besaß er eine weit größere Kraft und Ausdauer und bessere Waffen.

Ein solches Volk, abgehärtet bis zum Aeußersten, kein Bedürfniß kennend, das sich der Mann nicht mit Büchse oder Axt verschaffen konnte, war es, welches zuerst Texas besiedelte, oder seine einzelnen Pioniere zwischen die indianischen Horden oder zerstreuten mexicanischen Ranchos vorschob. Daß es seine eigenen Gesetze mitbrachte, versteht sich von selbst, und weiteren Schutz beanspruchte es nicht als den, welchen ihm die eigenen Waffen gewährten.

Die Einwanderung nach Texas fand aber damals von zwei verschiedenen Seiten statt, und zwar einmal zur See von New-Orleans aus nach Houston, der Hauptstadt des Landes, wohin sich meist Kaufleute und Pflanzer zogen und dort auch schon einen Grad von Civilisation einführten, und dann direct aus Arkansas hinüber in die Wildniß des nordöstlichen Theils, der durch das sogenannte „rothe Land“ oder die Red-River-Sümpfe von den Vereinigten Staaten selber geschieden wurde.

Diesen Weg nahmen besonders die Jäger und Squatter, die zu einem Umzug mit ihren Familien selbst nichts weiter brauchten als ein paar Pferde oder einen kleinen einspännigen Planwagen. Sie kreuzten den Red River entweder schwimmend oder in Canoes und ließen sich dann hauptsächlich an dem kleinen Sabine-Fluß oder am Trinidad nieder, oder zogen auch wohl noch weiter in das Innere hinein, um sich ihre Blockhütte am Rand einer kleinen Prairie oder in eine fruchtbare Niederung hinein zu bauen. Aber niemals siedelten sich zwei oder gar mehrere dicht neben einander an, um ein Dorf oder eine Colonie zu gründen, das verträgt der amerikanische Squatter nicht; er muß Raum haben, nicht etwa um sich auszubreiten, denn das kleine Feld, das er bestellt, verlangt nicht viel, nein, um, wenn er aus dem Haus tritt, nicht gleich die Umzäunung oder Fenz eines Nachbars zu sehen, und mit der Büchse auf der Schulter meilenweit den Wald durchjagen zu können, ehe er wieder in die Nähe menschlicher Wohnungen kommt.

Zwischen den Quellen des Sabine und Trinidad, am Abfall des dem Red River zuneigenden Hügellandes, also ganz an der Nordgrenze von Texas, hatte sich damals ein Amerikaner Namens Jenkins niedergelassen, seit Jahr und Tag, die er hier wohnte, ein bequemes Blockhaus gebaut und etwa vier Acker Land urbar gemacht, das ihm hinreichend Mais und Bohnen für seine Bedürfnisse lieferte. Mitten im Wald wohnte er mit seiner Frau und zwei Negern, die er aus den Staaten herüber gebracht, einem Burschen von etwa fünfzehn und einem jungen Mulattenmädchen von achtzehn Jahren, und so wenig Verkehr er auch mit den theils drei und vier, theils mehr englische Meilen entfernten Nachbarn hielt, galt er doch bei Allen, mit denen er je in Berührung gekommen, als ein braver und rechtlicher Mann, und sie freuten sich, wenn er sich einmal – was aber nur äußerst selten geschah – bei ihnen blicken ließ.

Jenkins, ein Mann schon in den Sechzigen, aber noch immer rüstig und nie sich wohler fühlend, als wenn er den ganzen Tag draußen im Wald mit seinen Hunden herumgehetzt war, wo ihn die Jagd gar häufig soweit abführte, daß er auslagern mußte und erst am nächsten Morgen zurück kam, war auch wieder auf einer solchen Tour gewesen und kehrte jetzt gerade nach Haus zurück. Die Sonne stand schon hoch im Mittag, und die Frau rückte, als sie das fröhliche Geheul der Rüden hörte, rasch den Kaffeetopf und Speck zum Feuer, um eine Mahlzeit herzurichten, denn ihr „Alter“ zeigte bei solchen Gelegenheiten immer einen tüchtigen Appetit.

So lustig er aber sonst gewöhnlich gegen das Haus angaloppirt kam und seinen Jagdruf von Weitem ausstieß, daß sie ihn daheim schon hören konnten, wenn sein alter brauner Pony noch lange nicht in Sicht war, so langsam und verdrießlich ritt er heute seine Fenz an, warf ein paar Hirschkeulen, die er in die eigene Decke gerollt auf dem Sattelknopf hängen hatte, ab und dem gegen ihn anspringenden Negerknaben Sip zu, legte selber Sattel und Zügel über die Fenz, daß sein Thier frei weiden konnte, und schritt dann finster und mürrisch dem Hause zu, wo seine Frau schon kopfschüttelnd seiner harrte.

„Na, Alter!“ sagte sie herzlich, als er die Schwelle endlich betrat, ihr nur zunickte und dann seine Büchse auf die Pflöcke über der Thür legte, „ist das der ganze Gruß, den Du mir heute mitbringst? Die Nacht über ausgeblieben und dann nicht einmal soviel wie ein God bless you, wenn er in’s Haus kommt?“

„Sei mir nicht bös, Mutter,“ sagte der alte Mann und reichte ihr die Hand, „Du hast Recht, Du solltest es eigentlich nicht entgelten, aber eine verfluchte Geschichte bleibt’s doch.“

„Hast du einen Bären gefehlt?“ lächelte die Frau. „Du siehst mir genau so aus.“

„Bin gar nicht jagen gewesen,“ brummte der Alte, „und habe den Hirsch nur auf dem Heimritt geschossen, weil er mir gar so bequem im Weg stand und die Hunde hungrig waren. Nein, nach dem Rappen hab’ ich gesucht, und hol mich der Teufel, er ist aus der ganzen ‚Range‘ wie rein verschwunden.“

„Der Rappe?“

[355] „Fort, als ob er durch die Luft geflogen wäre.“

„Du wirst ihn irgendwo verfehlt haben,“ beruhigte ihn die Frau.

„Verfehlt? Die Glocke hör’ ich eine halbe Meile weit.“

„Aber wenn die Thiere satt sind, stehen sie und rühren sich nicht; Du bist vielleicht dicht an ihm vorbeigeritten.“

„Aber die Spuren müßt’ ich denn doch gefunden haben,“ rief der Mann, „und hab’ sie auch anfangs getroffen,“ setzte er störrisch hinzu, „und bis zum Bearcreek hinüber bin ich nachgeritten. Dort ist er zum Wasser hinuntergegangen, wahrscheinlich um zu saufen, und hinein, aber an der anderen Seite nicht wieder hinaus, und auf und ab hab’ ich an dem verwünschten Bach gesucht, bis es stockfinster wurde und ich die Nacht dort lagern mußte.“

„Vielleicht kommt er selber wieder zum Haus,“ meinte die Frau.

„Ich will Dir Etwas sagen, Alte,“ knurrte Jenkins, „Du weißt wie lange unsere Nachbarn schon geklagt haben, daß ihnen Pferde und Vieh gestohlen würden, und wie sie auf Den und Jenen in der Ansiedlung Verdacht geworfen. Ich lachte sie immer aus, denn meinen Thieren geschah Nichts, und wo und wenn ich sie suchte, sie waren immer da.“

„Also wird jetzt auch Nichts gestohlen sein.“

„Jetzt ist’s anders!“ rief der Mann heftig, „und bei mir fangen sie nun auch an. Ich wollte Dir Nichts sagen, denn ich glaubte immer noch, sie fänden sich wieder, allein seit drei Tagen fehlt der junge rothe Stier, und heute hab’ ich auch das Jungvieh mit den beiden Sternen nicht mehr bei der Kuh gesehen.“

„Was? Die Jinny?“ rief die Frau erschreckt und der Alte nickte.

„Außerdem,“ fuhr er fort, „find’ ich eine Menge fremder Pferdespuren hier im Wald herum, die ich alle nicht kenne, und kann nie die Thiere entdecken, die sie eingedrückt. Möglich, daß sie von Nachbarn herrühren, oder daß gar ein paar indianische Schufte in der Nachbarschaft herumstöbern, ist das aber der Fall, oder haben wir es gar mit blutigen weißen Pferdedieben zu thun, dann straf mich Gott, wenn es ihnen nicht besser wäre, sie hätten die Gegend hier nie gesehen; denn komme ich ihnen auf die Fährten, lass’ ich auch Gottes Sonne durch ihre Hirnschalen scheinen – oder ich will nicht Jenkins heißen!“

Die Frau hatte das Essen auf den Tisch gesetzt, aber sie war recht still und nachdenkend geworden, denn wenn sich wirklich solch Gesindel hier in der Gegend zeigte, so lebten sie da auf einem Platz, auf dem sie nicht die geringste Hülfe von einem Nachbar erwarten durften; und daß ihr Alter sich daran nicht kehrte, und keine leeren Drohungen ausstieß, wenn er wirklich einmal einem von ihnen begegnet wäre, wußte sie gut genug.

Noch war sie mit der Zurichtung des Tisches beschäftigt, während Jenkins am Kamin saß und sich aus roher Haut eine Schnur für sein Pulverhorn schnitt, da seine alte defect geworden, als die Hunde draußen anschlugen, und zu gleicher Zeit ein lautes „Holla!“ anrufender Fremder hereinschallte.

„Na!“ sagte Jenkins erstaunt aufsehend, denn das Erscheinen eines Menschen in dieser öden Gegend war stets etwas Seltenes. „Besuch? wo kommt der her?“ Er war zur Thür getreten und sah hinaus. Zwei Reiter hielten draußen an der Fenz und der eine rief: „Mr. Jenkins zu Hause?“

„Denke so,“ sagte der Alte, „steigen Sie ab, Fremde, kommen Sie herein; ruhig, Ihr Hunde, könnt Ihr nicht die Mäuler halten, verdammte Bestien?“

Die beiden Wanderer folgten der Einladung und Jenkins’ Blick haftete indessen ziemlich erstaunt auf dem einen derselben, der in der That auch gar nicht so aussah, als ob er in diesen Theil der Welt gehöre. Sein Begleiter dagegen trug ein altes ledernes Jagdhemd, Leggins und Moccasins, seine Büchse und Decke, und damit hätte er recht gut eine Reise von den canadischen Seen herunter bis an die Wasser des Golfs machen können, aber einen Mann im schwarzen Frack und mit einem Seidenhut auf dem Kopfe, ohne Büchse und ohne Decke hier anzutreffen, war allerdings etwas Außergewöhnliches. Der Mensch sah aus wie ein Advocat, und was wollte der hier mitten im wilden Wald, in Texas? Dahin hatte sich bis jetzt doch wohl noch keiner dieser Landhaifische verloren, ihm wenigstens war noch keiner zu Gesicht gekommen. Die Gastlichkeit seines Volkes gestattete ihm indeß nicht, eine Frage an die beiden Fremden zu richten, bis sie nicht wenigstens ausgeruht und sich mit Speise und Trank erquickt hatten. Ohne sich deshalb weiter um sie zu kümmern, schritt er zur Fenz, auf der noch immer die mitgebrachten Hirschkeulen hingen, wickelte sie auf, schnitt ein tüchtiges Stück Wildpret herunter und trug es in’s Haus, wo Nelly, das Negermädchen, rasch daranging, es in Scheiben zu theilen und in der Pfanne zu braten. Die Frau ordnete indessen den Tisch, das heißt sie setzte noch zwei Teller mehr auf, denn Gabeln brauchte man nicht und sein Messer führte ein Jeder bei sich, und kaum zehn Minuten später war die Mahlzeit schon so weit fertig, daß man Platz nehmen konnte.

„Nun Fremde,“ sagte der Alte endlich, als sie eine Weile tüchtig zugelangt, denn Beide schienen vom Ritt hungrig, „von wo kommt Ihr denn eigentlich in diese Range und wo wollt Ihr hin?“

„Aus den Staaten, Sir,“ sagte der Mann im Frack, und sein Blick haftete dabei auf Nelly, dem Negermädchen, das jetzt wieder hereingekommen war, um das gebrauchte Geschirr abzunehmen und gleich aufzuwaschen: „und möglich,“ fuhr er fort, „daß wir von hier aus gleich wieder zurückreiten.“

„Gleich zurück? so gefällt Euch das Land nicht? wild genug ist’s freilich,“ lachte der Alte, „und wie Ihr mit dem Hut durch all die Büsche gekommen seid, weiß ich nicht einmal recht. Bequem sind die Dinger nicht.“

„Hallo, Betsy,“ sagte aber der Fremde, der keinen Blick von dem Negermädchen verwandt hatte, ohne die letzte Bemerkung zu beantworten, „wie geht’s, Schatz?“

Nelly sah ihn erstaunt an, erwiderte aber nur kopfschüttelnd: „Dank Euch, gut – heiße aber nicht Betsy – Nelly heiß ich,“ und damit griff sie ihre Teller auf und ging damit hinaus.

„Ist sie das?“ frug jetzt der Begleiter des Mannes im Frack, ein Hinterwäldler seiner Kleidung nach, aber mit einem Gesicht, das dem alten Jenkins fast bekannt vorkam, das ihm jedoch trotzdem nicht besonders gefiel, denn das graue, rastlose Auge des Fremden hielt seinen eigenen Blick nicht einen Moment aus und schweifte bald da bald dort unruhig hinüber.

Der im Frack nickte leise vor sich hin und sagte dann: „Allerdings, und unser langer und mühsamer Ritt ist doch nicht umsonst gewesen.“

Jenkins, der aufmerksam die Beiden gemustert hatte, begriff nicht recht, was sie mit den Worten meinten, und frug: „Kennen Sie das Mädchen?“

„Ich sollte denken, Sir,“ erwiderte der im Frack, „sie gehört meinem Bruder in Little-Rock, dem sie vor zwei Jahren gestohlen wurde. Erst vor einigen Wochen bekamen wir aber die richtige Spur, und es thut mir leid mit einer so unangenehmen Sache betraut zu sein; läßt sich jedoch nicht ändern, Sir, das Mädchen ist gestohlnes Eigenthum, und ich werde Sie ersuchen müssen, sie an mich als den Bevollmächtigten meines Bruders auszuliefern.“

„Na, das nehme mir aber kein Mensch übel,“ wollte Mrs. Jenkins hier dazwischen fahren, Jenkins aber hob abwehrend die Hand und sagte ruhig lächelnd: „Es stimmt also Alles, nur schade, daß das Mädchen nicht Betsy, sondern Nelly heißt, auch nicht aus Little-Rock, sondern aus Memphis ist und von daher nicht erst seit zwei Jahren kommt, sondern schon vor vier Jahren von einem meiner Nachbarn am Arkansas in Memphis selber gekauft und mit hier herübergebracht wurde. Sie sehen also, Gentlemen, daß Sie sich irren und Ihren Ritt wohl dennoch umsonst gemacht haben, wenn Sie wirklich nur einer weggelaufenen Negerdirne wegen zu mir nach Texas gekommen sind.“

„Mein lieber Herr,“ sagte der Mann im Frack mit der vollkommensten Ruhe, „es thut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen. Ihr Nachbar vom Arkansas aber hat Ihnen etwas weis gemacht, wenn er behauptete, dies Mädchen von Tennessee herübergebracht zu haben.“

„So?“ sagte Jenkins trocken.

„Um Ihnen aber zu beweisen,“ fuhr der im Frack fort, „daß ich nicht ohne die nöthige Autorität komme, so seien Sie so gut diese Papiere durchzusehen,“ er nahm dabei ein kleines, zusammengefaltetes Packet aus der Rocktasche, die er vor Jenkins ausbreitete, „dies hier, mein werther Herr, ist der Kaufcontract des Mädchens, von einem Yankee-Händler ausgestellt, der sie als Kind im Jahr 1836 mit von New-Orleans brachte. Damals kaufte sie der Friedensrichter in Randolph, Mr. Riley, der sie dann wieder vor vier Jahren an meinen Bruder, Mr. Saunders in [356] Little-Rock, abließ. Vor etwa zwei Jahren, wo er genöthigt wurde sie eines Vergehens wegen zu züchtigen, lief sie ihm davon, und vergebens setzte er damals hundert Dollars Belohnung für ihre Wiedereinlieferung aus; sie war und blieb verschwunden, bis vor etwa sechs Wochen ein Freund von uns, der Texas besucht hatte, um sich hier einen Platz zur Ansiedlung auszusuchen, auch zufälliger Weise, und zwar gerade in Ihrer Abwesenheit, Mr. Jenkins, hier bei Ihnen einkehrte, die Dirne sah und augenblicklich wieder erkannte.“

„In der That?“ sagte Jenkins, „bitte Alte, gieb dem Herrn einmal einen Schluck Kaffee. Er muß vom vielen Reden ordentlich trocken werden.“

„Wollen Sie nicht die Papiere ansehen?“

„Was helfen mir die Wische?“ sagte Jenkins verächtlich, indem er die Schriftstücke in der Hand, wie einen Haufen trockener Blätter, aufgriff, flüchtig ringsum betrachtete und dann wieder zurück auf den Tisch warf. „Meine Alte da – denn ich selber kann nicht schreiben, und hab’s nie gekonnt – fabricirt Ihnen in einem halben Tag ein Dutzend solcher Dinger, und wer soll denn hier in Texas untersuchen können, ob die Namen richtig sind?“

„Dann müssen Sie uns schon auf unsere ehrlichen Gesichter glauben,“ sagte der Begleiter des „Stadtmenschen“, wie eigentlich Jeder genannt wurde, der einen Tuchrock trug.

„Ehrlichen Gesichter, Mann?“ rief Jenkins halb lachend, indem er von einem der beiden Fremden zum andern übersah. „Gott segne Ihre Seele, Squire, da Sie’s doch einmal gerade erwähnen, so dürfen Sie mir glauben, daß Sie auf die beiden Gesichter in ganz Texas keine fünf Dollars geborgt bekämen. Aber lassen wir den Unsinn,“ brach er kurz ab, „Ihr Bruder, Mr. – wie war doch gleich Ihr Name?“

„Saunders.“

„Ah ja, Mr. Saunders, mag also wohl eine Negerin verloren haben, das will ich Ihnen gern glauben, und sie kann auch vielleicht in Texas stecken – sollte mich wundern, wenn sie’s nicht thäte – aber meine Nelly ist’s nicht, darüber seien Sie beruhigt, und was Ihre Papierschnitzeln betrifft, so sind die hier in Texas noch nicht einmal so viel werth, wie eben so große baumwollene Lappen, denn mit denen kann man doch wenigstens eine Büchse auswischen.“

„Mr. Jenkins,“ sagte der Mann im Frack ziemlich ernsthaft, „ich hoffe nicht, schon Ihres eigenen Selbst wegen, daß Sie sich den gerechten Anforderungen eines an seinem Vermögen geschädigten Mannes widersetzen wollen, denn die Jurisdiction der Vereinigten Staaten –“

„Reden Sie keinen Unsinn, Mann,“ sagte Jenkins, „wir sind hier in Texas, aber selbst in den Staaten und drüben in Arkansas, will ich verdammt sein, wenn Sie mir mein Eigenthum so unter der Nase weg, blos auf Vorzeigen von irgend einem bekritzelten Wisch, fort holen sollten.“

„Und verlangen Sie wirklich, daß wir die ganze Reise umsonst gemacht haben sollen?“ rief der im Frack.

„Gott segne meine Seele, Mann,“ lachte Jenkins, „hab’ ich Euch denn eingeladen zu kommen? Aber für verdammt grün müßt Ihr mich halten, oder irgend Einen von uns hier, wenn Ihr glauben konntet, Jemand würde sein wohlerworbenes Eigenthum so mir Nichts Dir Nichts an ein paar Fremde ausliefern, die ihm da irgend eine Geschichte vorerzählen.“

„Sie zwingen uns dann unser Recht auf andere Art zu suchen.“

„Ganz wie’s Ihnen beliebt, Sir,“ lachte der Squatter, „versuchen Sie’s, ob Ihre Advocaten hier bei uns Etwas ausrichten werden. Ich gebe Ihnen aber mein Wort, es wäre für die Herren ein sehr undankbares Geschäft.“

„Und welches Gesetz erkennen sie hier an?“

„Das Recht der Selbsthülfe – kein anderes,“ sagte Jenkins ruhig, „aber da ist das Mädel selber – He, Nelly, komm einmal her. Wie hieß der Herr, von dem ich Dich kaufte?“

„Mr. Houston, Sir,“ sagte das junge Negermädchen, dessen große glänzende Augen indessen bei der Frage unruhig von einem zum anderen der beiden Fremden flogen. Waren diese vielleicht hierher gekommen, ihrem Herrn einen Preis für sie zu bieten? Ihr Herz schauderte, wenn sie an die Möglichkeit dachte.

„Und wo warst Du früher?“ fuhr Jenkins fort.

„Ich bin in Kentucky geboren, Sir, und als mein Herr starb, nach Memphis in Tennessee verkauft worden.“

„So? Und warst Du je in Little-Rock?“

„Nein, Sir – kenne den Platz nicht.“

„Ahem – na, Du kannst gehen, Nelly.“

„Aber Sie wissen doch, Mr. Jenkins,“ sagte der Fremde, ohne von dem Negermädchen selber die geringste Notiz zu nehmen, „daß Neger und Alles, was von Negern abstammt, vor Gericht nicht die geringste Stimme in einer Zeugenaussage haben.“

„Bitte, Mr. Saunders,“ sagte der Alte, „wir sind hier nicht vor Gericht, und ich habe das Mädel nur gefragt, um mich selber zu beruhigen. Wünschen Sie sonst noch Etwas?“

„Sie verweigern also die gutwillige Herausgabe der entflohenen Sclavin?“ frug der in dem ledernen Jagdhemd.

„Entflohene Sclavin?“ rief Nelly, die das nicht anders als auf sich beziehen konnte, „bin ich denn entflohen?“

„Ruhig, Nelly,“ sagte der Alte, „laß mich die Sache mit den beiden Herren nur abmachen. Sie haben’s nicht mit Dir, sondern mit mir zu thun, und einen zäheren Kunden wohl noch kaum unter den Fingern gehabt. Also, Gentlemen, wenn Sie mich denn so direct fragen, ich verweigere allerdings die Herausgabe meines Eigenthums an ein paar – Buschläufer, die mir da irgend eine alberne Geschichte erzählen, und noch eins, Wollen Sie hier als meine Gäste über Nacht bleiben – denn das nächste Haus liegt ein bischen unbequem an der Sabine – gut, so sollen Sie mir von Herzen willkommen sein. Der alte Jenkins weist keinen Fremden von seiner Thür; fangen Sie aber noch einmal von der Geschichte mit der Negerin an, oder finde ich, daß Sie sich nach Sonnenaufgang noch hier in meiner Nachbarschaft herumdrücken, dann – aber ich brauche Ihnen Nichts weiter zu sagen,“ brach er kurz ab, „denn soviel wissen Sie, daß der Wald hierherum mit zu meinem Haus gehört, und daß ich mein Hausrecht zu gebrauchen weiß, das können Sie sich etwa denken.“

„Unter diesen Umständen,“ sagte der im Frack ausstehend zu seinem Begleiter, „glaube ich, daß es das Beste ist, wir halten uns hier nicht länger auf, Mr. Netley. Wir versäumen nur Zeit.“

„Wie Sie wollen, Gentlemen,“ nickte Jenkins, „bei dem Wetter campirt sich’s auch vortrefflich im Wald. Uebrigens hängt draußen Wildpret, und Sie können sich noch ein Stück mit auf den Weg nehmen.“

„Danke Ihnen, Sir – wir führen selber Provisionen in unseren Satteltaschen“ – und nach kurzem, kaltem Gruß von beiden Seiten stiegen die beiden Fremden wieder in den Sattel und trabten bald darauf in einer südöstlichen Richtung, in welcher allerdings das Haus am Sabinefluß lag, in den Wald.

[369]
2. In Brownsville.

Der alte Jenkins blieb, als die beiden Fremden fortritten, kopfschüttelnd in der Thür stehn und sah ihnen nach, denn eine so bodenlose Frechheit war ihm doch in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Zwei wildfremde Menschen treten da in sein eigenes Haus und verlangen von ihm, mitten im texanischen Walde, er solle auf einen Papierwisch hin ihnen, mir Nichts dir Nichts, sein wohlerworbenes Eigenthum ausliefern. – Er würde es auch nicht für möglich gehalten haben, wenn er es nicht selber erlebt hätte, und eine Zeitlang lief er, die Hände auf den Rücken gelegt, in seinem Hause auf und ab. Endlich rief er Nelly.

Das junge Mädchen kam und blieb in der Thür stehn.

„Master?“

„Kanntest Du Einen der beiden Halunken, die eben hier waren?“

„Nein, Master,“ sagte die Negerin, „nur den Einen habe ich vor acht oder vierzehn Tagen einmal gesehen.“

„Wo?“ frug der Alte rasch.

„Draußen am Feld – ich pflückte Bohnen und er ritt an der Fenz vorbei. Als er mich sah, hielt er an und frug, wer hier wohne.“

„Welcher war das?“

„Der mit der Büchse.“

„So? – hm – der im Frack nannte ihn Mr. Netley – also vor acht Tagen schon?“

„Es kann auch etwas länger her sein.“

„Und in Little Rock bist Du nie gewesen?“

„Nie, Master; habe den Ort in meinem Leben nicht gesehn.“

„Kennst auch einen Mr. Saunders nicht?“

„Nein, Master,“ sagte das Mädchen und sah treuherzig zu seinem Herrn auf.

„Es ist gut, Nelly,“ nickte dieser, nach kurzer Pause, und griff dabei seinen alten Filzhut auf und holte die Büchse von der Thür herunter. Seine Frau sah ihn erstaunt an.

„Willst Du schon wieder fort, John?“ frug sie fast erschreckt. „Du bist doch kaum erst nach Haus gekommen.“

„Ja, Schatz,“ sagte der alte Mann, „ich muß mit Reed sprechen – die Geschichte geht mir im Kopf herum. Neulich, als ich drüben in der Ansiedlung war, hörte ich schon von allerlei faulen Dingen, die jetzt im Wald vorgingen, achtete aber nicht darauf, denn ich hielt’s für übertrieben. Jetzt kommt mir die Sache selber bedenklich vor, und ich möchte doch einmal nähere Erkundigungen einziehen.“

„Und mich willst Du indessen hier allein lassen?“

„Wär’ wohl das erste Mal, Schatz,“ lächelte der Alte, „aber sei unbesorgt. Gerade jetzt reit’ ich fort, damit ich die nächsten Tage bei Dir bleiben kann, denn heute und morgen kommen die beiden Burschen, wenn wir sie überhaupt je wieder zu sehn kriegen, sicher nicht zurück. Uebrigens hast Du ja Dein eigenes Gewehr, und sollte wirklich in der Zeit Jemand eintreffen, der Dir nicht recht ist, dann bist Du und Sip Manns genug, um ihnen die Wege zu weisen. Ich bleib’ auch nicht lange, sei ohne Furcht, wir haben jetzt mondhelle Nächte, und wenn ich quer durch den Wald schneide und den Bluff hinuntersteige, ist’s bis zu Reeds hinüber kaum mehr als fünf Miles, in anderthalb Stunden bin ich drüben.“

Sip, der Neger, legte indessen den Sattel auf, und der alte Mann nickte der Frau noch einmal zu und ritt dann langsam in den Wald hinein. Statt aber gleich der angegebenen Richtung zu folgen, kam ihm ein anderer Gedanke, als er die Pferdespuren der beiden Fremden sah. Wohin hatten sich diese gewandt? das mußte er vorher wissen, und er folgte ihnen deshalb in einem etwas lebhafteren Trab; die Spuren waren ja deutlich genug dem weichen Boden eingedrückt, um rasch auf ihnen hinreiten zu können.

Die Reiter hatten in der That den Cours nach Südosten eingehalten und endlich den nächsten Bach gekreuzt; sollte er ihnen nach dort hinüber folgen?das hätte ihn weit ab von seiner eigenen Richtung geführt, und es trieb ihn nicht zu lange von zu Haus fortzubleiben. Auf der anderen Seite des schmalen Wassercourses ließen sich noch deutlich die Spuren erkennen, und darüber jetzt vollständig beruhigt, lenkte er selber sein Thier rechts ab und schnitt quer durch den Wald hindurch nach Reeds hinüber. Er kannte jeden Fuß breit Boden hier und konnte die kleine Farm so genau treffen, als ob eine breite Straße dort hinübergeführt hätte.

Es war noch früh am Nachmittag, als er Reed’s Farm erreichte, aber er fand Reed nicht zu Haus, und dessen Frau sagte ihm, „ihr Mann sei nach Brownsville am Sulphurcreek hinübergeritten und würde auch wohl vor morgen Abend nicht zurückkommen. Drüben in Brownsville hätten sie eine Versammlung, aber weshalb, wisse sie nicht.“

Brownsville, eine Stadt, die vorläufig erst aus drei Häusern bestand, lag noch etwa sechs Miles weiter, er konnte es noch [370] recht gut heute Abend vor Sonnenuntergang erreichen. Doch einmal auf dem Wege, besann er sich auch nicht lange, und ohne selbst abzusteigen, nickte er der Frau Reed’s einen herzlichen Gruß zu und verfolgte seinen Weg, bis er endlich gegen Abend auf seinem, jetzt ziemlich müden Pferd, in einen breiten, durch den Wald gehauenen Weg einlenkte, den eine an einen Baum genagelte und beschriebene Schindel als „Mainstreet“ oder Hauptstraße bezeichnete.

Es war die Hauptstraße der künftigen Stadt, von der eben solche Seitenstraßen nach links und rechts abzweigten, aber er konnte ihr nicht einmal folgen, obgleich er von hier aus kaum noch zweihundert Schritt auf den „Marktplatz“ hatte, denn die darin gefällten Bäume lagen noch genau so, wie sie die Axt umgeworfen, wirr und toll durcheinander. Jenkins mußte sich denn auch seine Bahn durch den Wald suchen, um diese „Hauptstraße“ zu passiren, und erreichte endlich den eigentlichen Verkehrstheil der Stadt, eine kleine Gruppe von drei Blockhütten, die hier innerhalb einer Lichtung von fünf oder sechs Ackern Maisfeld zusammen standen.

Das eine von diesen war das Courthouse (Rathhaus), aber auch nur aus unbehauenen Stämmen aufgeführt, wie die übrigen, das andere die „Grocery“, ein kleiner Laden, der die Bedürfnisse für die Nachbarschaft – und die Hauptsache – Whisky enthielt, und das dritte das eigentliche Farmhaus, das die anderen Beiden hervorgerufen: die Wohnung des ersten Ansiedlers hier, der jetzt zu gleicher Zeit, neben der Bestellung seiner Felder, die Aemter eines Postmeisters und Friedensrichters verwaltete.

Der Platz war auch, da er mitten im County lag, von den Ansiedlern zu einem sogenannten county seat ernannt worden, und zu gewissen Zeiten im Jahre versammelten sie sich hier, um ihre Rechtshändel auszugleichen. Diese Zeit war gegenwärtig nicht; Jenkins mußte deshalb erstaunt sein heute eine ungewöhnliche Zahl von Menschen hier zu treffen, denn auf dem offenen Platze zwischen den drei Häusern, von dem man die gefällten Bäume, bis auf ein paar Stumpfe und Stammreste, sorgfältig entfernt hatte, traf er etwa fünfzehn oder sechzehn Ansiedler aus der Nachbarschaft, d. h. einige von zwanzig und mehr Miles Entfernung, die sich lebhaft miteinander unterhielten.

Als sie zuerst den nahenden Reiter ansichtig wurden, verwunderten auch sie sich über den Besuch, aber im Nu hatten sie den alten Jenkins und sein braunes Jagdpony erkannt, und laute, herzliche Zurufe begrüßten ihn.

Aber was führte ihn gerade heute zufällig hierher?

„Jungen,“ sagte da der alte Mann, auf die rasch an ihn gerichteten Fragen, „vor allen Dingen muß mein armes Pony etwas zu fressen haben, denn das ist den ganzen Tag auf den Füßen gewesen, und ich möchte einen Schluck Whiskey, mir ist die Kehle wie ausgebrannt.“

Beiden Anforderungen wurde rasch entsprochen, das Pferd übergab man einem der Neger, und fünf, sechs Arme mit Whiskey-Bechern streckten sich dem lachenden alten Mann zu gleicher Zeit entgegen.

„Und was führt Euch gerade heute hierher, Jenkins?“ rief der Postmeister, „denn zu gelegenerer Zeit hättet Ihr gar nicht eintreffen können. Wir hatten sogar nach Euch geschickt, aber Billins fand Euer Haus nicht und behielt nur eben Zeit hier wieder einzutreffen.“

„Billins fand mein Haus nicht?“ lachte der Alte, „das ist nicht übel, da wundert’s mich nur, daß er sich hier wieder hergefunden hat.“

„Zum Henker auch,“ rief der junge Backwoodsman, „Ihr steckt so im Dickicht drin, wie ein Bär im Winter, und die zahllosen kleinen Bäche sehen einer aus wie der andere. Ich gerieth in den verdammten Schilfbruch, wo die Red-River-Sümpfe beginnen und hörte da drin einen Hund bellen. Nun glaubt’ ich, dort wär’s, kam aber nicht durch, band mein Pferd an, verirrte mich im Schilf und dankte Gott, als ich nur endlich die Stelle wieder fand, wo ich mein Thier gelassen. Nachher war’s zu spät noch weiter nachzusuchen.“

„Da habt ihr Euch viel zu nördlich gehalten,“ lachte der Alte. „Aber darf man erfahren, was Ihr heute vorhabt?“

„Gewiß,“ rief Border, der Postmeister, „denn Euch geht es ebensogut an, wie uns. Ihr wißt doch, daß wir schon seit einiger Zeit gespürt haben, wie irgend Jemand hinter unseren Pferden her sei.“

„Hol sie der Böse,“ rief Jenkins, „meinen Rappen haben sie sich auch geholt.“

„Aha,“ lachte ein Anderer, „und den sucht Ihr wohl gerade hier bei uns?“

„Das nicht, aber –“

„Nun hört nur weiter,“ sagte Border. „Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß wir einen Antheil von jenem aus Arkansas und Missouri verjagten Gesindel auch in unsere Nachbarschaft bekommen haben, und unsere nach allen Richtungen hin zerstreuten Wohnungen und Weideplätze machen ein Zusammenwirken nichtswürdig schwer. Man braucht ja wahrhaftig immer eine Tagereise dazu, um zwei oder drei Nachbarn aufzutreiben, und ehe ein Raub nur bekannt wird, sind die Halunken über alle Berge.“

„Und habt Ihr denn noch auf Niemanden Verdacht gefaßt?“

„Ja hört nur, das ist ja die Geschichte,“ fiel Border ein. „Am Cypressensumpfe, der Bearbayou und oben am Rand des Schilfbruchs haben sich seit einiger Zeit einige Strolche niedergelassen, die Niemand von uns kennt und die auch verwünscht wenig Staat mit ihrer früheren Lebensbeschreibung machen. Dem Einen fehlt sogar ein Ohr; er behauptet freilich, ein Bär habe es ihm einmal auf der Jagd abgerissen, aber ich denke mir beinah, er hat’s irgendwo in einer fatalen Geschichte sitzen lassen, denn die in Arkansas drüben machten sich manchmal den Spaß, einige Gauner, die sie bei Lumpereien erwischten, auf die Art zu zeichnen, um nicht mehr durch ihre Gesellschaft belästigt zu werden.“

„Aber Boyd, dem das Ohr fehlt,“ rief Jenkins, „beklagt sich am bittersten, daß ihm schon zwei seiner besten Pferde gestohlen wären.“

„Ja,“ sagte Border, „aber Pferde, die Keiner von uns je zu Gesicht bekommen, und ob’s wahr ist, wer weiß es? Das ist sicher, diese Gesellen, und ein Paar von ihnen, die am Stierkopf und am Alligatorteich wohnen, machen das meiste Geschrei und neulich – aber kennt Ihr Ashley?“

„Bob Ashley? werde ich Ashley nicht kennen!“ rief Jenkins, „wir waren ja alte Nachbarn in Oiltrove-Grund am Withe-River – ’s ist Einer der ältesten Jagdgefährten, die ich auf der Welt habe.“

„Und er ist ein braver ehrlicher Kerl?“

„Bei Gott, ich möchte den Mann sehen, der in meiner Gegenwart das Gegentheil behauptete!“ rief der Alte heftig.

„Nun gut,“ fuhr Border fort, „und wißt Ihr, was mit Ashley vor ein Paar Tagen geschehen ist? – Die Regulatoren haben ihn gelyncht.“

„Die Regulatoren?“ schrie Jenkins, „was für Regulatoren?“

„Eine Bande von Kerlen, deren Namen wir noch nicht kennen,“ sagte Border, „die Sache war so: Neulich Morgens – aber Billins, erzählt Ihr lieber die Geschichte, Ihr wißt mehr davon.“

„Und haben sie Ashley umgebracht?“ rief Jenkins, und die Hand des Alten faßte krampfhaft seine Büchse.

„Das nicht,“ sagte Billins, „Ihr wißt, ich wohne etwa vier Miles von Ashley entfernt, ich bin der nächste Nachbar, den er hat. Vorgestern Nacht, es war schon elf Uhr vorbei, und wir lagen Alle im Bett, schlagen die Hunde an. Ich springe auf, fasse meine Büchse und laufe hinaus, da ruft eine Kinderstimme: ‚O um Gottes willen, Mr. Billins, halten Sie die Hunde, daß sie mir nichts thun!‘ Ich zwischen die Hunde hinein und jage sie hinter’s Haus, und das kostete Mühe genug, aber brachte sie doch endlich still, dann geh ich an die Fenz, und wer ist’s? Ashley’s kleines Mädchen, Jenny, ein Kind von kaum zwölf Jahren, das in der Nacht den ganzen weiten Weg durch den Wald allein zu Fuß gekommen.

‚Aber um Gottes Willen, Kind!‘ rief ich aus, ‚was bringt Dich mitten in der Nacht hierher. Hast Du Dich verirrt?‘

‚Nein,‘ sagt die Kleine und faßt meine Hand, ‚helfen Sie, Mr. Billins, helfen Sie meinem Vater, schnell, sie haben ihn oben in einen Baum gebunden.‘

‚In einen Baum gebunden, wer?‘ rief ich.

‚Die Regulatoren,‘ sagt die Kleine, ‚o schnell, schnell, sonst muß er da oben sterben, und die Mutter ist vielleicht jetzt schon todt.‘

Mit Mühe kriegt’ ich jetzt aus dem armen Ding heraus, was geschehen war. Eine Bande Schufte war angeritten gekommen, hatten Ashley beschuldigt, ihnen zwei Pferde gestohlen zu haben, sagten, daß sie die Regulatoren wären, die dem Unfug hier ein [371] Ende machen wollten, und als er heftig wurde und sie Lügner und Schufte nannte, nahmen sie einen Strick und wollten ihn aufhängen. Jetzt stürzte die Frau heraus und fiel vor ihnen auf die Kniee, und sie erklärten ihr endlich, mit dem Leben solle er diesmal davon kommen, aber eine Strafe müsse er haben, banden ihn und zogen ihn auf den Ast einer Eiche hinauf, wo sie ihn festmachten und oben liegen ließen. Dann trieben sie die Pferde zusammen und ritten fort. Was sie mitgenommen, wußte das Kind nicht, aber die Mutter wurde ohnmächtig. Niemand war weiter im Haus, der ihrem Vater helfen konnte, sie allein aber nicht im Stand auf den Baum zu klettern, und da lief das Kind dicht vor Sonnenuntergang mitten in den Wald hinein, um bei mir Hülfe für die Ihrigen zu suchen. Natürlich that ich, was sich nur in der Schnelle thun ließ. Das Kind nahm ich in’s Haus, und die Frau gab ihm Brod und Milch nach dem schweren Marsch, und ich weckte indessen Jim Bailey, der gerade bei mir war und mir geholfen hatte meine neue Küche aufzurichten. Die Pferde waren glücklicher Weise bei der Hand und wir selber in kaum einer Viertelstunde marschfertig. Das Kind wollt’ ich nun bei meiner Frau lassen, daß es die Nacht schlafen und sich erholen könne, aber Gott bewahre, es ließ nicht nach, ich mußte es hinten auf’s Pferd nehmen, und was die Thiere laufen konnten, jagten wir hinüber. Aber bei Gott, da lag Ashley noch immer auf dem Eichenast, die Frau war wieder zu sich gekommen und jammerte, als sie die Tochter auch nicht fand, und glaubte, die Schurken hätten sie mit fortgenommen, halb wahnsinnig um Mann und Kind, und die Freude als wir ankamen! Aber ein verdammt schweres Stück Arbeit war’s, den Alten oben von seiner Hühnerstange herunter zu bringen, denn losschneiden durften wir ihn nicht auf einmal, er wäre uns sonst durch die Finger gerutscht und hätte den Hals gebrochen. Endlich ging’s, und wir brachten den armen Teufel wieder auf Gottes Erdboden hinunter. Aber er war ganz wie rasend, und tobte und wüthete und fiel zuletzt in einen tiefen Schlaf, so daß wir ihn bewußtlos auf’s Bett legen mußten. Am nächsten Morgen hatte er denn auch richtig ein hitziges Fieber, phantasirte von Regulatoren und Todtschießen und Gott weiß was Allem, und ein vernünftiges Wort war nicht mehr aus ihm herauszubringen. Da hielten wir uns denn auch nicht lange bei ihm auf. Wir ritten schnell zurück zu meinem Haus, und ich schickte meine Alte hinüber, daß die der Mrs. Ashley beistehen konnte, dann machten wir uns, Jim Bailey und ich, auf, um die Nachbarn zusammenzutrommeln und zu berathen, was geschehen könnte, und da sind wir jetzt und deshalb war ich auch heute Morgen nach Euch unterwegs, Jenkins, denn das dürfen die Schufte nicht ungestraft gethan haben.“

„Und hat Euch Ashley keinen mit Namen genannt?“ frug Jenkins, der der Erzählung mit fast fieberhafter Spannung ohne seine Büchse nur aus der Hand zu stellen, gefolgt war.

„Wir konnten Nichts aus ihm herausbekommen,“ erwiderte Billins, mit dem Kopf schüttelnd. „Von dem stundenlangen Hängen am Baume, mit zusammengeschnürten Armen und in der schmerzhaften Lage war er natürlich so außer sich, daß er lauter tolles Zeug faselte.“

Jenkins war nachdenkend geworden. Sollte der Besuch der beiden Fremden, die heute Morgen bei ihm gewesen, mit diesem neuen Regulatorenbund etwa in Zusammenhang stehen? Er erzählte mit kurzen Worten den Nachbarn sein heutiges Abenteuer. Kaum aber nannte er den Namen Netley dabei, als Border rief:

„Hol den Schuft der Teufel, das ist derselbe Lump, den sie in St. Francisville in Arkansas schon einmal wegen Schweinestehlen – er änderte ihre Zeichen ab – vor Gericht hatten, und damals schwur er’s ab. Wie sie aber später feste Beweise gegen ihn bekamen und ihn noch einmal wegen Meineid beim Ohr nehmen wollten, kniff er aus, ließ seine Frau sitzen und ging nach Texas. Der braucht’s auch noch sich hier wichtig zu machen; hätten wir ihn damals erwischt, war’ er ohne Verlust seiner beiden Ohren nicht davon gekommen!“

„Wenn wir nur einen einzigen der Schufte kennten,“ rief Jenkins, „die den armen Ashley mißhandelt haben! Beim Himmel, wir wollten ihn beregulatoren und mit Dogwood und Hickory bekannt machen, bis er seine übrige Sippschaft verriethe; aber was können wir so in’s Blaue hinein thun?“

„Ich habe meinen Tom zu Ashley’s hinübergeschickt,“ sagte Border, „der soll drüben bleiben, bis er wieder zur Besinnung kommt, und uns dann gleich Nachricht sagen.“

„Und kannte denn seine Frau Niemanden aus der Schaar?“

„Ja,“ sagte Billins, „zwei oder drei der Männer behauptet sie schon gesehen zu haben, aber sie wußte die Namen nicht, und in der Aufregung und Angst hatte sie auch wohl auf Einzelheiten nicht so genau geachtet. Die Beschreibung wenigstens, die sie uns gab, würde auf Jeden von uns eben so gut passen.“

„Das ist eine böse Geschichte, Gentlemen,“ sagte Jenkins, der indessen recht nachdenkend geworden war und still vor sich niedergestarrt hatte, „und ich weiß wahrlich nicht, welchen Vorschlag man da machen soll. Thun wir aber Nichts, so gewinnen die Schufte entweder Zeit mit ihrem Raub die ‚Range‘ zu verlassen, oder tauchen plötzlich da oder dort wieder auf und verüben ein neues Bubenstück. Ist denn Niemand ihren Fährten nachgegangen?“

„Wer sollte das?“ sagte Billins, „erstlich nahmen wir uns dazu wahrlich nicht die Zeit, und dann wußte die arme Frau nicht einmal genau anzugeben, nach welcher Richtung hin sie sich gewandt hatten; um Ashley’s Platz herum war aber der ganze Boden so von Pferdehufen zerstampft, daß sich kein Indianer mehr hindurchgefunden hätte.“

„Wär’ ich nur dort gewesen!“ nickte Jenkins, „aber soviel ist sicher, daß wir in unserer Heimath jetzt durch eine Bande gewissenloser Schufte gefährdet werden, die wir nicht länger dürfen ihr Wesen treiben lassen, denn keine einzelne Familie ist vor ihnen sicher.“

„Aber was können wir thun,“ rief Border, „ehe wir nicht einmal einen von den Burschen namhaft machen?“

„Wir sind hier fast aus allen Theilen der County versammelt,“ sagte Jenkins, indem er sich im Kreis der Männer umsah, „da sind drei – vier vom Trinidad, dort Tomlins von der Sabine, ein Paar vom Red-River und vom Bear- und Saltcreek.“

„Vom Rio Rajo hatt’ ich auch Meiers bestellen lassen,“ sagte Billins, „aber er muß die Botschaft nicht bekommen haben, und selber hinüber konnt’ ich nicht.“

„Den müssen wir’s noch wissen lassen,“ sagte Jenkins, „und dann schlag’ ich vor, daß wir jetzt, bis das geordnet ist, jede Arbeit, jedes Geschäft an den Nagel hängen und Tag und Nacht draußen liegen, um nur erst einmal die Spur zu bekommen. Ihr habt drei Neger, nicht wahr, Border?“

„Vier,“ sagte dieser, „und handfeste Bursche.“

„Gut, wenn Ihr mir folgt, so machen wir Brownsville zum Stationspunkt; heute Abend vertheilen wir uns und übermorgen Abend kommen wir Alle wieder hier zusammen, um das Weitere zu berathen. Bis dahin müßte es ja auch mit dem Bösen zugehen, wenn nicht Einer oder der Andere eine warme Fährte gefunden hätte, und Gnade Gott dann den Schuften!“

„Wer kommt denn dort?“ rief Border und schützte seine Augen mit der Hand gegen die Strahlen der eben untergehenden Sonne.

„Hol’s der Teufel!“ rief Billins, „der hat ja gar keine Hosen an.“

„Das ist Meiers, beim Himmel!“ lachte ein Anderer, „und im Hemd auf dem Pferd. Hahahaha, das ist kostbar!“

„Und mitten zwischen den Häusern reitet er durch,“ rief Border, „die Frauen haben ihn auch schon weg. Aber Meiers, was zum Henker fällt Euch denn ein? Wo habt Ihr denn Euere Hosen, Mann?“

„Guten Abend, Gentlemen,“ sagte indessen der Neuankommende, der in einem kurzen Trab, aber in dem wunderlichsten Aufzug von der Welt, herankam und nichtsdestoweniger, als er des Postmeisters Haus passirte, die dort halbversteckten kichernden Frauen und Mädchen auf das Artigste grüßte. „Border, thut mir den Gefallen und borgt mir ein Paar von Eueren Hosen, denn die Nacht wird’s frisch, und ich kann doch nicht so hier im Settlement herumlaufen und mich zum Abendbrod mit den Ladies an den Tisch setzen.“

Meiers sah wirklich komisch aus. Es war eine lange trockene Gestalt, mit breiten Schultern und entschieden vorstehenden Backenknochen. Auf dem Kopf trug er einen alten Filz, der nicht einmal mehr erkennen ließ, ob er überhaupt je eine Form gehabt; am Körper aber nur sein nicht übermäßig langes weißes baumwollenes Hemd, darüber, nach Art der Backwoodsmen, einen von [372] selbstgewebtem blauwollenem Jeaneszeug verfertigten Frack, gar keine Hosen und Moccasins an den bloßen Füßen. Umhängen hatte er seine Kugeltasche und auf her Schulter lag die lange einläufige Büchse, ohne die ein Backwoodsman sein Haus überhaupt nie verläßt. Dabei hingen ihm die langen glatten Haare ordnungslos unter dem Hut vor, und mit den blauen, gutmüthigen Augen sah er sich überall im Kreise lächelnd um und nickte nach allen Seiten.

„Aber Meiers, um Gottes willen, was habt Ihr denn nur mit Eueren ‚Besten‘ angefangen?“ lachte Border noch einmal, während der Angeredete einen vorsichtigen Blick nach den Häusern zurückdrehte, sein Pferd halb umwandte, um beim Absteigen keine Blöße zu geben, und dann rasch aus dem Sattel sprang, während sich die Schaar jetzt mit lautem Gelächter um ihn sammelte.

„Die Geschichte ist sehr einfach,“ sagte aber Meiers, ohne sich im geringsten außer Fassung bringen zu lassen, mit voller Ruhe, „verloren hab’ ich sie unterwegs.“

„Verloren, vom Leibe?“

„Nein,“ meinte Meiers, „das gerade nicht. Es war so verdammt warm und da zog ich sie unterwegs aus und legte sie auf den Sattel. Nun weiß der Teufel, wie es kommt, aber sie müssen mir, gerade wie ich etwa drei Meilen von hier den Sulphurcreek kreuzte, unter dem Leibe vorgerutscht und in’s Wasser gefallen sein, denn gleich nachher vermißt’ ich sie und bin noch etwa zwei Meilen, bis zu einer Stelle, wo ich genau wußte, daß ich sie noch gehabt, zurückgeritten, aber Gott bewahre. Jedenfalls hat sie der verwünschte Fluß mitgenommen; umkehren wollt’ ich aber auch nicht, und da kam ich denn so. Border, holt mir einmal ein Paar heraus, denn in dem Aufzug möcht’ ich den Ladies nicht gern meine Aufwartung machen.“

Die Damen hatten indessen schon den Verlust ihres alten Freundes bemerkt, und ein kleiner Negerjunge kam mit ein Paar neugewaschenen Beinkleidern angesprungen. Diese hatten allerdings den Nachtheil, daß sie Meiers etwa um zwei Handbreit zu kurz waren, aber das genirte ihn nicht. Seinen Hut gegen das Haus lüftend, denn er wußte recht gut, daß das muthwillige Volk dort ihn durch die offenen Spalten desselben beobachtete, nahm er das überbrachte Kleidungsstück und ohne es der Mühe werth zu halten damit auf die Seite zu gehen, zog er es gleich auf der Stelle an, auf der er stand. Noch damit beschäftigt lenkte er die Fröhlichkeit der ihn umgebenden Männer aber bald wieder zu dem ernsten Zweck zurück, der sie hier versammelt hatte.

„Und wißt Ihr, daß der Teufel auch im Süden los ist?“ sagte er, „Ashley’s Geschichte hab’ ich gehört, und grad wie ich fortritt, kam Tom Burton von der Southfork herauf und erzählte, daß eine Bande von Kerlen seines Bruders Haus, während er draußen im Walde war, niedergebrannt und drei von seinen Pferden fortgetrieben habe. Er ist jetzt nach, um ihren Spuren zu folgen, und ich will ihnen nur wünschen, daß er sie einholt.“

„Und er hat auch keinen gekannt?“ rief Jenkins rasch.

„Er war ja gar nicht daheim,“ sagte Meiers, „und hatte blos seinen Pflock außen vorgesteckt. Die Schurken steckten das Haus in Brand, das sie möglicher Weise vorher ausgeplündert, wer weiß es. Viel werden sie aber wohl nicht darin gefunden haben.“

„Nun, Gentlemen,“ sagte Border nach einer Pause tiefen Stillschweigens, in der die Männer ernst umherstanden und Meiers seine Toilette beendigte, „wie die Sachen jetzt stehen, ist kein Mensch in seinem eigenen Haus mehr sicher, und je eher wir dem Zustand ein Ende machen, desto besser.“

„Wo wohnt denn dieser Netley?“ sagte Jenkins, dem die Begegnung von heute Morgen nicht aus dem Kopf wollte. „Wenn der in den Staaten schon Lumpereien gemacht hat, wird er hier nicht anfangen ein ehrlicher Kerl zu werden, und dem möcht’ ich vor allen Dingen auf die Finger sehen. Haben wir nur erst einmal an Einem einen Halt, so finden wir auch mit leichter Mühe den Rest.“

„Netley,“ sagte Border, „hat sich eine Hütte in ziemlich nordöstlicher Richtung von hier, unmittelbar an dem Schilfbruch gebaut, und war, als ich das letzte Mal dort oben nach meinen Pferden suchte, gerade dabei sich eine Weide in das Schilf hinein zu bauen, wo die Thiere allerdings für eine gute Weile Futter haben.“

„Wo denn etwa?“

„Wißt Ihr die Slew, Jenkins, über die zwei Cypressenbäume so gefallen sind, daß sie gerade eine Brücke hinüber bilden?“

„Gewiß weiß ich sie. Ich bin den Platz schon passirt.“

„Gut, wenn Ihr an der aufwärts geht, kommt Ihr zu der Hütte; sie liegt aber nicht unmittelbar am Wasser, sondern etwas versteckt in den Büschen drin, und ich hätte sie damals gar nicht bemerkt, wenn mich nicht das Krähen eines Haushahns aufmerksam gemacht hätte.“

„Gut,“ nickte Jenkins, „den Platz find ich und nun, denk ich, hat mein Pony auch genug gefressen, daß ich den Heimweg wieder antreten kann, denn unter den Umständen möchte ich nicht länger, als irgend nöthig ist, von zu Hause fortbleiben.“

Damit aber war Border nicht einverstanden. Er hatte, wie er erklärte, besonders zu dem Zweck einen Feisthirsch geschossen und ein junges Schwein geschlachtet, Lebensmittel seien also genug im Hause, Whisky zu einem tüchtigen Arkansas-Stew[1] ebenfalls, und er „wolle verdammt sein“, wenn irgend einer die „Range“ verlassen solle, ohne sich sattgegessen und getrunken zu haben, am wenigsten Jenkins.

Dabei blieb es; der Alte durfte sich nicht ausschließen, noch dazu da die paar Ruhestunden ja auch seinem heute überdies fast zu sehr angestrengten Pferd zu Gute kamen. So sammelte sich die wilde Schaar denn bald um Border’s gastlichen Heerd, wo die Frauen indessen emsig beschäftigt gewesen waren riesige Blechkannen mit Kaffee zu kochen und die verschiedenen saftigen Fleischstücken zu braten. Die Becher, mit dem scharfen, aber wohlschmeckenden Getränk, einer Art von Grog gefüllt, wurden fleißig geleert, und es war lange zehn Uhr vorbei, ehe Jenkins endlich Ernst machte zum Aufbruch. Border wollte ihn noch zurückhalten, aber es ließ ihm keine Ruhe mehr. Er stand auf, sattelte und zäumte sein indeß vollständig ausgeruhtes Pferd und trat den Heimweg an. Vorher aber hatten sich Alle das Wort gegeben, übermorgen Abend wieder zu gemeinsamer Berathung hier zusammenzutreffen.

[385]
3. Der Schilfbruch.

Jenkins hatte geglaubt den Weg viel rascher zurücklegen zu können, aber sein Pferd war doch über Tag müde geworden und er selber fühlte sich abgespannt und erschöpft. Er ließ seinem Thier den Zügel, ja er stieg sogar aus dem Sattel und ging eine lange Strecke zu Fuß, um sich nur selber munter zu halten; zuletzt fielen ihm indeß die Augen selbst beim Gehen zu, und da er doch jetzt nicht hoffen durfte, sein Haus viel früher als mit der Morgendämmerung zu erreichen, so beschloß er endlich, etwa halben Wegs, eine Weile auszuruhen und dann erst seinen Marsch fortzusetzen. Ein paar Stunden schlief er so unter einem Baum, während sein Pony mit zusammengebundenen Vorderbeinen um ihn her das Gras abweidete, stieg dann wieder auf und erreichte seine Hütte etwa eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.

Sonderbar, wie ihm dabei zu Muthe war! Hatte es ihn die letzte Strecke denn nicht unaufhaltsam vorwärts getrieben, als ob ihm oder den Seinen eine unbestimmte Gefahr drohe, welcher er keine Form geben konnte oder wollte? Waren es die Erzählungen der Freunde, die Schilderungen der Gewaltthaten, die er am vorigen Abend gehört, und ließ es sich denken, daß es die Buben wagen würden – er setzte seinem Pony schärfer die Hacken ein, und ein aus tiefer Brust ausgestoßener Seufzer machte seinem Herzen endlich Luft, als er in Sicht seiner Hütte kam und den blauen Rauch bemerkte, der friedlich und ungestört aus dem Schornstein emporqualmte.

Die Hunde, die vor der Hütte lagen, hatten sein Kommen aber schon bemerkt und schlugen an, und mit einem Jubelruf begrüßte ihn die Frau, als sie seiner ansichtig wurde. Er war ja rascher zurückgekehrt, als sie geglaubt, und sie hatte sich in der Zeit seiner Abwesenheit, weshalb, wußte sie eigentlich selber nicht, doch nicht recht ruhig und behaglich fühlen können. Auch die Fragen, die Beide jetzt mit einander tauschten, bewiesen nur zu deutlich, was bis dahin ihre ganze Seele beschäftigt: ob Niemand Fremdes am Hause gewesen; ob sie da drüben eine Spur gefunden; wer es gewesen sein könne, und was sie wollten.

Jenkins war übrigens viel zu sehr Backwoodsman, um sich irgend einer Aufregung lang hinzugeben. Mit dem hell angebrochenen Tag und seiner eigenen Häuslichkeit umher wichen auch alle die trüben Bilder, die ihn die Nacht über vielleicht gequält. Gegen elf Uhr war er neu gestärkt und völlig gerüstet, um hier in seiner Nachbarschaft das zu beginnen, was sie sich gestern da drüben vorgenommen: überall nach Spuren jener Bande von Schuften zu suchen, die bis jetzt noch so erfolgreich im Dunkeln ihr Wesen trieb. Seine Büchse schulternd und die Hunde anrufend, schritt er wieder dem Walde zu.

„Und bist Du zum Essen wieder da, John?“ rief ihm die Frau nach.

„Zum Essen nicht, es ist ja jetzt schon bald Mittag, aber jedenfalls noch lange vor Dunkelwerden.“

Unten am Creek weidete eine alte Fuchsstute; die erkor er sich für heute zu seinem Reitthier, denn der Pony mußte heute ausruhen. Langsam ritt er in den Wald hinein und zwar derselben Stelle zu, an der er damals die Spuren seines Rappen verloren hatte.

Es hatte in den Tagen nicht geregnet, obgleich es an jenem Abend, an dem er sein Pferd vermißte, mit einem tüchtigen Gewitter gedroht. Die Wolken waren jedoch von dem sich erhebenden heftigen Winde verjagt und deshalb auch die bis dahin eingedrückten Spuren nicht im Geringsten gestört worden. In einem Laubwald aber, wo die gelben Blätter Jahr nach Jahr fallen und liegen bleiben, so daß sie den Boden an den meisten Stellen mit einer dicken Schicht bedecken, ist es außerordentlich schwer, einer schon mehrere Tage alten Spur zu folgen. Ist sie ganz frisch, so geht es viel leichter, weil die neu aufgewehten Blätter unterhalb ihre Feuchtigkeit noch bewahrt haben und dann auch eine dunklere Färbung zeigen. Liegen sie aber nur sechs oder acht Stunden in ihrer neuen Lage, so trocknet sie der Luftzug vollständig ab, und sie unterscheiden sich in Nichts mehr von den übrigen.

So geübt aber das Auge des alten Mannes auch in dieser Hinsicht war, er konnte nichts Neues entdecken. In dem Wasser selber schienen die letzten Spuren verschwunden, und wenn der Bach auch hier, an der Fuhrt, kaum einen Fuß tief sein mochte, so lag weiter aufwärts, nach Süden zu, doch eine Masse hineingestürztes Holz darin, über das sich kein Pferd hinarbeiten konnte, und gleich unterhalb befanden sich tiefe Löcher, durch welche es nie geschwommen wäre. Noch weiter abwärts aber lief das kleine Wasser, wo das niedere Land begann, in eine Art von Bayou ein, die etwa tausend Schritt mehr nördlich in die Auszweigungen des Schilfbruchs mündete und sich endlich in diesem verlor. Dort begann nachher ein Gewirr von Dornranken, Schilf und Sumpf, mit ineinander gebrochenen Bäumen, und dort hinein brauchte er [386] eigentlich gar nicht zu suchen, aber er suchte doch, denn wohin anders sollte er sich wenden? An die Sabine? da hinüber führte ein Weg, den sein Pferd aber nicht betreten hatte, und dann war er auch noch nie in den Schilfbruch selber ordentlich hineingekommen.

An dem kleinen Wassercurs ritt er langsam hinab, weiter und weiter, bis das Schilf so dicht wurde, daß er kaum vorwärts konnte. Sechs oder acht Aasraben strichen über ihn hin, stiegen hoch in die Luft, kreisten dort eine Weile und stiegen dann, mehr links von ihm in der Richtung, wo der Red River lag, in den Schilfbruch nieder. Hatten sie dort Etwas gefunden? vielleicht die Ueberreste eines Stückes Wild, das ein Wolf oder Panther zerrissen. Von dem Raubzeug gab es dort herum genug und man konnte ihr Geheul jede Nacht hören, wenn man ihrer am hellen Tag auch nur sehr selten ansichtig wurde. Was kümmerte ihn das auch! Aber die greenbriars – eine dornige Schlingpflanze mit grünen, stachligen Ranken – wuchsen hier so dicht, daß sein Fuchs nur mit großer Schwierigkeit hindurch konnte. Das Beste war, er hobbelte ihn hier an irgend einer lichten Stelle aus und nahm ihn dann auf dem Rückweg wieder mit. Unfern vom Ufer der Slew fand er einen solchen Platz, stieg aus dem Sattel, nahm ihm den Zaum ab, band ihm die beiden Vorderbeine so zusammen, daß das Thier nur noch ganz kurze Schritte machen konnte, und wandte sich dann ab.

Mit einem Male fiel sein Blick auf eine abgebröckelte Uferbank und hier auf Etwas, das ihn stutzen machte. Was war das? ein Eindruck in die Erde! wo kam der her? Unwillkürlich läßt ja ein Jäger nichts Derartiges unbeobachtet, und er schob deshalb sein Bowiemesser, mit dem er sich durch das dichte Geschling Bahn gehauen hatte, in die Scheide und bog sich näher zu der befremdlichen Spur nieder.

„Hol mich der Böse,“ murmelte er dabei, „das sieht ja wahrhaftig so aus, als ob hier ein Canoe gegen das Ufer angestoßen hätte! Aber wie kommt denn hier in die Slew ein Canoe und wer hat es da gebraucht und wozu?“

Er nahm seinen Hut ab, legte ihn neben sich, um sich noch weiter vorbiegen zu können, und brachte seinen Kopf dicht über den Platz, aber es wurde nicht anders. Der Eindruck in der Uferbank hier mußte von irgend einem Gegenstand herrühren, der vom Wasser aus dagegen gepreßt war, und das konnte in aller Welt Nichts als ein Canoe gewesen sein. Das war aber die Slew nicht, an der jener Netley wohnen sollte. Die lag wenigstens anderthalb englische Meilen mehr westlich.

Jenkins wußte nicht, was er aus dem Allem machen sollte, aber er war doch entschlossen, der Sache noch etwas weiter nachzuspüren. Er stand auf, holte seine Büchse wieder, die er neben dem Pferd gelassen, und arbeitete sich langsam und geräuschlos immer mehr an dem breiter werdenden sumpfigen Wasser hinab, ohne jedoch auf irgend einen Fußpfad oder eine andere Fährte zu treffen, als die, welche hie und da ein Wolf dem weichen Boden eingedrückt. Weiter oben machte die Slew eine Biegung nach links, und er wollte hier schon wieder umdrehen, als er, dicht am Wasser durch das Dickicht kriechend, überhängendes Schilf bemerkte, das weit draußen, in der Slew selbst, abgehackt war. Das konnte nur durch ein vorbeipassirendes Fahrzeug geschehen sein, dem die Wipfel im Weg gewesen waren, und wer war das jetzt, der hier, in dem furchtbarsten Dickicht drin, sein Wesen so geheim und versteckt trieb, daß selbst Jenkins, als nächster Nachbar dazu, noch nicht einmal etwas davon gemerkt hatte?

Er mußte jetzt mehr erfahren; die Sonne stand ja überdies noch hoch am Himmel, und da er nun doch einmal so weit gekommen war, wollte er auch seine Nachforschungen noch weiter fortsetzen. Es zeigte sich aber wahrlich als keine Kleinigkeit, durch dieses Dickicht eine Bahn zu brechen, und als er jetzt plötzlich einen alten Schilfbrand erreichte – das heißt eine Stelle, wo das Schilf einmal in früheren Jahren, wer weiß ob durch einen Blitz oder durch Menschenhand, in Brand gerathen – wurde es fast zur Unmöglichkeit hindurch zu kommen. Die langen starken Stangen des zähen Rohrs waren dort abgestorben, viele zuletzt an der Wurzel gefault und querüber gebrochen, und mit den frisch hindurch gewachsenen dornigen Ranken bildeten sie an manchen Stellen solche unzerreißbare Massen, daß sich kein Wolf hätte hindurch winden können. Das Schlimmste blieb dabei, daß sich das verdorrte Schilf gar nicht mehr mit dem Messer zerhauen ließ, um eine Bahn zu bekommen, denn es war als ob man mit der scharfen Klinge auf Kieselsteine schlug. Aber Jenkins hatte einmal seinen Kopf darauf gesetzt, und hier die Stangen emporhebend, dort darunter wegkriechend, setzte er seinen beschwerlichen Weg unverdrossen fort, bis er plötzlich fast erschreckt halten blieb, denn vor seinen Füßen öffnete sich ein ebener, frei gehauener Pfad und nicht von den Fährten menschlicher Wesen, nein, von Pferdespuren war er gefüllt.

Pferde – nie im Leben hätte ein Pferd hierher den Weg zu Land gefunden; die mußten durch das Wasser hierher geschafft sein, und was machten sie hier im Schilf? Aber Jenkins war ein zu alter Bewohner des Waldes, um nicht zu wissen, daß er hier an der Schwelle eines gefährlichen Geheimnisses stand. Allein konnte er darin gar Nichts ausrichten; trieben die Raubgesellen, wie es kaum anders möglich war, wirklich ihr Wesen hier, und wurde er hier von ihnen entdeckt, so lag es auch auf der Hand, daß er mit seinem eigenen Leben ihre Sicherheit erkaufen mußte.

Dem durfte er sich nicht aussetzen, denn an seiner eigenen Sicherheit hing jetzt die Entdeckung der Uebelthäter, die ihre Familien bedrohten und Elend und Verderben über die ganze Ansiedlung brachten. Rasch entschlossen kroch er deshalb den Weg zurück, den er gekommen, aber viel vorsichtiger als vorher, denn er konnte nicht wissen, ob nicht irgendwo auf dem Wasser draußen ein Verräther lauere. Er hieb keine Schilfstange mehr durch, sondern bog sie nur aus dem Weg, bis er endlich die Stelle wieder erreichte, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte.

So rasch als möglich legte Jenkins seinem Fuchse, den er noch auf dem nämlichen Platze antraf, wo er ihn gelassen hatte, den Zaum wieder an und machte seine Füße frei. Dann stieg er in den Sattel, setzte dem Gaule die Hacken ein und galoppirte, so rasch er ihn über den rauhen Grund fortbringen konnte, wieder in das offene Holz hinein.

Am Liebsten wäre er nun allerdings gleich nach Brownsville hinübergeritten, um dorthin die Kunde seiner Entdeckung zu bringen und mit den Freunden zu berathen, was jetzt am Besten zu thun sei, um das dort jedenfalls versteckte saubere Nest auszunehmen; aber was hätte es ihm heute geholfen, wo die Nachbarn alle selber den Wald nach den verschiedensten Richtungen hin durchstöberten? Er würde keinen dort angetroffen haben, denn ihr Zusammenkommen war ja erst auf morgen Abend festgestellt. So blieb ihm denn Nichts übrig, als seine Zeit ruhig abzuwarten. Vor morgen konnte nun einmal Nichts geschehen.

Aber auch zu Hause litt es ihn nicht lange; sowie er nur erst gegessen hatte, sattelte er sich sein Pferd wieder, um heute noch vor allen Dingen das Terrain ein wenig zu sondiren, um das er sich bis jetzt wenig mehr gekümmert, als vielleicht den Rand des Schilfbruchs einmal auf dem Pirschgang abzusuchen.

Gegen Abend ritt er deshalb noch einmal der Slew zu, an der jenes Netley Hütte stehen sollte, ohne diese aber zu berühren. Er wollte nur etwa die Entfernung wissen, in der sie sich von jenem Platz, den er heute Morgen gefunden, befand, und wie weit es von dort bis zu dem Ufer des Red River sei. Etwa eine Meile westlich war übrigens ein Weg durch den Wald geschlagen, der direct auf den Fluß zu führte. Dort hatte ein Bekannter von ihm, Joe, eine Farm, und hielt zugleich eine Fähre über den breiten und tiefen Strom.

Joe selber war nicht zu Hause; nur seine Familie und der alte Neger, der gewöhnlich die Ueberfahrt besorgte. Mit dem unterhielt er sich eine Weile über die Beschaffenheit des Ufers an dieser Seite, und zwar den Strom hinab, das der Bursche, der das Geschäft schon seit drei Jahren trieb, genau kennen mußte. Natürlich durfte er dem Neger nicht sagen, um was es sich hier handele, sondern frug ihn nur, ob er es für möglich halte, daß er von seinem Platz aus ein Stück im Land drin, vielleicht durch irgend eine der Slews oder Bayous mit dem Red River selber in Verbindung treten könne. Er wolle jetzt, wie er meinte, noch zehn Acker Land urbar machen und recht viel Mais bauen, und da wär’ es denn natürlich sehr bequem, wenn er den gleich, anstatt zu Wagen, in einem Canoe in den Strom schaffen könne.

„Gott segne Ihre Seele, Massa,“ sagte der alte Wollkopf, „das geht nicht. Sieben Meilen stromab, von hier weg, liegt Nichts als ein blutiger Schilfbruch, und die Slews, die hindurchlaufen, sind, wo sie mit dem Strom zusammentreffen, so [387] von eingebrochenen Bäumen ausgefüllt, daß ein Mann ein volles Jahr arbeiten könnte, ehe er sich durch die irgend eine freie Bahn hauen könnte – geht durchaus nicht.“

„Und ist gar keine Landung, an der ganzen Strecke?“ frug ihn Jenkins.

Der alte Neger schüttelte mit dem Kopf.

„Keine,“ erwiderte er, „ein paar falsche Bayous laufen wohl in’s Land und stehen mit den anderen auch vielleicht in Verbindung, aber kaum fünfzig Schritt drin liegen die alten Stämme toll und bunt durcheinander, und kaum ein Alligator kann hindurch. Nein, da ist’s Nichts – wie ich mit Massa Joe hierher kam, hab’ ich die Stellen alle selber abgesucht, weil Massa dort im Anfang sein Haus hineinbauen wollte, aber ’s war Nichts, und da setzte er es lieber hierher, wo er doch einen trockenen Landweg in die Hügel hatte.“

Das war Alles, was Jenkins wissen wollte, und mit dem Charakter solcher Plätze genau vertraut, konnte er sich jetzt auch allenfalls denken, wie das mit jener Colonie oder Ansiedlung im Schiffbruch zusammenhing. Daß die Slew keinen Ausweg nach dem Strom zu hatte, bestätigte schon der Pfad, den er im Schilfbruch gefunden – der verband jedenfalls das faule Wasser der Sümpfe mit dem Aufenthaltsort irgend eines der Verbrecher, der hier als Hehler diente. Wie weit dieser nachher über Mittel verfügte, mit dem Red River selber in Verbindung zu treten, wußte er allerdings nicht; mit Hülfe der übrigen Ansiedler wollten sie aber bald dahinter kommen, und dazu waren auch Joe’s Boote vortrefflich. Jetzt galt es also vor allen Dingen die Verbündeten mit den gesammelten Thatsachen bekannt zu machen; über all das Uebrige würden sie sich bald verständigen.

Jenkins ritt jetzt auch ohne Weiteres direct nach Haus; er hatte seinen Auftrag vollständig erfüllt. Mit seiner Frau sprach er aber kein Wort darüber; er wollte sie nicht unnöthiger Weise mit einer so gefährlichen Nachbarschaft ängstigen, und bereitete sich nur heute, wo er doch nichts Anderes mehr unternehmen konnte, auf die nächsten Tage vor, indem er Kugeln goß, sein Messer schärfte, dem er in den trockenen Schilfstangen bös mitgespielt, und erst als der Abend heranrückte, ging er noch einmal hinaus in den Wald pirschen, um womöglich einen Hirsch zu erlegen und den Seinen, falls er gezwungen würde ein paar Tage abwesend zu bleiben, genügende Lebensmittel zu hinterlassen.


4. Die Regulatoren.

Am nächsten Morgen schlief Jenkins ziemlich lang, fütterte, als er endlich aufstand, sein Pony ordentlich mit Mais, und ließ es dann frei, damit es sich bis gegen Abend ausruhen könne. Den Fuchs behielt er am Haus; er kannte den Weidegrund, wo sich das Pony gewöhnlich aufhielt, und konnte dann, wenn er es haben wollte, dort hinreiten und es nur abholen, denn alle diese Leute gehen, wenn sie nicht nothgedrungen müssen, nur höchst ungern selbst die kleinste Strecke zu Fuß.

So war der Mittag herangekommen, und er selber, um sich die Zeit in etwas zu vertreiben, zu seinem Negerburschen noch ein wenig in’s Feld hinausgegangen, wo sich dieser gerade damit beschäftigte, die oberen Blätter des schon fast reifen Mais abzubrechen und aufzuhängen, um Futter für das Vieh daraus zu dörren.

Noch war man im vollen Einsammeln, als das Horn am Haus geblasen wurde, das Mittags immer zum Essen rief, denn den Ton desselben hört man bis weit hinein in den Wald. Sonst aber blies die Frau nur immer einen langgezogenen Ton darauf, setzte dann ab und wiederholte das Zeichen noch einmal, heute dagegen gab sie es viel rascher, in schnell hinter einander ausgestoßenen Tönen.

„Was ist das, Massa?“ sagte der Neger. „Missus tutet komisch.“

Jenkins fuhr in die Höh, als ob er einen Schuß bekommen hätte, horchte einen Moment den wie ängstlichen Tönen, warf dann den Haufen Blätter, den er gerade im Arm hielt, auf die Erde nieder, und rannte in voller Flucht gegen die Fenz an, über die er sich hinüberschwang, als ob er nur so viel Jahre in den Zwanzigen gezählt hätte, als es in den Sechzigen der Fall war.

Das Zeichen deutete Unheil; in jeder Fiber seines Körpers fühlte er es, und krampfhaft ballte er die Faust, als er daran dachte, daß er heute gerade seine Waffe daheim im Hause gelassen, lag doch das Feld auch kaum dreihundert Schritt von diesem entfernt, während die Hunde immer herüber und hinüber wechselten, so daß sich nie ein Stück Wild auf diese Strecke wagte. Nicht einmal sein Messer hatte er bei sich; aber das war jetzt zu spät zu bedenken, und ohne auch nur einen Moment in seinem Lauf einzuhalten, flog er in wilden Sätzen die Bahn entlang, bis er, aus den Büschen herausspringend, seine eigene kleine Hütte dicht vor sich liegen sah.

Und der Athem stockte ihm fast, denn dicht vor dem Haus waren sieben oder acht Pferde angebunden und dort, vor seiner Thür, neben dem Weg lag der eichene Splitter eines halbabgerissenen Fenzriegels, den griff er fast bewußtlos auf, denn dicht vor der Thür seiner Hütte sah er, wie die Buben sein Negermädchen, seine Nelly, gefaßt hatten und ihr die Hände auf den Rücken banden.

Unwillkürlich, kaum wissend was er that, stieß er seinen Jagdruf aus, und die Hunde schlugen heulend an, das Mädchen aber, die ihren Herrn nahen sah, schrie jetzt gellend um Hülfe und brach dann in die Kniee, als ihr einer der Buben einen Faustschlag versetzte, der sie halb betäubte und jedenfalls zum Schweigen brachte.

Jetzt aber war Jenkins auch heran und die auf ihn gerichteten Büchsen Einzelner so wenig achtend, als ob es nur eben so viele Maisstöcke gewesen wären, sprang er auf den, der Nelly hielt, zu und schlug ihn mit dem Eichensplitter so kräftig über den Schädel, daß er wie todt zu Boden stürzte. Aber der Uebermacht war er nicht gewachsen. Ehe er zu einem zweiten Schlag ausholen konnte, hatten sich ein paar der Banditen schon über ihn geworfen. Er wehrte sich noch kräftig genug und seine Faustschläge trafen rechts und links, doch umsonst; in wenigen Secunden sah er sich übermannt und zu Boden geworfen, und einer der Buben schnürte ihm dann die Ellbogen so fest mit Hickorybast auf dem Rücken zusammen, daß er sich nicht rühren und nicht regen konnte.

„Hallo, mein Alterchen,“ rief der Anführer der Schaar, als sie ihn so weit gesichert sahen, daß er ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte, „das war ein rauher Willkommen und dem armen Netley wird der Schädel wohl noch ein paar Tage brummen. Zum Teufel auch, Camerad, ich hätte Euch mehr Vernunft zugetraut. Ihr glaubtet doch nicht etwa, daß Ihr unsere ganze Gesellschaft mit einem Stück Holz aus der ‚Range‘ hinausprügeln konntet?“

„Hunde! räudige Hunde die Ihr seid,“ schrie der Alte, schäumend vor Wuth, indem er, freilich nutzlos, an seinen Banden riß, „feige erbärmliche Memmen und Schufte, die in einem Schwarm über einen Einzelnen herfallen! Diebische, galgenreife Canaillen, die Ihr dem Strick nicht entgehen sollt, wenn ich nur noch vierundzwanzig Stunden das Leben behalte!“

„Stopft ihm doch den Rachen, der Bestie!“ schrie einer der Buben und stieß ihm dabei mit der Faust in das Gesicht, daß das Blut dem Stoße folgte.

„Laß ihn nur, Bob,“ sagte der Führer, in dem Jenkins schon den Burschen erkannt hatte, der neulich Morgens in einem schwarzen Frack in seinem Haus gewesen war, jetzt aber ein altes Jagdhemd und eine Büchse trug, wie die Uebrigen, „vorher unsere Geschäfte, nachher wollen wir den Herrn schon zum Schweigen bringen. Nun, seid Ihr da drinnen fertig?“

Die Frage galt einigen der Bande, die gerade aus dem Haus kamen.

„Bei Jingo!“ rief der Eine lachend, „es war die höchste Zeit, daß wir hineinkamen, oder die Alte hätte wahrhaftig noch Einem von uns eine Kugel durch den Leib gejagt. Wir trafen sie eben, als sie eine kleine Büchse von den Pflöcken herunterriß. Jim gab ihr aber eins auf den Kopf und wir haben sie jetzt an den Bettpfosten angebunden.“

„Buben und Schufte!“ schrie da der alte Jenkins, halbrasend vor Wuth, „seid Ihr Männer, daß Ihr schlimmer als indianische Diebe in die Häuser einbrecht und mordet und plündert?“

„Nur ruhig, alter Herr,“ erwiderte der Führer mit einem höhnischen Lächeln, „die Reihe kommt auch noch an Dich. Ob wir Männer sind? Ei gewiß, mein Schatz, und wir hoffen Dir das zu beweisen; mit Deinen Schimpfwörtern bellst Du aber unter dem falschen Baum. Weil wir eben Texas von dem Diebesgesindel freimachen wollen, das sich hier, aus Arkansas vertrieben, eingenistet [388] hat, haben wir einen Regulatorenbund gegründet, um die Missethäter zu strafen und auszutreiben.“

„Regulatoren – Ihr?“ schrie der Alte, „verdammte heillose Bande, die Ihr seid! Wer ist der Missethäter, ich, den Ihr hier wie feige Wölfe überfallen habt, oder Ihr?“

„Glaubst Du, mein Herz,“ sagte der Führer höhnisch, „wir lassen uns hier unsere Pferde und Neger ruhig stehlen, weil Ihr es für passend findet, jetzt eine Zeit lang die ruhigen und ehrbaren Farmer zu spielen? Hast Du die Dirne da etwa gutwillig herausgeben wollen? Gott bewahre, trotzen da noch auf ihre Gesetze, nicht wahr? Aber das Lynchgesetz ist das einzige, das Ihr von jetzt an sollt zu kosten bekommen, und daß wir es zu handhaben wissen, wollen wir Dir beweisen.“

Zwei der Burschen hatten sich indessen mit dem durch den Schlag betäubten Netley beschäftigt, der sich jetzt aber wieder erholte, mit der Hand über den wunden Kopf strich und dann das Blut betrachtete, das an seinen Fingern hing. Die Anderen plünderten unter der Zeit das Haus, aus dem sie mitnahmen, was ihnen des Mitnehmens werth schien. Jenkins’ Büchse und Messer und Kugeltasche, seiner Frau kleine Waffe, die wollenen Decken, und den kleinen Vorrath von Zucker, Kaffee und Mehl, den sie vorfanden, kurz Alles was sich im Walde brauchen ließ. Mit einer ganz anerkennungswerthen Geschicklichkeit und Schnelle stellten sie dabei aus den gefundenen Betttüchern und Kissenüberzügen Satteltaschen her, um die verschiedenen Dinge bequem auf die Pferde packen und transportiren zu können.

Nelly, die um Hülfe geschrieen hatte, als sie ihren Herrn kommen sah und von dem einen Buben zu Boden geschlagen war, hatte sich jetzt auch wieder erholt, doch mit schweigendem Entsetzen starrte sie auf die Mißhandlung des alten Mannes und zitterte vor Furcht, wenn sie daran dachte, daß sie von diesen entsetzlichen Menschen mit fortgeschleppt werden sollte.

„Wo ist Euer anderer Neger, Jenkins?“ frug diesen jetzt der Führer, der bis dahin nur die Arbeiten der Uebrigen überwacht hatte, ohne selber Theil daran zu nehmen.

„Sucht ihn,“ lautete die kurze drohende Antwort, „die Pest über Euch!“

„Wir wollen Dich schon zum Reden bringen, mein Schatz,“ lachte der Führer, „sind die Hickorystöcke da?“

„Hab’ schon dafür gesorgt,“ lachte der Eine, „gleich da drüben war eine ordentliche kleine Anpflanzung; wir hätten’s uns gar nicht bequemer wünschen können. Komm, Herzblättchen, die sollen Dich schon gesprächig machen.“

„Mich – mich laßt das thun,“ schrie da Netley, der erst jetzt seine volle Besinnung wieder erlangt zu haben schien. „Schlag um Schlag, mir hat die alte Bestie fast den Schädel zerhauen, ich will ihm jetzt die Rückzahlung auf die Schultern zeichnen, daß er sein Lebtag an mich denken soll.“

„Das ist recht,“ jubelte die Schaar, „aber gieb’s ihm ordentlich, Netley, daß wir ihm die amerikanische Flagge auf den Rücken malen; an den Dogwood mit ihm!“

„Habt keine Angst,“ rief der Bube, in wilder, ungeduldiger Hast nach den Stöcken greifend, während sich Einige von ihnen auf den alten Mann warfen und ihn zu dem nächsten kleinen Dogwoodbaum schleppten. [401] Jenkins wehrte sich wie rasend, er biß und trat um sich, aber der Uebermacht war er nicht gewachsen, und wie er das endlich fühlte, wurde er still und ließ Alles geduldig mit sich machen, was sie wollten. Nur die Zähne biß er fest zusammen, und die rollenden Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Die Bande wußte aber ihre Sache vortrefflich anzugreifen. Die Arme wurden dem alten Mann aufgeschnürt und dann um den Stamm des niedrigen Baumes gelegt und drüben wieder befestigt, so daß er diesen umfassen mußte, wobei ihm nur so viel Freiheit blieb, sich darum hin zu bewegen. Das Jagdhemd hatten sie ihm vorher von den Schultern gerissen, und Nelly selber stieß einen Angst- und Schmerzschrei aus, als der erste mit voller Wuth und Bosheit geführte Schlag auf die Schultern des Unglücklichen niederfiel, so daß schon im nächsten Augenblick das helle Blut sein Hemd färbte.

Jenkins rührte und regte sich jedoch nicht. Ein Indianer am Marterpfahl hätte die über ihn verhängten Qualen nicht stoischer ertragen können, als der alte Mann zwischen seinen Peinigern stand. Schlag auf Schlag folgte, aber kein Laut kam über seine Lippen, und dadurch allein vielleicht entging er dem Schwersten, denn sein Henker gerieth zuletzt in so furchtbare Wuth und Aufregung, daß seine Streiche wohl rasch hinter einander und schwer auf den Rücken des Opfers niederfielen, indeß deshalb aber auch lange nicht so tief und gefährlich einschnitten, als wenn er kaltblütig den Hieb berechnet hätte.

Da fiel plötzlich weit drüben im Wald ein Schuß, möglich, daß nur ein Jäger dort zufällig nach einem Stück Wild geschossen, aber die Bande horchte überrascht auf und selbst Netley hielt, überhaupt vollkommen außer Athem, mit Schlagen ein.

„Jungens,“ sagte der Führer, „ich denke wir haben uns hier lange genug mit dem alten Schuft herumgeärgert; die Zeit vergeht und wir müssen machen, daß wir nach Hause kommen. Packt auf, was ihr habt, und dann fort!“

„Aber erst häng’ ich den alten Cujon an den nächsten Baum,“ schrie Netley; „so lange er lebt, geh’ ich hier nicht vom Platz. Einen Strick her – Einer von Euch einen Strick!“

„Wir können uns das bequemer machen,“ lachte der Führer boshaft. „Seine Frau wird sich doch nach ihm sehnen. Schafft ihn ins Haus, bindet ihn dort mit fest und dann steckt die Bude an.“

Ein wildes Jauchzen antwortete dem teuflischen Vorschlage, allein der Führer hob warnend die Hand. Er fühlte sich hier nicht mehr sicher.

„Ruhe jetzt!“ sagte er, „Ihr wißt am Besten, wie nöthig es ist, daß wir noch heute und morgen ungestört sind, macht rasch. Ins Haus mit dem Burschen und knebelt Beide gut, daß sie nicht schreien und Hülfe herbeirufen können, und dann Feuer in das Nest!“

Wie ein Bienenschwarm fuhren die Buben untereinander. Ihr Hauptmann hatte Recht, und wenn ihnen jetzt, wo sie im Begriff standen, ihren Raub in Sicherheit zu bringen, ein unberufenes Auge auf die Spur gekommen wäre, hätte es ihren ganzen Plan noch im Augenblick des Gelingens vereiteln oder doch stören können. Vier von ihnen schnitten deshalb den Mißhandelten los, faßten ihn und trugen ihn ins Haus. Der alte Jenkins lag machtlos in ihren Armen. Die Anderen hatten im Nu die spärliche Beute aufgegriffen und der Führer selbst löste Nelly von dem Baum ab, an den man sie gebunden hatte, und brachte sie zu einem der Pferde.

„O Massa, um Gottes willen,“ flehte das arme Mädchen, „ich bin ja wahr und wahrhaftig keinem Menschen davon gelaufen.“

„Dir geschieht Nichts, mein Schatz,“ sagte der Mann als einzige Antwort, „wenn Du Dich nämlich ganz still und ruhig verhältst und vernünftig bist; wirst Du aber im Geringsten laut, dann gnade Dir Gott! – weiter brauch ich Dir Nichts zu sagen – und nun komm.“

Nelly zitterte vor Angst und Entsetzen, allein sie wagte keine Widerrede, denn sie fühlte recht gut, in welche Hände sie gefallen war. Einen Willen hatte sie ja auch noch nie gekannt, seit ihrer Geburt, und schweigend, nur mit stillen Thränen, die sie nicht zurückhalten konnte und um die sich der Bube wenig kümmerte, gehorchte sie den Befehlen.

Die Bande, die sich fälschlich Regulatoren nannte, war indessen im Hause selbst beschäftigt, den teuflischen Anschlag auszuführen. Die beiden alten Leute waren bald gebunden, so daß sie sich selber nicht mehr helfen konnten. Einige rissen mittlerweile das trockene Moos aus den Betten und schichteten es um den Kamin her auf, dürres Holz gab es ebenfalls genug, die Stühle und der Tisch wurden darüber gestürzt und, wie sie mit Allem fertig waren, eine Hand voll Moos in die noch im Kamin glimmenden Kohlen geworfen. Das flackerte lustig auf und hatte im [402] Nu die anderen brennbaren Stoffe gepackt, und als die Flamme hell und züngelnd emporloderte, sprangen die Mörder nach ihren Pferden und schwangen sich in die Sättel.

Einer von ihnen hatte auch den alten Fuchs herbeigebracht und an die Leine genommen.

„Was willst Du denn mit der alten Kracke, Ned?“ rief der Führer, der daneben stand. „Die Bestie ist doch wahrhaftig nicht des Mitnehmens werth.“

„Sollen wir sie zurücklassen?“

„Bah,“ sagte der Bube, indem er sein Bowiemesser aus der Scheide zog und es dem armen Thier zwischen die Rippen stieß, „laß die Leine los, den Aasgeiern haben wir doch mit unserem Feuer den Spaß verdorben und sind ihnen einen Ersatz schuldig. Sie mögen sich daran eine Güte thun – und nun fort. Wir haben schon zu lange gezögert.“

Mit den Worten schwang er sich hinter der Negerin auf’s Pferd, und wenige Secunden später, während der dichte, schwarze Qualm aus der angezündeten Hütte emporstieg, war der wilde Schwarm im Unterholz verschwunden, nur die entsetzlichen Spuren seines Verbrechens in dem zerstörten Frieden dieses Platzes zurücklassend.


5. Die Moderatoren.

Der Theil des Jenkins’schen Wohnhauses, an dem der Kamin lag, fing schon an lichterloh zu brennen. Dichter Rauch quoll aus den überall offenen Ritzen der zusammengelegten Stämme und schon leckte die züngelnde Flamme hervor, als eine scheue dunkle Gestalt aus dem Gebüsch kroch. Wie sie die Lichtung erreichte, blieb sie stehen – es war Sip – sah sich scheu um und rannte dann auf das brennende Haus zu.

Wäre der innere Raum geschlossen gewesen, so hätte der Rauch die darin Festgebundenen lange erstickt, ehe sie die Flamme selbst nur erreichte. So aber fand jener überall, wohin er drang, freien Durchzug, und da er nach oben preßte, blieb auch, für jetzt wenigstens noch, der untere Raum, in dem die beiden alten Leute gefesselt lagen, frei davon.

Sip, der Negerbursche, der jetzt zu ihrer Rettung herbeieilte, sprang, unbesorgt um seine eigene Sicherheit, mitten in den Rauch hinein, und ein Blick hier bestätigte das Entsetzlichste, das er nur gefürchtet haben konnte. Im Anfang hielt er auch Beide schon für todt, denn der Rauch und vielleicht auch Angst und Aufregung hatten sie betäubt, als er aber den ersten Körper, seinen alten Herrn, auffaßte, um ihn hinauszutragen, und fand, daß er gebunden war, erwachte in ihm der Gedanke an die Möglichkeit einer Rettung. Im Nu hatte er die Banden mit dem Messer, das er im Gürtel trug, durchschnitten und den Bewußtlosen auffassend, schleppte er ihn vor die Thür an die freie Luft und sprang dann zum zweiten Male hinein, seiner Herrin denselben Liebesdienst zu leisten.

Und Nelly, war auch sie hier festgebunden? Vergebens suchte er in dem brennenden Gebäude nach ihr, aber er wußte auch, daß die schlechten Menschen einen armen Nigger, der so viel hundert Dollars werth war, nicht nutzlos umbrachten. Was sie damals gedroht, hatten sie heute ausgeführt und Nelly war für immer für sie verloren.

Doch nicht mit nutzlosen Klagen verlor er seine Zeit. Die beiden im Haus stehenden Eimer mit Wasser goß er in die Gluth, daß ihn der Qualm fast zu ersticken drohte, sprang dann zum Bach und holte mehr, riß die brennenden Scheite heraus, warf sie in’s Freie und dämpfte endlich das Feuer, das noch nicht Zeit gehabt hatte, zu den trockenen Schindeln emporzulecken. Dann eilte er zu den Befreiten zurück und jubelte laut auf, als er dem offenen, auf ihn gerichteten Blick seines Herrn begegnete.

„Sip,“ sagte dieser leise, „braver Bursch!“

„Armer, armer Herr!“ rief der Neger und die Thränen liefen ihm an den schwarzen Backen nieder, „o die grausamen, schlechten Buckras, die bösen weißen Männer! – Indianer hätte mehr Mitleiden mit armer Frau gehabt.“

„Laß sein, Sip,“ sagte Jenkins, der eine andere Meinung von den Rothhäuten hatte, „Indianer machen’s auch nicht besser; aber gieb mir Dein Messer, so, das ist recht, daß ich erst die Stricke hier von den Armen bekomme und – wie haben sie meiner armen Alten mitgespielt! Hast du Wasser?“

„Hier, Massa, ganzen Eimer voll.“

„Hast Du das Feuer im Haus gelöscht?“

„Alles aus, Massa, hat nur ein Bischen gekohlt.“

Der Alte wandte hierauf seine ganze Aufmerksamkeit seiner Frau zu, die er im Arme hielt und der er Stirn und Schläfe wusch, bis sie die Augen wieder aufschlug und jetzt ein lindernder Thränenstrom, als sie den Gatten frei und gerettet sah, ihrem fast zu Tod geängstigten Herzen Luft machte und es erleichterte.

Der alte Jenkins hielt sich jedoch nicht lange mit Worten auf. Sobald er nur die Frau dem Leben wiedergegeben hatte und sah, daß er für sie nichts weiter zu besorgen brauchte, denn ihre kräftige Natur sollte wohl bald jede Schwäche besiegen, stand er auf und ging in sein Haus, um selber dort nachzusehen, wie weit die Verwüstung sich erstreckt hatte.

Seine Büchse, sein Messer, er suchte sie vergebens, aber auch nicht lange. Nur einen flüchtigen Blick warf er danach umher, dann trat er in die linke Ecke, wo noch ein altes Messer in einer Spalte stak, schob es sich in den Gürtel und schritt wieder hinaus vor das Haus, zu dem kleinen Dogwood, der ihn bei seiner Schmach gehalten. Nicht einen Blick warf er dort umher, sein Herz war jeder Sentimentalität fremd, nur den Hut nahm er auf, der ihm herabgefallen, und wandte sich dann zu seinem alten Fuchs, der langgestreckt und verendet vor dem Hause lag.

„Armer Alter!“ sagte er, indem er ihm den Zaum abnahm und sich umhing, dabei aber auch noch die daran geschlungene Leine um seinen Gürtel befestigte. „Du warst ihnen wohl zum Stehlen zu schlecht und aus bloßem Muthwillen haben sie dich umgebracht. Aber laß nur sein, mein Alter, ich gleiche deine Rechnung mit aus, sei nicht ängstlich, wir werden quitt werden, ehe vierundzwanzig Stunden vergehen, oder – ich liege so kalt und starr wie du da,“ setzte er leise mit zusammengebissenen Zähnen hinzu.

„Du willst doch nicht schon wieder fort, John?“ bat die Frau, als sie ihn so gerüstet sah, „soll mich die Angst hier verzehren?“

„Glaubst Du, daß ich eine Nacht in diesem Walde ohne Büchse sein möchte?“ entgegnete ihr der Gatte; „nein, hab’ keine Sorge, heute kehren die Schurken nicht hierher zurück, denn sie glauben ihre Arbeit gethan, und daß Du sie morgen nicht mehr zu fürchten brauchst, dafür, Alte, laß mich sorgen.“

„Und zu Fuß, mit Deinem armen, zerschlagenen Rücken willst Du fort? Wenn Du nun im Walde krank und schwach wirst?“

„Sorge Dich nicht um mich. Da ich das ertragen habe, ficht mich auch nichts Anderes mehr an.“

„Und wohin willst Du?“

„Nach Brownsville. Die Nachbarn sind heute Abend alle dort versammelt, und noch in der Nacht kehren wir hierher zurück und bringen Dir ein Bett mit.“

„Noch in der Nacht hierher?“

„Erschrick nicht, wenn Du uns kommen hörst. Es sind Freunde und morgen, will’s Gott, befreien wir diese Gegend von jenen Schuften.“

„Und sind die nicht lange geflüchtet? und unsere arme, arme Nelly!“

„Laß gut sein, Alte. Leb wohl!“ sagte Jenkins. „Sip, paß’ mir gut auf, mein Bursch, dann darfst Du auch morgen früh mitgehen und Nelly suchen helfen,“ und mit den Worten wandte er sich ab, um in den Wald hineinzugehen, blieb aber schon nach den ersten Schritten wieder stehen. Hatte er Etwas vergessen? Seine Büchse fehlte ihm. Die Zähne aufeinanderbeißend, setzte er seinen Weg fort.

Hatten die Schufte aber etwa auch sein Pony gefunden und es – mißhandelt und vollkommen hülflos – im Wald zurückgelassen? Nein, Gott sei Dank, das wenigstens war ihrer Raubgier entgangen. Er fand es noch auf seinem alten Weidegrund, ging zu ihm, legte ihm den Zügel an, stieg langsam, mit Hülfe eines umgebrochenen Baumstammes, auf den Rücken des Thieres und sprengte dann, was das Pony laufen konnte, durch den Wald.




In Brownsville hatten sich inzwischen die Squatter verabredetermaßen wieder eingefunden, um sich heute ihre bis dahin gemachten Entdeckungen mitzutheilen und weitere Schritte zu berathen. Schon war es ziemlich spät geworden, und Jenkins fehlte noch immer und von den Uebrigen aber hatte Niemand etwas Erhebliches [403] erfahren, nichts wenigstens, was auf eine directe Spur der Verbrecher führen konnte. Auch Ashley war mitgekommen. Er sah noch bleich und erschöpft aus, mit blutunterlaufenen Augen und finster zusammengezogenen Brauen. Er allein machte auch einen Vorschlag zum Handeln.

Als ihn die Bande überfiel, hatten sie zusammen von Jonesboro gesprochen; dorthin, oder wenigstens der Richtung zu, führten auch die meisten Fährten und der Backwoodsman schwor in wildem Grimm, daß er, wenn er nur einen der Buben dort anträfe, das ganze Nest in Brand stecken und von der Erde vertilgen wolle.

Dagegen stimmten aber die Uebrigen, so lange sie nicht wenigstens einen festeren Halt für ihren Verdacht hatten, als nur die ungefähre Richtung der Fährten. Man wußte nicht einmal ganz genau, ob es die nämlichen Pferde seien, die sie dort gespürt, und Jäger oder Landsucher durchkreuzten ja nach allen Richtungen den Wald. Von den Männern aber, die Ashley damals überfielen, hatte dieser nicht einen Einzigen gekannt oder sich erinnert, ihn früher in der „Range“ gesehen zu haben. Netley war ebenfalls nicht dabei gewesen, das wußte er gewiß, auch der Mann mit dem abgeschnittenen Ohre nicht. Ashley fand das übrigens ganz natürlich.

„Sie hätten mich sonst nicht dürfen leben lassen,“ setzte er mit fest zusammengeknirschten Zähnen hinzu, „wenn ich auch nur einen der Schufte erkannt hätte; denn daß ich dem nicht wieder von der Fährte gegangen wäre, so lang ich noch athmete, das durften sie etwa wissen.“

„Jungens,“ sagte Billins, der schweigend und nachdenkend auf seine Büchse gelehnt dagestanden hatte, „ich will Euch einmal etwas sagen. Jenkins war einer der Eifrigsten von uns Allen und Feuer und Flamme für die Sache, und daß er jetzt nicht da ist, gefällt mir nicht. Dem haben sie schon einen ersten Besuch abgestattet und einen zweiten angedroht; wenn der Teufel am Ende sein Spiel haben sollte –“

Klappernde Hufschläge unterbrachen ihn, und als sich Alle rasch und neugierig dorthin wandten, sprengte der alte Jenkins, auf vollständig triefendem Pferde, das Gesicht todtenbleich, die Haare wirr um die Stirn flatternd, das Hemd zerfetzt von Dornen und mit Blut bedeckt, mitten zwischen die erschreckt zur Seite eilende Schaar hinein, erst hier sein wildgehetztes Thier einzügelnd.

„Jenkins!“ schrieen die Backwoodsmen wie aus einem Munde, „um Gotteswillen, Mensch, wie seht Ihr aus, wo kommt Ihr her?“

Der Alte antwortete ihnen nicht. Er sah sich stier im Kreis um und wäre jetzt von seinem Pferde heruntergefallen, wenn sich nicht zehn, zwölf Arme zu gleicher Zeit ausgestreckt hätten, ihn zu unterstützen. Sie ließen ihn sanft auf die Erde nieder; aber der Alte war keine Natur, die sich leicht von einer Schwachheit besiegen ließ. Nur mit dem Aufhören der scharfen Bewegung des Rittes, die seine Nerven in Thätigkeit gehalten, war es ihm schwarz und schwimmend vor den Augen geworden. Jetzt schon, noch ehe er den Boden vollständig erreicht und während ein paar der Leute nach Wasser und Whisky sprangen, gewann er seine Besinnung wieder.

„Es ist gut, Kinder, ich danke Euch, ’s ist schon vorbei, ich bin ein Bischen stark geritten und mein Rücken schmerzte.“

„Aber was ist mit Euch geschehen?“ rief Ashley, „Ihr seid ja mit Blut bedeckt?“

„Gepeitscht,“ knirschte der Alte zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch.

„Gepeitscht, Ihr?“ schrieen Alle wild durcheinander, „von wem?“

„Von den Regulatoren,“ lachte der Alte höhnisch vor sich hin. „Aber erst einen Becher Whisky, Jungens, ich fange schon wieder an eine ganze Menge verdammter Sterne und Regenbogen zu sehen, auch einen Bissen zu essen möcht’ ich, seit heute Morgen bin ich noch nüchtern.“

„Die Regulatoren!“ Wie ein wilder Aufschrei ging indessen der Ruf durch die Versammlung und die tollsten nur denkbaren Flüche und Verwünschungen brachen von den Lippen der Männer bei dem Namen. Was sie aber bald rasend machte, war, daß sie keinen Halt von den Feinden wußten, die nur wie ein Gespenst hier und da zu einem Verbrechen auftauchten, um gleich darauf spurlos im Walde zu verschwinden.

Jenkins ließ sie toben; er trank von dem ihm gebrachten Whisky, der ihm neue Kräfte zu geben schien oder doch wenigstens mit wohlthätiger Aufregung auf ihn einwirkte, und verschlang gierig die ihm gebrachten Speisen, beantwortete aber in der Zeit keine der an ihn gerichteten Fragen und winkte nur immer abwehrend mit der Hand, ihn in Ruhe zu lassen. Endlich war er fertig.

„Gebt mir eine wollene Decke, Einer von Euch, mich fängt an zu frösteln, und die Hunde haben mir Alles mitgenommen.“

Das Verlangte war alsbald gebracht; er wickelte sich hinein und während er auf einem alten Baumstumpf saß und Alle, selbst die Frauen jetzt umherdrängten, um seine Erzählung mit anzuhören, stattete er ihnen mit kurzen einfachen Worten einen Bericht über das Geschehene ab. Er verschwieg Nichts, setzte aber auch Nichts hinzu, und die Thatsachen waren schon an sich entsetzlich genug, um die Hörer zu grenzenloser Wuth anzutreiben. Allein wohin? Jetzt theilte er ihnen die Entdeckung mit, die er an dem nämlichen Morgen gemacht, kurz, aber mit so scharfen klaren Worten, daß ein Zweifel an dem Thatbestand nicht mehr möglich blieb.

Und das was er erzählte, so weit es das eigentliche Terrain betraf, ergänzte Ashley, der selber, als er hierher zog, jene Schilfstrecken durchwandert hatte, weil er früher einmal beabsichtigte, eine Holzstation für die schon damals beginnende Dampfschifffahrt auf dem Red River anzulegen. Er kannte den Grund und Boden dort genau, auch jene Slew, die eine Strecke vorher, ehe sie in den Red River einmündete, links ausbog und dann in ein Gewirr von eingebrochenem Holz hineinströmte, so daß von dieser aus keine directe Verbindung mit dem Strome selber möglich war. Aber ein Platz zu einem Versteck war dort allerdings, und er selber hatte in jenen Tagen ein großes Rindendach dort aufgebaut und ein paar Nächte darunter gelagert. Die Idee einer Ansiedlung an jener Stelle gab er aber doch zuletzt wieder auf, denn die Mosquitos waren zu arg und die Dampfer blieben aus, da sich das unten im Red River befindliche sogenannte Raft (zusammengeschwemmte Baumstämme, die sich da angewaschen) wieder verstopfte und eine lange Zeit keine Boote passiren ließ.

Hatten also die Verbrecher jenen Platz wirklich zu ihrem Versteck gewählt, so schwur Ashley Stein und Bein, daß sie nirgend anderswo sitzen könnten, als unter seinem eigenen alten Rindendache, und saßen sie dort, so waren sie auch gefangen, wenn man ihnen nur den Weg nach dem Strom abschneiden konnte. Dazu gab es indeß ein Mittel. Vor allen Dingen mußten sie sich Joe’s Canoes versichern und diese mit einem Theil ihrer Leute bemannen. Die Anderen stürmten dann den Platz, und so war es in der That möglich das Raubnest, das ihnen Allen hier Verderben drohte, aufzuheben und zu zerstören.

Border machte jetzt den Vorschlag, morgen am Tag alle die aufzubieten, die sie erreichen könnten, und übermorgen nachher einen gemeinsamen Angriff auszuführen.

„Uebermorgen?“ schrie da Jenkins, „und glaubt Ihr, daß übermorgen auch noch ein Mann von jenen Schuften da drinnen sitzt, noch ein Haar von unseren Pferden zurückgeblieben ist? Nein, bei Gott nicht; die Frechheit, mit der sie den Ueberfall bei mir, der ich in ihrer nächsten Nähe wohne, ausgeführt und die Sorglosigkeit selber, mit der sie mich und meine arme Alte auf grausame Art um’s Leben bringen wollten, zeigt deutlich, daß ihnen Nichts mehr daran liegt, wie viel Lärm in dieser Gegend über eine solche That geschlagen wird. Nein, die sind zum Abfallen reif, und nicht übermorgen oder selbst nur morgen, noch diese Nacht, noch diesen Abend, jetzt, in dieser Stunde müssen wir aufbrechen, wenn wir sie überhaupt erwischen wollen.“

„Alle Teufel,“ sagte Border lachend, „das hieße allerdings Schlag auf Schlag, aber ich glaube, Jenkins hat Recht, und das würde dann auch in Zukunft diesen Herrn Regulatoren die Ueberzeugung beibringen, daß sie nicht lange ungestraft ihr Wesen treiben dürfen.“

„Regulatoren!“ schrie Ashley, „und sollen wir dulden, daß diese Canaillen den ehrlichen Namen von Regulatoren, vor dem sie selber aus den Staaten herüber flüchteten, entweihen? Bei Gott, von jetzt an kann ihn kein rechtlicher Mann, solchen Schurken gegenüber, mehr in Texas führen.“

„Dann nehmen wir einen anderen,“ sagte Jenkins, „‚Moderatoren‘ wollen wir uns nennen und von jetzt ab einen festen [404] Bund gründen und regelmäßige Versammlungen halten, und seid versichert, wenn wir heute damit beginnen, jene Buben in ihrer noch geträumten Sicherheit zu fassen und zu vernichten, so wird der Name der Moderatoren für derlei Gesindel ein eben solcher Schrecken in Texas werden, wie es der der Regulatoren für sie in Arkansas war.“

„Gut, Jenkins!“ rief Ashley, „dann nehmt Ihr auch die Führung unseres neuen Bundes, und ich will Euch treu zur Seite stehen. Ich glaube, wir sind dabei ohnedies die Aeltesten unter allen Nachbarn und haben Beide ein Hühnchen mit diesen Herren zu pflücken. Wann wollen wir fort?“

„Jetzt gleich,“ sagte der alte Mann von seinem Sitz aufspringend, „jede Minute, die wir versäumen, kann uns den Fang aus den Zähnen reißen.“

„Aber Sie doch nicht mit den Wunden!“ warf Mrs. Border ein, denn alle Frauen der kleinen Ansiedlung hatten sich um den alten Mann geschaart, „eher lasse ich Sie nicht fort, Mr. Jenkins, bis ich Sie nicht verbunden habe.“

„Ach was, Madame,“ entgegnete der zähe Alte, „so lange halte ich schon noch aus, bis wir die Hunde gezüchtigt haben, und nachher ist’s immer Zeit genug, an die alten Knochen zu denken.“

„Und wenn Euch unterwegs doch eine Schwäche ankommt,“ rief Border, „so haben wir den Führer verloren, denn von zwei Seiten müssen wir angreifen und Ashley kann nur auf einer sein.“

Der Alte wollte sich noch weigern, wurde aber überstimmt, und wahrlich, es that Noth, daß nach seinen Wunden gesehen wurde, noch dazu da man gar nicht wußte, welchen Anstrengungen man wieder entgegenging. Auch nur der zähe Körper, die eiserne Constitution eines Backwoodsman hätte solche Mißhandlung unerschüttert ertragen können, und erst als sie ihm das mit geronnenem Blut bedeckte und schon fest auf den Rücken geklebte Hemd mit warmem Wasser ablösten und dann den ganzen Rücken mit Branntwein wuschen, wurde er todtenbleich und lag ein paar Minuten bewußtlos. Doch auch diese Schwäche überwand der Alte. Er kam bald wieder zu sich, leerte einen halben Becher heiß gemachten Whisky auf einen Zug, ließ sich dann seine Wunden bepflastern und ordentlich verbinden, borgte sich frische Wäsche und verlangte, als der Verband noch nicht einmal fertig angelegt war, schon nach einer Büchse und Kugeltasche, um nicht zu viel Zeit zu versäumen.

Die Kugeltasche konnte er sich aber nicht einmal umhängen, weil ihn der Riemen drückte; er gürtete sich dieselbe um die Hüfte und gab jetzt keine Ruh, bis er die Männer zum Aufbruch gerüstet sah.

Betten für seine Frau, da ihm die Regulatoren ja Alles mitgenommen, hatte ihm Mrs. Border indessen schon zusammengeschnürt, weiches Moos hing überall genug an den Bäumen, das konnte sein Sip in einer halben Stunde genügend sammeln, und eben sank die Sonne hinter den dichten Wipfeln der Bäume, als die wilde Schaar der „Moderatoren“ zu ihrem Rachezug ausritt, der das Land von seiner Geißel befreien sollte.

Kein Mann blieb in Brownsville zurück. Selbst seine Neger hatte Border bewaffnet, und als Jenkins die kleine Schaar überblickte, zählte er einundzwanzig wehrhafte Männer und wußte, daß sie jetzt einer doppelten Zahl der Schurken überlegen wären. Doch mit so Vielen hatten sie es nicht einmal zu thun. Bei der Plünderung seines Hauses waren nur neun gewesen und man durfte annehmen, daß sich die größte Zahl der Verbrecher dabei betheiligt hatte. Jedenfalls wußten sie das gute Recht auf ihrer Seite und brannten vor Begierde mit dem Feind zusammenzutreffen.

Die Richtung nahmen Alle zunächst nach Jenkins’ Haus, das sie überhaupt passiren mußten, und von dort aus sollte dann der gemeinsame Angriff so geordnet werden, daß sie sich mit der Morgendämmerung auf ihren bestimmten und verschiedenen Posten befanden, um von dort aus gemeinschaftlich und mit einem Mal den Schlag zu führen. So nur war es möglich, daß die Verbrecher nicht vorher Warnung der ihnen drohenden Gefahr erhielten und sich der Strafe durch die Flucht entzogen.

Es wurde etwa Mitternacht, ehe sie Jenkins’ Haus erreichten, und leise Flüche und Verwünschungen murmelten die Männer in den Bart, als sie hier das Unheil sahen, das jene Buben angerichtet; nur Jenkins selber war der Ruhigste von Allen und schien alles Erlittene in dem einen Gefühl bald befriedigter Rache zu vergessen. Sein Rücken schmerzte ihn furchtbar, aber kein Laut der Klage kam über seine Lippen und er ordnete Alles an und dachte an Alles.

Netley war der, der ihn gepeitscht, er hatte ihn gut genug gekannt; dessen Haus mußte also, da es außerhalb des Schilfbruchs lag, vor allen anderen durchsucht werden. Ashley aber übernahm das, denn von jener Slew aus führte ein Weg oder Pfad in den Bruch hinein, den er allein kannte und auf dem es auch nur möglich war in das Dickicht zu dringen. Wurde der besetzt, so konnten die Verbrecher nach dieser Richtung nimmermehr entfliehen.

Billins überkam die Führung der Canoes und sechs Mann mit, um sich dort noch durch Joe und dessen Neger zu verstärken. Der alte Schwarze bei Joe sollte, wenn nöthig, als Lootse dienen, um die Mündung jener Slew zu besetzen, welche sein Herr damals zur Ansiedlung wählen wollte. Hatten die Verbrecher wirklich Canoes, so konnten sie nur von da aus ihre Flucht versuchen und dann mochten die Büchsen der Verfolger unter ihnen aufräumen.

Jenkins selber übernahm die Führung des kleinen Trupps, der von dort aus, wo er den Pfad entdeckt, also von Osten her, während Ashley die westliche Seite besetzt hielt, vordringen sollte.

Billins hatte den weitesten Weg und die meisten Vorbereitungen nöthig, sollte deshalb etwa um zwei Uhr Morgens aufbrechen, Ashley ihm etwa eine Stunde später folgen und Jenkins dann, ziemlich mit diesem zu gleicher Zeit zu der Slew hinüberschneiden und an dieser hinauf bis zu dem Fußweg vordringen. Jenkins und Ashley geriethen dadurch allerdings etwa anderthalb Meilen auseinander, aber wenn sie geräuschlos und vorsichtig ihren Weg verfolgten, durften sie hoffen sich wenigstens so weit einander zu nähern, daß sie gegenseitig das Knallen der Gewehre hören und dadurch auch den genauen Platz des Kampfes bestimmen konnten.

Keinesfalls blieb ihnen etwas Anderes übrig, als diesem klar und einfach vorgelegten Plane zu folgen, und sie durften unter solchen Maßnahmen bestimmt darauf rechnen, wenigstens einen Theil der Gauner in ihre Gewalt zu bekommen. Daß sich die anderen dann nicht wieder in diesem Theil von Texas blicken ließen, blieb außer Zweifel.

[429]
6. Der Marsch.

Mit diesen Vorberathungen, während die Leute an dem mitten auf dem Platze entzündeten mächtigen Feuer ihre mitgebrachten Provisionen zubereiteten und Jenkins’ große blecherne Kaffeekanne brodelte und zischte, rückte die Zeit des Aufbruchs heran. Billins sammelte die ihm zugetheilten Männer, schüttelte Jenkins und Ashley noch einmal die Hand und rüstete sich zum Marsch.

„Und denkt daran, Billins,“ rief ihm der Alte nach, „daß wir die Burschen lebendig haben wollen, spart Euer Blei soviel als möglich, denn eine Kugel ist zu gut für sie!“

,Habt keine Angst, Jenkins,“ sagte der junge Mann finster, nur im äußersten Fall schießen wir, mir liegt selber daran, daß ich die Schufte hängen sehe. Und nun kommt, Cameraden, wir haben noch einen ziemlichen Ritt und wollen machen, daß wir den Platz erreichen.“

Und fort trabten die sieben dunkeln Gestalten durch den Wald, während Ashley jetzt seine Schaar sammelte, um zuerst auf Netley’s Haus zu marschiren und von da den Bruch vorzunehmen. Auch diese waren beritten, um den noch ziemlich weiten Weg rasch zurücklegen zu können und dann lieber bis zur Morgendämmerung im Hinterhalt zu bleiben.

Jenkins behielt, da Ashley ebenfalls sechs von den Männern mitgenommen, noch sechs für sich, und mit Sip, der in Ermangelung anderer Waffen nur ein Beil und ein Messer bekam, waren sie jetzt acht Mann, aber sie ließen ihre Pferde bei Jenkins’ Haus, da sie kaum mehr als anderthalb englische Meilen zu gehen hatten, bis sie die Slew erreichten, und dort mit den Thieren doch nicht gut weiter konnten. Jenkins hätte auch wohl noch eine gute Stunde Zeit gehabt; allein es ließ ihm keine Ruhe. Was jeden Andern vielleicht ermattet und niedergeworfen, seine körperlichen Schmerzen, trieb ihn nur um soviel rückhaltloser zur Rache an, und er konnte den Moment nicht erwarten, wo er auf die Verbrecher einstürmen und Vergeltung, furchtbar blutige Vergeltung an ihnen üben durfte.

Nicht weniger eifrig waren seine Bundesgenossen in der Ausführung der ihnen ertheilten Weisung, und noch lange vor Tag erreichte Billins „Joe’s Ferry“, wie der Platz genannt wurde. In Sicht der Häuser schon zügelte der kleine Trupp seine Pferde ein. Am Wasser konnten sie mit den Thieren doch nichts anfangen und es war besser, sie hier frei zu lassen, daß sie die Zeit zur Weide benutzten. Rasch und leise wurde der Befehl gegeben, denn der wahre Jäger macht nie gern viel Lärm im Walde. Die Sättel und Decken mit dem Zaumzeug legten die Männer dann zusammen unter einen Baum und schritten zu Fuß den Häusern zu, um Joe zu wecken und Rücksprache mit ihm wegen der Canoes zu nehmen

Im Haus schlief noch Alles. Lichter waren wenigstens nirgends zu sehen, auch der Schein keines Feuers, aber am Fluß selber, der etwa fünfzig Schritt weiter entfernt lag, hörten sie Stimmen. Billins horchte hoch auf, denn es schien fast, als ob sich dort ein paar Leute miteinander zankten.

Einen Moment horchte er und flüsterte dann leise:

„Da sind Leute an den Booten, beim Himmel, was ist das?“

Der Fluß war ziemlich hoch, da in dieser Jahreszeit das Schneewasser aus den Felsengebirgen noch herunterkam, die Uferbank aber doch noch zu steil, als daß sie von hier aus die Stelle, wo die Canoes lagen, hätten erkennen können. Die Stimmen kamen jedoch jedenfalls vom Wasser herauf, und die kleine Schaar der Moderatoren glitt jetzt, ohne weiter ein Wort miteinander zu wechseln, rasch und geräuschlos der Landungsstelle zu, an der sie, auf ein Zeichen von Billins, einen Augenblick hielten.

„Gemmen,“ sagte die Stimme des alten Negers Nero, die Billins gut genug kannte, „Massa hat Schlüssel zu Canoe, muß erst Massa wecken, wenn Sie Canoe haben wollen, und ist jetzt noch dunkle Nacht, Massa wird schimpfen.“

„Aber ich habe Dir ja gesagt, Wollkopf,“ rief der eine der Männer, „daß wir nur unser eigenes Canoe haben wollen, das am anderen Ufer liegt, in einer halben Stunde sind wir mit dem zurück.“

„Ach, mach’ keine Umstände, Bob,“ sagte der Andere, „dreh die verfluchte Kette ab. Die Zeit vergeht und wir können uns mit dem Nigger nicht die halbe Nacht herumstreiten.“

„Das sind Regulatoren und wollen die Canoes stehlen,“ flüsterte einer der Schaar Billins zu.

„Zwei von Euch rechts, zwei links die Bank hinunter,“ drängte Billins, „daß wir sie in die Mitte bekommen, rasch, sowie sie Wind kriegen, sind sie fort und geben Alarm.“

Wie die Schatten glitten die Jäger rechts und links ab, und von allen drei Seiten zugleich sprangen sie jetzt hinab, daß sie die drei Personen unten am Ufer in die Mitte bekamen.

„Halt! was geht hier vor?“

„Law de Mussy,“ rief der alte Neger erschreckt, „gar nichts, Gemmen wollen meine Canoes nehmen.“

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr mit den Fahrzeugen?“ rief Billins, indem er, die Büchse im Anschlag, an die Canoes hinuntersprang.

„Gehören sie Euch?“ frug der eine der Burschen finster.

„Ich will Dir etwas sagen, Camerad,“ entgegnete Billins, „komm einmal hier an’s Land, denn wir möchten Deine nähere Bekanntschaft machen. Die erste Bewegung zur Flucht und ich lasse den Mond durch Deinen Schädel scheinen.“

„Was wollt Ihr von uns? Wir sind friedliche Ansiedler,“ rief der Andere, „und wohnen gegenüber am Strom.“

„Gut, wenn das wahr ist, habt Ihr auch nichts zu fürchten,“ entgegnete ihm Billins, „aber da draußen können wir Euch nicht so gut erkennen, also kommt an’s Land. Bei Gott, ich verstehe keinen Spaß und mein Finger liegt am Drücker.“

Seine Gefährten hatten indeß die Boote umzingelt, Flucht der Fremden war nicht mehr möglich, wenn sie sich nicht durch Schwimmen und Tauchen retten konnten, wozu sie aber keine Lust zu haben schienen. Es blieb ihnen deshalb nichts Anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten, denn nicht einmal mit Feuergewehr versehen, hätten sie sich gar nicht widersetzen können. Mürrisch und mit leisen, zwischen den Zähnen durchgemurmelten Flüchen verließen sie die dicht nebeneinander hängenden Canoes, von denen schon Jeder eines betreten hatte, und sagten:

„Nun, Sir, was giebt’s, daß Sie friedliche Leute in solcher Art überfallen?“

„Das sollt Ihr gleich hören, meine Burschen,“ sagte Billins, der noch immer mit der Büchse zum Schuß fertig am Ufer stand und jetzt nur ein paar Schritt zurücktrat, um ihnen Raum zu machen. „Ihr seid vor der Hand unsere Gefangenen, sträubt Euch nicht, denn Keiner von uns ist aufgelegt, viel Umstände zu machen.“

„Euere Gefangenen? Weshalb?“

„Steven und Brawny, Ihr habt ja wohl die Seile,“ fuhr Billins fort, ohne sie einer Antwort zu würdigen, „bindet ihnen einmal die Hände auf den Rücken. Bei dem geringsten Widerstand habt Ihr eine Kugel durch den Schädel – halt, rührt Euch nicht!“

„O Massa Billins,“ rief jetzt der Neger, der den jungen Mann erkannte, „sehr gut, daß Sie gekommen sind. Böse Kerle wollten armen Nero die Canoes wegnehmen.“

„Sie werden sie dalassen müssen, Nero,“ sagte Billins ruhig, „nun, wird’s bald? Glaubt um Gotteswillen nicht, daß wir Scherz mit Euch treiben; ich zähle drei, und wenn Ihr bis dahin nicht gutwillig die Arme ausstreckt, gebe ich Feuer – eins – zwei –“

„Ihr werdet uns Rechenschaft geben müssen, Sir, daß Ihr friedliche Männer so behandelt,“ sagte der Eine, während er aber doch die Arme ausstreckte, denn zu furchtbar nah’ und drohend war das tödtliche Rohr auf ihn geheftet, und Widerstand gegen die sieben Bewaffneten, mit keiner Aussicht zur Flucht, wäre hoffnungslos gewesen.

„Darauf könnt Ihr Euch verlassen,“ lächelte Billins ingrimmig in sich hinein, „so ist’s recht, bindet sie nur fest und gut. Wenn Ihr zu der Gesellschaft gehört, der wir jetzt auf den Fersen [430] sitzen, sollt Ihr auf die Rechenschaft nicht lange zu warten brauchen. Sie wird vielleicht früher kommen, als Euch lieb ist.“

„Zu der Gesellschaft?“ sagte der Zweite erschreckt, „wir wissen von keiner Gesellschaft.“

„Gut, das findet sich Alles, ich habe aber keine Lust, hier noch länger mit Euch zu verhandeln. Führt sie hinauf zum Haus, Leute. Thut mir leid, daß wir den alten Joe so früh im Schlafe stören müssen, läßt sich aber ein Mal nicht ändern.“

Joe schlief indeß nicht mehr, sondern hatte die lauten Worte, schon wach in seinem Bett liegend, gehört und kam jetzt heraus, um zu sehen was es gäbe. Billins, der ihn bei Seite nahm, theilte ihm mit kurzen Worten das Vorgefallene und ihre jetzige Absicht mit, und der Alte ließ sich denn auch nicht lange bitten, von der Partie zu sein, ja, wollte nicht einmal davon hören, selber am Hause zu bleiben und auf die beiden Gefangenen acht zu geben, und erst, als ihm der junge Backwoodsman die Gefahr vorstellte, der sie Alle ausgesetzt sein könnten, wenn die beiden Gefangenen entsprängen und vorzeitig Alarm gäben, verstand er sich dazu. Aber seine vier Neger mußten mit, alle miteinander, sie konnten die Canoes rudern und Nero sollte als Pilot dienen.

Die Canoes waren eigentlich sogenannte Piroguen, wohl gearbeitet wie ein Canoe und aus einem einzigen Baumstamme ausgeschlagen, aber aus großen Cypressen, deren Holz sich ganz vortrefflich dazu eignet, und groß genug, jede von ihnen zehn Personen mit Leichtigkeit zu tragen. Die Neger wußten außerdem vortrefflich mit ihnen umzugehen und Billins fühlte sich jetzt überzeugt, daß sie mit diesen Fahrzeugen ihren Auftrag genügend ausführen konnten. Wenn die Männer im Wald drin ebenso ihre Schuldigkeit thaten, so waren die Verbrecher verloren. Allerdings versuchte er jetzt, von den Gefangenen Etwas über die Stärke des Trupps zu erfahren, fand aber das bald vergebene Mühe, denn die Burschen leugneten Beide standhaft das Geringste von einer im Schilf versteckten Schaar zu wissen und blieben bei ihrer Behauptung, daß sie friedliche Ansiedler von der anderen Seite des Stromes wären. Es war nichts weiter aus ihnen herauszubringen, verdächtig machte sie aber, daß sie sich in der Angabe der Gegend, wo ihre Hütten stehen sollten, verwirrten, und Joe, der fast jeden Fußbreit Raum am anderen Ufer kannte, hatte sie bald so fest gefahren, daß sie endlich erklärten, sie wären erst seit drei Tagen in der Nachbarschaft und wüßten noch nicht recht Bescheid im Walde. Das Canoe eines vorbeikommenden Flachbootes habe sie übergesetzt, weil sie sich hier einmal umsehen wollten.

Das Alles war viel zu unwahrscheinlich, als daß es den schon gefaßten Verdacht nicht noch hätte verstärken sollen. Joe versprach deshalb auch, gute Wacht über sie zu halten, bis die Boote zurückkehren würden; daß ihm keiner entwische, dafür stand er ein, und als die Nachbarn erst noch einen Becher Kaffee getrunken, den ihnen die alte Dame schnell bereitete, wie sie sich auch dagegen sträubten, sie zu belästigen, machten sie sich zum Einschiffen fertig. Die Whippoorwills sangen schon ihren monotonen Ruf im Walde, ein sicheres Zeichen, daß der Morgen nicht mehr fern, und über die Wipfel der Bäume im Osten trat die Venus und sandte ihr blitzendes Licht herüber.

Nach Nero’s, des alten Negers, Aussage mochten sie etwa eine gute Viertelstunde brauchen, um mit der ziemlich raschen Strömung des Red River niedertreibend jenen Platz zu erreichen, auf dem unfern von einander zwei dieser Slews oder Bayous ausmündeten. Die obere war die, an welcher Netley sein Haus hatte, die untere die nämliche, an der Jenkins die Spuren entdeckt, und zwischen den beiden sollte Nero’s Beschreibung nach die Stelle liegen, auf der eine alte Shanty oder Hütte stand und wo sich also auch jetzt wahrscheinlich diese sogenannte Regulatorenbande festgesetzt hatte. Dicht über der oberen Bayou lief aber eine kleine Landzunge aus, unter deren Schutz sie liegen bleiben und, selber unbeachtet, Alles überwachen konnten, was an jener Stelle im Wasser vorging. Dorthin ruderten sie auch, um mit vollem Tagesanbruch gleich am Orte zu sein und keine Zeit zu versäumen.

Ashley hatte indessen ebenfalls sein Ziel erreicht und Netley’s Hütte vorsichtig und geräuschlos umzingeln lassen; aber der Vogel war nicht allein ausgeflogen, sondern sie fanden auch in der Hütte, in der sie rasch ein Feuer anzündeten, keine Spur, daß dieselbe in den letzten Tagen überhaupt bewohnt gewesen. Die Ueberreste von angebrannten Holzstücken im Kamin waren jedenfalls mehrere Tage alt, und sonst schien der frühere Besitzer auch nicht das Geringste von seinem Eigenthum zurückgelassen zu haben.

Ashley hatte das übrigens kaum anders erwartet, denn daß sich der Mann bei einem Ueberfalle, wie der bei Jenkins, betheiligen und dann noch in einem nahebei gelegenen Hause geblieben sein solle, war zu unwahrscheinlich. Jedenfalls hatten sie die Vorsicht brauchen müssen, sich darüber vorher Gewißheit zu verschaffen, und jetzt konnten sie hier im Hause in aller Bequemlichkeit die Morgendämmerung abwarten, da gerade von hier aus auch der Pfad in den Schilfbruch einmündete.

Nicht so geduldig erwartete der alte Jenkins mit seinem Trupp diesen Augenblick, ihm brannte der Boden unter den Füßen. Noch war es finstere Nacht, als er mit den Seinen die Slew erreichte, und da hier das Schilf schon begann, mußten sie sich Schritt vor Schritt den mühsamen Weg hineinbahnen, der dadurch gefährlich wurde, daß sie ihre Augen kaum genug vor den überall vorstehenden Rohrstümpfen hüten konnten. Aber er ließ deshalb nicht nach, und mit dem Wasser zur Rechten, das ein Verirren in der Dunkelheit unmöglich machte, rückten sie, wenn auch langsam, doch stet vor, bis sie die Stelle erreichten, wo die Slew jene Biegung machte.

Hier half nun kein weiteres Beeilen ihres Marsches, denn erreichten sie in der Dunkelheit noch ihr Ziel, so konnten sie eher den gut angelegten Plan verderben, als fördern. Wohl oder übel, sie mußten hier liegen bleiben und durften dabei auch nicht einmal ein Feuer anzünden, weil sie gar nicht wissen konnten, wie nah vielleicht die Shanty lag, und der Morgenwind, der sich jetzt erhob, strich scharf nach jener Richtung zu und schüttelte das Schilf, daß es wogte und rauschte. Kein lautes Wort wurde darum noch gesprochen, die Männer verkehrten flüsternd miteinander und kauerten sich endlich, Jeder in seine Decke gewickelt, die sie bis dahin zusammengerollt auf dem Rücken getragen, hinter irgend einen Busch oder Baum, um den Morgen zu erwarten.

Länger war ihnen freilich noch keine Stunde ihres Lebens vorgekommen, als die, welche sie hier, dicht vor der Entscheidung, thatenlos und ruhig verträumen mußten. Und wie kalt dabei der Wind durch den Wald zog! Dem alten zerschlagenen Mann zitterte es mit Fieberfrost durch die Glieder und wirre, blutige Bilder tauchten auf in seinem Hirn und flimmerten und blitzten ihm vor den geschlossenen Augen. Aber das Bewußtsein, bald, sehr bald Vergeltung an denen üben zu können, die ihn und sein Weib mißhandelt und sein Eigenthum geraubt, ließ kein Gefühl der Schwäche in ihm aufkommen. Ingrimmig biß er die Zähne aufeinander und fühlte an seinem Puls die Secunden, die ihn noch von seiner Rache trennten.

Da horchte er empor. Der Whippoorwill lockte im Busch, rasch richtete er sich auf. Schilf und Holz verbargen wohl die Aussicht, standen aber nicht so dicht, um den mattgrauen Schimmer zu verdecken, der sich schon im Osten zeigte, und wie hoch war der Morgenstern gestiegen, ohne daß er ihn bis jetzt bemerkte. Der Tag graute, die Dämmerung in diesen Breiten ist kurz, und bald durften sie hoffen den Pfad erkennen zu können, der sie dem Feind entgegenführen sollte.

Leise und vorsichtig weckte er seine Leute, die nur den Schlaf von den Wimpern schüttelten und dann eben so lautlos wieder ihre Decken zusammenschnürten, um im Marsch nicht von ihnen behindert zu werden.

Der graue Streifen im Osten wurde heller und breiter, schon goß sich ein mattes Dämmerlicht über den Wald und die Leute öffneten die Pfannen ihrer Büchsen, das durch die Nachtluft vielleicht feucht gewordene Pulver durch frisches zu ersetzen, denn ihrer Waffen mußten sie sicher sein.

Jetzt graute der Tag, der alte Jenkins hatte im Dunklen den richtigen Platz getroffen, kaum zehn Schritt vor ihnen lief der braune Pfad durch den Bruch, den er gestern Morgen hier zuerst gefunden, und nun war auch keine Zeit mehr zu verlieren, denn möglicher Weise mußten sie ja noch diesem eine lange Strecke folgen.

Jenkins hob den Arm – kein Laut sollte mehr gesprochen werden, und die Büchse, den Lauf nach vorn, in der Hand, um sie augenblicklich zum Gebrauch bereit zu haben, drängte er sich durch das Schilf, das ihn noch von dem Pfad schied, und schritt [431] rasch auf diesem hin, während die Seinen ihm in indianischer Reihe[2] – Einer hinter dem Andern – folgten.

Eine Viertelstunde und vielleicht nicht so lange mochten sie so marschirt sein, als Jenkins plötzlich überrascht stehen blieb, denn vor seinen Füßen theilte sich der Pfad, und während eine Abzweigung mehr rechts dem Strom zulief und auf dieser waren die Pferde transportirt worden, lenkte der andere mehr links ab, oder zog sich vielmehr gerade in den Bruch hinein.

Welchem sollten sie folgen? denn er durfte nicht daran denken seine überdies schon schwache Schaar zu theilen. Sie wären verloren gewesen, wenn sie auf den ihnen jedenfalls weit überlegenen Feind trafen. Schon wollte er sich zurück zu den ihm Folgenden wenden, um einen kurzen Kriegsrath zu halten, als ein trockenes Schilf knickte – jetzt noch eins – als ob Jemand durch das Rohr schlüpfe. Hatten sie ein Stück Wild aus seinem Lager aufgescheucht, oder war es einer der Feinde, der ihnen hier in den Weg lief? Der alte Mann hob unwillkürlich die Büchse und lag im Anschlag, lebend hätte Jener den Platz nicht wieder verlassen. Ha – dort erkannte er eine dunkle Gestalt, die durch das Dickicht schlüpfte – gerade auf sie zu – warnend hob er die linke Hand, sie Alle hatten das Geräusch ebenfalls gehört, aber Keiner rührte sich. Wie aus Stein gehauen standen die dunklen Gestalten und näher und näher kam der Flüchtige.

[438] Noch war es nicht heller Tag; die Sonnenscheibe berührte allerdings schon den Horizont, aber im Walde selber lag noch Dämmerung, wenn sich die nächsten Gegenstände auch deutlich erkennen ließen. Jedenfalls hatten die Moderatoren schon, was man „Büchsenlicht“ nennt; es war so hell, daß der Jäger das Korn an seiner Büchse im Visier unterscheiden kann, allein die Gestalt schien keine Ahnung der nahen Feinde zu haben, die mit ihren waldfarbenen Jagdhemden auch allerdings in Nichts von dem sie umgebenden Dickicht abstachen. Jetzt war sie auf kaum zehn Schritt herangekommen und erkannte den Pfad, als Jenkins plötzlich mit erstaunter, aber vorsichtig gedämpfter Stimme rief: „Nelly!“

Die Flüchtige stutzte und erschrak, einen Moment stand sie wie unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte, doch im nächsten erkannte sie ihren alten Herrn, stürzte mit einem Freudenschrei auf ihn zu, warf sich vor ihm nieder und umklammerte seine Kniee.

Und wie sah die Unglückliche aus! Ihr Antlitz war aschfahl geworden, die dünnen Kleider hingen ihr, von dem Rohr zerrissen, nur noch in Streifen um die Glieder, und scheu und entsetzt flog ihr Blick zurück, als ob sie die Verfolger noch immer auf ihren Fährten fürchte.

Des alten Jenkins Frage brachte sie aber bald wieder zu sich selber. „Wo sind sie?“ flüsterte er leise.

„Dort,“ sagte das Mädchen und zeigte entsetzt mit dem Arm zurück.

„Wieweit?“

„Gar nicht weit mehr, dicht am Fluß.“

„Wie viel?“

„Elf Mann, zwei wurden heute Nacht fortgeschickt, um Master Joe’s Canoes zu holen, sind aber noch nicht zurück.“

„Haben sie kein Canoe im Fluß?“

„Ich habe keins gesehen, aber ein Floß haben sie gebaut und die Pferde heute Morgen hinaufgeschafft, und fünf Neger sind auf dem Floß. Sie wollen fort, sie warten nur auf die Canoes.“

„Aber in der Slew ist ein Canoe?“

„Ja, aber ein kleines, das nur zwei Mann tragen kann. Sie haben es vorhin in den Fluß hinüber geschleppt.“

[439] Der alte Jenkins warf, während sich der kleine Trupp schweigend und gespannt um ihn schaarte, den Blick umher. Mit jenem Instinct, der allen diesen Leuten eigen ist, die ihre Lebenszeit im Wald verbracht, hatte er sich jetzt in dem ihm fremden Terrain zurecht gefunden. Er hob die Hand, um den Zug des Windes zu fühlen, derselbe kam genau von Osten und trieb in den Bruch schräg hinein[WS 1] und nach dem Fluß zu.

„Schlag einer von Euch Feuer; rasch, wir dürfen keine Zeit versäumen!“

Im Nu hatten Zwei ihren Stahl und Schwamm herausgeholt.

„Ihr Anderen sammelt trockenes Rohr – da hinein beginnt der alte Rohrbrand; wenn wir den Haufen dort zur Flamme bringen, läuft die Gluth in wenigen Minuten auf dieser Seite hin.“

„Aber dann jagen wir’s Ashley gerade entgegen,“ warf einer der Leute ein.

„So rasch geht es nicht,“ sagte Jenkins, „und der hat immer den Pfad zurück und kann im schlimmsten Fall die Slew zwischen sich und das Feuer bringen – brennt es noch nicht?“

Sip hatte am schnellsten Feuer bekommen, und aus einem hohlen Baum trockenes, dort hineingewehtes Laub raffend, that er den Schwamm dazwischen, schwenkte es durch die Luft und blies es bald zur hellen Flamme an.

„So – dort hinein – der Wind weht vortrefflich. Wenn das Feuer in Gang kommt, machen wir den oberen Pfad unpassirbar, auf dem anderen müssen sie uns dann in die Büchse laufen.“

Es bedurfte für diese Männer keiner weiteren Anordnung. Im Nu hatten sie begriffen, was ihr Führer bezweckte, und der hier beginnende alte Rohrbrand, durch den das noch stehen gebliebene Rohr abgestorben und trocken geworden, kam ihnen dabei wacker zu Hülfe. Rasch hatte auch Jeder von ihnen eine kleine Fackel aus trockenen Rohrstücken gemacht und entzündet; mit denen vertheilten sie sich, und kaum zehn Minuten später schlug die Flamme züngelnd empor und verwandelte sich mit fabelhafter Schnelle in eine Feuersäule, die querüber nach dem Fluß zu fraß und ein Durchdringen derselben, da man in dem zusammengebrochenen Rohr nicht rasch vorwärts konnte, zur Unmöglichkeit oder doch äußerst gefährlich machte.

Jenkins’ Augen leuchteten von wilder Freude, als er den Erfolg sah, den sein neuer Angriffsplan hatte. Aber er hielt sich nicht lange auf, die Wirkung ihrer List zu betrachten.

„Du gehst hier am Wasser hinauf,“ rief er Nelly zu, „und hältst Dich dort irgendwo im Dickicht versteckt, bis wir Dich abrufen, und nun vorwärts, Jungen, mir nach, jetzt haben wir die Hunde!“


7. Der Angriff.

John Jenkins war vierundsechzig Jahr alt, aber keiner der jungen Leute die ihm heute folgten, wäre im Stande gewesen ihm voraus zu kommen, so wild und kampfesmuthig und so jugendfrisch in dem Gefühl seiner Rache warf er sich der Gefahr entgegen.

Indessen waren aber auch die anderen beiden Abtheilungen nicht lässig in Erfüllung der ihnen anvertrauten Posten gewesen; Billins besonders war mit seinen beiden Piroguen scharf stromab gerudert, um jene Stelle zu erreichen, von der aus sie die Mündungen der Bayous beobachten konnten.

Der Platz erwies sich auch dazu ganz vortrefflich und Billins selber glitt, seine Canoes zurücklassend, über die schmale, dicht mit Schilf und Cottonwoodschößlingen bewachsene Landzunge hinüber, um zu beobachten, was da drüben vorging. Der Tag brach mit Macht an, die Vögel im Wald wurden lebendig, und große Ketten Wildenten und Gänse strichen über den Strom schwirrend dahin, ihre Aeßungsplätze aufzusuchen. Schon aber verloren die Wolken ihren rosigen Schein, die Sonnenscheibe blitzte durch die gegenüberliegenden Wipfel der Bäume, und noch immer lag die Wildniß still und ruhig – nur dort drüben – über der Bayou, hob sich ein dicker schwarzer Rauch empor, der konnte doch nicht vom Lagerfeuer der Verbrecher herrühren, die sich ihr Frühstück kochten, nein – er wurde breiter und mächtiger – das war ein Schilfbrand, der seinen schwarzen Qualm jetzt über den Bruch wälzte. Hatte da Jenkins gearbeitet, oder die Regulatorenbande vielleicht selber den Wald entzündet, um ihre Flucht in dem Rauch zu verbergen? Nicht lange jedoch sollte ihm Zeit zum Ueberlegen bleiben, denn jetzt plötzlich glitt ein kleines Canoe, aber nur von einem Manne gerudert, aus der Mündung der Bayou heraus. Wollte er fliehen? Nein, er hielt nur etwa zehn oder zwölf Schritt in den Strom hinaus, als ob er dagegenarbeiten wollte, er sah sich vielleicht um, ob die erwarteten Canoes noch nicht in Sicht kämen, konnte sich aber nicht gegen die Strömung halten und mußte aus Leibeskräften arbeiten, um nur wieder stilleres Wasser zu erreichen.

Billins wußte jetzt nicht, was er thun sollte. Vorbrechen und sich vor die Mündung legen? aber dann blieb er im offenen Wasser den Schurken mit ihren Büchsen vollständig preisgegeben, die aus ihrem Versteck heraus seine Leute einzeln wegblasen konnten, ohne daß er nur einen Hutrand von ihnen zu sehen bekam. Das ging auf keinen Fall. Und noch keine Zeichen weiteren Lebens, als der immer stärker und schwärzer emporqualmende Rauch. Ha! da fiel ein Schuß! der mußte von Ashley’s Partei gefeuert sein – oder war es ein Signal? Und jetzt regte sich Etwas drinnen im Schilf und rückte mehr und mehr heraus. Das Canoe kam wieder zum Vorschein, allein diesmal langsam – wahrhaftig, eine Leine zog es hinter sich her, zwei Männer saßen jetzt darin und sie ruderten aus Leibeskräften, aber sie zogen ein großes Floß hinter sich, auf dem eine Anzahl Pferde festzusammengekoppelt standen und Menschen darauf; Neger ruderten es und halfen dem vorgespannten Canoe.

Billins sah nicht mehr; wie eine Schlange glitt er durch das Gebüsch zurück und in seine Pirogue hinein.

„Fort!“ rief er, „sie fliehen! Jetzt haben wir die Canaillen!“ und im nächsten Augenblick schon stießen beide Fahrzeuge vom Ufer ab und schossen in den Strom hinaus. Im Anfang schienen sie auch von denen an Bord des Flosses nicht bemerkt zu sein, denn die hatten mit dessen Führung zu viel zu thun, um es frei in den Strom zu bekommen, daß es nicht unterhalb auf die dort angeschwemmten und eingestürzten Baume trieb. Das war auch wirklich kein leichtes Stück Arbeit, denn in dem Fall wäre es rettungslos verloren gewesen, ja, die Menschen hätten in der gurgelnden Fluth kaum selber zurück an Land kommen können. Alle arbeiteten denn auch mit gutem Willen, und es gelang ihnen, die gefährlichste Stelle zu passiren. Erst einmal von der wirklichen Strömung erfaßt und im offenen Wasser, brauchten sie Nichts mehr zu fürchten. Kaum aber hatten sie das eigentliche Fahrwasser des Stromes erreicht, das sie mit wilder Schnelle an den bisher so ängstlich gemiedenen eingebrochenen Baumwipfeln und ihren Wirbeln vorüberführte, als ein Schrei vom Bord aus die Aufmerksamkeit Aller nach außen lenkte, und jetzt erst entdeckten sie die beiden Piroguen, die mit der Strömung, und von den kräftigen Armen der Neger gerudert, rasch ihnen näher rückten.

Billins erkannte jetzt, daß sich auch zwei Weiße an Bord des Flosses befänden, als diese ihn nicht lange über ihre Absicht in Zweifel ließen, denn im Nu wurde der scharfe Blitz einer Büchse sichtbar, und die Kugel riß, in demselben Moment fast, einem der Männer den Hut vom Kopf.

„Alle Teufel, jetzt wird’s Ernst,“ lachte Billins, „aber ich denke, wir können ihnen da an Bord alle Hände voll zu thun geben,“ und ohne ein Wort weiter zu sagen, hob er seine eigene Waffe und feuerte auf die ihm nächste Gestalt, die eben ihre Büchse wieder lud und gerade vor den Pferden stand.

Ob die Kugel den Menschen getroffen, konnten sie nicht gleich erkennen, aber eins der Pferde bäumte hoch auf und brachte dadurch die anderen mit in Verwirrung. Sie drängten gegeneinander und fingen an auszuschlagen, das Floß schwankte und an ein ruhiges Zielen von dort her war nicht mehr zu denken.

Die Leute in den Piroguen sahen, wie ein paar von den Negern, um nicht von den Pferden getroffen zu werden, in’s Wasser sprangen und sich an dem Floß anklammerten, und das Canoe, das sich bis jetzt an dessen Seite gehalten, verschwand plötzlich dahinter, vielleicht nur um aus dem Bereich der Büchsen zu kommen. Billins ließ sich aber nicht auf Möglichkeiten ein.

„Die beiden Burschen im Canoe,“ rief er der anderen Pirogue zu, „geben Fersengeld; macht, daß Ihr dahinter herkommt. Wenn sie nicht gutwillig halten, schießt sie zusammen, ich nehme indessen das Floß.“

Die Pirogue beschrieb einen kleinen Bogen, um in Sicht der Flüchtigen zu gelangen, und die Leute legten sich aus allen Kräften in die Ruder. Billins selber war indeß dem Floß auf kaum fünfzig Schritt nahe gerückt. Die Neger suchten sich noch immer [440] vor den Pferden zu schützen, und der eine Weiße zielte mit seiner Büchse herüber, war aber nicht im Stand sich ruhig zu halten. Billins stand in der Pirogue und lud, jetzt hatte er die Kugel aufgestoßen, schüttete Pulver auf die Pfanne und hob die Büchse wieder. Der eine Weiße lehnte auf dem Rand des Flosses; er mußte von der Kugel getroffen sein. Der Andere drückte ab, aber es war nicht möglich gewesen ordentlich zu zielen, die Kugel zischte weit ab in’s Blaue und seine Waffe auf die Balken werfend, sprang er jetzt in die rothe Fluth hinein und tauchte unter. Es war der letzte Act der Verzweiflung gewesen; als er zwanzig Schritt davon wieder, von dem langen Anhalten des Athems halb betäubt, an die Oberfläche kam, war die erste Pirogue dicht neben ihm – noch einmal tauchte er – umsonst; er konnte es nicht mehr lange unter Wasser aushalten. Als er wieder nach oben kam, schoß das Fahrzeug neben ihm hin, und der eine Neger, der vorn am Ruder saß, erfaßte ihn gerade bei den langen Haaren, als er noch einmal untertauchen wollte.

Das Floß trieb indessen mit der Strömung den Fluß hinab, denn die Neger zeigten nicht die geringste Lust es zu regieren, während das Canoe von der zweiten Pirogue verfolgt wurde. Leicht hätte es hier noch an das rechte Ufer zurückgekonnt, aber theils war die Uferbank zu schroff, theils lagen dort eine Masse eingestürzter Stämme, zwischen die es sich nicht hineinwagen durfte. Es konnte den Moderatoren nicht mehr entgehen.




Ashley war indessen auf dem schmalen Pfad, der durch den Bruch führte, rüstig vorgerückt. Er selber kannte ja auch das Terrain besser als irgend ein Anderer und wußte genau, wo sich die Verbrecher halten konnten, wenn sie überhaupt in diesem Dickicht staken. Außerdem war auf dieser Seite auch das Unterholz nicht so dicht wie dort, von woher Jenkins vordrang, und wie der Tag dämmerte, konnte er zwanzig bis fünfundzwanzig Schritt rechts und links von seinem Pfad recht gut übersehen. Plötzlich hielt er an.

„Was das nur für ein scharfer Geruch von Rauch ist!“ sagte er leise zu dem ihm folgenden Cameraden. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn die Schufte schon in dieser Nacht durchgebrannt wären und nun die alte Shanty und das benachbarte Holz angezündet hätten, um jede Spur ihres Aufenthaltes zu verwischen.“

„Wo liegt denn die Shanty?“

„Der Platz muß gleich dort drüben sein; kaum noch dreihundert Schritt von hier, soweit ich mich erinnere.“

„Aber der Rauch kommt von dort her,“ sagte der Mann, „seht Ihr? jetzt könnt Ihr ihn sogar durch die Wipfel erkennen.“

„Alle Wetter!“ rief Ashley erschreckt, „dann hat Jenkins den trockenen Bruch angezündet, und wenn sich der Wind nur um einen Strich dreht, kommen wir in Teufels Küche.“

„Er will sie hinaus räuchern.“

„Ja, und uns mit – jetzt dürfen wir am Ende gar nicht weiter vor, bis wir nicht wenigstens wissen, wie das Feuer läuft.“

„Ach was,“ sagte der hinter ihm Gehende, „gleich rechts in die Gründornflat dringt das Feuer nicht so leicht, und so weit ist’s auch gar nicht zurück bis zu der Slew. Der Henker weiß nur, nach welcher Seite sie jetzt ausbrechen werden.“

„Dort kommt Einer!“ flüsterte Ashley, „fort mit Euch!“ und noch während er sprach, drückte er sich hinter den nächsten Stamm, während die Uebrigen entweder, wo sie standen, niederkauerten, oder sich auch hinter die nächsten Büsche duckten. Die Gestalt des Mannes kam indeß in flüchtigem Lauf, eine Büchse in der Hand, den Pfad entlang, und wie er scheu den Blick nach rechts und links warf, sah er die vor ihm liegende Gefahr nicht. Auf kaum zehn Schritte war er auch herangekommen, als Ashley, sein Gewehr im Anschlag, auf ihn einsprang.

„Steh’, Hund, oder ich schieße Dich nieder!“

Einen Angstschrei stieß der Ueberlistete aus und unwillkürlich sein eigenes Gewehr emporreißend, spannte er den Hahn, aber ehe er nur die Büchse an den Backen heben, ja nur die Mündung richten konnte, berührte Ashley’s Finger den Stecher und durch den Kopf geschossen brach er zusammen.

Jetzt aber war der alte Mann auch warm geworden. Daß die Verbrecher gewarnt sein mußten, lag hier zu deutlich auf der Hand; Billins hatte ihnen auch jedenfalls den Weg zu Wasser abgeschnitten, sonst würde es dieser da wahrlich nicht versucht haben, mitten durch seine Feinde zu entkommen. Ashley nahm sich deshalb kaum Zeit, nur wieder zu laden, und mit dem Ruf: „Drauf, Cameraden, drauf!“ stürmte er dann den Pfad entlang.

Jetzt knatterten auch dort drüben Gewehre, aber es blieben nur vereinzelte Schüsse; die umzingelten Räuber hatten sich zerstreut und es kam nur darauf an, ob sie das entzündete Feuer ihnen entgegen zwang.

Ashley schien in seiner Voraussetzung das Richtige getroffen zu haben. Der von dem Floß – das den Raub in Sicherheit bringen sollte – gefeuerte Schuß warnte die Verbrecher zuerst vor der drohenden Gefahr, die sie aber noch immer nicht so nahe glaubten. Da trieb die Strömung ihnen die beiden Piroguen in Sicht und zu gleicher Zeit mahnte sie der wachsende Qualm des Feuers, daß auch dort ein Feind auf sie lauern könne. „Rette sich, wer kann,“ war jetzt die einzige Losung, denn ihr Führer, der sich auf dem Floß mit eingeschifft, fehlte, und einzeln hofften sie auch viel leichter zu entkommen, als in geschlossenem Trupp mit überdies jetzt zusammengeschmolzener Zahl. Zwei waren auf dem Floß, zwei im Canoe, zwei nach den beiden Piroguen ausgesandt gewesen, um diese herbeizuholen; was konnten die übrigen sieben gegen eine überlegene Zahl der Ansiedler ausrichten? und in den Schilfbruch hinein stoben sie nach allen Seiten.

Der alte Jenkins hatte jedoch recht gut gewußt, sie würden dem Feuer nicht entgegenfliehen, das sie leicht in einem Dickicht und in dornigen Schlingpflanzen überraschen konnte. Deshalb suchte er auch, sobald er nur den ersten Schuß hörte, in vollem Lauf den südlichen Theil des Bruches zu gewinnen und ihnen den offenen Wald abzuschneiden. Da kroch es und prasselte es im Dickicht und vier wilde, verstörte Gestalten setzten hindurch; aber wie konnten sie vor sich sehen, wenn sie zugleich Gesicht und Augen gegen die schlagenden Schilfruthen schützen mußten? erwarteten sie doch auch hier noch keinen Feind. Da stürmte es von allen Seiten auf sie ein; sie wollten ihre Waffen gebrauchen, aber in dem Gewirr von Zweigen und Ranken war es nicht möglich; zwei flohen, der Eine rechts, der Andere links, und Kugeln pfiffen hinter ihnen her; die andern Beiden stutzten, zurück konnten sie nicht, also vorwärts; die Feinde waren ebensowenig im Stande, sicher zu zielen, wie sie selber, und wie gehetzte Bären setzten sie durch den Busch. Umsonst, wie die Meute hinter dem Bär, so sprangen die Verfolger auf sie ein.

„Netley!“ kreischte Jenkins und flog nach vorn; eine Dornenranke riß ihm die Büchse aus der Hand, er fühlte es gar nicht; ein Baumstamm lag im Weg, wie ein Hirsch setzte der alte Mann darüber hin. Der Verbrecher hörte die Schritte dicht hinter sich, er wandte den Kopf und erkannte den, den er gepeitscht – seinen schlimmsten Feind. Fliehen konnte er nicht mehr, die Füße versagten ihm den Dienst; auf dem Absatz drehte er sich um und hob sein Gewehr; Jenkins sah es gar nicht, sein Messer aus der Scheide reißend, flog er gegen ihn an, und wenn in diesem Augenblicke des Verbrechers Büchse gefeuert hätte, wäre es um den alten Mann geschehen gewesen; doch todt schlug der Hahn gegen den Pfannendeckel, ein Schilfblatt hatte sich auf der Flucht dazwischengeklemmt und den Stein gefeuchtet; im nächsten Moment lag ihm Jenkins’ Hand an der Kehle und Beide wanden sich in tödtlichem Ringkampf am Boden.

Das aber dauerte nicht lange; eine Kugel der Moderatoren hatte den Zweiten erreicht, daß er in den Wald taumelte und keinen Widerstand mehr leistete. Sip, der seinem Herrn dicht gefolgt war, sprang ihm jetzt zu Hülfe und holte schon mit seinem Beile aus, um den Schädel des Buben zu spalten, als Jenkins’ Blick ihn traf.

„Halt, Sip, lebendig!“ schrie er, und der Neger, seine Waffe von sich schleudernd, umschlang den Räuber mit den Armen und hielt ihn dort wie in einem Schraubstock, bis die übrigen Moderatoren zur Hülfe herbeikamen.

Hie und da fielen jetzt noch vereinzelte Schüsse, aber der eigentliche Kampf war beendet, und wenn sich die Männer auch, nachdem sie den Gebundenen unter Sip’s Wacht zurückgelassen, auf dem Pfade vertheilten, um noch vereinzelte Flüchtige abzufassen, kam doch keiner mehr auf dieser Seite in Sicht.

Allein der Wind drehte sich und schlug mehr vom Fluß herein, und nicht lange, so konnten sie schon den Schilfbruch brennen hören, wie die Knoten des Rohrs, wenn sie das Feuer ergriff, von der Hitze mit einem Knall, wie fast ein Pistolenschuß, zersprangen. Dies drohende Knattern kam in der That immer näher, [441] und es galt jetzt, sich vor dem heranwälzenden Feuer zurückzuziehen. Sip wurde indeß der Richtung zugesandt, in der sie Nelly wußten, um diese zu rufen und zum Haus zu bringen, während die Moderatoren mit ihren beiden Gefangenen, denn der Getroffene lebte ebenfalls noch, langsam nach Süden hinunter, der Grenze des Schilfbruches zurückten. An dieser hinauf zogen sie sich dann langsam Joe’s Ferry zu, die als Sammelplatz nach beendigtem Kampf bestimmt worden war.

Mit Ashley’s Schaar trafen die Männer dort zusammen, und laut jubelnd grüßten sich die Sieger, aber Abend wurde es fast, bis Billins mit den Seinen und mit den erbeuteten Pferden und Negern zu ihnen stoßen konnte. Er hatte ja nahe an fünf englische Meilen den Strom mit dem Floß hinabtreiben müssen, ehe er wieder eine menschliche Wohnung und einen Landungsplatz am Ufer antraf. Den Negern, denen er für jede Pirogue einen der befreiten Schwarzen beigab, überließ er es dann, die beiden Fahrzeuge wieder stromauf zu schaffen, und die armen Teufel hatten harte Arbeit genug damit und kehrten auch erst am nächsten Tage zu der Fähre zurück, während er selber mit den Seinen und den übrigen Negern die vier Gefangenen und die Pferde transportirte.

Einer der „Regulatoren“ war allerdings durch den Leib geschossen und zum Gehen zu schwach, aber wenig Umstände genug wurden mit ihm gemacht. Man band ihn auf ein Pferd, das Billins selber an die Leine nahm, und wie sie nur erst einmal die unmittelbare Nähe des Stroms hinter sich hatten und aus der Niederung heraus waren, ging es in einem scharfen Trab dem Sammelplatze zu, wo jetzt Gericht gehalten werden sollte.

Gericht? es bedurfte dessen fast nicht. Der Bube, den die eine Pirogue aus dem Strom aufgefischt, war der Führer jener nämlichen Schaar, die Jenkins’ Hütte überfallen, auch der Verwundete gehörte dazu, der mit Netley hatte fliehen wollen. Die Beiden im Canoe waren dieselben, welche Ashley an jenem Tage mit an dem Baumast festgebunden; alle die gefundenen Pferde gehörten außerdem in die Ansiedlung, ebenso die Neger. Bedurfte es da eines weiteren Verhörs, weiterer Umstände?

Keiner der Gefangenen verlor auch ein Wort, das ihnen jetzt drohende Verhängniß abzuwenden, nur Netley warf sich in feiger Todesfurcht vor seine Richter auf die Kniee und flehte um sein Leben. Er hätte ebensogut den Himmel anflehen können, über ihm zusammenzustürzen.

Acht von den „Regulatoren“, mit den beiden, die Joe in Bewachung gehabt und unter denen sich Boyd mit dem einen Ohr befand, waren gefangen genommen, drei auf der Flucht getödtet worden, zwei nur entkommen oder wenigstens für jetzt in den Wald geflohen, und die Moderatoren saßen zum ersten Mal furchtbar zu Gericht.

„Was haben die Buben verdient,“ schrie Jenkins mit heiserer Stimme, „die Raub und Mord in unsere friedlichen Wohnungen getragen?“

„Den Tod!“ lautete die einstimmige dumpfe Antwort, und kaum fünfzehn Minuten später hingen die Verbrecher draußen im Wald an den breiten Aesten eines Maulbeerbaumes, ein furchtbar leckeres Mahl für Raben und Geier. Da Joe aber erklärte, daß er es in der Nachbarschaft nicht aushalten könne und seine Frau die nächste Nacht jedenfalls aus Furcht und Entsetzen kein Auge schließen würde, wenn die acht Leichen da kaum hundert Schritt von seinem Haus entfernt an den Zweigen hingen, schnitten sie die jungen Leute noch gegen Abend ab und warfen die Leichname in den Strom.

Von der Zeit an hatte die Ansiedlung am Red River Ruhe und kein Regulatorenbund wagte mehr, sein Haupt zu erheben. Zwei von der Bande waren allerdings entkommen, und trotzdem, daß am nächsten Morgen sämmtliche Backwoodsmen den Wald durchstreiften und sie aufzufinden suchten, liefen sie keinem von diesen in den Weg. Aber die Gegend war ihnen auch zu warm geworden und nur vereinzelt trieben sie sich Jahre lang in den westlichen Staaten herum, bis endlich im Jahre 1848 der Goldreichthum Californiens entdeckt wurde. Das befreite Texas mit einem Schlage von all dem gesetzlosen Volk, denn diese Burschen wußten sich sämmtlich Geld zur Ueberfahrt zu verschaffen, und der noch junge Staat konnte von da an ruhig seiner Entwickelung entgegengehen.




  1. Ich glaube den Lesern der Gartenlaube einen Gefallen zu thun, wenn ich ihnen hier das Recept zu einem Arkansas-Stew mittheile. Es ist derselbe eigentlich nichts anderes, als ein „steifer Grog“ von Whisky, der sich auch eben so gut von Rum oder Arrac herstellen läßt. Hat man es, so thut man noch etwas gestoßenen Gewürzpfeffer hinzu; ein Ingredienz aber, was nicht fehlen darf, ist etwas ungesalzene Butter. Butter? entsetzlich, nicht wahr? Bitte, versuchen Sie es einmal. Der Grog muß aber sehr heiß sein, dann thut man auf das Glas etwa eine kleine Messerspitze ungesalzener Butter. Diese zerschmilzt augenblicklich und legt sich nur mit einer unsichtbaren Fettschicht auf das Getränk, dem sie aber dadurch jede Schärfe nimmt und einen milden Wohlgeschmack verleiht.
  2. Die nordamerikanischen Indianer gehen auf dem Marsch, und besonders auf einem Kriegszug, stets einer unmittelbar hinter dem anderen, damit ein Feind, der ihre Fährten kreuzt, oder Verfolger nie wissen können, wie stark ihre Schaar gewesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hineinein