Zur Rettung unserer Seeleute

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Corvettencapitain Werner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zur Rettung unserer Seeleute
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 356–359
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aufruf zur Spende für deutsche Seenot - Rettungsstationen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[356]
Zur Rettung unserer Seeleute.[1]
Ein nochmaliger Mahnruf an das deutsche Volk.
Vom Corvettencapitain Werner.

Der Herbststurm braust einher in entfesselter Wuth. Die mächtigen Stämme hundertjähriger Eichen ächzen unter seiner Gewalt, während er ihre Zweige knickt und die welken Blätter hinauspeitscht in die Lüfte wie Schneeflocken. Er jagt dunkle Wolkenmassen vor sich her, die drohend sich thürmen und eisigen Regen herniedersenden. Die Nacht bricht herein, tiefe Finsterniß bedeckt die Erde, kein freundlicher Stern schaut vom düstern Himmel herab und das Brausen des Sturmes tönt wie grollender Donner.

[357] Was kümmert es uns? Wir nennen es schlechtes Wetter und fühlen uns um so behaglicher am heimischen Heerd und im gemüthlichen Zimmer. Selbst der einsame Wanderer findet bald ein schützendes Obdach gegen das Unwetter und erwartet in Sicherheit ruhend den folgenden Tag. Wohl uns, daß wir einen heimischen Heerd, daß wir ein schützendes Obdach besitzen; wohl uns, daß wir in Sicherheit ruhen können – aber da draußen auf dem Meere, dessen Wogen der Sturm aufwühlt und mit verderbenbringender Gewalt der Küste zuwälzt, um ihren schäumenden Gischt weit über Klippen und Dünen zu sprühen – dort giebt es keine behagliche Heimath, keinen Schutz, kein Obdach. Tausende unserer Mitbrüder kämpfen mit den Elementen und Tausende unterliegen in dem ungleichen Kampfe. Der Sturm hat ihr Schiff erfaßt, er hat die Segel zerrissen und die Masten gebrochen. Erbarmungslos treibt er das Wrack vor sich her der Küste zu und die Wellen stürzen darüber hin wie über eine Klippe. Die zum Tode ermattete


Rettung durch den Raketenapparat. Verbindung mit dem Schiff mittels der Raketleine.


Mannschaft hat sich festgebunden. Vergebens starrt ihr suchendes Auge in die trostlose Nacht, keine schützende Bucht, kein rettender Hafen zeigt sich dem irrenden Blicke, keine helfende Hand streckt sich ihnen entgegen. Nur der unheimliche Schimmer der Brandung rückt immer näher, das Antlitz des Todes grinst sie an und Verzweiflung erfaßt ihre Seele. Da stößt das Schiff auf den Grund, und brüllend wälzen sich die empörten Fluthen heran. Sie zerschmettern das schwache widerstandslose Gebäude, und seine Besatzung versinkt in die dunklen Fluthen, um nimmer zurückzukehren, nimmer die Lieben in der Heimath wieder zu schauen, die vergebens in Thränen und Angst ihrer harren. Keine Blume schmückt die Stelle, kein Stein zeigt den Ort; nur Wind und Wellen rauschen darüber hin und die Gebeine bleichen auf dem Grunde des Meeres.

So sind viele Tausende an unsern Küsten zu Grunde gegangen, so finden jährlich noch Hunderte dort ihr frühes Grab. Wenige wissen es, noch wenigere fühlen es. Nur in stillem Kämmerlein da fließen heiße Thränen der Mutter oder Gattin, und die hülflosen Kleinen erheben betend ihre Händchen zum Himmel, den Vater zu erretten aus grauser Gefahr. Sind die Thränen und das fromme Gebet die einzige Hülfe, die den Schiffbrüchigen werden kann? Nein! es giebt noch andere wirksamere Hülfe. Sie können Alle oder wenigstens zum größten Theile gerettet, den tückischen Fluthen entrissen und ihren Lieben wiedergegeben werden.

Wache auf, deutsches Volk! Du kannst ihr Retter sein; Du kannst Tausende von braven Männern dem Vaterlande und ihren Familien erhalten. Kunst und Wissenschaft haben Mittel erdacht, um den Sturm zu besiegen und das Meer sich Unterthan zu machen. Es ist möglich den Unglücklichen einen Weg durch die tobende Brandung zu bahnen und sie vom scheiternden Schiffe sicher auf das feste Land zu führen. Wache auf, Volk; und tilge die Schuld, die drückend auf Dir lastet! Laß nicht die Seelen der Tausende beim Höchsten Dich anklagen, daß Du sie in der Stunde der schmerzlichsten Noth erbarmungslos verlassen, daß Du sie hülflos sterben sahst, während es in Deiner Macht stand, ihnen das Leben zu erhalten. Wache auf, deutsches Volk, und wahre Deine Ehre! Blicke auf die fremden Nationen, schaue auf England, auf das von Dir geringgeschätzte und besiegte Dänemark. Seine Küsten sind seit vielen Jahren an allen gefährlichen Punkten mit Mitteln ausgerüstet, um den Schiffbrüchigen Hülfe zu leisten, so weit dies in menschlicher Macht steht. Wenn Sturm und See unsere deutschen Schiffe an jenen Küsten zerschellen, strecken sich ihnen überall Hände entgegen, um zu helfen und zu retten.

Können wir das von unsern Küsten sagen? Müssen wir nicht erröthen, wenn wir sie theils gar nicht, theils ungenügend geschützt sehen; wenn an ihnen in einem Jahre hundert Schiffbrüche stattfinden und das Dreifache an werthvollen Menschenleben dabei verloren geht, während wir sie retten könnten ? Wahrlich! es ist hohe Zeit, daß wir uns endlich aus dieser Apathie aufrütteln, daß wir thun, was Humanität und Menschenpflicht gebieterisch fordern und daß wir den Vorwurf der Herzlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Unglückliche von uns ablehnen, den man uns bis jetzt im Auslande mit Recht machen darf.

Wir erheben berechtigte Ansprüche auf eine Geltung zur See. Ueberall im Lande ertönt der Ruf nach einer Flotte, um unsere Schiffe und deren Besatzungen gegen den Feind zu schützen. Nun, die Elemente sind auch Feinde, schrecklicher und unbarmherziger als der Mensch. Gewähre Du, deutsches Volk, unsern Seeleuten zunächst dagegen Schutz, rufe an unsern Küsten ein möglichst vollkommenes Rettungswesen in das Leben, dann hast Du eine edle That vollbracht und einen großen Schritt zu unserer Geltung zur See gethan. Schaffe zuvörderst die Mittel, um kostbare Menschenleben zu erhalten, ehe Du daran denkst, sie zu zerstören; dann wirst Du die Thränen trocknen und den Segen aller derer auf Dein Haupt herabrufen, denen Du den Sohn, den Gatten, den [358] Vater wiedergiebst. Es ist das keine schwierige Aufgabe. Fünfzig Rettungsstationen sichern unsere ganze Küste und hunderttausend Thaler decken die Kosten ihrer Errichtung. Eine solche Summe ist vielleicht groß zu nennen, wenn sie von den Küstengebieten allein aufgebracht werden soll, aber sie ist eine Bagatelle, wenn sich das gesammte Volk daran betheiligen will, was es thun wird und muß, weil seine Ehre dabei in das Spiel kommt. Deshalb öffnet Eure Hand, Ihr Deutschen, und fördert das edle Werk, durch welches die Humanität ihre schönsten Triumphe feiern wird! Schafft das Geld bald herbei, damit noch vor dem Herbste unsere Küsten geschützt werden und die kommenden Stürme nicht abermals zahlreiche Opfer fordern, die sich erretten lassen. Vernehmt, daß das englische Volk jährlich 140,000 Pfund Sterling zu Rettungszwecken aufbringt und daß damit durchschnittlich 6–700 Menschenleben dem Wellengrabe entrissen werden. Folgt dem Beispiele und zeigt, daß Ihr nicht weniger Gefühl für Euere Mitmenschen habt, als die Engländer, die Ihr so oft kaltherzige Egoisten nennt, die Euch aber hierin tief beschämen. –

In neuester Zeit treten zwar auch bei uns erfreuliche Bestrebungen zu Gunsten des Rettungswesens auf; an der Nordsee haben sich drei Vereine zu diesem Zwecke gebildet, sie haben ruhmvolle Thaten vollführt, nach einander zwölf Stationen errichtet, und mit fünf derselben innerhalb zweier Jahren siebzig Menschen gerettet – allein wenn das Rettungswesen das leisten soll, was es vermag, wenn es bei uns verhältnißmäßig eben so glänzende und bewunderungswerthe Resultate erzielen soll, wie in England, so muß ein deutscher Rettungsverein als ein gemeinsames Band unsere gesammten Küsten umschließen und das ganze Volk sich daran betheiligen.

Wenn auch der erfinderische Geist des Menschen Mittel geschaffen hat, mit deren Hülfe die Rettungen ausgeführt, Sturm und Meer siegreich bekämpft werden können, so sind solche Unternehmungen doch stets höchst gefahrvoll und es gehört nicht allein großes seemännisches Geschick, sondern auch außerordentlicher Muth dazu. Von den Rettern wird fast immer das eigene Leben dabei gewagt, und da muß es schon ein mächtiger Impuls sein, der die Leute hinaustreibt durch Nacht und Brandung, der sie sich aus den Armen der betagten Eltern, der weinenden Gattin und Kinder reißen läßt, um Mitmenschen zu erretten und vielleicht selbst dem Tode dabei zu verfallen. Diesen Impuls vermag aber nur das Volk zu geben, wenn es solche heroischen Thaten in gebührender Weise ehrt. Wohl kann der Staat Rettungsstationen errichten, wohl kann er Leute anstellen und besolden, um sie zu bedienen, aber den Bootsbesatzungen jenen Geist der Kühnheit, Nächstenliebe und Aufopferungsfähigkeit einzuhauchen, der allein im Stande ist, das Höchste zu leisten, das Leben Anderer mit Gefahr des eigenen zu retten – das vermag er nicht. Geld ist zwar eine mächtige Triebfeder, aber jene edlen Regungen kann es allein nicht erwecken oder rege halten; das kann nur die Theilnahme des Volkes. Der englische Fischer oder Bootmann hat das Bewußtsein, daß, wenn er bei solchen Gelegenheiten sein Leben wagt, seine That im Herzen des Volkes Widerhall findet, daß nicht nur Belohnung an Geld, sondern eine weit reichere an Ehre seiner harrt und daß das Volk der Seinen nicht vergißt, wenn er bei seinem noblen Handwerk das Leben einbüßt.

Dies Bewußtsein ruft die ganze Energie seiner Seele, alle besseren Gefühle seines Inneren wach; es spornt ihn zu Selbstverleugnung und Heroismus und erweckt unter den Strandbewohnern einen edlen Wetteifer, dessen Erfolge wir in den kühnen und bewunderungswerthen Rettungen aus Seegefahr sehen, welche die englischen Zeitungen im Herbst und Frühjahr fast täglich registriren.

Es ist schön und anerkennungswerth, daß sich schon an unsern Küsten Specialvereine gebildet haben, aber es betheiligt sich an ihnen immer nur ein geringer Bruchtheil der Bevölkerung. Sie sind deshalb nicht im Stande so viel Mittel aufzubringen, um alle gefährlichen Küstenpunkte zu schützen, um jede Station zu unterhalten, die Geldbelohnungen für Rettungen zu geben, die Hinterbliebenen der bei Rettungsversuchen Verunglückten ausreichend zu versorgen und ihnen den Ernährer zu ersetzen. Das kann nur das ganze Volk thun, indem es entweder die dazu nöthigen Fonds auf einmal aufbringt, oder jene nothwendigen Ausgaben durch jährliche Beiträge sichert.

Es liegt aber in der menschlichen Natur, daß derjenige, welcher zu irgend einem Zwecke beisteuert, auch Erfolge sehen will, wenn sein Interesse für die Sache, sei sie noch so groß und heilig, nicht erkalten soll. Wenn daher Menschenfreunde für einzelne bestimmte Stationen auch Spenden geben, so kann doch der Fall eintreten, daß diese Stationen vielleicht in Jahren keine Gelegenheit zu irgend welchen Leistungen haben. So erfreulich diese Thatsache in menschlichem Interesse sein muß, so hat sie andererseits die natürliche Folge, daß die Theilnahme der Geber sich abschwächt, ihre Lebendigkeit und Opferwilligkeit verliert. Besitzen wir dagegen einen deutschen Rettungsverein, der unsere gesammten Küsten begreift, so wird jeder Geber bei jeder Rettung, mag diese an diesem oder jenem Grenzpunkte unseres Vaterlandes geschehen, sich mit Genugthuung sagen können: „Auch ich habe mein Theil daran,“ und dies Bewußtsein allein vermag das Interesse für das Rettungswesen im Lande wach zu erhalten, es immer tiefer in das Volk dringen zu lassen und zu erhöhen.

Eben so sprechen gewichtige Nützlichkeitsgründe für eine Centralisation aller Specialvereine. Die Verwaltung der letzteren erfordert einen gewissen Kostenaufwand, der sich bedeutend reduciren läßt, wenn eine einheitliche Oberleitung vorhanden ist. Um der Wirksamkeit der einzelnen Stationen versichert zu sein, müssen sie öfter inspicirt und erprobt werden. Ein gemeinschaftlicher Inspector, der die nothwendigen Uebungen anstellen läßt, wird aber bedeutend weniger Kosten verursachen, als wenn zehn oder fünfzehn Vereine solche Leute halten sollen. Ferner müssen neue Erfindungen probirt und alle möglichen Versuche mit den Apparaten angestellt werden, um aus ihnen den größten Nutzen zu ziehen. Die Mittel der Specialvereine erlauben das nur in sehr beschränktem Maße, dagegen wird ein Centralverein, der das gesammte Volk hinter sich hat, stets die nothwendigen Gelder dafür disponibel haben. Weiterhin liegt es auf der Hand, daß eine einheitliche Leitung mit gleichen Reglements für die Handhabung der Apparate nur höchst nützlich wirken, daß der Austausch der Erfahrungen bei den einzelnen Stationen der Wirksamkeit des ganzen Rettungswesens nur förderlich sein kann und ihr zu Gute kommen muß.

In richtiger Erkenntniß dieser Gründe hat sich denn auch das Comité des Bremer Vereins entschlossen, einen allgemeinen deutschen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in das Leben zu rufen. Es hat zu diesem Zwecke Einladungen an alle Menschenfreunde und Freunde des Rettungswesens zu einer in Kiel abzuhaltenden Versammlung erlassen, die in diesem Augenblick tagt, und beabsichtigt einen solchen Verein zu gründen.

Möge das edle Werk gelingen und zur größten Vollkommenheit gedeihen, um bald die segensreichsten Früchte zu tragen! Von Herzen wünschen wir aber auch, daß die Betheiligung des Binnenlandes eine recht rege und lebendig werden möge, denn von ihr ist das Gelingen dieser echt humanen und christlichen Bestrebungen hauptsächlich abhängig.

Und so gebe Gott seinen Segen zu diesem Werke, dessen baldiger Aufbau eine der heiligsten unserer Pflichten ist. Möge sie Jeder erkennen und es recht bald durch die That beweisen. Der Leserkreis der Gartenlaube hat für so manche große und nationale Sache offenes Herz und offene Hand gezeigt; hoffen wir, daß er auch dazu sein Möglichstes beitragen werde, um die Thränen so vieler Wittwen und Waisen zu trocknen, um den fern von voller Reise rückkehrenden Bruder nicht Angesichts der heimathlichen Küste in die Fluthen versinken zu lassen und um möglichst bald eine Ehrenschuld zu tilgen, die schon zu lange auf uns lastet.




Wenn wir in dem Obigen an das Gewissen und das Gefühl des deutschen Volkes appellirten, so wissen wir wohl, daß hauptsächlich Unbekanntschaft mit dem Rettungswesen und maritimen Verhältnissen überhaupt die Schuld daran tragen, wenn ersterem bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt ist. So groß der Enthusiasmus im Lande für unser Seewesen ist, so wenig ist es leider in seinen Einzelnheiten bekannt.

Bei dem gegenwärtigen Standpunkte des Rettungswesens, den wir mit Recht einen weit vorgeschrittenen nennen können, spielt, wie wir schon 1861 darthaten, das Rettungsboot eine Hauptrolle. Wer einen Sturm an einer Küste erlebt, wer gesehen hat, wie die Brandung donnernd und mit vernichtender Gewalt ihre Wasserberge an den Strand rollt, der wird es kaum für möglich halten, daß Menschen es wagen, mit einem einzigen Boote in dies Chaos empörter Elemente zu dringen und es siegreich zu bekämpfen. Und doch ist es so; es geschieht zu hundert [359] und tausend Malen mit den schönsten Erfolgen, wenngleich auch öfters die Besatzung ein Opfer ihres heroischen Muthes wird.

Es ist natürlich, daß Boote, die einen so riesigen Kampf zu bestehen haben, besonders construirt werden müssen, und dadurch unterscheiden sich auch die Rettungsboote von den gewöhnlichen Schiffsbooten.

Die an sie zu stellenden Anforderungen sind folgende: 1) Sie müssen stark und kräftig gebaut sein, um dem Anprall der Wogen widerstehen zu können. 2) Sie müssen niedrig auf dem Wasser liegen, um wenig Luftwiderstand zu haben. 3) Sie müssen schnell sein. 4) Sie dürfen nicht leicht umschlagen und müssen 5.) sich von selbst wieder auf ihren Kiel richten, wenn es dennoch geschieht. 6) Endlich müssen sie sich selbst entleeren, wenn Wellen hineinschlagen.

Es hat über ein halbes Jahrhundert bedurft, ehe es dem menschlichen Geiste gelungen ist, diese nothwendigen Eigenschaften in einem so kleinen Gebäude von 25–30 Fuß Länge und 6–8 Fuß Breite zu vereinen, aber seit zehn Jahren ist diese Aufgabe gelöst, und viele Tausende danken diesen Booten ihr Leben, das ohne ihre Hülfe unfehlbar verloren gewesen wäre. Die Peake’schen Rettungsboote sind von Holz erbaut, fünfundzwanzig bis zweiunddreißig Fuß lang, sechs bis acht Fuß breit und vorn und hinten so wie an den inneren Seitenflächen mit Luftkasten versehen, deren Tragfähigkeit sie unsinkbar macht. Ventile im Boden des Bootes, so construirt, daß sie sich durch Wasserdruck im Boote öffnen, dienen zur Selbstentleerung, wenn Wellen hineinschlagen. Eine concave Krümmung des obern Bordes, sowie eine Belastung des Kieles sichern die Eigenschaft des Selbstaufrichtens, wenn das Boot dennoch umschlagen würde. Ein sechs Fuß im Durchmesser haltender Korbcylinder, der außen um das ganze Boot läuft, vermehrt seine seitliche Stabilität um ein Bedeutendes. Kurze Leinen von Tauwerk mit Holzkugeln daran, die überall außerbords hängen, erleichtern den Schwimmenden bei Seegang das Ergreifen des Bootes. Die Besatzung ist mit Korkjacken versehen, welche die Bewegungen der Arme frei lassen, aber fünfunddreißig Pfund Tragkraft besitzen, mithin selbst einen erstarrten menschlichen Körper über Wasser halten. Diese Korkjacken sind eine Erfindung des englischen Capitain Ward und haben sich außerordentlich gut bewährt.

Das Boot wird in einem eigens construirten Transportkarren, stets vollständig gebrauchs- und seefertig, unter einem Schuppen am Strande aufbewahrt. Es steht unter der speciellen Aufsicht eines Localcomités, und der Bootssteurer, der wichtigste Mann der Besatzung, ist für die gute Instandhaltung verantwortlich. Sobald ein gestrandetes Schiff entdeckt wird – wer dem Comité oder Bootsteurer zuerst Nachricht davon bringt, erhält eine Prämie – ruft Letzterer die Besatzung durch ein Signal zusammen und das Boot wird auf Karren mit in der Nachbarschaft requirirten Pferden oder Menschen in die möglichste Nähe des gestrandeten Schiffes gebracht. Die Mannschaft setzt sich hinein, fertig zum Rudern, der Karren wird rückwärts so weit in die Brandung geschoben, bis das Boot flott ist; durch eine Hebelvorrichtung wird vom Lande aus mittels eines Taues der Hintertheil des geneigt erbauten Karrens abgelöst und das Boot gleitet in das Wasser, um sofort seinen Kampf mit den Wellen aufzunehmen.

Bisweilen ist der Sturm so wüthend, die Brandung so gefährlich, daß es unmöglich wird, mit dem Rettungsboote sie zu überwältigen und ein Versuch seiner Besatzung sichern Tod bringen würde. Unter solchen Umständen sucht man vom Lande aus mit Hülfe von Wurfapparaten eine Verbindung mit dem gestrandeten Schiffe herzustellen. Ueber die Einrichtung derselben müssen wir den Leser auf unseren sehr ausführlichen Artikel im Jahrgang 1861 der Gartenlaube verweisen.

Wir theilen hier eine der beiden Illustrationen mit, welche wir unserem ersten Aufrufe für nationale Gründung von Rettungsstationen an den deutschen Küsten beigefügt hatten. Sie zeigt, wie den Schiffbrüchigen, um ein sogenanntes laufendes Zeug zwischen Schiff und Küste herzustellen, mittels eines Raketenapparates ein Tau zugeworfen wird.

In Holland sind durch die seit 1824 gegründeten Rettungsanstalten 2572 Schiffbrüchige geborgen. Fragen wir aber nach ähnlichen Erfolgen an unsern deutschen Küsten, so bieten sie sich nur an der Nordsee, wo seit 1862 über siebenzig Menschen gerettet sind. An der ganzen Ostsee, an der gefährlichen schleswig-holsteinischen Nordseeküste suchen wir vergeblich darnach. Die Zahl der Geretteten ist dort so gering, daß man es nicht einmal der Mühe werth gehalten hat, sie zu veröffentlichen.

Wenn das Volk die Sache in die Hand nimmt und ernstlich fördert, so kann es nicht ausbleiben, daß auch die Regierungen sie thatkräftig unterstützen, wie dies in England geschieht, wo der Staat der National Life Boat Institution jährlich 5000 Pfd. Sterling (33000 Thlr.) zu Rettungszwecken überreicht. Weil aber die Wirksamkeit des Rettungswesens hauptsächlich von den innern Eigenschaften der Menschen abhängig ist, welche dabei thätig sind, so wird der Staat selbst beim besten Willen nie die schönen Erfolge erzielen können, wie ein Privatverein, der das ganze Volk repräsentirt.




  1. Obwohl die Gartenlaube diese hochwichtige Sache bereits im Jahre 1861 (Nr. 51) in einem durch mehrere Abbildungen erläuerten ausführlichen Aufsatze zur Sprache gebracht hat, so bestimmt uns doch die im Augenblicke, wo wir dies schreiben, in Kiel tagende Versammlung behufs Gründung eines allgemeinen deutschen Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger noch einmal auf diese Angelegenheit zurückzukommen, um sie allen unsern Lesern von Neuem auf das Dringendste an’s Herz zu legen.
    D. Redaction.