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Die Mormonen-Hauptstadt und deren Sultan

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Titel: Die Mormonen-Hauptstadt und deren Sultan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 504–506
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Mormonen-Hauptstadt und deren Sultan.


Ungefähr in der Mitte des noch unbewohnten ungeheueren nordamerikanischen Continents, umgrenzt von Wüsten und Wildnissen, hat sich während des letzten Jahrzehends ein neuer Staat, eine neue Religion, eine aus allen Völkern der Erde zusammengeschneite Gemeinde von etwa 100,000 Seelen erhoben. Missionäre in allen Theilen der Erde, China und Japan nicht ausgenommen, und die religiös geweihte Glorie der Polygamie, der Vielweiberei blos für den physischen Zweck der Vielkinderei, in ihren eigenen Häusern bereichern dieses fabelhafteste aller modernen Gebilde jährlich um viele Tausende neuer Mitglieder.

Es ist der religiöse Mormonenstaat in Utah am großen Salzsee, westlich von den Felsengebirgen und diesseits der Sierra nevada, von welcher man auf Californien und den stillen Ocean herabblickt, im Norden der Wahsatsch-Gebirge. Die Mormonen-Hauptstadt ist binnen 10 Jahren wie ein Paradies mit Palästen und Gärten und mannigfaltigster Industrie aus der Wüste emporgestiegen, etwas westlich von dem 114. Längengrade und nördlich von dem 40. der Breite, dieser Durchschnittslinie aller menschlichen Culturgeschichte. In ihrem Entstehen auf das Grimmigste verfolgt, von Vertilgungskriegen aufgerieben und zweimal in Masse vertrieben, zogen sie endlich, wie einst die Kinder Israel, durch unendliche Wüsten und kletterten über die Felsengebirge hinunter in das Salzseethal, wo nach Erfahrungen und Forschungen wissenschaftlicher Reisenden und heldenmüthiger „Freifänger“ kein einzelner Mensch zu leben im Stande war. Hier ließen sich die vertriebenen Mormonen nieder und schufen in kürzester Zeit die merkwürdigste Oase einer ganz neuen Cultur, Religion, Staatsform, Gesellschafts- und Sittlichkeits-Organisation.

Es ist schon unendlich viel, das Empörendste und Beste, das Widerspruchvollste über diese „Heiligen der letzten Tage“, wie sie sich nennen, geschrieben worden. Vertrauen wir uns jetzt einem Naturforscher an, der die ganze Mormonenschaft aus eigenster Forschung und Erfahrung zuletzt und am ausführlichsten und unparteiischsten geschildert hat. Zwei ungeheuere illustrirte Prachtbände in englischer Sprache von dem Franzosen Jules Remy und dem Engländer J. Brenchley, die sich ausschließlich mit den Mormonen und der Reise zu und von ihnen beschäftigen, liegen vor uns.[1]

Lassen wir uns zunächst mitten in die große Salzsee-Stadt, das „neue Jerusalem“ der Mormonen, einführen.

„Am 58. Tage nach unserm Aufbruche von Sacramento in Californien, den 25. September 1855, Nachmittags 3¼ Uhr, marschirten wir auf einer Hauptstraße in die Mormonenstadt ein. [505] Rechts und links dufteten uns Blumen- und Obstgärten an, besonders Pfirsichbäume schwer fruchtbeladen. Also mitten in der großen Salzseestadt, dem neuen Jerusalem, modernen Zion oder „Deseret“, was „Land der fleißigen Biene“ bedeuten soll. Es liegt am Fuße der Wahsatsch-Gebirge in einer Ebene und am Flusse Jordan. Der obere Stadttheil steigt allmählich an einem Gebirgsabhange amphitheatralisch empor, so daß das Auge mit einem Male den ganzen Umfang übersehen kann. Die Straßen laufen in geraden Linien nach den Ufern des Jordan herunter und sind rechtwinkelig von Querstraßen durchschnitten. Eine starke Lehmmauer zum Schutze gegen Indianer umgiebt die ganze Stadt. Die Einwohner hielten uns für die Post-Karawane, die jeden Monat einmal aus den Vereinigten Staaten ankommt, sodaß wir nicht weiter auffielen. Wir fragten uns sofort nach dem Rathhause, wo wir uns von Gouverneur, Papst und Dictator Brigham Young Quartier ausbitten wollten. Statt „Seiner Excellenz und Hoheit, Heiligkeit und Majestät“ trafen wir nur Beamte und Schreiber, die uns an den Oberrichter des ganzen Utah-Landes und Besitzer des Union-Hotels, Mr. Kinney, wiesen. Ein untersetzter, fetter, achtbar gekleideter und aussehender Herr, gemüthlich vor seinem Hotel sitzend und rauchend, das war Mr. Kinney, Oberrichter von Utah im Namen des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er zeigte sich höflich und herzlich und räumte uns nicht nur seine besten Gast-, sondern auch seine Privatzimmer ein. Erst wurden wir mit Porter und Cognac, dann mit Thee und Zubehör tractirt. Ein großes, schönes Haus, ein Feen-Palast nach zweimonatlicher Wüste! Ein niedliches junges Gebirgs-Schaf, mehr ein Reh, als ein Repräsentant der Dummheit, spielte um uns in der Stube herum und neckte sich mit uns und einem großen straußähnlichen Vogel, dessen langer Schnabel jedoch alle Verwandtschaft mit dem afrikanischen Original widerlegte.

Diese seltsamen, niedlichen, vollkommen zahmen Hausthiere in der Stube, diese Cultur, Stille und Behäbigkeit um uns erfüllten uns mit ungemeiner Freude und Erquickung. Abends hatten wir das Schauspiel eines Einzugs von England angekommener Mormonen, die mit großer Feierlichkeit und dem Orchester der Kirche empfangen und für die Nacht auf einem öffentlichen Platze zum Bivouakiren reichlich versorgt wurden. Diese Lagerscenen mitten in der Stadt, die gebräunten Gesichter, Maulesel, Ochsen und zahmen Indianer, welche ab und zu wanderten, brachten einen ungemein malerischen Eindruck hervor.

Am folgenden Tage durchwanderten und studirten wir die Stadt. Jede Straße ist 130 Fuß breit und geradlinig und ist auf beiden Seiten von einem kleinen Bergstrome klaren Wassers durchzogen, da man auf geniale Weise ein Gebirgsgewässer so zertheilt und gerichtet hat, daß es in so vielen Armen durch jede Straße doppelt herabfließt. Jedes dieser Flußärmchen ist mit doppelten Reihen baumartiger Weiden („Baumwollenholzbaum“) geziert. Da sich die Straßen rechtwinklig durchschneiden, bilden sie viereckige „Blöcke“ von Häusern von je 6–700 Fuß Länge auf jeder Seite. Jedes Haus steht wenigstens 20 Fuß hinter der Straßenlinie und ist von Obst- und Blumengärten umgeben, so daß die neueste und vollkommenste Stadt zugleich alle Annehmlichkeiten des offenen Landes und Dorfes einschließt (ein sociales Problem, das wir mit unserer alten Cultur noch nicht gelöst haben, so daß wir es erst aus der Mormonen-Hauptstadt lernen müssen). Dies giebt der verhältnißmäßig kleinen Stadt freilich auch eine Ausdehnung von mindestens drei englischen Meilen Durchmesser. Die meisten Häuser sind einfach, alle sehr rein, oft ziemlich elegant und auch in einzelnen Fällen palastartig und fast immer geräumig und gesund. Die Residenz Brigham Young’s ist ein Palast 100 Fuß lang und 40 breit, aber nicht zu groß für seine 17 Frauen und seine zahlreiche Nachkommenschaft, die in Abraham-, Isaak- und Jacob’scher Weise als ein himmlischer Segen, als Glorie vor Gott und den Menschen betrachtet wird, da „viele Kinder“ als das Hauptstück religiösen Verdienstes gelten. –

Die Residenz des Mormonen-Papstes ist von Granit und andern kostbaren Gesteinen gebaut, sieht mit ihren hervorspringenden Ogiven über den langen Fenstern sehr majestätisch aus und soll im Innern fürstlich ausgestattet werden für 30 Sultanas, die sich dieser alte Held von Sultan und Papst noch anzuschaffen gedenkt. Jetzt (1855) wohnt er mit seinen 17 Ehehälften in einem Hause dicht daneben, das einen großen Bienenkorb als Symbol des Fleißes auf dem Dache trägt. Daneben befinden sich die Staats- und Regierungsgebäude und eine unentgeltlich zugängliche Bibliothek, unweit davon die große Gesellschaftshalle und der ummauerte Raum, auf welchem sich der große Mormonentempel mit sechs hochemporsteigenden gothischen Thürmen erheben soll, über 150 Fuß lang, 119 breit und mit Granitmauern von 9 Fuß 9 Zoll Dicke, eine Schöpfung kirchlicher Baukunst, die alle andern in der Welt übertreffen wird, wie sich wenigstens die Mormonen selbst rühmen. Bis jetzt halten sie ihren Gottesdienst in einem großen Tabernakel daneben, das von der „Bowery“ begrenzt wird, einem ungeheuern Schuppen für neue Ankömmlinge, die noch kein Dach und Fach haben. Neben dem Tabernakel das Stiftshaus für die Mysterien der eigentlichen Heiligen, Bischöfe und obersten Hierarchen, das kein Mormone niedrigeren Grades betreten kann. Hier nehmen die Heiligen die noch immer lebendigen Offenbarungen ihres Stifters und Propheten, des von amerikanischer Volkswuth ermordeten Joseph Smith, und die Eingebungen des heiligen Geistes in Empfang. Hier werden die höchsten Kirchenbeamten geweiht und vereidigt und mit der heiligen Tunika bekleidet, einem langen, weißen Gurt, der vor jeder Gefahr schützt, so lange er den Körper umgiebt. In der Nähe dieser Staats- und Kirchengebäude sind auch Werkstätten und Schlafstellen für jeden Mormonen ohne Beschäftigung und Arbeit, außerdem Magazine und Kornkammern der Kirche.

Auf unsern Wanderungen durch die Stadt fiel uns nichts so angenehm auf, als die durchgehende Reinlichkeit, Behäbigkeit und Arbeitsamkeit, die friedliche Ruhe und Ordnung und der gebildete Wohlstand an allen Häusern und Menschen. (Es ist wirklich ein Deseret, ein Bienenschwarm, aber ohne – Drohnen, ohne Militär und Polizei und Beamte – als besondere vom Volke lebende Stände. Jeder arbeitet und schämt sich auch der gemeinsten Arbeit nicht – das ist das ganze Geheimniß.) – Maurer und Zimmerleute bauen, schneiden, sägen und behacken Holz, Tischler Hobeln und leimen, Gärtner graben und wässern, Schmiede hämmern zwischen sprühenden Funken, Kürschner bearbeiten kostbare Felle und Rauchwerke, Kinder enthülsen Mais, Hirten weiden fröhliche, runde Heerden, Holzfäller kehren mit schweren Lasten aus bewaldeten Felsenklüften zurück, Wollkämmer bereiten schneeige Vließe zum Spinnen und Weben, Erdarbeiter graben Canäle für Bewässerung der Gefilde und Gärten, Schneider, Schuster, Ziegler, Töpfer, Salpeter- und Pulvermacher, Müller, Säger, Waffenschmiede – alle Sorten und Arten von Handwerkern und Fabrikanten arbeiten lustig darauf los und brauchen wenig oder nichts für ihre Heiligen und Heroen zu steuern, da diese alle selbst tüchtig mit arbeiten. (Müßiggänger und Arme giebt es nicht, darf es nicht geben, da die Aermsten ohne Mittel oder ohne augenblickliche Arbeit sofort von der „Kirche“ – allen Respect vor ihr in dieser Eigenschaft! – mit dem Nöthigen versehen werden.)

Keine Spiel- und Trink-, keine Spur von „liederlichen“ Häusern. Ihre Erholung sind Kirche, Schule, Turn- und Exercirplatz (Jeder ist Vaterlandsvertheidiger, deshalb Keiner Soldat) und die große Gesellschaftshalle, wo gesungen, getanzt, musicirt und Theater gespielt wird, wenn die wissenschaftlichen Vorlesungen zu Ende sind. Niemals Rohheit oder Trunkenheit auf der Straße, keine Verbrechen, so daß die Gerichtshöfe kaum etwas zu thun haben, als Streitpunkte über „Sollen und Haben“ zu schlichten. Das Trinken gebrauter und spirituöser Getränke ist nicht verboten, aber man verkneipt sein Geld und seine Zeit nicht. Abends plaudern, lesen, predigen und singen die Familien mit einander, da sie fast alle gläubig und abergläubisch unter dem Einflusse ihrer alttestamentlich fabricirten Bibel und der Autorität ihrer Apostel und Heiligen stehen. Mit Eintritt der Dunkelheit sieht man kein weibliches Wesen mehr auf der Straße.

Die Vielweiberei bringt etwas Türkisches mit sich, eine auffallende Sittenstrenge, womit man von sich und der Welt den naheliegenden Verdacht der Unsittlichkeit und geschlechtlichen Ausschweifung abzuwehren sucht. Auf Ehebruch folgt Todesstrafe, die noch nie Jemandem zuerkannt worden ist. Was die Frauen betrifft, so ist es psychologisch nothwendig und deshalb auch Thatsache, daß sie ihre durch „Colleginnen“ Verlorne innerste Ehre durch möglichste Sittlichkeit mit Religiosität zu entschädigen suchen. Sie berufen sich auf ihre religiöse Vorschrift, auf das alte Testament und die vielbeweibten Erzväter.

„Ein seltsamer Anblick“, fährt unser Gewährsmann fort, „diese Gesellschaft so arbeitsam und nüchtern, so friedlich und ordentlich, namentlich wenn man erwägt, aus welchen widerspruchsvollen und [506] ausgeworfenen Elementen der verschiedensten Zonen und Nationen sie zusammengesetzt ist und sich immer frisch bereichert. Sie besteht aus Engländern, Amerikanern, Schotten, Canadiern, Dänen, Schweden, Norwegern, Deutschen, Schweizern, Polen, Russen, Italienern, Franzosen, Negern, Hindu’s, Indianern, Australiern und Chinesen (das ist die Reihenfolge der Zahl der einzelnen Bestandtheile nach). Alle Nationen, Racen, Farben, Religionen, Sprachen, Sitten und Gebräuche schmelzen hier in Eine friedliche Gemeinschaft von großer Kraft und Energie zusammen (die erst neuerlich, 1856–1858, der ganzen Regierung aller vereinigten Staaten und den Truppen derselben trotzte, sich anfangs wehren wollte und dann zum dritten Male auszuwandern im Begriff war, statt sich zu beugen, so daß die amerikanische Regierung nachgeben mußte). Diese Elemente und Widersprüche aller Nationen leben hier in praktischer Verbrüderung und Harmonie und vermehren sich fast noch täglich aus allen Himmelsgegenden. Hier im Herzen der amerikanischen Wildniß ist eine kosmopolitische Nation emporgeblüht, unabhängig, compact und durchweg aus eigener Kraft und fanatischer Energie hervorgewachsen – eine Vorbildung (und vorläufig auch noch eine Verbildung als erster Versuch) der allgemeinen, kosmopolitischen Verschmelzung aller Nationen und Religionen zu Einer großen Menschengemeinde, die den Heiligen der letzten Tage denn auch wirklich als Ideal und Ziel vorschwebt,“ – an deren Verwirklichung in anderer Weise besonders die in aller Welt zerstreuten Deutschen unbewußt aus ihrer wahren Natur und Bestimmung heraus arbeiten.

Dies Mormonenreich am Jordan ist wesentlich ein Werk Brigham Young’s, des Präsidenten, Papstes, Sultans und Souverains, des aus der Volkswahl hervorgegangenen Gouverneurs von Utah, des Propheten, Offenbarers und Sehers. Er ist ein Mann von 54 Jahren (im Jahre 1855), hellhaarig, mittelgroß, stark und dick. Sein Gesicht ist regelmäßig, die Stirn breit und hoch, die Augen scharf und fest, der Mund freundlich umzogen. Auf den ersten Anblick sieht er wie ein ehrlicher Landmann aus, doch merkt man bald aus seinen Thaten und Reden den geistig und physisch energischen Mann heraus.

Bruder Brigham, wie ihn seine Heiligen nennen, hat einen Serail mit 17 Frauen verschiedenen Alters. Eine, die wir zufällig im Garten sahen, war auffallend schön. (Wahrscheinlich ist jetzt sein Palast für 30 Ehehälften fertig und der jetzige Sechziger doppelt beweibt.) Die Zahl seiner Kinder ist unbekannt. Im vorigen Frühlinge (1854) wurden ihm in einer Woche neun Stück geboren. Jedermann fließt über vom Lobe über die Sorgfalt dieses Patriarchen für seine Nachkommenschaft. Zu diesem Autokraten der Seelen und Leiber seiner Unterthanen sollten wir nun in unseren schmutzigen Reisecostümen eingeführt werden. Wir fanden ihn in seinem officiellen Bureau, Schreibern dictirend und ein Stück virginischen Tabak zum Kauen zurechtschneidend. Er kauerte in einem Lehnstuhle mit einem breitkrämpigen Filzhute auf dem Kopfe und einen für seine Dicke immer noch viel zu weiten grünen Rock an. Er dictirte noch eine halbe Stunde fort, ohne von uns Notiz zu nehmen. Endlich wurden wir ihm vorgestellt. Er gab uns die Hand und hieß uns Platz nehmen, während er sich selbst wieder setzte, ohne uns eines Wortes zu würdigen. Stumm mir dem Kopfe bis beinahe auf die Kniee gebeugt blieb er sitzen. Ich richtete endlich eine Frage an ihn, die er mit Nein beantwortete, ohne weiter zu reden. Wir baten ihn mehrmals um eine Privat-Audienz, um besondere Anliegen anzubringen. Er antwortete jedesmal bejahend, ohne sich zu regen. Endlich sagte er: „Auf der Straße“. So gingen wir zur Privat-Audienz auf die Straße. Hier antwortete er uns gefällig, aber zurückhaltend, bis er uns plötzlich stehen ließ und rasch davon lief, um ein Paar durchgehende Zugochsen aufzuhalten. Er packte sie und hielt sie, bis der Knecht oder Eigenthümer herankam. „Warum läßt du die Ochsen durchgehen?“ fragte er den Mann.

„O Bruder Brigham! Wie geht’s heute? Ja, diese Ochsen wollten heute nicht pariren, wie ich auch manchmal,“ war die Antwort des Ochsenmannes.

Der Sultan und Papst wendet sich jetzt wieder zu uns, giebt Jedem die Hand und läßt uns stehen.

Wir sprachen unser Erstaunen über diese seltsame Behandlung gegen einen ihm näher Stehenden aus, der ihn und uns bald aufklärte. Er ist mißtrauisch gegen Fremde, die ihm nicht von zuverlässigen Freunden vorgestellt werden, da er Feindschaft, Gift, Dolch oder Kugel von Attentätern der Frommen in den Vereinigten Staaten fürchtet. Ordentlich vorgestellt wurden wir am nächsten Tage um so freundlicher und zutraulicher behandelt. Er nahm uns mit in sein Schlafzimmer, wo er als Junggeselle schlummert und keine seiner Frauen ohne besondere Erlaubniß Zutritt findet. Da wir nicht Alle Stühle fanden, mußten sich der Vice-Papst Kimbal und ein Anderer auf’s Bett setzen. Hier sprachen wir über eine Stunde, wobei er sich’s angelegen sein ließ, seine Ueberzeugung recht klar und warm auszusprechen, daß sein Glaube und sein Reich bald die ganze Menschheit umgestalten und erlösen werde. – Dieser Glaube ist bei ihm ehrlich, fest und feurig. Das ist hauptsächlich seine Kunst und die Quelle seiner sonst nicht sehr feinen Beredsamkeit. Er war einst Tischlergeselle und hat sich nie große Gelehrsamkeit verschaffen können. Aber er hat das merkwürdigste Reich geschaffen und bisher entwickelt, die verschiedensten Nationen unter Einem rohen, seltsam aus Christenthum, Köhlerglauben, Heidenthum und Cynismus zusammengebrauten Cultus und geistlichen, wie weltlichen patriarchalischen Absolutismus vereinigt und ihn ausgedehnt über alle Welt, der in keinem Lande der Erde mehr seine Missionäre und Agenten fehlen, die ihm jährlich immer mehr Tausende zusenden.




  1. „A Journey to the Great Salt Lake City“ u. s. w. London, W. Jeffs. Berlin, Asher u. Co.