Der Frauenverein für Gesundheitspflege in England

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Autor: Dr. Schildbach
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Titel: Der Frauenverein für Gesundheitspflege in England
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 506–508
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Frauenverein für Gesundheitspflege in England.

Eine Mittheilung von Dr. Schildbach,
zweitem Director der Schreber’schen gymnastisch-orthopädischen Heilanstalt zu Leipzig.

Immer allgemeiner wird die Erkenntniß der Wahrheit, daß die Völker selbst es sind, welche sich ihre Zustände schaffen, und daß die Entwickelung ihrer geschichtlichen Bedeutung, ihres innern Staatswesens und ihres Wohlstandes gleichen Schritt hält mit der Zu- und Abnahme ihres sittlichen und geistigen Werthes. Es ist eine Frucht dieser Erkenntniß und eine praktische Anwendung der alten Regel, daß man beim Bauen mit dem Grund anfangen müsse, wenn diejenigen, die für das Volk ein Herz haben, ihr Hauptaugenmerk gegenwärtig auf die Erziehung richten.

Solchem Streben für die Hebung des Volks durch Verbesserung der Erziehung verdanken wir bereits eine große Anzahl Schriften. Der Erfolg derselben mußte aber so lange ein mangelhafter und beschränkter bleiben, als man nicht dafür sorgte, daß die große Masse des Volks solche Schriften auch wirklich in die Hände bekam. Diese Erwägung hat jetzt in England und Deutschland Unternehmungen hervorgerufen, welche richtige Grundsätze über Erziehung und Gesundheitspflege zum Eigenthum des ganzen Volks machen wollen.

„Wir machen die Erfindungen, und die Engländer beuten sie aus!“ so hat wohl mancher Deutsche in patriotischem Unmuthe gerufen, und so ist in der That oft genug der Gang der Dinge gewesen. Aber solch ein Wort trifft doch nicht immer zu; und ich glaube, es läßt sich auch in dem Falle, über den ich berichten will, behaupten, daß ein auf fremdem Lande gewachsener und sorglich gepflegter Gedanke doch erst bei uns einen ihm völlig zusagenden Boden gefunden habe.

Oft ist uns erzählt worden von der entsetzlichen Verkommenheit des englischen Proletariats, welches uns als eine Menschenclasse geschildert wird, für die nicht nur die staatsbürgerlichen Rechte nicht vorhanden sind, sondern auch das erste natürliche Recht jedes Geschöpfes, zu leben und die für Gesundheit und Leben schädlichen Einflüsse abzuwehren, in hohem Grade gefährdet erscheint. Wo der dritte Theil aller lebend gebornen Kinder vor dem fünften Jahre wieder zu Grunde geht, wie es uns von England berichtet wird – da müssen wirklich die sittlichen und Lebensverhältnisse trostlose sein; denn die durchschnittliche Lebensdauer giebt sicherlich den besten [507] Maßstab für dieselben ab. Dieser Schluß aber wird noch berechtigter, wenn man ihn auf die Classen beschränkt, um welche es sich eigentlich handelt, und welche trotz der überaus günstigen Lebensverhältnisse der begünstigten Stände und der Landbevölkerung jene ungünstigen Ziffern veranlassen. Es sind dies die Proletarier der großen Städte und der Fabrikbezirke.

Mögen nun die Zustände dieser Classen in England wirklich schlimmer sein als anderswo oder bei der großen Oeffentlichkeit der dortigen Verhältnisse nur bekannter sein, jedenfalls haben die Engländer zuerst das richtige Mittel dagegen ergriffen, indem sie eine Reform des Erziehungswesens angebahnt haben.

Bei diesem Wort aber muß man nicht, wie es aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit oft geschieht, blos an die öffentliche Erziehung, an die Schule, denken, sondern wohl berücksichtigen, daß außer dem Geist, welchen die Schule in Pflege nimmt, auch ein rüstiger, gesunder Körper und ein edler, willensstarker Charakter gezogen werden muß, bis ein ganzer Mensch fertig ist, und daß diese wichtigste Hälfte der Erziehung die Aufgabe des Hauses, der Familie ist.

In der Erkenntniß, daß ein gesunder Körper der unentbehrliche Boden ist, auf welchem allein die edlen Früchte des Strebens und Denkens gedeihen können, und „daß der bei weitem größte Theil von Schwächlichkeit, Krankheit und vorzeitiger Sterblichkeit aus vermeidbaren Ursachen entspringt“, hat sich nun ein Verein in England gebildet, welcher die Hauptgrundsätze der Gesundheitspflege zum Gemeingut des Volkes, besonders der niederen Classen desselben, welche dieser Kenntniß noch am meisten entbehren, zu machen sucht. Dieser Verein nennt sich Ladies’ sanitary association, besteht hauptsächlich aus hochstehenden Frauen, so wie Aerzten (unter denen unser Landsmann Dr.Roth eine hervorragende Stelle einnimmt) und Menschenfreunden verschiedener Stände, und hat im verflossenen Jahre seinen dritten Jahresbericht ausgegeben.

Die Mittel, deren sich der Verein zur Erreichung seiner Zwecke bedient, sind seinem Programm nach folgende:

„1) Die Abfassung und Veröffentlichung interessanter, einfach geschriebener Abhandlungen über alle Gegenstände, welche die Erhaltung der Gesundheit betreffen. Die Mehrzahl derselben wird hauptsächlich für die Armen geschrieben. Frauen übernehmen bezirksweise die Sorge für Verbreitung und Befolgung dieser Anleitungen.

2) Die Errichtung von Leihbibliotheken interessanter, volksthümlicher Bücher über alle Gegenstände der Gesundheitspflege.

3) Die Veranstaltung populärer Vorträge über Gesundheitspflege.

4) Die Errichtungen von Anstalten, in welchen Lehrerinnen und Lehrer, die an Schulen für die arbeitenden Classen angestellt sind, einen theoretischen und praktischen Unterrichtscursus über alle Gegenstände der Gesundheitspflege durchmachen können, um diese Wissenschaft ihren Schülern lehren zu können. Auf diese Weise würden Schulmädchen, die künftigen Frauen und Mütter der arbeitenden Classen, eine Unterweisung erhalten, welche, obgleich Allen nothwendig, gegenwärtig nur im Besitz Weniger ist. Auch würden Classen für Privat-Lehrerinnen und andere Damen gebildet werden. Besondere Aufmerksamkeit würde dem Unterricht in der Pflege der Säuglinge und Kinder, als einer der wichtigsten Pflichten des Weibes, gewidmet werden. Um diesen Theil des Unterrichts vollkommen praktisch zu machen, beabsichtigt man, einige Waisenkinder in den Anstalten zu erziehen. Damit würden Schullehrerinnen Gelegenheit haben, eine völlig praktische Kenntniß aller auf die kindliche Gesundheit sich beziehenden Dinge zu erlangen, und durch sie würde diese Kenntniß den arbeitenden Classen mitgetheilt werden, welche gegenwärtig wenig Gelegenheit haben, solche zu erlangen, ausgenommen durch theuer erkaufte Erfahrungen oder durch Bücher, welche sie in vielen Fällen weder Neigung noch Mittel zu kaufen noch Verständniß zu begreifen haben. Es wird beabsichtigt, zu diesem Theil des Unterrichts Kindermädchen zuzulassen, und der Verein hofft dadurch verständig gezogene Kindermädchen zu liefern, denen Kinder sicher anvertraut werden können. Geistliche, Aerzte und Alle, welche sich für gesundheitliche Reform interessiren, werden dringend ersucht, ihren Einfluß zur Errichtung solcher Anstalten in Verbindung mit Zweigvereinen in ihren Wohnorten zu verwenden.

Der Verein ist ganz auf freiwillige Beisteuern angewiesen und bittet dringend um den Beistand Aller, welche sich für seine Bestrebungen interessiren.“

In Bezug auf den ersten Punkt ist der Verein rüstig vorgegangen. Die erste Serie von Schriftchen, welche auf seine Veranlassung speciell zur Vertheilung unter die Armen geschrieben sind, führen folgende Titel: „der Werth der frischen Luft“; „der Gebrauch des reinen Wassers“; „der Werth guter Nahrung“; „der Einfluß gesunden Getränks“; „der Vortheil warmer Kleidung“; „die Gesundheit der Mütter, mit Zeichnungen von neuen Schnitten zu Kinderkleidern“; „wie ein Kind zu behandeln ist“; „die Macht von Seife und Wasser“; „wann bist du geimpft?“ „der wohlfeile Arzt, ein Wort über frische Luft“. Aus der zweiten Reihe sind folgende Schriften angeführt: „Bemerkungen über die Aufgabe des Weibes bei gesundheitlicher Reform“; „die Gesundheit des Kirchspiels und die Wohnungen des Volks“; „die Tödtung der Unschuldigen“.

Die Mehrzahl dieser Schriftchen, jede zu ungefähr 30 Kleinoctavseiten, kostet 2 Pence das Stück, 12 – 16 Schilling das Hundert, für Vereinsglieder 9–12 Schilling. Zufolge des dritten Jahresberichts sind vom Verein seit seiner Gründung 76500 Exemplare davon ausgegeben worden.

In den Abhandlungen ist der volksthümliche Ton in vorzüglicher Weise getroffen, d. h. sie geben in anziehender, verständlicher Form ihre Rathschläge, wie sie ein verständiger, gereifter Mann dem Unerfahrenen giebt, dem Gedankenkreis und den Verhältnissen desselben entsprechend. Wo die Anschauungen von den unsrigen abweichen, wollen wir uns mit einem Hinblick auf die Sitten und Gewohnheiten des Landes beruhigen; es können sich aber viele deutsche Volksschriftsteller ein Muster nehmen an der praktischen Behandlung der Gegenstände, wie sie uns hier vorliegt. Auch zu Vorlesungen in öffentlichen Versammlungen könnte ein Theil dieser Schriften ohne Weiteres benutzt werden; es ist somit durch sie auch denen, welche nicht selbst derartige Vorträge ausarbeiten können, Gelegenheit geboten, durch Belehrung des Volks über Gesundheitspflege segensreich zu wirken.

Es ist nur eine natürliche Folge dieser glücklichen Wahl und Behandlungsweise des Stoffes, wenn die Jahresberichte von den vorzüglichen Erfolgen und der allgemeinen Beliebtheit der Schriftchen zu erzählen haben. Selbst in Ungarn hatten dieselben Propaganda gemacht, desgleichen in Amsterdam und Hobart-Town (Tasmania).

Vorlesungen über Gegenstände der Erziehungs- und Gesundheitslehre, zum Theil öffentlich, zum Theil ausschließlich für Damen oder Lehrerinnen, wurden auf Veranlassung des Vereins an vielen Orten gehalten, auch unter ärztlicher Aufsicht eine Abtheilung von Lehrerinnen in der Ling’schen erzieherischen Gymnastik praktisch unterwiesen.

Eine Leihbibliothek im Vereinslocal war zwar noch in der Bildung begriffen, aber dennoch bereits lebhaft benutzt. Der Verein hofft für dieselbe, auf derartige Erfahrungen gestützt, auf reichliche Schenkungen von Seiten der Schriftsteller und Verleger und wünscht sie zu einer Sammlung aller guten Bücher über öffentliche und private Hygieine zu machen.

Die Bildungsanstalt für Kinderwärterinnen war aus Mangel an hinreichenden Mitteln noch nicht ins Leben getreten.

Wenn der Verein mit der bisherigen Energie in seiner Wirksamkeit fortfährt und der Wichtigkeit seiner Zwecke entsprechend an Ausdehnung zunimmt, muß er ein wahrer Segen für die englische Bevölkerung werden. Er faßt die socialen Uebel bei der Wurzel; und wenn es auch zumeist erst die nächsten Generationen sind, denen seine Bemühungen zu gute kommen, so ist dieser Erfolg um so sicherer und nachhaltiger.

Ein Hauptvorzug des Vereins ist der, daß er wesentlich aus Frauen besteht. Es ist überaus erfreulich, wenn Frauen sich in einer ihnen angemessenen Sphäre eine öffentliche Wirksamkeit bilden; erfreulich, nicht nur weil sie uns ein Stück Arbeit abnehmen, sondern auch weil sie diese Arbeit wahrscheinlich erfolgreicher treiben. Dies ist ganz unbestreitbar hier der Fall, wo es gilt, Frauen zu reformiren. Es ist bekannt, wie abweisend, mißtrauisch, oder wenigstens schwerfällig ein großer Theil des weiblichen Geschlechts sich allen Neuerungen gegenüber verhält, sobald dieselben nicht Mode oder Comfort betreffen, wie hartnäckig sie den größten Autoritäten und augenscheinlichsten Erfolgen gegenüber an den Ueberlieferungen ihrer Mütter und Großmütter festhalten. Wenn aber, wie hier, die Neuerer im eignen Lager sind, dann ist allerdings einige Hoffnung vorhanden, daß – zwar nicht eine Revolution, welche gar nicht erwünscht wäre – aber eine Evolution, eine allmähliche Umgestaltung [508] zum Bessern in den Gemüthern und Ansichten, dann in den Gewohnheiten, endlich in den Leistungen der Frauen und ihrer Familienglieder eintrete. Also: wacker ausgehalten!

In Deutschland haben sich die erzieherischen und hygieinischen Reformbestrebungen noch nicht in eine compacte Masse vereinigt, sondern sind vereinzelt hervorgetreten. Auch bei uns haben Viele durch das lebendige Wort das Volk über das, was dem Leibe frommt, zu belehren gesucht, aber ohne besonders dazu gebildete Vereine[1], vielmehr wo sich Gelegenheit bot, so in Leipzig in Gesellen- und Turnvereinen. Nur in Leipzig bildeten früher eine Anzahl Frauen und neuerdings ein Verein von Lehrern eine – wahrscheinlich einzige – Ausnahme. Auf Prof. Bock’s Anregung traten sie zusammen und ließen sich von ihm eine Reihe Vorlesungen über angewandte Anatomie und Physiologie halten.

Solche Belehrungen können natürlich nur einem kleinen Bruchtheil der Bevölkerung zu gute kommen und sind nur darum noch Bedürfniß, weil fast Niemand aus der Schule gesunde und ausreichende Anschauungen über das, was ihn zunächst angeht, sein leibliches Ich, mitbringt. Gerade dies aber ist es, was wir vor allen Dingen zu erstreben haben; nur im heranwachsenden Geschlecht kann allmählich eine der ganzen Bevölkerung zu gute kommende Reform angebahnt werden. Um von ärztlicher Seite die Hand zu bieten, hat vor ein bis zwei Jahren Dr. Schreber in seinem „Anthropos“ eine mit Abbildungen ausgestattete Belehrung über den Menschen als Leitfaden für Lehrer herausgegeben; es fehlt blos noch, daß durch entsprechende Bestimmungen in den Schulregulativen die gebotene Hand ergriffen werde. – Von den gewichtigen und wohlgezielten Streichen, welche Prof. Bock gegen Unverstand, Vorurtheil und Naturwidrigkeit in allen die Gesundheit angehenden Dingen bereits seit Jahren führt, brauche ich den Lesern dieser Blätter nicht erst zu erzählen. Auch in vielen andern Unterhaltungsblättern finden sich Belehrungen über Menschenkunde und Leibespflege, welche ferner in einer Unzahl selbstständiger Schriften systematisch vorgetragen werden, am ausführlichsten wohl in Bock’s Buch vom gesunden und kranken Menschen und in Schreber’s Kallipädie.

An solchen Schriften fehlt es in England wahrscheinlich auch nicht, und dennoch wurde der oben geschilderte Verein durch das Bedürfniß hervorgerufen, denn alle die bezeichneten Schriften und Aufsätze kommen nur einer kleinen Zahl von Gebildeten und Wohlhabenden zu Händen und zu gute; die große Masse des Volkes bleibt davon unberührt; und doch ist ein gesunder Körper gewöhnlich ihr einziges Capital und oft unumgängliche Bedingung der Existenz. Diese Betrachtung schuf den englischen Frauenverein für Gesundheitspflege, und derselben Betrachtung verdanken wir auch eine ähnliche deutsche Bestrebung. Eine ähnliche und doch wieder in Vielem abweichende Bestrebung. Sie ist nicht das Panier eines Vereins, sondern die Herzenssache eines einzelnen Mannes, des oben genannten und den Lesern der Gartenlaube nicht fremden Dr. Schreber. Die Belehrung verzettelt sich nicht in einzelnen Abhandlungen, welche erst nach längerer Zeit, nach größerem Aufwand und in Form einer ganzen kleinen Bibliothek vollständig werden, sondern erschöpft den Gegenstand mit einem Male. Sie beschränkt sich nicht auf den leiblichen Menschen, sondern berücksichtigt in gleicher Weise auch den denkenden und wollenden, vor Allem in seiner Entwicklungszeit, als der einzigen, welche die Möglichkeit einer umfassenden und nachhaltigen körperlichen und geistigen Zucht gewährt. Diese hervorgehobenen Gegensätze bezeichnen zugleich die Mängel des englischen und die Vorzüge des deutschen Unternehmens, wie sie meinem Auge erscheinen. Ob aber auch der Weg, welchen Schreber für die Verbreitung seiner Schrift gewählt hat, dem des englischen Vereins vorzuziehen sei, muß erst der Erfolg zeigen. Es kam ihm darauf an, seine Anweisung in alle die Hände zu bringen, für die sie bestimmt ist, und er erkannte ganz richtig, daß dies nur durch die Staatsgewalt, durch die Regierung und ihre Organe geschehen könne. Er sandte daher je ein Exemplar seiner Schrift mit einem gedruckten Begleitschreiben an sämmtliche deutsche Cultus- und Unterrichtsministerien und erbot sich, denselben „behufs unentgeltlicher Vertheiluug der Schrift durch Ortsgeistliche, Schulmänner, Gemeindevorsteher, Armenverwaltungen etc.“ beliebige Summen davon für den technischen Herstellungspreis zu liefern. Von diesem Anerbieten hat die Sachsen-Coburg-Gothaische Regierung einen schleunigen und umfassenden Gebrauch gemacht; zwei andere, die königlich Sächsische, die Schwarzburg-Rudolstädtische und eine Reußische, haben einen vorläufigen Versuch unternommen, die königlich Bairische hat sich auf amtliche Empfehlung der Schrift beschränkt, sämmtliche übrige haben bis jetzt gar nichts von sich hören lassen. Es wird also auch hier sich doch wohl die Privatthätigkeit noch in’s Mittel schlagen müssen.

Die Schrift heißt: der Hausfreund, enthält auf wenigen Bogen einen vollständigen Abriß der Erziehungs- und Gesundheitslehre, und ist in edler, von sittlichem Geiste durchdrungener und zugleich warmer und verständlicher Weise geschrieben, so daß sie auch die lebhaftesten Bestrebungen zu ihrer Verbreitung rechtfertigen würde.

Aber Eines schließt das Andere nicht aus; wenn das Schreber’sche Unternehmen das englische ergänzt, so kann dieses auch jenes wieder ergänzen. Die Engländer mögen die Hauptsätze der Erziehungs- und Gesundheitslehre in ein Werkchen zusammenfassen und auch die Geistes- und Charakterbildung berücksichtigen; wir wollen uns ein Muster nehmen an ihrem Gemeinsinn und an ihren Tractätlein lernen, wie man dem Volke Vorträge hält.

Ich mache mir keine Illusion darüber, es wird noch mancher Tropfen den Rhein hinabfließen und noch manche Woge an die englische Küste schlagen, bis die Lehren, wie sie der englische Frauenverein und Dr. Schreber zu verbreiten suchen, allgemeines Eigenthum des Volks geworden sein werden; aber die Ueberzeugung lasse ich mir nicht rauben, daß von ihnen das Streben nach wahrer Volksbeglückung seinen Ausgang nehmen muß und daß sie daher früher oder später zu voller Anerkennung gelangen werden. Schon jetzt sind Anzeichen vorhanden, daß einzelne Funken gezündet haben, und es steht zu hoffen, daß sie sich mit der Zeit zu einer kräftig emporlodernden, ringsum erwärmenden Flamme vereinigen werden. Mögen Schreber und seine Geistesbrüder in England jetzt noch den einsamen Pionieren gleichen, die mit Axt und Spaten in den Urwald dringen: sie kämpfen für den Fortschritt der Menschheit, und die Menschheit wird' fortschreiten.




  1. Einen allgemeinen Aufruf zur Bildung von Erziehungsvereinen enthält ein kürzlich erschienenes Schriftchen des Lehrers Rockland in Nossen: „Die Erziehung der deutschen Jugend und ihre Bedürfnisse, Leipzig 1861.“