Die Offenbarung Johannis/Die ältesten griechischen Ausleger

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IV. Die Geschichte der Auslegung der Apokalypse.

1. Die ältesten griechischen Ausleger.

Der erste kirchliche Schriftsteller, der zusammenhängende Ausführungen über die Apk gibt, ist Irenäus. Er bringt dieselben im V. Buch seines Werkes[1], und seine Auslegung ist vielfach vorbildlich geworden. Ich habe im „Antichrist“ nachzuweisen gesucht, wie Irenäus (s. das Register) seine eschatologischen Ausführungen eigentlich nicht auf Grund der Apk gewinnt, sondern vielfach auf Grund einer alten ihm zugänglichen eschatologischen Tradition, die in die neutestamentliche Zeit zurückreicht, und die er in die Apk hineindeutet. Doch gewinnt er auch viele Einzelheiten durch gelehrte Kombination von Dan 2 u. 7, Apk 13 u. 17.

Nach I. werden in der Endzeit zehn Könige herrschen V 30,2. Von diesen wird der Antichrist drei töten und über die übrigen sieben selbst als achter herrschen V 26,1. Das zweite Tier in Apk 13 ist der Pseudoprophet V 28,2. Nach Jer 8,16 stammt der Antichrist aus dem Stamme Dan. Daher sei schon Apk 7,5—7 in der Aufzählung der Name Dans nicht genannt. V 30,2. Wahrscheinlich ist es, daß Irenäus Recht hat und [50] die Abstammung des Antichrist aus Dan alte Tradition war[2]. Schon bei I. sind die historischen Beziehungen der Schrift gänzlich aus der Erinnerung geschwunden. Er gibt eine mühsame allegorisierende Ausdeutung der Zahl 666 (V 28,2f. 29,2) und verwirft eigentlich alle Ausrechnung eines bestimmten Namens, obwohl er, um zu zeigen, daß er auch hierzu imstande ist, als mögliche Auslegungen Euanthes, Lateinos, Teitan, wahrscheinlich doch von ihm schon vorgefundene Lösungen, nennt V 30,2f. Nachdrücklich bekämpft er die falsche Lesart der Zahl (616), namentlich diejenigen, welche auf Grund dieser Lesart falsche Deutungen empfohlen haben V 30,1. — Wesentlich näher als die späteren Exegeten steht I. der Apk in einem Punkt: er ist Chiliast. Nach der Besiegung des Antichrist werden die Frommen 1000 Jahre (den siebenten Wochentag der Weltdauer) mit Christus in Jerusalem herrschen V 30,4; V 32,1; V 35,1ff. Als Zweck dieses Zwischenreichs wird angegeben, daß es sei principium incorruptelae, per quod regnum, qui digni fuerint, paulatim assuescunt capere Deum. V 32,1 vgl. V 35. Alle Weissagungen von einem irdischen zukünftigen Zustand der Seligkeit beziehen sich auf dieses Zwischenreich. Auch das Wort des Presbyters von der Fruchtbarkeit des Weinstockes bezieht sich auf diese Zeit (V 33,3)[3]. Dann wird das allgemeine Gericht erfolgen, ein neuer Himmel und eine neue Erde. Jedoch tritt kein eigentlicher Weltuntergang, sondern nur eine Verwandlung ein[4]. Im Jenseits werde es verschiedene Wohnungen geben: im Himmel, im Paradiese, in der neuen Stadt (Tradition der Presbyter) V 36,1. Auch die einzelnen gelegentlichen Bemerkungen des I. sind von Einfluß auf die späteren Kommentatoren gewesen. Die vier Cherubim werden schon bei I. auf die Evangelisten gedeutet (Joh. der Löwe, Lk. der Ochse, Mt. Mensch, Mk. Adler)[5], zugleich auf die verschiedenen Charaktere und Attribute Christi III, 11,11 [11,8]. — Die Nicolaiten werden auf den Akt 6,5 genannten Diakon Nicolaus zurückgeführt I, 23 [26,3].

Nach Irenäus muß hier dessen Schüler Hippolyt genannt werden. Von Hippolyt kommen folgende Werke in Betracht[6]: 1) die ἀπόδειξις ἐκ τῶν ἁγίων γραφῶν περὶ τοῦ Χριστοῦ καὶ περὶ τοῦ Ἀντιχρίστου. Hier berücksichtigt H. namentlich die Kap. 11; 12; 13; 17; 18. 2) der Danielkommentar (nach Dan IV 7; 13 später als περὶ τοῦ Ἀντιχρίστου), in dem sich manche einzelne Stellen (Kap. 5) behandelt finden. 3) ein verloren gegangener Kommentar zur Apk. Fragmente desselben haben sich vielleicht in einem arabischen Kommentar erhalten, dessen Handschrift sich auf der Pariser Bibliothek befindet[7]. 4) eine verloren gegangene, nur noch in einzelnen [51] Fragmenten vorhandene Schrift gegen den Bestreiter der Apk Cajus (κεφάλαια κατὰ Γαίου) (das genauere s. o. S. 25). 5) eine nicht mehr vorhandene Streitschrift gegen Widersprüche, die sich gegen das Johannesevangelium und die Apk erhoben hatten. Eine solche setzen die auf der Cathedra Hippolyts noch lesbaren Worte „ὑπὲρ τοῦ κατὰ Ἰωάννην εὐαγγελίου“ voraus (bei Ebed-Jesu: Apologie für die Offenbarung und das Evangelium des Johannes, des Apostels und Evangelisten)[8].

Hippolyt schließt sich in der Auslegung der Apk in manchen Einzelheiten an Irenäus an. So hat er z. B. zu der Zahl des Tieres dieselben Deutungen wie dieser[9]. Vor allem aber zeigt er noch deutlicher als Irenäus den Einschlag der alten Tradition vom Antichrist. Er zitiert zweimal (Antichr. 15. 54) einen unbekannten Propheten, offenbar eine Apk, die über den Antichrist handelt, wie aus den zitierten Fragmenten hervorgeht. — Dieser Tradition gemäß bezieht nun H. die beiden Zeugen (Apk 11) auf Elias und Henoch (Antichr. 43; Dan. IV 35 u. ö.). Diese Deutung wird von nun an die herrschende. Wie Christus eine doppelte Parusie hat, so hat er auch einen doppelten Vorläufer Kap. 44. H. weiß noch, daß die erste Hälfte von Kap. 13 der Apk auf das römische Reich zu deuten ist, aber da er der Tradition vom Antichrist folgt, derzufolge dieser nach dem Untergang des römischen Reiches kommen sollte, so gerät er auf den seltsamen Ausweg, das zweite Tier in Kap. 13 für den Antichrist zu nehmen (Antichr. 25. 33. 49; Dan. II 12; IV 5; IV 21)[10], und die Todeswunde des ersten Tiers auf den Zerfall des römischen Reiches in zehn Königreiche (Antichr. 49), die Herstellung desselben auf die scheinbare Wiederherstellung der Ordnung durch den Antichrist zu deuten (Antichr. 49)[11]. Wie bei Irenäus finden wir auch bei H. die von nun an herrschende Kombination von Dan 7, Apk 13 und 17 in der Auslegung der sieben Häupter und zehn Hörner[12] (s. o.). In Anlehnung an Dan 11,41-43, und wohl schon hier der bestimmten Tradition folgend, weiß H., daß die drei vom Antichrist erschlagenen Könige die von Lybien, Aethiopien und Aegypten sind (Antichr. 52; Dan. IV 12). Zu Kap. 12 findet sich bereits die in der Folgezeit herrschende [52] Deutung; das Weib ist die fortwährend den Sohn Gottes gebärende Kirche[13]. Die zweite Hälfte von Kap. 12 deutet H. auf die Flucht der Gläubigen vor dem Antichrist, der dieselben zur Anbetung zu zwingen sucht (Antichr. 61). Die beiden Adlerflügel des Weibes sind Glaubensflügel[14].

Auch die Zeit des Antichrist berechnet H. in Anlehnung an Apk 17,10[15], die Welt wird nach ihm 6000 Jahre stehen, fünf Häupter (Weltalter) sind gefallen, das sechste besteht Dan. IV 23. Da Christi Geburt nach ihm in das Jahr 5500 fällt[16], so werden 500 Jahre von da an bis zum Kommen des Antichrist verstreichen. H. ist Chiliast Dan. IV 23: τὸ σάββατον τύπος ἐστὶ καὶ εἰκὼν τῆς μελλούσης βασιλείας τῶν ἁγίων, ἡνίκα συμβασιλεύσουσι τῶ Χριστῷ παραγινομένου αὐτοῦ ἀπ’ οὐρανῶν, ὡς Ἰωάννης ἐν τῇ ἀποκαλύψει αὐτοῦ διηγεῖται.

Ob Clemens die Apk ausgelegt hat, ist fraglich. Eusebius H. E. VI 14,1 versichert allerdings, daß er in seinen ὑποτυπώσεις alle Schriften ausgelegt habe, auch die Antilegomenen. Aber unter diesen, die er namentlich aufzählt, nennt er die Apk nicht. Origenes hat [vgl. das nur lateinisch erhaltene Stück des Matthäuskommentars zu Mtth 24, Nr. 49. Delarue 867] einen Kommentar zur Apk versprochen, jedoch ihn nicht geschrieben. In seinen Werken finden sich nur einige wenige zusammenhängende Ausführungen. Seine Logoschristologie hat er (in Evan. Ioann. Tom. II 4) an Apk 19,10ff. entwickelt, die asketische Stelle Apk 14,1ff. hat er ausführlich kommentiert (in Ev. Ioann. Tom. I 1ff). Origenes ist schon eigentlich kein Chiliast mehr, aber er denkt doch noch an ein geistiges Kommen des Herrn auf Erden in einem bestimmten Abschnitt der Geschichte und an eine neue Zeit auf Erden, das Reich der Vollendung im Gegensatz zu dem Reich fortschreitender Entwickelung (in Psalm 36, Hom. 5; de princ. II 11). Und auch Origenes zeigt sich noch abhängig von der Sage vom Antichrist (Contra celsum VI 45ff.).

Zusammenhängende Auslegungen einzelner Stücke finden sich auch bei Methodius im Symposion. Er hat besondere Aufmerksamkeit auf die Partieen in Apk 14 (und 7) gerichtet, in denen von den jungfräulichen 144 000 Auserwählten die Rede ist und deutet diese natürlich auf die Asketen[17], die ungezählte Schaar 7,9ff. sind die übrigen Heiligen. Einflußreich ist seine Deutung des 12. Kap.[18] Das Weib bedeutet die Kirche[19]: μέχριπερ ἂν εἰσέλθῃ τὸ πλήρωμα τῶν ἐθνῶν, ὠδίνουσα καὶ ἀναγεννῶσα τοὺς ψυχικοὺς εἰς πνευματικούς VIII 6. Der Drache ist der Teufel, der des Wiedergeborenen [53] neues Wesen zu zerstören sucht, es gelingt ihm aber nicht, weil dieser mit seinem Geist im Himmel weilt. Die Sterne sind αἱ συστροφαὶ τῶν αἱρέσεων, die Irrlehrer, die sich selbst ein Wissen von himmlischen Dingen zuschreiben und vom Glauben gefallen sind VIII 10. Die sieben Häupter der Drachen sind die sieben Hauptsünden, die zehn Hörner die ἀντιθέσεις der zehn Gebote VIII 13. Methodius befolgt also eine ausschließliche spiritualisierende Methode.


  1. Über den Irrtum des Hieronymus de viris illustribus 9 (und Chronik), daß Justin und Irenäus die Apk kommentiert hätten s. o. S. 20,2.
  2. Bousset, Antichrist 112f.
  3. Den Chiliasmus teilt auch Tertullian adv. Marcion III, 24: nam et confitemur in terra nobis regnum repromissum, sed ante coelum, sed alio statu, utpote post resurrectionem, in mille annos in civitate divini operis Hierusalem coelo delata.
  4. V 36,1: οὐ γὰρ ἡ ὑπόστασις, οὐδὲ ἡ οὐσία τῆς κτίσεως ἐξαφανίζεται. - ἀλλὰ τὸ σχῆμα παράγει τοῦ κόσμου τούτου.
  5. Die Deutung ist singulär. (Gewöhnlich wird Mk. der Löwe, Joh. der Adler beigelegt.) Sie ist zustande gekommen, indem mit der Reihenfolge der Tiere bei Ezechiel: Mensch, Löwe, Ochse, Adler die Reihenfolge der Evangelien: Matth., Joh., Luk., Mark. kombiniert wurde. Freilich muß Irenäus, der die Evangelien in der Reihenfolge Mt., Mk., Lk., Jo. aufzählt (III 1,1) und die Tiere in der Reihenfolge der Apk (III 11,11) die Erklärung bereits vorgefunden haben. Wie Irenäus zählt Victorin nach dem vor kurzen aufgefundenen ursprünglichen Text seines Kommentars.
  6. Ausgabe von Bonwetsch und Achelis „die griech. christl. Schriftsteller d. ersten Drei-Jahrhunderte“ Hippolytus I. 1. 2. Dazu H. Achelis, Hippolytstudien. Leipzig 1897.
  7. P. Lagardii Ad analecta sua syriaca Appendix. Berol. 1858. Übersetzt in Achelis’ Ausgabe 230-237. Hinzu kommt ein syrisches Fragment aus Jakob v. Edessa (ebenda 236f.) und ein altslavisches Fragment (ebenda 237f., vgl. Achelis WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Hippolytstudien 179-181). — Über die Echtheit der Fragmente wage ich nicht zu entscheiden. Einen archaistischen Charakter tragen sie an sich. Aber fast überall, wo wir vergleichen können, differieren die Auslegungen mit den nachweisbar echten des H. Diese durchgehende Verschiedenheit scheint mir ein Grund gegen die Echtheit zu sein. Ich kann mich auch nach Achelis’ (Hippolytstudien, S. 182ff.) Ausführungen nicht von dem Wert der arabischen Überlieferung überzeugen. A. meint, daß die Zitate des Andreas aus Hippolyt sich nur mit den arabischen Fragmenten deckten. Aber das Zitat IV aus Andreas (S. 183) gibt genau die Meinung Hippolyts im Danielkommentar IV 23 über Apk 17,10 wieder und nicht die der arabischen Fragmente. (Beziehung der sieben Könige auf die sieben Zeitalter,nicht auf wirkliche Herrscher). Die Angabe des Andreas (Zitat II), daß Hippolyt gerade nicht das zweite Tier, sondern das erste Tier in Kap. 13 auf den Antichrist bezogen, wird ein Irrtum des Andreas sein, denn die Deutung von Kap. 13 der Apk ist bei H. in den nachweislich echten Werken vollkommen stabil (s. o.). Über die Unechtheit des slavischen Fragments s. Bratke Th. Lt. Bl. 1892, 503-506. 519-522. — Die Existenz des Kommentars ist übrigens von Hieron. de viris illustr. 61 u. ö. (Achelis, Hippolytstudien, S. 14. 16. 18) bestimmt bezeugt.
  8. Zahn II 982f.
  9. In den arabischen Fragmenten (N. XV. Achelis 235) findet sich noch als vierte Auslegung das singuläre Δαντίαλος
  10. Anders die Auslegung in den arabischen Fragmenten, doch ist die Auslegung hier undeutlich.
  11. Wenn es heißt, daß das zweite Tier nach dem Willen des ersten tut, so bedeutet dies, daß der Antichrist κατὰ τὸν Αὐγούστου νόμον herrschen wird. — In den arabischen Fragmenten (in Achelis' Ausgabe Nr. XI) wird anders gedeutet.
  12. In den arabischen Fragmenten XVII sind die zehn Hörner einfach Anhänger und Vertreter des Antichrist, die Kombination mit dem römischen Reich fehlt.
  13. Kap. 61. Achelis S. 41, Z. 19: οὐ παύσεται ... γεννῶσα ἐκ καρδίας τὸν λόγον. — In dem arabischen Fragment ist Christus die das Weib (die Kirche) umhüllende Sonne.
  14. In den arabischen Fragmenten (VIII) Hoffnung und Liebe. In interessanter Weise wird hier die Weissagung, daß die Erde das vom Drachen ausgespieene Wasser verschlingen soll, auf die in der Wüste umherirrenden Heere des Antichrist gedeutet.
  15. Ganz anders deutet das arabische Fragment XXI Apk 17,10, nämlich die fünf Häupter auf die Reiche des Nebukadnezar, Cores, Darius, Alexander und der Diadochen, das siebente auf den Antichrist.
  16. Die Berechnung gründet sich nicht auf chronologische, sondern auf allegorisierende Erwägungen. Dan. IV 24. (vgl. auch Dan IV 32.).
  17. Symposion I 5; IV 5.
  18. ib. VIII 4ff.
  19. Charakteristisch ist die Abweisung der Deutung auf die Geburt Christi: ὁ δὲ Ἰωάννης περὶ παρόντων καὶ μελλόντων θεσμωδεῖ. ὁ δὲ Χριστὸς πάλαι κυηθεὶς οὐχ ἡρπάσθη, ὁπότε ἐτέχθη, πρὸς τὸν θρόνον τοῦ θεοῦ φόβῳ τοῦ μὴ λυμήνασθαι αὐτὸν τὸν ὄφιν (VIII 7).
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