Die Pariser Gesellschaft vor hundert Jahren

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Autor: Rosalie Braun-Artaria
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Titel: Die Pariser Gesellschaft vor hundert Jahren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 431–436
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Pariser Gesellschaft vor hundert Jahren.

Von R. Artaria.

Die Schreckenszeit war vorüber, die allgemeine Erstarrung gegenüber den blutigen Greueln gelöst. Mit Gelächter und Mutwillen hatte eine Schar junger Leute, steckenbewaffnet, den Rest des einst so gefürchteten und furchtbaren Jakobinerklubs auseinandergetrieben, und im Konvent saßen statt der früheren Schreckensmänner einsichtige Leute, die gewillt waren, den Wiederaufbau der Staats- und Gesellschaftsordnung zu unternehmen.

Eine Riesenaufgabe! Denn einem furchtbaren Brande gleich hatte die Schreckenszeit beides vernichtet, und auf der ungeheuern Trümmerstätte galt es nun, die ursprünglichen Fundamente wieder aufzugraben und unendlichen Schutt zu beseitigen, ehe an einen Neubau auch nur zu denken war. Im vergeblichen Streben danach vergingen die paar Jahre des Direktoriums, während welcher sich die bisher zurückgedrängte Pariser Lebenslust in vollem Strome neu ergoß und auf dem kaum geschlossenen blutigen Schlunde ausgelassene Feste feierte. Es war ja so lange her, daß man dergleichen nicht erlebte, denn die traurigen „Verbrüderungsmahle“ der Schreckenszeit, mit der steten Angst vor Denunziation und Verhaftung, konnten niemand als ihre rohen Anstifter erfreuen: auf der Gasse unter freiem Himmel wurden lange Tische aufgestellt, hier mußten die Familien ihr Abendessen in Gesellschaft eines jeden einnehmen, dem es gerade gefiel, hier seinen Wein zu trinken und die Ohren der Frauen durch schmutzige Reden zu beleidigen. Monsieur oder Madame zu sagen, war ein Verbrechen und konnte sofort die furchtbare Denunziation aristokratischer Gesinnung nach sich ziehen. Niemand „empfahl sich“ mehr oder „hatte die Ehre“. Im allgemeinen Du waren Bürger und Bürgerinnen gleich. Trotzdem gab es am Anfang der Revolution, als Titel oder Adel abgeschafft wurden, hartnäckige alte Marquisen, welche die Röcke ihrer Bedienten nicht wenden ließen, damit man die Spur der abgetrennten Tressen sehe. Und Mirabeau selbst, der feurige Freiheitskämpfer, als er von jener Sitzung, welche die Abschaffung des Adels beschloß, nach Hause kam, faßte seinen Bedienten am Ohr und rief lachend: „Für dich, Kerl, werde ich hoffentlich immer der Herr Graf bleiben!“

Wie so vieles im öffentlichen Leben hatten die Theater, einstmals der Tummelplatz der eleganten Welt, ihre Physiognomie gewaltig verändert, und ebenso ihr Publikum; sie gewannen während der Revolutionszeit eine bis dahin ungeahnte politische Bedeutung. Den ersten Anfang dazu lieferte die von Ludwig XVI nur widerstrebend zugegebene Aufführung der „Hochzeit des Figaro“ von Beaumarchais. Ein rasender Beifallssturm begrüßte das Stück, dessen frivole Handlung zum erstenmal direkt die Laster der Privilegierten angriff. „Figaros Hochzeit“ half die Revolution vorbereiten.

Als sie ausgebrochen war, tauchten überall neue Theater auf. Mit Vorliebe wurden dafür Kirchen verwandt, und auf der Bühne sowohl als im Parterre spielten sich die wütendsten Demonstrationen ab. „Schießt sie tot!“ brüllten diejenigen, die mit dem Applaus der Gegenpartei nicht einverstanden waren, und sofort begannen die Thätlichkeiten, welche von den Schauspielern noch angefeuert wurden. Diese selbst waren über scenische Vorurteile erhaben und überboten sich in Nichtachtung der hergebrachten Anstandsregeln. Fehlte eine Thüre, so kam Brutus oder Cassius zum Fenster herein, und bei dem tragischen Tode des Sokrates lagen lange Pfeifen auf dem Tisch seines Kerkers. Die Dialoge wurden so, daß ehrbare Frauen das Theater nicht mehr besuchten, die Stücke aber, soweit man noch Klassiker aufführte, wurden gänzlich nach dem revolutionären Bedürfnis zugeschnitten und aus Corneilles und Racines höfischen Dramen alles ausgemerzt, was an das Königtum erinnerte: die Könige wurden in „Helden“ umgewandelt und mußten sich bequemen, die Nationalkokarde zu tragen, die überhaupt unentbehrliches Kostümstück war. Theseus und Britannicus hatten sie ebensogut an ihren Kopfbedeckungen als Tartüffe und Molières elegante Marquis. Auch die Dämonen und Zephyre konnten nicht ohne diesen Schmuck erscheinen, während Nymphen und weibliche Gottheiten ihre weißen Gewänder mit blau und roten Bändern zu verzieren hatten. Der Patriotismus vertrat die Stelle der Kunst, von der jene sämtlichen Herren und Damen keine Ahnung hatten. Die alte Schauspieltradition war mit einem Schlag beseitigt, denn die comédiens du roi[1] hatte man als feile „Fürstenknechte“ samt und sonders ins Gefängnis geworfen, aus dem sie nur zum kleineren Teil wieder befreit wurden.

Der Terrorismus gegen das Adjektiv „königlich“ stieg überhaupt nach der Hinrichtung des unglücklichen Ludwig auf einen unglaublichen Grad. Es gab keinen „gâteau royal[2]“ mehr, keine „montre royale[3]“, ja der Purismus erstreckte sich sogar bis auf den König im Kartenspiel. Er durfte nur noch: „pouvoir exécutif[4]“ genannt werden, und man kündigte demnach sein Spiel an: „Six As de coeur et pouvoir exécutif de trèfle“. Ein idealerer Kartenfabrikant verfiel darauf, seine Könige in Genien zu verwandeln: und zwar den Herzkönig in den Kriegsgenius, während die von Treff, Pique und Carreau die Genien des Friedens, der Kunst und des Handels bedeuteten. Auch die Weisen des Altertums Sokrates, Plato, Aristoteles und Solon mußten sich’s gefallen lassen, an Stelle der Buben ins Kartenspiel zu treten, selbst die modernen großen Gelehrten, Voltaire, Buffon u. a., wurden den Bürgern in gleicher Weise vorgeführt. Weisheit und Tugend waren ja die Schlagworte der Machthaber, welche tagtäglich die unsinnigsten Greuel begingen und Ströme von Blut vergossen.

Für ihre Zwecke bedurften sie natürlich der Presse und handhabten sie mit einer Zügellosigkeit, von der man sich heute keinen Begriff mehr macht. Ueberall tauchten Blätter und Blättchen auf, welche den Krieg der verschiedenen Parteien innerhalb des Konvents führten, aber einig waren in schamloser Verleumdung des Gegners und fürchterlicher Gemeinheit. Solange das unglückliche Königspaar lebte, wurden ihm täglich die Jakobinerblätter recht auffällig vor Augen gelegt, worin Ludwig ein Dieb und Mörder, Marie Antoinette eine verworfene Person, schlimmer als Messalina, genannt wurde. Sie bewahrten diesem ekelhaften Schmutz gegenüber so stolz und ruhig ihre Würde, als es andrerseits viele der gefangenen Aristokraten thaten, welche in [432] der sicheren Aussicht auf den Richtkarren und das Blutgerüst ihre letzten Tage vereinigt im Gefängnis zubrachten. Es ist bekannt, mit welcher erstaunlichen Heiterkeit diese Männer und Frauen ihre gewohnte Geselligkeitsform beibehielten; die ersteren lasen vor, während die letzteren feine Arbeiten machten, und wenn dazwischen plötzlich die Schlösser rasselten und der schreckliche Namensaufruf begann, so verabschiedeten sich die Todgeweihten mit derselben guten Form, als sollten sie sich zu Hofe begeben. Ein Marquis fuhr bei solcher Gelegenheit einen jungen Friseur an, der sich erlaubt hatte, am Vorabend der Hinrichtung einem adeligen Fräulein eine Kußhand zuzuwerfen: „Sie müssen sehr schlecht erzogen sein, um sich derart zu benehmen“. Mit diesen Menschen ging die alte Geselligkeit unter.

Auch als ihre glücklicheren Standesgenossen unter dem Konsulat und Kaiserreich aus dem Exil heimkehrten, vermochten sie nicht mehr, die alte exklusive, für die Privilegierten so unendlich süße Lebensweise wiederherzustellen. Sie mußten sich abfinden mit der großen plebejischen Flutwelle, die in ihr Gehege eingebrochen war und nicht mehr weggeschafft werden konnte.

Wie hatte sich Paris in wenig Jahren geändert! Ueber die Prachtfronten der Paläste waren rohe Bretter genagelt mit der Inschrift: „Oeffentliches Eigentum“. Wer den Machthabern befreundet war, erwarb sie um geringes Geld und verwandelte sie in öffentliche Tanzlokale, Pferdehandlungen, Fabrikwerkstätten etc. Niemand konnte Einsprache thun: die Eigentümer waren tot oder geflüchtet. Kein Salon öffnete mehr abends seine Thürflügel, keine „gute Gesellschaft“ existierte mehr, ihn zu füllen. Das heitere Lachen, das geistvolle Witzwort war verstummt, grobe Ausdrücke und Flüche bezeichneten die Konversation derjenigen Klassen, welche nun an Stelle der Verschwundenen saßen, der bereicherten Spekulanten und ihrer aus der Hefe des Volkes emporgestiegenen Frauen. Sie luden wohl ihre Freunde zu reichlichen Gastmählern ein, wo der Wein in Strömen floß, aber den Namen der Geselligkeit verdienten diese Essereien nicht: die dabei anwesenden Frauen ahnten nichts von der Konversationskunst der ehemaligen großen Damen. Sie saßen bei Tische, diese dicken Bürgerinnen mit den roten Backen und unfeinen Manieren und vertilgten unmäßige Portionen, behaupteten aber dann freilich hinterher, gar nichts essen zu können und sich sehr angegriffen zu fühlen. Im geheimen wandten sie alles mögliche an, um die unaristokratische Wangenröte loszuwerden, es gelang ihnen das aber ebensowenig, als sich gute äußere Formen anzueignen. Freilich wurden diese auch von niemand vermißt, die Männer behielten selbst die Hüte auf, wenn sie mit Frauen sprachen, und dachten nicht daran, ihnen die Aufmerksamkeiten der guten Sitte zu erweisen. Wer nicht mit ihnen im Liebesverhältnis stand, erlebte keine Beachtung.

Es versteht sich von selbst, daß bei einem solchen Zusammenbruch aller Begriffe von Ehrbarkeit und Anstand, bei einem so allerseitigen Sichgehenlassen bald eine ganz furchtbare Sittenlosigkeit herrschte. Leichtfertig geknüpfte und schnell gelöste Liebesverhältnisse waren allgemein, die meisten Machthaber der Schreckenszeit feierten Orgien in den Palästen der alten Aristokratie, und auch nach der Einsetzung des Direktoriums ging der allgemeine Sinnentaumel ungehemmt weiter. Barras, der fähigste und mächtigste unter den Direktoren, war ein vollständiger Wüstling, er organisierte eine Art von Hof und gab üppige Feste, aber welche Leichtfertigkeit herrschte in dieser Gesellschaft!

Als Königin glänzte darin die wunderschöne, höchst anmutige Madame Tallien, die erste Tonangebende, welche sich aus dem chaotischen Gewirre der Schreckenszeit hervorhebt. Auch sie, Barras’ augenblickliche Geliebte, hatte eine sehr unwürdige Vergangenheit, aber sie trug den schönen Namen: notre dame du thermidor, weil sie während und nach der Schreckenszeit unermüdlich war, die Begnadigung der Unschuldigen bei ihrem Gatten, dem mächtigen Tallien, durchzusetzen. Jetzt war sie die lebenslustige Veranstalterin von Festen und Bällen, zu welchen sich nach und nach alles einfand, was den Anspruch machen konnte, eine neue Gesellschaft bilden zu helfen.

Sie bot freilich einen ganz anderen Anblick als die vorausgegangene in Puder und Reifrock, die voll Haltung und Würde ihr förmliches Menuett tanzte. Den Walzer hatten die Revolutionsheere aus Deutschland mitgebracht; er feierte nun seine Triumphe, und die Bürger mit phantastischen Federhüten, hohen Halsbinden und flatternden Frackschößen schwangen die Bürgerinnen im leichten „griechischen“ Gewand, das oft genug nur aus einem einzigen Kleidungsstück bestand. Wenn Madame Tallien in einem goldgegürteten Gewand erschien, dessen leichtes Gewebe ihre Körperformen kaum verhüllte, so beeilten sich die sämtlichen Eleganten, es ihr nachzuthun, unbekümmert darum, daß das Pariser Klima für eine solche Tracht nicht geeignet ist. „Sie starben wie Fliegen,“ sagt ein zeitgenössischer Schriftsteller, „aber das hielt die anderen nicht ab.“

Madame Tallien und ihre Freundin, die Witwe Josephine Beauharnais, waren die Verfechterinnen des für ihre schlanken Gestalten so vorteilhaften „antiken“ Gewandes gegen die stark anglisierende Strömung, die von jenseit des Kanals herüber kam, im Gefolge der Richardsonschen Tugendromane, welche die untugendhaften Französinnen mit Begeisterung verschlangen. Immer wieder tauchten Mäntel, Hüte und Unterröcke à l’Anglaise auf und übten mit Kragen, Pelzbesatz und Volants ihren Einfluß auf die sogenannte antike Tracht. Und nicht alle Republikanerinnen waren so gesinnungstüchtig wie jene Bürgerin, die sich, um einen ganz echten griechischen Kleiderschnitt zu erhalten, an die société des beaux arts[5] wandte, welche an Stelle der aufgehobenen Akademie der Künste getreten war. Man willfahrte gerne ihrem Verlangen, indem sich sofort zwei Mitglieder der Kommission ernsthaft und gravitätisch zum Direktor des republikanischen Nationaltheaters begaben, „um der Bürgerin die Anweisung zu verschaffen, ihren Stoff auf eine schickliche Weise zu schneiden“.

Andere Bürgerinnen folgten mehr ihrer eigenen Eingebung in Auslegung der Mode, die nicht mehr von Versailles diktiert wurde, sie überboten womöglich noch die vergangene Zeit an unglaublichen Hüten, Hauben und Frisuren, wenn diese auch keines Puders mehr bedurften. Die rings um den Kopf wallenden Locken hatten aber denselben Uebelstand, wie dereinst bei ihrem Aufkommen unter Ludwig XIV: sie waren in natürlicher Fülle nur auf wenigen Köpfen zu finden. Also griff man zu demselben Auskunftsmittel wie damals, und eine elegante Frau hatte nicht eine, sondern ein Dutzend Perücken. Madame Tallien besaß 30 Stück, und zwar von verschiedenen Farben; diese wechselten vom Weiß- und Gelbblond bis zu Goldton, Rot und Haselnußfarbe. Das Stück wurde mit 20 Louisdoren bezahlt. Das war die republikanische Einfachheit, die Frucht der Schreckensjahre! Sie läßt sich niemals (dies lehrt die Geschichte) mit Gewalt irgendwo einführen, wo der Luxus herrschte, und alles Streben danach läuft auf widerliche Heuchelei hinaus. Mehr als irgendwo sonst hatte dieser Terrorismus der Armseligkeit in Frankreich die Gemüter verbittert; die ganze Jugend, die in den gezwungenen spartanischen Entbehrungen aufgewachsen war, dürstete förmlich nach Freude und Lebensgenuß, sie verwünschte die Jakobiner und ihre geheuchelte demokratische Tugend, sie wollte nun selbst die Vergnügungen kennenlernen, von welchen man bisher nur verstohlen erzählen durfte.

So knüpfte sich ganz von selbst die so blutig zerrissene Kette einer feineren Civilisation wieder an, man besann sich auf die Gewohnheiten früherer Zeit. Der Sonntag und die siebentägige Woche traten wieder in ihr Recht und es wurde der Geistlichkeit stillschweigend gestattet, eine Anzahl Kirchen neu zu weihen und Gottesdienst darin zu halten. Auch die Neujahrsgratulation, die förmlich verboten war, trat wieder in ihre Rechte, man fand es plötzlich nicht mehr unwürdig und servil, seinen Freunden Glückwünsche und Geschenke darzubringen, und seit 4 Jahren zum erstenmal sahen die Kinder von Paris am 1. Januar 1797 Spielsachen und Konfitüren. Die Schreckensmänner würden erstaunt gewesen sein, zu sehen, daß alles, was sie ausgerottet glaubten, unter der Hülle ruhig weiter gelebt hatte und jetzt plötzlich wieder zu Tage trat.

Freilich zeigte sich auch bei dieser Neugestaltung der Gesellschaft das alte Gesetz, demzufolge eine einfache Wiederherstellung vergangener Zustände unmöglich ist. Das Jahr 1789 hatte zu gründliche Aenderungen der Gesinnung bewirkt und der siegreiche „dritte Stand“ war eine Macht geworden, politisch wie gesellschaftlich, [434] er nahm für sich die Rechte in Anspruch, welche früher nur der Aristokratie zustanden. Es war also nur ein teilweises Wiederanknüpfen an die alte Tradition, was sich unter dem Direktorium vollzog, und viele völlig neue Erscheinungen veränderten die Erscheinung der Gesellschaft von Grund aus.

Dahin gehören vor allem die Zusammenkünfte in öffentlichen Lokalen, welche früher für die gute Gesellschaft unmöglich gewesen wären. Sie entstanden jetzt von selbst, weil die Privatgeselligkeit der Vornehmen aufgehört hatte und weil eine unendlich größere Menge, als jemals bei jenen Zutritt erhielt, jetzt nach Vergnügen dürstete. Eine wahre Tanzwut hatte Paris ergriffen; in den gemeinen Wirtslokalen schwang sich das niedere Volk bei Fiedel und Klarinette, während die „neue Gesellschaft“ in rasch hergerichteten eleganten Sälen unter vergoldeten Decken und blitzenden Krystalllüstern sich einer ungezügelten Freude hingab. Schöne Frauen im leichtesten „griechischen“ Kostüm flogen im Walzer umher. Liebesintriguen aller Art waren im Gang: Genuß und wieder Genuß war die Losung dieser sämtlichen Emporgekommenen, von welchen ein guter Teil seinen Reichtum der Not des armen Volkes verdankte, die gerade in jenen Zeiten eine furchtbare Höhe erreichte.

Bekanntlich hat die Revolution auch mit einem finanziellen Bankerott geschlossen. Ihre Verheißung: „Glück und Wohlstand für alle!“ suchte sie durch Ausgabe massenhaften Papiergeldes zu verwirklichen, welches, da keine Metallschätze zur Deckung bereit lagen, unaufhaltsam im Werte sank. Das Direktorium, statt zu reorganisieren, verließ den Unheilsweg nicht, gab weitere Millionen ungedeckter Assignaten aus, und so erreichte die Not eben in den Jahren des milderen politischen Regimentes ihre furchtbarste Höhe. Mit Stücken von vielen hundert Livres[6] in Assignaten wurde ein einfacher Tagelohn bezahlt, es konnte jedem begegnen, um 200 Livres angebettelt zu werden von einem, der nicht genug hatte, um seine Schuhe flicken zu lassen. 10 Pfund Unschlittkerzen kosteten 500 Livres, 1 Truthahn 300, 1 Pfund Kaffee 210, ein Batistkleid 2500, 6 Paar seidene Strümpfe 3600, eine Klafter Holz 7000, ein geschlachtetes Schwein ebensoviel. Bei solchen Zuständen konnte es nicht fehlen, daß die gewissenloseste Agiotage überall wucherte und mit der Differenz zwischen Gold und Papier Riesengeschäfte machte, ebenso, daß eine Menge von früher wohlhabenden Familien völlig verarmte. Das Direktorium war in einer verzweifelten Lage und mußte zu verzweifelten Mitteln greifen, wie die Streichung von zwei Dritteln der Staatsschuld und die massenhafte Einziehung des wertlosen Papiergeldes.

Da kam ihm unerwartet Heil von seiten des Mannes, welcher binnen weniger Jahre die unfähigen Direktoren absetzen und die von ihnen ungelöste Aufgabe, Ordnung in das große Chaos zu bringen, glänzend bewältigen sollte. Der General der Republik Bonaparte hatte in Italien Ruhm, Provinzen, Gold und Kunstschätze erobert und überschickte bare Millionen in Gold dem ausgetrockneten Staatsschatz. Was Wunder, wenn von damals an sein Name auf allen Lippen war und die Vorstellung von seinem märchenhaften Alpenübergang, von seinen Siegen die Phantasie aller Franzosen erfüllte!

Die früher allgemein verbreitete Vorstellung, daß das Kommando in Italien eine durch Barras erteilte Belohnung dafür war, daß Bonaparte dessen frühere Geliebte, die Witwe Beauharnais, heiratete, ist durch neuere Forschung mindestens zweifelhaft geworden. Bonaparte war im Jahre 1795 den Machthabern und der Oeffentlichkeit als ein ungewöhnlich begabter, entschlossener Offizier bekannt, der vor Toulon sich zuerst glänzend hervorgethan hatte, dann im Oktober des Jahres, als ein Royalistenaufstand den Konvent und die neue Verfassung bedrohte, seine Batterien auffuhr und den beginnenden Straßenkampf rücksichtslos niederkartätschte. Zwischen beiden Siegen lagen freilich ein paar Monate großer Armut und Dunkelheit, wo er als Anhänger von Robespierre kompromittiert beiseite gesetzt war und als Brigadegeneral ohne Sold in Paris der Gelegenheit wartete, eine seinen Wünschen entsprechende Stellung zu finden. An Bemühungen ließ er es nicht fehlen, er suchte die Bekanntschaft der Mächtigen und Einflußreichen, er erschien auch auf den Festen des Direktors Barras im Luxembourg-Palais und stellte sich der schönen Madame Tallien vor, die ihn mit gewohnter Anmut empfing und auf seine Bitte lächelnd ihren Einfluß anzuwenden versprach, um ihm, dem fast Mittellosen – ein paar Ellen Tuch zu einer neuen Uniform zu verschaffen, auf welche er, außer Dienst, keinen Anspruch hatte. Durch ihre Liebenswürdigkeit kühn gemacht, mischte sich der kleine, magere Offizier, unbekümmert um seine schäbige Uniform, in den glänzenden Gesellschaftskreis und berauschte sich am Anblick der schönen Frauen und der lebhaften Heiterkeit ihrer Unterhaltung, ja, er zog sogar plötzlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, indem er, der sonst so Schweigsame, in übermütiger Lustigkeit die Hand Madame Talliens ergriff und behauptete, ein unfehlbarer Wahrsager zu sein. Er brachte nichts als Tollheiten vor, aber die Gesellschaft horchte hoch auf, denn diese starken Revolutionsgeister waren ganz außerordentlich abergläubisch. Nekromanten und Kartenschläger florierten wie zur Schreckenszeit, wo mehr als einer von denen, welche morgens ein paar Dutzend Unglückliche zur Guillotine geschickt hatten, am Abend vor den Prophezeiungen eines alten Weibes zitterte. Es wird auch von merkwürdig eingetroffenen Vorhersagungen berichtet, wie die der alten Ungarin auf Martinique, welche der nachmaligen Kaiserin Josephine ihr ganzes erstaunliches Schicksal aus der Hand verkündet haben soll.

Jedenfalls hatte diese selbst aber keine Ahnung, daß an jenem Gesellschaftsabend, wo sie mit den anderen über die spaßhafte Wahrsagerei lachte, in diesem unscheinbaren kleinen Offizier der Mann ihres Schicksals vor ihr stand. Einige Wochen darauf war er durch seine Rettung des Konvents mit einem Schlag bekannt geworden, fand sich öfter und öfter im Salon Tallien ein und verstrickte sich sehr bald in eine heftige Leidenschaft zu der hübschen, äußerst graziösen Josephine, deren gewohnte und vielgeübte Schmeicheleien und Koketterien sein unerfahrenes Herz und seine jugendliche Eitelkeit im Sturm gefangen nahmen. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt und bestürmte sie mit den Aeußerungen einer übermächtigen Empfindung, die sie ihrerseits nicht teilte, aber aus guten Gründen stets angelegentlich schürte. Josephine hatte in der Schreckenszeit Mann, Vermögen und Stellung eingebüßt, sie lebte mit ihren beiden Kindern Eugen und Hortense in äußerster Beschränkung, hauptsächlich von den Unterstützungen ihrer Freunde und Freundinnen, aber nicht als trauernde Witwe, sondern als leichtherzige Teilnehmerin der öffentlichen Bälle und aller Feste, welche die wiederauflebende Gesellschaft veranstaltete. Ihr Ruf war dabei nicht der beste, aber wer kümmerte sich darum im Salon von Barras, wo Madame Tallien und so viel andere der gleichen Lebensführung den Ton angaben. Begreiflicherweise sah sich die schöne, vielgefeierte Josephine in der Stille nach einem Versorger für sich und ihre Kinder um, es bedurfte aber doch des Zuredens von Barras und anderen, um sie zur Heirat mit Bonaparte zu bestimmen, vor dessen heftig leidenschaftlichem Naturell und ungeheurer Anmaßung und Herrschbegier die indolente Kreolin eine Art von Furcht empfand. Auch das Mißverhältnis der Jahre – er war 27, sie 35 – erfüllte sie mit Bangigkeit wegen der Zukunft. Aber in dem Maße, als seine Beliebtheit bei den Direktoren sowie seine Aussicht zunahm, den von ihm vortrefflich geplanten Feldzug in Italien zu führen, verringerte sich die geheime Abneigung Josephinens gegen die Heirat, und kurz nach seiner Ernennung zum obersten General der Armee in Italien, am 9. März 1796, fand ihre Trauung statt, ohne kirchlichen Segen, wie es damals noch vielfach üblich war. Die Standesbücher wurden auch nicht sehr genau geführt, das Brautpaar benutzte dies, um sich im Alter etwas anzunähern. Napoleon legte sich ein Jahr zu, Josephine strich sechs ab, so daß sie als Ehepaar von 28 und 29 Jahren eingetragen wurden.

Zwei kurze Tage nur waren dem liebeglühenden Bonaparte in dem kleinen Haus seiner Josephine, Rue Chanteraine, vergönnt, dann mußte er sich losreißen, um den Weg zum Ruhm anzutreten, dessen leuchtende Morgenröte über seinen ersten Waffenerfolgen aufging, um sich bald als volle Strahlenglorie um das Haupt des in Mailand einziehenden Siegers über ganz Oberitalien zu ergießen. Aber dieser Ruhm sättigte sein Herz nicht, es verlangte sehnsuchtsvoll nach der geliebten Frau, und er [435] sandte Kurier auf Kurier mit Briefen voll überschwänglicher Zärtlichkeit, um sie zur Reise nach Mailand zu bewegen, zu einer Wiedervereinigung, die er in seiner blinden Verliebtheit für sie ebenso beglückend glaubte als für sich selbst. Aber darin täuschte er sich gründlich. Josephine dachte nicht daran, die weite Reise zu machen, um mit dem für sie gleichgiltigen Mann zusammen zu sein, anstatt sich in seiner Abwesenheit frei und ungeniert in Paris zu amüsieren, Bälle und Feste mitzumachen, von denen das schönste und für sie schmeichelhafteste die Uebergabe der in Italien eroberten Fahnen durch Bonapartes Adjutanten, den Oberst Junot, war. Im großen Saal des Luxembourg nahm mit allem erdenklichen Pomp und Glanz das Direktorium die herrliche Ruhmesbeute entgegen, und alle Augen richteten sich auf Madame Bonaparte, welche im elegantesten goldgestickten griechischen Gewande zwischen der schönen leichtfertigen Madame Tallien und der ebenso schönen, aber völlig tugendreinen Madame Récamier als Hauptperson in den Augen der Menge figurierte. Ein herrlicher Maitag gab den Hintergrund zu dem Feste, von dessen wundervoll idealer Stimmung die Teilnehmer noch als alte Leute erzählten.

Josephine blieb also, trotzdem sie wonnevoll Napoleons Ehren genoß, von seinen glühenden Liebesbriefen gänzlich ungerührt. „Er ist wirklich komisch, dieser Bonaparte,“ sagte sie, wenn sie wieder einen erhalten hatte, zu ihren Vertrauten; sie antwortete nur sehr nachlässig, schützte, um sich zu entschuldigen, Krankheit vor, welche Nachricht ihn völlig in Verzweiflung stürzte. „Ich finde keine Ruhe mehr, keinen Schlaf, keine Hoffnung, bis der Kurier zurück ist und Du mir in einem langen Briefe schreibst, was es mit dieser Krankheit auf sich hat. …. Sage mir, daß Du glaubst, daß ich Dich über alles Erdenkbare liebe, daß ich nur an Dich denke, daß keine andere Frau mir je in die Gedanken kommt; daß Du, Du allein, so wie Du bist, meine ganze Seele erfüllst …“ – so schrieb er ihr und wurde nicht müde, in tausend neuen Wendungen stets dasselbe zu sagen.

Es brauchte einige Monate, bis ihm der erste Zweifel an ihrer Liebe kam und ihn heftig beunruhigte. Er hatte offenbar gehofft, die neue, reine Herzensneigung werde sie über eine Vergangenheit erheben, die ihm unmöglich unbekannt sein konnte, für die er aber sicher Entschuldigungen in ihrer damaligen Verlassenheit fand. Nun kam der Argwohn, und bald sollte ihm auch die Gewißheit nicht fehlen, daß diese kleine, höchst gewöhnliche Seele gar nicht imstande war, eine Leidenschaft wie die seine zu fassen, geschweige sie zu erwidern.

Als seine Bitten nichts halfen, schickte er Befehle, die sie endlich zur Reise bewogen. Sie hatte sich nur unter Thränenströmen von Paris getrennt, lebte sich aber in Italien sehr rasch in die Stellung der gefeiertsten und wie eine Königin repräsentierenden Gemahlin des Siegers von Arcole und Mantua ein. Ihn auf seinen weiteren Zügen gegen Osten zur totalen Vertreibung der Oesterreicher zu begleiten, wie er gehofft hatte, fiel ihr nicht ein, sie hielt in Mailand Hof, amüsierte sich mit Italienern und Franzosen und zeichnete unter letzteren einen unbedeutenden hübschen Lieutenant, Charles, dermaßen aus, daß sich Bonaparte veranlaßt sah, denselben rasch nach Frankreich zurückzuschicken. Als Sieger, auf den die Augen der ganzen Welt blickten, kehrte er im November 1797 nach dem Frieden von Campo Formio von Italien zurück, aber die Illusionen über Josephinens Liebe hatte er dort gelassen. Von da an bewachte und regelte er ihre Lebensweise, soviel dies bei ihrem Charakter und Napoleons zahlreichen Abwesenheiten eben möglich war.

Die Heimkehrenden wurden mit glänzenden Festen empfangen, zu welchen sich eine teilweise neue Gesellschaft einfand. Es gab wieder Salons in Paris, deren Herrinnen nach der alten französischen Tradition durch Geist und Liebenswürdigkeit Einfluß auf die leitenden Männer zu gewinnen suchten.

Allen voran ging hierin Frau v. Staël, die hochbegabte Tochter Neckers, die schon als Mädchen von 15 Jahren im Salon ihrer Mutter mit den Girondisten politisierte und lebenslang eine unmittelbare Teilnahme an Staatsangelegenheiten bewies, wie sie gewiß nur wenig Frauen jemals empfanden. Sie war eine äußerst lebhafte, stets zur Diskussion aufgelegte Persönlichkeit, die nur mit schwerer Ueberwindung das über ihren Vater verhängte Exil in der Schweiz ertragen hatte, denn sie lebte in ihrem bedeutenden Selbstgefühl der festen Ueberzeugung, daß es ihr zustehe, in den Neugestaltungen des Staates eine beratende Stimme zu haben, und dürstete nach der Gelegenheit dazu. Nun wieder in Paris angelangt, versammelte sie aufs neue alle hervorragenden Geister in ihrem Salon und hatte bald großen Einfluß auf die Führer der gesetzgebenden Versammlungen. Auch Joseph Bonaparte, der Bruder Napoleons, gehörte zu ihren Freunden, und sie war mit allen diesen Männern begeistert für Napoleons Großthaten und erkannte mit richtigem Blick in ihm den Führer seiner Zeit. Man verschlang damals die Zeitungen, welche Sieg auf Sieg meldeten, nach den Diners verwandelte sich die Tafel in das Schlachtfeld, wo Aufsätze und Leuchter die verschiedenen Dörfer vorstellten und Birnen, Nüsse und Trauben als Truppenkörper verteilt wurden. Die schönen Frauen lauschten aufmerksam den Erklärungen, welche die anwesenden Offiziere gaben, und begeisterten sich für den neuen Helden. Aus dieser Stimmung heraus schrieb Frau v. Staël enthusiastische Briefe an Napoleon, deren überschwenglicher Ton ihm mißfiel, so daß er keine Antwort gab. Jedenfalls wirkte dabei die Abneigung mit, welche er früher schon gegen sie empfunden hatte. Und allerdings war Frau v. Staël mit ihrer kurzen dicken Figur und den starken Zügen, die indessen von zwei mächtigen dunklen Augen überstrahlt wurden, das Gegenteil von Napoleons Geschmack, der nur schöne graziöse Weiblichkeit liebte und seiner Josephine um dieser willen vieles nachsah, der außerdem an weiblichen Geist nicht glaubte und eine fürchterliche Abneigung gegen alle Blaustrümpfe hatte.

So war ihre Sache von vornherein verloren, als sie sich auf einem großen, durch Talleyrand gegebenen Feste im Herbst 1797 Bonaparte vorstellen ließ und ihn in ihrer lebhaften Beredsamkeit mit Bewunderung seiner Thaten überströmte, ohne damit einen besonderen Eindruck auf ihn zu machen. Das Thema wechselnd, stellte sie ihm dann die bekannte Frage: Wen er für die erste Frau der Gegenwart und Vergangenheit halte. Seine unhöfliche und cynische Antwort „Diejenige, die dem Staat die meisten Kinder geboren hat!“ parierte sie mit der Replik „Nun, man weiß ja, General, daß Sie die Frauen überhaupt nicht lieben!“ – „Pardon, Madame,“ sagte er lachend, „ich liebe die meinige sehr!“ Und dieses ausdrückliche Hervorheben der „unbedeutenden Kreolin“, wie sie Josephine zu nennen pflegte, wird sie ihm wohl nie verziehen haben. Jedenfalls aber ist man nicht berechtigt, ihre spätere feindliche Haltung gegen den Ersten Konsul aus dieser verletzten Fraueneitelkeit herzuleiten. Ihre große patriotische Seele war erfüllt von dem Ideal einer Republik, wie sie die Girondisten geträumt hatten, sie hoffte, es unter dem Direktorium verwirklicht zu sehen, und wandte sich, wie viele männliche Patrioten, enttäuscht und schmerzvoll ab, als in Napoleon die Cäsarennatur sich enthüllte und er lieber Imperator als erster Bürger sein wollte. Daß Frau v. Staël durch ihren Salon eine gegen ihn wirkende Macht war, wußte er sehr wohl und behandelte sie, wie er einen männlichen Feind behandelt haben würde, rücksichtslos und grausam, indem er das für sie Bitterste, das Exil, über sie verhängte.

Nach kurzen Monaten des Winters 1797 unternahm Bonaparte das große Wagnis, England in Aegypten anzugreifen, und kehrte erst im August 1799 als ein Mann zurück, der entschlossen ist, alles gegen alles zu setzen und sich zum Herrn des Schicksals zu machen. Das Glück blieb ihm treu, der Staatsstreich des 18. Brumaire (9. November) gelang, das Direktorium wurde gestürzt, die Versammlungen gesprengt und an der Spitze einer neuen Regierung stand der Erste Konsul Napoleon Bonaparte.

Es fehlte nicht viel, daß Josephine zur selben Zeit ihre Katastrophe erlebt hätte. Während Napoleons Abwesenheit in Aegypten war der Lieutenant Charles wieder aufgetaucht und von ihr in dem neugekauften Malmaison beherbergt worden. Als Napoleon davon hörte, geriet er in eine furchtbare Wut und wollte bei seiner Rückkehr die Scheidung vollziehen. Diese war damals sehr leicht, die Paare liefen so ohne Umstände auseinander, wie sie sich zusammengefunden hatten. Aber Josephinens Thränen und den Bitten ihrer Kinder gelang es, ihn umzustimmen, er hörte ihre „Rechtfertigung“ und verzieh, wahrscheinlich ebenso sehr aus Klugheitsgründen als aus einer Anwandlung der alten Liebe.

[436] Und nun änderte sich der Anblick der Gesellschaft in reißender Schnelligkeit. Die verbannten Aristokraten kehrten zurück, und man sah ihre Einwirkung sofort an der feiner und anständiger werdenden Mode. Die Unverhülltheit durfte sich nicht mehr sehen lassen, die Damen erschienen jetzt in weniger ausgeschnittenen, feinen, langen Musselingewändern, duftige Turbans um die Lockenhaare, und in allem bemüht, Haltung und gute Sitten an den Tag zu legen. Ganz unwillkürlich erhoben sie sich, wenn Josephine in ihre Mitte trat, und diese selbst war eifrig bestrebt, den Wert zu behaupten, welche ihre aristokratische Geburt und Erziehung sowie die Bekanntschaft mit dem alten Adel ihr in Bonapartes Augen verliehen. Letzteres allerdings überschätzte er im Anfang: Frau von Beauharnais war niemals bei Hofe vorgestellt worden und hatte nicht mit den Vornehmsten verkehrt, aber nun, da sie die Frau des Machthabers war, schätzten sich viele von jenen glücklich, sie aufzusuchen und ihre Vermittlung in Anspruch zu nehmen, um die konfiscierten Güter und Vermögen ganz oder teilweise zurückzuerhalten, und Josephine wirkte unermüdlich für sie.

Bonaparte als Realpolitiker schätzte den Wert einer wahren Vornehmheit sehr hoch; die guten Formen und das tadellose Benehmen wünschte er durchaus für seinen konsularischen Hofstaat, obgleich seine rücksichtslose Natur eigentlich allen Förmlichkeiten feind war und er sich fortwährend grobe Unarten zu schulden kommen ließ. Er wußte, was ihm fehlte, und wünschte, es in anderen zu sehen.

Mit der Reorganisation fing er im eigenen Hause an und verbot mitleidlos und ungerührt von Josephinens Thränenströmen ihren Umgang mit ihren liebsten Freundinnen, der übelberufenen Madame Tallien und vielen anderen. Er wünschte Damen von unzweifelhaftem Ruf bei ihr zu sehen, Damen, die „einen Salon hielten“, wie Frau von Montesson, die erste Aristokratin, welche wieder Feste im alten Stil gab mit gepuderten Lakaien und herrlichen Tafeln voll Silbergeschirr, Frau von Genlis, die für feine Sitte und Anmut berühmte Schriftstellerin, Frau von Rémusat, die wahrhaft vornehme und hochgebildete Verfasserin der bekannten Memoiren, welche jahrelang als Hofdame bei Josephine war. „Heiraten Sie und machen Sie einen Salon!“ war Napoleons ständige Ermahnung an seine Offiziere, und er übernahm mit großem Vergnügen die Auszahlung der Mitgift, wenn einer dadurch eine Tochter aus einem armen adeligen Hause erhielt. Es hielt dies nicht leicht, denn die wirklich Vornehmen, die nun zurückkehrten, hatten eine große Abscheu vor den Volkssöhnen mit dem Marschallsstab im Tornister, von denen nur wenige, wie Junot und Lannes, elegante schöne Männer, die Mehrzahl aber etwas brüske Gesellen waren, die in Gegenwart der Frauen nur schwer die Lagermanieren zu verleugnen vermochten. Aber der Wille des Ersten Konsuls brachte diese doch auf Freiersfüße, und so schwärmte es bald von Brautschaften und Hochzeiten in Malmaison, wohin er sich in den Sommermonaten mit Josephine begab. Bei jenen Hochzeitsfesten fand der Anfang einer Versöhnung der Parteien statt, aber die kirchliche Trauung, auf welcher die aristokratischen Mütter bestanden, wollte den jungen Revolutionsgeneralen nur schwer in den Kopf und andrerseits entschlossen sich die Priester nur sehr ungern, diesen offenkundigen Gottesverächtern den Segen zu erteilen. Aber auch hier half der Wille des Mächtigen, der den aristokratischen Zuwachs seiner Gesellschaft dringend wünschte.

Und so entfaltete sich denn in Malmaison bald eine große Heiterkeit und jeder Tag brachte neue Vergnügen. An schönen Tagen wurden die Tische im Freien unter hohen Bäumen gedeckt, dann spielte die ganze Gesellschaft Federball auf dem Rasen. (Das Kartenspiel mit dem Ersten Konsul war minder gesucht, denn er „mogelte“ ganz unverschämt und hatte seine Freude am Pech der andern.) Sonntags gab es kleine Bälle, dazwischen Komödienspiel mit großem Empfang verbunden, wo ausgesuchte Erfrischungen gereicht wurden und die vielen Gäste, auch die fremden Diplomaten, entzückt waren von der Freundlichkeit des Ersten Konsuls und der unvergleichlichen Grazie, mit der die immer noch schöne Josephine die Honneurs machte.

Es bestand ein großer Kontrast zwischen ihrem schwebend anmutigen Gang und dem hastigen Hereinschießen Bonapartes, der nur zu oft im Fall war, zu dem goldgestickten konsularischen Frack, welchen seine Mitkonsuln Cambacèrès und Lebrun mit Puderköpfen, seidenen Strümpfen und Spitzenjabots trugen, Kniestiefel und eine Uniformsweste anzuhaben, wenn er von seiner Arbeit in den Salon herüberkam. Seine kleine, magere Figur mit dem schlichten Haar und gelben Gesicht sah in dem sonderbaren Aufzuge eigentlich komisch aus, aber niemand hätte gewagt, dies zu finden!

Napoleon war keine gesellige Natur und that sich bei solchen Gelegenheiten Zwang an. Wenn er seine Runde gemacht hatte, stellte er sich ans Kamin und beobachtete mit auf den Rücken gekreuzten Armen die Anwesenden, warf auch hie und da eine seiner kurzen, treffenden Bemerkungen ins Gespräch, die, wo sie uns wörtlich überliefert sind, einen unaufhaltsam eindringenden Verstand, eine scharf schneidende Logik und eine sehr genaue Menschenkenntnis, wenn auch wenig Menschenliebe, beweisen.

Josephinens Toiletten bei solchen Gelegenheiten erregten den Neid und die Bewunderung der anderen Frauen, aber sie verbrauchte auch Unsummen dafür und steckte doch fortwährend in Schulden. Von den feinsten indischen Shawls, deren jeder ein kleines Vermögen kostete, besaß sie Dutzende, auch verstand sie die Kunst, die scheinbar so einfachen, stoffarmen „Empire-Kleider“ unerhört teuer zu machen. Einmal erschien sie bei einem solchen Empfang in Malmaison in einem weißen Kreppkleid, das über und über mit frischen Rosenblättern besät war, die natürlich erst im letzten Augenblick von vielen Händen aufgeheftet werden konnten, ein andres Mal war das Kleid ganz mit kleinen perlgeschmückten Tukanfedern überdeckt und ein prachtvoller Rubinenschmuck zierte Kopf und Hals.

Sie fühlte sich schon als Herrscherin und Napoleon war derselben Meinung. Beim Tode seines Schwagers, des Generals Leclerc, legten die Damen seines „Hofes“ Trauer an. Die beiden andern Konsuln mußten es dulden, daß er seinen Namen allein unter die Dekrete setzte, und ihre Frauen bestritten nicht den unbedingten Vortritt Josephinens. Man sah die Diktatur voraus und ergab sich darein. Das erste äußere Zeichen dafür war die von Bonaparte beschlossene Uebersiedlung aus dem kleinen Luxembourg-Palast in die Tuilerien. Lebrun machte sie mit, der klügere Cambacèrès meinte, das schnelle Wiederausziehen würde ihm nicht behagen, und kaufte sich ein Haus, in welchem er Napoleons Glanz und Napoleons Sturz überlebte.

Der Einzug in die Tuilerien, die aber jetzt Gouvernementspalast genannt wurden, ging 1799 mit großem Pomp vor sich. Wie früher bei den Auffahrten der Könige, bildete die Garnison der Stadt Spalier für das große Geleite des Ersten Konsuls. Er erschien in einem von sechs prächtigen Schimmeln gezogenen Wagen und der Enthusiasmus der Pariser stieg um ein bedeutendes, als ruchbar wurde, diese Pferde seien ein Geschenk des österreichischen Kaisers nach dem Frieden von Campo Formio. Hinter Napoleons Wagen erschien der Staatsrat in Kutschen, die stark von jenem abstachen: es gab keine Equipagen mehr in Paris, so hatte man Fiaker nehmen müssen, deren Nummern mit dunklem Papier verklebt wurden! Mit Mühe waren für die Minister ein paar anständige Wagen aufgetrieben worden.

Dies sollte sich nun alles aufs schnellste ändern. Bonaparte, der bei jeder Ausfahrt von den Huldigungen der Menge und bei den Paraden von ungeheurem Enthusiasmus der Soldaten umgeben war, er sah seinen Weg vor sich und betrat ihn mit festem Schritt. Er war der glückliche Erbe der Revolution, sein organisatorisches Genie übersah und reformierte das ganze Gebiet der Staatsverwaltung, und die Mitwelt nahm willig die neue Gesellschaftsordnung aus seiner Hand an. Staatsreligion, Etikette, Standesunterschicde, diplomatische Verbindungen, alles, was einen monarchisch regierten Staat bezeichnet, wurde wiederhergestellt, die Empfänge in den Tuilerien vollzogen sich nach einem bestimmten Ceremoniell, und als die Jahrhundertwende herankam, da hatte Paris einen Hof und einen Herrscher, wenn derselbe auch noch keine Krone trug.





  1. Königliche Schauspieler.
  2. Königskuchen.
  3. Königsuhr.
  4. Vollziehende Gewalt.
  5. Gesellschaft der schönen Künste.
  6. 80 Franken = 81 Livres.