Die Prairien

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Autor: C. B.
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Titel: Die Prairien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32–34, 36–39, S. 460 .. 562
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Prairien.

Erlebnisse eines deutschen Flüchtlings von C. B.


Was für Abenteuer soll man auf dem Washington erleben können? Wir gebrauchten 16 Tage bis New-York und waren dort angelangt, ohne daß ich Gelegenheit genommen, meine Reisegesellschaft näher kennen zu lernen. Sie interessirte mich nicht. Ich hatte mein Vaterland verloren. Der Schmerz war zu neu, zu gewaltig. Da saß ich stundenlang in der Cajüte, nahm das Schachspiel vor und bot Schach dem Könige. Ich opferte die Königin und konnte doch nicht Matt setzen. Dann lachte ich laut auf. Während meiner Haft hatte sich meine Geliebte verheirathet und war vielleicht schon glückliche Mutter. Zuweilen hatte ich auch eine sentimentale [462] Stimmung. Dann setzte ich mich an den Flügel und spielte. Wie ich aber auch anfing, bald waren meine lieben Volkslieder mir unter den Fingern und zauberten mir meine Heimath in ihrer ganzen Schöne vor die Seele. Ich schwamm den Rhein herunter, lag an dem Strande der Saale; ich wanderte durch das liebe Thüringen oder am Fuße des Odenwaldes. Wen nimmt es Wunder, daß ich, erwachend aus diesen Träumereien, oft mit beiden Händen auf die Tasten schlug und durch diese Dissonanz mich wieder in die platte Wirklichkeit versetzte? Wenn ich dann aufstand, bemerkte ich, daß ich nicht ohne Zuhörer gewesen war. Ich bezog das nicht auf mein Spiel. Ich wußte ja, welche Gewalt das einfache deutsche Lied auf jeden Menschen ausübt. Und so war ich allein geblieben inmitten einer glänzenden Gesellschaft und ordnete mein Gepäck – leicht Gepäck –, um mit ihm in New-York einzuziehen.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Amerikaner bei einer Landung verfahren, ist nur zu bekannt, und unbegreiflich ist es, daß nicht größere Unglücksfälle sich ereignen. Mit einem Male fluthete der Strom der Aussteigenden nach der Landungsbrücke; rücksichtslos drängten die vom Lande dagegen, und ich sah, wie eine Dame in das Wasser fiel. Neben mir stand ein Eimer an einem Strick befestigt. Mit ihm wurde Wasser heraufgezogen. Ich befestigte den Strick und ließ mich hinunter. Es gelang mir die Verunglückte zu erreichen, ihre Kleider hatten sie über Wasser gehalten. Vergebens schrie ich um Hülfe, Niemand hörte mich. Das arme Mädchen war ohnmächtig geworden; ich glaubte schon, sie hinge leblos in meinen Armen. Es war ein Glück, daß ich den Eimer mit heruntergeworfen hatte. Meine Arme erlahmten. Ich kehrte den Eimer um, und setzte das Mädchen darauf. Diese Arbeit hatte mich so beschäftigt, daß ich aufgehört hatte zu rufen. Es war die höchste Zeit, daß ich mir diese Erleichterung verschaffte, denn ich hielt nur noch im Krampfe den Strick. Da erwachte die Unglückliche.

„Halten Sie diesen Strick!“ rief ich ihr zu, und instinctartig ergriff sie ihn mit beiden Händen.

Ich hörte nur noch, wie sie rief: „Harry, Harry!“ dann verließ mich auf einige Augenblicke das Bewußtsein. Ich ließ den Strick mit der einen Hand los, hatte aber glücklicherweise mit der andern Hand den Eimer gefaßt und war so vor dem Untergehen bewahrt. Nur durch meine Kleider behindert, wurde es mir nicht schwer, mich über dem Wasser zu erhalten, und bald hatte ich den Strick mit der andern Hand wieder ergriffen. Als ich aufsah, ließen sich schon Mehrere über das Verdeck herunter, und nachdem die junge Dame heraufgeholt war, ward auch ich glücklich heraufgezogen. Vergebens sah ich mich nach meinem Gepäck um. Es war verschwunden.

Todmüde, durch und durch naß, betrat ich den amerikanischen Boden. Sogar meine Kopfbedeckung hatte ich eingebüßt. Um mich bekümmerte sich Niemand. Der mich herausgezogen hatte, mochte es mir übel genommen haben, daß ich so ungütig ein kaltes Bad genommen hatte. Genug, ich stand auf amerikanischem Boden, durchnäßt von seinem Wasser, gefärbt von seinem Schlamm. Durch seinen Schlamm habe ich eine lange Zeit hindurchwaten müssen!

„Wenn Sie nur Einen Amerikaner für Sich interessirt hätten!“ sagte mein Freund zu mir. „Lehrer können Sie nicht werden, dazu passen Sie hier in Amerika nicht, und als Professor, wie ich, werden Sie nie angestellt, wenn Sie keine Fürsprache haben.“

„Und Sie?“

„Ich kann gar nichts thun. Ich bin ein Fremder und bleibe ein Fremder. Meine Collegen achten und schätzen mich, aber ich bin ein Fremder und habe keine Stimme. Das Collegium sollte einen Namen haben, deshalb haben sie mich von Göttingen hierher berufen. Meine Kinder werden keine Fremden mehr sein, und deshalb harre ich aus, sonst –“

Du guter, lieber Mensch! In Göttingen hatte ich ihn kennen gelernt. Er hatte damals schon einen Ruf nach Amerika. Man hatte ihm 50 Thaler Gratification gegeben, statt seinen Gehalt von 300 Thalern auf 600 Thaler zu erhöhen, und so hatte er die Professur in Amerika angenommen und war doch nicht zufrieden mit 2000 Dollars Gehalt. Amerika war ihm kein Ersatz für das Vaterland. Wir hatten uns zufällig wieder getroffen. Ich übergehe absichtlich meine Schicksale in Amerika. Sie sind so oft erzählt. Eins gleicht dem andern, wie ein Ei dem andern. Jetzt unterrichtete ich seine Kinder und war nebenbei Hausknecht bei einem Kaufmanne.

Wir waren auf einem Spaziergange. Als mein Freund eine lange Pause machte, fuhr gerade ein Wagen an uns vorbei, und ich hörte, wie ungewöhnlich laut und erregt eine Dame rief:

„Das ist er! Wahrlich, wahrlich, Harry!“

Ein junger Mensch bog sich aus dem Wagen und schien uns zu beobachten. Ich wollte meinen Freund aufmerksam machen, als Beide sich erkannten und freundlich begrüßten.

„Wenn der sich für Sie interessirte! Wenn ich das bewirken könnte, so wäre Ihre Zukunft gesichert! Sie wären herausgerissen aus dem gewöhnlichen Leben und würden der Wissenschaft wieder gehören.“

„Der?“ fragte ich erstaunt und spöttisch.

„Ich kenne Amerika, wie mein Griechenland!“ fuhr mein Freund fort, und er hatte Recht, denn er studirte es von seiner Studirstube aus, wie seine Alten in derselben, das wußte ich. „Er gehört zu den Regierenden im Lande, obgleich er noch zu jung ist, um ein öffentliches Amt zu bekleiden, und wohl nie eins bekleiden wird, weil er es nicht nöthig hat. Präsidenten und Gouverneure sind nur die ersten Commis dieser Aristokraten. Es ist nicht ihre Sache, sich um Politik zu kümmern, das thut kein Gentleman, aber dafür geschieht um so sicherer, was sie wollen. Sie lassen die Beamten Geschäfte machen, wenn sie ihnen zu Willen sind, und das sind die Beamten jeder Partei. Der Einfluß dieser Aristokratie, verborgen und unscheinbar, ist mächtiger als in irgend einem Lande. Sie haben Bureaukratie, Heer, Flotte und Presse in ihrer Gewalt; wenn sie wollen, können sie davon Gebrauch machen.“

„Dieser junge Mensch –“

„Wenn der Herzog von Weimar sich für Sie interessirte, würden Sie lange Hausknecht bleiben? Nun, dieser junge Mensch verwaltet mit Umsicht und Geschicklichkeit ein Vermögen, das ihm ein Einkommen von fast einer Million Dollars gewährt, vielleicht weit darüber. Das weiß Niemand, sieht ihm Niemand an, denn er lebt nicht besser und anders als Andere, hat keinen Hofstaat, keine Paläste. Reich will hier Jeder scheinen. Wer aber reich ist, will es nicht mehr scheinen. Er hat das, was hier Macht gibt, und muß sich daran begnügen lassen. Um ihrer selbst willen darf die Aristokratie dem Einzelnen nicht erlauben, mit seinem Reichthum die revolutionären Elemente zu reizen, sich zu überheben. Wer es wollte, den lassen sie fallen. Und bei der Rechts- und Gesetzlosigkeit hier fällt er sicher. Sein Reichthum zerrinnt ihm unter den Händen. Er ist ein Verlorner!“

Mein Freund ging noch tiefer ein auf die socialen Zustände Amerikas, und diesen Unterhaltungen verdanke ich viel. Ich schenkte ihnen um so größere Beachtung, als ich fand, daß Harry mit großer Aufmerksamkeit den Bemerkungen meines Freundes folgte.

Ich fand Harry – den jungen Mann aus dem Wagen – eines Abends bei meinem Freunde, wurde ihm vorgestellt, und seit der Zeit traf es sich mehrmals, daß er und ich uns dort zu der selben Zeit einfanden. Harry war sein Schüler gewesen, und mein offener Freund behandelte ihn als solchen und that sich in keiner Weise Zwang an. Von einer Freundschaft zwischen Harry und mir konnte keine Rede sein. Ich fühlte mich zuweilen zu ihm hingezogen, dann trennte uns wieder etwas Fremdes. Die meiste Schuld mochte ich haben. Mit Gewissenhaftigkeit und Treue erfüllte ich meine Pflichten als Hausknecht, aber hätte ich meinen Freund nicht gehabt, nicht seine Kinder – wer weiß, ob ich es ausgehalten. Eins machte mir große Freude, aber verdüsterte mich noch mehr.

Harry hatte gleich am ersten Tage mich gefragt, ob ich schon lange in Amerika sei. Ich erwiderte: „Nur einige Monate!“

„Die Fahrt mit einem Segelschiffe ist beschwerlich.“

„Deshalb zog ich das Dampfschiff vor.“

„Hatten Sie gut gewählt?“

„Ich kam mit dem Washington.“

Darauf hatte sich das Gespräch auf das deutsche Lied gelenkt.

„Kennen Sie Longfellow?“ fragte Harry mich. Ich bejahte es.

„Sehen Sie, wir verstehen Sie; Sie uns nicht!“ sagte er ernst und fügte dann wie begütigend hinzu: „Sie spielen auch die Lieder, die Longfellow übertrug?“

„Ja!“ sagte ich kurz, überrascht, wie er das wissen konnte.

„Dann –“ er sah sich im Zimmer um und lenkte darauf das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.

Als ich nach einigen Tagen zu meinem Freunde kam, sprangen mir die Kinder jubelnd entgegen. Harry hatte einen prächtigen Flügel geschickt.

„Warum er nur nichts für Sie thut!“ sagte mein Freund nachdenklich zu mir. „Er kommt doch nur Ihretwegen.“

[463] „Lassen Sie mich – lassen Sie mich vergessen!“ rief ich und riß den Flügel auf. Ich spielte und spielte – und vergaß alles um mich. Seit Monaten hatte ich keine Taste angerührt. Erschöpft hielt ich inne.

„Was spielten Sie?“ fragte mich Harry, der während des Spieles eingetreten war.

„Wer nie sein Brod mit Thränen aß!“ antwortete ich düster.

„Das Lied ist schlecht!“ sagte heftig Harry.

„Dies Lied?“ fragte ich verwundert.

„Gott führt Niemand in Versuchung!“ antwortete Harry ernst.

„Teuflische Mächte lassen den Menschen schuldig werden, nicht die himmlischen. Doch das verstand Goethe nicht!“ fügte er hinzu. „Bitte, spielen Sie ein heiteres Lied, eines der schönen Liebeslieder.“

„Ich kann nicht mehr!“ sagte ich verstimmt und stand auf.

Harry schien unangenehm berührt, doch hatte er sich zu sehr in der Gewalt, um empfindlich zu werden. Er sprach mit meinem Freunde von der deutschen Lyrik, und dieser hielt ihm bald einen gelehrten Vortrag über Anakreon und seine Schule. Ich sah zum Fenster hinaus. Nur eine Aeußerung Harry’s fiel mir auf. Er ging bald, und ich fragte meinen Freund:

„Ist es wahr, daß Harry nie Wein getrunken hat?“

„Gewiß! Auch sein Vater trank nie Wein.“

„Dies nüchterne Geschlecht!“

„Wie falsch Sie urtheilen! Dieser junge Mann versagt sich den Genuß, weil er durch sein Beispiel dem Mißbrauche steuern will. Seine Beurtheilung des Goethe’schen Liedes, seine Mäßigkeit haben eine edle Quelle.“

Mein Freund hatte Recht, und der Amerikaner stieg in meiner Achtung. Ich spielte ihm gern vor, aber mein Spiel machte mich trauriger. Meine Arbeit als Hausknecht bildete einen zu schroffen Gegensatz. Er wurde mir unerträglich, da Harry durch eine Bemerkung darauf hinzudeuten schien.

„Eure Ideale sind Träumereien,“ sagte er. „Wir nehmen die Wirklichkeit, wie sie ist, und suchen sie zu veredeln; Ihr baut Euch Eure Ideale auf, um die Wirklichkeit, das Reelle zu vergessen, und kommt so stets in Zwiespalt mit der Wirklichkeit. Eure Fürsten sind überirdische Wesen, Eure Geliebten Engel, und findet es sich nun, daß sie nichts mehr und weniger sind als gewöhnliche Menschen, so ist Euer Unglück im Staate und Hause fertig. Mit unseren Zuständen könnt Ihr nun erst recht nicht zu Stande kommen. Es tritt Euch die krasse, ungeschminkte Wirklichkeit überall entgegen, und Ihr verzerrt unsere Zustände zum Ungeheuerlichen, weil Euch überall Menschliches begegnet.“

„Wir verstehen uns nicht!“ sagte ich.

„Lernen Sie uns erst kennen, dann werden Sie uns verstehen!“ sagte Harry mit Wärme. „Ich habe so heute eine Bitte an Sie. Meine Geschäft sind hier zu Ende. Ich will einen Jagdausflug machen, da könnten sie mich begleiten.“

„Ich bedaure, daß ich dazu keine Zeit habe,“ erwiderte ich.

„Nun, überlegen Sie es sich, übermorgen reise ich ab,“ sagte Harry, indem er sich empfahl.

„Gott sei Dank!“ rief mein Freund, „er wird warm! Menschenskind, Du wirst Dein Glück doch nicht mit Füßen treten?“

„Dein Herzog von Weimar, reizt mich nicht, jetzt aus dem Geschäfte zu gehen. Mein Herr will mich im Laden beschäftigen.“

„Liebster, bester Freund, nur jetzt keinen Eigensinn!“

„Ich muß an meine Zukunft denken und nicht an Jagdpartien!“

„Aber liebster Junge, Du bist ja in Amerika! Denken Sie sich nur nicht, daß ein Fürst Sie zu einer Jagdpartie einladet. Der könnte vergessen, daß Sie Hunger haben, aber ein Amerikaner vergißt das nicht. Er nimmt Sie in seinen Dienst! Bester, liebster Junge, Du bist aus aller Noth! Verlaß Dich auf mich. Wenn Du von der Reise zurückkehrst und Du sagst, Du willst ein Geschäft anfangen, so kannst Du über Tausende gebieten, und er steht unter Dir um seinem Credite. Willst Du eine Professur, Du kannst Dir das Collegium auswählen!“

„Ich weiß nicht –“

„Nur um das Eine bitte ich Dich: Noch keinen Entschluß!“ fuhr mein Freund fort. Und war es Eins, was mich in meinem Vorsatze schwankend machen konnte, so war es diese herzliche Dringlichkeit, die ihn sogar das Du und Sie in einem Athem verwechseln ließ. Ich sah wohl, er konnte Recht haben, allein dieser junge Mensch, dieser Kaufmann, dieser sollte über mein Schicksal bestimmen können? – es schien mir überspannt.

„Sprechen Sie mit Ihrem Herrn, und was der Ihnen räth, das thun Sie!“

„Das will ich!“

Am andern Tage ging ich zu meinem Herrn und fragte ihn, ob es noch sein Wille wäre, mich in sein Geschäft aufzunehmen.

„Ihr könnt die Stelle bekommen, aber erst in künftiger Woche.“

„Dann möchte ich Euch um Erlaubniß bitten, bis dahin eine Jagdpartie mitmachen zu dürfen.“ Mein Herr sah mich groß an.

„Seid Ihr Jäger?“

„Nein, ich bin nur eingeladen.“

„Da könnt Ihr machen, was Ihr wollt, aber Jäger kann ich in meinem Geschäft nicht gebrauchen.“

„So bleibe ich bei Euch, mir liegt nichts daran.“

Mein Entschluß schien ihm zu gefallen.

„Mann, wie kommt Ihr nur auf diesen Einfall?“ sagte er, indem er aufsah, denn bis jetzt hatte er mich kaum angesehen.

„Mr. Harry hat mich dazu eingeladen, und –“

„Wer?“ rief er erstaunt, und die Feder fiel ihm aus der Hand. „Mr. Harry von Harry und Comp., Mr. Harry, den kennt Ihr?“ und er sah mich an, als wenn ich ein Wunderthier wäre.

„Ja, Mr. Harry von Harry und Comp.“

„Den kennt Ihr? Der hat Euch eingeladen? Und Ihr wollt die Einladung nicht annehmen?“

„Wenn Ihr es nicht erlaubt, daß ich so lange aus dem Dienste trete –“

„Ich, es nicht erlauben, Mann! Wo denkt Ihr hin? Könnt gehen, wenn Ihr wollt, könnt kommen, wenn Ihr wollt. Ein Freund von Mr. Harry ist mir immer eine Ehre –“ Er wäre noch lange fortgefahren, wenn ihm nicht Bedenklichkeiten aufgestoßen wären. „Und wovon kennt Ihr ihn?“ Mit dieser Frage machte er sich Luft.

„Ich lernte ihn bei meinem Freunde, dem Professor, kennen.“

In diesem Augenblicke fuhr ein Wagen vor, und Mr. Harry, Chef des Hauses Harry und Comp., trat in das Comptoir.

Von einer äußern Devotion war keine Spur zu merken. Harry hatte mir die Hand geschüttelt, dann sie meinem Herrn gegeben, der mit aller Ruhe von seinem Sessel gestiegen war, aber es war doch zu merken, daß etwas Außerordentliches sich ereignete. Keine Feder rührte sich, man hörte kaum den Athem.

Die geistige Ueberlegenheit Harry’s erkannte ich hier erst auf seinem Boden. Hier war er zu Hause, über diese Menschen hatte er Gewalt. Er schien überrascht, mich noch in meinem Arbeitscostüm zu finden, noch mehr, daß ich um Erlaubniß und daß ich eben erst darum gebeten. Er wandte sich aber mit aller Herzlichkeit zu mir und sagte deutsch:

„Wir werden uns schon verstehen! Fahren Sie mit zu mir, ich habe schon für Alles gesorgt, es ist die höchste Zeit, daß Sie sich zur Reise vorbereiten.“

Ich war so überrascht, daß ich an meinen Anzug nicht dachte und ruhig stehen blieb.

„Wie steht’s Geschäft?“ fragte Harry.

„Es geht, nur fehlt die Waare.“

„Weiß wohl! Habe noch für Euch fünfhundert Centner. Habt bei mir ein Conto.“

Das waren zwei Prisen auf einmal. Aber der Amerikaner kam nicht außer Fassung.

„Sehr wohl, Mr. – Notiert’s, John,“ wandte er sich zum ersten Commis. Nur ich sollte die Nachwirkung erfahren, denn auf den Wink des Herrn hatte es der zweite Commis nicht unter seiner Würde gehalten, mir Rock und Hut zu holen, wofür ihm auch ein anerkennendes Nicken von Harry wurde – so gut als eine Stelle in dessen Comtoir, wohl nächst dem eigenen Geschäft das Ideal des armen Burschen.

Ich saß im Wagen bei Harry und hatte meine Gedanken noch nicht gesammelt.

„Sie fahren mit zu mir, ich muß Sie erst mit meiner Schwester bekannt machen,“ sagte Harry.

„So wie ich hier bin?“ fragte ich und sah auf meine Hände und Beinkleider, beschmutzt und voll Staub.

Harry lächelte.

„Sie sollen heute mein Haus als das Ihrige betrachten, denn an Vorbereitungen zur Jagd haben Sie wohl nicht gedacht und nicht denken können.“

[464] Wir hielten vor einer einfachen aber reizenden Villa. Harry faßte mich unter den Arm und führte mich in ein Zimmer.

„Dies ist Ihr Zimmer. Nun kleiden Sie sich um; in einer halben Stunde hole ich Sie ab.“

Alles, was zu einem vollständigen Anzuge nöthig war, fand ich hier. Ich war unwillig über mich selbst, aber ich sah ein, daß ich zu weit gegangen war, um umzukehren – und ich zog mich ruhig an. Es war mir, als zöge ich die Livree eines Fürsten an. Wehmüthig sah ich auf meine alten Kleider und dachte, mit ihnen meine Unabhängigkeit zu verlieren.

Harry trat ein. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ein ungemein weicher, milder Ausdruck lag über seinem ganzen Gesichte.

„Meine Schwester erwartet Sie schon!“ sagte er. „Es ist meine einzige, liebe Schwester!“ fügte er hinzu mit einem so tiefen, eigenen Gefühle, wie er kaum von seiner Geliebten hätte sprechen können. Sie kam uns schon an der Thüre entgegen.

„Das ist er!“ sagte sie, indem sie mir ihre Hand reichte. „Ja, das ist er! O, wie dank ich Dir, lieber Harry!“

„Er wird Dir auch seine schönen Lieder vorspielen, meine Ella!“ unterbrach sie Harry, „dann wirst Du Dich freuen, wie Dein Bruder sich freute.“

Das war dieselbe Stimme, die aus dem Wagen gerufen: „das ist er!“ Also hatte mir das gegolten? Aber diese Sylphengestalt, war sie mir schon im Leben begegnet? Das Gesicht kam mir bekannt vor, aber vergebens suchte ich in meinen Erinnerungen nach einer Erklärung.

Bald kam mein Freund, der Professor, mit seiner Frau, die Harry in seinem Wagen hatte holen lassen. Ich sah, wie glücklich sie über diese Einladung waren; aber wir bildeten einen so heimischen trauten Kreis, daß ich nicht reflectiren mochte.

Ella hatte eine kindliche Freude, uns überall herumzuführen. Wir sahen die kostbaren Gewächshäuser, mit Vogelhäusern, Springbrunnen u. s. w. Sie waren reich und geschmackvoll, aber nicht prunkend. Dann saßen wir am einfachen Theetische. Ella war eine wunderholde Erscheinung. Die Amerikanerinnen sind meist schön. Ella hatte keineswegs diese stolze Erscheinung, sondern vielmehr Weichheit. Sie war so eben erst zur Jungfrau erblüht, und hatte das ganze kindliche Wesen mit hineingenommen in ihre Entwickelung. Was sie auszeichnete, das war die Anmuth. Sie war es, die mich zu Hause sein ließ.

Ich spielte nicht allein, ich sang sogar zum ersten Male auf amerikanischem Boden. Mein Freund fuhr ab, und auch wir wollten uns von Ella empfehlen, da wir morgen bei Zeiten abzureisen gedachten.

"Nun singen Sie uns noch ein deutsches Abschiedslied!" bat Ella.

Ich setzte mich hin und sang:

"Morgen muß ich fort von hier!"

Ella war tief ergriffen von dem Liede. Sie hatte ihre Arme um Harry geschlungen, und Thränen standen ihr in den Augen.

[478] Tief gerührt von dem Liede, das ich gesungen, wiederholte Ella leise und ich begleitete:

„Küsset Dir ein Blümelein
Augen oder Hände,
Denke, daß es Grüße sein,
Die ich zu Dir sende!“

„Harry, auch Ihr sollt das denken! Willst Du, Harry?“ sagte sie.

Harry küßte sie auf die Stirn und sagte: „Gewiß, Ella, Du weißt, wie ich Dich liebe!“

„Und nun schlaft aus und bleibt nicht lange!“ setzte sie scherzhaft hinzu. „Seid Ihr erst in den Jagdgründen, vergeßt Ihr leicht das Wiederkehren. Ich sähe selbst gern die Prairie!“

„In die Prairien gehen wir?“ fragte ich erstaunt.

„Nun, wohin denn sonst?“ fragte lachend Ella.

„Ich dachte –“

„Er dachte, wir machten eine kleine Jagdpartie in die Umgebung!“ fiel laut lachend Harry ein. „Das mußt Du den Deutschen nicht übel nehmen,“ fuhr er fort, als Ella ein klein wenig schnippisch mich ansah.

Ich fühlte mich sehr beschämt durch diese Auseinandersetzung. Welche Thränen würde eine solche Reise in Deutschland gekostet haben! Aber hier, wo „drüben“, d. i. in Europa, ein gewöhnliches Wort ist, wo Reisen nach China und Japan nichts Ungewöhnliches sind, kann eine Reise nach dem Westen kaum als etwas Anderes, als eine größere Vergnügungsreise angesehen werden – wenn es überhaupt in Amerika Vergnügungsreisen gibt.

Das sollte ich bald erfahren.

Wir fuhren beide allein ohne irgendwelche Bedienung. Aber welche ausgebreitete Verbindungen Harry unterhielt, davon bekam ich bald eine Idee. Wir fuhren ununterbrochen, aber in jeder bedeutenden Station erwarteten Agenten schon die Ankunft ihres Chefs. Der Telegraph ertheilte Befehle. Bald war unser Coupé ein Berathungszimmer, in dem die weitreichendsten Unternehmungen besprochen wurden, bald verwandelte es sich in ein Cassenlocal, in dem große Rechnungsabnahme war. Es kamen auch verschmitzte Gesichter zum Vorschein, die da glaubten, den jugendlichen Chef hinter das Licht führen zu können. Aber an Harry fanden sie den echten Vollblut-Yankee. Und mit wie wenig Material arbeitete er! Sein kleines Notizbuch im Querformat bildete den ganzen Apparat.

Auch ich mußte einige Geschäfte nach seinen Instructionen ausrichten, und ich sah, daß ich zu brauchen war. Ein Trost für mich! Bei diesen Gelegenheiten machte ich wiederholt die Erfahrung, welchen Einfluß der bloße Name Harry auf die Leute ausübte. Nirgends eine sichtbare Devotion, überall nur ein Rücken des Huts, nur ein Händeschütteln, aber es war mir, als könnte die Locomotive ohne uns nicht fortbrausen, als müßte sie auf uns sogar warten. Die Directoren der Bahn kamen zu uns in das Coupé; es wurde über neue Bahnen verhandelt, der Gewinn der gebauten überschlagen. In meinem Coupé saß eine von den Triebfedern dieser furchtbaren Maschine, Vereinigte Staaten genannt.

Es war eine saure, arbeitsvolle Zeit für mich. Nicht, daß ich zu viel zu thun hatte, aber ich konnte schwer verarbeiten, was ich erlebte. Wir brausten den Mississippi hinab. Auch auf dem Dampfboote dasselbe Spiel. Ja, weil wir nicht nach New-Orleans hinunter wollten, brachte uns fast jedes heraufkommende Dampfschiff andere Geschäftsfreunde.

Harry arbeitete mit einer bewundernswürdigen Leichtigkeit, und ich war ordentlich froh, daß ich einige Aufträge zu seiner Zufriedenheit ausgerichtet hatte. Er kam mir vor wie ein Feldherr, und ich fühlte mich als sein Adjutant.

Endlich langten wir an der Grenze der Civilisation an. Wir waren von Fort Smith in Arkansas nach Fort Gibson befördert, und nun im Gebiete der Indianer – auf den Prairien.

In gerader Linie hatten wir einen Weg von 275 geogr. Meilen oder 1250 engl. Meilen oder 1900 Werste zurückgelegt, ungefähr die Entfernung von Paris nach Petersburg. Erwähnen muß ich noch, daß wir den Sonntag ruheten, und Harry fand bei seiner riesigen Geschäftigkeit dennoch täglich Zeit, in seiner Bibel einige Capitel zu lesen.

[479] In wenigen Tagen war ich an die Grenzen der Civilisation geschleudert, das erkannte ich an Fort Gibson. Diese kleine Festung liegt am Arkansas auf einer kleinen Halbinsel, die auf der andern Seite von einem Zuflusse des Arkansas bespült wird. Sie liegt im Gebiete der Criks, schon im Lande der Indianer. Erdwälle und Pallisaden sind ihre Befestigungen; nur wenige Gebäude im Innern sind von Stein. Ich sah hier die ersten Indianer. Criks, Choctaws, Panis und Osagen waren hier erschienen und hatten ihre gesonderten Lager vor dem Fort aufgeschlagen. Unterhändler der Indian-Company waren im Fort versammelt, und auch eine Anzahl Pioniere hatten die Besatzung des Forts verstärkt. Aber auch diese durften nur unbewaffnet, wie die Indianer, das Fort betreten. Sie hatten nur den Vorzug, daß sie ihr Lager unmittelbar am Thore aufschlagen durften.

Auch in dieser Einöde galt Harry’s Namen, und die Indianer betrachteten uns als zwei große Häuptlinge, als sie sahen, daß die Besatzung des Forts, noch mehr die Agenten der Compagnie, die sie höher schätzten, als den Befehlshaber der Soldaten, und deren Untergebene – das waren die wilden Pioniere – uns mit Respect behandelten. Die stolzen Häuptlinge der Osagen kamen zu uns und luden uns ein, sie zu besuchen.

Es war eine gefährliche Zeit. Die Comanches hatten ihre Streifereien bis über den Red-River ausgedehnt und die Panis überfallen. Der Commandant des Forts wollte die Indianer vereinigen, den gemeinsamen Feind zu bestrafen; er hatte die vorzüglichsten Jäger versammelt, um auch sie zu einem gemeinsamen Handeln zu vermögen. Drohend standen sich aber die Stämme, feindlich ihnen die Pioniere gegenüber. Alle alten Unbilden waren wieder aufgetaucht. Nur darin waren die Indianer einig, daß die Weißen aus ihren Jagdgründen vertrieben werden sollten; nur darin die Jäger, daß sie die Indianer verachteten. Harry nahm die Unterhandlungen in die Hand. Zuerst hörte der schändliche Zwischenhandel der Agenten auf. Diese hatten sich nicht gescheut, ihre Sonderinteressen durch heimliche Spendung des Feuerwassers zu unterstützen, und dadurch alle Leidenschaften entflammt. Diesem Unfuge ward durch Harry gesteuert. Nun ward bestimmt, daß die Panis voran gehen sollten, weil es die Vertheidigung ihres Landes galt, eine Abtheilung der Criks sollte ihnen zur Unterstützung dienen, Choctaws und Osagen wurden auf den rechten und linken Flügel gestellt, und ein Theil der Besatzung mit den Jägern bildete die Mitte. Man hoffte, den Comanches schon am Colorado zu begegnen, d. h. nicht dem texanischen, sondern dem Nebenflusse des Arkansas, der auch Canadian genannt wird.

Was sind die Prairien?

Prairien nennt man die großen Ebenen, die sich vom Red-River bis zu den Höhenzügen in Wisconsin und Iowa erstrecken. Nach den Felsengebirgen zu werden sie durch eine wüste Hochebene begrenzt, das Ozark-Gebirge trennt sie von dem Thale des Missisippi im Osten, während sie im Norden über den Missouri und Mississippi hinausgehen und nur von den unbedeutenden Höhen der Wasserscheide dieser beiden Ströme verhindert sind, sich in dem fernen Norden zu verlieren. Von unzähligen Flüssen und Flüßchen in tiefen Flußbetten durchströmt. hat die Ebene nur an deren Ufern Wald; sonst ist sie eine ungeheure Wiese – die Prairie! Sie läßt sich mit nichts vergleichen. Ueber 200 Meilen lang und an einigen Stellen ebenso breit, mit einem Flächenraume von 50,000 Quadratmeilen, von denen kaum die Hälfte erst zum Anbau in Angriff genommen ist, bietet sie einen Jagdgrund, wie kein zweiter existirt, hat sie eine Zukunft für Viehzucht, wie kein anderes Land auf der Welt. Am Kansas dringt die Civilisation schon in ihr Herz hinein.

Unsere Vorbereitungen waren bald beendet. Schon auf dem Dampfschiffe hatten wir zwei Hunde gekauft und bald an uns gewöhnt. Zwei prächtige Pferde erwarteten uns schon im Fort, und bis an die Zähne bewaffnet, zwei sechsläufige Revolver in den Satteltaschen, die Doppelbüchse auf der Schulter und das Bowiemesser an der Seite, nicht zu vergessen den Lasso am Sattelknopf, so ritten wir an einem trüben und regnerischen Morgen in die Prairie. Ein wettergebräunter Pionier war unser Begleiter. Ihn hatte Harry sich ausgesucht.

Ich hatte seit Jahren auf keinem Pferde gesessen, deshalb hatte ich alle Mühe, mich auf meinem feurigen Fuchs zu erhalten. Harry hatte mich mißtrauisch angesehen. Er selbst saß auf dem Pferde wie angewachsen, eine schöne, ritterliche Gestalt. „Hilf dir selbst!“ ist der amerikanische Wahlspruch; und so hatte er mich auch mir selbst überlassen. Es ging auch bald besser. Auf unseren Weg hatte ich nicht geachtet. Wir hatten schon einen kleinen Fluß durchschwommen, da hielten wir gegen Mittag an einem großen Strome. Die Sonne schien uns entgegen, wenn sie auf Augenblicke die Wolken durchbrach, und ich hätte daraus schließen können, daß wir gen Süden uns gewandt hatten, aber ich war nur immer mit meinem Pferde beschäftigt.

„Wir müssen hinüber!“ sagte Harry zu mir.

„Was? – Hier hinüber?“ rief ich erstaunt.

Harry verstand meinen Schreck und sagte lächelnd: „Nun, Willy, es wird schon gehen!“ Zum ersten Male nannte er mich beim Vornamen. „Wird’s gehen?“ wandte er sich zu dem Jäger.

„Hm, sollt’s meinen,“ erwiderte dieser, „aber so nicht.“ Er sprang vom Pferde; wir thaten dasselbe und banden die Pferde an. Ben, so hieß unser Führer, abgekürzt für Benjamin, ging am Ufer entlang und kam bald mit einem kleinen Kanoe angerudert. Wir legten unseren Pulvervorrath und die Waffen hinein, und ich erbot mich, hinüberzurudern, konnte aber froh sein, daß mein Anerbieten von dem vorsichtigen Ben nicht angenommen wurde, denn diese Art zu rudern wäre mir gewiß nicht gelungen, der ich höchstens einen Kahn über die Elbe oder den Rhein gerudert hatte.

Ben setzte mich an das andere Ufer, dann fuhr er wieder hinüber.

Ein furchtbares Gefühl der Verlassenheit überkam mich, als ich so allein am Ufer stand. Noch fiel der Regen. Ich konnte kaum das andere Ufer sehen – nichts von Harry. Wenn ihnen ein Unglück zustieße – ich konnte ihnen nicht helfen – was sollte aus mir werden? So ganz allein in dieser lautlosen, wilden Einöde – zwar nur auf Minuten, aber die Minuten dehnten sich zu einer halben Stunde, einer Stunde. Ich wollte rufen und konnte nicht – mit meinen Augen suchte ich den Nebelschleier zu durchbohren. Endlich, endlich sah ich einen Pferdekopf – ein leeres Pferd kämpfte mit den Flusse. Mein Gott, was war das? Ich sah nichts, ich hörte nichts, nur das Pferd sah ich ringen und kämpfen, bis es meinen Augen entschwand, Ob ich besinnungslos niedergefallen, weiß ich nicht; aus meiner Betäubung riß mich Harry’s Stimme. Rücksichtslos drang ich durch das Gebüsch auf ihn zu, fiel ihm um den Hals, weinte wie ein Kind und konnte vor Schluchzen nur rufen: „Harry, Harry!“

Er mußte ganz überrascht sein.

„Was ist Dir?“ fragte er deutsch. „Beruhige Dich doch! Was ist Dir begegnet? Sprich, Willy!“

Nun erst fand ich Worte, ihm meine Gefühle zu schildern, die Angst und Sorge um ihn und mich vorher – dieses Gefühl der Einsamkeit, dann der Anblick des kämpfenden Pferdes.

Harry hörte mich ruhig an und sagte dann milde: „Das ist der erste Gruß der Prairie. Danke ihr, sie hat Dein Herz geöffnet!“

Ich hatte mein Pferd gesehen, das, am Lasso befestigt, zuerst in das Wasser getrieben und instinctmäßig dem Ufer zugeschwommen war. Harry und Ben waren nebeneinander durch den Fluß geschwommen, sich gegenseitig unterstützend. Wir setzten uns wieder zu Pferde und waren bald im hohen Grase. Erst gegen Abend machten wir in einem kleinen Thale Rast. Ich war so angegriffen, daß ich kaum etwas aß, und mich dann in meine Decke wickelte und einschlief.

In der Regel stürzt hier der Regen nur in Strömen herab, oft gepeitscht vom wüthenden Orkan, der sich bis zum Hurikan steigert, dieser furchtbare Sturm, der über die Prairie rast, und vor dessen Toben die Wälder wie Halme zerknicken. Wir kamen an Stellen, wo der Hurikan die Bäume umgeworfen hatte, daß es aussah, als sei ein Weg durch den Wald gehauen. Wir hatten nur einen leichtem sanften Regen auszuhalten, der uns aber doch ganz durchnäßt hatte.

Ich erwachte am Morgen, als schon das Frühstück bereit war. Mir war durchaus nicht behaglich zu Muthe. Wir saßen bald wieder zu Pferde, und als wir die Höhe des Thales erreicht hatten, lag vor uns die Prairie in ihrer ganzen Schöne. Im Thale wogte noch der Nebel; auf der Prairie lag die Gluth der Sonne. Tausend und aber tausend Thautropfen spiegelten uns das Bild der Sonne; der Nebel war hier gefallen, sie waren die Siegeszeichen. Bis an den Bug des Pferdes reichte das Gras und netzte uns bis an die Hüften, als wir im Galopp darüber hinsprengten. In der Ferne sahen wir Pferde weiden, bald darauf zeigte sich auch ein Trupp Büffel. Völker von Prairiehühnern jagten wir auf, [480] Prairiehunde sah ich nicht, obgleich unsere Hunde zuweilen Jagd auf sie machen wollten, doch machte ich mit ihren Wohnungen nähere Bekanntschaft, als ich machen wollte. – Ich saß schon besser zu Pferde, als am ersten Tage, aber doch nicht fest genug. Wir ritten an einer Colonie dieser Hunde vorbei, die sich in Erdlöchern ihre Wohnung sichern; mein Pferd trat durch, und ich lag im Grase. Glücklicherweise hatte weder mein Pferd, noch ich Schaden genommen. Lustig wieherte der Fuchs in die Prairie hinein, wurde aber bald eingefangen, und ich saß wieder im Sattel. Hinter uns her kläfften die Prairiehunde[1]. Ich aber sang: „Küsset Dir ein Blümelein!“

[490] Harry lachte, und Ben sah mich verwundert an. Staunen und Beifall schienen seine verwitterten Züge auszudrücken; als ich aber schwieg, machte sich ein anderes Gefühl Raum, das der Mißbilligung. Schweigen ist das Kennzeichen der Prairie. In diesem endlosen Raume verhallt jeder Ton. Nur auf die Erde hingeworfen, hörst Du den Flintenschuß, hörst Du den Galopp des Pferdes, den Trab des Büffels. Nirgends kann sich der Schall brechen, überall saugen ihn die tausend und aber tausend Grasspitzen ein. Schweigend grast das Thier, schweigend begibt es sich auf die Flucht, schweigend greift es den Feind an; nur verwundet stößt es einen Schrei des Schmerzes oder der Wuth aus, fast erschrocken darüber. Deshalb erregt auch jeder Laut die Aufmerksamkeit des Prairiebewohners. Auge und Ohr sind immer offen, denn Gefahr droht überall. Wir waren noch nicht weit genug eingedrungen in die Prairie und hatten auch noch keine Lust, uns auf eine Jagd einzulassen, deshalb hielt Ben seine tadelnde Bemerkung zurück.

Mein Unfall gab zu ernsten Erwägungen Anlaß. Zwar hatte ich einen Taschencompaß, allein, noch kein firmer Reiter, konnte mir leicht ein Unfall zustoßen; und, getrennt von den Anderen, war ich rettungslos verloren, da ich noch nicht einmal der Jagd kundig war. Harry übersah die Gefahren unserer Lage und sprach [491] mit Ben darüber, ohne mir etwas davon zu sagen, um mich nicht ängstlich zu machen. Wie mir Harry gestand, war er in Zweifel gewesen, ob er umkehren oder Ben zurückschicken sollte, einige Gefährten zu holen.

„Dachte’s wohl!“ hatte Ben gesagt. „Muß Einen für sich haben dann wird’s schon gehen,“ hatte er hinzufügt, „es ist gute Art.“

Um Mittag machten wir Halt. Noch lebten wir von unsern Vorräthen und dachten an keine Jagd, nur ich konnte sie nicht erwarten. Alle Müdigkeit war verschwunden, ich fühlte, daß ich schon Gewalt über mein Pferd erhielt. Es war ein prächtiges, edles Pferd. Schlank und fein gebaut, konnte es seinen englischen Stamm nicht verleugnen, und zeigte auch die Klugheit dieser edlen Rasse. Ich fütterte es selbst mit meinem Brodte, und ich hatte seine Liebe später so gewonnen, daß es meine anfängliche Ungeschicklichkeit ganz vergaß. Tag für Tag zu Pferde ist die beste Reiterschule, und ich wurde bald mit meinem Pferde eins. Von den Gefahren, welche mir droheten, hatte ich keine Ahnung. Endlos lag freilich die Prairie vor uns, ein Grasmeer im eigentlichsten Sinne des Wortes, denn Welle auf Welle reihte sich der Boden an einander. Diese Prairie heißt besonders die trockene oder wellige Prairie und ist Meeresboden, oder vielmehr der Grund eines Sees gewesen, dessen Abflüsse der Kansas und Arkansas bilden, auch wohl noch der Red-River. Der Arkansas hat sich sein Bett deutlich durch das Ozark-Gebirge gegraben, wie ich deutlich auf unserem Wege von Fort Smith nach Fort Gibson erkennen konnte. Zwischen 2 bis 10 Fuß schwankten die Bodenerhebungen, waren aber unmerklicher, da auf den Höhen das Gras 2 Fuß, in den Gründen fast 2 Ellen hoch stand. Außer dem Arkansas hatten wir noch kein Wasser wieder gesehen. Unseren Pferden merkten wir es an, daß ihnen die wenigen Tropfen, welche sie von unserem Vorrathe erhielten, nicht genügten, aber es ging vorwärts bis in die Nacht hinein. Endlich machten wir Halt an einem kleinen Flüßchen, unter den Bäumen an seinem Ufer loderte unser Feuer lustig auf, und ich fühlte die Anstrengungen des Rittes so sehr, daß ich mir kaum Zeit nahm, etwas zu essen, und dann, in meine Decke gehüllt, bald in tiefen Schlaf versank. Ich erwachte ziemlich spät und war verwundert, daß noch keine Anstalt zum Aufbruche gemacht wurde.

Harry scherzte über meine Jagdlust, und nach Rücksprache mit Ben wurde beschlossen, die erste Büffeljagd zu machen. Ich sollte mich mehr als Zuschauer verhalten. Ungern that ich es, aber ich erkannte das Vernünftige des Vorschlages. Wir ließen alle unsere überflüssigen Sachen am Orte unsers Nachtlagers und ritten thalaufwärts. Bald sahen wir einen Büffel in einiger Entfernung weiden. Die starken Büffelstiere lieben die Einsamkeit, sind aber durch ihre Wildheit um so gefährlicher, und durch ihre Schlauheit um so geschützter vor Angriffen. Ben und Harry machten ihren Angriffsplan, und ich erhielt den Auftrag, den Büffel immer im Gesichte zu behalten, dann verschwanden sie in der Prairie.

Die Minuten der Erwartung dehnten sich unendlich, aber doch hatte ich nicht das Gefühl der Vereinsamung, wie an den Ufern des Arkansas. Es lag dies nicht am Sonnenschein, an der Aufmerksamkeit auf den weidenden Büffel und der Anspannung der Nerven durch die Jagdlust – es mochte Alles etwas dazu beitragen, wie der regnerische Tag vielleicht meine Gemütsbewegung gesteigert hatte; die Hauptsache war: ich fühlte mich als ein neuer Mensch. Die ganze Natur sah mich mit andern Augen an, weil ich sie mit andern Augen betrachtete. Ich reflectirte über diese Veränderung in mir, ohne zum Bewußtsein derselben zu kommen, denn meine Aufmerksamkeit ward jetzt ganz von dem Büffel in Anspruch genommen. Er begann unruhig zu werden. Vielleicht war einer der Reiter auf hartem Boden geritten, und er hatte ihn gehört, denn noch sah ich keinen von Beiden. Er schaute sich unruhig um, und schien sich seiner Umgebung vergewissern zu wollen. Meine Aufregung steigerte sich; ich fühlte, daß sie sich meinem edlen Rosse mittheilte. Da sah ich Harry hinter dem Büffel erscheinen. Behutsam näherte er sich; vielleicht bis auf fünfzig Schritte ihm nahe gekommen, indem er sich bis auf den Hals des Pferdes niedergebeugt hatte, sprengte er in vollem Laufe auf das Thier los. Es war in demselben Augenblicke, wo ihn der Büffel bemerkt hatte. Dennoch war dieser überrascht und schien erst unschlüssig, ob er fliehen sollte oder nicht. Da warf er sich plötzlich herum und stürmte fort. Es sah höchst komisch aus, wie diese dunkle Masse sich durch das hohe Gras wälzte, denn von den Beinen sah ich nichts. Harry war ihm zur Seite, und ich bemerkte, wie er sich bemühte, ihm die Richtung seiner Flucht, nach unserm Lager zu, anzugeben. Es gelang. Fast Seite an Seite sprengten sie auf mich zu. Wieder ging es eine Welle hinauf. Mit einem Male überschlug sich der Büffel und kugelte herunter, war aber gleich wieder auf den Beinen, und weiter ging’s! Jetzt sah ich auch Ben von der Seite erscheinen. Harry mit dem Büffelstier war mir ziemlich nahe gekommen, ich konnte sehen, wie er den Lasso schwang, wie der Stier wieder stürzte. Meine Büchse hatte ich schon fertig gemacht. Da sah ich, wie Harry im Sattel wankte, als der Stier sich wieder aufrichtete und fortstürzte. Ich konnte leicht erkennen, daß wider Harrys Willen sich sein Lasso fest verschlungen und ihn mit dem Büffel verbunden hatte. Es blieb ihm nur die Wahl, den Lasso abzuschneiden oder durch die Wucht des riesigen Thieres mit fortgerissen zu werden, wenigstens hatte er jetzt die Herrschaft über dasselbe verloren, da er sich hüten mußte, sein Pferd zu nahe heranzutreiben, daß es nicht in den Lasso verwickelt wurde. So war die Thatsache. Ich aber sah nur, daß etwas nicht in der Ordnung sei, glaubte Harry in Gefahr und sprengte rücksichtslos dem Büffel entgegen. Eben richtete dieser sich von einem neuen Fall auf, als ich mit meinem Pferde fast gerade auf ihn lossprengte. Die blutunterlaufenen Augen des furchtbaren Thieres stierten mich an, mit wilder Wuth wollte es sich auf mich werfen. Mein Pferd wich dem mächtigen Stoße aus, und ich jagte dem Büffel meine Kugel durch das eine Auge in das Gehirn, daß er mitten in seinem Stoße zusammenbrach.

Harry, der wirklich den Lasso abgeschnitten hatte, kam in demselben Augenblicke angesprengt, und Ben folgte ihm. Harry war unzufrieden mit sich; er war Meister in der Kunst, den Lasso zu schwingen, und nur der Mangel an Uebung hatte ihn zu viel Kraft auf den zweiten Wurf verwenden lassen, sodaß er den Lasso sich zu fest umschlingen ließ, als daß er ihn schnell vom Büffel wieder lösen konnte.

Den Büffel mit dem Lasso zu fangen ist unmöglich„ weil dessen riesige Last Roß und Reiter zu Boden stürzt. Unser erlegter Stier wog seine 15 Centner, und eine solche Last vermag ein Lasso nicht zu halten, wohl aber dem Stier die Beine zu umschlingen, ihn zum Fallen zu bringen und so zu ermüden. Die Kunst des Lassowerfens besteht nun darin, den Büffel fallen zu lassen, ohne den Lasso fest zusammenzuziehen. Der auf diese Weise ermüdete Büffel ist leicht zum Schuß zu bringen, und zum Schuß muß er gebracht werden, weil er nur wenige tödtliche Stellen hat, und verwundet bald aus dem Gejagten der Jagende wird. Ein verwundeter Büffelstier ist fürchterlich, wie ich später erfahren sollte.

Harry vergaß seinen Unmuth über die Freude, daß ich das Thier erlegt hatte, und selbst Ben gab seinen Beifall zu erkennen. Sein erstes Geschäft war, den Stier abzuhäuten. Harry brachte seinen Lasso wieder in Ordnung, und ich wurde nach dem Lager geschickt, um einige Stricke zu holen, an denen wir Streifen von Büffelfleisch trocknen wollten. Ich ritt eiligst davon. Aber obgleich ich nur einige Minuten nach dem Lager hatte, war ich doch schon eine halbe Stunde geritten, ohne dasselbe erreicht zu haben. Hatte ich vorher auf keinen Weg geachtet, mir nur die Richtung gemerkt, so sah ich mich nun nach einem Wege um. Hin und her, die Kreuz und Quer liefen Spuren durch das Gras; aber welche in die Prairie, welche aus derselben führten, das wußte ich nicht. Ich sah mich um, ob ich nicht irgend ein Zeichen entdecken könnte – ich war verirrt! Das Einfachste wäre gewesen, wenn ich meine Büchse abgeschossen hätte, aber ich konnte berechnen, daß ich mindestens einige Meilen von meinen Gefährten mich entfernt hatte. Das Thörichtste wäre gewesen, wenn ich auf’s Gerathewohl hätte weiter reiten wollen. Ich sah nach meiner Uhr; es war neun Uhr. Vermittelst meines Kompasses ward es mir leicht, die Himmelsgegend zu bestimmen. Zum Glück erinnerte ich mich daran, nach welcher Seite der Schatten von Harry’s Pferde gefallen war und der meines Pferdes, als ich den Büffel beobachtete. Südlich von unserm Lager lag der Stier, ich war zu weit östlich geritten, Mußte also südwestlich zurückreiten. Mit dem Kompaß in der Hand wollte ich mich auf den Rückweg begeben, und als ich auf der Höhe einer Welle noch einmal umschaute, bemerkte ich hinter mir einen Reiter. Ich lud meine Büchse und erwartete seine Ankunft. Er mußte mich schon bemerkt haben, und trabte gerade auf mich zu. Eine wunderliche Figur bildete der Reiter. Ein langer, hagerer Mann, saß [492] er auf einem abgetriebenen kleinen Pferde. Seine langen Beine schienen die Erde zu berühren. Ich ritt ihm etwas entgegen.

„Habe die Station, Mr. erwartet mich schon. Wäre schon früher gekommen! Doch kein Unglück gehabt? Nichts Verdächtiges gesehen, keine Spur. Der Fuchs ist gut weggekommen, und der Mr. auch gesund. Verfluchte Bestien, diese Erdhunde! – Wenn ich nur erst ein anderes Biest zwischen den Beinen habe. Hält kaum aus bis zum Lager!“

Man kann sich denken, wie sehr mich diese Anrede überraschte. Mißtrauisch sah ich dem Manne in’s Gesicht, als ich ihm nahe genug war, aber ich begegnete einem so biedern, festen Blicke, daß ich ruhig meine Büchse über die Schulter warf. Er schien meine Gedanken errathen zu haben und war erfreut über das Zutrauen. Er reichte mir die Hand.

„Vorsicht ist immer gut auf der Prairie und in der Stadt. Haltet Euch bei Seite, mein Biest hat zu allen Thorheiten Kraft. Doch besser, ich lasse es laufen. Wasser wird es finden und Futter hat’s genug, um zu Kräften zu kommen. ’s ist doch Gottes Geschöpf.“

Mit einigen Griffen hatte er, nachdem er abgestiegen war, den Sattel abgeschnallt, dann machte er den Zügel los. Mit lustigen Sprüngen eilte das Thier davon, warf sich an die Erde, reckte und streckte sich, und rannte dann in der Richtung fort, die ich als die meinige mir vorgezeichnet.

Wie um das Pferd zu erleichtern, hatte sein Reiter sich schon vorher mit seinem ganzen Gepäck belastet; spielend warf er sich Sattel und Decke über die Schultern und nahm den Zaum in die Hand. Mir that er leid, so bepackt einher zu schreiten, ich sprang vom Pferde und verlangte, daß er auf dasselbe sein Gepäck legen sollte. Er wollte durchaus nicht. Als er aber sah, daß ich auf meinem Kopfe bestand, legte er Sattel, Decke und Zaum darauf, wandte sich dann rasch zu mir und sagte: „Und wenn ich mich nun selbst aufsetzte und davon sprengte?“

„Ihr thut’s nicht!“ versetzte ich lachend. „Und wolltet Ihr’s, meine Kugel ist schneller als mein Pferd.“

„Glaub’s wohl, glaub’s wohl!“ erwiderte er ernst. „Aber, junger Mann, habt Ihr schon einen Menschen heruntergeholt vom Pferde? Ben hat’s, und nun hält’s ihn fest in der Prairie. Ich habe sie gezeichnet, alle die Diebe, sie wissen, wie meine Kugel trifft. Aber erschossen habe ich keinen. Grausam sind sie Alle. Sie sind Alle Diebe und Räuber, aber sie kennen Dick’s Büchse und kommen ihr nicht zu nah. Ja, Mann, sie sind mir näher gewesen, als mir es lieb war. Ja, hier seht Ihr!“ Mit diesen Worten nahm er seinen Hut ab, und ich sah mit Schaudern, daß er scalpirt war. „Das haben sie mir gethan, diese Rothhäute. Ben hat mich gerettet. Er hat sie Alle erschossen, Keiner blieb über, um Dick’s Scalp in seinen Wigwam zu tragen. Ich habe ihn noch!“ Und er zeigte mir ihn, an seiner Seite hängend. „Ben hat mich gerettet und gepflegt, darum folge ich Ben und kann nicht von ihm lassen. Ich sagte ihm, ich habe die Prairie satt und wolle in der Mission bleiben, und er ging. Junger Mann, ich konnte nicht Ben allein lassen. Wer würde ihn retten, ihn pflegen, wenn ich nicht bei ihm wäre? Da bin ich hinter ihm drein geritten und habe gesehen, daß ihrer Drei waren und Einer ein Grüner. Nehmt’s Wort nicht übel,“ fügte er hinzu, „aber Ihr konntet nicht durch den Strom, und wurdet bei den Hunden abgeworfen. ’s war wohl zu sehen; Ben ließ eine breite Spur und ich fand, daß Einer im Kahne übergesetzt war, und wo der Fuchs gestürzt war, lagen noch die Haare im Grase, und kein zweites Thier wie dieses ist in diesen Prairien. – Ihr waret mir rasch vorgekommen und ich wußte nicht, wie ich Euch einholen sollte, als Ben mir sagte, daß ich in’s Lager kommen möchte.“

„Ben hat Euch gesagt, Ihr solltet zu uns kommen?“ fragte ich erstaunt.

„Nun, ich fand sein Zeichen im letzten Nachtquartier, wo Ihr am Mittag gewesen, und bin fast die ganze Nacht durch geritten,“ fuhr er fort. „Und Ihr erwartetet mich nicht?“

Ich erzählte ihm offen, wie es mir ergangen war.

„Ja, die Prairie ist ein eigen Ding. Einer wird mit ihr nicht fertig, selbst Ihr mit Eurem Kompaß nicht. Aber Ihr habt Euch schon gefunden und den Kopf nicht verloren, Mit uns Beiden, mit Ben und mit mir, könnt Ihr schon ihren Tücken trotzen. Seht, da ist er schon auf Eurer Fährte.“

Und richtig, auf Harry’s schönem Thiere kam Ben, den Kopf zur Erde gebeugt und den Blick auf dieselbe gerichtet, in vollem Galopp auf uns zugesprengt. Er verfolgte meine Spur. Vergebens hatten sie auf meine Wiederkehr gehofft. Dann hatte sich Ben auf Harry’s Pferd geworfen und war mir nachgeritten, wobei er sich gleich überzeugte, daß mein Weg am Lager vorbei führte.

Bald hatte er uns bemerkt und Dick erkennend sprengte er auf uns zu.

„Wußt’s wohl!“ rief Ben.

„Das freut mich, Ben, das freut mich!“ war Dick’s ruhige Antwort, als sie sich die Hände schüttelten.

Wir beschlossen, den Tag über noch am Flusse zu rasten, und den Nachmittag dazu zu benutzen, Dick beritten zu machen. Ich mußte zu diesem Versuche meinen Fuchs an Dick abtreten, und hatte die angenehme Sorge, das Lager zu bewachen und darauf zu achten, daß unser Büffelfleisch in der Sonne gut austrocknete, denn noch vor Mittag war das beste Fleisch in Streifen geschnitten und in die Sonne gehängt. Die Haut hatte Ben in ein sicheres Versteck gebracht, nachdem er sie mit dem Gehirn des Büffels eingerieben.[2]

Gegen Abend kamen Ben und Harry zurück; der letztere mit meinem Fuchs an der Hand. Nach einer Stunde stellte sich auch Dick ein auf einem kräftigen Mustang[3], der aber über und über mit Schaum bedeckt war.

Harry hatte ihn eingefangen, und den Fehlwurf von heute früh ausgeglichen in seinen Augen. Das Thier war unbändig und wild und blieb stets tückisch und boshaft, so daß wir es von unsern Pferden entfernt halten mußten, denn es biß und schlug auch nach diesen. Nur den Lasso aber brauchte man ihm zu zeigen, und es zitterte am ganzen Körper; nur durch ihn konnten wir seine Wildheit zähmen. Unsere Pferde übertrafen es weit an Schnelligkeit. Wir hatten Gelegenheit, dies bald zu erproben; denn trotz unserer Vorsicht hatte es sich doch einmal losgerissen und eilte in die Prairie hinaus. Obgleich wir ihm einen großen Vorsprung lassen mußten, da wir unsere Pferde erst aufzäumten, so überholten wir es doch, und ich hatte die Freude, mein Probestück im Werfen des Lasso abzulegen. Es zeigte sich hier deutlich, daß die Pflege der Menschen auch die natürlichen Fähigkeiten der Thiere entwickelt.

Dick hatte eine ganz besondere Zuneigung zu mir gefaßt. Er rechnete mir hoch an, daß ich gleich solches Zutrauen zu ihm gehabt hatte und ihm als Fremden so dienstfertig entgegengekommen war; er war mein Lehrmeister in Behandlung der Büchse und des Lasso. Schauerlich-komisch löste sich das Räthsel, wie er sich die Indianer vom Leibe hielt und doch seinen Gewissensskrupeln, Niemand zu tödten, treu blieb. Ben erzählte uns, daß er weit der gefürchtetste Jäger sei, daß kein Indianer in seine Nähe zu kommen wage, weil er gewiß sei, mit zerschmetterter Hand oder lahmem Fuße in seine Heimath zurückzukehren. Dies sei den Indianer fürchterlicher, als der Tod, denn alsdann müßten sie als Invaliden bei den Weibern leben.

Unsere Pferde bedurften der Ruhe, und wir folgten dem Laufe des kleinen Flusses, während ich meine Exercitien machte, und wir diese Zeit zur Dressur unserer Hunde benutzten. Beide Jäger waren Gegner dieser schönen Thiere, die ihnen zu laut waren und deren Nützlichkeit sie weit unterschätzten. In der ersten Zeit beachtete ich nicht, wie genau Harry sich über die Bodenbeschaffenheit unsers Weges unterrichtete. Bei einer Biegung des Flusses traten Felsbildungen auf. Ich erkannte Porphyrformationen und machte die Bemerkung gegen Harry, daß an Porphyr sich auch die Kohle anschlösse, wir daher wohl auf Kohlenflöze stoßen könnten. Harry horchte mir aufmerksam zu, und ich fand Gelegenheit, meine wenigen geognostischen Kenntnisse zu zeigen. Harry war sehr erfreut darüber, und gab mir den überraschenden Aufschluß, wie er besonders über die Bodenverhältnisse der Prairie diesseits des Arkansas sich unterrichten wolle, weil er gedenke, daß bald eine Eisenbahn diese Gegend umgestalten solle.

[511] „Nur die Möglichkeit will ich erkennen, dann ist die Ausführung gewiß!“ sagte Harry mit großer Lebhaftigkeit. „Hier liegt das Material zur Ueberbrückung, und finden wir auch Kohle zum Heizen, so ist uns Santa Fé erschlossen. Von Kansas aus setzen uns die vielen Ströme unüberwindliche Schranken, und wollten wir sie auch überwinden, strecken uns die Ausläufer der Felsengebirge ihre Mauer entgegen. Hier haben wir nur die Wellen der Prairie zu überwinden und die Terrasse zur Wüste zu ersteigen, dann bieten die Längsthäler keine Schwierigkeiten bis Santa Fé vorzudringen. Erst eine Verkehrsader in dies wilde Land hinein, und Bildung und Gesittung werden folgen. Unsere Missionare arbeiten vergeblich unter diesen wilden Horden. Untereinander und mit den weißen Eindringlingen leben sie in fortwährender Fehde, und dieser Vernichtungskrieg gegen sie wird erst enden, wenn sie die Unmöglichkeit einsehen, gegen die Civilisation anzukämpfen, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt, als zu verhungern, indem sie auf der jagdlosen Prairie bleiben oder sich in die Felsengebirge zurückziehen. Und auch unsere wilden Jäger werden sich zum Ackerbau bequemen und ihre fürchterlichen Gewohnheiten ablegen, wenn ihnen die Wohlthaten der Civilisation nahe gebracht werden. Auf der Wüste werden unsere Kameele gehen, von Fort Gibson aus bis an ihren Rand sind die Flüsse mit Dampfschiffen zu befahren, finden wir hier Kohlenwerke, und von Kansas, am Rande der Prairie, wird deren Norden mit dem Süden durch ein Eisenbahnnetz verbunden.“

Die riesigen Pläne machten mich zum lautlosen Zuhörer.

„So erobern wir!“ fuhr Harry fort. „Santa Fé muß uns werden. Es ist nothwendig für uns, seitdem wir Californien haben. Es bietet uns einen Ruhepunkt auf der großen Straße nach dem Westen, sicherer und unabhängiger als der Seeweg. Wir müssen die Straße so weit südlich haben, weil der nordische Winter mit seinem Sturm und Schneegestöber fast ein halbes Jahr die Verbindung auf einer nördlicheren Straße unterbrechen würde, weil diese südlichen Gebirge einen Uebergang durch ihr milderes Klima erleichtern. Will Gott es, erreichen wir auch noch einen andern Zweck!“ fügte er nachsinnend hinzu.

„Und welchen?“ fragte ich.

„Die Prairie hat Sie schon gesunden lassen, Willy,“ sagte Harry ernst. „Ihre deutsche Empfindelei ist aber noch nicht aus Ihrem Geiste so fern, daß ich Sie ohne Bedenken an unsere Verhältnisse erinnern möchte, die wieder den alten Geist weckten. Wir leiden auch an unseren Gebrechen, wie Ihr in Europa, aber wir suchen sie zu heilen und nicht in die Glieder zu treiben. Unsere Freiheit ist eine Wahrheit, aber sie hat zwei Feinde – unsern Egoismus und die Sclaverei. Unser Egoismus macht uns gemüthlos. In der Politik werden wir uns so leicht mit Louis Napoleon verständigen, wie wir es mit dem Kaiser von Rußland gethan haben. Wir erkennen unsern Fehler und sind dem deutschen Elemente hold, das uns corrigiren kann. Unsere Dichter und Künstler fühlen sich zu Euch hingezogen und suchen sich in Euch zu vertiefen, unsere jungen Leute machen ihre Studien auf deutschen Universitäten. Aber Ihr Deutschen tretet uns mit Eurer Empfindelei entgegen. Eure Heimath habt Ihr verlassen, und die neue genügt Euch nicht; Ihr findet Eure Ideale nicht verwirklicht und verurtheilt uns, ohne uns näher kennen zu lernen. Dann verachtet Ihr, wodurch allein Amerika sich in seinen Gegensätzen erhält, unsere Kirchlichkeit. Ihr tadelt – und vergeßt die Hand anzulegen, die Schäden zu bessern – werdet amerikamüde und hier unbrauchbar. Sie waren auch auf dem besten Wege, Willy, nur unsere Schäden zu suchen, nicht, wie unser Freund, sie zu beurtheilen, sondern um uns zu verurtheilen. Wir verurtheilen die Sclaverei nicht minder hart, aber sie ist ein überkommenes Uebel, das sorgsam behandelt werden will. Wir hoffen sie zu beseitigen, und unsere Hoffnung stützt sich auf das deutsche Element.“

„Wären deshalb die Knownothings mächtig geworden, die doch nur den Deutschen feindlich waren?“ fragte ich.

„Sie sind ein Zeichen, daß die Amerikaner das Gewicht fühlen, welches die Deutschen in die Wagschale legen, aber sind sie [512] nicht von dem gesunden Sinne des Volkes bei Seite geworfen, sind sie nicht gescheitert? Trotz aller Fehlgriffe der Deutschen in Beurtheilung unserer Zustände sind doch die Amerikaner im Allgemeinen ihnen gewogen geblieben. Es liegt das mit an der Sicherheit, daß viele Vorwürfe nicht treffen. Der Vorwurf des Mammonismus wird keinen Amerikaner kränken, weil er weiß, daß er nach außen so scheinen muß, aber sich innerlich davon frei weiß. Er hat dieses subtile Rechtlichkeitsgefühl nicht, das schon den Schein meidet. Geld ist bei uns wirklich Nebensache, weil wir es nur als Mittel betrachten. Wer Geld hat, ist dem Amerikaner nur so lange eine Größe, eine Autorität, so lange er Geld machen kann, d. h. so lange er die Geschicklichkeit und Fähigkeit und auch das Glück im Geschäfte besitzt. Leider zieht sich auch dieser fatalistische Zug, wie so manches Unreine, mit in die Anschauungsweise des Amerikaners. Ich selbst würde mich besinnen, ob ich Jemand, der wiederholt vom Glück nicht begünstigt ward, neuen Credit geben könnte. Aber verlassen wird er darum nicht, wenn man ihn auch fallen läßt. In unseren Comptoiren finden sich stets angenehme Stellungen für denjenigen, welcher keinem eigenen Geschäfte vorstehen kann, weil er ohne Glück arbeitet. Ist das aber Mammonsdienst, daß wir mit aller Seelenruhe unser Hab und Gut an die großartigsten, also gewagtesten Unternehmungen setzen? Heute bin ich reich – morgen besitze ich nichts und habe doch die volle Macht über alle meine Unternehmungen, weil Niemand, nicht allein mich, sondern auch diese im Stiche lassen will, scheinen sie auch abenteuerlich. Ist denn eine Eisenbahnlinie, ist ein Brückenbau uns unmöglich gewesen? Oder sollte ihr Gewinn mit den Kosten im Verhältnisse stehen? Meistens – ja, denn wir sind praktisch, aber selten mit den aufgewandten Geistesarbeiten.“

Harry schien sehr viel daran zu liegen, mein Urtheil über Amerika günstig zu stimmen. Es gelang ihm jetzt leichter, und seine Persönlichkeit, seine Freundschaft für mich, die immer offener und herzlicher wurde, trugen wohl viel dazu bei. Das meiste Gewicht hatte wohl die Thatsache, daß dieser junge Mensch, der über fürstliche Einkünfte gebot, so ganz sich in Dienst seines Vaterlandes stellte, allen seinen Entwürfen diesen Hintergrund gab, sein Leben für nichts achtete, um seine Gedanken durchzuführen, um wie viel weniger würde er es mit seinem irdischen Besitze gethan haben! Die Einbildung ward mir bald genommen, daß etwa Harry meinetwegen diese Reise unternommen; er hatte mich eben mitgenommen, um mich aus den traurigen Verhältnissen, die meine Gedanken um mich geschaffen, herauszureißen; und das mußte ich ihm Dank wissen.

Aber weshalb denn? Was für ein besonderes Interesse hatte er für mich? So fragte ich mich.

Ben und Dick hatten verwundert unsere geognostischen Untersuchungen mit angesehen. Sie mochten zuerst glauben, daß wir Gold suchen wollten; ein verächtliches Gewerbe für einen braven Jäger. Mochten sie uns nun für wunderlich halten, als sie von dieser Meinung zurückkamen, so gaben sie uns bald, namentlich Dick, treffende Fingerzeige. Ueberhaupt durchbrachen oft Geistesblitze sein rauhes Jägeräußere, die von einer sorgfältigen Erziehung zeugten. Ein Vorfall sollte uns Aufschluß geben.

Wir waren wieder auf der Prairie. Gebrauchten wir Mundvorrath, so wurde Jagd gemacht, und ich war bald aus der Lehre entlassen worden. Die Anstrengungen der Reise waren etwas Gewohntes, und hatten nichts Ermüdendes. Es ward mir deshalb auch nicht schwer, die Stunden der Wache, die auf mich fielen, regelmäßig wach zu bleiben. In meine Decke gehüllt, saß ich eines Abends, und über mir zog der Sternenhimmel in einer Pracht und Klarheit auf, wie er nur in den Prairien oder vielleicht in den Wüsten des Orients gesehen wird. Mein treuer Hund lag bei mir wachend, seine klugen Augen auf mich gerichtet. So versank ich in Träumereien, und wie im Traume sang ich:

„So viel Stern’ am Himmel stehen
An dem güldenen blauen Zelt;
So viel Schäflein, als da gehen
In dem grünen, grünen Feld,
So viel Vöglein, als da fliegen,
Als da hin und wieder fliegen:
So viel Mal sei Du gegrüßt,
So viel Mal sei Du gegrüßt!“

Ich hatte leise vor mich hingesungen, allmählich mit halber Stimme und sang weiter:

„Mit Geduld will ich es tragen,
Denk' ich immer nur zu Dir –“

Da fühlte ich meinen Arm plötzlich wie von einem Schraubstock umschlossen, mein Caro sprang gleich mir überrascht auf – ich die Flinte in der Hand, mein Caro dem Angreifer an der Brust, aber mit geringer Mühe von diesem zurückgehalten, fanden wir uns Dick gegenüber. Natürlich waren auch Harry und Ben aufgesprungen und hatten zu den Waffen gegriffen, da wir nichts Anders, als einen Ueberfall vermutheten. Ehe wir uns von unserer Überraschung erholen konnten, hatte Dick meinen Arm losgelassen, den Hund leicht abgewehrt und war, die Hände vor dem Gesichte, in die Prairie hinausgegangen. Ich erzählte, was sich begeben, aber Niemand konnte sich das seltsame Wesen Dick’s erklären. Wir erschöpften uns in Muthmaßungen, da – was war das? Leise tönte es über die Prairie:

„Mit Geduld will ich es tragen,
Denk’ ich immer nur zu Dir!“

„Ich habe das Lied gesungen!“ sagte ich zu Harry.

„Sollte Dick ein Deutscher sein?“ wandte sich dieser zu Ben.

„Kenne Dick seit zwanzig Jahren. Er ist ein echter Pionier und kein Deutscher!“ antwortete dieser.

German, mehr noch das amerikanisirte Dutske hat einen verächtlichen Nebenbegriff für den Amerikaner. Es wird damit Jemand bezeichnet, der sich leicht hintergehen, betrügen läßt; eine keineswegs empfehlenswerthe Eigenschaft für den Pionier des Westen. Für mich konnte kein Zweifel sein, daß Dick ein Landsmann, denn ich hörte Melodie und Lied weiter singen:

„Alle Morgen will ich sagen:
O mein Lieb’, wann kommst zu mir!“

Ich ging Dick nach, und fand ihn, den Kopf gestützt, wie er den Vers zu Ende sang:

„Alle Abend will ich sprechen,
Wenn mir meine Aeuglein brechen:
O mein Lieb’, gedenk’ an mich!
O mein Lieb’, gedenk’ an mich!“

Leises Weinen unterbrach seinen Gesang. Meine Hand rührte seine Schulter. Er ergriff sie und zog mich zu sich nieder. Die Thränen flossen über die verwitterten Wangen.

„Landsmann, was habt Ihr?“ fragte ich.

„Landsmann, was habt Ihr?“ wiederholte er, als wenn er sich die Worte einprägen wollte, dann fuhr er englisch fort. „Mann, Mann, es war Alles begraben, und Ihr weckt das Todte auf! Meine Sprache habe ich verlernt, aber ihre Lieder nicht! Was soll’s dem armen Dick in der weiten Ferne?

Auf dem Kirchhof will ich liegen,
Wie das Kindlein in der Wiegen,
Das die Lieb’ thut wiegen ein,
Das die Lieb’ thut wiegen ein!“

Ich hatte seine Hand in der meinen und mußte mit ihm weinen.

„Seid Ihr auch ein Verbannter, ein Heimathloser?“ fuhr er fort. „O, vergeßt diese Lieder, sie sind unser qualvollster Trost. Ich habe sie so oft in die stille Nacht hineingesungen; ich habe die Indianer mit ihnen angelockt, daß sie mich scalpirten. Seit der Zeit wollte ich sie vergessen und habe sie nur nicht gesungen. Was kommt Ihr in die Prairie, einen alten Mann zu quälen? Ach, und ich danke Euch, ich danke Euch doch für diese Qual! Es lag mir auf dem Herzen wie Blei. Ich habe doch einen Menschen gefunden! – Mir ist so leicht geworden, als wäre ein Bann von mir genommen.“ – Er stand auf und schüttelte sich. „Kommt, Mann! Was soll Ben von mir denken!“ sprach er und ging auf das Lager zu.

An Schlaf war nicht zu denken, und da Dick seine volle Fassung wieder gewonnen hatte, bat ich ihn, uns seine Schicksale zu erzählen.

„Mein Vater war ein Prediger und starb früh. Ich kam auf das Waisenhaus zu Halle und besuchte dort die lateinische Schule. Mit einem guten Stipendium versorgt, ging ich zur Universität ab. Es war mein letztes Semester; ich stand vor meinem Examen. Habt Ihr vom Wartburgsfeste gehört? Nun hört, ein Graf Keller trug die Fahne, und ich ging neben ihm. Ich war auch mit dabei und schürte das Feuer an. Wißt Ihr noch von der Burschenschaft? Seht, es kam langsam nach. Ich hatte schon das erste Examen gemacht, da sollte ich verhaftet werden. Meine Mutter starb vor Schreck, und meine Braut trieb mich fort; ich floh. Auf zehn Jahre lautete mein Urtheil, so hat sie mir später geschrieben, denn sie blieb mir treu, bis sie starb. Da bin ich in die Prairien gegangen. Es wollte mir so nicht glücken in den Städten, Was sollte ich dort? Ich brauchte kein Haus, seitdem Marie todt war; es lebte Niemand, für den ich arbeiten konnte.“

[513] „Marie hieß Ihre Braut?“ fragte ich erstaunt.

„Marie hieß sie, Mann! Was soll’s? Ihr kanntet sie doch nicht!“

„Wenn Ihr aber Dietrich Friedemann seid, so könnte es doch sein!“

„Und wenn’s so wäre?“

„So hieß Eure Braut Marie Wolf und denkt heute noch an Euch!“

Wie ein Blitz die riesige Eiche von Gipfel bis zur Wurzel. so erschütterten meine raschen Worte den Mann, daß sein ganzer Körper zitterte. Mühsam erkämpfte er seine Fassung, dann sagte er leise wie mit sich selbst sprechend: „Denke, Marie Wolf hieß sie und ich Dietrich Friedemann. Aber sollen die Todten wieder aufleben? Können die Begrabenen auferstehen?“

„Marie ist meine Tante. Sie lebt im Hause meiner Eltern und hat uns Kinder groß gezogen, und Euch heute noch nicht vergessen. Ich sollte Euch aufsuchen, und Sie hat mir einen Brief an Euch mitgegeben –“

„Wo ist er, wo ist er?“ rief Dick heftig.

„Leider habe ich ihn nicht mehr, er ist mir gestohlen mit allen meinen Sachen.“ Und ich erzählte die Ereignisse bei der Landung des Washington. Dick schien in sich versunken, nur Harry unterbrach mich mit dem Ausrufe „Also doch wahr!“ Dann fragte er mich, wie lange ich das Mädchen über Wasser gehalten.

„Mir kam es eine Ewigkeit vor, es mag aber wohl eine Viertelstunde gewesen sein.“

„Und Sie haben Sie nie wieder gesehen?“

„Wohl möglich, aber ich weiß es nicht, denn dies blasse Gesicht habe ich kaum angesehen. Doch,“ fügte ich zögernd hinzu, „mit Ihrer Schwester Ella schien sie eine Aehnlichkeit zu haben.“

In dem Augenblicke schoß es mir durch de Kopf, ob sie es wohl nicht gewesen sein mochte, doch Harry’s ruhiges „So, so!“ ließ diesen Gedanken zurücktreten.

Unter diesen Gesprächen war der Morgen heraufgekommen. Dick trat vor mich hin. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er meine beiden Hände an sich, und sah mir rasch und fest in die Augen, als wollte er darin lesen, ob nicht ein Lügengeist ihn in der Nacht getäuscht. Dann schüttelte er mit dem Kopfe und ging zu den Pferden. Wir folgten ihm, saßen bald auf und ritten weiter in die Prairie hinein.

Bald sollten wir zu ernst mit unserer Lage beschäftigt sein, um weitere Unterhaltungen an die der Nacht anzuknüpfen. Wir entdeckten Indianerspuren. Ben und Dick behaupteten, es seien die der Comanches, und fürchteten, da unser Weg dieselben kreuzte, sie vielleicht bald auf demselben zu erblicken. Auf offener Prairie wäre es uns unmöglich geworden, uns ihres Angriffes zu erwehren, und die erfahrenen Jäger trieben zur Eile, um ein Versteck in einem Gehölze zu erreichen, das ihnen bekannt war. Wir hielten nur gegen Mittag so lange an, um die Pferde zu füttern und von unserm Wasservorrath zu tränken. Das war immer eine Aufgabe bei der unbändigen Natur von Dick’s Mustang. Dieser mußte wohl etwas zu kurz gekommen sein, und ihm fehlte die Kraft und Ausdauer unserer Pferde. Ben führte, dann folgte Harry, dann ich, und Dick machte den Beschluß. Bald bemerkte ich, daß Dick zurückblieb. Ich blieb dicht bei ihm, und der Abstand zwischen uns und den beiden Vorreitern ward immer größer. Dick trieb mich zur Eile an, aber ich blieb dicht vor ihm. Er sah, daß ich die Schwäche seines Pferdes erkannt hatte und ihn nicht verlassen wollte.

Als ich eben eine größere Erhebung des Bodens hinaufgeritten war, rief mir Dick zu, anzuhalten.

„Die Hunde sind uns schon auf den Fersen,“ sagte er. „Sie sollen nicht denken, daß wir vor ihnen fliehen. Reitet langsam herab.“ Ich that es und er folgte mir, ohne sich umzusehen. Dann sprang er rasch von seinem Pferde und gab mir den Auftrag, dasselbe zu thun und den Hügel hinaufzugehen. Er mochte vielleicht acht Fuß hoch sein, und sein Gras deckte mich vollkommen, als ich seine Höhe erreichte und mit meinem Glase die Ebene hinter uns überschaute. Am Horizonte bemerkte ich bald einen Trupp Reiter. Ihre Anzahl ließ sich schwer bestimmen, da sie Einer hinter dem Andern uns gerade entgegenritten. Bei dem Ueberreiten einer Anhöhe konnte ich sie ungefähr zählen. Es mochten zehn bis zwanzig sein.

[531] Nachdem ich meine Beobachtungen Dick zugerufen, auf dessen Vorbereitungen ich nicht achtete, sagte er mir, ich sollte die Reiter nicht aus den Augen lassen, dann setzte er sich auf mein Pferd und sprengte in den Grund aufwärts, dem Winde entgegen. Schon konnte ich mit bloßen Augen die Reiter erkennen, die unschlüssig zu halten schienen, da sie uns nicht wieder sahen, und einen Hinterhalt vermuthen mochten, als Dick wieder angesprengt kam. Er hatte einen Feuerbrand in der Hand und fuhr mit ihm über das dürre Gras, das hinter ihm schon hell brannte. Das ganze Thal hinauf hörte ich das Knistern des brennenden Grases.

„Zu Pferde! Fort, fort!“ schrie mir Dick zu, indem er absprang und den Mustang bestieg. Kaum saß ich aus meinem Pferde, so lief mir auch die Flamme, vom Winde getragen, schon entgegen. Mit Mühe erreichte ich die Höhe; auf dem Fuße folgte das Feuer.

„Es ist besser so, als daß Blut fließt!“ sagte Dick zu mir.

Noch hielt die Schaar der Indianer beobachtend in der Ferne. Unser Erscheinen erregte ihre Aufmerksamkeit; das Feuer mochten sie noch nicht bemerkt haben. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Der Wind trieb das Feuer von der Seite auf uns zu. Wir konnten berechnen, daß bald ein Feuerstrom von einer halben Stunde Breite uns von unseren Verfolgern trennte, aber wie nach ihnen hin, rückte er uns nach. Dick war ungleich stärker als ich, und ich sah, wie sein Thier immer mehr ermattete, daß selbst das Knistern des Feuers seine abnehmenden Kräfte nicht steigern konnte. Ich sprengte an Dick heran, sprang vom Pferde und rief: „Ich weiche nicht von der Stelle, ihr wechselt denn mit mir. Mich trägt das Thier noch eher!“

Zum Unterhandeln war keine Zeit, Dick mußte mir nachgeben, denn noch einige Minuten, und wir waren vom Feuer eingeschlossen, das schon die Höhe vor uns ergriffen hatte und auf dem vertrockneten Grase mit furchtbarer Geschwindigkeit hinlief von Spitze zu Spitze, sich nicht die Zeit nehmend, den Halm anzugreifen. Dick war rasch auf meinem Pferde, ich folgte ihm auf dem Mustang. Ich hatte den Lasso gebrauchen müssen, um das Thier zum Stehen zu bringen, und hielt diesen noch in der Hand. Wir sprengten im Thale hin, um die Höhe vor uns noch zu gewinnen. Dick ritt schon herauf und ich wollte folgen, als plötzlich ein Indianer mir zu Seite erschien, überrascht wie ich. Aber ehe ich einen Schrei ausstoßen konnte, schwirrte sein Lasso über mir, und ich war gefangen.

Es war mir so vorgekommen, als hätte ich einen einzelnen Reiter dem Trupp vorauseilen sehen, und hätte ich diese Vermuthung Dick mitgetheilt, er hätte gewiß darauf geachtet. Früher als seine Gefährten hatte der Indianer das Feuer gesehen, auch ihm war, wie uns, nichts übrig geblieben, als die noch schmale Front zu umreiten, und er war so mit mir zusammengestoßen.

Ich wäre unrettbar verloren gewesen, denn selbst Dick’s Hülfe wäre zu spät gekommen, wenn ich nicht mich unwillkürlich gebückt und die Hand mit dem Lasso wie zur Abwehr in die Höhe gestreckt hätte. So wurde nur Hand und Lasso gefangen und der Ruck, der mich vom Pferde reißen sollte, wurde am Lasso gebrochen. Meine rechte Hand war mir wie zerbrochen, doch folgte kein zweiter Zug. Ich sah auf. Mein Caro hatte das Pferd zum Stehen gebracht, und ehe der Indianer diesen Feind abwehren konnte, riß ihn Dick’s Lasso vom Pferde. Ich übersah rasch die Verhältnisse. Im Augenblicke war ich von meinem Pferde herunter, hatte meine Hand frei gemacht und lief, den Lasso in der Hand, zum Pferde des Indianers und schwang mich auf dasselbe. Dick hatte schon seinen Lasso von dem betäubten Indianer losgemacht.

„Es ist doch ein Menschenkind, wenn auch ein Dieb und Räuber!“ rief er mir zu. „Wirf ihm den Lasso von Deinem Pferde zu, da kann er sehen, was er uns eingebrockt hat.“

Der Indianer war schon erwacht aus seiner Betäubung, so wie die Schlingen des Lasso sich lösten. Obgleich verwundert über unser Benehmen, verstand er doch unsere Meinung und erkannte die Gefahr. Er setzte sich auf den Mustang, und wir überließen ihn seinem Schicksale.

Wir glaubten keine andere Wahl zu haben und sprengten die Höhe hinauf und durch die Flammen hindurch. Sie hatten noch keine Gewalt. Nur leicht versengt waren an den Füßen der Pferde die Haare. Drüben war das Gras weniger trocken, und wir waren gerettet. Dicht vor uns hielten Ben und Harry, die unser Zurückbleiben beunruhigt hatte. Sie waren Zeugen des Kampfes gewesen und hatten schon gefürchtet, zu spät zu kommen. Um so größer war die Freude, die sich aber nur in einem Händedrucke und wenigen Worten kund geben konnte, denn, wenn auch langsam, so folgte uns doch das Feuer, und wir mußten eilen, aus seiner Nähe zu kommen.

Ich hatte mich nicht getäuscht, als ich mein Pferd tauschte. Mein jetziges Thier hätte mir bald den Fuchs vergessen machen können. Ziemlich gleich beritten, erreichten wir gegen Abend ein kleines Gehölz mit einer Quelle und waren sicher. Zur Vorsicht umritten wir die eine Seite, von der das Feuer drohte und ließen für den schlimmsten Fall, daß der Wind sich drehte, einen Gürtel von mehreren Fuß zwischen uns und dem Feuer, der ihm schwer zu überschreiten gewesen wäre. Das Gehölz selbst war noch frisch und grün, obgleich unverkennbare Spuren darauf hindeuteten, daß frühere Prairiebrände doch nicht, ohne Schaden anzurichten, an ihm vorüber gegangen waren.

Als wir uns zur Nachtruhe einrichteten, schlugen die Hunde an. Wir griffen zu den Büchsen. Ueber die Prairie ritt der Indianer, den wir zurückgelassen hatten, auf dem Mustang auf uns zu. Er machte Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme. Mit dem Scharfsinn des Indianers hatte er erkannt, daß wir seinen Tod nicht wollten, und er uns auch jetzt vertrauen könne. Ben ging ihm entgegen.

„Es ist der Häuptling der Comanches, die uns folgen,“ sagte Ben. „Er ist mit Mühe dem Feuer entgangen und todmüde. Sollen wir die Schlange bei uns aufnehmen?“

„Kommt er in Frieden, so soll er auch Frieden haben!“ sagte Harry und ging ihm entgegen. Ich folgte Harry, und wir reichten ihm zum Willkommen die Hand. Er stieg vom Pferde. Das arme Thier war furchtbar verbrannt und selbst der Wilde war nicht ohne Brandwunden fortgekommen, obgleich man an seinem gleichgültigen Wesen es nicht abmerken konnte. Er trat so leicht und sicher auf, als ob nicht die Sohlen seiner Füße mit Brandblasen bedeckt wären. Wir leiteten ihn zu unserem Lager, und Dick war bald beschäftigt, ihm seine Füße mit zerquetschten Kräutern, die er mit Ben gesucht, auf’s Sorgfältigste zu verbinden.

Unterdessen war die Nacht hereingebrochen und brachte uns ein furchtbar schönes Schauspiel. Die ganze Prairie vor uns stand in Flammen. So weit wir sehen konnten - ein Feuermeer. Auf und ab wogte es, Welle auf und nieder. Hier faßte der Wind in die Flamme hinein und hochauf züngelte sie, ließ Leuchtkugeln steigen und zerstob in tausend und aber tausend Funken. Dort schien sie zu erlöschen, um im Augenblick wieder mit neuer Wuth in Flammen und Flämmchen zu züngeln. Hin und wieder riß der Wind die schwarze Decke ab und spielte mit der Asche in der Luft, einen Anblick gewährend, wie das schmelzende Gold ihn zeigt, [532] wenn auf einen Moment die Haut über demselben zerreißt. Die Prairie schien dann schmelzendes Gold zu sein. Mir war der Anblick neu, und ich war ihm ganz hingegeben, während die Andern sich mit dem Indianer beschäftigten und sich über die zu treffenden Maßregeln berieten. Dieser selbst schien ganz theilnahmlos und nur bemüht, seine Schmerzen zu unterdrücken, die trotz der Linderung, welche ihm der Verband gegeben, nicht unbedeutend waren. Ich hatte die Wache gegen Morgen und bemerkte, daß er erst um diese Zeit, als ich ihm den letzten Verband anlegte, ob aus übermäßiger Erschöpfung oder erstem Nachlassen der Schmerzen, entschlummerte.

Unsere Vorsicht war nicht überflüssig gewesen, denn bis an unsern Weg schlich sich das Feuer in der Nacht heran, und ich hatte Mühe, es davon abzuhalten, daß es ihn nicht überspränge. Endlich brach sich die Gewalt des Feuers am Morgenthau. Wie sah aber der Morgen die grünende, wogende Prairie an? Unbeschreiblich traurig ward ich, als ich dies weite, große, schwarze Aschenfeld sah. Wir hatten nichts von den jagenden und fliehenden Büffelheerden sehen können, die weit vor uns geflohen waren, da wir das Feuer angelegt hatten, aber ich sah hier die Weide von Millionen Thieren als Asche vor mir. Wie vielen mochte sie den Tod gebracht haben! Das Alles, um unser Leben zu retten!

Wir hielten eine Berathung über das Schicksal des Comanches. Er schien es zu ahnen. Er streckte Harry die Hand entgegen und sagte: „Conanha ist Dein Freund. Er ist ein Häuptling, und seine Krieger werden ihn bald finden. Aber Ihr zieht seine Straße, zieht Ihr in Frieden?“

„Da haben wir’s,“ sagte Dick, „wir sind auf dem Wege nach des Löwen Höhle.“

„Die Prairie ist weit, und viele Wege sind auf ihr. Wir ziehen bis an den Rand der Wüste den geraden Weg!“ antwortete Harry.

„Gut, und was will mein Bruder da?“

„Conanha wird es nicht verstehen. Wir wollen das Land kennen lernen.“

„O,“ sagte der Comanche bitter, „den Weißen ist das Land jenseits der Berge zu klein geworden, sie wollen auch die Prairie für sich!“

„So ist es! Der Comanche weiß nur den Büffel zu jagen und den Reisenden aufzulauern, aber der Weiße kann den Boden bearbeiten und die Erde aufschließen. Will Conanha uns aufhalten, will er verhindern, daß unser Dampfroß bis an die Felsengebirge jagt? Hat der Comanche die Macht, welche die Mohawks, die Osagen, die tausend Stämme im Osten nicht hatten? Hat Conanha nie gehört, daß wir den Missisippi zwingen und den Missouri bewältigt haben? Hat er nie von den Wasserfällen gehört, von denen Eure Alten mit Grausen erzählen, und über die wir Brücken bauten? Wir werden uns einen Weg durch die Prairie bauen, und die Büffel sollen das Dampfroß schnauben hören, und Conanha wird es nicht hindern. Glaubt das mein Bruder?“

Anfangs wollte Conanha ergrimmt auffahren, mit steigendem Interesse hörte er zu, dann fragte er: „Und wo hat mein Bruder seine Krieger?“

„Ich will erst sehen, dann sende ich sie!“ erwiderte Harry.

„Und die rothen Leute?“

„Wir werden ihr Land bezahlen, und sie werden unser Geld nehmen. Wir wollen nur einen Weg, und der ist schmal. Aber wenn Ihr nur Büffel jagen und Pferde rauben wollt, so wird auch die Prairie bald nicht mehr Euer sein. So wird’s kommen, Conanha, so will es der große Geist!“

„Es wird so!“ sagte der Comanche ernst, „so sagen unsere Weisen auch. Aber der Comanche kann nur leben, wie seine Väter, er wird untergehen mit den Büffeln auf der Prairie. – Aber mein Bruder ist auf dem Wege zum Lager Conanha’s. Sein junger Krieger hat Conanha das Pferd genommen – er mag es behalten, denn er hat ihn nicht wollen verbrennen lassen, und der Alte hat Conanha zu Boden geworfen, er hat seinen Scalp nicht genommen, nun ist er Euer Freund, er will Euch in seinem Lager sehen.“

„Was können wir Besseres thun?“ sagte Harry, „wir gehen mit.“

Wir beriethen uns über die Art und Weise, ihn fortzuschaffen, ohne unsere Wehrhaftigkeit aufzugeben, denn dies schien den erfahrenen Jägern die beste Sicherheit gegen die Tücken der Indianer. Es wurde beschlossen, daß er Ben’s Roß besteigen sollte. Conanha schlug diesen Antrag entschieden aus.

„Will mein junger Bruder mir sein Pferd leihen? Ich werde ihn lehren, es zu reiten, und ehe die Sonne im Mittag steht, sind meine Krieger bei uns, dann hat er es wieder. Die Krieger der Comanches kann kein Feuer schrecken.“

Ich ließ ihm sein Pferd und Dick nöthtigte mir meinen Fuchs auf. Wir wollten den Comanche auf sein Pferd heben, aber er weigerte sich. Er pfiff, und sein Pferd stand an seiner Seite. Er sprach einige Worte zu ihm, und es legte sich vor ihm nieder, so daß er bequem ohne unseren Beistand sich aufsetzen konnte. Conanha ritt an Harry’s Seite, Ben führte den Zug, und Dick und ich machten den Schluß. Trotz Ben’s Ungeduld ging die Reise nur langsam vorwärts, denn Harry richtete sich ganz nach Conanha und dieser schien keine Eile zu haben.

Dick verdoppelte seine Wachsamkeit und schüttelte oft unruhig den Kopf über die Langsamkeit unseres Vorgehens, und er hätte doch am meisten zu leiden gehabt, da er zu Fuß war.

„So viele Pfade die Prairie durchkreuzen, so viele Wege geht der Indianer. Aber unter allen Rothäuten sind die Comanches die verschlagensten und listigsten. Wie wir aus dieser Lage herauskommen, das mag Gott wissen. Ich möchte am liebsten dem Hunde eine Kugel durch den Kopf jagen und mich auf das Pferd setzen, dann wüßte ich, wie ich Euch weiter führte. Wenn es sein muß, brauchen wir ein fünfzig Comanches in der Prairie nicht zu fürchten, und einige Bäume hinter uns, könnten fünfhundert um uns heulen. – Vom Fort sind sie ausgezogen, um diese Hunde bei den Pani’s zu suchen am Red River, und diese sind am Canadian und werden ihnen im Rücken sein, ehe sie es denken. Was gilt’s, sie haben sich bis auf den Weg nach Santa Fé gewagt und einen Zug Reisende aufgehoben. Gewiß sind wir nur von dem Haufen bemerkt, der die Straße nach Osten zu recognoszirte, andere Haufen sind nach den anderen Richtungen hin gesandt, auch vielleicht zur Jagd, und nur ein kleiner Rest ist zur Bewachung des Lagers zurückgeblieben, das nur auf die Rückkehr der Krieger wartet, um den Heimweg anzutreten. Und die Beute muß groß sein, sonst würde der Häuptling sich nicht so weit an uns heran gewagt haben; es muß etwas Besonderes sein, sonst hätte er nicht vom Lager gesprochen. Daß mir sein Versteck kennen, weiß er, und ich fürchte, er weiß mehr, als uns lieb ist. Dann hilft ihm aber keine Freundschaftsversicherung!“ Das war der Inhalt der Gespräche Dick’s.

Gegen Mittag machten wir Halt. Einen großen Eindruck mußten Harry’s Reden auf den Wilden gemacht haben, das sahen wir aus der großen Achtung, mit der er ihm entgegen kam. Mit seiner Berechnung und großer Menschenkenntniß hatte dieser ihn behandelt, und so eine geistige Gewalt über den Comanche erhalten, die wunderbar gewesen wäre, wenn sich diese Erscheinung nicht auch im Leben wiederholte. Der Häuptling war immer ein Fürst, fürstliche Gedanken für sein Volk, für dessen Zukunft hatte Harry in seiner Seele geweckt, nachdem er alle seine gewohnten Gedanken ihm über Bord geworfen. Harry hatte ihn auf den Unterschied zwischen Mexicanern und Amerikanern aufmerksam gemacht; er hatte die Thatsachen sprechen lassen, daß es den Comanches eben so wenig möglich wäre, wie den andern Wilden, dem Andrängen der Amerikaner zu widerstehen, die ihnen als einzelne Jäger schon unbesiegbar gewesen wären, aber nur, weil sie die Hülfsmittel der Intelligenz ihrer Landsleute hinter sich hätten. Die Thatsache war unleugbar, daß alles Anstürmen der Wilden nicht vermocht hatte, einen Pflug zurückgehen zu lassen. Hatte der Pflug einmal den Boden aufgerissen, so war er den Wilden verloren, denn selbst die amerikanische Regierung war machtlos über diese kühnen Lichter der Wälder, Harry hatte dem Wilden, der jeden Fleck der Prairie kannte, gesagt, wo die Kohle zum Feuern des Dampfkessels gegraben, wo das Erz zu Pflug und Spaten, dem Wilden gefährlicher, als Büchse und Bowiemesser, aus der Erde geholt werden würde. Er hatte ihm die Orte in der Prairie gezeigt, die zuerst zu Ansiedlungen benutzt werden müßten, weil sie am geeignetsten. Dabei hatte er nie unterlassen, dem Häuptlinge Mittel und Wege, auf die Natur und Denkweise seines Volkes begründet, anzugeben, diesem selbst diese Vortheile zu wahren, da es nicht darauf ankäme, wer sie bennutze, sondern daß sie benutzt würden.

[541] Gewiß verdiente Conanha Häuptling zu sein. Er war ein geistig reger Mensch, der seine Umgebungen übersah. Schweigend saßen wir und aßen, Jeder seinen Gedanken überlassen, als Dick die Annäherung eines Reitertrupps meldete.

„Was soll’s nun werden, Conanha?“ fragte Dick.

„Es sind meine Krieger. Sie wissen das Feuer der Prarie unschädlich zu machen. Ich sagte es!“

„Ist Dir zu trauen?“

„Conanha vertraut dem Zerbrecher und dem Neuntödter.“ Das waren die Namen Dick’s und Ben’s. Neun Indianer hatte Ben erschossen, weil sie seinen Freund scalpirt hatten. „Ist ihnen Conanha zu jung? Er führt die Krieger für seinen Vater, das Adlerauge, der bei den Berathungsfeuern sitzen geblieben, weil ihn das Fieber ergriffen hat.“

„Ich traue Dir, Conanha,“ sagte Harry, „und bist Du treu, so will ich Dir Deinen Vater heilen.“

„Daß mein Freund ein großer Häuptling war, wußte ich, denn keine Pferde, wie Deine, selbst die Conanha’s nicht ausgenommen, schreiten über die Prairie; nur einem hohen Häuptling konnten die besten Jäger und die gefürchtetsten Krieger, die von Niemand besiegt wurden und denen die Prairie gehört, in die Prairie folgen; aber daß Du ein Medicin-Mann seist, wußte ich nicht!“ erwiderte einfach Conanha.

„Wir lernen Alles,“ entgegnete Harry. „Mein junger Freund kommt von jenseits des großen Wassers, er kann Dir aber sagen, was in unsern Gebirgen ist, er kennt, was in der Erde schläft.“ Auch ich sollte in der Meinung des ComancheKursiver Text Geltung bekommen. „Er kennt die Sprache der Völker, die nicht mehr sind, und kann Dir sagen, daß ich Deinen Vater heilen werde, sieben Tage nach Deiner Heimkehr, wenn Du treu und wahr bist. Wir fürchten Dich nicht, aber Du weißt, wir fürchten uns unnütz Blut zu vergießen.“

„Conanha ist treu und wahr! Seine Seele ist ohne Falsch!“ rief der Wilde. „Laß meine Krieger kommen!“

„Wenn Adlerauge sein Vater ist, gilt Conanha’s Wort,“ sagte Ben. „Adlerauge war der beste unter den Dieben,“ fügte Dick leise hinzu, „sonst traute ich auch diesem nicht.“

So wurde der Vertrag abgeschlossen, und uns selbst rührte die Freude, mit welcher die Krieger ihren Häuptling begrüßten. Mit wenigen Worten hatte er ihnen seine Schicksale mitgetheilt, und wir erkannten, daß wir nicht wenig galten, als er uns ihnen in seiner Weise geschildert hatte.

Dick und Ben hatten viel heimliche Zwiesprache. Dick war mit einem Pferde eines der Krieger beritten gemacht, denn ich hatte mich entschieden geweigert, von Conanha das Pferd jetzt anzunehmen, so lange er krank war, und der schlaue Wilde war um so erfreuter darüber, da er doch wohl die Einzelheiten des Kampfes seinen Kriegern verschwiegen haben mochte; und ich war froh, meinen Fuchs tummeln zu können.

Wir ritten scharf aus, ich mit den Hunden voraus, dann folgten Dick und Ben, Harry und Conanha sprachen viel mit einander, und die Krieger bildeten den Schluß. Bald stieß ein neuer Haufen zu uns, ein anderer gegen Abend, sodaß über 100 Krieger hinter uns waren. Blieb aber Conanha treu, so war keine Gefahr zu fürchten, denn wir erkannten bald, in welchem unbegrenzten Ansehen er stand.

Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, als sich vor uns ein Thal von unbeschreiblicher Lieblichkeit öffnete.

Unser Weg hatte sich zwischen dem Nord- und Süd-Canadian (Colorado) hingezogen. Die kleinen Flüsse, welche wir bis dahin überschritten hatten, waren Zuflüsse des Nord-Canadian gewesen, und ihre Thäler hatten sich nach N. O. geöffnet. Dies Thal öffnete sich nach S. O. und war gegen den Nord-Wind durch die Höhen vor ihm geschützt. Sein Wasser ergoß sich in den Colorado [542] oder Süd-Canadian. Bedenkt man, daß wir uns unter dem 36. Breitengrade und ungefähr 77 Längengrade befanden, unter demselben Breitengrade, unter welchem Candia liegt; bedenkt man, daß dieses Thal, durch seine Lage gegen die kalten Nordwinde und die von den Felsengebirgen herabstürmenden Westwinde geschützt, nur dem warmen Süd und Südost zugänglich war, so wird man von seiner paradiesischen Schöne nicht überrascht sein.

An der stolzen Sykamore kletterten die Schlingpflanzen hinauf, der Bocksbart mit seinen wunderlichen Formen hing von ihnen hernieder, und Hunderte von Orchideen mit ihren seltsamen Blüthenbüscheln hatten sich auf den Bäumen angesiedelt. Zwischen den Blättern schlüpften Vögel von den schönsten Farben, und am Abend hörte ich zum ersten Male den Whippoorwill sein Lied anstimmen. Die von der Sonne gerötheten Ränder des Thales spiegelten sich mit Blume und Baum in einem kleinen See, aus dem der Bach als kleiner Wasserfall herniederrauschte. Zum ersten Mal grüßte mich der Süden mit all seiner Schöne. Der Duft der Blumen berauschte mich fast, und die Pracht der Magnolien, in die ich hineinreiten mußte, übertraf alle meine Erwartungen.

Plötzlich schlugen meine Hunde an. Ich ritt zu ihnen hin und sah mit Entsetzen auf einer kleinen Blöße einen todten Weißen liegen. Die Aasgeier, welche sich nur bis in die nächsten Büsche über ihm erhoben hatten, waren schon bei ihm beschäftigt gewesen und hatten ihm die Augen ausgehackt. Es war ein entsetzlicher Anblick. Mein Ruf brachte Dick und Ben zu mir, Harry und Conanha folgten. Der Letztere mußte unsere Gedanken errathen haben. Ein Ruf von ihm brachte einen von den im Thal Zurückgebliebenen an seine Seite. In unserer Gegenwart berichtete dieser, es sei einer der Gefangenen. Er habe nicht allein entfliehen wollen, sondern vorher gestohlen und diese gestohlenen Sachen in einer Höhle versteckt, die mit Fellen und andern Sachen angefüllt gewesen wäre. Vergebens habe man ihn nach seiner Flucht gesucht, endlich die Höhle entdeckt, und bei seiner Flucht aus dieser habe ein Wurf mit dem Lasso seinem Leben ein Ende gemacht. Man habe den Dieb liegen lassen.

Die Wahrheit dieser Erzählung konnten wir nicht bezweifeln, aber ebenso wenig ein unheimliches Gefühl bemeistern. Dick unterbrach unser Schweigen.

„Es ist ein Christenmensch, wenn auch ein Dieb,“ sagte er, indem er vom Pferde sprang. Er sollte den schönsten Lohn dafür haben.

Ich folgte ihm, und auch Ben und Harry. Als die Indianer sahen, daß wir anfingen, mit unsern Messern die Erde aufzuwühlen, erkannten sie unsere Absicht und ritten schweigend voraus.

Wir hatten halb ein Grab gegraben, und ich ging mit auf die Leiche zu, nur sie hineinzulegen. Wie von einer Schlange gestochen, fuhr ich zurück. Mein Erschrecken, mein todtblasses Gesicht ließ meine Gefährten mich mit Fragen bestürmen, aber ich war sprachlos. Endlich fasste ich mich etwas. Aber ich mußte Gewißheit haben. Ich kniete zur Leiche hin, schlug den Rock zurück - auf der entblößten Brust der Leiche, breit, wie meine liebe Mutter ihn mit eigener Hand in meine Hemden gestickt hatte, lag mein Namenszug; Rock und Weste war mein Eigenthum, vielleicht die Beinkleider und Stiefeln auch – ja sogar den Hut erkannte ich als den meinigen, als wir ihn einige Schritte von der Leiche entdeckten. Ich dachte nicht an meine Freunde, die mein Benehmen nicht zu erklären wußten, ergriff mein Messer und trennte die Weste mit einem Schnitt auf.

„Hier ist er, Dick, hier ist er!“ rief ich. „Ob Dieb oder nicht, er hat den Brief tragen müssen, der Bote sein müssen, bis ich Dich gefunden!“

Ich stand auf. Dick war auf die Kniee gesunken. Die Thränen strömten ihm aus den Augen. Endlich faßte auch er sich. Er hatte die Aufschrift an den Verstorbenen – das wollte der Dietrich Friedemann sein – er hatte die Hand der Todtgeglaubten erkannt.

„Nein, hier nicht!“ sagte er, indem er aufstand und den Brief zu sich steckte. Wir hatten die Leiche bald in die Grube gelegt, sie mit Erde beworfen und einen Steinhaufen aufgehäuft; dann sprachen wir ein stilles Gebet und bestiegen unsere Rosse. Wir hatten nicht bemerkt, daß Conanha in unserer Nähe geblieben war. Mit wenigen Worten ward auch er davon in Kenntniß gesetzt, daß ich gleich bei meiner Ankunft um meine Habe gekommen und Überreste davon an der Leiche erkannt hätte. Schwerer hielt es, ihm zu erklären, daß meine Tante, in dem festen Glauben, ich würde ihren alten Freund in Amerika finden, mir einen Brief in die von ihr gestickte Weste genäht mit der Bitte, sie stets zu tragen. Ich hatte diese Bitte unbeachtet gelassen, wenn auch nur einen Tag, und die Weste war verloren; als die Hoffnung der Tante sich bewahrheitete, war die Erfüllung ihres Wunsches mir unmöglich geworden.

War der Todte der Mensch, um dessen willen ich hatte in das Hospital wandern und Monate lang leiden müssen, aber doch nur vielleicht etwas früher, denn wenigen Auswanderern, unerfahren und gemüthskrank wie ich, wird die Leidenszeit erspart – war er es: ich hatte ihm vergeben, längst vergeben! Hatte ich doch Harry kennen gelernt, Dick gefunden und war gesundet an Leib und Seele. Und sollte ich jetzt auch wieder allein und mittellos auf amerikanischem Boden stehen, ich fühlte mich stark genug, mich durchzuringen. Der Abend war hereingebrochen, Dick ritt nicht von meiner Seite.

„Mein Junge, Du mußt deutsch zu mir sprechen!“ sagte er. „Ich habe immer die Deutschen gemieden und habe meine liebe Muttersprache verlernt. Ich hatte sie zu lieb! Aber sieh, die Deutschen hier im Lande verderben sie. So mochte ich sie nicht sprechen hören. Sie hätten bayersch oder schwäbisch sprechen mögen, aber sie müssen jedes neugelernte Wort anbringen, sie möchten um alles in der Welt rasch ihre Sprache verlernen und englisch reden. Und nun –“ jetzt kam er zur Hauptsache, das erkannte ich an dem Ansatze, den er nahm. „Und nun, mein Junge, morgen in der Frühe, da gehen wir auf den Berg, und wenn die Sonne aufgeht, dann liest Du mir den Brief vor. Du mußt aber schon mich hinein sehen lassen, und darauf achten, wenn einem alten Mann das Wasser in die Augen tritt. Ich dachte, ich hätte das Weinen verlernt!“

Von diesem Augenblicke an redete ich nur deutsch zu Dick, dem alten Demagogen, und spaßhaft war es, wie die Indianer, namentlich Conanha, diesen ihnen neuen Lauten zuhorchten. Harry sprach sehr gut deutsch, und unser beiderseitiges Ansehen wuchs, um so mehr, da Harry in das Idiom der Comanches eingeweiht war, und auch mir es nicht schwer wurde, einige Redensarten anzuwenden.

Wir kamen bald im Thale an. Die Indianer hatten schon ihre Pferde angebunden und sich um die verschiedenen Feuer gelagert. Ich schätzte sie auf mindestens 500. Dick meinte, ich hätte sie nicht überschätzt, und glaubte, daß der ganze Kriegerhaufen beisammen sei. Im Schatten der Bäume bemerkten wir eine aus Büffelhäuten und Zweigen improvisierte Hütte, von der aber ziemlich entfernt Conanha uns unsern Lagerplatz anwies. Ich schlief bald ein. Wie im Traume kam es mir vor, als hörte ich singen, eine liebliche Mädchenstimme. Am Morgen weckte mich Dick. Ich erzählte ihm meinen Traum, und er sagte ernst, daß ich nicht geträumt habe.

Ich übergehe die Stunden, welche ich mit Dick auf der Höhe zubrachte.

Dick hatte von jetzt an viel zu fragen. Ihn interessirten die politischen Verhältnisse Deutschlands und auch meine persönlichen wieder; der Halbwilde nahm Cultur an. Als ich ihm erzählte, daß viele seiner damaligem Gefährten Schergendienste an uns geleistet – da söhnte er sich mit seinem Leben in der Wildniß aus.

„Junge, Du gehst nicht wieder nach Deutschland!“ rief er, und von da an machte er keine Versuche, selbst deutsch zu sprechen, obgleich er mich gern in den heimathlichen Lauten reden hörte. „Jeder will dort seine Freiheit, die Anderer muß in den Kerker!“

„So ist es!“ setzte ich hinzu.

Wir fanden Harry im ernsten Gespräch mit Conanha. Harry hatte auch den Gesang gehört und war entschlossen, die Sängerin kennen zu lernen. Nur seiner Zähigkeit und Schlauheit gelang es, den listigen und argwöhnischen Häuptling zu einem Geständnisse zu bringen. Endlich erfuhr er, indem Dick und Ben durch ihre Nachforschungen ihn unterstützten, daß die Comanchen eine ganze Karawane, wahrscheinlich durch Verrath des Gemordeten, den wir bestattet, aufgehoben hatten. Der Zug war ein so außerordentlich reicher gewesen, daß sie die Jagd aufgegeben hatten, und nur an seine Sicherung dachten. Daher kamen die starken Recognoscirungen. Wir hörten die Maulthiere im Gebüsch und sahen unter denselben das Gepäck liegen.

Schon als wir am ersten Morgen den Abhang bestiegen, waren uns Wachen entgegengetreten, durch Dick zwar in gehöriger Entfernung gehalten, uns aber doch gefolgt. Weil meine Gefährten die Sitten der indianischen Krieger, ihr Mißtrauen zu gut kannten, so vermieden wir alles Auffällige, dennoch begegnete es Ben und Dick bei ihren Recognoscirungen, daß sie von Wachen zurückgewiesen [543] wurden. Wir sahen, daß Conanha schon seine Geständnisse bereute und unsere Kenntniß fürchtete. Er glaubte uns vielleicht auch in seiner Hand, umgeben von seinen Hunderten, bestimmt durch den Beirath der andern Häuptlinge.

„Wir müssen die Sache zu Ende bringen!“ sagte Harry. „Nach meiner Meinung sind dort in der Hütte christliche Frauen, die der Heide in seinen Wigwam schleppen will, wir werden das nicht dulden!“

Unsere Lage konnten wir leicht übersehen, im Kampfe mindestens Einer gegen Hundert. Ich war der Unerfahrenste; man denke nur daran, daß wenig mehr als eine Woche verstrichen war, seitdem ich sicher zu Pferde sitzen konnte. Ich sage aber nur die einfache Wahrheit, wenn ich berichte, daß ich auch keinen Augenblick Furcht hatte, obgleich ich die Gefahr vollständig übersah. Es ward dieser Muth wohl getragen von dem Bewußtsein, einer höheren Race anzugehören, ähnlich dem Muthe, den die wenigen tausend Engländer den Hunderttausenden gegenüber zeigten, als sie den Aufruhr der Sepoys niederschlugen; bei mir noch von dem edlen Zwecke. Für eine gerechte Sache eintreten, das gibt den wahren Muth. Ich überließ es meinen Gefährten, die Mittel zu berathen, wie wir unsern Zweck erreichen möchten.

„Wir haben mit den Dieben noch eine besondere Rechnung, mein Junge,“ sagte Dick zu mir, „die wollen wir erst abmachen. Vielleicht ist sie kürzer, als wir denken. Ueberdenkt, wie Ihr’s anfangt, Ben geht mit mir!“ wandte er sich zu Harry und Ben; und Beide schritten thalaufwärts hinter uns in das Gebüsch hinein.

„Was sollen wir machen?“ eröffnete ich die Berathung, in der ich nur eine Null sein konnte, denn ich hatte auch nicht einen Gedanken, keinen Plan.

„Weiß ich’s?“ sagte Harry ernst. „Hattest Du, Willy, einen Plan, als Du meine Schwester Ella aus dem Wasser zogst?“ wandte er sich rasch zu mir. „Machte nicht Alles der Augenblick?“

„Ich – Ella?“ rief ich.

„Und Du hast es wirklich nicht gewußt?“

„Nur einmal in der Prairie schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß die Gerettete Ella ähnlich gesehen –“

„Sie ist’s wirklich gewesen. Die Augenblicke sind zu ernst und gezählt. So höre denn. Ella war ohnmächtig, doch nicht besinnungslos. In diesem Starrkrampfe hätte sie rettungslos untergehen müssen. Sie sah Deine Bemühungen und gelobte sich, Dir ihr Leben zu opfern, wie Du das Deinige wagtest. Verkenne nicht Ella’s hochherzige, edle Natur! Sie wurde von mir selbst aus dem Wasser geholt, und ich hielt ihre Erzählung für eine Einbildung, da ich trotz aller Nachforschung nichts von Dir erfahren konnte. Du wirst Ella’s Gelübde noch höher schätzen, wenn Du erwägst, daß sie Dich für geisteskrank hielt. Du warst es in einer Art. Als Dich Ella mir zeigte –“

„Dort im Wagen?“

„Ganz recht! – mußte ich Vaterstelle bei ihr vertreten. Ich wollte Dir gern die Hälfte meines Vermögens abtreten. Bei Ella – sie war auch an den Folgen erkrankt, Du fandest sie noch leidend – war ihre Dankbarkeit fast Gemüthsleiden geworden. Brachte ich Euch Beide zusammen, bei ihrer nervösen Aufgeregtheit war Alles zu fürchten. Unsere Sitten sind andere, der Umgang zwischen den Geschlechtern ist freier – verdenke es mir nicht, wenn ich Dich erst gesund ihr gegenüberstellen wollte. Du thust es nicht, Willy? Sieh, ich bin Dein Bruder geworden!“

Harry sprach das Letztere so weich und lieb, daß ich ihm Alles verziehen hätte, und doch hatte ich ihm nur zu danken. Ich reichte ihm die Hand und sagte: „Wie sollte ich –“

„Sei Du mir Freund und Bruder!“ fiel Harry ein. „Es ist möglich, daß einer von uns hier fällt, denn die Sache ist ernst. Ella wird uns betrauern, aber nicht bedauern. Sollte ich aber bleiben, versprich mir, meine Stelle bei ihr einzunehmen! Lernt Ihr Euch lieben, meinen Segen habt Ihr, Ihr seid Euer werth. Jetzt müssen alle Bedenklichkeiten fallen, denn wir stehen am Rande des Grabes!“

Ich reichte ihm stumm die Hand. Was sollte ich erwidern? Gewiß hatte Ella einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, aber ich hatte in der letzten Zeit nur ihr spöttisches Lächeln gesehen. Ich hatte schon als Mann in Deutschland gestritten, wenn auch mit Wort und Schrift. Aber ich hatte mich den Volkshaufen entgegengeworfen, als viele Männer vor ihrer Wuth zitterten, und sie gebändigt. Freilich war ich dafür eingefangen und für meine Meinung verurtheilt worden, die nichts mit Umsturzplänen und Verbindungen dazu zu thun hatte. Mich hatte wirklich Ella’s Spott in meinem Stolze verletzt. Ich fühlte das Kindische und sagte zu Harry: „Wir werden Beide zurückkehren, und dann wird uns das Leben mit seinen Wegen nicht auseinander reißen, das weiß ich. Ella und Du, Ihr könnt auf mich rechnen!“

„Du bist mein Bruder im eigentlichsten Sinne des Wortes!“ sagte Harry, „und nun ist es gut. Wir wollen nun berathen. – Dort in der Hütte sind Frauen, wahrscheinlich Creolen, die nach dem Süden wollten. Conanha ist bei ihnen und hat sie zum Schweigen gezwungen. Das Einfachste wäre, wir ritten auf die Hütte zu und holten sie heraus. Morgen ist es schon zu spät, und so nahe, wie jetzt, kommen wir ihnen erst nach dem blutigsten Kampfe und der heftigsten, langwierigsten Verfolgung, Ich hasse auch das Blutvergießen. Blut will wieder Blut.“

„Das ist auch meine Meinung. Doch sehe ich kein anderes Mittel, als uns auf die Pferde zu verlassen. Wissen wir aber, wie viele Frauen darin sind? Mehr als vier können wir nicht tragen. Und mit den Frauen vor uns auf den Pferden können wir nicht kämpfen, sind unsere Pferde denen der Wilden nicht überlegen.“

„So ist es leider!“ sagte Harry, „und wir opfern sie und uns gewiß. Denn haben die Wilden Blut gekostet, sind sie unersättlich.“

„Könnten wir nicht die Expedition aus dem Fort benachrichtigen?“

„Ehe wir die im Osten gefunden haben, sind diese Hunde auf dem geraden Wege schon in Sicherheit. Aber Eins können wir, wir können diesen Gedanken als Drohung benutzen! Hier siehst Du den Wilden in seiner wahren Gestalt,“ fuhr Harry fort, „hinterlistig, wortbrüchig; auf eine Leidenschaft setze ich noch meine Hoffnung – auf die Habsucht. Du hast Dich wohl zum letzten Male von einem Wilden täuschen lassen. Ich und die Andern waren nicht zu täuschen, aber wir wollten seiner Teufelei auf die Spur kommen, indem wir auf seine Feigheit bauten. Denn glaube nur, wir haben von diesen Hunderten nichts zu fürchtest, so lange die Pferde unter unsern Beinen und die Waffen in unserer Hand. Haben wir ein Gebüsch zur Deckung, so würde nur die höchste Raserei sie zum Angriff bringen, denn sie wissen, daß wir ihnen auch an physischer Kraft überlegen sind, und so gefürchtete Jäger, wie Ben und Dick, das wissen sie, können sie mit ihren Künsten nicht locken.“

„Aber warum nahm uns Conanha in sein Lager?“

„Weil er uns auf dem Wege sah. Er wollte uns durch sein Vertrauen kirren. – Wenn nur ein Versteck in der Nähe wäre, das uns zum Rückhalt diente!“

Ben und Dick traten aus dem Gebüsche. Beide trugen Packete in der Hand, die sie an die Erde warfen.

„Einen alten Jäger überlisten die Diebe doch nicht,“ sagte lachend Ben. „Sie sind richtig eingekehrt in unser Winterquartier und haben unser Vorrathshaus ausgeräumt, aber in unsere Schatzkammer sind sie nicht eingedrungen.“

„Nun, was habt Ihr denn da, Ben?“ fragte ich neugierig.

„Wollen’s lieber mitnehmen, das nächste Mal würden sie besser nachsehen und möchten’s finden. ’s ist besser aufgehoben unter Christenmenschen. Was es ist? Das Schießgeld, kein gesuchtes Gold, sondern sauer verdient in langen Jahren. Dick und ich haben’s nie verbraucht.“

Es konnte ein hübsches Sümmchen in dem langgestrecktem Beutel stecken. Unmöglich konnte aber Dick’s Packet lauter Gold enthalten. Auf meinen fragenden Blick antwortete er ernst: „’s ist eine Arbeit von zwanzig Wintern, die ich hier in diesem Thale verlebte, erst allein, dann mit Ben. Ueber dreißig Jahre meines Lebens sind hier aufgezeichnet.“

Er breitete vor uns eine Büffelhaut aus. Alle seine Jagdzüge durch die Prairien, von Nord nach Süd, von Ost nach West waren darauf verzeichnet. Was ihr aber unschätzbaren Werth gab, das waren die Flußnetze, die Erhebungen, welche er als stetige Marken seiner Wege sauber angeführt hatte. Es war eine Arbeit, die zwanzig Jahre erfordert hätte, bei allen Hülfsmitteln; dieser Mann hatte sie in zwanzig Wintern geleistet mit den unscheinbarsten Werkzeugen, unterstützt von einer ausgebildeten Beobachtungsgabe. Mit mathematischer Genauigkeit hatte sein Auge die Höhen gemessen, die Entfernungen berechnet. Wir fanden das später, ahnten es aber schon, als wir unsern Weg auf der Karte verfolgten.

Der Entwurf war einfach. Die Oberfläche der Büffelhaut [544] war die höchste Erhebung, die zugleich den Rand bildete. Nach Süden war der Kopf genommen. Je nach ihrer Tiefe waren die Flußthäler und die Ebenen eingeschnitten. Wo am Rande der Thäler Gestein zu Tage trat, war es mit der entsprechenden Farbe treu angedeutet.

Dick freute sich wie ein Kind über unser Erstaunen und hatte keine Ahnung, welchen Schatz er vor uns ausgebreitet hatte.

„Schon gut, schon gut!“ mit diesen Worten setzte er unseren Lobeserhebungen Schranken. „Schon gut, daß Ihr einen alten Mann nicht auslacht. Und nun ist es genug! Ihr wißt doch nicht, was sie mir werth ist. Und was soll’s nun?“

„Wenn wir nur in der Nähe ein Versteck hätten, einen Ort, von dem sich in Sicherheit unterhandeln ließe!“

„Kinder, Ihr seid ja im Bau des Dachses!“ lachte Dick. „Jetzt können sie alle Schliche erfahren, Ben und ich kehren nicht wieder. Was ist’s denn?“

Wir theilten ihm mit, daß wir nicht wüßten, wie viel Frauen gefangen wären.

„Eine, höchstens zwei!“ rief Ben. „In der Hütte sind nicht mehr, In einem Theile liegt Conanha, im andern müssen die armen Frauen sein, wenn’s zwei sind. Ich glaub’s aber nicht. Es ist ein armes Mädchen, das dem Hunde gefallen hat, die andern hat er sausen lassen, oder – wie den dort oben. Glaubt nur den Lügen nicht. Er mag erst betrogen, gestohlen und verrathen haben, dann hat er aber gesehen, daß er hier an die Rechten gekommen ist, hat Reißaus nehmen wollen, und darauf haben die nur gewartet, um ihm den Garaus zu machen.“

„Schlimm sind sie, aber mach sie nicht schlechter, als sie sind!“ sagte ernst Harry. „Wir mischen uns eigentlich in Angelegenheiten, die uns, nach ihrer Meinung, nichts angehen. Thäten wir das nicht, so würden wir uns über sie nicht zu beklagen haben. Wir schaffen uns selbst Recht, und das ist auch ein Unrecht! Ich will’s in Güte versuchen. Wo liegt das Versteck?“

„Wir reiten hier in das dichte Gebüsch hinein, Dahinter liegt ein kleiner Abhang, den wir hinauf sprengen müssen. Wir haben dann vor uns eine Höhle, hinter der eine zweite, größere liegt. In jeder von beiden haben wir mit den Pferden Platz.“

„Gut! Wir machen unbemerkt die Pferde fertig, und Ihr haltet Euch bereit. Von hier aus könnt Ihr alles beobachten und mir zu Hülfe kommen, wenn mir Gefahr droht.“

Nachdem wir unsere Pferde gesattelt und gezäumt hatten, steckte Harry seinen Revolver ein und ging auf die Hütte zu. Den Ausgang und Eingang des Thales versperrten die Lager der Indianer. Wir nahmen die eine Seite, die Hütte die andere Seite ein. Zwischen der Hütte und uns floß der Bach. Harry übersprang ihn und ging eilig auf die Hütte zu. Ich muß noch bemerken, daß wir absichtlich unsern Lagerplatz so unter den Bäumen genommen hatten, daß wir nur von der Umgebung der Hütte aus, nicht von den Lagern der Krieger beobachtet werden konnten. Die Hütte lag noch etwas versteckter, so daß selbst Vorgänge ihrer unmittelbaren Nähe den Indianern im Lager nicht bemerkbar waren. Wir hatten zu unserm Glück den günstigsten, wie wir bald erfahren sollten, den letzten Augenblick gewählt – am andern Morgen wären die Comanchen auf und davon gewesen. Wenn auch in der Stille, aber um so eifriger waren Alle mit der Abreise beschäftigt.

Kaum hatte Harry den Bach überschritten, und sein Vorsatz die Hütte zu besuchen, war unverkennbar, als ihn der wachhabende Indianer zurückwies. Harry ließ seine Zeichen unbeachtet; aber er mußte die gemessensten Befehle haben, denn er wagte es, ihn zurückhalten zu wollen. Harry schleuderte ihn zur Seite; ohne seine Schritte zu beseitigen, verfolgte er seinen Weg. Sich aufraffend, ergriff der wüthende Comanche seinen Tomahawk und wollte auf Harry losspringen. Aber wir hatten jede seiner Bewegungen beobachtet, Dicks Büchse lag schon an der Backe, ein scharfer Knall, und der Wilde lag am Boden. Wir hatten nur Sinn für das, was vor uns geschah, sonst hätten wir auch wohl dem herrlichen Echo gelauscht, das den Büchsenschuß als Donner zurückwarf und von einer Thalwindung zur andern fort trug. Unser Unternehmen begünstigte dieser Zufall, denn die Indianer waren durch Schuß und Wiederhall überrascht, so daß wir einige Minuten gewannen, eine lange Zeit, wenn Alles an Augenblicken hängt.

Nach dem Schusse war keine Zeit zu verlieren. Wir saßen zu Pferde; ich mit Harry’s Pferde voran, flogen wir über den Thalgrund. Der Schuß wäre ganz unnötig gewesen. Wir hätten von Harry’s Klugheit erwarten können, daß er sich von einem hinterlistigen Indianer nicht überraschen lassen würde. An der Erde lag der Indianer, und über ihm stand Harry’s Hund. Nicht weit von ihm stand Harry, und hielt ein wunderbar schönes Mädchen in seinen Armen. Ihre schwarzen, langen Locken flogen in Unordnung um ihren Kopf.

Ehe Harry nach dem Schusse, der ihn unangenehm überrascht hatte, da er alle seine Pläne durchkreuzte, seine Schritte beschleunigen konnte, hatte sich der Vorhang der Hütte geöffnet, und das junge Mädchen war herausgestürzt und ihm in die Arme geflogen.

„Misericordias, misericordias!“ rief sie ihn umklammernd.

Harry war ganz überrascht und versunken in ihre Erscheinung. Es war sein Glück, daß ich erschien, denn er schien Alles um sich vergessen zu haben. Ich hatte nur noch Zeit, meinen treuen Caro auf Conanha zu hetzen, den er zu Boden warf, aber nicht früher, bis dieser sein Kriegsgeschrei ausgestoßen, dann griff ich vom Pferde herunter nach dem jungen Mädchen, das aber Harry zu fest umschlungen hielt.

[558] „Um Gottes Willen, Harry, gib her! Zu Pferde, Harry!“

Diese Worten rissen ihn aus seiner Entzückung. Im Nu saß die Arme vor mir im Sattel und Harry zu Pferde.

Harry mußte dem Mädchen wie ein Engel, vom Himmel zu ihrer Rettung gesandt, erschienen sein. Sie streckte noch immer die Arme nach ihm aus.

„Ist noch Jemand in der Hütte?“ fragte ich Harry.

Sie hatte meine Frage verstanden und schüttelte mit dem Kopfe.

Nun hieß es, alle Aufmerksamkeit auf unsere Umgebung richten. Unsere Aufgabe war um Vieles leichter geworden. Schon stürmten die Wilden heran. Ben und Dick hatten nach beiden Seiten hin Kehrt gemacht, ihr donnerndes „Zurück!“, ihre Büchsen im Anschlage machten die Vordersten stutzen. Aber die zottigen wilden Hunde der Comanches stürmten voran. Ein Pfiff brachte unsere Hunde ihnen gegenüber, und diese hatten sich schon so bei ihnen in Respect gesetzt, daß sie in gehöriger Entfernung blieben. Später deckten uns unsere klugen Thiere den Rücken.

Die Fluth der Krieger rechts und links staute immer höher, schon erschienen einige im Hintergrunde zu Pferde.

„Fertig!“ rief Harry.

„Vorwärts! Wir folgen!“ antwortete Ben, und unsere Pferde, dicht geschlossen, sprengten gerade zwischen Ben und Dick hindurch, die uns unmittelbar folgten.

Die Wilden hatten einen Angriff thalauf- oder thalabwärts erwartet, denn es war eine Unmöglichkeit für uns, die Thalwand zu erklimmen, oder gar sie zu erreiten. Als sie uns geradeaus sprengen sahen, kam Leben in beide Haufen. In ihrer Wuth eilten sie vorwärts, stießen auf diese Weise aufeinander, und wir erhielten [559] einen neuen Vorsprung. Wir waren schon im Gebüsch verschwunden, als Conanha erschien und die Führung übernahm. Nur wenige Augenblicke hielt die Furcht vor einem Hinterhalte sie ab, in das Gebüsch zu dringen. Wir hörten sie uns folgen, als wir den Abhang hinauf ritten. Vielleicht wäre es uns möglich gewesen, den Weg in das Thal zu gewinnen, denn erst jetzt hörten wir die Befehle, das Thal zu besetzen. Wir eilten in die Höhle hinein. Bald folgten Dick und Ben, die rasch von den Pferden sprangen. Kaum daß unsere Hunde hinein konnten, so war der Eingang schon mit Baumstämmen, die zur Seite lagen, verwahrt, und der zuerst erscheinende Indianer kollerte nach einem Stoße vor die Brust den Abhang hinunter und belehrte die andern, wo wir waren und was ihrer wartete. Ein Wuthgeschrei war die Antwort.

Wir hatten die Pferde in die zweite Höhle geführt, die im Winkel an die erste anstieß, so daß wir vor den Kugeln, die vielleicht in die erste Höhle sich verirren konnten, vollkommen gesichert waren, und hatten Ben und Dick die Sorge für unsere Vertheidigung überlassen.

In Sicherheit waren wir, aber wir waren gefangen. Ein unbehagliches Gefühl überschlich mich. Ich ging zur Ben und Dick; Harry war mit dem jungen Mädchen beschäftigt. Er bereitete für sie ein Lager von unsern Decken, und sie half ihm.

Ben legte den letzten Balken auf, und Dick schob Querriegel vor. Obgleich man es den Balken nicht ansah, waren sie genau aufeinander gepaßt und zubereitet.

„Wärst Du im Winter gekommen, mein Junge,“ sagte Dick, „Du hättest nach der Höhle suchen sollen. Nun noch ein Steinhaufen davor, und keine Rothhaut spürt uns. Dies ist genug zur Abwehr.“

Wir gingen zurück.

„Nun sollt ihr auch den Dachsbau kennen lernen!“ sagte Dick. Er ging in den Hintergrund der Höhle und räumte dort die Steinmassen bei Seite. Die Strahlen der scheidenden Sonne leuchteten uns entgegen, und bald hatte er eine so große Oeffnung klar gemacht, daß bequem ein Pferd durchschreiten konnte. Wir gingen durch sie abwärts in eine dritte Höhle, die uns durch eine Oeffnung eine freie Aussicht in das Thal gewährte.

„Dies ist unser Staatszimmer!“ sagte lächelnd Ben, und auf die bequemen Bänke von Büffelhaut deutend, fügte er hinzu: „Für unsere Dame!“

„Geht nicht zu nahe an das Loch!“ warnte Dick. „Es kann keine Rothhaut hinein, denn hier geht es steil wie eine Mauer hinab, aber eine Kugel könnte doch ihren Weg hinein finden. Dies ist Ben’s Arbeit! Und nun kommt weiter, noch greifen die Wilden nicht an, und ihre Ankunft melden die Hunde. Wir müssen auch die Pferde versorgen!“

Wir folgten ihm in den Hintergrund. Ein neuer bequemer Gang führte uns bergab. In der Ferne hörten wir leise Töne.

„Nun still!“ flüsterte Dick. „Vorsicht ist immer gut. Wir sind sogleich am Boden.“

Der Gang öffnete sich, und wir traten in einen matt erleuchteten Raum. Vom Boden aufwärts kam die Beleuchtung, und an den zitternden Strahlen bemerkte ich, daß sie durch Wasser ging. Als sich unser Auge gewöhnt hatte, erkannten wir, daß wir in einer jener merkwürdigen Höhlen waren, die sich im Kalkgebirge finden. Leise tröpfelte das Wasser hier und da auf die wunderlichsten Tropfsteingebilde und vereinigte sich mit einer ziemlich starken Quelle, die sich in ein mächtiges Becken ergoß und bei ihrem Abflusse einen ziemlich breiten Canal ausfüllte.

„Ihr denkt, wir sind gefangen?“ sagte Dick lachelnd, „wir könnten’s aushalten, dann an getrocknetem Fleisch ist Vorrath da schon für den Winter, aber seht!“ er fuhr mit einem Stabe in das Wasser, „der Canal ist tief genug, um einen Weg abzugeben für Roß und Reiter. Und hier,“ fuhr er fort, „mit diesem Balken öffne ich den Canal, durch den das Wasser abfließt. Es ist Ben's Meisterstück!“

Harry hatte mit großem Interesse Alles beobachtet.

„Wenn nur kein Blut geflossen wäre, so hätte ich noch Hoffnung, daß wir in Frieden scheiden könnten!“ sagte er. „Jetzt müssen wir uns schon in Geduld fassen; und lange können uns die Comanches nicht belagern, wollen sie nicht ihren ganzen Raub gefährdet sehen.

„Blut geflossen?“ fragte Ben. „Die Bisse unserer Hunde haben kaum die Haut geritzt! Ich fürchte die Eitelkeit des Häuptlings. Seine Ehre steht auf dem Spiele, und er will das Mädchen gern haben!“ fügte er leise hinzu, denn wir waren schon wieder aufwärts gestiegen, und in der dritten Höhle kam uns die Fremde entgegen.

„Aber der Indianer, den Dick erschoß?“ fragte Harry.

„Ich habe ihm nur den Tomahawk aus der Hand geschleudert!“ lachte Dick.

„Gott sei Dank, dann habe ich noch Hoffnung!“ rief Harry. „Nun überlaßt Alles mir!“

Ich hatte nur Augen für die Fremde. Sie hatte die Zeit unserer Abwesenheit benutzt, um ihren Anzug in Ordnung zu bringen. Ihre dunkeln Locken ließen die zarte weiße Farbe ihrer Haut um so lieblicher hervortreten. Auf den Wangen wechselte das leichte Roth, ein Zeuge ihrer inneren Erregung. Ihre großen Augen hingen an Harry’s Lippen, der sie jetzt kaum beachtete. Ich kann nicht umhin, hier eine kleine Empfindlichkeit einzugestehen. War ich doch eigentlich ihr Ritter und Retter, aber wie jetzt, so späterhin hatte sie nur Augen für Harry.

Harry wandte sich jetzt zu der Geretteten und sagte, indem er ihr die Hand reichte. „Willst Du mit uns, mia cara?“

O, mio caro, wohin Du willst, folgt Dir Dolores! Du hast sie aus der Hand der Wilden gerettet, Du wirst sie nicht verlassen, sie ist Dein eigen!“

Harry war tief ergriffen von dem einfachen Geständnisse.

„Ich werde Dein Schützer sein!“ sagte er ernst. „Aber es ist keine Zeit zu verlieren. Der Abend ist da, und was geschehen soll, hat Eile. Kann Dolores die Nacht durch reiten?“

„Ich habe vier Tage geruht!“ erwiderte sie.

„Gut, dann ruhe auch jetzt. – Stärkt Euch und besorgt die Pferde, daß sie kräftig sind,“ wandte er sich zu uns, „wir reiten noch diese Nacht!“

Aus Behältnissen der dritten Höhle holten nun Ben und Dick ihre Vorräthe an Fleisch und Mais, und wir besorgten die Thiere. Harry war an das Loch getreten, durch welches das Licht in die Höhle fiel. Die Sonne war untergegangen, und es war keine Gefahr, entdeckt zu werden.

„Conanha!“ rief er hinunter. „Conanha, höre ein Wort von Deinem Freunde!“

„Conanha hat keinen Freund. Er brachte einen Panther in sein Lager, und dieser raubte ihm sein junges Füllen!“ erwiderte dieser.

„Conanha hat Recht, uns zu zürnen,“ sagte Harry, „wir haben ihm Unrecht gethan, aber er sollte sich versöhnen lassen!“

„Wenn ich Euer Blut getrunken, Euch zerrissen habe, bin ich versöhnt!“

„Conanha weiß, daß wir sein Blut nicht wollen. Er hat uns zwei Mal angegriffen, wir haben seinen Angriff nur abgewehrt. Wollten wir Blut, wir hätten ihn und seine Krieger getödtet. Wir konnten seit einer Stunde mit unseren Büchsen die Erde mit dem Blute Conanha’s und seiner Krieger färben, wir haben es nicht gethan. Wir sahen sie im Gebüsche schleichen, wir sahen sie zu Pferde steigen, aber unsere Büchsen schwiegen. Sind wir etwa Weiber, die kein Blut sehen können, oder deren Büchsen eingerostet sind? Weiß Conanha nicht, daß unsere Kugeln seinen Kriegern den Tomahawk aus der Hand schleudern?“

Diese Thatsache frappirte die Häuptlinge, die sich um Conanha gesammelt hatten, und die von unserer Kühnheit zur Bewunderung hingerissen waren.

„Die Worte der Weißen sind Wahrheit und Lüge, wer kann ihnen trauen?“ rief Conanha. „Was willst Du von mir?“

„Ich will mit Conanha allein sprechen und mit ihm Frieden schließen, wenn er will. Die Thür unserer Höhle wird sich öffnen, und ich werde zu Conanha hinaus treten. Conanha wird unbewaffnet vor die Höhle kommen. Er kann auch seine Waffen mitbringen, aber er befehle seinen Kriegern, den Frieden zu halten, bis ich in die Höhle zurückgekehrt bist, denn die Büchsen meiner Freunde kennen kein Mitleid mehr, ist unser Blut geflossen.“

Conanha berieth sich erst eine Weile, dann rief er. „Ich werde kommen!“

Wir räumten mit Bangen einige Balken weg, und bald stieg Conanha langsam die Anhöhe hinauf. Seine Brandwunden mochten ihn hindern, aber er ließ es sich nicht merken. Harry ging ihm entgegen.

„Hat Conanha vergessen, daß sein Vater am Fieber leidet?“ fragte Harry. „Ich werde ihn heilen. Theile dies in sieben Theile, und laß ihn jeden Tag einen Theil in wenig Wasser nehmen, und [560] am siebenten Tage wird er das Fieber verloren haben,“ sagte Harry, indem er ihm ein Päckchen Chinin reichte. „Sieh, ich halte mein Versprechen, und werde Conanha größer machen.“

„Die Worte sind Honig, aber die Thaten sind Galle!“ erwiderte der Comanche bitter.

Harry hatte einen harten Stand. Der Comanche wollte uns zu Gefangenen machen und war weder mit Versprechungen noch mit Geldanerbieten zufrieden zu stellen. Ja seine Habsucht wurde durch die letzteren noch erhöht. Alle seine Leidenschaften waren erregt, seine Häuptlingsehre stand auf dem Spiele. Harry blieb nichts übrig, als ihm die Unmöglichkeit einer Eroberung unseres Baues zu zeigen. Er führte ihn in alle drei Höhlen und zeigte ihm unsere Vorräthe, ließ ihn unser Wasser kosten. Das half endlich. Er sah ein, daß er Alles auf das Spiel setzte, und fing an, nachgibiger zu werden. Nur Dolores wollte er nicht aufgeben.

„Was will denn Conanha mit der weißen Rose in seinem Wigwam?“ sagte Harry mit unerschütterlicher Ruhe. „Die Frauen von seinem Stamme werden ihn verspotten, sein eigen Weib, auf dessen sanfte Stimme er bis jetzt hörte, wird vergehen vor Gram, und ihre Verwandten werden seine Feinde.“ So setzte er ihm lange zu und stellte den Nachtheilen nun die Vortheile gegenüber. „Was will Conanha für die weiße Rose? Weiß er nicht, daß ich ein mächtiger Häuptling bin? Meine Schiffe sollen ihm die Ladung hinbringen, wohin er will, meine Jäger sollen seinen Kriegern die schönsten Pferde und Waffen zuführen. Ueberlege Conanha, und seine Forderung stelle er hoch, ich will sie erfüllen.“

Das war zu viel für den habsüchtigen Indianer. Er ward nachgebend. Harry fuhr fort: „Conanha sollte als Häuptling denken und nicht als Krieger, der im Haufen läuft. Wenn Conanha hier seine besten Krieger verloren hat, dann ist auch seine Rückkehr gefährdet. Schon sind die Krieger der Osagen, Shanees, Panis, mit den Jägern verbunden, aufgebrochen, um ihm den Rückweg abzuschneiden. Vielleicht sind ihre Späher schon in der Nähe und hören unsere Büchsen. Dann hat Conanha durch seinen Starrsinn Alles verloren. Ohne Krieger kehrt er vielleicht heim, und die Weiber werden ihre Männer von ihm fordern, die Häuptlinge werden ihn zu den Weibern rechnen – und Alles um ein Weib! Conanha soll Morgen aufbrechen, er soll mit dem Morgen die Höhle durchsuchen lassen und seinen Kriegern unsere Vorräthe zeigen; er kann ihnen sagen, was er alles von uns erhalten wird, und sie werden seine Klugheit loben. Wenn aber Conanha mit seiner Beute sicher ankommt, dann werden ihn die Männer bewundern, kommen aber meine Geschenke an, so wird er der Erste im Rathe sein, denn so viel Reichthum hat sein Stamm in keinem Raubzug erworben. Ich will aber dann meine Boten mitsenden, und hört Conanha ihre Stimmen, so soll der Wohlstand seines Stammes sich mehren ohne Rauben, und wir wollen einen Frieden schließen, und Conanha wird der Freund eines großen Häuptlings der Weißen sein, dessen Schiffe die großen Meere befahren und der die Wege durch die Prairien legt, daß sein Dampfroß bis zu den Felsengebirgen braust. – Will Conanha nun seine Forderung machen?“

„Und was soll Conanha thun?“

„Er soll uns den Weg thalaufwärts frei halten. Wir ziehen nach Norden, er mag eilig gen Süden ziehen, denn er weiß, daß die Krieger der andern Stämme und die Jäger ihm folgen. Seine Krieger dürfen es nicht sehen. Wir werden ausreiten, wenn Du selbst diesen Auszug bewachen läßt, und Deine Leute sollen kaum ahnen, wie wir entkamen. Aber sie dürfen uns nicht verfolgen.“

Conanha sah, daß er am klügsten that, seine Bedingungen zu stellen. Er griff hoch, aber er ward von Harry’s Freigebigkeit überrascht.

Harry versprach ihm sogar, eine Kanone vor seinem Wigwam aufzupflanzen. Pferde, Büchsen und wollne Decken waren der Kaufpreis, daß wir diese Indianer nicht zusammenschießen durften, aber wichtiger war, daß Harry einen Agenten zu diesem Stamme schicken durfte. Dieser wohnt jetzt bei dem Stamme, und Harry hat so klug gewählt, daß er nicht allein die wichtigsten Handelsbeziehungen mit allen anderen Stämmen von hier aus unterhält, sondern durch den Einfluß auf Conanha den Räubereien steuert.

Nun zeigte sich Conanha gefügiger. Wir erhielten die Sachen Dolores’, kauften ihm das Pferd, welches ich ihm abgenommen, wegen seiner Gelehrigkeit für Dolores ab und schieden in Frieden.

Bald hielt ein Indianer mit einem Pack-Maulthiere, das Dolores’ Sachen tug, und dem Pferde vor dem Eingange der Höhle. Mit aller Vorsicht ließen wir sie ein, aber Conanha meinte es ehrlich, es zeigte sich nichts Verdächtiges. Wir verrammelten nochmals die Thüre und ließen die Hunde als Wachen oben, dann machten wir uns daran, die Pferde herunter zu führen. Dick hatte schon die Schleuße geöffnet, und das Wasser war so weit gesunken, daß ein Mensch bequem den Canal passiren konnte. Ben ging voraus und kam bald mit der Nachricht zurück, daß Conanha sein Wort gehalten habe, daß alle Krieger thalabwärts aufgestellt und theilweise mit Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt seien. Auf dem Grunde des Canals rieselte nur noch ein kleines Bächlein. Wir führten die Pferde hinnuter, und während Ben dieselben hielt, Harry Dolores durch das Wasser trug, eilten Dick und ich hinauf, um die Verrammlung theilweise fortzunehmen und die Hunde zu holen. Wir schoben nun die Querriegel zur Seite, sodaß bei einem Drucke von außen die Balken zusammenfallen mußten, und eilten dann unseren Gefährten nach. Diese saßen schon zu Pferde und bald ritten wir ohne Aufenthalt das Thal hinauf. Vorher hatte Dick noch die Schleuße vollständig geschlossen und die Verbindung nach innen zerstört.

„Morgen ist die Höhle voll Wasser, und sie werden sich den Kopf zerbrechen, wie wir entkommen sind!“ flüsterte er mir zu. Ich merkte ihm aber an, wie schwer es ihm ward, sich von seinem langjährigen Winterquartiere zu trennen.

Wir ritten langsam und vorsichtig in die Nacht hinein. Eine Biegung des Thales sicherte uns vollständig; bald war die Prairie erreicht, und nun jagten wir ohne Aufenthalt in die Nacht hinein.

Conanha hatte sich als verschlagener Häuptling gezeigt, nachdem er sich überwunden. Er wußte die Vortheile seiner Lage gut auszubeuten. Am Morgen führte er die Häuptlinge in die Höhle, zeigte ihnen ihre Uneinnehmbarkeit, die ihm selbst nun erst recht klar wurde. Jeder von seinen Kriegern wollte die Höhle in ihren Einzelheiten sehen, und lange Zeit wurden Geschichten von ihr erzählt und von den Weißen, die in der Erde verschwunden waren. Conanha selbst ließ sich aber nicht täuschen. Er folgte der Spur im Thale und fand den Canal, nur blieb ihm ein Räthsel wie wir durch das Wasser gekommen waren. Seinen Kriegern ließ er keine Zeit zu Untersuchungen. Er brach auf und entging glücklich den Verfolgungen und brachte seinen Raub in Sicherheit, ohne einen Mann zu verlieren. Sein Ansehen stieg, als er seinen Vater heilte. Jetzt ist er durch den Agenten Harry’s mit Chinin versorgt, und wie schon erwähnt, genießt er durch die Geschenke Harry’s wegen seines Reichthums und seiner Klugheit eines unbeschränkten Ansehens!




Unsere Abenteuer in der Prairie sind nun zu Ende. An unserem ersten Ruhepunkte breiteten wir Dick’s Büffelhaut aus und steckten uns den nächsten Weg nach Kansas ab. Wir hatten die Wahl, diesen Weg zu nehmen, oder über die verbrannte und nun von den Thieren verlassene Prairie zu reiten. Wir überschritten den Nord-Canadian und Cimerone und kamen bald in das Gebiet der Osages, bei denen wir Dolores’ wegen ruheten. Dolores’ Schicksal ist bald erzählt. Eine reiche Waise, war sie im Kloster erzogen und von ihrem Vormunde auf diese gefährliche Reise geschickt, vielleicht mit Absicht, denn nur mit vieler Mühe wurde er durch Harry’s Einfluß aus dem Besitz ihrer Güter getrieben, die er sich schon zu eigen gemacht hatte. Rührend war ihre Zärtlichkeit für Harry und konnte nur von dessen Sorge um sie übertroffen werden. Es ist jetzt noch ebenso wie in der Prairie, davon können wir, Ella und ich, am besten Zeugniß ablegen, denn wir wohnen neben einander, wenn wir in New-York leben, wenn wir unsere Landgüter besuchen oder in die Bäder reisen. Das ginge auch gar nicht anders, weil Ben bei Harry, und Dick, der aber Master Dietrich Friedemann heißt, bei mir lebt; und diese sind schwer zu trennen.

Bei den Osagen war es, wo ich durch einen angeschossenen Büffelstier in große Lebensgefahr gerieth. Das machte mich vorsichtiger. In Kansas trafen wir die Freibodenmänner und die Sclavereivertheidiger hart an einander. Harry hat hier seinen Einfluß entschieden zu Gunsten der Ersteren geltend gemacht, aber nur, wie es seine Art war, im Stillen. Wir knüpften auch hier Verbindungen an, die ihre Früchte tragen werden, gleich unsern Verbindungen mit den Comanches. Ich sage gleich „wir“, denn der Leser wird leicht errathen haben, daß Harry und Dolores, Willy [562] und Ella sich bald nach unserer Rückkehr vereinigten, und daß Harry und Comp. jetzt auch heißen könnte Harry und Willy; aber der Comp. ist der unsichtbare Geist, der unsern Namen trägt und unsern Willen durchsetzt, nicht gleich dem Willen eines abendländischen Eroberers, wie wir sagen – der alten Welt – sondern der neuen Welt, die auf friedliche, unmerkliche Eroberungen ausgeht.

Langsam, aber sicher, mit Pflug und Hacke, mit freiem Wort und freier Presse – oft auch feiler, aber wer kann die Menschen umschaffen? sagt Harry – schreiten wir vorwärts und gründen unmerklich Reiche.

Ich bin ein ganzer Amerikaner geworden, aber meine größte Freude ist, wenn Marie Wolf – ich habe sie gleich herüber kommen lassen; und sie führt mit deutschen Dienstboten mein Hauswesen; Dick beaufsichtigt die Irländer und Amerikaner, ist aber nicht mit ihr verheirathet, da sie meinte, sie wären zu alt – wenn Marie Wolf in unsern Kreisen von der Heimath erzählt. Ella und Dolores horchen aufmerksam zu. Wir haben uns vorgenommen, sobald die Kriegsunruhen schweigen, nach Europa zu kommen und es zu durchreisen.

Ob es uns amerikamüde oder Amerika uns lieb machen wird?


  1. Der Prairiehund ist ein merkwürdiges Thier. Doppelt so groß als ein Eichhörnchen, aber nur mit einem 3–4 Zoll langen Schwanze, lebt er in Gesellschaft. Ihre Städte bedecken oft den Raum von mehreren Quadratmeilen und sind wegen des unterwühlten Bodens fast unnahbar. Die Coquinto-Eule und die Klapperschlange bürgern sich in ihren Höhlen mit ein als geschworene Feinde.
  2. Die gewöhnliche Art, die Büffelhaut zu gerben.
  3. Mustang, das wilde Pferd der Prairie, wird mit dem Lasso eingefangen, Der Reiter legt ihm den Zaum an und setzt sich auf das Pferd. Vergebens beißt dies um sich, schlägt hinten und vorn aus, stürmt endlich in die Prairie; bald hat es der Reiter in seiner Gewalt, und es erkennt seine Herrschaft an, bleibt aber tückisch und bissig.