Die Schreckensherrschaft des Kalifa Abdullahi im Sudan

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Autor: Slatin Pascha
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Titel: Die Schreckensherrschaft des Kalifa Abdullahi im Sudan
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 90–91
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Schreckensherrschaft des Kalifa Abdullahi im Sudan.

Nach Aufzeichnungen von Slatin Pascha.

Nach langer heldenmütiger Vertheidiguug fiel Chartum am 25. Januar 1885 durch Verrat in die Gewalt des Mahdi. Der Prophet sollte sich indessen nicht lange der Früchte dieses Sieges erfreuen, durch den er zum unbeschränkten Herrn des Sudans wurde; schon im Juni desselben Jahres raffte ihn in Omderman, einer Vorstadt Chartums, der Typhus dahin. Neben dem noch nicht erkalteten Leichnam leisteten die Würdenträger des jungen Reiches dem Kalifa Abdullahi den Eid der Treue und dann, als der Prophet sang- und klanglos in seinem Hause begraben worden war, bestieg der Kalifa die Kanzel und in Tausenden strömten die gläubigen Scharen herbei, um dem neuen Herrscher das Gelöbnis der Treue entgegenzujauchzen.

Wunderbar waren die Schicksale dieses fanatischen Mannes, der nunmehr Millionen Menschen seine Unterthanen nannte. Vor wenigen Jahren noch war Abdullahi ein armer Araber aus dem Stamme der Taascha gewesen, der seine im westlichen Sudan gelegene Heimat verließ und nur im Besitz eines einzigen Esels gen Osten wanderte, um sein Glück zu versuchen. Bettelnd schlug er sich durch die Länder, bis er einem frommen Manne, Mohammed Achmed, begegnete, der gleichfalls arm war, aber neue Lehren verkündete. Abdullahi schloß sich dem Fakir an und brauchte diesen Schritt später nicht zu bereuen. Mohammed Achmed wurde ja bald zum Mahdi und Abdullahi zu seiner rechten Hand. Er hatte dem Mahdi den Rat gegeben, sich an die kriegerischen Stämme des Westens zu wenden, und dieser Rat wurde von Erfolg begleitet.

In Anerkennung seiner Verdienste wurde Abdullahi nach den ersten Siegen der Mahdisten zum vornehmsten der vier Kalifen des Mahdi ernannt – er, der weder lesen, noch schreiben konnte, der sich niemals mit Koranstudien abgegeben hatte, war zum Nachfolger des Propheten auserlesen und herrscht seit elf Jahren über jenes weite Reich, das ein blinder Fanatismus auf den Trümmern türkischer Mißwirtschaft und europäischer Civilisationsversuche geschaffen hat.

Ueber die Zustände, die im Lande der Mahdisten herrschen, drang von Zeit zu Zeit Kunde nach Europa; denn in der Sklaverei des Kalifa schmachtete eine Anzahl Christen, die von den Anhängern des Propheten während des Aufstandes gefangen genommen wurden. Einige derselben konnten sich durch Flucht retten und so manches berichten. Im vorigen Jahre gelang es nun aber auch einem Gefangenen von ganz besonderem Rang, aus der Sklaverei zu entfliehen. Slatin Pascha, ein ehemaliger österreichischer Offizier, der im Sudan als Gouverneur von Darfur wirkte, hatte sich dem Mahdi ergeben und, um sein Leben zu retten, sich scheinbar zu dessen Anhängern bekennen müssen. Zeitweilig genoß er das Vertrauen des Kalifa, kannte dessen Räte und Heerführer und gewann so die genauesten Einblicke in alle wichtigen Verhältnisse des neuen Reiches. Elf Jahre schmachtete Slatin in der Gefangenschaft. Inzwischen gelang es seinen Verwandten, sudanesische Händler für die Befreiung des Unglücklichen zu gewinnen. Sie boten ihm nach langem Zögern die Hand zu einem verwegenen Fluchtversuch, der in Wüstenritten auf Kamelen glücklich gelang. Slatin erreichte Assuan und dann Kairo; jetzt lebt er in seiner Heimat und hat seine wunderbaren Schicksale und reichen Erfahrungen in einem soeben erschienenen Werke „Feuer und Schwert im Sudan“ (Verlag von F. A. Brockhaus, Leipzig) beschrieben, das sicher zu den fesselndsten und spannendsten Erzeugnissen der jüngsten afrikanischen Litteratur gezählt werden darf.

Mit markigen, lebenstreuen Zügen ist in dem Buche auch das Leben und Treiben am Hofe des Kalifa geschildert, ein so eigenartiges, ungewohntes Bild menschlicher Herrschsucht und tiefsten Elends, daß wir es, den Angaben Slatins folgend, zur Kenntnis unserer Leser bringen möchten. Es bildet ja die Fortsetzung und Ergänzung der Geschichte der Wirren im ägyptischen Sudan, über die in früheren Jahrgängen so zahlreiche Artikel in der „Gartenlaube“ erschienen sind.[1]

In Omderman, das nach dem Falle Chartums rasch zu einer großen Stadt anwuchs, steht in der Nähe des Grabmals des Mahdi der Palast seines Nachfolgers, ein Gewirr von kleinen und großen durch Höfe und Mauern voneinander getrennten Häusern. Hier wohnt der Herrscher, der die zu den Audienzen bestimmten Räumlichkeiten mit der denkbar größten Einfachheit ausstatten ließ, seine Privatgemächer aber mit allem ihm erreichbaren Komfort versah. Die Plünderung Chartums ließ ja viele Luxusgegenstände in seine Hände fallen! Er selbst ist keine üble Erscheinung; von mittelgroßer Gestalt, breitschulterig und von lichtbrauner Farbe, hat er eine gerade Nase, große schwarze Augen, proportionierten Mund und regelmäßige Züge. Das Gesicht ist umrahmt von einem ursprünglich dunklen Vollbart, der um das Kinn etwas kräftiger entwickelt ist. Früher elastisch, ist er in den letzten Jahren wohlbeleibt und schwerfällig geworden; obwohl er erst 49 Jahre zählt, ist sein Gesicht vorzeitig gealtert und sein Bart schon beinahe weiß.

[91] Seit Anbeginn seiner Regierung war der Kalifa besorgt, seine Macht im Innern zu stärken, und aus den besten Männern der befreundeten Stämme bildete er die Mulazemie, eine Leibgarde, die bereits gegen 11000 Mann zählt und, streng von der übrigen Einwohnerschaft geschieden, rings um seinen Palast wohnt. Diese Leibgarde begleitet ihn stets, wenn er kurze Ausflüge in die Umgegend oder einen Ritt durch die Stadt unternimmt. Dann verkünden die melancholischen Töne der Umbaià[2], die dumpfen Schläge der Kriegstrommeln den Bewohnern der Stadt, daß der Herr des Landes sich auf den Straßen öffentlich zeigen will. Den ein für allemal geltenden Befehlen gemäß werden sogleich sämtliche Pferde gesattelt und ihre Besitzer erwarten auf einem freien Platze vor dem Palaste den Kalifa, um sich seinem Gefolge anzuschließen. Die Thore werden geöffnet, aus denselben strömen die Massen der Mulazemie und am Schlusse erscheint er selbst, fast immer zu Pferde. Die Mulazemie bilden, wo es der Raum gestattet, ein dichtes Carré um ihn oder marschieren in Reihen von 10 bis 12 Mann ihm voraus. Hinter ihnen strömt zu Pferd und zu Fuß der größte Teil der Stadtbevolkerung nach.

Um seine Macht zu sichern, hat der Kalifa die Befehlshaberstellen im Heere zumeist Leuten aus seinem Stamme anvertraut und die Taascha haben auch die wichtigsten Posten in der Civilverwaltung inne. Diese ist nun gar traurig bestellt. Freunde und Anverwandte des Kalifa haben nicht nur die besten Weiden für sich in Anspruch genommen, sondern durchziehen brandschatzend das Reich und treiben Vieh weg und rauben Menschen, die sie zu ihren Sklaven machen. Die Finanzverwaltung prägt eigenes Geld, aber die Silberthaler enthalten immer weniger Silber. Als die Kaufleute sich weigerten, diese minderwertige Münze anzunehmen, wurden ihre Waren mit Beschlag belegt und die Läden geschlossen, bis sie sich fügten. Auch hat der Kalifa direkt verkehrte Gesetze erlassen, die wie das Verbot der Straußenzucht den Wohlstand des Landes untergraben. Aufbrausend und von heftigem Charakter, handelt er trotz seiner Schlauheit oft unüberlegt, und niemand, selbst sein Bruder nicht, darf es in solchen Momenten wagen, ihm Vorstellungen zu machen. Dabei erfüllt ihn ein heftigen Naturen sonst fremdes, tiefeingewurzeltes Mißtrauen gegen alle, selbst gegen manche seiner nächsten Verwandten. Er glaubt nicht an Treue und Ergebenheit und ist überzeugt, daß jeder im Verkehr mit ihm seine Gefühle verbirgt; Egoismus hält er bei seiner ganzen Umgebung für die Triebfeder alles Handelns. Boshaft und grausam, findet er ein Vergnügen darin, in den Leuten Hoffnungen zu erregen und sie dann zu enttäuschen, ihnen ihr Vermögen zu entziehen, sie in Eisen zu legen, in den Kerker zu werfen und Todesurteile vollziehen zu lassen. Schon bei Lebzeiten des Mahdi wurde er als Urheber aller strengen Maßregeln gegen die Anhänger und aller Unbarmherzigkeit gegen die Feinde angesehen. Er war es auch, der bei dem Sturm auf Chartum befahl, keinen Pardon zu geben, sondern alles niederzumachen. Bei Verteilung der erbeuteten Weiber nimmt er vorbedachterweise keinerlei Rücksicht auf das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl. Mütter werden regelmäßig von ihren Kindern, Geschwister von den Geschwistern getrennt. In raffinierten Grausamkeiten suchte und fand der Kalifa stets sein Vergnügen. Groß ist die Zahl derer, die er ohne jeden stichhaltigen Grund, oft nur seiner Laune folgend, peitschen, verstümmeln und hinrichten ließ.

Seine Begierden und Launen werden dabei durch keine Religion gemäßigt; er ist kein frommer Mann und ein schlechter Prediger; Religionsvorschriften, die ihm nicht passen, hebt er einfach auf. Dabei ist er in hohem Grade abergläubisch, und die Furcht vor Zaubereien treibt ihn, von seinem Volke neue Opfer zu fordern.

Wandert man durch die Straßen Omdermans, so erblickt man an allen Plätzen aufgerichtete Galgen. In der That, der Galgen ist das Symbol der Herrschaft des Kalifa! Und doch ist die Hinrichtung nicht das Schlimmste, was sein Zorn über seine Untergebenen verhängen kann. Weit schlimmere Qualen harren derjenigen, die in das Gefängnis von Omderman geworfen werden.

Das Gefängnis liegt am Südostende der Umfassungsmauer in nächster Nähe des Flusses. Durch ein Thor, das Tag und Nacht von bewaffneten Sklaven bewacht ist, gelangt man in das Innere eines geräumigen Hofes, in dem sich mehrere größere und kleinere isoliert stehende Stein- und Lehmhütten befinden. Um diese herum liegen bei Tag die Unglücklichen, die sich den Zorn des Kalifa zugezogen oder, durch die Kadis verurteilt, hier ihre Vergehen abzubüßen haben, an den Füßen mit eisernen Ringen gefesselt, die durch eine kurze massive Eisenstange miteinander verbunden sind, am Halse eine lange schwere Kette, die sie kaum zu schleppen vermögen – abgemagerte, schmutzige Gestalten mit dem traurigen Gesichtsausdrucke der Ergebung in ein elendes Schicksal. Gewöhnlich herrscht unter den Bejammernswerten tiefe Stille, nur unterbrochen durch das Klirren der Eisen, das rohe Geschrei der Wächter oder den schmerzlichen Klageruf eines Gepeitschten. Die von dem Kalifa behufs verschärfter Bestrafung besonders Bezeichneten werden mit schwereren Eisen belastet in ganz kleinen luft- und lichtlosen Räumen in strengster Einzelhaft gehalten, und von jedem menschlichen Umgange abgeschlossen, bekommen sie kaum die zum Leben allernotwendigste Nahrung. Die große Masse aber liegt tagsüber im Freien und sucht im Schatten der beiden großen Steinhäuser Schutz vor den sengenden Sonnenstrahlen, sich gegenseitig mit leiser Stimme hier und da ein Wort der Klage zuflüsternd.

Von den Nahrungsmitteln, die ihnen von ihren Angehörigen gebracht werden dürfen, eignen sich die Wächter das ihnen am genießbarsten Scheinende an, dann verteilen sie den Rest nach ihrem Belieben unter die halbverhungerten Opfer, so daß es sehr oft vorkommt, daß derjenige, für welchen die paar Bissen bestimmt waren, ganz leer ausgeht. Abends werden die Gefangenen in die Häuser, die fensterlos sind und nicht die geringste Ventilation besitzen, hineingetrieben. Da hilft kein Sträuben, kein Bitten und kein Jammern – gewaltsam werden sie hineingestoßen, so viele, als der Raum nur immer zu fassen vermag; dicht zusammengepfercht ist es den meisten unmöglich, so viel Raum zu gewinnen, um sich nur setzen zu können; durch Hitze und Luftmangel beinahe bis zum Wahnsinn getrieben, ohnmächtig gegen ihre Quäler, drängen, stoßen und treten die Stärkeren ihre schwächeren Leidensgefährten in sinnloser Wut, um sich einen Zoll breit Raum zu verschaffen. Endlich bricht der Morgen an, die mit Eisenketten verschlossenen Thüren werden geöffnet, und heraus wanken in ihrem Schweiße gebadet die Unglücklichen, mehr Leichen ähnlich als lebenden Menschen; im Schatten ihres Gefängnisses erholen sie sich allmählich, um bei anbrechendem Abend wieder derselben grausamen Marter entgegenzugehen.

Und doch giebt es noch schlimmere Leiden in dieser „letzten Station zur Hölle“. Nur ein Beispiel sei berichtet. Seki Tomel, der erste und beste Heerführer des Kalifa, wurde auf dessen Befehl zum Seier, dem Emir dieses Gefängnisses, gebracht und in ein kleines aus Stein gebautes Häuschen gesteckt, dessen Thüröffnung man vermauerte. Durch eine offen gelassene Spalte reichte man ihm in Pausen von mehreren Tagen etwas Wasser, die Nahrung wurde ihm gänzlich entzogen. 23 Tage lang erduldete er die unsäglichsten Qualen; aber so entsetzlich ihn der Hunger peinigte, so gräßlich ihn der Durst quälte, nie vernahm man einen Schmerzenslaut oder ein Wort der Bitte aus der kleinen Spalte dieses eisernen Grabes. Zu stolz, um sich vor seinen Henkern zu demütigen, hielt er die Lippen geschlossen, bis ihm am 24. Tage seiner Marter der Tod als Befreier erschien. Der Seier und seine Genossen hatten an diesem Tage durch die Oeffnung des nun thatsächlich zum Grabe gewordenen Gefängnisses gelugt. Auf Grund ihrer reichen Erfahrungen erwarteten sie für heute den Tod des Gefangenen, und nachdem sie sich an seinem Todeskampfe ergötzt und er ausgelitten hatte, beeilte sich der Seier, die Freudenbotschaft seinem Herrn, dem Kalifa, zu überbringen. Nachts wurde der Leichnam an das Westende der Stadt gebracht und zwischen verfallenen Hütten mit dem Rücken gegen Mekka eingescharrt. (Alle gläubigen Mohammedaner werden mit dem Gesichte gegen Mekka gewendet begraben.) Nach dem Tode noch wollte ihm der unversöhnliche Kalifa seine Ruhe rauben.

Doch genug dieser Beispiele nach Slatins Aufzeichnungen über die im Gefängnisse von Omderman vorgekommenen Greuel, über die vom Seier und seinen Sklaven begangenen Scheußlichkeiten! Hoffen wir, daß den grausamen Kalifa und seine Helfershelfer der rächende Arm der Gerechtigkeit ereilen werde!





  1. Vergl. u. a. „Gartenlaube“ Jahrg. 1884, S. 181, 216, 272. Jahrg. 1885, S. 154 und 480.
  2. Ausgehöhlte Elefantenzähne, die als weithinschallende Kriegshörner benutzt werden.