Die Sekte der Babis in Persien

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Textdaten
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Autor: R. A.
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Titel: Die Sekte der Babis in Persien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 380–382
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Sekte der Babis in Persien.

Die Blutthat in Teheran hat die Augen der Welt wieder der merkwürdigen reformatorischen Sekte zugewendet, welche der ermordete Schah Nassr-ed-din mit allen Mitteln grausamer Gewalt auszurotten bestrebt war, aber trotz aller Verfolgungen und Hinrichtungen nicht zu unterdrücken vermochte. Ihr Stifter und Prophet war Mirza Ali Mohammed aus Schiras, der anfangs der dreißiger Jahre als junger Handlungsgehilfe in der Hafenstadt Abuschehr am Persischen Golf sich religiösem Sinnen, auch dem Lesen der christlichen Evangelien hingab, dann aber in Kerbelah die Schule der Scheichiten besuchte, einer Sekte, welche dem ganz äußerlich gewordenen, in Formelwesen erstarrten schiitischen Bekenntnis eine neue sittlich-religiöse Kraft durch innere Heiligung zu geben erstrebte. Die beiden großen mohammedanischen Konfessionen Sunniten und Schiiten unterscheiden sich in der Hauptsache nicht wie Katholiken und Protestanten durch Dogmen, sondern durch rein äußerliche Gebetsbräuche und ihre Ehegesetze, vor allem aber durch den erbitterten Zwiespalt der Ansichten hinsichtlich der ersten Nachfolger des Propheten, welche die Sunniten als rechtmäßig erachten, wogegen die persischen Schiiten behaupten, jene drei, Abu Bekr, Omar, Othman, hätten sich die Kalifenwürde ohne Berechtigung angemaßt und der vierte, Ali, der Schwiegersohn des Propheten, hätte von Rechts wegen der erste sein müssen. Dieser Streit hat vor mehr als tausend [382] Jahren die mohammedanische Welt in zwei Hälften zerrissen und Ströme von Blut fließen machen, er hält aber auch heute noch die Gemüter in erbittertster Feindseligkeit. Vor wenig Jahrzehnten noch wurden Perser niedergemetzelt, weil ein türkischer Pascha in Erfahrung brachte, daß sie die Namen der drei ersten Kalifen auf ihre Schuhsohlen geschrieben hatten, um sie fortwährend mit Füßen treten zu können. Ihrerseits verfluchen heute noch die persischen Mueddins täglich von den Minarets herunter eben diese drei Kalifen; selbst gebildete Perser, welche im Gespräch mit Europäern Omars welthistorische Verdienste um den Islam zugeben müssen, schließen mit der Versicherung: „Und er war eben doch ein Hund!“ Bei den alljährlich zu Ehren Alis im südlichen Persien aufgeführten Mysterienspielen zerfließen die Zuschauer um seiner und seines Schwiegersohns Husseins Leiden willen in Thränen. Das Morgenland hat eben ein für uns schnell lebende Europäer unbegreiflich zähes Gedächtnis und erregt sich täglich neu um Persönlichkeiten, die jenseit der Zeit Karls des Großen lebten.

Da nun besonders den Schiiten über ihrem Religionshaß und dem leeren Formelkram der eigentlich religiöse Geist gänzlich abhanden kam, so ist es kein Wunder, daß die Bestrebungen der pietistischen Scheichiten und bald auch des jungen Mirza Ali Mohammed in Kerbelah großen Anhang fanden. Schon dort erregte der schöne ernste Jüngling Aufsehen durch seine innige Frömmigkeit, und einmal nach vierzigtägigem Beten soll er seinem Nachfolger versichert haben: „Wer den Weg wissen will, der zu Gott führt, kann es nur durch mich.“ Daher der Name „Bab“ (Pforte), der von nun an ihm und seinem Anhang verblieb.

Bald wählten ihn die Scheichiten-Gemeinden zu ihrem Führer, er begab sich nach Schiras und erregte dort durch seine Lehre, den heiligen Eifer, mit dem er Mißbräuche rügte, die große Überlegenheit im Disput mit den Staatsgeistlichen, wie durch seinen strengen persönlichen Wandel eine stets wachsende Begeisterung; anderseits aber zog er sich das höchste Mißfallen der Mullahs zu, welche ihn als staatsgefährlich bei der Regierung in Teheran verklagten. Bab erbot sich sofort, dahin zu reisen, um vor dem Schah mit den gelehrtesten Mullahs zu disputieren, aber dieser (Nassr-ed-dins Vorgänger, Mohammed) scheute die Gefahr der religiösen Spaltung und gebot dem Bab, sich ruhig in Schiras zu verhalten und bis auf weiteres sein Haus nicht zu verlassen. Durch diese halbe Maßregel ließ er dem Propheten Zeit, sein System auszubauen und mit den Jüngern ungestört zu verkehren. Die merkwürdigste Gestalt unter diesen war eine junge Frau von bezaubernder Schönheit und fleckenlosem Rufe, Gurret-el-Ain (Augenwonne) genannt, welche mit Bab nur in brieflichem Verkehr stand und ihn niemals mit Augen sah. Sie trat, hingerissen von seiner Lehre, in ihrer Heimat Kaswin als Predigerin auf, unverschleiert, gegen allen Brauch des Islam, und ließ sich durch das Flehen ihrer hochangesehenen Familie nicht abhalten, in begeisterter Rede über die neue Lehre und ihren Bezug auf das weibliche Geschlecht sich öffentlich zu verbreiten. Nach Babs Anschauung ist aus der grenzenlosen Urgottheit ein begrenzter Schöpfergeist hervorgegangen, dessen Werk die Welt ist, welche dann am Ende aller Zeiten mit ihm wieder in Gott untergehen wird. Vorher ist volles Erkennen Gottes unmöglich, doch stehen von Zeit zu Zeit Propheten auf, welche den Weg zu ihm weisen. Moses, Jesus, Mohammed waren solche, auch er sei ein solcher, und andere würden ihm folgen. Seine Lehre griff also den Glauben des Islam viel weniger an als dessen im Lauf der Zeiten greulich gewachsene Mißbräuche, die heuchlerischen äußeren Andachtsformen bei innerer Ruchlosigkeit, wie sie gerade in Persien in voller Blüte standen. Auch drang er auf Heiligung des Familienlebens, Verbot leichter Scheidung, vor allem auf Abschaffung der schmählichen „Ehe auf Zeit“, wie sie in Persien unter geistlicher Assistenz geschlossen und, nach Belieben innerhalb einer Stunde oder auch nach Jahren, wieder gelöst werden konnte. Er verlangte moralische Hebung und soziale Gleichstellung des weiblichen Geschlechtes, das dann keines Schleiers mehr zum Schutz bedürfen würde.

Der Erfolg dieser Lehren war ein sehr großer; scharenweise fielen die Anhänger dem Propheten und seiner Jüngerin zu. Der kranke Schah Mohammed zögerte gegenüber Babs wiederholten Anerbietungen, sich mit ihm zu verständigen, ließ ihn aber schließlich ausweisen, und nun kamen auch bald die blutigen Zusammenstöße in den Provinzen zwischen Babs Anhängern und den Vertretern der alten Ordnung.

Als nach Mohammeds Tode 1848 Nassr-ed-din zur Regierung kam, machte er dem bedrohlich gewachsenen Erfolg der kriegerischen Babisten ein gewaltsames Ende. Bab selbst hatte niemals zum Aufstand aufgefordert, trug aber ohne Murren die Folgen des Vorgehens seiner Jünger. Er wurde gefangen und zum Schein noch einmal in Täbris vor Gericht gestellt, wobei die Mullahs erklärten, es sei jetzt keine Zeit mehr zum Disputieren, und der vorsitzende Prinz eine ähnliche Rolle spielte wie einstens Pontius Pilatus. Bab sollte sterben, schon um der Sekte zu zeigen, daß ihr Prophet sterblich sei. Man schleppte ihn in Ketten unter Spott und Mißhandlung nebst zwei mitverurteilten Schülern durch die Stadt; er mußte den Schmerz erleben, daß der eine, um sich zu retten, ihm fluchte und ins Gesicht spie. Der andere aber, jung, reich und Gatte eines schönen jungen Weibes, küßte dem Meister innig die Hände, rief: „Dieser ist die Pforte der Wahrheit, der Imam des Islam!“ und ging ihm freudig im Tode voran. Ein merkwürdiger Zufall schien dabei übrigens dem Propheten Rettung bieten zu wollen: die Kugeln, welche ihn treffen sollten, zerrissen nur die Stricke, in denen er an der Festungsmauer aufgehängt war, so daß Bab frei auf die Füße zu stehen kam. Hätte er die Geistesgegenwart gehabt, dies als ein Wunder geltend zu machen, dann konnte bei der Stimmung des umgebenden Volkes ein ungeheurer Erfolg möglich sein. Aber der Prophet, von dem Qualm betäubt, machte einen planlosen Fluchtversuch und wurde von den Soldaten, die man vorsichtshalber einer christlichen Compagnie entnommen hatte, eingeholt und niedergemacht. Das war am 19. Juli 1849.

Auch Gurret-el-Ain besiegelte ihre Lehre durch das Martyrium. Sie wurde gefangen und ins Haus des Kriegsministers verbracht, welcher in kurzem von ihrem Wesen dermaßen bezaubert wurde, daß er ihr dringend anlag, sie möge vor Gericht auf die Frage, ob sie Babi sei, einfach mit Nein! antworten, dann werde man sich zwar verwundern, sie aber freilassen. Gurret-el-Ain jedoch erwiderte, sie werde dies nicht thun, bekannte sich am folgenden Tage zu ihrer Lehre und wurde darauf lebendig verbrannt.

Solche Beispiele schaffen bekanntlich mehr Anhänger, als alle Predigt imstande wäre. Die Sekte der Babis hat sich trotz aller Verfolgung im stillen mehr und mehr ausgebreitet; ihr Rachedurst kam in verschiedenen mißglückten Attentaten auf Nassr-ed-din zum Ausbruch, die dann wieder von neuem grausame Verfolgungen und Hinrichtungen hervorriefen. Die völlige Todesverachtung, mit der die Babis dem Richtblock entgegengehen, entstammt ihrem Glauben, daß sie binnen vierzig Tagen wieder auferstehen und später auf ewig mit Gott vereinigt werden. Ob der Mörder des Schahs wirklich ein Werkzeug der Sekte war, muß die Untersuchung lehren, jedenfalls ruft die That aufs neue das Bild des reinen Propheten hervor, der, wie manche andere, für die Ausschreitungen seiner Bekenner nicht verantwortlich zu machen ist. R. A.