Die Senner

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Autor: Ferdinand Lindner
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Titel: Die Senner
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 239–242
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Senner.
Ein Bild aus dem Thierleben.


Nun strecke, mein Senner, nun strecke dich aus –
Nur dies Mal, ein einzig Mal halt nur noch aus
Und laß mich nicht werden zu Schanden!
Lang streckt der Senner sich aus und fleucht.
Den Nachtthau streicht
Die Sohle des Reiters vom Grase.
Der Stachel der Ferse, der Schrecken des Rufs
Verdoppeln den Donner-Galoppschlag des Hufs.
Verdoppeln die Stürme der Nase – –

Nicht um eine der ewigen Alpenschilderungen, bei denen Sennhirten, Kuhglocken und Alpenhörner eine Rolle spielen, handelt es sich hier; die Senner, von denen wir erzählen wollen, haben nichts, nicht einmal die Wortabstammung für diesen Namen mit den Alpenbewohnern gemein. Weitab von jenen gletschertragenden Gebirgen nach dem niederdeutschen Lande wolle uns der Leser begleiten, wo die letzten Vorposten des Hochlands, die Berge des Teutoburger Waldes, in die Haiden der norddeutschen Tiefebene hinabsteigen; am westlichen Fuße dieses Waldgebirges, in der sogenannten Senne, haben wir unsere Senner zu suchen, wilde Rosse, wie man sie wohl in der Pußta, nicht aber im Herzen des cultivirten Deutschlands, im stillen Ländchen an der Lippe suchen würde.

Das Sennergestüt ist eines der originellsten Producte auf diesem Gebiete. Ein kurzer Ueberblick mag es beweisen. Ist schon die ganze Scenerie – Gebirg und Haide – als Weideterrain eines ungewöhnlich edlen Thieres Stoff genug zu einer romantischen Schilderung, so tritt noch die imposante Geschichte dieses eigenthümlichen Thiergeschlechts hinzu, eine Geschichte von wohl siebenhundert Jahren, in welcher sich das Leben des Senners, alle seine Eigenthümlichkeiten, seine Heerdenbildung u. dergl. auf das Interessanteste entwickelt hat. Und doch ist dies noch immer nicht das Bemerkenswertheste; dies beruht vielmehr darin, daß das Gestüt im Kampf um’s Dasein eine höchst originelle Vereinigung von künstlicher und natürlicher Zuchtwahl darbietet.

Die Senne ist eine mächtige öde Haide, die sich von Süden gesehen bis zum Horizont erstreckt und dort, dem Meere gleich, im Aether verschwindet. Den Namen hat sie von Sand, der hier und dort in verwehten Dünen zu Tage tritt; in alten Urkunden Sinithi, Seneto (von Sant, Sente) genannt, gab sie zugleich unseren Rossen den Namen. Das Haidekraut bot diesen, namentlich im Winter, eine willkommene Nahrung; noch in unserem Jahrhundert wuchs das Kraut der Senne zu einer solchen Höhe, daß ein Hirsch sich bis zum Rücken darin verbergen konnte; erst als einzelne Niederlassungen an dem Rande der Senne entstanden, welche zur Erlangung von Dünger das sogenannte Plaggen des Haidebodens begannen, wurde diesem üppigen Wachsthum Einhalt gethan.

Wie die Dichtung vielfach den Senner als den Typus eines ausdauernden Pferdes verherrlicht, so hat sich auch die Sage seiner Geschichte, speciell seines Ursprungs bemächtigt, indem sie denselben mit jener großen welthistorischen Katastrophe, dem Untergange der Legionen im Teutoburger Walde, in Verbindung brachte: die Senner sollten, der Ueberlieferung zufolge, die Nachkommen der den Römern abgenommenen Pferde sein – eine Angabe, die natürlich den Charakter der Fabel an der Stirn trägt. Dagegen erscheint der Senner mit dem Jahre 1160 auf historisch beglaubigtem Boden. Um diese Zeit schenkte der Bischof Bernhard von Paderborn, aus lippischem Geschlecht, dem Abte zu Hardeshausen Ländereien mit wilden Stuten, auf dem Terrain, wo auch in der späteren Zeit die Senner weideten. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts werden die lippischen Herren als Eigenthümer des Gestüts in den Urkunden genannt. Entstanden war diese Pferdezucht so, daß man tragende Stuten durch Hirten in Wald und Haide hatte weiden lassen; nachdem sie mit ihrem Weidegrund mehr und mehr vertraut geworden, waren sie völlig frei gegeben worden, worauf man später die Hengstfüllen eingefangen und nur die besten auserlesenen wieder in Freiheit gesetzt hatte, ihnen die Fortpflanzung überlassend; später wurde die Züchtung eine methodische, wie wir noch schildern werden. Da man von dem jungen Nachwuchs keine Stuten, oder wenigstens nur selten eine solche einfing, vermehrte sich die Zahl der Thiere bedeutend, sodaß das Gestüt vor Beginn des dreißigjährigen Krieges gegen dreihundert Mutterstuten aufwies.

Leider wurden während dieser verheerenden Kriegszeit, welche von den prächtigen Thieren infolge wiederholter Plünderung nur wenig übrig ließ, alle Urkunden, die uns detaillirte Auskunft über die ältere Geschichte des Sennergestüts hätten geben können, vernichtet. Doch wissen wir aus indirecten Quellen, daß schon Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der Ruhm des Senners ein weit verbreiteter und die Nachfrage eine große war; noch jetzt liegen Briefe von Fürsten und Grafen aus jener, sowie späterer Zeit zahlreich vor, in welchen diese um Ueberlassung eines edlen Thieres nachsuchen. Gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts schenkte Graf Simon der Sechste, der Oberst des niederrheinisch-westfälischen Kreises, dem Kaiser Rudolf dem Zweiten zwölf auserlesene Thiere für seine kaiserliche Hülfe bei Herstellung der Ordnung in der Grafschaft und speciell noch für die Sanction jenes Testamentes, welches die Quelle der noch heute dauernden Streitigkeiten mit der lippischen Regierung wurde.

Im Jahre 1655 begann der damals regierende Graf Hermann Adolf mit der Wiederherstellung des Gestüts; die in jener Zeit am Donkerteiche (jetzt Donoger Teiche) liegenden Gestütsgebäude wurden ausgebessert und weiter der Art für das Gestüt gesorgt, daß es sich um 1666 schon wieder bedeutend vermehrt hatte. 1680 wurden die Gestütsgebäude nach Lopshorn, mehr in die Mitte der Weidegründe an der Senne, heran verlegt; nur war hier der Wassermangel ein empfindlicher Nachtheil, wie überhaupt der unregelmäßige Wasserbestand des Waldes, der außer dem Donoger Teiche kein größeres Reservoir besitzt, dem Gestüte Schwierigkeiten bereitete. Es wurde deshalb hier ein Brunnen von 230 Fuß Tiefe in den Felsen gehauen; später wurden noch einige Cisternen angelegt, in welchen das Regenwasser gesammelt wird. Dies ist aber, obwohl man den berühmten Quellenfinder Abbé Richard consultirt hat, das einzige Wasser daselbst, und überdies ist dasselbe so hart, daß es, ehe es den Pferden gegeben werden darf, ein paar Tage an der Luft stehen muß.

Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts wurde fremdes Blut, namentlich orientalisches eingeführt, die Stuten jedoch stammen in ununterbrochener Reihenfolge von den ältesten des Gestütes ab. Die Zuführung fremder Hengste wurde bis auf unsere Zeit beibehalten. Als Curiosum sei hier hervorgehoben, wie die historischen Verhältnisse sich in den im Gestütsbuch sorgfältig verzeichneten Namen der Hengste widerspiegeln. Vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bis zur Mitte hatten sie deutsche Namen: „Rothschimmel“, „Alter Türke“, „Landgraf“ – dann kommen französische Namen: „l’Espérance“, „Resolu“, „Petit-maître“ – dann eine classische Zeit: „Apollo“, „Vulcan“, „Agamemnon“ – hierauf in der Zeit der nationalen Erhebung: „Wodan“, „Thor“, „Horst“ – endlich die englische Periode: „Darling“, „Lightning“, „Redriver“. Mit Anfang dieses Jahrhunderts ist vorzugsweise englisches Vollblut zugeführt worden.

In den letzten Jahrzehnten ist das Sennergestüt in Verfall gerathen, und gegenwärtig scheint das Schicksal desselben besiegelt zu sein – ein Grund mehr, das interessante Bild der Senner nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen.

Bei näherem Eingehen auf die Lebensweise der Senner tritt zunächst jene charakteristische Seite des Gestütes, die natürliche Zuchtwahl im Kampf um’s Dasein, in den Vordergrund – und zwar ein ganz ernstlich gemeinter Kampf um’s Dasein, wie ihn jedes andere wilde Thier sowohl in Bezug auf den Nahrungsspielraum, wie auf die klimatischen Verhältnisse auszufechten hat, ein Kampf, in welchen der Mensch nur in ganz geringem Maße ab und zu unterstützend eingriff, denn wir müssen uns immer gegenwärtig halten, daß wir es hier mit einem wilden Pferde zu thun haben, so wild wie die Thiere der Steppen und Prairien.

Die Senner zogen Sommer und Winter ihr Futter suchend in Wald und Haide herum; im Sommer wurde es ihnen zwischen den duftigen Waldkräutern gar wohl – wenn aber der Winter herankam und den Nahrungsspielraum immer mehr verengte, waren sie schließlich nur auf das Haidekraut der Senne angewiesen, von dem sie den Schnee mit den Hufen hinwegscharrten. [240] Fiel aber der Schnee in solchen Massen, daß der vollständige Untergang der Thiere durch Futtermangel herbeigeführt werden konnte, so wurden sie nach Lopshorn eingetrieben und dort gefüttert. Kam der Frühling, so labten sie sich an den frisch aufbrechende Knospen der Bäume, sie waren aber in dieser Zeit nach den überstandenen Winterstrapazen so bis auf die Knochen abgemagert, daß, wer sie nicht als Senner kannte, wie Prizelius sagt, sie nicht einmal hätte geschenkt haben mögen. Besonders schlimm war der Senner, wie oben schon gesagt, in Bezug auf das Wasser daran, das je nach der gefallenen Regenmenge in verschiedener Quantität im Gebirge vorhanden ist. Bei großer Trockenheit mußten die Thiere oft mehrere Meilen weit nach Wasser laufen, und indem sie dann erhitzt den Durst mit dem kalten Gebirgswasser löschten, das durchschnittlich nie mehr als sechs Grad hält, wurden die schwächeren lungenfaul; oder das Wasser stand, wie an vielen Orte des Waldes, wo es keinen Abfluß hat, in sumpfigen Lachen, war also faulig und ungesund.

Wie unter der Hitze, hatten die Thiere aber auch unter dem rauhen Klima von Herbst und Winter zu leiden; denn wenn am Fuße des Gebirges in Detmold Schlackenwetter herrscht, liegt eine halbe Stunde davon im Gebirge schon ein paar Zoll Schnee. Wie ernst aber dieser Kampf mit Klima und Nahrungsverhältnissen zu nehmen ist, und wie zerstörend er oft in den Bestand des Gestüts eingriff, dafür einige Beispiele! Noch im Mai 1773 kamen im Schnee drei Stuten und zwei Füllen um. Der Winter von 1740 räumte ganz besonders stark im Gestüte auf; ab und zu gelang es, ein schon halb erfrorenes Thier auf Schlitten nach Lopshorn zufahren und dort zu retten. Namentlich standen die Thiere bei starker Kälte in den Dickichten, wo sie dann schwer aufzufinden waren. Solche schlimme Jahre hatten natürlich auf die Abfohlung den nachtheiligsten Einfluß, sodaß z. B. 1748 von hundertelf Stuten, welche tragend sein sollten, nur achtundzwanzig es wirklich waren und außerdem sechsundzwanzig und mit ihnen alle Füllen bis auf zwölf starben. Endlich war auch eine Folge dieser Einflüsse die langsame Entwickelung des Senners; die Stute war oft unverhältnißmäßig lange über die normale Zeit tragend, und der Senner brauchte sechs bis sieben Jahre zu seiner völligen Entwickelung, ehe er in Dienst gestellt werden konnte. Die Vermehrung soll oft nicht mehr als 38 Procent betragen haben; Prizelius versichert freilich, daß er eine solche bis zu zwei Drittel erzielt habe. Wie dem nun auch in Bezug auf die Quantität sei – in Betreff der Qualität wirkte dieser ausgesprochene Kampf um’s Dasein vortrefflich – die schwachen Thiere gingen zu Grunde, und nur die starken, ausdauernden pflanzten sich fort.

Um dem Bestand größere Regelmäßigkeit zu verleihen, trieb man die Thiere seit der zweiten Hälfte des vorige Jahrhunderts die Wintermonate über nach Lopshorn, wie dies bis auf die neueste Zeit stattgefunden hat. Im Frühjahr wurden ihnen die Thore geöffnet, und sie stoben dann – ein prächtiger Anblick – zu Rudeln gesellt in wilder Jagd nach dem geliebten Walde zu auseinander.

Wie alle wilden Pferde lebten die Senner auch in Rudeln, und es zeigten sich in ihrer Lebensweise alle Erscheinungen der Heerdenbildung. Nur Senner hielt sich zu Senner; nur was als Saugfüllen mit der Sennerstute durch den Wald zog, wurde unter ihnen geduldet. Gerieth ein fremdes Pferd unter ein Rudel, so konnte es von Glück sagen, wenn es mit dem Verlust von einigen Fetzen Haut und Fleisch lebendig wieder herauskam, denn sofort fiel das Rudel mit Schlagen und Beißen darüber her – ein Grund zugleich, weshalb das Gestüt von fremden Stuten rein blieb. Mit den Hirschen dagegen vertrugen sich die Senner ausgezeichnet, und die Rudel der Pferde und Hirsche sah man immer bunt unter einander weiden. Jedes Rudel hatte seine bestimmten Wechsel, die es genau einhielt. Kein Thier trennte sich vom Rudel, und geschah dies beim Treiben einmal, so ruhte es nicht, bis es wieder bei den Seinigen angelangt war. Besonders interessant ist die Beobachtung, daß eine zum ersten Mal tragende Stute sich von den übrigen trennte und den bereits tragenden zugesellte, die sie auch willig in ihrer Mitte aufnahmen.

Dieselbe Anhänglichkeit, welche das einzelne Thier an sein Rudel bindet, macht sich auch dem heimischen Weidegend, dem Gebirge gegenüber, geltend. So kam es öfters vor, daß Senner, die in die angrenzenden Gegenden verkauft worden waren, nachdem sie sich ihres Reiters entledigt hatten, mit Zaum und Sattel in den Wald zurückkehrten und von Neuem eingetrieben werden mußten. Wie stark aber oft diese Sehnsucht nach den heimathlichen Bergen war, zeigt eine Thatsache, welche Zugleich jenen räthselhaften, gegenwärtig durch den Brieftaubensport wieder vielfach besprochenen Zug des Thierlebens zeigt, sich von den entferntesten Gegenden in die Heimath zurückzufinden. Man hatte einen Senner nach Frankreich verkauft, es waren aber kaum einige Woche vergangen, als er mit französischem Zaum und Sattel schaumbedeckt über die Senne daher seinem Walde zugejagt kam. Wie sich herausstellte, hatte er seinen französischen Reiter, der freilich nicht mit einem Senner umzugehen verstanden hatte, mit kurzem Ruck der französischen Erde übermittelt, war zum Rhein geeilt, hatte diesen durchschwommen und erschien so wieder in den heimischen Weidegründen.

Die Aufsicht über den Bestand des Gestütes, speciell der einzelnen Rudel, lag dem Gestütswärter ob – wie man denken kann, kein leichtes Amt, das übrigens in der Familie forterbte. Wie der Forstmann die Wechsel des Wildes, so kannte der Gestütswächter mit seinen Untergebenen die Wechsel der Sener. In früher Morgendämmerung, wenn der Thau noch auf dem Boden lag, saß er auf und folgte den im thaufeuchten Grase noch deutlich erkennbare Spuren der Pferde. Unsere Illustration zeigt ein Rudel in der Morgenfrühe, welches soeben das Herannahen des Gestütswächters wittert. Wurde ein krankes, lahmes oder sonstwie beschädigtes Thier angetroffen, so mußte es allein oder mit seinem Rudel eingetrieben werden. Bekam man ein Rudel in Sicht, so wurde genau notirt, welche Thiere man gesehen; Abends wurde dann ein Rapport in’s Gestütsbuch eingetragen; ergab sich daraus übereinstimmend, daß ein bestimmtes Stück mehrere Tage hinter einander nicht beobachtet wurde, so war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß es „ausgetreten“ sei. Dieses Austreten bestand darin, daß ein Thier das Gebirge und die Senne verließ und sich in’s Preußische oder nach Waldeck etc. begab, ja sie liefen oft bis nach dem Rhein in’s Sauerland hinein, da sie, wild und scheu wie sie waren, nicht leicht von den Bewohnern eingefangen werden konnten. Der Gestütswächter mußte dann von Ort zu Ort in den angrenzenden Landschaften Umfrage halten, ob ein Senner beobachtet worden sei; wurde er gefunden, so wurde ihm ein Lasso über den Hals geworfen und er vorsichtig zurücktransportirt.

Eine andere Art des Austretens oder vielmehr Uebertretens der Pferde war das Einbrechen in die Felder der Bauern. Zwar waren dieselben durch Hecken und Gatter geschützt, welche bei Strafe in gutem Stande und verschlossen gehalten werden mußten, aber die Thiere fanden ab und zu doch ihren Weg in die Aecker, wobei gewöhnlich ein altes erfahrenes Thier die anderen auf den verbotenen Weg führte. Es geschah dies in doppelter Weise, durch Bohren oder Springen. Im ersteren Falle suchte das Leitthier eine lockere Stelle in der Hecke, wo es mit der Nase durchdringen konnte; dann legte es sich mit aller Gewalt hinein und brach so lange, bis der Durchgang fertig war und nun das ganze Rudel folgte. Im anderen Falle gelangten sie mit einem Sprunge über alle Hindernisse in das Feld, und man erzählt sich in den Dörfern des Waldes von manchem mächtigen Sennersprung. Im Herbst und Frühjahr zogen sich die Senner oft bis an die Vorgärten Detmolds heran. Früher war nur ein Theil des umliegenden Landes durch dergleichen Hecken und Gatter geschützt; im Jahre 1864 ist ein großer Theil des Gebirges und der Haide, 30,000 Morgen, durch ein Drahtgitter abgegrenzt worden.

Zu den Obliegenheiten des Gestütswächters gehörte ferner das Eintreiben der Thiere, sei es, daß der Fürst einmal das Gestüt zusammensehen wollte, sei es zum Einfangen der in Dienst zu stellenden Thiere oder endlich alljährlich zu Züchtungszwecken. Daß dies keine leichte Arbeit war, beweist schon der Umstand, daß, sollte das ganze Gestüt vereinigt sein, das Treiben acht Tage vor dem festgesetzten Termin beginnen mußte. Abgesehen davon, daß die Thiere oft in den Dickichten nicht oder sehr schwer aufzufinden waren, hatten die Treiber, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Querschnitte des Terrains sowie der gewohnten Wechsel, darauf zu sehen, daß die Pferde die Köpfe in der Richtung nach Lopshorn vorzeigten, wenn es nicht geschehen sollte, daß das mit dem Gebirge vertraute Rudel plötzlich zur Seite ausbrach, meilenweit zurücklief und das Treiben dann von Neuem beginnen mußte.

[241]

Senner-Pferde im Lippeschen.
Nach der Natur gezeichnet von Ferdinand Lindner.

[242] Diese Schwierigkeit des Treibens hat aber dem treuen Gestütswächter mehr als einmal zum Mittel gedient, das Gestüt vor Verlusten zu bewahren, ja dasselbe in seinem Bestande zu retten, wenn, wie oben schon gesagt, Freund oder Feind ihm die besten Thiere zu entführen gedachte. So kamen z. B. eines Tages feindliche deutsche Officiere in der Zeit des napoleonischen Krieges und verlangten die vorhandenen Pferde. „Gabt hen un halt se!“ war die in solchen Fällen übliche Antwort des Gestütswächters. Mit dem „Halen“ hatte es bei der Unkenntniß des Terrains natürlich seinen Haken. Zum Eintreiben gezwungen, ging er nach Norden, wo das Gebirge den buntesten Wechsel von Schluchten und Bergen aufweist; nachdem man tief in das Gebirge vorgedrungen, entdeckte man ein Rudel Senner, welches arglos weidete – vom Anblick der edeln Thiere entzückt, sprengten die Fremden darauf los; das Klirren der Säbelscheiden scheuchte die Senner auf und, den Schwanz in die Höhe geworfen, ging es im Sturm den nächsten Abhang hinan, daß das herunterpolternde Steingeröll den Verfolgern um die Ohren sauste. Als es aber an der andern Seite den Berg hinunter in eine tiefe Schlucht, drüben wieder in die Höhe und wieder hinunter und dann immer so fort ging durch Dickichte und Unterholz, das mit seinen Aesten förmlich nach den fremden Eindringlingen schlug und ihnen die Uniform zerfetzte, als endlich Senner um Senner, wie von Federn geschnellt, in halsbrechendem Sprunge über eine breite tiefe Wasserrinne setzte, da wurden die Herren kleinlaut, hielten es für das Beste, wieder umzukehren und waren froh, als der Gestütswächter sie aus den vermaledeiten Schluchten glücklich wieder herausführte. Der aber lachte in sich hinein, als er vor ihnen hertrabte; hatte er ihnen doch gezeigt, was es heiße, Senner einfangen zu wollen.

In dieses im Vorstehenden geschilderte Thierleben griff der Mensch nun insofern ein, als er neben der natürlichen Zuchtwahl, wie schon angegeben, die künstliche einführte. Zu diesem Zwecke wurden die Thiere Ende April nach Lopshorn getrieben; es geschah dies erst so spät, damit die Füllen nicht im zeitigen Frühjahr geworfen wurden, weil dann erstens die Mutterstute wegen der erbärmlichen Winternahrung nicht genügende Nahrung für das Füllen hatte, und ferner weil dieses in den morastigen Wegen der Mutter nicht folgen konnte und in den rauhen Wetter sehr leicht umkam. Welche Kraft solch ein Füllen mit sich auf die Welt bringt, zeigt die erstaunliche Thatsache, daß es unmittelbar nach seinem Eintritt in dieses Dasein neben der Mutter ein bis zwei Meilen weit einherläuft. Später, als die Thiere in den Wintermonaten eingestellt wurden, fiel diese Rücksicht weg. Keine Sennstute wurde vor dem vierten Jahre zur Zucht herangezogen, sie konnte aber dann auch noch im dreißigsten Jahre tragend werden; wie denn der Senner auch zum Dienst zwar erst mit dem sechsten oder siebenten Jahre tauglich wurde, dafür aber auch noch bis zum dreißigsten, ja weit über dieses Jahr hinaus brauchbar blieb. Eine eigenthümliche Beobachtung, die freilich nicht ausnahmslos galt, war auch die, daß der Senner vor dem fünften Jahre oft häßlich und ungestalt ist, dann aber sich schnell zu außerordentlicher Schönheit entwickelt; um nun diesen Entwickelungsproceß im Voraus einigermaßen beurtheilen zu können, beobachtete man die Beschaffenheit des Füllens, wenn es sechs Wochen alt geworden; war es in diesem Alter schön, so wurde es auch nach dem fünften Jahre schön.

Nach Ablauf des ersten Jahres erhielt das Füllen auf der linken Lende den altberühmten Sennergestüts- oder Kronensennerbrand, die lippische Rose mit der Krone und dem Namenszuge des jedesmal regierenden Fürsten darüber.

Früher fand jährlich im Sommer zu Lopshorn (später im Frühjahr in Detmold) eine Versteigerung von Sennern unter Bedingungen statt, auf die jetzt wohl schwerlich noch Jemand einginge. Nachdem aus dem Gestütsbuche ein Protokoll über das jedesmal an die Reihe kommende Pferd, über besondere Eigenschaften oder Fehler desselben verlesen war, wurde das Thier in den Hof gelassen, den es mit ein paar wilden Sprüngen betrat; dann aber blieb es im ersten Schrecken vor so viel Menschen scheu stehen. Der Käufer mußte den Preis in Gold bezahlen; unter Trompetenschall wurde ihm dann der Senner zugesprochen und diesem ein Lasso über den Hals geworfen, wobei es sich manchmal ereignete, daß das wilde Thier, das noch keines Menschen Hand berührt hatte, vor Entsetzen über die fremde Umgebung und den plötzlichen Zwang sich rücklings überschlug und auf der Stelle todt war; den Schaden aber mußte der Käufer tragen. Während der Auction spielte die fürstliche Capelle, und nach Schluß derselben fand in dem mit dem Gestüt verbundenen Jagdschlosse Hoftafel statt.

Es läßt sich denken, daß eine solche Verbindung natürlicher und künstlicher Zuchtwahl, wie die geschilderte, ungewöhnlich edle Thiere hervorbringen mußte, und in der That ist der Senner als das Ideal eines Campagnepferdes weithin berühmt gewesen. Gewöhnt, jedes Wetter, den Wechsel der Jahreszeiten und die damit verbundenen Entbehrungen zu ertragen, war er von der zähesten Ausdauer. General von Loßberg erzählt, daß er seine Rettung beim Rückzuge der napoleonischen Armee aus Rußland lediglich der Ausdauer seines Senners verdankte, der alle winterlichen Strapazen dieses trostlosen Feldzuges siegreich überwand. Ebenso groß war die Sicherheit des Senners, selbst auf dem coupirtesten Terrain; mit dem Hirsche um die Wette lief er auf dem schmalsten Gebirgspfad, erkletterte die steilsten Berge und strich unverletzt durch den dichtesten Wald. Als Zugpferd zwei bis drei Meilen in einem Trabe zurückzulegen, und zwar in einem Zeitraum von ein paar Stunden, war für den Senner nichts Besonderes.

Seine Gestalt ist von großer Schönheit und den edelsten Formen, der Kopf fein und orientalisches Blut verrathend, der Hals lang und schön, der Rücken gerade, Croupe und Brust vortrefflich; die Schenkel sind wahre Modelle, stark, trocken; die Sehne liegt fast frei. Besonders charakteristisch für den Senner ist der breite Halsansatz, der prächtige Schweif und die ebenso prächtige Mähne, welch letztere, vielfach gelockt, bis auf die Sprunggelenke herabwallt. Die schwächste Partie des Senners sind die Schultern, welche nicht die Stärke besitzen, um ihn auch durch Schnelligkeit sich auszeichnen zu lassen – sein Sprung dagegen ist unübertrefflich. Den edlen Eigenschaften seines Baues entsprach auch sein Charakter; er ward fromm, lenksam und den Menschen treu. Für die Lenksamkeit des Thieres spricht schon bezeichnend die Thatsache, daß der Fürst stets mit sechs Hengsten fuhr, überhaupt nur solche in Dienst stellte. Nur durfte von vornherein keine falsche Behandlung angewandt werden; das Thier wurde als völlig wildes eingefangen und in den Stall gebracht, wo ihm Alles, selbst der Wassereimer, Entsetzen erregte. Mit Geduld und Güte mußte es erst gewöhnt und mit der Gewöhnung auch fortgefahren werden, wenn es in Thätigkeit trat. Mit Güte erreichte man Alles beim Senner; mit einer einzigen Strafe dagegen konnte man ihn auf Monate, ja bei wiederholt schlechter Behandlung für immer verderben. Denn einmal verdorben, zeigte das Thier seine ganze Wildheit; Schlagen, Beißen, Steigen, sich Ueberschlagen und auf dem Boden wälzen – Alles wandte der Senner dann an und womöglich toller als andere Pferde, ja er wurde sogar lebensgefährlich, denn, wild geworden rückte er nicht selten mit offenem Maul, funkelnden Augen, auf den Hinterbeinen gegen den Menschen los. Es verging auch selten ein Jahr, daß nicht beim Einfangen der Hengste, wenn diese den Lasso spürten, einer der Betheiligten zu Schaden gekommen wäre, ja manchmal, um mit Prizelius zu reden, „wurde ein Kerl so zugerichtet, daß er vor tod nach Hause gebracht wurde.“

Wir schließen hier unsere Darstellung, welche, wenn sie kein anderes Verdienst hat, zum Mindesten den Zweck erfüllt haben dürfte, dem großen Publicum eine ebenso unbekannte wie eigenartige Erscheinung auf dem Gebiete der deutschen Pferdezüchtung nahe gebracht zu haben.

F. Lindner.