Die Sprache des deutschen Heeres

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Autor: E. E.
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Titel: Die Sprache des deutschen Heeres
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 827
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[827] Die Sprache des deutschen Heeres. Das deutsche Volk hat seinen französischen Erbfeind wiederholt in offener Feldschlacht geworfen und mit Ausdauer und unter Mühseligkeiten aller Art seine Bollwerke gebrochen. Selbstständig und frei von aller fremden Hülfe hat es der Welt gezeigt, was ein deutsches Heer zu leisten vermag. Um so seltsamer ist es, daß dieses freie Deutschland seine Muttersprache so gering zu achten scheint, daß es so gern die den fremden Sprachen entlehnten Worte aufnimmt und festhält. Ist es die Macht der Gewohnheit oder was soll es heißen, daß wir so unendlich oft fremde Ausdrücke in unsere Sprache mischen? Man wird in der Capitale des deutschen Reichs zu einem Diner oder Dejeuner in das Hôtel de Rome invitirt, nimmt ein Cotelette oder famoses filet de boeuf mit brillanter Sauce und magnifiquem Compot in Gesellschaft eines etwas fatiguirten Gardelieutenants zu sich, macht in der Siegesallee eine Promenade, begiebt sich in sein Logis, um sich dann Abends an dem exquisiten Gesange einer Primadonna zu delectiren oder in einer fashionablen Soirée superb zu amüsiren. So fremdartig diese Sätze klingen mögen, so enthalten sie doch kaum ein außergewöhnliches Wort.

Betrachten wir nun erst die Ausdrucksweise unseres Heeres. Fast jede europäische Sprache finden wir in unseren militärischen Wörterbüchern vertreten. Wir finden das englische Shrapnel, die italienische Excellenz, das russische Hurrah, die polnische Ulanka, die ungarische Czapka und die Unzahl ganzer, halber und viertel französischer Ausdrücke. Wir lesen von batailliren, cotoyiren, retiriren, deployiren, tirailliren und excerciren, von Echelons, Defilé, Fort, Plateau, Lisière und Avantageuren, von Action, Affaire, Attaque, Campagne und allerlei Bagage. Es sieht fast so aus, als beruhte unsere kriegerische Wissenschaft reinweg auf der französischen, als hätten wir Deutsche nichts erdacht, sondern Alles den Fremden, namentlich den Franzosen, nachgemacht.

Ist nun dieses Liebäugeln mit den französischen Nachbarn geschichtlich begründet und läßt es sich dem deutschen Heere und der deutschen Sprache gegenüber thatsächlich rechtfertigen? Welche Gründe können uns in aller Welt dazu bewegen, unsern Rekruten die fremden Ausdrücke einzupauken? Was ist Subordination? Wer eine gute Schulbildung gehabt hat, wird sich das selbst übersetzen können; aber wie viele Procente unserer Armee sind dies? Einige Freiwillige, einige – das schreckliche Wort muß genannt werden – Avantageure und von den Mannschaften fast keiner. Hat sich der Rekrut wirklich die einzelnen Worte eingepaukt, deren Bedeutung wir ihm immer erst verdeutschen müssen und deren im Laufe der Zeit hineingelegten Begriff er doch nicht recht versteht, was haben wir dann erreicht? Sagen wir dem Rekruten: Gehorsam ist die erste Pflicht des Soldaten – das versteht er gewiß.

In einem Aufsatze des Militär-Wochenblattes (Nr. 91 Jahrgang 1874 Seite 867) heißt es sehr richtig. „Sagen nicht 9/10 unserer Unterofficiere ihr Lebenlang Tirain statt Terrain?“ Ich füge hinzu: Sagen nicht alle Mannschaften Attolrie oder Attulrie für Artillerie? Exciren für Exerciren? Specefakten für species facti? Tillejiren für Tirailliren? Schersant für Sergeant? Und wenn die Leute lesen sollen, so lesen sie wortgetreu Garde du Corps, buchstäblich so wie es geschrieben steht. Sollen sie diese fremden Ausdrücke schreiben, so thun sie es gewiß hartnäckig gerade so, wie sie jedes Wort sprechen, mit einer augenzerreißenden Rechtschreibung. Der wievielte kann wohl Lieutenant richtig schreiben? Und wir selbst sprechen und schreiben Seconde-Lieutenant und machen einen deutschen Officier damit wider seinen Willen zum Weibe. Das preußische Officier-Patent ernennt übrigens Niemand zum Seconde-Lieutenant, sondern sehr richtig zum Second-Lieutenant. Auch in der militärischen Sprache der Officiere hören wir so und so oft Ausdrücke, die selbst diejenigen, die eine leidliche allgemeine Bildung besitzen, nicht verstehen, z. B. einen échec erleiden, seinen aplomb verlieren, oder das Bataillon steht um die und die Zeit à cheval de chaussée, was heißen soll, zu beiden Seiten der Chaussee, und ein vom Reiter hergenommenes Bild ist, in welchem das Bataillon mit den Beinen des Reiters, die Chaussee mit einem Pferde verglichen wird. Es giebt leider viele Commandeurs, die einen Befehl, eine Meldung in einen trüben Nimbus einzuhüllen lieben. Als Beispiel hierfür mag ein in jenem erwähnten Aufsatze des Militär-Wochenblattes mitgetheilter Bericht des Feldmarschalls Benedeck dienen: „Das débacle des ersten Corps der Sachsen nöthigte mich, auf Königgrätz zu repliiren.“

Manches ist freilich im Laufe der Zeit schon besser geworden. Das Wort Hauptmann ist jetzt ganz allgemein gebräuchlich, während es noch im Anfange dieses Jahrhunderts vielfach für gesucht gehalten wurde. Und warum sollten wir nicht für Lieutenant, das wir doch wenigstens Leutnant, so wie wir es sprechen, schreiben sollten, z. B. Leutmann sagen? Das klingt doch deutsch und hat einen guten deutschen Sinn.

Wir wollen ja nicht alle die fremden Wörter übersetzen. Es gäbe ganz ungereimte Benennungen und höchst alberne Ausdrücke, wenn man für General Herr Allgemeiner, für Lieutenant Platzhalter, für Compagnie Gesellschaft, für Major Größerer sagen wollte. Wir wollen auch keine radicale Verbannung aller nicht-deutschen Ausdrücke befürworten. Wörter wie Bataillon, Compagnie, Division, Soldat, Armee, Militär sind durch Jahrhunderte langen Gebrauch zu europäischen geworden.

Aber eine lange Reihe von Wörtern können wir sehr gut übersetzen; z. B. Uniform mit Gleichtracht, Commando mit Befehl, Relation mit Meldung, Bericht etc. Für viele andere Wörter finden wir, wenn wir nicht das Wort, sondern den Sinn, den Gedanken des Wortes wiedergeben, den schönsten Ersatz. Was würde es schaden, wenn wir z. B. die fürstlichen Bezeichnungen – denn im deutschen Reiche haben sie doch nicht mehr den alten Klang – wenn wir die ursprünglich militärischen Titel aus der Rumpelkammer der Geschichte hervorsuchten und wieder auf das Heer übertrügen? Für General würde sich Herzog ganz gut machen und für eine Excellenz, wie sich jeder italienische Lazzarone nennt, klingt Durchlaucht viel deutscher. Wie schön klingt Oberst, Rittmeister, Feldwebel, Gefreiter, ferner Fahne, Schwadron, Rotte, Beiwacht, was wir erst haben in Bivouac französiren müssen, um es dann als fremde Waare anzustaunen und bei uns aufzunehmen.

Noch mag auf die Zusammensetzung deutscher und französischer Wörter hingewiesen werden, wie Unterlieutenant, Unterofficier, Rendezvousstellung, Augmentationsmannschaften. Diese Wörterzusammenziehungunausstehlichkeit ist schon unter nur deutschen Wörtern schrecklich und nun erst das Sprachgemengsel von Deutsch und Französisch!

Gewiß ist es anzuerkennen, wenn man die Sprache des deutschen Heeres von dem Wust der Fremdwörter zu reinigen bemüht ist. Ein hierauf gerichtetes Streben läßt sich im deutschen Heere nicht verkennen. Wiederholt ist in dieser Beziehung schon das Generalstabswerk über den französischen Krieg gerühmt worden, das mit einem vorzüglichen Beispiel vorangeht. Es schreibt, wie der angezogene Aufsatz des Militär-Wochenblatts hervorhebt, nicht mehr Plateau, sondern stets Hochfläche, Engweg für Defilé, es spricht nicht mehr von der Lisière, sondern von dem Rande oder Saum eines Waldes. Es heißt in ihm nicht mehr cotoyiren, avanciren, repliiren, ralliiren, sondern: begleiten, vorgehen, zurückweichen, sammeln: es heißt nicht Reiterchoc, sondern Reiterstoß u. s. w.

Wir finden in dem Generalstabswerk den Beweis, daß es für die fremden Bezeichnungen nicht nur einen, sondern gute deutsche Ausdrücke in Menge in unserer reichen und schönen Sprache giebt. Allerdings wollen wir uns davor hüten, in Deutschthümelei zu verfallen, aber verbannen wir aus unserer deutschen Sprache die fremden Floskeln und sprechen wir unsere deutsche Sprache, unsere deutsche Heeressprache rein deutsch!

E. E.