Die Tempel von Mahabalipur in Indien
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Dort im indischen Sonnenland, wo der Garten der Erde noch heute blüht; dort, wo die Wiege des Menschengeschlechts ist, und wo für die Geschichte der Geisterwelt die Forschung die ältesten Urkunden sammelt, – dort ist auch die Wiege jener erhabenen und einfachen Vorstellungen, in denen die Religionen aller Völker und Zeiten wurzeln, und welche schon die Genesis dem ersten Menschenpaare in die Seele legt. Dort hat auch die Kunst, der Religion erstgeborne Tochter, die ersten Denkmäler ihres Wirkens auf Erden zurückgelassen.
Die älteste Kunst hatte keinen andern Maßstab für ihr Streben, als die Natur; ihre Muster waren die Werke des sublimsten aller Meister – des Schöpfers selbst. Als die Menschen ein Obdach wünschten zur gemeinschaftlichen Verehrung Gottes, suchten sie zuerst die Höhlen der Erde auf, und da sie diese nicht aller Orten finden konnten, bauten sie sich selbst welche. So entstanden die allerältesten Bauwerke Indiens – jene Höhlentempel, die wir in einem frühern Bande dieses Werks schilderten. Die Troglodyten-Architektur begreift die erste Periode aller Baukunst in sich. Die Zweifel französischer Forscher gegen das hohe Alter dieser stupenden Werke sind hinlänglich widerlegt worden. Die Zeit ihrer Entstehung ist wahrscheinlich zwischen 5000–4000 Jahren vor unserer Zeitrechnung.
Jene Tempel waren aus dem Leibe der Erde gehöhlt. Bald jedoch strebte der menschliche Geist nach freieren Formen; er wollte, wie Gott mit den Bergen gethan, so auch das Haus Gottes frei stehen sehen, vom Aether umweht, und die Luft seines Anblicks genießen; er wollte Licht haben im Tempel, Sonnenlicht, nicht blos [77] das trübe der Fackel und der Lampe. Fortan höhlte er freistehende Felsen zu Tempeln aus und formte sie von außen, wie ihm gefiel. Es geschah dieß meist in der Pyramidal-Form, zu welcher er durch die Gestalt der meisten Berge hingeführt wurde. Sodann reizte ihn seine Phantasie zum Versuch, auch zu verschönern, was er geschaffen hatte, zu schmücken, was ihm durch die Menge der Arbeit und Mühe lieb und werth geworden war. Die Darstellungen mußten nothwendig in Harmonie seyn mit dem Zwecke der Gebäude, sie mußten sinnbildlich seyn voller Bedeutung. Auf solche Weise kamen die allerältesten Völker dahin, auf den Wänden ihrer Felsentempel sich an die Darstellungen des Uebersinnlichen zu wagen. Der Wille war allmächtig in dem alten Menschen, doch der rohen Kraft konnte das Werk nur sehr unvollkommen gelingen. Er klimmte aufwärts; aber am Ziele sank er erschöpft zu Boden. Er kämpfte mit dem Genius, aber mit irdischen Waffen. Daher das Giganteske an den Ornamenten und Figuren jener Werke der indischen Baukunst, welche, vor etwa 4000–3000 Jahren vor Chr. errichtet, den zweiten Zeitraum der indischen Architektur ausmachen. Noch war damals die Regel nicht gefunden, hinter welche sich die Schwäche verstecken kann, wie in spätern Zeiten. Noch strebte der Mensch titanenmäßig den großen Werken des Schöpfers nach, freilich mit unendlich kleinern Kräften, aber doch ungedrückt vom eisernen Joch, welches später als Regel der Alltäglichkeit wie dem Genie ohne Unterschied sich um den Nacken legte.
Jene freie Nachahmung der Natur gibt den indischen Bauwerken der zweiten Periode den Charakter von gesetztem Ernst und erhabener Würde, welche den Beschauer in Erstaunen setzen. Wie die Natur verbirgt sie in Einfalt ihre Fülle, und in der üppigsten Freiheit herrscht das Gesetz der innern Harmonie.
Die urältesten Sitze der indischen Kultur waren nicht die Gegenden des Ganges, sondern Ceylon und die gegenüberliegenden Küsten Vorderindiens, Coromandel, oder das heutige Carnatik. Dort und in dem fernen Afghanistan sind die unzerstörbaren Felsentempel anzutreffen, welche nur von der andauerndsten Begeisterung vollbracht werden konnten. Fast alle diese Bauten sind nicht etwa aus weichem, bröcklichem Gestein gehöhlt, sondern aus hartem Granit, und wenn man den damaligen Mangel an Hülfsmitteln, um die Arbeiten zu beschleunigen, berücksichtigt, so muß man bei jedem der größern Tempel eine Bauzeit von Jahrhunderten voraussetzen.
Uebrigens geben diese Tempel ein zusammenhängendes Fortschreiten der Kunst, vom Rohen zum Einfachen, von diesem zum Verzierten, und endlich zum Zierlichen und Ueberladenen deutlich zu erkennen.
Zur zweiten Periode – derjenigen nämlich, während welcher man die als Tempel ausgehöhlten Felsen an ihren äußern Wanden in architektonische Formen brachte und Skulpturen auf ihnen aushauete, die sich auf den Cultus bezogen – gehören auch die merkwürdigen Monumente, welche die Gegend von Mahabalipur im Carnatik schmücken. Kein Ort der Erde kann eine solche Menge von monolithischen Monumenten in so großen [78] Dimensionen aufweisen, als hier auf dem kleinen Raum von fünf oder sechs Quadratmeilen zusammengedrängt sind. Alles verkündigt, daß diese Gegend einst der Sitz hoher Kultur war und ein Ort, welcher vor Jahrtausenden eben so die Pilger in Menge versammelte, als jetzt die Tempel des Dschaggernaut oder die Ghauts am heiligen Strome in Hurduwar. Aber seit undenklicher Zeit ist hier Oede an die Stelle des Lebens getreten und die sonst so städtereiche Küste ist verlassen; man hört nicht mehr das gellende Glöckchen der Braminen, und obschon die Sage fortlebt und der Hindu immer noch die Gegend als heilig betrachtet, so hat sich doch die Verehrung andern Gegenden zugewendet.
Gerade die Schweigsamkeit trägt aber dazu bei, das Imposante und Pittoreske der verlassenen Gotteshäuser zu erhöhen. Die eine Gruppe führt den Namen „die sieben Pagoden;“ sie besteht indeß nur noch aus vier; die übrigen drei hat das sie umspühlende Meer schon längst verschlungen. Von der großen Stadt, welche nach braminischer Tradition hier gestanden haben soll, ist keine Spur weiter übrig. Die Tempel (von denen der Stahlstich den besterhaltenen darstellt) wurden aus Granitfels gehauen. Sie sind 40 bis 60 Fuß hoch und mit Basreliefs, meistens Darstellungen der Thaten des Wishnu, bedeckt. Styl und Ausführung der Figuren weisen die Blüthenperiode der altindischen Kunst nach. Die braminische Zeitrechnung setzt ihr Entstehen in das Jahr 3200 v. Chr. Sie wetteifern folglich in Alter mit den frühesten Bauwerken Oberägyptens, Nubiens und Aethiopiens, und was wir von den Denkmälern der Pelasger in Griechenland und Italien besitzen, gehört schon einer weit spätern Zeit an.
Der Tempel Inneres besteht aus einem hohen Saale, dessen Wände mit ähnlichen Darstellungen wie die Außenseiten geschmackvoll und reich verziert sind. Man muß erstaunen über die Vollendung dieser Skulpturen. Sie zeigen nicht nur unbegreifliche Geduld, sondern auch eine außerordentliche Fertigkeit im Polieren der sehr harten Steinmasse, welche dadurch einen marmorartigen Glanz bekommen hat.
In einer kleinen Entfernung von diesen Gebäuden ist eine lange Felswand von oben bis unten mit Bildwerken bedeckt. Viele der Reliefs stellen Sitten und Gewohnheiten der Hindu vor, und man macht die überraschende Bemerkung, daß sich bei diesem Urvolke seit fast fünf Jahrtausenden gar nichts geändert hat. Die lieblichen Gestalten der Hindufrauen sind eben so gekleidet, wie sie es noch jetzt sind; die Männer tragen die nämlichen Turbane, wie heute, und treiben ähnliche Beschäftigung und in derselben Stellung wie jetzt. Leider hört der räuberische Vandalismus der Antiquare und Sammler nicht auf, diese herrlichen Kunstreste von Jahr zu Jahr mehr zu verstümmeln.