Die Tiger des Berliner Zoologischen Gartens

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Textdaten
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Autor: Paul Matschie
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Titel: Die Tiger des Berliner Zoologischen Gartens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 447-448
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[445]

Die Tiger des Berliner Zoologischen Gartens.
Nach dem Leben gezeichnet von Anna Matschie-Held.
Turan-Tiger.
Bengalen-Tiger.   Sumatra-Tiger.
Amur-Tiger.

[447] Die Tiger des Berliner Zoologischen Gartens. (Zu dem Bilde S. 445.) Es ist seit langer Zeit bekannt, daß die Tigerfelle nicht nur individuell, sondern auch je nach ihrer Heimat sehr verschieden aussehen. Einer wissenschaftlichen Untersuchung dieser einzelnen Abänderungen wird der hohe Wert des Pelzwerkes sehr hinderlich, und selbst in den größten zoologischen Museen ist darum das Vergleichsmaterial nur spärlich vorhanden. Beim Besuch von zoologischen Gärten konnte man bisher nur zwei gut unterschiedene Tigerformen beobachten, den Bengalen-Tiger und den kleineren, stärker gestreiften Insel-Tiger. Eine langhaarige Abart wird in der Litteratur öfter erwähnt und ist auch hier und da in Gefangenschaft gehalten worden. Einen ganz erheblichen Fortschritt in der Lösung dieser ebenso schwierigen als interessanten Frage verdanken wir dem thatkräftigen Eintreten des Herrn Dr. L. Heck, Direktors des Berliner Zoologische Gartens, mit dessen Hilfe schon über eine ganze Reihe sehr wichtiger zoologischer Probleme Licht verbreitet worden ist. Es gelang ihm, allerdings unter Aufwendung erheblicher Kosten, zwei sehr eigentümliche und noch niemals importierte Abarten des Tigers für den Berliner Garten zu sichern. so ist es nun möglich geworden, Tiger aus vier verschiedenen Gebieten Asiens unmittelbar miteinander zu vergleichen. Diese seltene Gelegenheit hat sich die „Gartenlaube“ nicht entgehen lassen, um ein Bild der merkwürdigen Riesenkatzen den Lesern vorzuführen. Das Blatt auf welchem meine Frau die sechs Exemplare des Berliner Zoologischen Gartens vereinigt hat, liefert getreue und lebenswahre Porträts der vier Tigerformen. Der merkwürdigste unter den Berliner Tigern ist jedenfalls derjenige, von welchem Männchen und Weibchen oben auf dem Bilde sich befinden. Die lange Halsmähne, wie der kurze, hochbeinige Körper geben ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Löwen. Ganz auffallend ist die scharf eingeschnittene, fast eingedrückte Nase bei dem Männchen, bei dem Weibchen ist dieses Merkmal nicht so stark ausgeprägt. Dieser Tiger ist in der Färbung der dunkelste von allen vieren und auch am stärksten gestreift. Sein Farbenton ist gelbbraun mit einem Stich ins Rötliche. Die beiden Exemplare (das am Boden liegende Tier ist das Weibchen) haben sich, trotzdem sie zunächst nach ihrer Ankunft von der Reise recht mitgenommen waren, unter verständiger Pflege als sehr zutraulich erwiesen. Sie nehmen es sehr gern an, wenn ihr Wärter, der bekannte Penz, die in Zonen sich ablösenden Winterhaare ihnen aus dem Fell krault. Sie haben einen sehr lebhaften Charakter und sind manchmal gegeneinander so ungemütlich, daß man sie bisweilen hat trennen müssen. Die Heimat dieser Tiere, welche über Tiflis in Transkaukasien importiert worden sind, liegt wahrscheinlich in der Nähe des Südufers des Kaspischen Sees, in den nördlichsten Gebieten von Persien. Ich habe nachgewiesen, daß Tiger, welche [448] die oben erwähnten Merkmale tragen, nur im aralokaspischen Gebiet, also in Turan, dem nördlichsten Persien und in den Kirgisensteppen leben. Im mittleren und südlichen Persien tritt der Löwe an die Stelle des Tigers, und diese Nachbarschaft spricht sich schon in der äußeren Erscheinung des Turan-Tigers aus. Löwe und Tiger sind nach meiner Ansicht geographische Abarten einer und derselben Tierform, wofür ja auch die tatsächlich wiederholt beobachtete fruchtbare Vermischung beider spricht.

Unten auf dem Bilde ist das zweite Paar der frisch importierten Tiger dargestellt, ebenfalls eine sehr interessante Form, die noch niemals im westlichen Europa gezeigt worden ist. Sie sind mit ihren dicken Köpfen und kurzen dicken Beinen die plumpsten und massigsten unter ihren Genossen. Dieser Eindruck wird noch vermehrt durch die ihnen eigentümliche Wamme am Halse und Unterleib und durch den außerordentlich dichten und weichen Pelz, der namentlich den Schwanz sehr dick erscheinen läßt. Die Färbung der sehr phlegmatischen Gesellen ist ockergelb mit einem Stich ins Graue, das Weibchen, welches liegend dargestellt ist, erscheint etwas zierlicher als das Männchen. Die Querstreifen sind bei dieser Form nicht schwarz, sondern braun, und in der Zahl und Breite stehen sie in der Mitte zwischen denen beim Insel- und Königs-Tiger. Wie mir Herr Hagenbeck freundlichst mitteilte, hat er die Tiger von einem russischen Händler erhalten, sie sind über Land von Ostsibirien gekommen. Mit seiner Angabe stimmen die Ergebnisse meiner Untersuchungen sehr gut überein, und ich glaube, daß diese Tiger im Amurgebiet heimisch sind.

Die in der Mitte des Bildes dargestellten Tiger, der Bengale laufend, der Sumatraner liegend, beides Männchen, sind allen Besuchern zoologischer Gärten so wohl bekannt, daß ich mir eine genaue Beschreibung derselben wohl erlassen darf. Beide sind direkte Gegensätze, soweit es die gleiche Art zuläßt; der Bengale, seiner Zeit von Herrn Schönlank geschenkt, ist ein wunderbar schönes Exemplar von ebenso imposanten wie harmonischen Formen und herrlichem Sammetfell, dabei freundlich und harmlos, soweit dieses einem Tiger möglich ist. Der Sumatraner dagegen ist, wie Heck in dem „Hausschatz des Wissens“ ebenso schön wie richtig sagt, ein unversöhnlich böser, aber herrlich charaktervoller Satan. Er hat meiner Frau fast mehr Schwierigkeit als Modell gemacht als alle übrigen zusammengenommen.

Von anderen Formen des Tigers sind mir außer den vier oben erwähnten noch folgende bekannt. In Hamburg und London sah ich Exemplare, welche über Wladiwostok importiert waren. Dieselben sind langhaarig, dickschwänzig und gewaltig groß, haben ungefähr die Gestalt des Bengalen-Tigers, sind sehr blaßgelb und die Streifung ist wenig scharf begrenzt und weit. Ich halte diese Tiger für die Abart, welche für das Hoanghogebiet charakteristisch ist. Der Yantse-Kiang-Tiger, den ich in Paris sah, ist sehr rot, ebenso groß wie der Königs-Tiger, aber viel enger gestreift. Der Java-Tiger ist dem Sumatra-Tiger ähnlich, aber kleiner und unten hellgelb. Sehr eigentümlich war ein kleiner, zierlicher Tiger, der als Diminutivausgabe des Hoangho-Tigers angesehen werden könnte. Ihn sah ich bei Hagenbeck; diese Abart soll von Korea stammen. Ich glaube aber aus zoogeographischen Gründen, daß auf Korea der große Hoangho-Tiger lebt und daß die Zwergform ihr Vaterland in dem abflußlosen Mittelasien zwischen Altai und dem Tarimbecken hat. P. Matschie.