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Die Transvaal-Republik im Kafferlande

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Textdaten
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Titel: Die Transvaal-Republik im Kafferlande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 424–425
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Transvaal-Republik im Kafferlande.

„Die große Mutter der Erde mit den kleinen Brüsten,“ war gestorben und höchst dero Sohn, König Shaka,[WS 1] „Beherrscher aller Schwarzen und der Hälfte der Welt,“ im Gegensatze zur Königin von England, welcher er die Weißen und die andere Hälfte der Welt einräumte, befahl eine große allgemeine Landestrauer, die er mit einer großen Trauerfestlichkeit einweihte. Zu dem Feste waren alle Unterthanen, die unterjochten Kaffer- und andere „einverleibten“ Stämme mit Kind und Kegel befohlen. So versammelten sich eines glühenden Morgens Tausende und aber Tausende schwarzer und schwarzbrauner Männer, Weiber und Kinder aus den Bergen und Schluchten der Südostküste Afrika’s nach Port Natal und Cap Sanct Lucia herunter in einer großen, glühenden Ebene, auf der die nackten schwarzen Glieder in allerlei phantastischem, rohem Schmuck weithin glitzerten und glimmerten. Alle die Tausende und aber Tausende weinten oder versuchten wenigstens unter den furchtbarsten Anstrengungen und Grimassen zu weinen, denn eine Allerhöchste Cabinets-Ordre hatte mündlich durch den Mund seiner Soldaten im ganzen Reiche verordnet, daß bei Todesstrafe kein Auge ohne den Schmuck der Thränen zum Feste kommen, aber auch nicht wegbleiben dürfe. König Shaka, ein schwarzes, fettes Ungeheuer, geschmückt mit allerlei Perlen und glänzenden Stückchen Metall, ritt an der Spitze der Auserwählten seines herrschenden Stammes, der Sulu-Kaffern, und seines getreuen, mit Keulen bewaffneten Heeres, durch die Tausende seiner weinend versammelten Unterthanen. Hinter ihm kreischte und heulte es in allen möglichen, schrecklichen Tonarten, hinter ihm spritzte fortwährend Blut und ausgeschlagenes Gehirn. Nachdem er seinen Ritt vollendet, lagen nicht weniger als siebentausend seiner Unterthanen zerschmettert und zerschlagen zwischen dem heulenden Gewimmel der Lebenden auf der heißen, öden Ebene. Der keulenbewaffnete, geschwungene Arm des Kriegsgerichts hatte sie getroffen, weil ihre hochverrätherischen Augen ohne den vorgeschriebenen Schmuck der Thränen ertappt worden waren. Das ist starkes Regiment, strenge Gerechtigkeit, nicht sehr christlich-germanisch; aber Anlagen dazu fanden wir nicht selten auch in christlich-germanischen Ländern in Bezug auf den Schmuck der Kokarden und schwarzen Ränder der Zeitungen als topographischen Trauerflor. Erinnern wir uns doch ein Witzblatt denuncirt gesehen zu haben, weil es nach dem Tode des Königs nicht schwarz gerändert erschienen war. Daß es von keinem Keulenschlage zerschmettert ward, verdankte es der königlichen Regierung, nicht dem taktlosen Unterthanen und Denuncianten.

Was aus dem „Beherrscher der halben Welt“ seitdem eigentlich geworden – die große Trauerfestlichkeit fiel in das Jahr 1824 – weiß bis jetzt wohl Niemand, gewiß aber ist, daß die einzelnen Kafferstämme sich wieder befreiten und zum Theil unter den alten holländischen Colonisten des Caplandes Zuflucht vor dem Scheusal Shaka suchten und fanden. Die Kaffern sind sehr verschiedener Gattung, selbst Race. Die Sulu’s, von denen lange Zeit Exemplare in London und Berlin zu sehen waren, scheinen Negerrace zu sein, während die meisten andern, schwarzbraunen Stämme mit ziemlich markirten, scharfen Gesichtszügen und langem Kopfe, aber mit vortretender Stirn mit den Berbern von Nord- und Mittelafrika verwandt zu sein scheinen, vor denen sie nach Süden flohen (im siebenten, achten und neunten Jahrhundert), um ihre Unabhängigkeit und Ungläubigkeit gegen den mit dem Schwerte gepredigten Glauben Muhamed’s zu bewahren.

Das geht uns hier weiter nichts an, sondern soll blos als Vordergrund und Erklärung der neuen holländischen oder Transvaal-Republik dienen, welche sich während der letzten zehn Jahre mitten zwischen feindlichen Kaffern und revolutionär gegen die englische Cap-Regierung gebildet hat, und neuerdings eine furchtbare That des Patriotismus und der Rache gegen einen ganzen Kafferstamm ausführte. Die holländischen Colonisten – boers genannt, d. h. Bauern, Ackerbautreibende im Gegensatz zu den Engländern – gewannen durch die Flüchtlinge aus dem Reiche des Shaka bedeutende Arbeitskräfte, und wurden so bald reich an Feldern und Ernten und Vieh und kräftig und trotzig gegen die pedantische und anmaßende, Steuern nehmende und trotz aller „Kaffernkriege“ keinen Schutz gewährende englische Colonialregierung. Sie zogen sich deshalb weiter nach dem Innern zurück in herrliche fruchtbare Terrassen, die mit Flüssen nach dem Meere herabsteigen und drei ganz verschiedene Klimate mit deren Produktion bilden, eine Wald- und Wiesenregion unten, ein höheres Tafelland für tropische Früchte und Produkte und eine sich in Berge verlierende Getreidegegend, so daß man, wie in verschiedenen Stockwerken Naturschätze aller Art von der Natur anhäufen lassen kann. Dies ist ein günstiger Boden für menschliche Thätigkeit und Kultur, der noch eine Zukunft haben mag, zumal da ziemlich viel Flüsse aus dem Lande in den Ocean hinabführen und sich auf diese Weise wohlfeile Umsatz- und Verkehrswege leicht schaffen lassen.

Bis jetzt ist freilich die Transvaal-Republik noch ein ziemlich beschränkter, unentwickelter Embryo, eine zerstreute Masse von etwa 150 Farms oder Ackerwirthschaften, die allerdings meist sehr groß und umfangreich sein sollen, und künftig vielleicht die große, grundbesitzende Aristokratie, in der sich leicht ein König entwickelt, bilden mögen. Jedes „Gut“ umfaßt mehrere Gebäude mit 30 bis 50 und sogar bis 200 Personen Gesinde und Tausenden von Schafen, Rindvieh und Pferden. Das Gesinde besteht größtentheils aus geflüchteten Kaffern und Hottentotten, die zum theil selbst Grundbesitz und ganz hübsche Häuser und Wirthschaften haben, so daß auch in dieser Beziehung sich Anknüpfungspunkte an unsere alte politische und sociale Entwickelung finden: Große Grundbesitzer als Herren, Arbeitgeber, Beschützer in Rechtsstreitigkeiten u. s. w., dafür eine Art Steuer, feudalistischer Besitzverhältnisse, Vasallen-Treue, Lehnspflicht, Schutzrecht u. s. w.

Unter einfachen, Ackerbau treibenden Verhältnissen, doppelt von gemeinsamen Feinden umgeben und daher zu Einheit, Brüderlichkeit und Freundschaft, Jeder in seinem eigenen Interesse, angewiesen, läßt sich eine eben so patriarchalische als freie Verfassung der Gesellschaft sehr gut bilden, entwickeln und halten. Leider scheint es Natur- und Menschengesetz zu sein, daß auf ausgedehnten Ländergebieten, mit kultivirten, industriellen, Handels-, Klassen- und Standesinteressen, in Luxus und mannigfachen Ansprüchen an das Leben, kurz in sogenannten großen, gebildeten Staatsverhältnissen die sogenannte Freiheit nur als Privatdelicatesse der Einzelnen sich halten lasse. Um große Volksmassen mit viel Stand und Stufe, mit complicirten, raffinirten Interessen des Gewinns und Vortheils gegen einander im Zaume zu halten, wird die Freiheit als politisches, als Gemeingut unmöglich, so daß der einzelne, freie und noble Mensch sich unter starke Regierungsmaßregeln, unter Polizei und Gewalt fügen muß, obgleich diese Institute für ihn lästig und überflüssig, und nur wegen der großen Masse gebildeten und ungebildeten Pöbels nothwendig sind.

Freiheit, wie sie in republikanischen Katechismen und revolutionären Placaten auftritt, hat sich bis jetzt noch nie praktisch bewährt und gefallen. Sie wäre blos möglich in einer ziemlich gleichmäßig gebildeten, gleichmäßig tugendhaften Gesellschaft mit gleichen Interessen. Wo trafen diese Bedingungen je zusammen?

Ein seltenes Zusammentreffen, daß dies gerade in der Transvaal-Republik der Fall ist. Die Einheit und Kraftentwickelung der großen Grundbesitzer bedarf keiner Erklärung. Es gilt im vollen Ernste ihr Leben und Eigenthum, dann auch ihre Ehre, ihren Trotz zu zeigen, daß sie des englischen Schutzes nicht bedürfen und sich selbst schützen können. Das Gesinde, bestehend aus geflüchteten Kaffern und friedlichen, civilisirten, arbeitsamen Hottentotten, hat dieselbe Stärke, dasselbe Pathos des Interesses an der Erhaltung des kleinen Freistaates und großen Dorfes. So fließt Alles in eine Kraft, ein Interesse, einen Patriotismus zusammen. Und nur so läßt sich die große, barbarische That, die uns neulich gemeldet ward, erklären.

Die angrenzenden Gebiete der Kaffern, die sich diebisch und räuberisch an den englischen und holländischen Kulturgrenzen herumtreiben, so daß die Cap-Colonie jetzt wieder einen Kaffernkrieg von dem versebastopolten Mutterlande verlangte, hatten im vorigen [425] Herbste einige Frauen und Kinder aus der Transvaal-Republik geraubt, sie zu Tode gemartert, gekocht und aufgefressen. Die zur Rettung Nacheilenden fanden noch Bruchstücke von den geraubten Frauen und Kindern in den Kochtöpfen der Kaffern, welche sich weiterer Verfolgung durch Flucht entzogen.

Die Scheußlichkeit dieses Verbrechens griff tief und gewaltig in das Herz der ganzen transvaalischen Gemeinde ein. Man beschloß, den ganzen Stamm dieser Kaffern zu vertilgen. General und, wie es scheint, Präsident Prätorius und der Commandant Potgieter organisirten in wenig Tagen die Expedition, an der alle Männer von 20 bis 50 Jahren freiwilligen Antheil nahmen, und nicht weniger als 116 große Lastwagen mit Proviant und Munition beluden. Das eigentliche Militär bestand aus 500 Freiwilligen außer denen, welche für Wagen und Ochsen zu sorgen hatten. Auch die Bewaffnung war freiwillig, und deshalb sehr individuell und malerisch schöner als die glänzendste Garde-Parade. Die ganze Artillerie bestand aus zwei Bürgerschützenkanonen. So zogen sie aus, um den ganzen schuldigen Kaffernstamm, der sich unter seinem Häuptling Makapan rühmte, ein ganzes Königreich zu sein, zu vertilgen. Das ganze Königreich hatte sich in eine von allen Seiten abgeschlossene schwarze Felsenhöhle von 2000 Fuß Länge und 300 bis 500 Breite zurückgezogen.

Diese Festung war uneinnehmbar. Man beschloß deshalb, alle Bewohner desselben verhungern zu lassen, und belagerte den einzigen Zugang zu der Höhle zu diesen Zwecke sechs Wochen lang. Während der Zeit schoß man jede Figur, die sich am Ausgange zeigte, ohne Weiteres nieder, im Ganzen 900 Personen, nur einmal ein paar Kinder mit ihrer Mutter nicht, die herausschwankten und sich an einer Quelle niederstürzten, um zu trinken. Nachdem sie getrunken, erhoben sie sich, fielen aber alle drei hintereinander todt nieder. Während der ganzen sechsten Woche war es stiller und stiller geworden in der entsetzlichen Höhle. Kein Schuß, kein Laut drang mehr hervor. So beschloß man am 17. November einzudringen, um das Werk gründlich zu vollenden. Aber sie wurden von einer Macht zurückgeschlagen, gegen welche jeder Grad von Tapferkeit zu Schanden ward, dem Geruche von mehr als 2000 Leichen. Die größere Hälfte des Stammes war vor Hunger und Durst und von dem Geruche der zuerst Verschmachteten umgekommen. Nachdem man sich überzeugt, daß keine einzige Seele des makapan’schen Stammes mehr leben könne, zogen die Helden wieder in ihre republikanische Heimath.

Die englische Times, welche besonders gegen das Verlangen eines neuen Kaffernkrieges eiferte, empfahl den englischen Colonisten dasselbe gründliche Verfahren. Die Kaffern müßten aus demselben Grunde ausgerottet werden, aus welchem man Heuschrecken, Wanzen, Flöhe und Wölfe im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt vertilge.

Die Times in das allmächtige Organ des christlich-gebildeten Englands, das seine Missionäre auch unter die Kaffern gesandt hat, unter denen sie durch Familienbildung (die Missionäre selbst sind verheirathet und geben das Beispiel einer gebildeten Häuslichkeit und Wirthschaft) schon eine unzählige Reihe von niedlichen Dörfern und Häusern, vor welchen die braunen Frauen und Töchter der Kaffern nähen, stricken, waschen und sich nach Sonnenuntergang auf das Herrlichste amüsiren, aufgebaut und zu Stammkulturstätten erhoben haben. Die meisten Kaffernstämme sind von Natur sehr bildungsfähig, scharfsinnig, wißbegierig, geneigt zu den schönsten Tugenden der Großmuth, Gastfreundschaft, Versprechenstreue und Arbeitsamkeit. Hätten englische und holländische Politik von jeher auf diese Weise englische Missionsfamilien erobert, gäbe es keinen Feind der Kultur mehr unter den Kaffern. Die Meisten Eroberungen machten die Frauen der Missionäre, nicht diese selbst mit ihren Bibelsprüchen. Die Frauen zeigten den Frauen und Töchtern der Kaffern, wie man nähen, stricken, waschen, sich schöne Kleider machen, unter Dach und Fach Wirthschaft und Ordnung halten müsse, unterrichteten die Kinder in der Schule durch das Beispiel einer sanften Weiblichkeit, und sahen sich so bald von einer Kultur umgeben, die sie selbst in Erstaunen setzte, da sich später von selbst immer mehr Wilde herandrängten und sich anbauten und anfingen, als Menschen zu leben, von einer Kultur, welche den frühern blos mit Dogmatik und ohne Frauen belehrenden Missionären immer wieder unter den Händen verschwunden war. Hatten die Engländer nur immer ehrlich gegen die Kaffern gehandelt, ihre eigene Verträge gehalten und sich als anständige Menschen benommen, wäre die Eroberung des Kaffernlandes für die Kultur wohl schon vollendet. Aber sie haben diese Wilden verwildert, die Barbaren zu Raubthieren gemacht und die Milch ihrer einfachen Denkweise in gährend Drachengift verwandelt. Aus Rohmaterial läßt sich etwas machen, aus verdorbenem nicht.

So wird das Recept der Transvaal-Republik, von der Times allerchristlichst empfohlen, wohl weiter in Anwendung kommen. Die holländischen Republikaner hatten wenigstens ein unbezähmbar empörendes, Mark und Bein erschütterndes Verbrechen zu rächen, wodurch das Entsetzliche ihrer That etwas vom tragischen Charakter annimmt, aber die Engländer tödten und morden wesentlich für Schafzucht, Baumwolle und Schiffsladungen. Der Spruch über die Kaffern und Hottentotten ist längst gesprochen und dessen Exekution dringt unaufhaltsam vom Kap der guten Hoffnung weiter ins Land hinein. Die holländische Republik spielt darin eine zunehmend bedeutende Rolle, während eine andere afrikanische Republik, die schwarze Liberia, von der Westküste Freiheit und Humanität mit schwarzem Gesichte zu Ehren bringt, zu um so größerer Ehre, als die weißen Amerikaner in ihrem „hochgebildeten“ Negermißbrauch nach Verhunzung aller republikanische Tugend auch ihre republikanischen Institutionen mit jedem Tage mehr zum Falle bringen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe Shaka (um 1787–1828) war ein König der Zulu.