Die Ueberfüllung der gelehrten Berufsarten

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Titel: Die Ueberfüllung der gelehrten Berufsarten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 706
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Der Zudrang zu den gelehrten Berufsarten, seine Ursachen und etwaigen Heilmittel. Zwei vom Allgemeinen Deutschen Realschulmänner-Verein preisgekrönte Arbeiten. Salle, Braunschweig 1889 Digitalisat
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[706] Die Ueberfüllung der gelehrten Berufsarten ist eine der brennenden Fragen der Gegenwart, mit der sich in jüngster Zeit die öffentliche Meinung vielfach befaßt hat. Die socialen Gefahren, die mit ihr verbunden sind, dürfen nicht weggeleugnet werden, das sogenannte „gelehrte Proletariat“ ist ein Uebelstand, dessen Aufkommen mit allem Ernst verhindert werden sollte. Der „Allgemeine deutsche Realschulmänner-Verein“ hatte einen Preis ausgesetzt für die Beantwortung der Frage: „Woher rührt die Ueberfüllung der sogenannten gelehrten Fächer und durch welche Mittel ist derselben am wirksamsten entgegenzutreten?“ Es wurden zwei Arbeiten, die eine von Oberlehrer Dr. Pietzker, die andere von Professor P. Treutlein, mit Preisen ausgezeichnet, und dieselben sind unter dem Titel „Der Zudrang zu den gelehrten Berufsarten, seine Ursachen und etwaigen Heilmittel“ im Verlage von Otto Salle in Braunschweig erschienen. Die Schulreformen, welche die beiden Verfasser wünschen, sind ziemlich eingreifend und die nähere Prüfung und Erörterung derselben gehört wohl in den Kreis der Fachmänner. Das große Publikum, die Eltern, welche ihren Söhnen eine höhere Schulbildung angedeihen lassen, können vorderhand mit Reformplänen nicht rechnen; sie müssen sich in die gegebenen Verhältnisse fügen, aber für sie ist es von großem Interesse, zu erfahren, wie es eigentlich um die Ueberfüllung der gelehrten Fächer bestellt ist. Eine nähere Prüfung dieser Frage finden wir in der Arbeit von Prof. Treutlein. Das Bild der Ueberfüllung ist in den verschiedenen deutschen Staaten verschieden. Im großen und ganzen dürfte jedoch das folgende Gesamtergebniß als allgemein gültig und zutreffend angesehen werden:

Eine entschiedene Ueberfüllung ist bei den Juristen und Lehrern für höhere Schulen festgestellt worden. In diesen Fächern giebt es mehr Kandidaten als freie Stellen, und selbst die Nebenfächer, die von dieser Klasse der Gelehrten versorgt werden, die der Bibliothekare und Archivbeamten, sind ungemein übersetzt.

Dasselbe ist auch bei den Chemikern der Fall. Im ärztlichen Stande tritt die Erscheinung zu Tage, daß nur die Großstädte zum größten Theil mit Aerzten überfüllt sind, während auf dem Lande sich noch vielen Aerzten das Feld zu einer ersprießlichen Thätigkeit bietet. Man hört zwar Klagen über den verschärften Wettbewerb auf diesem Gebiete, aber die Statistik zeigt, daß von einer Ueberfüllung in diesem Berufe im ganzen nicht eigentlich die Rede sein kann. Was endlich das vierte Fach, das der „Gottesgelahrtheit“ anbelangt, so verlautet hier nichts von einem übermäßigen Zudrang; im Gegentheil, sowohl in der protestantischen wie in der katholischen Kirche ist ein Mangel an Theologen fühlbar.

Es erhellt nun daraus, daß namentlich diejenigen Fächer, welche auf eine Amtsstelle Aussicht eröffnen, überfüllt sind. Thatsache ist es, daß, während unsere Bevölkerung in den letzten 18 Jahren im Verhältniß von 100 auf 114,8 gewachsen ist, in derselben Zeit eine Steigerung der Studentenzahl von 100 auf 211,6 vor sich gegangen ist.

Wenn auch viele neue Amtsstellen geschaffen, neue Schriften etc. gegründet worden sind, so ist doch die Nachfrage nach Stellen größer als das Angebot, eine Ueberfülle von gelehrten Kandidaten unverkennbar.

Dies sollte für die Eltern ein Wink sein, dort, wo wirkliche Begabung nicht in Frage kommt, von dem Erzwingen einer gelehrten Lebenslaufbahn bei ihren Söhnen abzusehen. Der Allgemeinheit erwächst aber angesichts dieser Thatsache die Pflicht, dahin zu wirken, daß die „nicht gelehrten“ Berufsarten, Gewerbe, Handel, Handwerk und Landwirthschaft, mehr zu der ihnen gebührenden Ehre und Anerkennung in der Oeffentlichkeit gebracht werden, als dies bis jetzt mitunter der Fall ist.

Auf das Ehrenvolle, Nützliche und Ebenbürtige dieser Berufe im Vergleich zu den gelehrten Fächern sollte namentlich die Jugend schon frühzeitig und nachdrücklich aufmerksam gemacht werden. Das ist ein Mittel, mit dem die Gesellschaft selbst zum Theil jener schädlichen Ueberfüllung steuern kann.
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