Die Universität Göttingen
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
Wenn wirklich aus der Verwesung der vergangenen Welt ein neuer Geist, bildend und neugestaltend, aufsteigen soll, dann muß er nothwendig zuerst in dem neuen Geschlechte geboren werden, daß die werdende Zeit zu beherrschen gesendet ist. Mag die absteigende Generation des Nachgenusses der Vergangenheit sich erfreuen; mag sie ihre Irrthümer beweinen, oder mit starrem Eigensinn ihre Thorheiten zu vertheidigen sich bemühen: die aufsteigende, – die Jugend, – soll mit frischem Lebensmuthe in die Geschichte treten. Die Erfahrung der Vergangenheit darf sie nicht verschmähen; aber auf die Erbschaft der Irrthümer und Thorheiten jener soll sie verzichten. Vor Allem aber soll sie durch rege Theilnahme an dem Oeffentlichen sich zu dem Werke befähigen, das zu vollbringen sie berufen ist.
Ward solcher Beruf nicht gültig gefunden aller Orten, damals, als es galt, das Vaterland zu lösen aus fremdem Joch und das blühende Leben einzusetzen zum Schirm der jungen Freiheit mit dem Schwerte? Und kam ihm damals die Jugend nicht mit Ehren nach? So ist es ja Thorheit, einen Geist um seines Daseyns willen anzuklagen, den man selbst hervorgerufen, oder zu verdammen, was man selbst verschuldet. Und der Geist, den man heraufbeschworen am heiligen Abend vor den Siegesfesten, ist ein guter Geist. Nur mißleitet kann er Bösem dienen, und eben an seiner Leitung soll die Weisheit der Alten sich bewähren.
Vor allem Gelassenheit und keine Furcht im Angesichte dieser Jugend; keine Anfeindung auch und auch keinen Argwohn. Eine gute Regierung hat nicht nöthig, die Nichtswürdigkeit auf Kundschaft nach geheimen Umtrieben zu legen. Wenn sie nur einigermaßen würdig ist, steht ja ohnehin alles Gute mit ihr in geheimem Einverständnisse, und eine solche hohe Polizei läßt nicht leicht einen Frevel, der geheimer Zusammenwirkung bedarf, im Verborgenen. Darum, wenn sie sonst der öffentlichen Bewegungen in der Gesellschaft Meisterin geblieben, [78] darf sie, am wenigsten in Deutschland, vor Verborgenem zittern, und ihre gelassene Aufmerksamkeit von ihrem Wege ablenken lassen. Jedem Unzufriedenen wird sie billigen Spielraum gönnen, jeden Uebelgesinnten bei der That erwarten; denn sie wird nie zweifeln am gewissen Siege. Aber sie wird auch nicht müde werden, aus den vorhandenen Thatsachen, auf analytischem Wege, die Ursachen zu erforschen, (die ihr kein Heilausschuß mit unbeschränkter Vollmacht entdecken wird), und nie sich scheuen, mit der Hinwegräumung der Ursachen die Wiederkehr der Wirkungen unmöglich zu machen.
Warum hat man nicht also überall gethan? Was hat die Pforten des Unterreichs aufgerissen, was hat die Leidenschaften losgekettet, was hat die Furien herauf beschworen auf deutsche Erde, die die Brunnen des öffentlichen Lebens grausam vergifteten? O daß ich die Antwort mit meinem Herzblut an die Pforten des Vaterlandes schreiben dürfte! Aber was ich nicht auszusprechen wage, die Formel, welche die Furien zurückzuschrecken Macht hat in den Abgrund, dem sie entstiegen, und die ihn verschlossen halten würde für immer: im Herzen jedes Biedermanns, der’s wohlmeint mit dem Vaterlande, steht sie verzeichnet, leferlich Allen, die darinnen lesen mögen. –
Die kleine Quelle eines Stromes mag der Fuß eines Kindes aus ihrem Laufe drängen; aber den Strom selbst hemmt keine menschliche Kraft. Was hie und da jetzt vorgeht, ist wie Quellenrieseln, wie Windeswehen, wie Baumeswachsen. Aber trotz unheimlicher Zeichen grünt und schattet die deutsche Eiche doch so herrlich! Wie sollte man Gefallen daran haben, Blitze hinein zu schleudern, damit ihre Krone zum dürren Geniste werde und sie nur unterirdisch fortwachse: denn fortwachsen muß sie, und an die Möglichkeit des Vertilgens glaubt der Teufel selbst nicht.
Allerdings hat sie auch einige welke Zweige. Wenn die Blitze nur diese träfen, damit die regenerirenden Keime an ihrer Stelle sich um so schneller entwickelten, wäre es nicht übel gethan. Unsere Rechtspflege z. B., und unser Unterrichtswesen, das auf den Akademien besonders, hat schon längst einer Neu-Begeistigung und Umgestaltung bedurft. Seit einer Reihe von Jahren sind die Universitäts-Disciplinen in Zwietracht mit den Forderungen der Zeit und des Lebens. Von Jahr zu Jahr immer mehre der dürren, welken Aeste strecken jene Institutionen vom Mutterstamme aus. Aufgelöst, morsch, faul und verwittert ist das meiste an ihnen, und der Geist der Verwesung geht um auf den Kathedern. Es hilft kein Tempelneubauen, wenn die Götter verschwunden sind. Wie in Ruinen hört man’s in ihren Grundvesten und Wänden knistern, als nage vernehmlich der Zahn der Zeit an ihrem Bau; Tragpfeiler bersten, die Mauern rücken aus dem Lothe und nur der grüne Epheu, der sie umrankt, oder das Gerüste, das die Nothwendigkeit endlosen Ausbesserns um den morschen Bau gespannt hat, hält diesen nothdürftig noch zusammen. Aber die Masse, unverwüstlich wie der Urfels, aus dem sie gehauen, ist gesund und für Wiedergestaltung gar wohl empfänglich.
[79] Auch dir, ehrwürdige, so plump mißhandelte Georgia Augusta, ist der neue, glänzende Tempel, den dir ein freundlicher Fürst gebaut, ein Leichenhaus, so lange die Stunde der Verklärung dir nicht geschlagen, welche dir weniger als irgend einer deiner Schwestern vorenthalten seyn wird. Ueber dem Zifferblatt, das jene Stunde zeigt, hat die Zukunft ihren Schleier geschlagen; wir wissen nur so viel: was dir geschehen ist und noch geschehen mag im Geiste des Geschehenen gegen den Naturgang der Dinge, das muß, indirekt, früher zum Ziele führen. Wenn die Zeit wird kommen, wo ein Gedanke alle Köpfe wie ein Contagium entzündet, wo eine Idee, in lichtem Schimmer aufgelöst, durch die Pforten der Sinne einzieht in alle Geister, dann wirst auch du von neuem einziehen in deinen Tempel, und eine zweite Weihe wird ihm werden, schöner, als die jüngstvergangene.
Göttingen, (12,000 Einw.), eine alte, doch eine der freundlichsten Städte Norddeutschlands, in einer schönen und fruchtbaren, gegen Süden von den Vorbergen des Harzes geschlossenen Gegend, ist weltberühmt durch seine Universität, die der englische König Georg II. unter dem Namen Georgia Augusta 1737 stiftete. Der freie, ächt-wissenschaftliche Geist, und die liberalen, fast kosmopolitischen Tendenzen, welche sich sogleich bei der ersten Besetzung ihrer Lehrstühle offenbarten und ungestört fortbildeten, verliehen der Universität eine nicht sowohl nationale, als europäische Bedeutung. Ausländer kamen zu Tausenden hierher. Die mit englischer Freigebigkeit dotirten Lehrstühle nahmen fast stets Männer ein, welche, im Phalanx des gelehrten Europa, als die ersten ihres Fachs, in den vordersten Reihen glänzten. Die Namen Tychsen, Langenbeck, Blumenbach, Heeren, Lücke, Ewald, Hugo, Meister, Bergmann, Beier, Stromeier, Osiander, Gans, Schütze, Hausmann, Müller, Wendt, Mitscherlich etc. etc., bilden einen Zyklus, wie ihn, gleichzeitig, keine andere Hochschule aufweisen kann.
Ein würdiger, ächt vornehmer Ton, der von jeher in Göttingen in dem Lehrerkreise herrschte, und der durch die Menge von fürstlichen Personen, welche ihre Studien hier machten, unterstützt und getragen wurde, mußte nothwendig auch auf den Ton unter den Studenten überhaupt zurückwirken. Dieser war stets anständig und freier von burschikosen Rohheiten, als sonst wo. Der Aufenthalt ist übrigens an keiner andern deutschen Universitätsstadt so kostbar wie hier; ein Umstand, der sich leicht erklären läßt.
Zur Zeit der höchsten Frequenz hatte Göttingen 1800 Studierende. Wegen der regen Theilnahme der Göttinger an der Burschenschaft, dem Wartburgfeste und anderen, die Regierungen ängstigenden Erscheinungen der damaligen Zeit wurde durch gemeinschaftlichen Beschluß ein zweijähriger Verruf über Göttingen ausgesprochen, welche Maßregel die Universität verödete und die Zahl ihrer Besucher auf 400 herab brachte. Göttingen erhob sich seitdem nie wieder zum früheren Glanze. Seine Schicksale in neuester Zeit sind zu frisch im Andenken aller Leser, um mehr als der bloßen Hindeutung zu bedürfen.
[80] Göttingen besitzt mit königlicher Freigebigkeit dotirte wissenschaftliche Anstalten und Sammlungen aller Art: ein Seminar, Gelehrten-Vereine in Menge, eine Sternwarte, ein Anatomisches Theater, ein Klinisches Institut, einen Botanischen Garten, ein Museum für Naturgeschichte, und eine Bibliothek, für neuere Literatur die reichste in der Welt, mit mehr als 300,000 Bänden und über 6000 Manuscripten. – Die im Stahlstich dargestellte neue, prachtvolle Aula, ein Geschenk König Wilhelm’s des Vierten, wurde am Jubel-Stiftungsfeste der Georgia, am 19. September vorigen Jahrs, feierlich eingeweiht und der Universität übergeben.