Die Vögel im Volksglauben

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Autor: Moritz Busch
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Titel: Die Vögel im Volksglauben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 353–356
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[353]
Die Vögel im Volksglauben.
Von Moritz Busch.
Die Schwalbe, ein Glücksvogel. – Der Storch, der Liebling der Familie. – Der Kukuk als Prophet. – Der Rabe und die Rabensteine. – Die Elster, ein Unglücksvogel, wie Dohle und Eule. – Die Glück bringenden Kreuzschnäbel, Rothschwänzchen u. A. – Die Nachtigall, eine verwünschte Schäferin.


Unsere Freunde, die Sommervögel, sind nun vollzählig wieder da. Einer nach dem andern stellten sie sich ein, wie eine nach der andern die Blumen aufblühten. Die Schwalbe baut unterm Thorbogen und an das Fenstergewände ihr Nest, und auf dem Dachfirste klappert ein ernstes Storchenpaar. In den Wipfeln und Hecken der Gärten zirpt und zwitschert vergnügtes kleines Federvolk in bunten Kleidern. Stieglitze und Zeisige, Hänflinge und Meisen, Rothkehlchen und Rothschwänzchen, Drosseln und Laubsänger lassen sich hören. Die Amsel flötet; die Wachtel schlägt ihr „Pickerwick“ im Getreidefelde; aus tausend Kehlen wirbelt über der grünen Saat das Geschlecht der Lerchen den Preis des Frühlings in den blauen Himmel hinein. Im Schilfe am See ertönt das dumpfe Brüllen der Rohrdommeln. Die einsame Haide ist belebt von Stimmen. Auch das Orchester des Waldes ist nun vollständig besetzt. Durch alle Zweige huscht die Farbenpracht seines Gefieders. Liebe und Sehnsucht, Freude an der Morgensonne, hundert andere Empfindungen bilden trillernd, schmetternd, langtönend von allen Schattenplätzen her das Concert der erwachten Natur. An den Säumen und Lichtungen des Waldes lassen Edelfink, Grasmücke und Nachtigall, die Meistersänger der Thierwelt, uns ihren Strophen lauschen. Weiter drinn erfüllt die wilde Taube mit ihrem Girren und Rucksen das dämmernde Dickicht. Der Specht weckt mit schallendem Hämmern den Widerhall zwischen den hohen Stämmen, und aus fernen geheimnißvollen Gründen und Breiten trifft unser Ohr der tiefe Ruf des Kukuks und die helle Stimme des Pirols. Mit dem grauenden Tage beginnt die Musik, nur in den Mittagsstunden wird es still, sodaß auch das niedere Volk der Kerbthiere zu Worte kommt, das nun in der Schwüle sein schwermüthig stimmendes Summen wie das Murmeln eines fernen Meeres vernehmen läßt, bis die sinkende Sonne die Vögel auf’s Neue zum Gesange anregt.

Daß dies Alles sehr artig und anmuthig ist, daß es auf das Gemüth, dem nicht alle Thüren zum Naturgenuß verschlossen sind, einen tiefwirkenden Zauber ausübt, sehen wir auch an dem sogenannten geringen Manne und bei ihm vielleicht am meisten, namentlich, wo Wohnort und Beruf ihn viel in Wald und Feld verkehren lassen. Wer hätte nicht von dem feinen Gehöre des thüringer Waldbewohners und des Harzers gehört, das im Schlage des Finken gegen zwanzig Nüancen unterscheidet und auch anderer vornehmer und gemeiner Vögel Sprache und Musik versteht? Und wer kennt nicht die Rolle, welche die Vogelwelt in unseren Volksliedern spielt?

Weniger an diese Anmuth der Gestalt, der Farbe und Stimme denkt der Volksglaube in Betreff der Vögel, der wie aller Volksglaube im Wesentlichen der neben dem modernen Denken und Empfinden hergehende Nachhall altheidnischer Vorstellungen ist und in einer Anzahl von gefiederten Geschöpfen nicht sowohl schöne als heilige Thiere erblickt. Warum sie heilig sind, weiß er in der Regel nicht. Die Wissenschaft aber weiß es: sie sagt uns, daß sie einst zu den Göttern unserer Urväter in Beziehung standen. Damit wird sich das Meiste erklären, was ich im Folgenden zu einem Gesammtbilde zusammengestellt habe.

Ich beginne mit den Schwalben, über welche das Volk in ganz Deutschland einig ist, daß sie heilige Vögel sind, die Glück bedeuten und nicht beleidigt oder gar umgebracht werden dürfen.

Die Schwalben, wegen ihrer rothen Brust einst wahrscheinlich dem rothbärtigen Gewittergotte Donar heilig, haben nach dem Volksglauben allerlei wunderbare Eigenschaften. In Schwaben heißen sie „Herrgottsvögel“, in Tirol, wo man im Oberinnthal sagt, sie hätten Gott Vater den Himmel bauen geholfen, und ebenso in einigen Strichen Schlesiens „Muttergottesvögel“. Bei Meran ist ihr Erscheinen und Verschwinden durch die Feste der heiligen Jungfrau bestimmt: Sie kommen an Mariä [354] Verkündigung und gehen an Mariä Geburt. Allenthalben herrscht die Meinung, daß das Haus, in welchem sie nisten, gesegnet und vor Unheil geschützt ist. Im Oberinnthale heißt es: Wo Schwalben sich anbauen, giebt es keinen Unfrieden; im Oetzthale: Die Anwesenheit von Schwalben macht ein Dorf reich, und mit ihnen verläßt der Segen das Haus. Im Vinschgau und ebenso in ganz Schwaben und Westphalen glaubt man, daß da, wo sie ihr Nest haben, der Blitz nicht einschlage, zu Crombach bei Olpe, daß ein solches Haus überhaupt vor Feuersgefahr sicher sei. Um diesen Glücksvögeln den Eingang nicht zu verwehren, lassen in anderen westphälischen Gegenden manche Leute im Sommer Tag und Nacht die Fenster offen. Früher ging in diesen Landstrichen an den Tagen, wo man ihre Wiederkehr erwartete, die ganze Hausgenossenschaft, den Familienvater an der Spitze, ihnen entgegen bis an das Heck, das heißt das Thor des Gehöftes. Festlich wurde ihnen die Scheune geöffnet. Die Schwalbe kümmere sich, so meinte man, um die Wirthschaft; sie fliege bei ihrer Ankunft durch Diele und Scheune und gucke in alle Ecken und Winkel. Finde sie Unordnung und zu geringe Vorräthe, so schelte sie:

„To Joar, ar ik fut genk,
Wören alle Skoppen un Skiuren vull;
Nu, ar ik weer kam,
Is Alles verquickelt, verquackelt, verheert un verteehrt.“

Das heißt: „Vorm Jahre, als ich fortging, waren alle Schuppen und Scheuern voll; jetzt, wo ich wiederkomme, ist Alles verlottert, verzettelt, verheert und verzehrt.“

In der Neumark muß man sich, wenn man die erste Schwalbe sieht, sogleich waschen, denn wer das unterläßt, dem verbrennt die Sonne das Gesicht. In Tirol soll man beim Anblick der ersten Schwalbe sogleich stehen bleiben und mit einem Messer unter dem linken Fuße die Erde aufgraben; man wird dann eine Kohle finden, die das kalte Fieber vertreibt. Ebendaselbst heißt es, daß die Schwalben, wenn sie sieben Jahre in einem und demselben Neste gebrütet haben, darin ein Steinchen zurücklassen, welches große Heilkraft, vorzüglich bei Augenübeln, besitze. Im Eggethale sind zwei Bauern, die einen solchen Stein haben. Er soll von wunderbarer Schönheit sein. Im Unterinnthal verschafft man sich die Springwurzel, die alle Schlösser und Riegel öffnet, dadurch, daß man ein Schwalbennest mit starken Fäden umwickelt und so den Eingang verschließt. Dann kommt die alte Schwalbe mit jener Wurzel, macht das Nest damit auf und läßt sie darauf fallen. Nur im Lippeschen scheint der Glaube zu herrschen, daß man da, wo Schwalben nisten, keine Kälber groß ziehen könne, und nur in westphälischen Dörfern kommt die Meinung vor, daß eine Kuh, wenn eine Schwalbe unter ihr weggeflogen sei, Blut statt Milch gebe. Sonst gilt die Schwalbe allgemein für glückbedeutend, ihr Fernbleiben für gefährlich und ihre Verletzung oder Störung für Frevel, der sich rächt. Im Pusterthal, bei Bühl in Schwaben sowie im Lechrain hat der, welcher eine Schwalbe tödtet, Unglück mit seinem Viehe, namentlich geben ihm dann die Kühe rothe Milch. Zu Nauders in Tirol stirbt dem Frevler Vater oder Mutter; in dem benachbarten Telfs „theilt sich bei solcher Unthat der Himmel“, das heißt es blitzt; im Oberinnthal folgt als Strafe, daß das Haus des Thäters binnen Kurzem niederbrennt. Zu Sarsans in Tirol sowie im Oetzthale kostet das Zerstören oder Ausnehmen eines Schwalbennestes die beste Kuh im Stalle. Ferner sind die Schwalben auch prophetische Vögel. In gewissen Strichen Westphalens muß man, sobald man die erste im Jahre kommen sieht, unter seinen Füßen nachsuchen, ob da ein Haar liegt. Findet sich eins, so ist es von der Farbe der Haare, welche die zukünftige Frau trägt. Ziehen im Unterinnthal die Schwalben während des Sommers aus einem Hause, so wird bald Jemand sterben. Wieder allgemein ist die (vielleicht richtige) Ansicht, daß Hochfliegen der Schwalben gutes Wetter, Tieffliegen schlechtes bedeute. Endlich kommt die Schwalbe in einem sympathetischen Zauberspruche des Harzes vor, mit dem Flechten beschworen werden und der folgendermaßen lautet:

„De Schwale und de Flechte,
De floge wohl ober dat wille Meer;
De Schwale, de kam wedder,
De Flechte nimmermehr.“

Ein sehr alter Aberglaube, der schon im dreizehnten Jahrhunderte aufgezeichnet wurde, ist der, daß die Störche, zu denen wir uns jetzt wenden, nur bei uns in Vogelgestalt leben, in den fernen Gegenden aber, nach denen sie von uns im Herbste wegziehen, Menschen sind, welche alle Jahre sich in Störche verwandeln. Diese Meinung, schon bei Gervasius von Tilbury zu finden, herrscht noch gegenwärtig in Ostpreußen. Auch in der Nachbarschaft von Uchte in Westphalen hält man die Störche für verwandelte Menschen und erklärt daraus ihr eigenthümliches Wesen. Wenn die Jungen flügge geworden sind, sollen sie hier in der Luft über dem Neste tanzen. Im Herbst ziehen sie mit den Alten fort, aber im nächsten Frühjahr kommen nur diese wieder. In Schwaben sagt man: wenn der Storch eine Zunge hätte, so würde er reden und dann Land und Leute verrathen, weil er Alles sieht und hört. Wo indeß etwas Besonderes vorgeht, giebt er noch immer ein Zeichen, indem er klappert. Sieht man den Storch zum ersten Male, so wird man, wenn er klappert, in diesem Jahre viel Geschirr zerbrechen, wenn er steht, faul sein, wenn er fliegt, fleißig arbeiten – sagt der Bauer in Mecklenburg und Hannover. In der Altmark aber bedeutet dann der fliegende Storch einem Mädchen, daß sie bald heirathen, der stehende, daß sie nächstens Gevatter stehen wird. In Niedersachsen heißt es, wenn man beim Anblick des ersten Storches Geld in der Tasche hat, so hat man dessen das ganze Jahr über. Allgemeiner Kinderglaube ist, daß der Storch die kleinen Brüder und Schwestern bringe. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg rufen daher die Knaben ihm, wenn er über sie hinfliegt, zu:

„Attebar, Du goder,
Bring mi en lüttjen Broder,
Attebar, Du bester,
Bring mi ’ne lüttje Söster.“

In Schlesien meint man, wenn ein Storch über das Haus fliege, so gebe es darin bald ein Kind, und auf der Insel Rügen ist man der Ansicht, daß, wenn die Störche keine Eier legen, in dem Hause, auf dem sie nisten, keine Kinder geboren werden, und daß, wenn die jungen Störche sterben, auch die kleinen Kinder in dem Hause unter ihnen nicht am Leben bleiben. Auch der Storch ist unverletzlich, und auch er schützt das Haus, auf dem er sich ansiedelt, vor Wetterschlag – ein im Norden wie im Süden verbreiteter Glaube. Wer sein Nest zerstört oder ihn selbst tödtet, hat den Blitz zu fürchten – sagt man in Schwaben, und auf Rügen darf man auf ihn nicht schießen; denn wenn er angeschossen ist, so weint er große Thränen, von denen jede ein Vorzeichen großen Unglücks ist. Auf eine Beziehung zur Ehe weist ferner hin, daß man in Westphalen glaubt, der Storch verlasse das Dach, unter dem Unfrieden herrsche, und daß man in Schwaben wissen will, wenn die Störche sich im Herbste versammelten, um fortzuziehen, und unter ihnen sich ein „Ungrader“ befinde, d. h. ein Männchen oder Weibchen, das sich nicht paaren könne, so werde es von den Uebrigen todtgehackt. Ebenfalls hierher gehört der westphälische Aberglaube, nach welchem der Storch, der „unpaare“ Brut im Neste habe, eines davon für den Teufel herauswerfe. Naiv und komisch ist die im Oldenburgischen hier und da zu hörende Meinung, die herbstlichen Versammlungen der Störche seien Zusammenkünfte der Freimaurer, wobei mitunter auch einer todtgebissen würde. Wo man dem Storch ein Nest macht, was häufig durch Aufstecken eines alten Wagenrades, in dessen Speichen man Zweige flicht, bewerkstelligt wird, wirft er nach norddeutschem und schwäbischem Volksglauben das erste Jahr zum Danke eine Feder, das zweite ein Ei und das dritte einen jungen Storch herab.

Der Kukuk, der ebenfalls zu den Göttervögeln des deutschen Heidenthums gehörte, indem er zu Donar und Freia in naher Beziehung stand, gilt allenthalben als Prophet. Wenn er nach Johanni ruft, so giebt es nach der Meinung der tiroler Landleute Mißwachs oder einen kalten Winter. Schreit er auf einem Hause, so steht darin ein Todesfall oder sonst ein Unglück nahe bevor. In ganz Nord- und Mitteldeutschland und ebenso in Tirol und Schwaben geht die Rede, daß er Einem, wenn man ihn zum ersten Male im Jahre rufen höre, die Frage beantwortet könne, wie lange man noch lebe. Man zählt nach getaner Frage nach, wie oft er schreit, und so viel Rufe man vernimmt, so viel Jahre hat man noch zu erwarten. Fast ebenso allgemein glaubt man, wer beim Hören des ersten Kukuksrufes Geld in der Tasche habe, dem könne es im ganzen Jahre nicht daran fehlen; doch muß man in der Neumark, in dem westphälischen Büren und in [355] Schwaben dabei mithelfen, indem man mit dem Gelde klimpert oder es umdreht. In Nord- und Mitteldeutschland endlich giebt der Kukuk den Mädchen und Burschen auf ihre Frage an, wie viel Jahre sie noch ledig bleiben. Der Tag, an dem man in Westphalen den weissagenden Waldvogel zum ersten Male auf eigenem Grunde und Boden rufen hörte, war früher ein festlicher. Wer den ersten Kukuksruf melden konnte, bekam ein Ei, das er sich briet. Er begrüßte die ihm Begegnenden nicht Mit „Guten Tag!“ sondern mit den Worten „Der Kukuk hat gerufen.“ Bei Hilchenbach in Westphalen wälzte sich der Glückliche im Grase; dann that ihm das ganze Jahr der Rücken nicht weh. Eigenthümlich ist die zu Pill in Tirol herrschende Meinung, [356] daß der Kukuk von „Brandelen“, das heißt Rothschwänzchen, ausgebrütet werde, dann ein Jahr lang Kukuk, darauf ein zweites Stoßgeier sei, als welcher er seine Stiefbrüder fresse, und endlich im dritten ein Hennengeier werde.

Ungemein viel Aberglauben knüpft sich ferner an die Raben, die Vögel des Göttervaters Wuotan. Wenn sie in Schwaben in der Luft gegen einander fliegen, so bedeutet das Krieg. Kreisen sie im Oetzthale über einer gewissen Stelle auf der Alm und fahren sie dann plötzlich zu Boden, so geht dort binnen drei Tagen ein Stück Vieh zu Grunde. Allgemein ist der Glaube, daß ihr Krächzen vor oder auf einem Hause einen in demselben zu erwartenden Todesfall anzeige. Die Raben sind die klügsten Vögel; „sie riechen das Pulver in der Flinte“ – sagt man in Tirol. Zu Derendingen in Schwaben weiß man, daß, wenn man Rabeneier ausnimmt, kocht und dann wieder in ihr Nest legt, der alte Rabe eine Wurzel herzubringt, die man sich holen und stets bei sich tragen muß, indem man dann bei allen Käufen und Verkäufen Glück hat. In Tirol herrscht ein ähnlicher Glaube. Nur holt der alte Rabe, wenn er die gekochten Eier findet, aus dem Meere einen Stein, der unsichtbar macht. In dem tirolischen Nonsberg weiß man mehr von diesen Rabensteinen, die sich beiläufig auch in den Nestern von Elstern und Gratschen (Hähern) finden sollen, zu erzählen. Dieselben machen hier nicht blos unsichtbar, sondern verleihen, auf der bloßen Haut des rechten Armes getragen, Glück in allen Dingen. Wer einen solchen suchen will, muß wissen, daß er in gewissen Nestern liegt. Diese aber kann man nur vermittelst eines Spiegels finden, da der Stein Alles, was in seiner unmittelbaren Nähe ist, für den direct darauf gerichteten Blick unsichtbar macht. In Neuvorpommern und auf Rügen ist das Verfahren ein anderes. Wer einen Rabenstein haben will und ein Rabennest weiß, dessen ältere Bewohner bereits hundert Jahre alt sind, der muß hinaufsteigen und einen der jungen Raben tödten, der aber ein Männchen sein muß und nicht über sechs Wochen alt sein darf. Nun steigt man von dem betreffenden Baume herab, merkt sich aber dessen Stelle. Denn gleich darauf kommt der alte Rabe zurück und legt den kostbaren Stein in den Schnabel seines Söhnchens, worauf Baum und Nest sofort unsichtbar werden. Darauf fühlt man nach dem Baume, steigt wieder nach dem Horste des Rabenpaares hinauf und holt sich den Stein. Auf Rügen glaubt man, daß ein solcher Erwerb nur mit Hülfe des Teufels gelinge, dem der Betreffende dafür seine Seele versprechen müsse. Schwäbischer Bauernglaube ist, daß die jungen Raben die ersten neun Tage hindurch nur vom Thau des Himmels leben. Weil sie nämlich nackt und hell sind, so meinen die Alten, es sei nicht ihre Nachkommenschaft, und bringen ihnen kein Futter. Doch sehen sie bisweilen nach dem Neste, und bekommen die Jungen am zehnten Tage schwarzen Flaum an der Brust, so holen sie ihnen das erste Aas.

Eine ähnliche Stellung wie der Rabe nimmt im Volksglauben mancher Gegenden die Elster ein, die in enger Beziehung zu verschiedenem Zauberwerke steht. Sie ist ein Unglücksvogel. Zwar sagt man in Schlesien, wenn sie recht munter „schackere“, das heißt schwatze, so habe man liebe Gäste zu erwarten, sonst aber weiß ihr „Schackschackerack“ nur Unangenehmes zu prophezeien. Wenn in Tirol Elstern um ein Dorf schreien, so hat dasselbe Hungersnoth oder große Sterblichkeit zu erwarten. Fliegen sie um ein Haus, so giebt es darin Unfrieden oder einen Unglücksfall oder auch unwillkommenen Besuch. In Westpreußen und Hessen giebt es in dem Hause, vor welchem eine Elster schreit, an demselben Tage noch Zank und Streit, und in der Wetterau bedeutet der Flug eines solchen Vogels quer über ein Dorf, daß man hier bald einen Leichenzug sehen wird. Wenn neun Elstern beisammen sind, sagt man im Lechthal, so ist unfehlbar eine Hexe darunter. Wer zu Münster im untern Innthale eine Suppe ißt, in der man eine Elster gesotten hat, der wird irre. In der Mark dürfen Elstern nicht geschossen werden, weil das Unglück bringt. Dasselbe gilt in der Wetterau von den Bachstelzen, die in Tirol sich gern bei Kühen aufhalten, „weil sie früher Kühe waren“.

Andere Unglücksvögel sind die Dohlen, die, wenn sie in Schaaren ziehen, in Tirol Sturm, in der Wetterau Krieg verkünden, die Eule, die allenthalben durch Krächzen in der Nähe eines Hauses einen Sterbefall anzeigt, und in der Mark, Schlesien und Oesterreich der Hahn, wenn er in ein Haus hineinkräht. Auch eine krähende Henne bedeutet Unglück; doch kann man dasselbe abwenden, wenn man ihr sofort den Hals umdreht. Wenn ein Hahn sieben Jahre alt ist, legt er ein Ei, aus dem ein Drache entsteht – heißt es in Tirol. Ebendaselbst verheißt es Glück, wenn Einem bei Geschäftsgängen ein weißer Hahn begegnet. Träumt Einem aber von weißen Hennen, so stirbt bald ein guter Freund.

Glücksvögel sind wieder der Kreuzschnabel und das Rothschwänzchen, jener vermuthlich, weil sein Schnabel die Rune Donars bildete, die später als Kreuz aufgefaßt wurde, dieses aus ähnlichem Grunde wie die rothbrüstige Schwalbe, das heißt als Donarsvogel. Der Kreuzschnabel hält im Harze den Blitz von dem Hause fern, in dem er wohnt. In Tirol heißt es, wenn in einem Hause eine Krankheit ausbreche, so fahre sie in diesen Vogel; er schütze ferner die Bewohner desselben vor „bösen Leuten“, das heißt vor Hexen, und das Wasser, in dem er sich gebadet, sei gut gegen die Gicht. Die Rothschwänzchen sind wie die Schwalbe und der Kreuzschnabel ein Schutz vor dem Wetterstrahle, der andererseits Dem in’s Haus fährt, welcher sie tödtet oder ihnen die Jungen aus dem Neste holt. Im Zillerthale wird ein solcher von der Epilepsie befallen; im Oberinnthale giebt alles Vieh des Mörders oder Räubers rothe Milch, und sogar das Wasser in seinem Hause nimmt eine Blutfarbe an; in anderen tirolischen Thälern verliert er die beste Kuh im Stalle; wieder anderswo sagt man, so viele Rothschwänzchen man aus einem Neste nehme, so viele Verwandten stürben Einem in den nächsten zwölf Monaten. An einigen Orten in Tirol haben diese Vögel indeß nicht die Rolle von glückbringenden oder schützenden Vögeln; denn in Absam sagt man: wo „Brandelen“ nisten, schlägt der Blitz ein, und in Schwaz heißt es, in dem Hause, über das ein Rothschwänzchen fliege, sterbe bald Jemand von der Familie.

Der Wiedehopf, „des Kukuks Knecht“, liefert in Tirol ein Zaubermittel. Wer Augen von ihm in der Tasche hat, ist bei allen Menschen beliebt und hat vor dem Richter Glück, und wer den Kopf eines solchen Vogels bei sich trägt, kann von Niemand betrogen werden. Auf ein Feld, auf welchem Wachteln nisten, fällt in der Oberlausitz kein Hagelschlag, und in Schlesien, Hessen, Süddeutschland und Tirol begegnen wir der Meinung, daß dieser Vogel auch Prophetengabe besitze. So viele Male er bei seinem ersten Schlage im Frühjahre ruft, heißt es hier, so viele Jahre bleibt ein Mädchen oder Junggesell noch unverheirathet, oder so viel Gulden oder Thaler wird nach der nächsten Ernte der Scheffel Korn oder Dinkel kosten. Bei Schwaz meint man, wenn ein mit der Fallsucht Behafteter von dem Wasser trinke, in dem ein Gimpel sich gebadet habe, so genese er von seiner Krankheit, und bei Lienz im Innthale herrscht der Glaube, daß in dem Hause, in welchem ein solcher Vogel gehalten werde, Niemand den Rothlauf bekomme. Im Unterinnthale haben auch die Zeisige in ihren Nestern Steine, welche unsichtbar machen, und die man deshalb „Blendsteine“ nennt. Auf der Insel Rügen heißt es von der Nachtigall, dieselbe sei eine verwünschte Schäferin, die ihren Liebsten, einen Schäfer, schlecht behandelt habe, da sie ihn ihre und seine Heerde bis tief in die Nacht hinein habe treiben lassen. Lange schon habe sie ihm versprochen gehabt, seine Frau zu werden, niemals aber Anstalt dazu gemacht, sodaß Jener endlich im Zorne ausgerufen habe, er wünsche, daß sie bis an den jüngsten Tag nicht schlafen könne. So ist’s denn auch – wie die beiläufig nicht aus dem Volksglauben, sondern aus einem Wortspiele entstandene Geschichte weiter berichtet – richtig gekommen: die hartherzige Schäferin kann auch bei Nacht nicht schlafen und singt ihr Klagelied darüber in folgenden Worten:

„Is Tid, is Tid,
To wit, to wit,
Trizi, Trizi, Trizi,
To Bucht, to Bucht, to Bucht!“

Das heißt: ’s ist Zeit, ’s ist Zeit, zu weit, zu weit, Trizi (der Name des Hundes), zur Bucht, zur Bucht, zur Bucht! (der gewöhnliche Schäferruf, wenn der Hund die Schafe im Bogen treiben soll). Darauf pfeift sie noch dreimal und schweigt dann.