Die Corruption des amerikanischen Beamtenthums
Wenn die bürgerliche Tugend und der moralische Sinn des Volkes der Maßstab ist, mit welchem der Werth eines Landes, seine Wohlfahrt und Lebensdauer gemessen werden muß, so möchten wenige Staaten der civilisirten Welt einen trüberen und hoffnungsloseren Anblick darbieten als die Republik der Vereinigten Staaten im Jubeljahre ihres hundertjährigen Bestehens. Kein Bürger der Union kann, ohne daß ihm die Schamröthe in’s Gesicht steigt, nach den Enthüllungen der letzten Monate daran denken, daß das Auge der ganzen civilisirten Welt gerade jetzt auf sein Vaterland gerichtet ist, welches mit seiner Weltausstellung sich an die Spitze der Cultur und des Fortschrittes stellt und die Nationen der Erde einladet, herüberzukommen, um zu sehen, welche Erfolge in Kunst und Wissenschaft es im ersten Jahrhundert seiner Existenz errungen hat und welche natürliche Hülfsmittel ihm dabei zu Gebote gestanden haben. Je verschwenderischer die Natur dieses Land mit den reichsten Schätzen jeder Art ausgestattet hat, je günstiger die politischen und socialen Verhältnisse für die Entwickelung der Größe und des Wohlstandes des Staates gewesen sind, je freier und ungehinderter der einzelne Bürger sich bewegen und sein Talent, seine ganze Energie zur Geltung bringen konnte, je vollständiger alle Bedingungen gegeben waren, um zu einer wahrhaft gesunden Blüthe in jeder Richtung zu gelangen, desto unverantwortlicher und schmählicher ist es, heute am Ende dieses ersten Jahrhunderts vor einem solch bodenlosen Abgrunde der Corruption stehen zu müssen, in welche das Volk gefallen ist, weil es sich in thörichtem Leichtsinne von verderbten Parteien und von nichtswürdigen Parteiführern von Jahr zu Jahr hat
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leiten lassen, ohne seine souveräne Macht gegen diese Landesverderber zu gebrauchen, bis es endlich selbst den moralischen Halt verloren hat und, wie es fast scheint, unfähig geworden ist, die schmählichen Fesseln, welche es sich selbst geschmiedet hat, abzuschütteln.
Nirgends ist diese Corruption widerwärtiger und schamloser hervorgetreten, als im Beamtenthume der Republik, von dem geringsten Stadtbeamten an aufwärts durch alle Stufen bis in die Nähe des höchsten Beamten der Republik, der im Weißen Hause zu Washington in hoher Majestät thront. Gerade hier sind in letzter Zeit Thatsachen aufgedeckt worden, die doch selbst unser gleichgültiges Volk, das für solche Enthüllungen gewöhnlich nur ein cynisches Lächeln hat, ein wenig aufrütteln. – Es gab eine Zeit, da die demokratische Partei für alles Unheil und für alle Sünden, die das Land befleckten, verantwortlich gemacht wurde, und die Republikaner von vielen Bessergesinnten als die Retter des Staatsschiffes angesehen wurden. Allerdings hatten die Demokraten viel zu verantworten. Sie hatten während des Bürgerkrieges, zum Theil wenigstens, mit den Südstaaten sympathisirt; sie hatten den Ultramontanen manche Concessionen gemacht; sie hatten sich von so durch und durch verkommenen Verbindungen, wie die berüchtigte Tammany-Gesellschaft in New-York, deren Seele und Leiter der Millionendieb Tweed war, blindlings leiten lassen, sodaß sie endlich der Verachtung aller Rechtlichgesinnten des Landes anheim fielen.
Aber auch die republikanische Partei erfüllte die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht. Sie versprach Reformen, verfehlte aber dieselben vorzunehmen; sie erniedrigte sich zu einem gefügigen Werkzeuge des Präsidenten und versank immer mehr in eine selbstsüchtige Parteipolitik, welcher die wahren Interessen des Landes schmählich geopfert wurden. Der Versuch, eine Reformpartei zu gründen, welcher von redlichen Patrioten wie Schurz, Greely, Sumner und Anderen gemacht wurde, scheiterte theils an der Macht der herrschenden Partei, theils an unwürdigen Intriguen im Lager der Reformer selbst, und so hatte die corrumpirte Grant-Partei, mit welchem Namen die Republikaner während der letzten Jahre mit Recht bezeichnet worden sind, freies Feld, um ihre unheilvolle Politik nach allen Seiten hin auszuüben. Offenkundige Bestechlichkeit, frecher Nepotismus, schmähliche Günstlingswirthschaft und der schamloseste Diebstahl am öffentlichen Eigenthum bezeichnen diese traurige Periode unserer Geschichte, die in den Enthüllungen der letzten Monate ihren Höhepunkt der Schmach und Schande erreicht hat. Eine kurze Uebersicht dieser Enthüllungen wird nicht nur den Grad der Corruption, auf welchem das amerikanische Beamtenthum angelangt ist, sondern auch einige Ursachen, welche diesen traurigen Zustand erzeugt haben, beleuchten.
Wer den Verhandlungen des Congresses einige Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird sich erinnern, wie die Volksvertreter vor einigen Jahren den Versuch machten, das Land um eine bedeutende Geldsumme unter dem Namen einer Gehaltserhöhung zu beschwindeln. Ihr bisheriger, wahrlich nicht geringer Gehalt von fünftausend Dollars schien ihnen für die Anforderungen des Washingtoner Hoflebens nicht mehr genügend; sie erhöhten ihn also auf siebentausendfünfhundert Dollars, und zwar sollte das neue Gesetz selbst auf das verflossene Amtsjahr rückwirkende Kraft haben. Damit aber ihr Herr und Meister keine Hindernisse in den Weg legen möchte, wurde sein bisheriger Gehalt von fünfundzwanzigtausend Dollars verdoppelt. Das Gesetz passirte, und nur einige Congreßmitglieder waren ehrenhaft genug, die schnöde Bewilligung mit Entrüstung zurückzuweisen; die Meisten steckten sie ohne alle Scrupel in die Tasche, indem der Präsident mit gutem Beispiele voranging. Dieses Gebahren war indeß dem Volke doch zu stark; ein Sturm der Entrüstung erhob sich im ganzen Lande und der moralische Druck wurde so stark, daß die saubere Gesellschaft das Gesetz widerrief, und den Raub wieder herauszugeben für gut befand. Nur Einen rührte des Volkes Stimme nicht: den Mann im Weißen Hause. Grant behielt vergnügt lächelnd seine fünfundzwanzigtausend Dollars.
Die Gesetzgeber wußten sich anders zu helfen. Um die großen schwindelhaften Eisenbahnunternehmungen in Scene zu setzen bedurfte man einer Unterstützung aus dem Schatze der Nation; diese konnte aber nur der Congreß gewähren. Und er öffnete denselben auf’s Freigebigste. Die Centralpacifische Eisenbahn, die vollendet wurde, und die Nordpacifische, die mit dem Falle des Hauptunternehmers, Jay Cooke, als Seifenblase zerplatzte, erhielten fürstliche Landschenkungen längs den Bahnlinien, nebst anderen großartigen Bewilligungen und Vergünstigungen, die dem gewissenlosesten Verschleudern des öffentlichen Eigenthums gleichkamen. Freilich umsonst that der Congreß dies Alles nicht, aber für Geld, Actien und andere Werthpapiere war Alles zu haben, das Vermögen des Volkes, sowie die eigene Ehre nicht ausgenommen. Die Sache wurde laut, eine Untersuchung fand statt und enthüllte das ganze unredliche Treiben. Nicht nur als corrumpirt bekannte Congreßmitglieder, sondern Männer, die bisher als Muster der Unbescholtenheit gegolten hatten, wurden compromittirt, und obwohl manche freigesprochen, blieb der Makel der Bestechlichkeit doch auf ihnen haften; des Volkes Stimme verurtheilte sie, und mit Recht.
Gewöhnt, die Mehrzahl seiner Vertreter in Washington sowohl wie in den Legislaturen als feile Diener der großen Corporationen und Monopolisten anzusehen, den Präsidenten aber als einen Mann, der, zu kurzsichtig oder zu schwach, um dem Treiben seiner Parteigenossen zu steuern, selbst einem Nepotismus huldigte und eine Günstlingswirthschaft einführte, die allem Rechtsgefühle Hohn sprach, war das Volk doch nicht auf eine so totale Verrottung des ganzen Beamtenstandes bis in die höchsten Regionen hinein vorbereitet, wie sie durch die Enthüllungen der letzten Monate bloßgelegt worden ist.
Die unverhältnißmäßig hohe Steuer, welche von manchen Fabrikaten erhoben wird, war schon längst der Gegenstand vieler Klagen gewesen; namentlich hatten Destillateure und Brauer unter diesem Drucke hart zu leiden. Die Steuer auf destillirte und gegohrene Getränke war im Verhältnisse zum Marktpreise derselben so hoch, daß die Fabrikanten bei einer gewissenhaften Beobachtung der Gesetze nicht bestehen konnten; die Versuchung zur Umgehung derselben lag demnach sehr nahe, und dies war denn auch in den letzten Jahren in einem unglaublichen Grade geschehen. Die Steuerbeamten bei der Revision der Brauereien und Brennereien zu hintergehen, wurde zu gefährlich; man mußte also diese Herren mit in’s Interesse ziehen und den Betrug gemeinschaftlich treiben. Diese Aufgabe war keine allzu schwierige; Geld ebnete auch hier alle Wege, und es gab Wenige, die nicht gegen gute Bezahlung nichts sahen, was die Fabrikanten verborgen zu halten wünschten. Die meisten Beamten wurden wahre Blutegel, die für ihr Schweigen enorme Summen erpreßten, ja, es kam so weit, daß sie den Destillateuren die Quantität von unversteuerten Spirituosen, die sie monatlich fabricren mußten, förmlich vorschrieben, damit sie die hohen Bestechungssummen unverkürzt beziehen konnten. Die Unterbeamten waren allerdings fast gezwungen, hohe Preise zu fordern, denn auch sie konnten den Betrug nicht gefahrlos treiben, ohne die Oberbeamten mit in’s Complot zu ziehen, und diese thaten so wenig wie ihre Collegen etwas umsonst. Diese großartige Verschwörung, bekannt unter dem Namen des „Whiskey-Ringes“, war ein öffentliches Geheimniß. Jedermann wußte darum, die Regierung selbst am genauesten, denn in Washington liefen die Fäden, welche die Operationen dieser hochachtbaren Diebsbande verknüpften, schließlich zusammen. Und dennoch geschah nichts, um dem Unwesen zu steuern – wer sollte es auch thun? Der „Whiskey-Ring“ war reich und einflußreich und konnte alle Versuche, ihn zu brechen, zum Verderben des Anklägers niederwerfen.
Da wagte es doch endlich ein muthiger Mann; der neuernannte Finanzsecretär Bristow, ein Mann von unbestechlicher Rechtlichkeit und großer Energie, befahl eine durchgreifende Untersuchung der ganzen Angelegenheit. In den ersten Städten des Landes wurden die meisten Brennereien und Brauereien geschlossen, die Eigenthümer sowie die Steuerbeamten vor Gericht gezogen, und da die Beweise der Schuld nicht wegzuleugnen waren, so folgte Verurtheilung auf Verurtheilung. Geld half diesmal nichts; die reichen Fabrikanten und die feilen Beamten mußten in’s Zuchthaus wandern und hohe Strafsummen erlegen, und zwar wurde den Beamten als meineidigen Staatsdienern mit Recht gewöhnlich das höchste Strafmaß zuerkannt.
Unter den Angeklagten befand sich auch General Babcock, Privatsecretär und intimster Freund des Präsidenten. Es fanden [352] sich Depeschen von ihm an Obersteuerbeamte in St. Louis vor, aus welchen deutlich hervorging, daß er in das ganze Complot mit eingeweiht war und in Washington als Schildwache an höchster Stelle diente, um die Operationen der Betrüger zu decken, ihnen Winke nahender Gefahr zu geben und seinen Einfluß zur Förderung ihrer Interessen zu verwenden.
Die Regierung war in St. Louis durch den sehr tüchtigen Districtsanwalt Henderson vertreten, welcher bei diesen Untersuchungen schon die wichtigsten Dienste geleistet hatte und ganz vorzüglich befähigt war, auch diesen Fall bis auf den Grund zu sondiren. Er that dies unerschrocken und scharf, war aber so unzart, den Namen des Präsidenten selbst in seinem Argumente zu nennen, als ob dieser möglicher Weise etwas von den Geschäften seines Günstlings gewußt haben könnte. Die Folge dieser Majestätsbeleidigung war die augenblickliche Absetzung Henderson’s und die schleunige Freisprechung Babcock’s, obwohl die Nachfolger Henderson’s ihm ebenfalls scharf zu Leibe gegangen waren. Um die Freisprechung zu erleichtern, hatte der Justizminister Pierrepont, ein treuer Freund und Anhänger Grant’s, während des Processes ein Rescript erlassen, in welchem alle solche Angeklagte, die als Staatszeugen auftreten würden, ausdrücklich verwarnt wurden, nicht übereilt zu handeln, indem ihre Dienste in diesem Falle keine Milderung ihrer Strafe zur Folge haben würden. Durch solche grobe Einschüchterungen wurde manches Zeugniß, welches hochstehende Personen compromittirt haben würde, zurückgehalten, und Herr und Diener kamen mit einem blauen Auge davon.
Babcock wurde nach seiner Freisprechung mit Gratulationen der Grantianer aus dem ganzen Lande überschüttet, während Grant selbst, was für die Situation höchst bezeichnend war, von seinen Freunden fast noch mehr Glückwünsche als sein Günstling empfing, gerade als ob nicht dieser, sondern er selbst auf der Anklagebank gesessen hätte. Das Volk aber ließ sich weder durch die Advocatenkniffe, noch durch die Regierungsmaßregeln, welche Babcock gerettet hatten, blenden und sprach trotz des „Nicht-schuldig“ der Geschworenen sein „Schuldig“ über den Favoriten aus, der denn auch nach längerem Sträuben seines Herrn aus dessen Dienste als Geheimsecretär entlassen wurde.
Gleichzeitig mit diesem scandalösen, das Weiße Haus sehr empfindlich berührenden Processe erregte ein anderer Vorfall in der diplomatischen Welt Amerikas und Englands das größte Aufsehen. Der amerikanische Gesandte in London, General Schenck, wurde der Theilnahme an einer unter dem Namen des Emmaminenschwindels bekannten betrügerischen Speculation angeklagt. Mit diesem gemeinen Betruge verhielt es sich kurz folgendermaßen: Ein gewisser Lyons hatte vor einer Reihe Jahren eine ergiebige Erzader in Utah bearbeitet. Während einer längeren Abwesenheit desselben hatten andere die Arbeit aufgenommen und daraufhin das Besitzrecht beansprucht. Die Folge war ein Proceß, in welchem der damalige Senator von Nevada, Stewart, als Anwalt des Lyons fungirte. Später kauften californische Speculanten die Ansprüche der Gegner Lyons’ auf, und dieser fand es schließlich für das Beste, mit denselben gemeinschaftliche Sache zu machen.
So wurde im Winter 1872 die Emmaminencompagnie mit einem Actiencapitale von fünf Millionen Dollars gebildet. Nun waren aber die werthvollen Erze der Mine bereits erschöpft, was die Unternehmer ganz genau wußten; die ganze Sache war also ein Schwindel erster Classe. Sie wählten vorzüglich England zum Schauplatze ihrer Operationen, die mit großem Erfolge geführt wurden. Ein Professor Silliman wurde mit einem der englischen Directoren nach Utah geschickt, um die Erze zu analysiren, und berichtete Wunderdinge von ihrer Reichhaltigkeit. Mit den pomphaftesten Ankündigungen wurden die Actien auf den Markt geworfen, und um das Vertrauen des Publicums zu ködern, beschloß man, den amerikanischen Gesandten in London, General Schenck, in’s Geschäft hineinzunehmen. Es wurde ihm eine Directorstelle mit fünfhundert Actien angeboten und er griff zu. War es doch schwer, wie im Zeugenverhöre ausgesagt wurde, mit siebenzehntausend Dollars jährlichem Gehalte die Würde der Republik am britischen Hofe aufrecht zu erhalten – wie konnte man es ihm also verdenken, wenn er nebenbei „Geld zu machen“ suchte! Der Gesandte benutzte somit, ob bewußt oder unbewußt, müssen wir vorläufig dahingestellt sein lassen, seine amtliche Stellung, als Vertreter des Volks, um einer der frechsten Schwindelunternehmungen Vorschub zu leisten, mit welcher die Bürger des Landes, in welchem er seine Regierung repräsentirte, betrogen werden sollten. Die Actien fanden guten Absatz; hieß es doch, die Mine repräsentire einen Werth von siebenzehn Millionen Dollars, obwohl sie schon im Juni 1872 gänzlich zusammensank, um nie wieder aufgenommen zu werden. Durch allerhand Vorspiegelungen und falsche Berichte wurden die Actionäre von Zeit zu Zeit beschwichtigt, sodaß trotz des Nichterscheinens der verheißenen Schätze die Actien doch in die Höhe gingen, bis endlich der ganze großartige Schwindel an den Tag kam und die Actionäre sich um ihr ganzes in dem Unternehmen angelegtes Geld betrogen sahen. Schenck wurde durch Lyons selbst als Mitwisser und Theilnehmer an dem Betruge denuncirt und entging einem Verhaftsbefehle der englischen Gerichte nur durch seine Abreise.
Es schien eine Zeitlang zweifelhaft, ob Grant den Gesandten abberufen würde, weil allerhand technische Einwendungen gegen dessen Schuld gemacht wurden. Weil die Angelegenheit aber vor einem demokratischen Congreßcomité zur Untersuchung kam, von welchem wenig Rücksicht für einen republikanischen Gesandten zu erwarten war, so sah der Präsident sich bewogen, seinen Freund zu ersuchen, zu resigniren. Der speculative Diplomat hat sich unterdeß dem Congreßcomité zur Verfügung gestellt, und auch in diesem Falle werden keine Mittel unversucht gelassen werden, ihn wenigstens von bewußter Mitschuld an dem verübten Verbrechen frei zu sprechen.
Alles dies wurde indeß völlig in den Schatten gestellt durch die Enthüllungen im Kriegsdepartement, welche vor einigen Wochen das Land erschütterten, und den bisher hochgeachteten Kriegsminister, General Belknap, zu einem gewissenlosen Beamten stempelten. Die hierbei zu Tage geförderten Einzelheiten zeigen ein so abschreckendes Bild der moralischen Verkommenheit der vornehmen Gesellschaft unserer Republik, daß sie eine etwas eingehendere Schilderung verdienen.
Caleb Marsh war früher einer der angesehensten Bürger Cincinnatis, wo er sich im Eisengeschäfte ein bedeutendes Vermögen erworben hatte; später zog er nach New-York und gehörte dort zu dem hohen Geldadel, der in pompösen Palästen das aristokratische Viertel der fünften Avenue und Umgegend bewohnt. Sein größter Schatz war indeß seine Frau, die erste Modedame jenes glänzenden Quartiers, in welchem der Werth eines Menschen einzig und allein nach der Pracht der Toiletten, der Menge der Diamanten und der Eleganz der Equipagen abgeschätzt wird. Frau Marsh leistete in diesen Punkten das Möglichste, gab mindestens 25,000 Dollars im Jahre aus und hatte dafür die Genugthuung, von den Größen der „Shoddy-Aristokratie“ New-Yorks als mustergültig bewundert und beneidet zu werden. Während ihr Herr Gemahl seinen eigenen Vergnügungen in Spielsälen und Rauchsalons nachging, genoß sie, strahlend von Diamanten und in die neuesten Erzeugnisse der Pariser Mode gehüllt, am Arme irgend eines Löwen der Gesellschaft ihre Triumphe für sich; ganz besonderes Vergnügen aber gewährte es ihr, jungen Damen ihre jugendlichen Verehrer wegzucapern worin sie, trotz ihrer vierzig Jahre, eine ganz vorzügliche Geschicklichkeit entfaltete.
Diese würdige Dame hatte eine „Freundin“, Frau Bowers, die junge Wittwe eines ehemaligen Rebellenobersten, ausgezeichnet durch Schönheit und durch das brennende Verlangen, baldmöglichst wieder einen Mann mit mindestens einer halben Million Vermögen zu bekommen. Die junge Wittwe ging nach Europa, traf mit ihrer Freundin Marsh in Paris zusammen, wo die letztere ihre obenerwähnte Kunstfertigkeit an den Anbetern der schönen Freundin mit Erfolg ausübte, sodaß es dieser gar nicht gelingen wollte, einen Nabob zu fangen. Sie kehrte nach Amerika zurück und beschloß jetzt, es mit einem Minister zu wagen. General Belknap war das erkorene Opfer; er fiel auf den ersten Angriff; sie wurde Frau Kriegsminister Belknap und zog in die Hauptstadt der Republik ein. Um aber dort als erste Salondame zu glänzen – und etwas Geringeres ließ ihr Ehrgeiz ihr natürlich nicht zu – dazu gehört, seit Präsident Grant seinen Hofstaat auf europäischen Fuß eingerichtet hat, Geld, sehr viel Geld, viel mehr Geld, als so ein Minister durch seinen [353] einfachen Gehalt in die Hände bekommt. Geld also mußte geschafft werden, und der Wege dazu gab’s in so hoher Stellung gar manche. Wie diese Wege aber beschaffen waren, was kümmert das eine Modedame unserer heutigen Gesellschaft, wenn sie nur ihres Herzens Gelüste befriedigt sieht!
Dasselbe Bedürfniß nach mehr Geld mochte auch die liebenswürdige Frau Marsh in New-York empfinden, und so wurde ein Plänchen ausgesonnen, das beiden „Freundinnen“ zugleich helfen sollte. Im Sommer 1870 besuchte Frau Belknap ihre Freunde in New-York. Im Gespräch mit Marsh fragte sie diesen, ob er sich nicht um ein Handelsprivilegium an einem der Militärposten beim Kriegsdepartement bewerben wolle. An allen Militärstationen und Forts, von denen es über zweihundert giebt, meist im Westen in den Indianergebieten gelegen, wird das Privilegium, mit den Indianern Handel zu treiben und die Soldaten mit allem Nöthigen zu versehen, vom Kriegsminister an einzelne Personen vergeben, die dadurch in den Stand gesetzt sind, ihre Waaren zu fast beliebigen Preisen zu verkaufen. Diese Händler sind die schamlosesten Blutegel, die sich am Marke der armen Soldaten und der noch ärmeren Indianer in einem so erstaunlichen Grade dick und fett saugen, daß wahrhaft unglaubliche Summen gezahlt werden, um dieses Privilegium zu erlangen. Zur Zeit des Besuches der schönen Verführerin war der Posten im Fort Sill erledigt, und obwohl der bisherige Inhaber desselben, Evans, sich wieder darum bewarb, erklärte Frau Belknap, wenn Marsh ihn wünsche, so werde sie die Sache beim Kriegsminister in Ordnung bringen. Die Idee leuchtete dem Geschäftsmanne ein, und seiner Gemahlin noch mehr. Er setzte sich also mit Evans in Verbindung und man kam überein, wenn Marsh den Posten bekomme, solle Evans ruhig in seiner Stellung verbleiben, dafür aber dem eigentlichen Inhaber, dem es gar nicht einfiel, sein Leben in New-York mit dem in einem abgelegenen Fort zu vertauschen, einen monatlichen Tribut von tausend Dollars entrichten.
So geschah es denn auch. Marsh bekam den Posten. Evans trieb den Handel im Fort wie bisher, zahlte jährlich zwölfttausend Dollars in monatlichen Raten an Marsh, welcher seinerseits dann jährlich sechstausend Dollars zuerst an Frau Belknap, später an den Kriegsminister selbst als Abfindungssumme einschickte. Und wer waren die Opfer dieses niederträchtigen Schachers eines habgierigen Ministers zum Besten einiger Weiber? Kärglich besoldete Armee-Officiere, arme Soldaten, unwissende Wilde und Einwanderer, die gezwungen waren, ihre Lebensmittel und sonstigen Bedürfnisse an dem Militärposten einzukaufen, und denen das Fünffache des wirklichen Werthes der verkauften Artikel abgefordert wurde. Diese maßlosen Gelderpressungen datiren seit der Amtsverwaltung Belknap’s, nicht nur auf einem Posten, sondern überall. Protestationen von Officieren waren ohne allen Erfolg – der Minister beharrte bei seiner Praxis und beschützte die wucherischen Händler, wo er konnte.
Die ersten Spuren dieser Betrügereien und Bestechungen wurden von dem Congreßcomité bei Prüfung der Rechnungen des Kriegsdepartements aufgefunden. Marsh wurde vorgeladen und legte ein umfassendes Geständniß des ganzen Scandals ab. Er hätte vielleicht geschwiegen, aber hier war die so ersehnte Gelegenheit für Frau Marsh gekommen, ihre Rache an ihrer „Freundin“ zu kühlen. Sie war nämlich, in Folge einer in Paris gegen die Freundin verübten Liebesintrigue, zur Belknap’schen Hochzeit nicht eingeladen worden; dafür hatte sie Rache geschworen; jetzt war ihre Stunde gekommen. Sie bewog ihren Mann, der so ziemlich unter dem Pantoffel der Gestrengen stand, Belknap ohne Rücksicht bloßzustellen, was dieser denn auch pflichtschuldigst that. So erfuhr die Hauptstadt am Morgen des 2. Mai, daß der bisher hochgeachtete Kriegsminister ein Verbrecher sei, der soeben selbst vor dem Comité mit bebenden Lippen zugestanden hatte, daß er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht leugnen könne.
[388] Was that nun der Präsident bei dieser Entlarvung seines speciellen Günstlings? Denn das war Belknap. – Als dieser sich am Tage seines Sturzes in’s Weiße Haus begab, um sein Entlassungsgesuch einzureichen, nahm Grant dasselbe ohne Weiteres an und entzog dadurch den Verbrecher der Jurisdiction des Congresses, indem nach dem Gesetze nur ein im Amte stehender Minister vor die Schranken des Senats gefordert werden kann, nicht wohl aber ein schon entlassener. Sein gefügiger Diener, General-Anwalt Pierrepont, erließ aber sofort einen Verhaftsbefehl gegen Marsh, was dieser auch gut genug verstand und schleunigst nach Canada verduftete. Dadurch wurde der Hauptbelastungszeuge, dem selbstverständlich Straflosigkeit hätte zugesichert werden sollen, um den eigentlichen großen Verbrecher zu überführen, der Anklage entzogen, sodaß es jetzt zweifelhaft ist, ob der verdächtige Minister formell überführt werden kann, zumal seine Partei sowohl im Weißen Hause wie im Congresse Alles aufbieten wird, seine Schuld möglichst abzuschwächen und ihn vom Zuchthause zu retten.
Alle diese schmachvollen Ereignisse sind Geschwüre an unserm Volkskörper, die endlich, zum Glücke aufgebrochen sind und die in ihrer moralischen Häßlichkeit wohl Ekel erregen, zugleich aber einen klaren Einblick in die Ursachen der Krankheit gestatten, von welcher die Nation ergriffen worden ist. Wer die socialen und politischen Verhältnisse der Union aus eigener Erfahrung näher kennt, wer die Entwickelung der inneren Zustände dieses Landes während der letzten zwanzig Jahre aufmerksam beobachtet hat, dem kommen solche Thatsachen, wie die oben geschilderten, nicht unerwartet; sie sind ihm ganz naturgemäße Resultate der von Jahr zu Jahr wachsenden, Alles zerfressenden Corruption.
Das amerikanische Volk rühmt sich vieler Eigenschaften, die ihm nicht nur unter den Culturvölkern der Gegenwart eine hervorragende Stellung einräumen, sondern ihm für die Zukunft eine noch weit glänzendere Rolle in der Geschichte der Menschheit zuweisen. Mag dem sein wie ihm wolle, es fehlt ihm, bis jetzt wenigstens, eine Eigenschaft, deren Mangel seinem gesunden Wachsthume sehr hinderlich gewesen ist und viele der Zustände erzeugt hat, die wir jetzt so tief beklagen: der Amerikaner kennt nicht die rechte Mäßigung. Bei aller Thatkraft und bei allem Scharfsinne, die ihn auszeichnen, leidet er an einem Hange zur Excentricität, der ihm das weise Maßhalten in fast allen Beziehungen schwer macht. Dieser Fehler erklärt sich aus der fieberhaften Hast, mit welcher der Amerikaner seine Geschäfte betreibt ohne sich Ruhe und Rast zu gönnen; er zeigt sich ebenso excentrisch im Ueberschreiten des Maßes, wenn er sich einmal für eine Stunde dem Vergnügen hingiebt. Dieser Fehler liegt der schrankenlosen Freiheit zu Grunde, in der er seine Kinder erzieht oder vielmehr häufig ohne alle rechte Erziehung aufwachsen läßt; er hat die bis zur Lächerlichkeit abgöttische Verehrung erzeugt, welche dem weiblichen Geschlechte gezollt wird, in Folge deren die Frau mit solch schrankenlosen Emancipationsgelüsten erfüllt worden ist, daß sie häufig ihrer naturgemäßen Stellung in der menschlichen Gesellschaft ganz vergißt; aus ihm erklären sich die unsinnigen Temperanzbestrebungen, welche auch das Gute, das in ihnen enthalten ist, zum Gespött gemacht haben; er färbt endlich die Religiosität des Amerikaners mit einem Fanatismus, der namentlich den maßvollen, ruhigen Deutschen häufig sehr unangenehm berührt; der düster strenge Puritaner, der überspannte Methodist, der engherzige Baptist, der springende Tunker, der vielbeweibte Mormone, der geisterklopfende Spiritualist, Alle gedeihen hier besser, als sonst irgendwo, während eine ruhigere, in den Schranken der Vernunft und des Gemüths bleibende Religion dem excentrischen Amerikaner nicht genügt. Aus derselben Maßlosigkeit erklärt sich auch die Verbindung von zwei sonst schwer vereinbaren Eigenschaften in seinem Charakter: er vereinigt in sich eine unersättliche Geldgier mit einer ebenso schrankenlosen Verschwendung, und gerade diese beide Laster haben vor Allem die gegenwärtige Corruption erzeugt.
Während des Bürgerkrieges hatten Tausende von Speculanten sich theils auf rechtmäßigem Wege, theils aber auch – und zwar der Mehrzahl nach – durch ungesetzliche und betrügerische Mittel in kurzer Zeit große Reichthümer erworben; es war die Brutzeit der sogenannten Shoddy-Aristokratie, die sich in den auf den Krieg folgenden Jahren zu ihrer höchsten Blüthe entfaltete und die alte, solide ehrenwerthe Geld-Aristokratie an Zahl und auch an äußerlichem Glanze und Schimmer weit überflügelte. Ihr Erfolg reizte andere Tausende zum gleichen Streben, schnell und mühelos reich zu werden; auf die Mittel, wie dies geschah, kam es dabei nicht an. So entwickelte sich schnell und verderbenbringend die Periode der wilden, schwindelhaften Speculation in Eisenbahnen, Minen und allen möglichen anderen Unternehmungen; Millionäre wuchsen allenthalben empor, wie Pilze auf feuchtem Modergrunde über Nacht emporschießen. Aber der Grund, auf welchem diese Reichthümer ruhten, war faul und ungesund, und um ihr Scheinleben zu fristen, mußten die neuen Crösusse zu jeder Art von Betrug greifen. Diese auf’s Höchste gesteigerte Sucht nach Gewinn, die alle Schichten der Gesellschaft ergriffen hatte und der leider durch das Beispiel der höchsten Kreise des Beamtenthums die verderblichste Nahrung gegeben wurde, erzeugte jene unter dem Namen der „Ringe“ bekannten schändlichen Verschwörungen, deren alleiniger Zweck war, das öffentliche Eigenthum zu plündern, und welche das ganze Land wie mit einem unentwirrbaren Netze überzogen. Es war aber durchaus nicht allein die Habsucht, welche diese systematischen Betrüger erzeugte, sondern ebenso sehr und in vielleicht noch höherem Grade die unmäßige Verschwendungssucht, welche ein trauriger Zug des amerikanischen Volkes geworden ist. Was der aufgeblasenen Shoddy-Aristokratie an wahrem innerem Adel, an Geistesbildung abging, sollte durch äußeren Prunk, durch den unsinnigsten Luxus ersetzt werden. Durch palastähnliche Wohnungen, durch kostbare Equipagen und reichgalonnirte Bediente wurden die Gebräuche des Geburtsadels der Alten Welt nachgeäfft; prachtvolle Toiletten, Gold und Juwelen in oft geschmacklosem Uebermaße mußten die Gemeinheit der Manieren, den Mangel alles feineren Tactes verdecken; die luxuriösesten Feste, lucullische Schwelgereien die Abwesenheit geistiger Genüsse ersetzen. Dieses Shoddythum ergriff wie eine ansteckende Krankheit alle Schichten der Gesellschaft. Das glänzendste und verderblichste Beispiel wurde in der Bundeshauptstadt des Landes gegeben, wo die republikanische Einfachheit früherer Zeiten einem Treiben Platz machen mußte, welches dem Hofleben eines Fürsten möglichst getreu nachgebildet wurde. Der Präsident, die Minister, die Senatoren und Staatsbeamten aller Classen wetteiferten mit einander in der Pracht und dem Glanze ihres Auftretens und ihres Haushaltes. Verlangt es doch die Würde der Republik, daß ihre Beamten nicht hinter den hochadeligen Vertretern der europäischen Mächte zurückbleiben, wenn auch die Kosten, die solche Nachäfferei verursacht, vom Volke bestritten werden mußten.
Es ist eine Thatsache, daß nur zwei der Minister des Grant’schen Cabinetes Privatreichthum genug besitzen, um einen solchen Aufwand treiben zu können, ohne zu unredlichen Mitteln zu greifen; alle übrigen, wie z. B. ein Belknap, mußten ihre Einkünfte vermehren, um mitmachen zu können. Dasselbe gilt von den meisten Senatoren und Repräsentanten. So ging es von oben herab durch alle Classen der Gesellschaft hindurch, von der Hauptstadt an bis zum kleinsten Landstädtchen herab; überall dasselbe Streben, einen Luxus um sich zu verbreiten, der in keinem Verhältnisse zu den wirklichen Vermögensumständen stand, es sich gegenseitig zuvorzuthun im Entfalten eines erborgten Pompes, der die innere Hohlheit und Armuth nur mühsam verdeckte. Und wenn die Habsucht das hervorstechende Laster der Männer genannt werden kann, so sind es die Frauen, welche der Verschwendungssucht, dem Luxus, dem Modewahnsinn in oft maßloser Weise fröhnen. Die amerikanische Frau alten Schlages ist eine höchst respectable, oft wahrhaft noble Erscheinung; von der modernen Amerikanerin kann dies nicht immer gesagt werden. An geistiger Regsamkeit und Beweglichkeit, an Witz und Scharfsinn, auch häufig an Liebenswürdigkeit fehlt es ihr keineswegs, an Unabhängigkeit im Auftreten und an Freiheit der Manieren noch weniger, an der anspruchsvollsten Erwartung, alle ihre Wünsche, was Vergnügen [389] und Bequemlichkeit betrifft, erfüllt zu sehen, aber am allerwenigsten. In vielen Fällen betrachtet die moderne Amerikanerin sich nicht als Gefährtin des Mannes in Freud’ und Leid, sondern als seine unumschränkte Gebieterin, für die er sich plagen und abarbeiten muß, damit sie ihr Leben in Nichtsthun verbringen und allen Vergnügungen nachgehen kann, ohne sich darum zu sorgen, wo die Mittel dazu herkommen. Dieses Urtheil mag hart klingen, trifft aber bei der Classe von Dämchen, die ich meine, vollständig zu. Nicht nur wurde Frau Belknap ein Fallstrick für ihren Mann, die Opfer einer rücksichtslosen weiblichen Verschwendungssucht sind in jedem Staate und in jedem Städtchen des Landes zu finden, und nicht gar klein ist die Zahl namentlich junger Geschäftsleute, die, zu schwach, um die Gelüste der Frau in Schranken zu halten schon nach wenigen Jahren eines glänzenden Scheinlebens in Bankerott und Armuth enden. Wenn Habsucht und Verschwendungssucht allgemeine Ursachen der herrschenden Corruption sind, so hat die Fäulniß, von welcher das Beamtenthum im Speciellen ergriffen ist, noch eine besondere Ursache in den politischen und Verfassungsverhältnissen unseres Landes.
Sämmtliche amerikanische Beamte zerfallen in zwei Classen, in die vom Volke gewählten und in die von der Bundes- oder Staatsregierung ernannten. Zu den ersteren gehören fast alle Staats- und Localbeamte; die letzteren liefern das stärkste Contingent zu dem überaus zahlreichen Heer der Steuer- und Postbeamten. Der Amtstermin der gewählten Beamten ist in der Regel ein einjähriger, längstens ein zweijähriger und wird in sehr vielen Fällen lediglich als eine Zeit angesehen, in welcher man sich so viel wie möglich aus der öffentlichen Krippe zu sättigen sucht. Dazu treibt einmal die Art und Weise, wie der Beamte seine Stelle erlangt. Eine Wahl kostet in der Regel Geld. Man wähne ja nicht, daß das Volk dieser freien Republik seine Diener durchaus selbstbewußt und selbstständig durch freie Wahl einsetzt; im Gegentheil, Geld und Intriguen aller Art spielen auch hier die Hauptrolle. Wahlkniffe der verwerflichsten Art, Stimmenkauf, Beeinflussung der ungebildeten Volksclasse durch bezahlte Subjecte beherrschen die Wahlurne in so hohem Grade, daß es einem ehrlichen Candidaten, der zu solchen Mitteln nicht greifen kann oder mag, sehr schwer wird, ein Amt zu erlangen.
So werden häufig Summen ausgegeben, die in gar keinem Verhältnisse zu dem rechtmäßigen Gehalte des Beamten stehen und die dann auf andere Weise wieder eingebracht werden müssen. Will der Beamte wieder gewählt werden, so muß er sich mit Geld versehen; rechnet er nicht darauf, dann sucht er während seines Termins so viel zu „machen“, wie er ohne große Gefahr eben machen kann. Daraus erklärt sich die schreckenerregende Zahl von Fällen, in denen öffentliche Gelder von den betreffenden Beamten veruntreut werden, so daß es kaum eine Stadt giebt, die nicht einen betrügerischen Schatzmeister oder sonstigen öffentlichen Diener hat, der von Rechtswegen in’s Zuchthaus gehört, leider aber meist irgendwo ungestraft seinen Raub verzehrt. Auf die ernannten Beamten findet dies nicht weniger seine Anwendung. Um eine Stelle zu erlangen, ist Fürsprache nöthig, denn direct an den Präsidenten oder die Departementchefs, von denen die Ernennungen ausgehen, sich zu wenden, ist nicht so leicht thunlich. Da sind denn die Senatoren, Repräsentanten und andere einflußreiche Männer die geeigneten Vermittler, welche dies auch bereitwillig thun, nur meistens nicht umsonst. Die Zeit, für welche diese Beamten ernannt werden, ist an und für sich nicht bestimmt, aber es ist nach und nach Sitte oder vielmehr Unsitte geworden, daß mit dem Wechsel der politischen Partei bei einer Präsidenten- oder Staatswahl auch ein allgemeiner Beamtenwechsel eintritt. Fähigkeit und Treue im Amte sind nicht mehr maßgebende Gründe für Ernennung oder Beibehaltung eines Mannes; es kommt dabei fast ausschließlich die Frage in Betracht, in wie weit er ein geschicktes und gefügiges Werkzeug zur Förderung der Parteizwecke abgiebt. Er muß zur herrschenden Partei gehören oder zu ihr übergehen, wenn er Berücksichtigung erwarten will; er muß für sie arbeiten, wenn er seine Stellung behaupten will; er steht und fällt mit der Partei. So ist das mehrere Hunderttausende zählende Heer der Regierungsbeamten zu einer auf’s Vollkommenste organisirten und auf’s Strengste disciplinirten Wahlarmee geworden, die, den Winken der Parteiführer blindlings gehorchend, maschinenartig für Parteizwecke arbeitet und namentlich bei der Präsidentenwahl in den letzten Jahren einen unberechenbaren Einfluß ausgeübt hat. In welch hohem Grade demoralisirend die Herabwürdigung eines ganzen Standes zu einer bloßen politischen Clique, die kein eigenes Gewissen mehr haben darf, wirken muß, ist leicht begreiflich. Wenn der öffentliche Diener nichts mehr als das gefügige Werkzeug selbstsüchtiger Parteileiter oder eines nach immer größerer Macht strebenden Präsidenten sein darf, wenn seine Hauptaufgabe darin besteht, dahin zu wirken, daß die Partei, die ihn erhoben, die herrschende bleibt, ist es da zu verwundern, wenn Rechtlichkeit und Patriotismus zu Grunde gehen und eine alle Moral zersetzende Corruption die Masse dieses Standes ergriffen hat? Beamtenreform ist darum auch eines der Schlagwörter aller Bestrebungen zur Besserung dieser faulen Zustände geworden.
Es war einer der Hauptpunkte des Programms, welches die sich neu bildende Reformpartei bei der letzten Präsidentenwahl aufstellte, und als dieser Versuch scheiterte, nahm die siegende Partei das Stichwort nothgedrungen auf und versprach Alles, ohne indeß das Geringste zu thun. Die Grantianer, welche in dem corrumpirten Beamtenheer gerade ihre Hauptstütze hatten, und die ihrem Herrn nur gar zu gern einen dritten Amtstermin [390] sichern möchten, konnten sich selbst unmöglich den Boden unter den Füßen wegziehen, und so blieb alles beim Alten, bis endlich die schmachvolle Wirthschaft durch die jüngsten Enthüllungen in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten offen vor der Welt bloßgelegt worden ist. Mancherlei Vorschläge zur Abhülfe dieser traurigen Zustände sind gemacht worden. Die Radicalsten möchten die Präsidentenwürde ganz abgeschafft sehen, indem sie die beständige Gefahr des Mißbrauchs des großen Einflusses und der Macht, die mit diesem Amte verbunden ist, als hinreichenden Grund zur Aufhebung desselben ansehen. Die Gemäßigteren und wohl auch Weiseren wollen die Wiederwahl desselben Mannes zum Präsidentenamte durch einen Zusatz zur Constitution verbieten, was freilich den Intriguen des zeitweiligen Präsidenten zum Zweck einer nochmaligen Erwählung die Spitze abbrechen und die unerlaubte Benutzung der Beamten zu Wahlzwecken unnöthig machen würde. Ein dritter Vorschlag ist, die Dienstzeit sowohl eines gewählten wie eines ernannten Beamten nicht festzusetzen oder gar von politischen Parteifragen abhängig zu machen, sondern einzig und allein von dem Verhalten eines öffentlichen Dieners, von seiner Unbescholtenheit und Fähigkeit in der Führung seines Amtes, also keinen Wechsel vorzunehmen, wenn nicht ein Amtsvergehen einen solchen gebietet. Es würde dies zu gewissenhafter Amtsführung anspornen und namentlich die Ursache so vieler Veruntreuungen wegräumen, welche in dem Bewußtsein liegt, daß man schon nach einem oder zwei Jahren vielleicht einem Andern Platz machen muß und deshalb die kurze Zeit zur Selbstbereicherung bestmöglichst zu benutzen sucht. Aber auch dies kann zu keinem Erfolge führen, wenn nicht das Volk eine scharfe Controlle über seine Diener ausübt, und eine unnachsichtliche Bestrafung jedes Amtsvergehens durch die Gesetze verlangt.
Gerade hier liegt die Grundursache des ganzen Uebels. Der rechte moralische Ernst ist dem Volke verloren gegangen; das Volksgewissen ist stumpf geworden. Das Verbrechen, und namentlich das Verbrechen des Betruges, wird kaum mehr als ein solches angesehen, und den Verbrecher trifft häufig kaum die Verachtung des Volkes, geschweige denn die gebührende Strafe. Man ist in der Beziehung beinahe zum spartanischen Princip zurückgekehrt, nur den ertappten Dieb zu bestrafen, den geschickten, erfolgreichen aber zu belohnen. Der Bankerotteur, der Cassendieb, der Schwindler, der feile Beamte hat von der öffentlichen Meinung nur wenig zu fürchten, wenn er sich nur durch Pfiffigkeit und Advocatenkniffe dem Gesetze und dem Zuchthause zu entziehen weiß und durch sein Verbrechen reich wird. Er ist dann kein Dieb, sondern nur ein geriebener Mann, vor dem man achtungsvoll den Hut zieht, und sollte es vorkommen, daß ein solcher einmal den Fehltritt beginge, sich fangen zu lassen, so wächst auch über Zuchthaus und Staatsgefängniß Gras, und der Gewitzigte kann recht wohl wieder zu Ehren kommen, ohne daß von ihm verlangt würde, daß er auch ein Gebesserter sein müßte. Der Schreiber kennt einen Mann persönlich, der wegen großartigen Unterschleifs und Diebstahls während des Bürgerkrieges in’s Gefängniß wandern mußte, und der jetzt als vom Volke erwählter Polizeirichter in einer nicht unbedeutenden Stadt der Union in vollem Glanze richterlicher Würde thront. Freilich, es ist ein feiner, gebildeter und sehr gescheiter Mann von guter Familie, glatter Zunge und einnehmendem Wesen, wenngleich um kein Haar besser, als er vor seiner Gefängnißzeit war. Solche Fälle sind nicht allzu seltene Ausnahmen; daß sie überhaupt möglich sind, beweist, auf welch niedrigem Grade das öffentliche Sittlichkeitsgefühl steht. In dieser Abstumpfung des Volksgewissens liegt das Trostlose der Lage; wäre diese nicht so groß, dann würden Reform-Ideen bald Eingang finden und energisch zur Ausführung gebracht werden.
Es thun unserer Zeit Männer noth, die, von selbstloser Liebe zum Vaterlande beseelt, durch die Macht ihrer Rede und durch die Reinheit ihrer Thaten im Stande sind, das Volk aus seinem Schlafe aufzuwecken, anstatt es mit hohlen Phrasen immer tiefer in eine heillose Selbstüberhebung hineinzulügen, Männer von der Tugend eines Washington, von der Weisheit eines Franklin und von der Beredsamkeit eines Webster, Männer, die, zu Leitern großer Bewegungen geboren, das Volk aus seiner Gleichgültigkeit herausreißen, die guten Elemente fest um sich schaaren und so eine durchgreifende Reform in’s Dasein rufen. Bis jetzt sind diese Reformatoren noch nicht erschienen. Stimmen genug, die darnach verlangen, sind laut geworden; redliche Patrioten haben Versuche gemacht, dem Uebel Einhalt zu thun, aber ihre Kraft war der Aufgabe nicht gewachsen; an der Macht der Parteien, welcher der politische Einfluß und das allvermögende Geld fast unbeschränkt zu Gebote steht, ist alles gescheitert. Als in Rom Alles für Geld feil war, als das Partei-Interesse die Liebe zum Vaterlande erstickt hatte, da waren die Tage der Republik gezählt; ihr Glanz erlosch und sie sank endlich in Trümmer.
- ↑ Um einer etwaigen irrigen Auffassung des obigen Artikels zuvorzukommen, wollen wir den Hinweis nicht unterlassen, daß so ziemlich alle berufenen Beurtheiler der amerikanischen Zustände mit uns darin einig sind, daß die Corruption des Beamtenthums jenseits des Oceans durchaus nicht in der republikanischen Staatsform, vielmehr in der bunten Zusammenwürfelung der heterogensten Bestandtheile der dortigen Gesellschaft, in ihrem Mangel an wahrhaft sittlicher Bildung und einigen anderen tiefgreifenden socialen Zuständen zu suchen ist. Daß Absolutismus und Despotismus nicht vor Beamtencorruption schützen, lehrt uns hinlänglich die Geschichte.D. Red.