Zum Inhalt springen

Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff)
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin
Untertitel: Ein kritischer Versuch
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: E. A. Seemann
Drucker:
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
DIE WERKE
ITALIENISCHER MEISTER
IN DEN GALERIEN
VON
MÜNCHEN, DRESDEN UND BERLIN.
EIN KRITISCHER VERSUCH
VON
IVAN LERMOLIEFF.




AUS DEM RUSSISCHEN ÜBERSETZT
VON
DR. JOHANNES SCHWARZE.


LEIPZIG 1880.
VERLAG VON E. A. SEEMANN.
Druck von Hundertstund & Pries in Leipzig.
Vorwort.




Als ich mit meinen Kunststudien in Siena so ziemlich zu Ende war und im Begriffe stand, nach dem nahegelegenen Kloster von Montoliveto zu gehen, um daselbst an den Fresken des Signorelli und des Sodoma meinen Geist zu erfrischen und diese zwei hervorragenden Gestalten in der italienischen Kunstgeschichte mir noch schärfer einzuprägen, ereilte mich plötzlich ein Brief, der mich nach meiner Heimath, nach dem „heiligen Rußland“ zurückrief. Meine Freunde machten mir von neuem einen Vorwurf daraus, daß ich so lange im Süden, in einem Lande morscher Sitten verweile, statt mich an dem Kulturkampfe, der in der Heimath doch endlich ausgebrochen sei, zu betheiligen.

Der Vorwurf war hart, aber doch nicht ganz unverdient, und so machte ich mich alsbald auf nach dem Norden.

Es kam mir zwar schwer an, ich gestehe es offen, das sonnige Italien, wo sich’s am Ende doch so frei leben läßt, früher zu verlassen, als es in meinen Wünschen lag, da ich meine Lehrzeit in der Kunstwissenschaft noch lange nicht als abgeschlossen betrachten durfte. Ich tröstete mich indeß mit dem Gedanken, daß am Ende all unser Wissen und Können doch nur Stückwerk sei und bleibe, und daß Versäumtes sich wohl auch später nachholen lasse.

Diesseits der Alpen angelangt, konnte ich nicht umhin, den Galerien von München, Dresden und Berlin einen Besuch zu widmen; hatte ich doch diese drei in mancher Beziehung höchst interessanten Kunstsammlungen schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Es reizte mich zudem, die von mir in Italien gesammelten Kenntnisse in der Kunstgeschichte an den italienischen Bildern jener Sammlungen zu erproben.

Der Kampf auf der Balkanhalbinsel war eben ausgebrochen; um meine Abwesenheit vor mir selbst zu entschuldigen, tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß ja der Kulturkampf allenthalben geführt werden könne, ja, daß es selbst in den Bildergalerien gar manchen Türkenschädel abzuschlagen gäbe; und so ging ich mit einigermaßen beruhigtem Gewissen an meine Arbeit.

Meine „kritischen Auslassungen und Bemerkungen“ machen nicht den mindesten Anspruch darauf, irgendwie Vollkommenes zu bieten. Meine Noten sind vor den Bildern selbst, currenti calamo, und ursprünglich ohne alle Absicht auf Veröffentlichung gemacht; auch bin ich mir selbst wohl bewußt, daß meine oft sehr kühnen Urtheilssprüche nicht als das letzte Wort gelten können, das über dieses oder jenes Bild ausgesprochen werden mag.

In Petersburg bot sich mir die Veranlassung, einem älteren, besonnenen Freunde einiges aus meinem kritischen Notizbüchlein mitzutheilen, und dieser forderte mich dringend auf, wie das bei Freunden gewöhnlich so zu gehen pflegt, meine Studien doch zu Nutz und Frommen der Anfänger in der Kunstforschung der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Ich konnte nur erwidern, daß ich nicht die mindeste Lust verspüre, in dieser Weise meine Eitelkeit auf die Probe gestellt zu sehen, andererseits aber ernstlich befürchten müsse, mit meinen langweiligen Schulexercitien vor dem kunstliebenden Publikum mich geradezu lächerlich zu machen.

Aber mein Freund ließ sich nicht abweisen. Lächerlich ist nur der Zwerg, der sich duckt, wenn er unterm Stadtthor durchgeht, sagte er mit väterlichem Wohlwollen, du aber willst doch kein Riese sein und geberdest dich ja auch nicht als ein solcher. Es mag vielleicht wahr sein, was du mir da entgegnest, daß man im gelehrten Deutschland, in Frankreich und England alles das schon längst und viel besser wisse, so daß die grundgelehrten Herren in jenen Ländern auf deine kritischen Studien vielleicht mit mitleidigem Lächeln herabsehen werden. Aber darüber beruhige dich, denn jene Herren werden dein Buch kaum lesen. Du widmest es vielmehr deinen jungen Landsleuten, welche, ehe sie sich an’s Studium der Kunstgeschichte selbst machen, vorerst die Grammatik der Kunstsprache zu erlernen haben. Solchen jungen, noch unerfahrenen und unverdorbenen Leuten werden gewiß diese von dir, wie ich sehe, mit so vielem Eifer und Ernste gemachten Vorstudien von einigem Nutzen sein können. Muß doch in allen Zweigen menschlichen Wissens die Praxis mit der Theorie Hand in Hand gehen, ja diese aus jener sich herausbilden. Hingegen die Dinge, welche wir mit Vorurtheilen betrachten, sehen wir entweder gar nicht, oder aber in einem falschen Lichte. Ehe man also sich unterfangen darf, die Geschichte irgend einer Kunstschule in ihrem ganzen Umfange erfassen zu wollen, muß man doch gelernt haben, wie man das einzelne Kunstwerk anzusehen habe, um vorerst sagen zu können, ob es überhaupt echt oder unecht, ob in diesem oder jenem Lande entstanden, ob zu dieser oder jener Schule gehörig sei und endlich, ob es von diesem oder jenem Meister herrühre. Das, was in einem Kunstwerke uns vor allem interessirt und packt, ist schließlich der Mensch selbst, der darin steckt. – Diese und ähnliche Zureden meines Petersburger Freundes vermochten indeß nicht, mich zu überzeugen, daß eine solche Publikation von Nutzen sein könnte. Auch verließ ich bald die Residenz, um mich auf ein Landgut, Gorlaw, in der Nähe von Casan, wo man mich schon längst erwartete, zurückzuziehen.

Hier erhielt ich eines Tages nicht lange nach meiner Ankunft einen ganz unerwarteten Besuch. Es meldeten sich zwei ältere, mir seither unbekannte Herren, der eine groß und blondhaarig mit starken Backenknochen, der andre klein, schwarzhaarig und zahnlos, und erklärten in für mich sehr schmeichelhaften Ausdrücken, daß sie, von meiner Rückkehr in’s Vaterland durch die öffentlichen Blätter unterrichtet, sich die Freiheit genommen, mich aufzusuchen, da sie in Erfahrung gebracht hätten, daß ich mich sowohl in Deutschland als in Italien vielfach mit Kunststudien abgegeben hätte, und da sie über manches mich speciell um Rath zu fragen wünschten. Ich antwortete, daß ich mich zwar nicht in der Lage fühle, Andern Rath zu ertheilen, daß ich aber doch gern in allem, wozu meine Kenntnisse hinreichten, ihnen als meinen lieben Landsleuten zu Diensten stehen würde.

Der jüngere, Blonde, ein Mann slavischer Raçe, sagte mir nun unverhohlen, er habe lange Jahre hindurch als politischer und literarischer Correspondent mehrerer in- und auswärtiger Zeitungen sein Brod sich verdient, doch habe er es satt bekommen, seinen Geist und seine Zeit mit so unfruchtbarer Arbeit zu zersplittern, um so mehr, als ein politischer Schriftsteller gegenwärtig in Rußland sehr auf seiner Hut sein müsse. So sei er willens, da sein Stil allgemein gerühmt werde, Arbeiten über Kunst und Kulturgeschichte zu übernehmen, indem diese Wissenszweige gegenwärtig auch in Rußland sehr beliebt zu werden anfingen. Zunächst möchte er eine Kulturgeschichte des italienischen Volks, für die Mittelklassen berechnet, zu Papier bringen. Es wäre ihm dabei hauptsächlich darum zu thun, den Beweis zu liefern, daß die ganze Kultur des modernen Europa von der slavischen Raçe ausgegangen sei. Er bäte mich daher, ihm gütigst sagen zu wollen, welches nach meiner Ansicht die besten, ergiebigsten Quellen seien, aus denen er für sein Unternehmen schöpfen könne.

Ein schönes Unternehmen, sagte ich kopfnickend zu dem Patrioten und wandte mich seinem Genossen, einem Manne tatarischen Geblüts, zu, der mir verblümt zu verstehen gab, daß er eigentlich das Zimmermalen erlernt habe, mit dieser Kunst aber im russischen Reiche heutzutage kaum noch sich durchschlagen im Stande wäre. Deßhalb dächte er fürder mit Kunstschriftstellerei sich abzugeben, da dieser Artikel in unsern Tagen auch in Casan sehr in die Mode gekommen sei; auch habe er bereits in einer sehr gelesenen Montagsrevue einen längeren Aufsatz über Michelangelo erscheinen lassen, der viel Aufsehen erregt habe, und nun möchte er ganz besonders und eingehend mit Lionardo da Vinci und Raffael sich beschäftigen, um sich dann mit der Zeit an die Ausarbeitung einer italienischen Kunstgeschichte zu machen, für welches Unternehmen er auch schon den Verleger gefunden zu haben behauptete. Ich möchte ihm freundlichst mittheilen, welche Werke über italienische Kunstgeschichte ich ihm zur Ausbeutung vornehmlich empfehlen könne. Sind sie denn der italienischen Sprache mächtig? erlaubte ich mir den kühnen Mann zu fragen. Nein, antwortete er mir, etwas betroffen über diese Frage, italienisch verstehe ich nicht, doch deutsch, finnisch und auch etwas französisch.

Ich mußte innerlich lachen, sowohl über den angehenden Kulturhistoriker wie über den frischgebackenen Kunstschriftsteller, zuckte mit den Achseln und ließ die arg Getäuschten ihres Weges ziehen. Dabei kamen mir die dringenden Ermahnungen meines Petersburger Freundes wieder in den Sinn, und ich gewann mehr und mehr die Ueberzeugung, daß er doch vielleicht nicht so ganz Unrecht habe. So entschloß ich mich denn, meine kritischen Studien der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Ich bin zwar im voraus überzeugt, daß die etwas vorlaute und dreiste Art, mit der ich manches von alten und neuern Kunstpäpsten heilig gesprochene Bild mit dem kalten Hauche des Zweifels berühre, bei den Schriftgelehrten und Orthodoxen, falls dieselben die Aufsätze lesen sollten, Anstoß erregen wird, und daß mein Haupt vor ihrem Bannstrahle nicht sicher ist. Indeß hoffe ich, daß der Unwille dieser weisen Männer mich nicht ganz und gar vernichten wird. Ich halte es mit dem Grundsatze, daß der Zweifel der Grund aller Erkenntniß ist. Die Meinungen wechseln mit den Menschen, Irrthümer und Vorurtheile kommen und vergehen, und verdienstlich ist am Ende auch der kleinste Schritt, der uns der Wahrheit näher führt.




Das an Umfang und Inhalt bedeutendste Werk über die Malerei in Italien ist unstreitig: A new History of Painting in Italy, in 3 Bänden, London 1866, mit den Fortsetzungen: A History of Painting in North-Italy (1871), in zwei Bänden, von J. A. Crowe und G. B. Cavalcaselle, und: Tiziano, la sua vita ed i suoi tempi, di G. B. Cavalcaselle e J. A. Crowe, in zwei Bänden, 1877. Diese sieben Bände sind im civilisirten Europa allgemein bekannt und bilden die Grundlage alles Studiums über italienische Malerei, nicht nur in England, Deutschland und Frankreich, sondern auch in Rußland. Das Werk enthält die Resultate aller neuern Specialforschungen und ist überdies mit dem größten Fleiße und einer sehr anzuerkennenden Belesenheit abgefaßt. Dabei hat es vor allen andern italienischen Kunstgeschichten den Vorzug, nicht von einem Manne allein, wodurch ein Buch über Kunst immer einseitig wird, sondern von zwei ebenbürtigen Geistern verfaßt zu sein, von denen der eine der germanischen, der andere der lateinischen Raçe angehört. Die in dem Werke niedergelegten Urtheile und Anschauungen erhielten somit eine Basis, welche alle Nationalitätsvorurtheile verschwinden macht.

Man kann sich deßhalb nicht wundern, daß das Werk überall in bestem Rufe steht, ja daß die Urtheile der berühmten Verfasser über italienische Kunstwerke allenthalben für entscheidend und endgiltig angesehen werden. – Wenn ich nun auch die Vorzüge, welche die Arbeiten der Herren Crowe und Cavalcaselle auszeichnen, vollkommen anerkenne, so konnten mich dieselben doch nicht abhalten, in nicht wenig Fällen abweichender Meinung zu sein, und diese abweichenden Meinungen zu begründen, ist der Hauptzweck dieser kritischen Studien. Die Ursache solcher Meinungsdifferenzen scheint mir im Wesentlichen in der Methode des Studiums zu liegen, in der ich von der Art der beiden berühmten Kunstkritiker abweiche. Meine Anschauungen und mein Urtheil über die einzelnen Maler beruht lediglich auf dem Studium ihrer Werke, und zwar nicht etwa bloß eines oder weniger, sondern so vieler, als es mir zu prüfen eben möglich war. Dagegen habe ich, abgesehen von den historischen Daten, blutwenig aus Büchern entnommen, da ich schon früh zu der Einsicht gekommen war, daß aus Büchern über Kunst sehr wenig zu lernen ist, die meisten vielmehr unsern Sinn für die richtige, lebendige Kenntniß der Kunst eher abstumpfen und lähmen, als verfeinern und beleben. In dieser meiner Abgeneigtheit gegen das literarische Studium liegt, wie schon bemerkt, vermuthlich der Grund, daß meine Forschungen mitunter zu anderen Ergebnissen als die Forschungen der Herren Crowe und Cavalcaselle führen. Ich bin jedoch weit entfernt, mein Urtheil für unfehlbar zu halten oder den wohlverdienten Ruhm der beiden berühmten Kunstkritiker zu schmälern. Wenn ich die beiderseitigen Urtheile über ein und denselben Gegenstand einander gegenüberstelle, so geschieht es eben nur, weil ich meinem eigenen Wissen keine absolute Geltung beimessen will, vielmehr die Controversen einer eingehenden Prüfung der Fachgelehrten und Kenner unterbreiten möchte.

Auch darf ich wohl die Hoffnung aussprechen, daß selbst die berühmten Verfasser der „New History of Painting in Italy“, falls ihnen diese bescheidenen kritischen Studien unter die Augen kommen sollten, dem tatarischen Kunstbeflissenen es nicht verargen werden, wenn er ihre Meinung nicht immer getheilt hat, und daß sie jene Freiheit in der geistigen Republik, die er selbst sowohl ihnen als allen andern Fachgenossen gönnt, auch ihm zugestehen werden. Als ein abgesagter Feind aller Rechthaberei und Polemik möchte ich hier noch die Erklärung abgeben, daß ich, im Bewußtsein der geringen Bedeutung, welche diese kritischen Studien beanspruchen können, auf polemische Einwendungen, die öffentlich dagegen erhoben werden sollten, keine Antwort geben werde. Das Leben ist zu kurz und die Zeit zu kostbar, als daß ich sie auf eine so unerquickliche Polemik zu verwenden geneigt wäre, wie sie auf dem Gebiete der Kunstgeschichte leider tagtäglich geübt wird. Wer aber meine Experimentalmethode nicht nur nicht verwerflich findet, sondern in ihr ein Mittel sieht, um mit der Zeit aus dem leidigen Kunstdilettantismus heraus zu einer Kunstwissenschaft zu gelangen, der nehme das Kreuz auf seine Schulter und folge mir nach. Wem hingegen meine Methode als gar zu materialistisch und eines erhabenen Geistes unwürdig erscheint, der lasse den Ballast dieser Arbeit ruhig unangetastet und steige in dem Luftballon der Phantasie leicht und rasch zu höhern Sphären. Des Beifalls der staunenden Menge wird er um so sicherer sein.

Gorlaw, den 20. Juli 1877.

 Ivan Lermolieff.




 
INHALTSVERZEICHNISS.




Seite
I. München 1
  1. Die Venezianer 10
Nachträge und Anmerkungen 59
2. Die Ferraresen und Bolognesen 62
3. Die Lombarden 67
4. Die Toskaner 81
5. Die Umbrier 90
6. Handzeichnungen ital. Meister im Kupferstichcabinet 101
II. Dresden 121
1. Die Ferraresen 123
2. Die Venezianer 163
3. Die Lombarden 230
4. Die Toskaner 232
5. Die römische Schule 247
6. Handzeichnungen ital. Meister im s. g. Kupferstichcabinet 252
Die Venezianer S. 252. – Die Florentiner S. 255. – Die Lombarden S. 260. – Die Umbrer S. 260. – Die Venezianer S. 261. – Die Florentiner S. 263. – Die Lombarden S. 264. – Römische Schule S. 265.
III. Berlin 267
Die ferraresisch-bolognesische Schule 271
Die Romagnolen 287
Umbrische Schule 289
Florentinische Schule 379
Venezianische Schule 395
Paduanische Schule 431
Veronesische Schule 435
Brescianische Schule 443
Schule von Bergamo 451
Die Lombarden 452
Lombardisch-mailändische Schule 479
Seite
Nachträge 484
Alphabetisches Künstlerregister 485
Alphabetisches Ortsverzeichniss 493
Druckfehlerverzeichniss 499




Verzeichniss der Abbildungen.




Die Ohr- und Handform bei Bramantino 8
Desgleichen bei Giovanni Bellini 104
Form des Ohres bei A. Mantegna 104
Gewöhnliche Form der Hand bei A. Mantegna 105
Form des Ohres und der Hand bei Fr. Bianchi 133
Formen des Ohres bei Palma vecchio, Bonifazio sen. und Bonifazio jun.       221
Desgl. bei Lionardo da Vinci und Lorenzo di Credi 259
Hand- und Ohrform bei Lorenzo Costa 277
Desgl. bei Cosimo Tura 277
Studie Pinturicchio’s zu dem Kopfe der Zipporah 320
Der h. Vitalis. Von Timoteo Viti 345
Die h. Margarethe. Von demselben 347
Handform bei Timoteo Viti und bei Raffael 350
Orpheus. Von Timoteo Viti 358
Der Traum eines Ritters. Federzeichnung von Raffael 361




 
I. MÜNCHEN.




Ich weiß, daß mein verstorbener Freund Otto Mündler diese Sammlung einer kritischen Besprechung unterworfen hat. Ich habe dieselbe nicht lesen wollen, um mich nicht durch die Urtheile eines Andern in meinen eigenen beirren zu lassen, zumal da ich die größte Achtung vor dem reichen Wissen und dem eindringlichen Blicke Mündler’s habe. Sein „Essai d’une analyse critique de la Notice des tableaux italiens du Musée National du Louvre“ – 1850[a 1] – ist in gar mancher Beziehung ein Muster von Kunstkritik, und ich zweifle nicht, daß selbst die hervorragendsten Kunstkritiker unserer Tage, die berühmten Herren Crowe und Cavalcaselle, gestehen werden, in jenem Büchlein gar manchen Fingerzeig für ihre eigenen Forschungen und Bilderbestimmungen gefunden zu haben. Mündler war eine echte Künstlernatur, sensitiv, naiv, für alles Schöne empfänglich, des höchsten, reinsten Enthusiasmus fähig. Ja, sein Enthusiasmus spielte gar manches Mal, wovon ich viele Beispiele anführen könnte, dem Kritiker üble Streiche. Zu seiner Zeit jedoch gab es wohl schwerlich jemanden, der mit den Werken italienischer Kunst vertrauter gewesen wäre, sie besser zu würdigen gewußt hätte, als er. Wie kam es aber, daß es diesem feinbegabten, mit wahrer Leidenschaft der Kunst nachforschenden Manne doch nicht gelungen ist, so manchem selbst groben Irrthume in seinen Urtheilen auszuweichen? Meinem Dafürhalten zufolge kam dies daher, daß Mündler sich allein auf sein freilich enormes Gedächtniß, auf seine große Intuitionsgabe verlassen mußte, in seinen Forschungen aber keine Methode befolgte; und ohne diese wird die bestorganisirte Natur, der geübteste Kennerblick stets in seinen Urtheilen schwanken und niemals seiner Sache ganz gewiß sein. Diese Methode nun kann, wie ich glaube, nur die experimentale sein, welche von dem großen Galileo Galilei und Baco an bis auf Volta und Darwin zu den herrlichsten Entdeckungen geführt hat. Für die Erkenntniß von Kunstwerken kann dieselbe allerdings nur ein Hülfsmittel sein. Die weitaus größte Zahl von Gemälden, um nicht geradezu alle zu sagen, die aus der guten Zeit auf uns gekommen, waren den mannigfaltigsten Restaurationen, welche in den meisten Fällen einem wahren Martyrium gleichkamen, unterworfen;[1] und wer in einem derartigen Bilde das Antlitz eines Meisters zu erblicken wähnt, hat in den meisten Fällen entweder nur die schwarze Maske, mit der es der Restaurator zu verdecken für gut befunden, vor Augen oder aber ein geschundenes, ganz und gar entstelltes Gesicht. Wie soll man nun bei einer solchen Sachlage noch mit Sicherheit die Hand des Meisters in der Ruine erkennen, wie soll man ein Original von einer Kopie zu unterscheiden im Stande sein? Nur die scharfe Beobachtung der dem Meister eigenthümlichen Formen des menschlichen Körpers kann zu einem angemessenen Resultate führen. Es versteht sich von selbst, daß hierbei nur wirkliche Künstler, d. h. solche, die auf eigenen Füßen stehen, die eine besondere Art der Auffassung und des Ausdrucks (Stil) besitzen, in Betracht kommen können, nicht aber Nachahmer, denn diese sind Nullen in der Geschichte der Kunst sowohl, als in der Geschichte der Wissenschaft. Langweilig, wie dieselben zu sein pflegen, können sie auch nur für langweilige Leute irgend einen Reiz besitzen, und auch dieß höchstens nur ihrer guten Technik halber. – Da ich nun durch vielfache Studien zur festen Ueberzeugung gekommen bin, daß diese meine Experimentalmethode auch manchem jungen Kunstforscher von einigem Nutzen sein dürfte – dieß mag vielleicht auch eine Illusion sein – so werde ich in diesen Aufsätzen, wenn sich gerade die Gelegenheit dazu bietet, durch einige Beispiele die Sache, so gut es eben geht, näher zu erörtern trachten, nur im Voraus bemerkend, daß das Sehen der den Meistern eigenthümlichen Formen nicht so leicht ist, als man vielleicht glaubt, und daß es daher einer langen, sehr langen Uebung des Auges bedarf, um richtig sehen zu lernen; gerade wie die Erlernung einer fremden Sprache ja auch Zeit und viele Mühe erfordert.

Ich werde mit den Venezianern beginnen, da von den vielen Malerschulen Italiens die venezianische in der Münchener Pinakothek am zahlreichsten vertreten ist; ein Umstand, der seinen Grund wohl in dem lebendigen Wechselverkehr haben dürfte, der einst zwischen Baiern und der Lagunenstadt Jahrhunderte hindurch bestanden. Unter venezianischer Malerschule verstehe ich nun nicht nur diejenige der Stadt Venedig, wie dieß eigentlich sein sollte, sondern begreife darunter, dem allgemein angenommenen Brauche folgend, die Malerschulen aller jener Völkerschaften Oberitaliens, die einst zur Republik Venedig gehört, und welche allesammt den Einfluß der Hauptstadt mehr oder minder erfahren haben, ohne daß sie dadurch ihren speciell heimischen Charakter verloren hätten. Diesen besonderen Charakter, diese eigenthümliche, von der Verschiedenheit der Raçe bedingte, in der einen Provinz schärfer, in der andern schwächer ausgeprägte Physiognomie der verschiedenen Malerschulen Italiens kann man begreiflicherweise nicht in Pinakotheken kennen lernen und studiren, da diese Sammlungen doch meist nur auf eklektischem Wege zu Stande gekommen sind. Man muß ihr vielmehr in dem Lande selbst nachgehen, aus dem sie herausgewachsen, mit dem sie also im innigsten organischen Zusammenhange steht; war doch nirgends in der Welt die Malerei so sehr Volksprache wie in Italien. Die Literatur der Italiener hat aus verschiedenen Ursachen, die hier auch nur anzudeuten nicht der Ort wäre, niemals zu einer volksthümlichen sich zu entwickeln vermocht, die bildende Kunst hingegen ist durch nichts in ihrem vollkommenen Wachsthume gestört worden, ist durch und durch volksthümlich geblieben; sie ist als ein lebendiger Organismus aus dem heimatlichen Boden herausgewachsen und spricht auch allenthalben die Sprache des Volkes, d.h. den Dialekt. Und dieses Verhältniß der Laut- zur Zeichensprache, oder, deutlicher gesagt, zwischen der gesprochenen und der gemalten oder gemeißelten Sprache, zwischen der Form, in der derselbe Geist in der Lautsprache, und der Form, in der er sich in der Sprache der Kunst ausdrückt und vernehmen läßt, ich sage dies Verhältniß der einen zur andern Ausdrucksweise ist nicht etwa äußerlicher, sondern ursächlicher Natur.

Man kann diese heimische Kunstsprache im Venezianischen, wo sie nicht, wie anderswo durch die Fremdherrschaft der Spanier auf Abwege geführt und ihr ein unnationales Gepräge gegeben wurde, vom dreizehnten Jahrhundert bis zu Tiepolo, Canaletto und Longhi herab, vom Keime also bis zu ihrem endlichen Absterben, in ihrer organischen Entwickelung verfolgen. Canova und David, Carstens und Cornelius haben doch wahrlich nicht, wie die meisten glauben und wie dieß auch Kaulbach auf der Seitenmauer der neuen Pinakothek von München dargestellt hat, die Kunst der Zopfzeit todtgeschlagen; diese ist eines natürlichen Todes gestorben und war daher schon längst todt, als die obengenannten Herren die sogenannte neue Kunst gründeten.

Diese Dialektsprache der Kunst kann man aber, wie schon bemerkt, nur im Lande selbst, an Ort und Stelle studiren und kennen lernen: in abgelegenen Dorfkirchen, an Frescomalereien auf Häuser-Façaden oder auf den Innenwänden von Bauernhäusern u. s. f. Wer z. B. Bergamo besucht mit den herrlichen Thälern des Serio und des Brembo, der wird dort noch gar manches Gemälde aus der Schule der Boselli, der Gavazzi, der Scipioni von Averara finden, wird daselbst noch auf manche Wandmalereien stoßen, die in die erste Hälfte des XV. Jahrhunderts gehören, und er wird in jenen Gestalten, in jenen Darstellungen überall demselben Charakter begegnen, den er in den Gestalten und Geberden der Leute auf der Straße, den er selbst in deren Idiom ausgedrückt findet, nämlich dem Charakter eines rüstigen, einfachen, energischen Bergvolkes, das aber nicht immer Feinheit und Anmuth mit der ihm angebornen Kraft und Rüstigkeit zu vereinen weiß. Denselben Grundzug wird er nun, wiewohl etwas gemäßigt und verhüllt, auch in den Werken derjenigen Bergamasken Maler und Bildhauer wiedererkennen, die jung schon aus ihren heimatlichen Thälern in die Hauptstadt Venedig zur weitern Ausbildung geschickt wurden, wie z. B. Palma vecchio, Previtali, Cariani, die beiden Santa-Croce u. a. m.

Das eben Gesagte gilt ganz allgemein für die Entwicklungsgeschichte aller Kunstschulen Italiens, nur wird man bei den Schulen der weniger kunstbegabten Volkstämme manche Lücke antreffen, zumal in der Uebergangsperiode von der heroischen Kunstepoche, d. h. der Giottesken, zur wissenschaftlichen d. h. zu der Epoche, in der das Studium der Linienperspektive, und somit der realen Natur, aufkommt. Die florentinische Kunstschule ist in dieser wie auch in anderer Beziehung die am vollständigsten entwickelte und steht darin allen andern Schulen der Welt voran; nach derselben kommt vielleicht die veronesische.

Die venezianische Schule, welche es, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle sehr richtig bemerken, im XIV. und Anfange des XV. Jahrhunderts in der Malerei nie über’s Lallen gebracht und erst durch Gentile da Fabriano und Pisanello, und nicht, wie einige deutsche Schriftsteller behaupten, durch den sehr überschätzten Johannes Alemanus, zum reden kam, die Stadt-Venezianer, sage ich, drückten sich dafür in jener Periode um so trefflicher und charakteristischer in Stein aus, in architektonischen und Bildhauer-Arbeiten, und ich brauche hier bloß die Namen des Filippo Calendario, der Brüder delle Massegne und des Meisters Bartolommeo[2] zu nennen, um auf diesen wichtigen Punkt in der Entwicklung der Kunstsprache aufmerksam zu machen; darf man doch, wenn man einer Kunstschule gerecht werden will, nicht bloß die eine Form des geistigen Ausdrucks in der Zeichensprache, d. h. die Malerei, ausschließlich in Betracht ziehen. In einer spätern Phase der Entwicklung, als die Malerei durch die Vivarini und die Bellini zu voller Blüte kam, d. h. zu Ende des XV. Jahrhunderts, sehen wir dagegen in Venedig die Sculptur von der Malerei zurückgedrängt und von dieser ins Schlepptau genommen, eine Wandlung der Dinge, die sich nicht lediglich auf die Stadt Venedig beschränkte, sondern sich in gleicher Weise in ganz Oberitalien vollzog. Während man z. B. in den Werken der Lombardi und selbst des Alessandro Leopardi bald die Vivarini, bald Giovanni Bellini erkennt, so fühlt man in den Figuren des trefflichen Bildhauers Antonio Riccio von Verona jene veronesische Malerschule durch, aus welcher Riccio’s Landsmann, der Maler Liberale, hervorging, (z. B. in dem Adam und der Eva im Hofe des Dogenpalastes zu Venedig). Man besehe sich auch die Statuen an den Altären in den Kirchen Verona’s. So erkennt man an mancher Sculptur des Alfonso Lombardi[3] den Geist des Dosso Dossi u. s. f.

Im Mailändischen allein hat die Skulptur sich von der Malerei nicht nur nicht in Schatten stellen lassen (wozu vielleicht die zahlreichen Skulpturarbeiten an und in der Certosa von Pavia und am Dome von Mailand das ihrige beigetragen haben mögen), sondern sie hat dieselbe in mancher Beziehung sogar beeinflußt.[4] Will man also die Geschichte der Kunst eines Volkes kennen lernen, so muß man allen drei Gattungen von Formen, deren der Volksgenius in der Kunstsprache sich bedient, die nämliche Aufmerksamkeit widmen. Und vor allem rathe ich meinen jungen Landsleuten, das Studium der Handzeichnungen der großen Meister sich angelegen sein zu lassen. Die gemalten Werke sind, wie gesagt, meist so entstellt, sei es durch den Zahn der Zeit, sei es durch die Pfote des Restaurators, auf uns gekommen, daß wir in vielen Fällen die Hand und den Geist des Künstlers, unter der Hülle, die sein Werk bedeckt, nicht mehr zu sehen vermögen. In den Handzeichnungen dagegen steht der ganze Mann, so zu sagen ohne Hülle, ohne Affectation, vor uns, und sein Genius, mit seinen Vorzügen und seinen Gebrechen, spricht unmittelbar zu unserm Geiste.

Aber nicht nur für die Kenntniß der einzelnen Meister ist das Studium der Handzeichnungen unentbehrlich, sondern es dient auch dazu, uns die Merkmale der einzelnen Kunstschulen schärfer einzuprägen, die eine von der andern schärfer unterscheiden zu lernen. Denn viel klarer, als in den Gemälden, erkennt man in den Handzeichnungen die geistigen und materiellen Familienzüge der einzelnen Meister und Schulen, z. B. in der Art wie sie die Falten zu legen, die Schatten und Lichter anzugeben pflegen, oder an dem Umstande ob sie der Feder oder der schwarzen Kreide, dieser oder dem Röthel den Vorzug geben u. s. w.

Ich erachtete es daher für gut, jenen jungen Kunstbeflissenen, die Willens wären, die von mir gemachten Studien selbst vorzunehmen, gelegentlich diese oder jene besonders charakteristische Handzeichnung zu bezeichnen und ihnen die Anschaffung der Photographie derselben anzurathen. Sie würden sich so auf wohlfeile Art die ergiebigste Quelle für ein ernstes Studium der alten Meister bilden. Freilich muß dabei eine gewisse Vertrautheit mit den ausgeführten, sei es gemalten, sei es gemeißelten Werken der großen Meister selbst voraus gesetzt werden; – einem Anfänger würden Handzeichnungen nur den Kopf verwirren. Den Genuß aber, den ein solches Studium dem schon geübten Auge darbietet, rechne ich zu den reinsten, die dem Menschen auf Erden beschieden sind.


 
1. Die Venezianer.

Sehen wir nun in dem neuen 1872 erschienenen Kataloge des Herrn Dr. Marggraff nach, ob die Altmeister der Schulen in den Räumen der Galerie würdig vertreten sind, so fallen uns vor Allem zwei Namen in’s Auge, welche beide einen trefflichen Klang haben und Männern angehören, die während des 15. Jahrhunderts die Hauptvertreter, der erste der venezianischen, der andere der paduanischen Malerschule waren, nämlich Giovanni Bellini und Andrea Mantegna. Das sind große, charaktervolle Meister, und man sollte voraussetzen dürfen, daß ihre Physiognomien jedem Kunstforscher klar in’s Gedächtniß eingeprägt seien. Sollen wir aber deshalb ohne weiteres dem Kataloge Glauben schenken? Schwerlich, da ja Herr Dr. Marggraff in seiner Vorrede selbst anerkennt, daß menschliche Urtheile nicht unfehlbar sind. Auch hat ja der Geist wie der Körper seine Gewohnheiten, hängt an dem ihm überlieferten Lug und Trug eben so zähe, ja noch zäher, als an der Wahrheit. Darum rathe ich allen jüngern Kunstbeflissenen, sind sie wirklich gewillt in den Bildersammlungen etwas zu lernen, vorurtheilsfrei die darin aufgestellten Gemälde zu prüfen, unbeirrt von Meinungen, die andere darüber ausgesprochen haben. Sie werden dabei ohne allen Zweifel gar manchen Fehltritt thun, allein irren ist menschlich, und nur durch das Fallen lernt man auf eigenen Füßen stehen. Die größten Kunstkenner und Kritiker neuerer Zeiten, Rumohr und Otto Mündler, wie die Crowe und Cavalcaselle und andere mehr, sind ebenso vorgegangen, weßhalb die Urtheile dieser Herren auch nicht immer miteinander, noch mit den Ansichten des Herrn Dr. Marggraff, wie wir sehen werden, übereinstimmen. Daher mag es auch mir nicht verübelt werden, wenn ich über manches Bild dieser Sammlung weder die Meinung des Herrn Marggraff noch die der obgenannten Herren als vollgültig annehmen kann, vorausgesetzt, wie sich von selbst versteht, daß ich jedesmal die Gründe angebe, welche mich veranlassen, von den Ansichten der Andern abzuweichen. Und diese Gründe dürfen nicht bloß ästhetische und somit subjective, von dem Geschmacke und der Laune des Individuums abhängige sein, sie müssen auf sinnlich wahrnehmbare, jedem sehenden Auge zugängliche Thatsachen zurückgeführt werden. Und nun frisch an’s Werk!

Das Bildchen, welches dem Giambellini in die Schuhe geschoben wird, hängt im Kabinette 20, und trägt die Nummer 1196. Es stellt, wie Herr Dr. Marggraff in seinem Kataloge meint, das Brustbild des Künstlers, auf Holz gemalt, dar. Das Bildniß deutet auf einen Mann von beiläufig 28 oder 30 Jahren und müßte also, wenn nach dem Leben gemalt, ums Jahr 1456 entstanden sein. Giovanni Bellini, der jüngere Sohn des Jacopo, kam nämlich im Jahre 1426 auf die Welt, hätte also nach Dr. Marggraff sein Selbstporträt, in einem Alter von etwa dreißig Jahren und ungefähr zur nämlichen Zeit gemalt wie seine zwei Darstellungen der Pietà, im Municipalpalaste von Rimini und in der Breragalerie zu Mailand. Betrachten wir die Mache auf diesem Gemälde näher, so finden wir, daß dieselbe auf eine viel spätere Zeit hinweist. Auch weichen die Porträts des Giambellini, welche Vasari und Carlo Ridorfi ihren Biographien des Meisters vorsetzten, und die mit denjenigen in der Porträtsammlung der Uffizien zu Florenz übereinstimmen, ganz und gar von diesem Bildnisse ab.[5] Dem sei aber wie ihm wolle, das Gemälde mit seinem grünen Grunde (bei Bellini ist der Grund stets schwarz) gehört auf jeden Fall nicht dem venezianischen Altmeister an, überhaupt keinem Meister, sondern einem Pfuscher von Profession, denn selbst für ein Werk des langweiligen Mansueti wäre dieses Porträt noch viel zu schwach.[6] Der Name des Giambellini, ein der Kunst heiliger Name, sollte wahrlich nicht so frevelhaft mißbraucht werden, und wir erlauben uns daher Herrn Dr. Marggraff ehrerbietigst zu ersuchen, denselben aus seinem Kataloge bei erster Gelegenheit streichen zu wollen.

Und wo hat man Mantegna’s Bild aufgestellt? Schon der bloße Name dieses großen Meisters ließ mir beim ersten Eintritt in die Galerie keine Ruhe. Das Bildchen hängt im Saale 9 und trägt die Nummer 549. Ich erschrak förmlich, als ich zum ersten Male vor das Bild trat. Nein, das ist zu arg, rief ich in meiner Entrüstung aus; nicht zufrieden, den Giambellini beschimpft zu haben, will Herr Professor Marggraff auch den großen Andrea Mantegna, dessen Schwager, erniedrigen und zu Schanden machen. Sein Grimm scheint es also auf die ganze Familie der Bellini abgesehen zu haben. Das ist wahrlich nicht sehr christlich von ihm. – Und was meinen denn die Herren Crowe und Cavalcaselle zu diesem vermeintlichen Mantegna der Münchener Pinakothek? „Der Stil ist ein Gemisch von demjenigen des Galasso und dem des Tura „and recalls that of the foregoing examples. We may therefore (?) class this piece under the name of Bono (of Ferrara)“ (History, Bd. I, S. 376.) Sie sehen also das Bildchen als ein Werk der ferraresisch-veronesischen Schule an, denn Vittore Pisano, der Lehrer des Bono, war ja ein Veronese, Bono selbst aber ein Ferrarese.[7] Es thut mir leid, auch dießmal die gelehrte Meinung der berühmten Historiographen nicht ganz theilen zu können. Das Bildchen scheint mir nämlich durchaus veronesischen Ursprungs zu sein, und es kommt mir überdies vor, als ob die hölzernen Lidspalten, die architektonische Form des Thrones (eine Nische), auf dem Maria sitzt, der mit schwarzen und weißen Marmorplatten belegte Fußboden u. a. m. die Art und Weise der Schule des Girolamo und des Francesco Benaglio hinlänglich charakterisirten. Ob das M über dem A am linken Pfeiler des Thrones ‚Maria‘ bedeute, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle meinen, und nicht Andrea Mantegna, wie Herr Dr. Marggraff glaubt, ist für mich natürlich eine ganz müßige Frage. Gewiß ist’s, daß Mantegna nie in seinem Leben weder so gezeichnet noch jemals so sich bezeichnet hat. Mantegna bezeichnete sich gewöhnlich Andreas Mantinea C. P. (Civis Patavinus.) Oberhalb jener zwei mysteriösen Buchstaben finden wir aber zwei andere, nämlich ein S und ein V. Im V oben steckt überdieß ein E; also S. . Dieser S. Veronensis mag also ein Schüler des Girolamo und Mitschüler des Francesco Benaglio, eines Nachahmers und Kopisten des Mantegna, gewesen sein.[8] Auf jeden Fall aber gehört dieses unbedeutende Bildchen weder dem Bono von Ferrera und noch viel weniger dem großen Mantegna an, sondern ist die Arbeit eines Veronesers aus den drei letzten Decennien des fünfzehnten Jahrhunderts, der in einer nahen Beziehung zu Francesco Benaglio stand.

Nach der traurigen Erfahrung, die wir so eben an den vermeintlichen Werken des Giovanni Bellini und Mantegna gemacht haben, werden wir gut thun, mit um so größerer Vorsicht an die Betrachtung der im Kataloge unter dem Namen des Basaïti, des Jacopo Palma, des Lorenzo Lotto, des Giorgione und Tizian angeführten Bilder zu gehen.

Von Marco Basaïti findet sich (Kabinet 18, Nr. 1129.) eine „Kreuzabnahme“, die im Kataloge nur dubitativ dem Basaïti zugeschrieben wird; meiner Ansicht nach aber ist es zwar kein schönes aber ein untrügliches Jugendwerk dieses Meisters. Die Herren Crowe u. Cavalcaselle (Bd. I, S. 266, Anm. 3) Ich einen fast Herrn Marggraff Recht geben zu wollen, indem sie bemerken, daß dieß Gemälde mit seinem ärmlichen Charakter sie lebhaft an Nicolaus de Barbaris (?) oder, wenn man lieber wolle, an Marziale erinnere.[9] Vor einem andern Bilde dieser Galerie, (Saal IX, Nr. 559: Maria mit dem Kinde, dem kleinen Johannes, dem h. Sebastian nebst dem Donator), welches im Kataloge der Schule des Giambellini zugeschrieben wird, stimme ich dagegen ganz mit den obengenannten Historiographen überein, welche in diesem Gemälde, obschon es sehr überschmiert ist, doch noch deutlich die Hand des Meisters Basaïti erkennen – falls ich die Herren recht verstanden habe. – Statt den Basaïti rundweg als Schüler, oder wenigstens stark beeinflußt von Giovanni Bellini zu bezeichnen, wie Herr Dr. Marggraff thut, sehe ich mit den Herren Crowe und Cavalcaselle in den Werken Basaïti’s ganz deutlich den Einfluß des Alvise Vivarini[10]; allerdings hatte derselbe in einer andern Epoche sich auch an Giambellini angeschlossen und auch von diesem Meister manchen Zug angenommen. Basaïti war noch über das Jahr 1520 hinaus thätig, denn es existirt ein mit dem Namen M. BAXITI und der Jahrzahl 1521 bezeichnetes Porträt von ihm im Privatbesitze zu Mailand.[11]

Dem für die Meisten mythischen, ja selbst den s. g. Kennern fast unbekannten Giorgione schreibt Herr Dr. Marggraff nur zwei Bilder zu, eine Bescheidenheit, die an einem Galeriekataloge nicht genug zu preisen ist. Das eine derselben hängt im Saale 7 unter der Nummer 470; das andere im Saale 9, mit der Nummer 582 bezeichnet. Das erstere von diesen Gemälden stellt nach Dr. Marggraff die „Eitelkeit und Vergänglichkeit der Welt“ dar, und wurde früher dem Tizian zugeschrieben, von einigen „Kennern“ auch dem Palma vecchio. Die Herren Crowe u. Cavalcaselle (Bd. II, S. 150) sind unschlüssig, ob sie es dem Giorgione lassen sollen, jedenfalls, meinen sie, wenn es schon ein Werk von Giorgione sei, so sei es „in the spirit of Pordenone“ gemalt; später aber (Bd. II, S. 287), rechnen sie das Bild diesem letztern Meister zu und bemerken dabei, daß in derselben Art gemalte „Sibilla“ im Jahre 1632 in der Sammlung Canonici zu Ferrara als ein Werk des Pordenone aufgestellt, jedoch als „Prudenza“ bezeichnet gewesen sei. Zuerst also erschien es ihnen als eine Arbeit von Giorgione im Geiste Pordenone’s, später als von Pordenone im Geiste des Giorgione gemalt. Doch über dieses schöne Bild werde ich mich später aussprechen. Betrachten wir zuerst No. 582. Das Bild stellt einen mit einem Fuchspelz bekleideten Mann in den dreißiger Jahren dar, mit scharfem, lebendigem Blicke, eine durch und durch italienische Physiognomie.[12] Die Auffassung ist geistreich, die Darstellung aber vielleicht ein wenig zu sehr auf Effekt berechnet. Der verstorbene Mündler, wie ich höre, und nach ihm auch die Herren Crowe und Cavalcaselle (Bd. II, S. 159) gaben dieses Porträt dem Palma vecchio. Das Gemälde hat sehr gelitten, es ist verputzt und hat daher fast alle seine röthlichen Fleischtöne eingebüßt. Nun kommt allerdings dieser effectvolle Kopf dem Palma vecchio sehr nahe, betrachte ich aber die schwarzen Schatten, die runde, nicht Palma’sche Form des Ohres, die starke röthliche Lasur auf dem Nasenrücken, so erscheint mir dieses Bildniß eher als ein ganz ausgezeichnetes Werk eines Schülers und Mitarbeiters des Palma, nämlich des Giovanni Cariani aus dem Brembothale bei Bergamo. Mehrere gute Porträts von diesem befinden sich in der Stadtgalerie von Bergamo; man betrachte daselbst namentlich die zwei im großen Saale, vor Allem den „Mann mit breitkrämpigem Hute“, der früher auch dem Giorgione zugeschrieben war. Ein echtes, gutes, obwohl stark restaurirtes Bild von Palma dagegen hängt im Saale 9, Nr. 588: Maria hat das Jesuskind auf dem Schooße, während der h. Rochus ihm einen Rosenkranz darreicht; auf der andern Seite die h. Magdalena. Dieß Bild gehört zur s. g. blonden oder dritten Manier des Meisters.

Herr Professor Marggraff läßt den Palma vecchio nach Giovanni Bellini sich ausbilden und später auch nach Giorgione und Tizian. Dieser Ansicht, die, beiläufig gesagt, die bisher herrschende war, widersprechen aber auf’s Entschiedenste die neuesten Historiographen der italienischen Kunst, die weltbekannten Herren Crowe und Cavalcaselle. Diesen Herren zu Folge nimmt Palma als Bahnbrecher fast die erste Stelle in der venezianischen Schule der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts ein. Sie erzählen uns, daß von den beschneiten Alpen Piemonts bis zum Golfe von Triest, es keine namhafte Stadt im Pothale gegeben, die nicht den Einfluß der Palma’schen Kunst erfahren hätte, versichern uns ferner, daß Pellegrino da S. Daniele, Pordenone, Morto da Feltre und viele andere berühmte Meister jener Zeiten ihren Stil zum Theil dem Palma entlehnten, und nehmen deshalb an, daß dieser große Maler vor 1480 geboren sein müsse, daß er also um einige Jahre älter als Tizian, Pordenone und Sebastian del Piombo und Altersgenosse von Pellegrino und Giorgione gewesen sei. Aus allen diesen Gründen ertheilen sie ihm die Ehre, mit Giorgione und Tizian die venezianische Kunst modernisirt und regenerirt zu haben.[13]

Diese Frage ist, wie jeder Kunstfreund leicht einsehen wird, nicht ohne eine gewisse Bedeutung für die Geschichte der venezianischen Kunst, und deshalb möge man mir erlauben, etwas länger dabei zu verweilen, um diesen Punkt, so gut es eben an dieser Stelle geschehen kann, in meinem Sinne aufzuklären. Die ältern Schriftsteller, welche uns über Palma berichteten, wie Vasari und sodann C. Ridolfi, stellten uns denselben jünger als Tizian und Giorgione dar, und der venezianische Berichterstatter des Vasari, der um ein Dutzend Jahre nach dem Tode Palma’s dem Aretiner über Palma und Lotto referirte, läßt ihn 48 Jahre alt sterben. So ging damals die Rede bei den Malern in Venedig. Warum sollen wir an dieser Angabe zweifeln? Haben wir etwa positive Gründe die das Gegentheil beweisen? Gewiß nicht! Wir werden weiterhin bei der Biographie des Antonello von Messina sehen, daß Vasari in dergleichen Altersangaben der Künstler, die ihm ja gewöhnlich von vorurtheilsfreien, unpartheiischen Leuten mitgetheilt wurden, nicht so grobe Verstöße gegen die Wahrheit machte, wie dieß gar oft in den Berichten geschieht, die er aus seinem eigenen Kopfe hinzusetzen zu müssen wähnte, um seine Erzählungen interessant zu machen. – Nun wurde vor etlichen Jahren das Testament und das Todesjahr des Palma entdeckt;[14] Palma starb danach 1528, und ist er, wie dem Vasari von Venedig aus berichtet wurde, im Alter von 48 Jahren gestorben, so muß er 1480 geboren worden sein; ob in Venedig oder in Serinalta ist allerdings nicht zu entscheiden.

Vasari nennt ihn Palma viniziano, was also vermuthen ließe, daß er, wie sein Großneffe, Palma der jüngere, in der Lagunenstadt auf die Welt gekommen sei; spätere Schriftsteller aber lassen ihn in Serinalta, der Heimath seiner Eltern, geboren sein. Dem sei nun, wie ihm wolle, Palma ist als Maler ein Venezianer, als Künstler aber ein zum Venezianer gewordener Bergamaske, denn trotz seiner künstlerischen Erziehung in der Lagunenstadt hat er seine Bergnatur doch nie ganz in seinen Werken zu verläugnen vermocht. Den Gestalten des Giorgione und Lotto, oder des Bonifazio veronese gegenüber gestellt, sind die seinen allerdings ernstere und energischere, aber auch grobkörnigere Naturen, als die der eben genannten Zeitgenossen, welche Söhne der Tiefebene waren. Mir ist kein einziges entweder mit dem Namen oder mit der Jahrzahl bezeichnetes Werk von Palma vecchio bekannt, während wir von Lorenzo Lotto, wie wir sehen werden, bezeichnete Bilder schon von 1500, 1505 und 1506 besitzen. Als eines der frühesten Gemälde des Palma betrachte ich jenen „Christus mit der Ehebrecherin“, den der Anonymus des Morelli nebst dem jetzt im Braunschweiger Museum befindlichen „Adam mit Eva“ im Jahre 1512 im Hause des Francesco Zio zu Venedig sah, jetzt in einem freilich sehr kläglichen Zustande unter dem Namen Tizian’s in der Galerie des Capitols zu Rom aufgestellt.[15] Auch das Bild „Adam und Eva“ mag zu seinen Jugendwerken gehören und etwa zwischen 1508 bis 1510 gemalt sein.

Wenn wir nun Palma’s Schüler, den Bonifazio veronese und den Cariani, und wenn man will, auch etwa seinen geistlosen Nachtreter Galizzi aus Bergamo[16], ausnehmen, so frage ich, in welchen Werken seiner Zeitgenossen in Vercelli, Mailand, Pavia, Lodi, oder selbst in Bergamo, Brescia und Verona wollen denn die Herren Crowe und Cav. Einflüsse des Palma bemerkt haben? Täusche ich mich nicht, so verwechseln die Herren wohl Palma mit Giorgione. – Palma wurde ziemlich spät außerhalb Venedigs berühmt, und Bestellungen auf Kirchenbilder erhielt er – wenn wir jene für Serinalta, Dossena und Peghera, alle drei Dörfer im heimathlichen Brembothale, ausnehmen – aus den Orten Fontanelle (bei Oderzo), Zerman (bei Treviso) und Vicenza. Alle diese größern Kirchenbilder verrathen die Hand eines schon fertigen Meisters und gehören ungefähr in die Jahre 1515 bis 1525. Lorenzo Lotto dagegen war schon frühe von 1500 bis 1506 in seiner Trevisanischen Heimath thätig und erhielt bereits 1506 eine Bestellung von den Dominikanern von Recanati, ja 1509 ward ihm der rühmliche Auftrag, in den Zimmern des Vaticans zu malen. Nach dem eben Gesagten scheint es mir nun wenigstens sehr zweifelhaft zu sein, daß Palma älter als Lotto und Tizian gewesen sei, – Ist es ferner ausgemacht, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle behaupten, daß Pordenone, Pellegrino und Morto da Feltre ihren Stil von Palma entlehnt haben? Was den Morto betrifft, so gebe ich denselben gerne preis, da er mir zu wenig bekannt ist; Pordenone aber, in seinen jüngern Jahren, wie z. B. in seiner schönen Altartafel von Sussigana und in den Fresken der Schloßkapelle von S. Salvatore, verräth allerdings Einflüsse von Giorgione und namentlich vom giorgionesirenden Tizian, dessen Fresken in Padua vom Jahre 1510–11 Giovan Antonio fleißig studirt zu haben scheint, aber – von Palma auch nicht eine Spur, wenigstens meinem Dafürhalten nach.

Was nun den Pellegrino da S. Daniele anbelangt, so sehe ich in seinem Bilde von Cividale vom Jahre 1528 wohl den Nachahmer, jedoch nicht den originalen Schüler des Palma, und man bedenke überdieß, daß jenes Werk auch vom Grafen Maniago als das beste des Pellegrino angerühmt wird.[17] Vasari giebt den Lehrer Palma’s nicht an; Carlo Ridolfi meint, derselbe sei jung nach Venedig gekommen und habe viel von Tizian gelernt, so zwar „ch’ egli[a 3] apprese certa dolcezza di colorire che si avvicina alle opere prime dello stesso Tiziano“. Wie kommt es nun, daß so competente und scharfsichtige Männer, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle, durch ihre eigenen Forschungen auf eine Ansicht über Palma vecchio geführt wurden, welche derjenigen des Vasari und des Ridolfi geradezu widerspricht? Haben sie etwa Documente aufzuweisen, mit denen sie ihre Thesis stützen könnten? Nein. – Rathe ich recht, so muß ihre Ansicht auf einer Täuschung beruhen.

Herr Reiset[18] in Paris hat nämlich ein Madonnenbild von Palma vecchio, das einzige mir bekannte Werk des Meisters, auf dem nicht nur der Name Jacobus Palma, sondern auch MD, also das Jahr 1500, wie Einige deuten, zu lesen ist. Nun erscheint aber die Mache auf jenem Bilde durchaus nicht als diejenige eines Quattrocentisten, sondern als die eines um wenigstens ein Decennium spätern Malers; überdieß ist das Bild durch Uebermalung ganz und gar entstellt. So ist z. B. die Form des Ohres vom Christkinde nicht die dem Palma eigenthümliche, sondern sie ist vom Restaurator modificirt worden, desgleichen die linke Hand der Jungfrau; der Himmel ist ganz übermalt, der Nimbus und der Bart des h. Hieronymus sind durchaus neu. Und wie sieht es denn mit der Aufschrift, dem s. g. cartellino, aus? Sind der Name und die Jahreszahl wirklich authentisch, oder sind sie später aufgesetzt worden? Aus den oben angeführten Gründen muß ich mich für das Letztere erklären.[19] Die Aufklärung dieses Zweifels ist nicht ohne Wichtigkeit für die Kunstgeschichte; denn stellt sich jenes cartellino als legitim heraus, so behalten die Herren Crowe und Cavalcaselle recht, und die Entwicklungsgeschichte der venezianischen Malerkunst in den ersten drei Decennien des sechzehnten Jahrhunderts ist ungefähr so, wie sie dieselbe dargestellt haben; sollte aber jene Aufschrift auf dem Bilde des Herrn Reiset nicht von Palma selbst, sondern nach seinem Tode von irgend einem Kunsthändler darauf gesetzt worden sein, so fällt ihre ganze Theorie wie ein[a 4] Kartenhaus zusammen, und es wird dann dem Palma ein bescheidenerer Platz unter seinen großen Zeitgenossen angewiesen werden müssen, als der, auf den die Verfasser der neuen italienischen Kunstgeschichte ihn gestellt haben. Es wäre daher sehr zu wünschen, daß der jetzige Besitzer, Seine Hoheit der Herzog von Aumale, der Kunstwissenschaft zu Liebe das berühmt gewordene Bild einer sorgfältigen Reinigung unterziehen ließe.

Doch wenden wir uns nach dieser Abschweifung wieder zu den Bildern zurück, die in der Münchener Galerie dem Palma vecchio zugedacht werden. Von einigen Kunstkennern wird noch der große Hieronymus, Saal 9, Nummer 578 dem Palma vecchio aufgeladen, während Doctor Marggraff der Ansicht ist, daß der Urheber dieses Bildes den Torso des Farnensischen Herkules (!) zu Rom studirt haben dürfte, und das ist auch eine Meinung. Die Herren Crowe und Cavalcaselle dagegen geben diesen schreibenden Hieronymus einem nicht-italienischen Meister. Soll’ ich nun bei solcher Confusion der Urtheile auch das meinige abgeben? Analysiren wir denn zuerst diese männliche Gestalt. Die Modellirung und der Ausdruck des Gesichtes, die Zeichnung der Finger der linken Hand sowie des rechten Beines sind durchaus die eines oberitalienischen Meisters aus der Mitte des 16. Jahrhunderts; ebenso ist der Faltenwurf des Mantels italienisch und nicht etwa vlämisch. Der architektonische Hintergrund erinnert ganz und gar an den Moretto von Brescia. Fasse ich den Totaleindruck zusammen, so kann ich als den Autor dieses großen Hieronymus keinen andern Meister anerkennen als den Giovan Battista Moroni von Bergamo, den Schüler des Moretto. Ob aber das Gemälde Original oder Kopie sei, vermag ich, da es durch den dicken, gelb gewordenen Firniß maskirt ist, nicht zu sagen. Doch machte es mir den Eindruck eines Originals. – Unter dem Namen des Palma hängt auch noch im Cabinet 20 ein Bild, No. 1193, das die heilige Familie nebst zwei Marien und der h. Elisabeth darstellt. Dem Palma gehört ohne allen Zweifel dieses Gemälde nicht an; auch die Herren Crowe und Cavalcaselle geben das zu und schlagen dafür entweder den Bissolo oder auch einen oder den andern der zwei Santa Croce als Autoren vor (Bd. II, 488.). Meiner Ansicht zufolge ist es eine freie Kopie von Girolamo da Santacroce nach einem Bilde des Giovan Bellini. Wie Paolo Farinato eine Schnecke, Stefano da Zevio einen Pfau, wie Bosch ein Schweinchen, Vinckeboons einen Finken u. s. f., so brachte Girolamo da Santacroce auf seinen Bildern, wenn der dargestellte Gegenstand es ihm eben erlaubte, einen Papagei als Kennzeichen an. Und auch auf diesem Gemälde, auf dem überdieß auch noch die Landschaft, die Form der Hand und die des Ohres, sowie der gestreifte Himmel über dem Papagei charakteristisch für den Meister sind, finden wir den grünen Vogel.

Die auf uns gekommenen Werke des Palma vecchio sind nicht zahlreich, ein weiterer Beweis, daß sein Leben kurz war. Im Inventarium der Herren Crowe und Cavalcaselle werden ungefähr 53 oder 54 Werke des Palma als authentisch angeführt, wenn ich recht gezählt habe. Und von diesen 53 müßten, nach meiner Meinung, folgende ihm entzogen werden:

1) Eine h. Jungfrau mit dem Christus und Johannesknaben zwischen Heiligen, im Besitze des Herrn E. Andreossi (Mailand, Via Clerici). Das Bild gehört unbedingt dem Bonifazio veronese, obwohl es in der Kunstausstellung von Bergamo als ein Palma figurirte.

2) Die „Schiava del Tiziano“ in der Galerie Barberini, eine schwache Kopie eines viel spätern Malers.

3) Nummer 329 der Stuttgarter Galerie, eine h. Familie, dem Bonifazio junior angehörend.

4) Auch 17 und 14, in derselben Galerie, sind nicht Werke des Palma.

Dagegen halte ich für echt einige Gemälde, die von den Herren Cr. u. Cav. ihm abgesprochen wurden, so z. B. jenen Johannes den Täufer, I. Saal, 35 der Belvederegalerie in Wien,[20] der zwar sehr übermalt ist, aber doch immer noch alle für Palma charakteristischen Merkmale an sich trägt.

Diesen füge ich noch etliche andere bei, und darunter einige Hauptwerke des Meisters, die im Inventarium der Herren Cr. u. Cav. nicht verzeichnet stehen: 1) Die Lucrezia (Saal XI) der Galerie Borghese – 2) Die „Ehebrecherin“ in der Galerie des Capitols zu Rom Nr. 80. – 3) Das Altarbild in der Kirche von Peghera und 4) ein anderes in der Kirche von Dossena, (beides Dörfer im Brembothal bei Bergamo) – 5) Nr. 318 in der Liechtenstein-Galerie zu Wien – sehr restaurirt aber echt. Nach meiner Rechnung sind also ungefähr 56 Bilder von Palma bekannt, von denen etwa 25, und darunter die schönsten und bedeutendsten, Italien noch immer erhalten, die übrigen in’s Ausland gewandert sind. Das ist freilich eine sehr geringe Zahl selbst für einen Maler, der nicht über 48 Jahr alt geworden. Die meisten unter denselben sind überdieß kleine Cabinetsstücke, deren er im Jahre, so langsam und sorgfältig er auch bei seiner Malerei zu Werke gehen mochte, doch an drei bis vier liefern konnte. (Ich muß nachträglich bemerken, daß ich die von den Herren Cr. u. Cav. angeführten Bilder des Meisters, welche sich in englischen Privatsammlungen befinden, leider bis jetzt noch nicht gesehen habe.) – Von L. Lotto dagegen finden sich allein in der Stadt und Provinz Bergamo mehr als zwanzig Werke, die Wandgemälde in S. Michele, in Trescorre und Umgegend nicht mit eingerechnet, und unter diesen sieben große Altarbilder, in Mailand ungefähr sieben, in Brescia eines[a 5], in der Marca Trevisana zwei, in Venedig drei Altarbilder und einige Porträts, in Florenz zwei (eines in der Uffizigalerie und eines in Privatbesitz,); in der Marca d’Ancona zwölf, in Rom etwa acht, in Neapel eins, in Modena ein schönes Porträt, im Ganzen also an 59 bis 60 allein in Italien, die im Auslande, und deren giebt es viele, ungerechnet. Die Herren Cr. u. Cav. geben dagegen in ihrem Inventarium von Lotto blos 32 Werke in Italien und 26 etwa im Auslande an.

Haben sich Lotto und Palma vecchio im Atelier des Giovanni Bellini in ihrer ersten Jugend gekannt und geschätzt, so scheinen sie von 1500 bis ungefähr 1510 wenig mit einander in Berührung gekommen zu sein, da Lotto in jenen Jahren meistens von Venedig abwesend war; auch haben die bezeichneten Werke Lotto’s aus dem ersten Jahrzehnten nicht die geringste Affinität mit denen des Palma. Eine innigere künstlerische Berührung der beiden Männer scheint erst in den Jahren von 1510 bis 1515 stattgefunden zu haben. Und dieser Epoche scheinen auch jene Gemälde des Palma mit den spitzen, scharfen Lichtern anzugehören, die für den Lotto so charakteristisch sind, und mit den Giorgionesken saftigen Farbentönen, wie z. B. „die Anbetung der Hirten“, No. 274 der Louvregalerie – das Brustbild eines Frauenzimmers, II, 9, der Belvederegalerie zu Wien – das herrliche Porträt eines jungen Frauenzimmers der Berliner Galerie u. a. m. Ich glaube daher, daß gerade in jener Zeit Lotto und Palma die Werke des Giorgione selbander studirt und nachzuahmen getrachtet, daß aber bei jenen Studien Lotto mehr den Palma, als dieser den Lotto beeinflußt haben mag. Das schönste, vollkommenste Werk des Palma scheint mir das große Altarbild in der Kirche von S. Sebastiano in Vicenza zu sein; die Figur des h. Georg erinnert durchaus noch an den herrlichen h. Liberale in dem berühmten Bilde Giorgione’s zu Castelfranco. Als eines der letzten Bilder des Palma darf die große „Anbetung der heiligen drei Könige“ angesehen werden, die er für die Kirche di Sant’ Elena in Isola bei Venedig zu malen angefangen hatte und die sodann zum größten Theil von einem seiner Schüler, wahrscheinlich von Cariani, vollendet wurde. Die Herren Cr. u. Cav. sehen in diesem Bilde dagegen den Einfluß sowohl des Cima als auch des Carpaccio (Bd. II, S. 468). Das Bild hängt jetzt in der Breragalerie zu Mailand unweit von einem andern Bilde des Cariani[21] bequem zum Vergleiche. Unter allen Malern der nachbellinischen venezianischen Schule ist wohl Palma vecchio der kräftigste und gediegenste, wie sein Schüler Bonifazio Veronese mir der heiterste und brillanteste zu sein scheint. Beide Meister werden gar oft mit einander verwechselt. – Gehen wir nun zu Lorenzo Lotto, dem Freund und Kunstgenossen des Palma vecchio, über.

Nach der gewöhnlichen Angabe ist Lorenzo Lotto um 1480 geboren, doch bin ich geneigt, seinen Geburtstag um etliche Jahre zurückzuschieben, etwa in’s Jahr 1476. Denn erstens ist sein Bild in der Louvregalerie No. 227, den h. Hieronymus darstellend, mit dem Namen und der Jahreszahl 1500 bezeichnet,[22] schon mit einer gewissen Meisterschaft ausgeführt, und andrerseits scheint Lotto im Jahre 1555 schon sehr alt gewesen zu sein, da er, wie ein Document im Museum Correr zu Venedig bemerkt, „die Stimme fast ganz verloren hatte“. Im selben Jahre „zahlte la santa casa di Loreto a messer Lorenzo Lotto oblato di Santa casa, monatlich un fiorino o bolognini 44“ für Nahrung und Kleidung, und dieß „weil Lotto sich selbst und all’ seine Habe der h. Jungfrau von Loreto geweiht hatte“. (Manuscripte über Lotto in der Bibliothek des Museo Correr, dem Verf. gütigst mitgetheilt vom Director desselben, Herrn Commendatore Niccolò Barozzi.)

Lotto scheint zwischen 1555 und 1556 in hohem Alter gestorben zu sein. Schon im Jahre 1542 mag er seinen Tod für nicht fern erachtet haben, denn im Libro Consigli, 3, carta 96, des Klosters von San Giovanni e Paolo zu Venedig lesen wir: Item ms. Lorenzo Loto dat scire relinquit conventui de credito suo pro palla Scti Antonini (das schöne Altarbild existirt noch immer, wiewohl sehr vernachläßigt, in jener Kirche) omne creditum suum ultra ducat: nonaginta, hoc videlicet pacto quod conventus teneatur in morte sua gratis sepelire eum in aliquo sepulcro et dare sibi habitum ordinis.

Lorenzo Lotto hat nicht zu Bergamo, auch nicht zu Venedig, wie Dr. Marggraff vorschlägt, das Licht der Welt erblickt, sondern zu Treviso,[23] und ist höchst wahrscheinlich schon frühe nach Venedig in die Schule des Giambellini gekommen, woselbst er wohl den Palma zu seinem jüngern Mitschüler gehabt haben mag und wo beide Jünglinge, zwei von Natur schlichte, einfache und fromme Gemüther, sich gegenseitig werden angezogen haben. Die im Charakter sehr Giambellinisch gehaltenen Jugendwerke Lotto’s sind folgende:

a) Der h. Hieronymus von 1500 im Louvre.

b) Das Madonnenbild bei Lord Ellesmere zu London.

c) Das liebenswürdige geistreiche Altarbild in Santa Cristina bei Treviso – zwischen 1505–1506 (?).[24]

d) Das von Federici (Memorie Trevigiane, Vol. II, p. 78) erwähnte Bildchen von 1505, gegenwärtig im Besitze des Malers Gritti zu Bergamo.[25]

e) Das Bild in der Galerie zu Neapel. f) Das Altarbild in der Kirche von Asolo vom Jahre 1506[26].

g) Das Bild der Borghesegalerie, 1508.

h) Das Bild zu Recanati, 1509.

Aber schon einige Jahre später, um 1511 und 1512 (Jesi) bemerkt man den großen Einfluß, den die Werke seines Landsmanns Giorgione auch auf ihn, der ja Sohn derselben Marca Trevigiana war, ausgeübt haben müssen.

Die Herren Cr. u. Cav. fassen nun, wie ich mit Bedauern sehe, den Lotto ganz anders auf, als meine eigenen Studien mir denselben erscheinen lassen. Sie sehen ihn für einen Bergamasken an, während doch Lotto’s Naturell grundverschieden von dem der Bergamasken ist; sagen ferner, daß er ein Schüler der Bellinesken (?) sei, seine Jugend mit Previtali verlebt und zuletzt zur Manier des Palma und des Giorgione hingeneigt habe, jedoch ohne je seine lombardischen Angewöhnungen (?!) lassen zu können. Nun, auch Tassi hat ihn als Schüler des A. Previtali hingestellt (Vite dei Pittori etc. Bergamaschi, I, 115) während Lomazzo zuerst und später auch Andere, selbst Lanzi, den Lotto, den sie als einen Bergamasken ansahen, für eine Art Schüler des Leonardo da Vinci erklärt haben, wahrscheinlich aus dem einzigen Grunde, weil Bergamo nicht sehr ferne von Mailand liegt. Zuletzt, sagen die Herren Cr. u. Cav., habe sich Lotto auch Tizian genähert, fügen aber hinzu, daß auch Previtali stark auf seine Manier eingewirkt habe. Ueberdieß, um das Maaß der Beeinflussungen und Analogien voll zu machen, lassen sie den durch so mancherlei Eindrücke mürbe gemachten und völlig verwirrten Lotto im ersten Decennium des 16. Jahrhunderts noch Bologna besuchen und dort die Fresken in der Kapelle der heiligen Caecilie, von Francia, L. Costa, Tamarozzo, Chiodarolo und A. Aspertini gemalt,[27] fleißig studiren, da ja in den Werken Lotto’s gar viele Erinnerungen daran zu bemerken wären (?!) – Und endlich sehen sie in unserm Lotto ein mixtum compositum von Cima, Bellini, Carpaccio, Montagna, Previtali und Santa Croce, ja finden schließlich noch, daß auch Dürer auf ihn eingewirkt habe. Lotto besuchte nach dem Urtheile derselben Kunsthistoriker das Atelier des Palma vecchio, und zu seinem Bilde vom Jahre 1508 in der Galerie Borghese meinen sie, müsse Palma selbst ihm die Skizze geliefert haben. Wie alle Verehrer der zwei eminenten Kunstkritiker kann auch ich nicht umhin, angesichts dieser gründlichen Analyse, ihrer weitreichenden Gelehrsamkeit meine volle Bewunderung zu zollen, allein mir scheint dieselbe der Wahrheit, wenigstens wie ich sie im Sinne habe, nicht ganz zu entsprechen. Mir erscheint dieses naive, reizende Jugendbild des Lotto, das er in Rom oder in der Marca d’Ancona für irgend ein Nonnenkloster gemalt haben mag, so durch und durch im Sinne und in der Gefühlsweise des Trevisaner’s empfunden und ausgeführt, daß ich gar kein Werk des Lotto kenne, welches so wenig an Palma erinnerte, als gerade dieses Borghesische. Die Zeichnung der Hand der Madonna, der Wurf und die Beleuchtung der Haare des Christkindes, die Falten sind noch ganz und gar Bellinisch. Allerdings hat der h. Onuphrius, wie Professor Thausing ganz richtig bemerkt hat, einen Dürer’schen Anflug und erinnert speziell an einen Kopf in dem 1506 von Dürer zu Venedig gemalten Bilde „Christus unter den Schriftgelehrten“ (Galerie Barberini); allein ich glaube diesen „Zufall“ dadurch erklären zu können, daß wahrscheinlich derselbe venezianische Bettlerkopf, sowohl dem einen als dem andern Meister als Modell gedient haben dürfte. –

Vasari sagt: „Fu compagno ed amico del Palma Lorenzo Lotto“ d. h. Lotto war Mitschüler und Freund des Palma, und nicht Gehilfe (journeyman), wie die Herren Cr. u. Cav. übersetzen zu müssen glaubten, wahrscheinlich um damit ihre Thesis begründen zu können, daß Lotto der Schüler oder Nachahmer des Palma gewesen sei. Nun sind einige Werke dieses letztern aus seiner mittleren Zeit, 1512–1520, wie schon gesagt, so Lottisch, namentlich in der Art die Lichter aufzutragen, daß der verstorbene Mündler das Bild des Palma im Louvre (277) geradezu für ein Werk des Lotto erklärte.[28] – Palma ist zwar im Ganzen genommen ein vollkommenerer und auch gefälligerer Maler als Lotto, der sehr oft in seinen Werken sich überstürzt und das Gleichgewicht verliert, allein Lorenzo Lotto steht andrerseits, was Erfindungskraft und künstlerische Auffassung anlangt, weit höher und hat auch mehr poetischen „Estro“ als der Bergamaske. Lanzi bemerkt richtig: „Se Palma è meno animato del Lotto e meno sublime, è forse più bello, comunemente parlando, nelle teste delle donne e dei putti“. Der trockene und nüchterne Previtali, übrigens ein trefflicher Techniker, hat sicher keinerlei Einflüsse auf Lotto ausgeübt, wohl aber umgekehrt, wie wir dieß weiterhin sehen werden, und was die künstlerische Beziehung Lotto’s zu Leonardo da Vinci betrifft, so scheint mir dieselbe ganz und gar aus der Luft gegriffen.[29]Correggesk endlich war Lorenzo Lotto, ehe noch Antonio Allegri seine Sporen sich verdient hatte.

Correggio und Lotto waren eben verwandte Naturen, die zu der nämlichen Zeit wirkten. Beide suchten, wie schon Leonardo vor ihnen, der Anmuth der Seele einen Ausdruck zu geben – es ist das der letzte Schritt der auf ihren Gipfelpunkt angelangten Kunst. Dieser Zug lag offenbar in der organischen Entwicklung des Kunstvermögens selbst.[30] – In Bergamo wirkte Lotto in den Jahren 1515 bis 1524 [31]; in der Mark von Ancona und Rom von 1506 bis 1510, und dann später von 1554–1556; die übrige Zeit scheint er sich in Venedig, im Kloster von S. Giovanni e Paolo, aufgehalten zu haben. Im Gegensatze zu seinem seelenverwandten Zeitgenossen Correggio, hat Lotto fast ausschließlich nur religiöse Gegenstände zu seinen Darstellungen gewählt; den s. g. Sieg der Keuschheit (Galerie Rospigliosi zu Rom) und den kleinen Faun dieser Sammlung ausgenommen, kenne ich von Lotto keine Darstellung aus der griechischen Mythologie. Seine Männer- und Frauenbildnisse aber dürften ohne Scheu den besten Porträts seiner Zeitgenossen die Seite gestellt werden; die besten derselben befinden sich in Rom, in der Breragalerie, in der Nationalgalerie zu London, bei Herrn, Holford und in Hamptoncourt, im Museum von Madrid, und ein sehr feines in der Belvederegalerie zu Wien.[32]

Tizian, der Lotto’s Altersgenosse sein mochte, scheint große Stücke auf ihn gehalten zu haben. So schrieb Pietro Aretino im April des Jahres 1548 folgendermaßen an Lotto: „Tizian schreibt mir von Augsburg, daß er Euch grüßen und umarmen lasse, und fügt hinzu, seine Freude, die eigenen Werke vom Kaiser gepriesen zu sehen, wäre verdoppelt, wenn er dieselben Euch weisen und mit Euch darüber reden könnte.“ –

Das liebenswürdige Jugendbild Lotto’s in der Münchner Galerie hängt im Saale 9 und trägt die Nummer 552. Es stellt die Vermählung der h. Catharina dar und ist bezeichnet: LAVREN. LOTVS. F. Die Form der Hand auf diesem Bilde ist noch ganz Giambellinisch, die Bewegung des Christkindes so wie die des h. Joseph sehr charakteristisch für den Meister. Es mag ungefähr der nämlichen Epoche wie die Bilder in Santa Cristina und Asolo (1504–1506) angehören. Auf den Bild seiner spätern Zeit, d. h. zwischen 1520–1530, zeichnet sich Lotto meist italienisch: Lorenzo oder Laurentio Loto oder Lotto. Dieses Gemälde ist nach demselben System gemalt, welches Albert Dürer, van der Goes, Giambellini und viele Maler diesseits und jenseits der Alpen im Gebrauch hatten, d. h. nach dem van Eyck’schen System.[33] Leider ist der Himmel fast ganz übermalt. – Ist dieses aber das einzige Werk von Lotto, das die Münchner Sammlung besitzt? Ich glaube nicht. Auch der kleine, liebliche s. g. Faun, im Cabinet 23, Nr. 674, erscheint mir als ein Werk des Lotto. Dieß interessante Bildchen stellt vermuthlich den jungen Pan als Meister der Musik dar. Er sitzt auf einem Steine und bläst auf der Flöte; neben ihm eine Zither, in der Ferne auf grüner Wiese ein weidendes Reh. Das Bildchen kam merkwürdiger Weise nach München unter dem Namen des Correggio, wurde aber von den meisten Kunstfreunden bisher über die Achseln angesehen und keiner nähern Betrachtung gewürdigt, da es der Art des Correggio, namentlich der bekannteren und populären Stilweise desselben wenig entspricht. Aber dem feinen Blicke Mündler’s entging die Bedeutung und der Werth auch dieses Bildes nicht, und er soll es dem Palma vecchio zugeschrieben haben. In der That erscheint dieser liebenswürdige junge Pan auf den ersten Blick venezianisch: das System der Malerei ist das des Giambellini, des Lotto und anderer Bellinesken, was man sehr gut an jenen Stellen beobachten kann, wo die Lasuren verschwunden sind. Der feurige Horizont erinnert sowohl an Palma wie an Lotto, und ebenso das Smaragdgrün der Wiese. Die Form der Hände jedoch, das Hellblau des Tuches auf den Schultern Pan’s und zumal das zierliche feine Bändchen, womit es auf der Brust zugeknüpft ist, endlich die Wahl des Gegenstandes selbst und die geistreiche, naive Auffassung desselben, dies Alles spricht in meinen Augen mehr für Lotto als für Palma. Leider hat das kostbare Bildchen durch Uebermalung und Verputzung an mehreren Stellen sehr gelitten.

Von L. Lotto gehen wir nun über zu seinem Landsmann, dem Giorgio Barbarelli, Giorgione genannt. – Daß das ihm von Herrn Dr. Marggraff zugedachte Bildniß im Saale 9 nicht dem Giorgione, sondern entweder dem Palma vecchio selbst, wie einige Kunstkritiker wollen, oder wenigstens dessen Schüler, Giovanni Cariani, wie mir scheint, angehöre, haben wir bereits gesehen. Es bleibt mir darum nur noch übrig, das andere, vom Kataloge ebenfalls dem Giorgione zugeschriebene Gemälde näher zu besprechen. Dieß Bild hängt im Saale 7, unter Nummer 470, und wurde, wie schon bemerkt, früher dem Tizian gegeben, in München auf Giorgione umgetauft und endlich von den Herren Cr. u. Cav. dem Giovan Antonio da Pordenone zugeschrieben. Der Typus dieses schönen Weibes ist ungefähr derselbe, dem wir in gar manchem Bilde aus der Giorgionesken Epoche Tizian’s begegnen. Der violette Localton, den wir z. B. auch in der s. g. Flora der Uffizien zu Florenz (626) finden und welcher Tizian durchaus eigenthümlich ist, ist in diesem Bilde noch sichtbar. Charakteristisch für Tizian ist noch das braungelbliche Tuch, das auf den Busen des Weibes herabfällt, sowie die Form der Hand.

Aus den angeführten Gründen also, die negativen abgerechnet, die es mir verwehren, diese allegorische Figur sei es dem Giorgione sei es dem Gio. Antonio da Pordenone, oder irgend einem andern Maler der venezianischen Schule aus jener Zeit zuzuerkennen, zähle auch ich diese Sibylle der Münchner Galerie zu den Jugendwerken Tizian’s; weht doch der hohe Geist Tizians uns noch immer frisch selbst aus dieser Ruine entgegen![34]

Und nun wollen wir die übrigen der Pinakothek gehörigen Werke des großen Cadoriners, darunter mehrere sehr werthvolle, einer näheren Betrachtung unterziehen.

Herr Marggraff läßt Tizian um 1477 auf die Welt kommen, ihn zuerst bei Gentile, dann bei Giovanni Bellini in die Schule gehen, und sich später unter dem Einflusse seines frühreifen Altersgenossen und Freundes Giorgione ausbilden. Diesen Angaben kann ich beistimmen, nur möchte ich den Giovanni Bellini weglassen. Denn, so wenig mich auch der moralische Charakter Tizian’s anspricht, so würde es mir doch schwer fallen, anzunehmen, daß der alte Bellini, dem der junge Tizian 1513 durch allerlei Intriguen habgierig seine Pension vom Salzamte wegschnappte, je sein Lehrer gewesen sei. Ob Tizian die Anfangsgründe seiner Kunst von Antonio Rosso, von Sebastiano Zuccato, von Gentile oder Giovanni Bellini erlernt hat, ist im Uebrigen keine Frage von großer historischer Bedeutung. Das, was nicht in Abrede gestellt werden kann, ist, daß in seinen Jugendwerken die Einflüsse von Giorgione so deutlich hervortreten, daß gar manches Bild Tizian’s aus jener Zeit (1504–1512) als Werk seines Lehrers und Vorbildes, des Giorgione, angesehen worden ist.[35]

Im Jahre 1505 erscheint Tizian noch als Gehilfe des Giorgione, und durch den Anonymus des Morelli erfahren wir, daß 1511, nach dem Tode Giorgione’s, Tizian manches unfertige Werk seines Meisters und Freundes vollendet habe. Giorgione’s Einfluß sehen wir aber nicht nur in den Jugendwerken des Cadoriners, er leuchtet aus den Gemälden fast aller seiner venezianischen Zeitgenossen hervor: aus denen des Lotto, des Palma, des Giovanantonio da Pordenone, des Bonifacio veronese, des Cariani, des Dosso, des Romanino und vieler anderer mehr, seines Schülers Sebastiano Luciani zu geschweigen. Außer der Einwirkung Giorgione’s auf Tizian, welche selbst die Herren Cr. u. Cav. gelten lassen, ja sogar selbst in jenem Jugendbilde, das den heiligen Marcus thronend zwischen vier andern Heiligen darstellt (jetzt im Vorräume der Sacristei der „Salute“ zu Venedig aufgestellt) hervorheben[36], wollen die genannten Kunsthistoriker auch noch den Einfluß des Fra Bartolomeo della Porta darin gewahren, vornehmlich im Faltenwurfe und in der Bewegung sowohl des h. Sebastian als auch des h. Rochus. Um diese feine Bemerkung jedoch richtig und in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen und würdigen zu können, muß man wissen, daß Baccio della Porta im April des Jahres 1508 nach Venedig kam und im Kloster von San Pietro Martire auf der Insel Murano nicht nur einige Wochen zugebracht, sondern sogar für jene Mönche ein Altarbild zu malen begonnen hatte.[37]

Und nun betrachten wir Tizian’s Werke, deren der Katalog etwa ein Dutzend aufweist.

Im Saale 7, Nummer 1329, sehen wir ein ächtes und vortreffliches Bild des Meisters, aus seinen letzten Lebensjahren; es stellt die „Geißelung Christi“ dar. Mit größerer Festigkeit und Meisterschaft hat wohl nie ein Maler den Pinsel geführt, als der neunzigjährige Tizian auf dieser Leinwand. Er hat bei diesem Gemälde seine Palette auf Weiß, Schwarz, Roth und Orangegelb reducirt, die Farben, deren sich ausschließlich die ältesten Maler Griechenlands bedient haben sollen. Das Beispiel des alten Tizian wurde dann später auch von Rubens und van Dyck hie und da befolgt, am glänzendsten aber vom alten Frans Hals in seinen berühmten zwei Porträtbildern der Haarlemer Bildergalerie[38]. Unser Gemälde soll aus den Niederlanden nach Deutschland gekommen sein. Unter den mannigfachen Retouchen, die wir in dem Bilde wahrnehmen, erkennen die Herren Cr. u. Cav. (Tizian–Band II, Seite 395, Anmerkung 2) sogar die Hand des Rubens oder besser noch die des van Dyck, z. B. in jenem Manne, in Profil, der dem Heilande droht.

Es ist wahr, diese Hand mit den eleganten, langen und spitzen Fingern ist nicht tizianisch, sondern gehört wahrscheinlich einem Niederländer an; ob aber dieselbe von van Dyck oder irgend einem andern Flamländer restaurirt worden sei, das mögen die Götter wissen. Venezianisch ist auch das schöne Bildniß eines Mannes in schwarzer Kleidung, einst fälschlich Pietro Aretino genannt (No. 467).

Im nämlichen Saale sehen wir, No. 450, Maria in einer Landschaft am Boden sitzend, in Verehrung des Kindes, das auf ihrem Schooße liegt, umgeben von den HH. Franziscus, Hieronymus und Antonius, der das Kind am Fuße berührt, durch Restaurationen ganz entstellt. Irre ich nicht, so war dieß Bild früher einmal ein recht gutes Atelierwerk Tizian’s, an dem vielleicht er selbst die Hand angelegt haben dürfte. – An Bonifacio dabei zu denken, wie Herr Dr. Marggraff will, kann nur Jemandem in den Sinn kommen, der weder von Bonifacio noch von Tizian einen klaren Begriff hat. Die nämliche Composition ist von Tizian’s Nachahmern mit Modificationen öfters wiederholt worden.[39]

No. 478. Das stehende lebensgroße Bildniß des Großadmirals Luigi Grimani ist sicher weder von Tizian, noch weniger von Tiberio Tinelli, noch in der Art des Pietro Vecchia, wie die Herren Cr. u. Cav. behaupten (II, 488), gemalt. Da mir solches Umhertappen zuwider ist, so ziehe ich vor, zu gestehen, daß ich den Meister nicht kenne.

No. 489. Auch in diesem ganz vorzüglich aufgefaßten Bildnisse finde ich weder die Zeichnung noch die Malweise des Cadoriners und stimme daher dem Urtheile bei, das die Historiographen Tizian’s über dieses Gemälde abgeben. Das Bild hat großen Schaden gelitten, die Lasuren auf demselben sind fast alle verschwunden, trotzdem aber übt es noch immer einen gewaltigen Eindruck auf den Beschauer aus.[40]

No. 492. Ein Mann in schwarzer Kleidung. Perlen und andere Kleinodien liegen vor ihm auf einem Tische; dahinter eine Frau. Dieß verdorbene, aber trotzdem noch immer interessante Gemälde wurde schon von den Herren Cr. u. Cav. mit richtigem Blicke dem P. Bordone zurückerstattet (II, 487). Dr. Marggraff hält es für ein „ Schulbild“ Tizian’s. Von Paris Bordone scheint man überhaupt in München keinen klaren Begriff zu haben, sonst hätte man wahrlich nicht die flache, geistlose Kopie nach diesem reizenden Coloristen (Saal 7, 483) so lange Jahre für dessen eigenes Werk dem geduldigen Publikum vorstellen dürfen. Ja gegenwärtig noch wird diese langweilige Kopie von s. g. Künstlern kopirt. Und dann sage man noch, daß man ausübender Maler sein müsse, um die alten Meister zu verstehen. Fast wäre man geneigt, das Gegentheil als Axiom aufzustellen. Die von Tizian geliebte Violante, Tochter des Palma, ist übrigens eine Fabel – da Palma wohl eine Nichte, die Magdalena hieß, aber keine Tochter gehabt hat.

No. 496. Das Porträt Carl’s V. Echt und schön. Die Landschaft darauf, mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit hingeworfen, erinnert in den Tönen lebhaft an die Landschaften des Rubens; man besehe sich z. B. auch die Bilder No. 279 und 260 des P. P. Rubens. Dieser scheint übrigens erst nach seiner Gesandtschaftsreise nach Madrid den Tizian auch in der Landschaft sich zum Muster genommen zu haben.

Der Kaiser sieht kränklich und verstimmt aus. Ich glaube, dieß Bildniß muß um einige Monate früher entstanden sein als das wunderbare Reiterporträt Carl’s V. im Madrider Museum, meinem Gefühle nach, was Auffassung betrifft, das schönste Bildniß der Welt. – Die Aufschrift auf dem Porträt in München ist zwar aufgefrischt aber echt: TITIANUS. F. 1548.

No. 524. Venus, eine Bachantin, ein Satyr, Amor u.s.w. Hart in den Umrissen, die Haare mit zu großer Aengstlichkeit ausgeführt; ist nicht einmal ein Tizianisches Schulbild, sondern scheint bloß Kopie zu sein.

No. 587. Maria in einer Landschaft sitzend mit dem Jesuskinde, dem kleinen Johannes und dem Donator. Die Herren Cr. u. Cav. nennen dieses Gemälde eines der werthvollsten, vorzüglichsten Werke Tizian’s, reich an Farbe, schön in den Charakteren, schön in den Figuren, namentlich der Donator bewundernswürdig, und setzen es zwischen die Jahre 1520 und 1525. Auch ich kann nicht umhin, hier die saftige, herrliche Tizianische Farbe und das gute Porträt des Donators zu bewundern, finde aber andrerseits die Zeichnung und Modellirung in diesem Bilde viel zu schwach für den Meister selbst, den Baumschlag zu kleinlich, das Lamm zu geistlos gemalt; auch hat das Ohr der Madonna nicht die Tizianische Form.

No. 591. Die heilige Jungfrau in abendlicher Landschaft, bezeichnet (apokryph)[a 8]. F. Titianus. Ein durch Restaurationen übel hergerichtetes Gemälde. Meiner Ansicht nach ist es ein vom Meister selbst vollendetes Atelierbild; der landschaftliche Grund scheint mir ganz ihm anzugehören. Aus seiner spätern Zeit.

No. 1211. Bildniß eines schwarz gekleideten Mannes, datirt 1523. Will man diesem stark verpuzten Gemälde einen Namen geben, so möchte der des Paris Bordone, welchen die Herren Cr. u. Cav. vorschlagen[41] nicht ganz ungeeignet sein. Freilich protestirt gegen diese Taufe Herr Professor Dr. Marggraff, welcher, dies Mal seiner Sache vollkommen gewiß, dieses Porträt dem Moretto von Brescia vindicirt. – Wir werden aber bei Besprechung eines Bildnisses des G. B. Moroni sehen, daß die Bekanntschaft des Herrn Dr. Marggraff mit Moretto eben nicht eine sehr intime genannt werden kann. Ich meinerseits will darauf verzichten, diesem verdorbenen Bildniß einen bestimmten Künstlernamen anzuhängen. Wohl aber hätte ich einen solchen bereit, und zwar den des Andrea Schiavone, für den kleinen „farbensaftigen Parnaß“, (Cabinet 191, No. 1182), worin man sowohl den Einfluß des Parmegianino, als den Tizian’s wahrnehmen kann. Wahrscheinlich diente das reizende Bildchen zum Schmucke eines Spinetts. Wie man aber dabei auf den Kupferstecher Bonasone rathen konnte, ist mir ganz und gar unerklärlich. Wo hat denn Herr Professor Marggraff Bilder von Bonasone zu Gesicht bekommen?

No. 1238. Jupiter und Antiope, Bruchstück, gehört auf keinen Fall weder dem Tizian, noch dem Giovanni Contarini an, wie die Herren Cr. u. Cav. meinen. Dergleichen Bilder sind, wie die Findelkinder, vaterlos.

Nach der Berichtigung dieser Pseudo-Tizians wird es uns ein wahrer Genuß sein, zwei ächte, untrügliche Bildnisse des großen Bergamasker Porträtmalers Moroni anzusehen. Das eine hängt im Saal 9, das andere im Saal 7. Das erstere stellt eine in Pelz gekleidete Frau dar, No. 583. Es ist zwar etwas verputzt, aber immer noch ein gutes Werk des Meisters, zwischen 1560–1570 gemalt. Alle dem Moroni eigenthümlichen Züge sind darin deutlich wahrzunehmen. – Das zweite, im Saale 7, trägt die Nummer 452 und geht im neuen verbesserten Kataloge des Herrn Dr. Marggraff unter dem Namen des Moretto. Das aber war eine in jeder Beziehung unglückliche Umtaufe; denn erstens beweist dieselbe, daß der Herr Dr. mit Moroni wenig vertraut ist, und zweitens gab sie ihm Veranlassung, Unwahres über Moretto zu sagen, da ja dieser Meister nicht 1500, sondern schon im Jahre 1498 geboren und nicht zu Bergamo sondern in Brescia gestorben ist, und nicht 1560 sondern vier Jahre früher. Das Porträt stellt einen Geistlichen dar und gehört zu den vorzüglicheren Bildnissen des trefflichen Bergamasken. Mit großem Unrecht haben schon vor Herrn Dr. Marggraff einige moderne Kritiker getrachtet, dieses so charakteristische Moronische Bild dem Moretto zuzuweisen. In einigen Fällen, wenn Moroni etwa Bilder seines Lehrers Moretto kopirt, wie z. B. in dem lesenden h. Hieronymus der Communalgalerie von Bergamo, oder in seinem Jugendbilde, das in der Breragalerie unter Nummer 252 aufgestellt ist, kann Moroni von solchen, die mit seiner Art und Weise nicht sehr vertraut sind, mit seinem Lehrer verwechselt werden. Form und Ausdruck der Hand z. B. sind bei Moroni stets sehr verschieden von denen bei Moretto. Die Hände des letzteren mit den etwas akademisch zugespitzten Fingern haben niemals die Naturwahrheit, welche Moroni, wenn er will, seinen nach dem Leben gezeichneten Händen zu geben weiß. Auch hat die Fleischfarbe bei Moretto zwar einen hellen Silberton, die des Moroni aber kommt der Realität näher. Auf diesem Bildnisse in München ist nun die Hand sehr charakteristisch und läßt für einen Kenner nicht den mindesten Zweifel bestehen, daß dieses Porträt dem Moroni und nicht dem Moretto angehöre.

Giov. Battista Moroni ist in Bondio, unweit Albino, einem Flecken der Provinz Bergamo, geboren, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach um 1525; denn seine frühesten Werke haben in den Fleischpartien jenen ziegelröthlichen Ton, den wir öfters in den Werken des Moretto nach 1540 finden. Moroni muß daher ungefähr um jene Zeit in’s Atelier des Moretto gekommen sein. Dieser letztere war zwar ein Brescianer von Geburt, seine Voreltern aber, die Bonvicini[42], stammten aus Ardesio, einem Dorfe, das wie Albino im Seriothale liegt, und ließen sich um’s Jahr 1438 in Brescia als Kaufleute nieder. Das früheste mit der Jahrzahl bezeichnete Bild von Moroni, das mir bekannt ist, hängt in der Berliner Galerie und ist vom Jahre 1553. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß Moroni nicht schon früher Bilder gemalt habe. Von seinen frühesten Arbeiten kenne ich etliche theils in der Stadt theils in der Provinz Bergamo. So, um nur ein paar davon hier anzuführen für denjenigen, der diesen Meister genauer zu kennen wünscht, eines in der Pfarrkirche von Gorlago, wohl das dem Moretto am nächsten stehende Bild des Moroni,[43] und ein Christus, Brustbild im Profil in der Communalgalerie von Bergamo.

Kein Porträtmaler hat es je verstanden die epidermis des menschlichen Gesichts getreuer und mit größerer Wahrheit auf die Leinwand festzubannen als Moroni; seine Bildnisse sehen zwar alle mehr oder minder nüchtern aus, müssen aber sammt und sonders jene frappante Aehnlichkeit mit dem Original gehabt haben, die das große Publikum entzückt und bei deren Anblick es ausruft: ja ganz wie er leibt und lebt! Moroni sah eben mit den Augen des großen Publikums seine Leute an; er war kein Poet im wahren Sinne des Wortes, wohl aber ein ausgezeichneter Maler. Hie und da vermag er indessen auch Außerordentliches zu leisten und durch die Oberfläche in die Seele seiner Leute zu dringen. In solchen Fällen dürfen seine Bildnisse denen Tizian’s gleichgestellt werden. Moretto bewährt sich zwar stets als ein höherer Künstler, seine Auffassung und Zeichnung ist immer edler und eleganter, als die seines hausbackenen Schülers, allein diese nicht für jedes Auge sichtbaren geistigen Vorzüge, die ihn von Moroni unterscheiden, reichen doch nicht immer aus, die bessern Werke des letztern von den schwächern des erstern zu unterscheiden.

In solchen Fällen kann bei der Bestimmung der Bilder nur die genaue und sichere Kenntniß der Form, sowohl der Hand als des Ohres, welche bei beiden Meistern sehr verschieden sind, aus der Verlegenheit helfen.

Moroni hat erst in unserm Jahrhundert jene europäische Berühmtheit erlangt, die er als Porträtmaler verdient. Bei seinen Lebzeiten war er wohl in seinem engeren Vaterlande, namentlich im Bergamaskischen, hochgefeiert, aber jenseits der Grenzen der venezianischen Republik kaum bekannt. Fast alle seine Werke befanden sich noch zu Anfang unsers Jahrhunderts in Bergamo und Umgegend, und die wenigen Porträts, die in den frühern Jahrhunderten über die Alpen kamen, wurden dem Publikum stets unter dem Namen Tizian’s oder irgend eines andern Meisters vorgestellt. So z. B. der s. g. Anatom A. Vesalius (2. Saal, No. 24 der Wiener Pinakothek) und das andere männliche Porträt (No. 34) daselbst. Beide Bilder gehörten der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm zu Brüssel an und galten dort, das erstere als ein Werk Tizian’s, für das es noch immer gilt, das andere für eine Arbeit des Johann von Calcar.

Zu den vorzüglichsten Bildnissen Moroni’s gehören aber drei der Londoner Nationalgalerie,[44] der „Gelehrte“ der Uffiziengalerie, einige der Communalsammlung von Bergamo und drei oder vier andere im Privatbesitze daselbst. Seine zahlreichen Kirchenbilder, welche man im Bergamaskischen antrifft, sind, was Technik anlangt, alle lobenswerth, der Auffassung aber meist langweilig und trocken.

Moroni starb im Jahre 1578, während er eben an seinem großen „ Weltgerichte“ für die Pfarrkirche von Gorlago, zwei Stunden von Bergamo, arbeitete.

Von seinen Nachahmern sind namentlich folgende hervorzuheben: Francesco Zucco, Carlo Ceresa, und Giovan Batista Moneta, alle drei Bergamasken. Die Porträts des letztern sind höchst selten.

Fast alle bedeutendern Bildergalerien Deutschlands besitzen ein oder ein paar Porträts von Moroni. Meiner Ansicht nach sind das Münchener (No. 452) nebst dem eines Dominikaner Laienbruders in der Städel’schen Sammlung zu Frankfurt darunter die besten.

Handzeichnungen von Moroni sind ungemein selten;[a 9] zwei derselben besitzt die Sammlung der Uffizi zu Florenz, von denen die eine die Krönung der Jungfrau Maria durch Gottvater und Christus darstellt; über dem Haupte Maria’s schwebt der h. Geist.[45] Schwach und geistlos. Die technische Behandlung, Aquarell und Kreide, welche aus der Schule des Vincenzo Foppa herzustammen scheint und die Moroni von seinem Lehrer Moretto ererbte, kommt auch jener des Gaudenzio Ferrari und seiner Schüler bis auf Lomazzo herab sehr nahe, während die andern gleichzeitigen Meister in den venezianischen Landen fast immer zu ihren Zeichnungen die Feder, den Röthel oder die schwarze Kreide gebrauchten, so Tizian und Giorgione, Paris Bordone, die Bonifazio’s, die Veronesen, Francesco Morone, Francesco Carotto und andere mehr. – Ich bitte meine jungen Collegen in der Kunstwissenschaft, diese Bemerkung beherzigen zu wollen, da solche technische Schulgebräuche dem Kunstforscher manchmal nicht unwichtige Fingerzeige zu geben im Stande sind.

Im Saale 8, unter der Nummer 584, hängt ein merkwürdiges Porträt, welches einen noch jungen Mann mit einer Rose in der Hand darstellt. Der Katalog nennt es Selbstbildniß des Künstlers, und da es Franciscus Turbidus bezeichnet ist, so wäre es, Herrn Dr. Marggraff zufolge, als das Selbstbildniß des Moro von Verona anzusehen. Auf dem Bilde steht aber auch das Jahr 1516. Da nun der Katalog den Torbido um 1500 auf die Welt kommen läßt, so müßte er auf dem Bilde etwa 16 Jahre zählen. Das ist indessen nicht der Fall. Doch man wird sagen, das sind Kleinigkeiten, und bei Beurtheilung von Kunstwerken soll man die Sache nicht so genau nehmen.[46]

Francesco Torbido, Moro genannt, wurde 1486 in Verona geboren und starb daselbst um 1546. Vasari, der seine Berichte über die veroneser Maler vom Padre Marco Medici sich verschafft hatte (dessen Urtheile über die Bedeutung der veronesischen Malerschule nach meiner Ansicht einer strengen Revision bedürfen), war auch gegen Torbido nicht ganz gerecht und hat denselben, so wenigstens glaube ich, unterschätzt. Dem Urtheile Vasari’s sind auch die neuern Schriftsteller blindlings gefolgt und stellen den Moro etwa auf die nämliche Linie mit dem oberflächlichen, flachen Pomponio Amalteo. Damit thuen sie aber dem Torbido schreiendes Unrecht an. – Vasari bezeichnet diesen Veronesen als einen Schüler Giorgione’s. Die Richtigkeit dieser Angabe muß ich sehr bezweifeln. In den Werken aus seiner Jugend, wie z. B. unser Porträt eines ist, stellt sich mir Torbido vielmehr als ein Zögling des Liberale dar. Ich meine daher, daß er seine Lehrzeit in Gesellschaft Giolfino’s und der beiden Carotto in dem Atelier seines alten Landsmannes Liberale durchgemacht habe. In den Werken seiner spätern Zeit, wie z. B. in der Altartafel der Kirche S. Fermo zu Verona, auf welcher er die Madonna mit dem Kinde, von Engeln umgeben, auf Wolken dargestellt hat, unten auf der Erde den Erzengel Rafael mit dem kleinen Tobias, erinnert namentlich die schöne poetisch gedachte Landschaft des Hintergrundes mit den zwei Figürchen lebhaft an seinen andern Landsmann, Bonifazio den älteren. Seine spätesten Werke endlich, wie die Frescomalereien im Dome von Verona, beweisen wie Giulio Romano’s schädlicher Einfluß auch diesen sonst so selbständigen Veronesen getroffen hat.

Andere Bilder dieses zu wenig beachteten Künstlers findet man außer den eben angeführten noch in der städtischen Galerie von Verona: Madonna mit dem Kinde No. 49; Erzengel Rafael mit dem Tobias No. 49, (daselbst dem Moretto von Brescia zugeschrieben, wahrscheinlich in Folge von Verwechselung der ähnlichlautenden Namen); ein anderes Madonnenbild mit Heiligen und dem Donator No. 210, sehr großartig in der Auffassung aber sehr verdorben. In S. Zeno ist von seiner Hand der erste Altar links. Ein sehr schönes Werk von ihm besitzt auch der Dom von Salò, daselbst gänzlich verkannt; ein anderes, ebenfalls unter dem Namen des Moretto gehendes, leider ganz verdorbenes[a 10] Altarbild sieht man in der Kirche von Limone, gleichfalls am Gardesee. Dieser Torbido ist, wie gesagt, eine Künstlergestalt, die besser studirt und in’s Licht gesetzt zu werden verdiente: eine schöne Aufgabe für einen jungen Kunstbeflissenen, der sich seine Sporen zu verdienen wünscht. Derselbe müßte, meine ich, den älteren Bonifazio mit dem Torbido zusammenstellen. Sie sind beide Landsleute, sind beide von der Giorgionischen Schule beeinflußt worden, Bonifazio von Palma vecchio, Torbido wahrscheinlich aus dritter Hand, d. h. durch den Bonifazio selbst. Torbido blieb dabei aber stets seinem ersten Lehrer Liberale getreu bis zu dessen Tode im Jahre 1536.

Von Porträts des Torbido sind mir außer diesem Münchener nur zwei oder drei andere bekannt, eines in der Communalgalerie von Padua (sehr verdorben, unter No. 49), ein anderes, bezeichnetes, im Museum von Neapel, klotzig und unschön. Jenes Bildniß aber der Galerie der Uffizi zu Florenz (No. 571), daselbst für das Porträt des Gattamelata und als Werk des Giorgione ausgegeben, gehört meiner Ansicht nach weder dem Caroto,[47] wie Mündler meinte, noch viel weniger dem Torbido an, wie die Herren Cr. u. Cav. behaupten. (Siehe Hist. of P. in North-Italy, Band II, S. 163 „there is some excuse for substituting Giorgione for Torbido as is done here; that is, for substituting the pupil for the master“ – und Band I, S. 511 nennen sie dieß Porträt „an unmistakeable work of Torbido“).

Nach meinem Dafürhalten hatte Mündler sehr richtig in diesem Bilde die Hand und den Geist eines Veroneser Malers erkannt und zwar eines solchen, der mit den Giorgionesken gar nichts zu schaffen hat, weßhalb er den Caroto vorschlug. Er kam damit, wie ich glaube, der Wahrheit sehr nahe. Irre ich nicht sehr, so gehört jenes Bild einem Maler an, der dem Cavazzola in einer gewissen Epoche seiner Wirksamkeit sehr nahe stand und der auch mit ihm zusammen gearbeitet haben muß, wie die Bilder No. 298 (die Heiligen Michael und Paulus) und No. 301 (die Heiligen Petrus und Johannes d. T.) im städtischen Museum von Verona beweisen. Es ist dieß der wenig bekannte Michele da Verona, von dem bezeichnete Fresken in der Veroneser Kirche von Santa Chiara zu sehen sind. Auch er kam aus der Schule des Domenico Morone, wie Cavazzola und wie Francesco Morone. In dieser Epoche (1509–1514) unterscheidet man die Werke des Cavazzola nur mit Mühe von denen des Michele da Verona. Das schöne Bild z. B. in der Sakristei der Kirche von Santa Anastasia in Verona, welches man dort dem Cavazzola zuschreibt, gehört, meiner Ansicht nach, dem Michele an. Dieser ist spitziger sowohl in den Falten seiner Gewänder als auch in den Fingern seiner Hände, welche letztere bei Cavazzola immer etwas stumpf sind. In der Auffassung jedoch ist Cavazzola dem Michele weit überlegen und auch eleganter und edler in der Zeichnung.

In demselben Saale hängt auch (No. 597) ein h. Nicolaus im Kirchenornate, zwischen den Heiligen Johannes dem Täufer und Philippus. Das Bild ist bezeichnet 1533. F. SEBASTIAN. F. PER AGOSTINO CHIGI. Nun starb aber Agostino Chigi, wenn ich nicht irre, schon 1520[a 11]. Die ganze Aufschrift ist offenbar apocryph, und das Gemälde weist auf die Weise des Rocco Marconi hin, eines Schüler’s des Palma und des Bordone[a 12]. Derselben Ansicht sind auch die Herren Cr. u. Cav., und gewiß alle, die auch nur eine oberflächliche Bekanntschaft mit den venezianischen Meistern haben, werden diesem ihrem Urtheile beistimmen.

Noch wäre hier eines andern ältern venezianer Malers zu erwähnen, wenn das Porträt, welches man ihm, freilich nur dubitativ, in die Schuhe schiebt, wirklich von ihm herrührte. Ich meine das Bild No. 717 im Cabinet 7., das den Kaiser Maximilian I. darstellt. – Wie aber Herr Dr. Marggraff den Jacopo de’ Barbari, noch immer in Nürnberg das Licht der Welt erblicken lassen kann, ist mir wahrlich unbegreiflich. Nachdem Herr Professor Dr. Thausing in seinem ganz vorzüglichen Werke über Dürer den wahren Platz, den dieser merkwürdige Venezianer in der deutschen Kunstgeschichte einnimmt, in’s Licht gestellt und sein Verhältniß zu Dürer meisterhaft gekennzeichnet hat, wäre meinerseits jedes Wort über Jacopo de’ Barbari hier überflüssig. Es bleibt mir nur noch übrig, über die Aechtheit der Taufe auch dieses Porträts meine Meinung abzugeben, und diese lautet verneinend.

Meint aber Herr Dr. Marggraff einen alten Nürnberger Maler, Namens Jacob Walch, so habe ich nichts dagegen einzuwenden, da ich diesen Meister nicht kenne. Jedenfalls hat Jacopo de’ Barbari, in Nürnberg auch Jacob Walch genannt, der Meister mit dem Mercurstab und Lehrer Kulmbachs, gar nichts mit diesem Bildniß zu schaffen.

Und hier möchte ich noch meine Meinung über ein anderes merkwürdiges Porträt venezianischen Ursprungs aussprechen. Das Bild hängt im Saale 7, No. 1421. Herr Dr. M. macht mit Recht in seiner Vorrede auf den in Deutschland wenig bekannten Meister desselben aufmerksam. Domenico Caprioli ist ein Trevisaner und hat, seinen Bildern nach zu urtheilen, sich an den Werken sowohl des Palma vecchio, als auch des Giorgione herangebildet. Dieses Porträt eines jungen Mannes ist eine Art Carrikatur des Giorgione; es ist sehr überschmiert und daher entstellt; es verdiente wohl, sorgfältig gereinigt zu werden.

Von Paolo Caliari, Paolo Veronese genannt, weist zwar der Katalog eine Menge Bilder auf; die meisten davon sind aber, wenigstens in meinen Augen, nur Atelierstücke. Zu den ächten Bildern dieses Meisters möchte ich nur das Frauenporträt, No. 436, und die h. Familie No. 485 rechnen. Es sei mir noch erlaubt, hier zu bemerken, daß diejenigen, welche den Paolo im Jahre 1528 geboren sein ließen, ganz recht hatten und daß folglich Herr Dr. Marggraff übel berathen war, als er jenes Jahr mit 1537 vertauschte. Der verdorbene Cicogna, Herausgeber der „Iscrizioni veneziane“, fand im Necrologium der Sanitätsbehörde, daß Paolo Veronese den 19. April 1588 sechzig Jahr alt starb (B. I, S. 149).

Paolo scheint schon 1555 sich in Venedig niedergelassen zu haben, denn in diesem Jahre malte er die Decke der Sakristei der Klosterkirche von S. Sebastiano daselbst.

Von einem andern etwas spätern Veronesen, nämlich von Bernardino India, einem trefflichen Porträtmaler, glaube ich in München ein gutes Bildniß bemerkt zu haben; doch bürge ich keineswegs für die Richtigkeit dieser Bestimmung. Es hängt im achten Saale No. 501 und stellt eine in einem Lehnstuhle sitzende schwarzgekleidete Frau mit einem Knaben dar. In der Art Tintoretto’s, wie der Katalog meint, ist es jedenfalls nicht gemalt.

Wie wir bei unserer flüchtigen Musterung Gelegenheit gehabt, uns zu überzeugen, ist die venezianische Malerschule in der Münchener Pinakothek sehr mangelhaft vertreten. Wir fanden weder Werke der Muranesen noch der Bellini, kein Bild des Carpaccio, keines von Antonello da Messina, und ebenso vergebens sahen wir uns um nach Werken von Giorgione, von Sebastian del Piombo, von Mantegna, von Bartolommeo Montagna. Auch die liebenswürdigen Veroneser sind höchst karg an Zahl, von den Brescianern Foppa, Moretto, Romanino und Savoldo keine Spur. Dagegen sind von den spätern Venezianern einige gute Bilder da, so unter andern zwei ganz hübsche Stücke des Veroneser Rotari No. 451 und 468, eine ganz vorzügliche „Ansicht der Stadt München“ von Bernardo Bellotto und noch mehrere geringere Atelierbilder von ihm, Cabinet 21, No. 1209, 1210, 1213 und 1214, vom Kataloge fälschlich dem Antonio Canale beigelegt. Noch sei hier beiläufig bemerkt, daß das s. g. Porträt des Vesalius (Cabinet 22, No. 1223), nicht dem Jacopo Tintoretto, sondern seinem Sohne Domenico Robusti angehört, und daß die „Geißelung Christi“ (Cabinet 23, No. 1264) dem Palma giovine zuzuschreiben ist. Der ungläubige Herr Professor Marggraff möge nur dieß Bildchen mit den größern und bessern Werken des Palma giovine im 7. Saale vergleichen. Damit schließen wir die Rundschau über die Venezianer und gehen zu den Ferraresen und Bolognesen über.




Nachträge und Anmerkungen.

Zu S. 11 u. 12, das Selbstporträt von Giovanni Bellini, Cabinet 20, No. 1196, betreffend.

Von allen s. g. Bildnissen des Giambellini scheint mir ein kleines Profilporträt, mit Feder, Sepia und Gips sehr fein ausgeführt, die meiste Glaubwürdigkeit für sich zu haben. Der alte Meister hält sein kluges Gesicht nach rechts gerichtet; unter einem runden Barret, das ihm fast die ganze Stirne deckt, fallen die weißen, lockigen Haare ihm beinahe bis auf die Schultern herab. Brustbild ohne die Hände. Der Photographie nach zu schließen, muß die Originalzeichnung an mehreren Stellen übergangen worden sein. Die darunterstehende Beischrift wurde ebenfalls alterirt; gegenwärtig scheint dieselbe ohngefähr so zu lauten:
Jo. bellinum victor discipulus p. 1505.
Diese Zeichnung gehört dem Herzog von Aumale, ward im Jahre 1879 in Paris ausgestellt und von Braun photographirt, No. 187.

Ob dieselbe dem Vittore Camelo, der im Jahre 1508 eine Medaille von Giovanni Bellini prägte, oder aber dem Maler und Schüler des Giambellino, Vittore di Matteo zuzuschreiben sei, wüßte ich nicht zu sagen.

Zu S. 18. Auszug aus der Raccolta Veneta, Dispensa II. (März 1866). Venezia, Antonelli Edit.

Testamentum magistri Jacobi Palma pictoris de confinio sancti Bassi.

Die XXVIII IULIJ MDXXVIII.

Die 28 mensis Julij 1528 Indictione prima Rivoalti. Cum vite sue terminum etc. Quapropter ego Jacobus Palma pictor qm. ser Antonij de confinio Sancti Bassi, sanus Dei gratia mente et intellectu, licet corpore pregravatus, timens hujus seculi pericula, ad me vocare feci presbyterum Aloysium Natalem plebanum etc. – ut hoc meum scriberet testamentum – – –

In primis namque animam meam Altissimo commendans, instituo et esse volo meos fidei commissarios et hujus mei testamenti exequtores ser Marcum de bajeto, mercatorem vini, ser Joannem frutarolum (Obsthändler) in confinio sancti Angeli, et ser Fantinum de Girardo tinctorem (alle drei wahrscheinlich in Venedig angesiedelte Bergamasken) qui omnes concorditer exequantur etc. . . . . . .

Item volo quod per meos commissarios dispensetur ducatos viginti quinque inter meos affines et consaguineos magis indigentes, tam in presenti civitate Venetiarum, quam in territorio bergomensi pro anima mea. . . . . . . . . .

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Item volo quod mittatur Assisium ad orandum pro anima mea cum elemosyna consueta. Item dimitto Margaritae nepti meae, filiae quondam ser Bartholomei olim fratris mei, ducatos ducentos pro suo maritare sue monachare. Et ipsa descedente ante suum maritare vel monachare, ipsi ducati ducenti deveniant in meam commissariam. – – – Das Uebrige seines Vermögens:

Dimitto et relinquo Antonio, Joanni et Manetae, fratibus, nepotibus meis, filijs prefati quondam ser Bartholomei olim fratris mei, equaliter et equis portionibus inter eos etc.

Hieraus geht hervor, daß Palma vecchio nicht verheirathet war und also keine ehelichen Kinder haben konnte.

Unter den etwa 40 in seinem Atelier gefundenen unvollendeten Bildern (viele davon kaum entworfen) finden wir auch: retrato de messer Francesco Querini, welches wahrscheinlich identisch mit dem leider sehr übermalten männlichen Bildniß, welches in der Sammlung Querini Stampalia in Venedig aufgestellt ist. Die Querini’s waren Protectoren des Palma.

Ein anderes, halbvollendet, in Palma’s Atelier vorgefundenes Porträt, ist folgendermaßen im Inventar seines Nachlasses beschrieben:

Qudro de una donna retrata con fornimenti de nogera, le qual depenture, e scorzade e descolade con maneghe (Aermel) de razo zalo (gelb) de circa bi I.

Dieses Bildniß dürfte das köstliche, weibliche Porträt sein, das in der ebengenanten Sammlung Querini zu sehen ist.

Aus dem Eingang des Testamentes scheint hervorzugehen, daß Palma lange Jahre, vielleicht schon seit 1525 kränkelte, wahrscheinlich war Schwindsucht sein Leiden. Sein großes Altarbild, die Anbetung der hl. drei Könige in der Breragalerie No. 134 wurde, wohl in Folge dessen, zum großen Theil von einem Schüler oder Gehilfen ausgeführt.

Zu S. 29. Dieser Johannes der Täufer dürfte zu dem Triptychon gehören, dessen das nach dem Tode des Palma abgenommene Inventar seines Nachlasses erwähnt als „paletta in tre pezi del tajapiera de San Zuane Evangelista, zoè suso, un pezo ghe se san Zuan Baptista, et un altro San Roccho e un altro Sebastian fenidi (vollendet). Racc. veneta, dispensa II. Tomo I, Serie I. S. 78.



2. Die Ferraresen und Bolognesen.

Die Provinz des Polesine wird nur durch den Po von jener Ferrara’s getrennt, und noch heutzutage ist auch einem fremden Ohre der venezianische Klang im romagnolischen Dialekte der Ferraresen leicht vernehmbar. Ich habe schon in meinem Aufsatze über die Galerie Borghese[48] flüchtig aufmerksam gemacht auf das innige Verhältniß zwischen den paduanisch-venezianischen Malerschulen und denen der Romagnolen im Allgemeinen und besonders der Ferraresen und dabei wohl auch der Namen Ansuino und Melozzo da Forli, Cosimo Tura, Stefano und Bono von Ferrara, Marco Zoppo von Bologna, Lattanzio da Rimini und Niccolò Rondinello von Ravenna, Dosso Dossi und Scarsellino von Ferrara, schließlich auch des Antonio Allegri aus Correggio erwähnt. Dieses durch die Natur der Dinge und durch Wahlverwandtschaft bedingte und daher leicht erklärliche Wechselverhältniß zwischen den Romagnolen und den Venezianern wurde im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gestört durch den hellen, blendenden Schein, den die Arbeiten des Rafael und des Michelangelo im Vatican über ganz Italien verbreiteten, und der gar viele Romagnolen bewog, sich nach Rom zu wenden. Der erste und größte unter diesen Romagnolen war der Ferrarese Benvenuto Tisio, Garofolo genannt; ihm folgten später Ramenghi von Bagnacavallo, Girolamo Marchesi von Cotignola, Innocenzo da Imola und andere mehr. Trotz seines etwa zweijährigen Aufenthaltes in Rom (zwischen 1509 bis 1511) blieb aber Garofolo doch stets Ferrarese. Von ihm finden wir in der Münchener Galerie einige Bilder, wenn auch keines von besonderer Bedeutung.

No. 574, im Saale 9, Maria mit dem Kinde auf dem Schooße, zur Seite der Erzengel Michael und Johannes der Täufer, ist wohl nur als Atelierbild des Garofolo zu betrachten. Durch Restauration ist es stark mitgenommen; der h. Michael erinnert in der Farbe an Dosso. – Im nämlichen Cabinet, No. 1195, sehen wir das s. g. Selbstbildniß des Garofolo. In frühern Katalogauflagen zweifelte Herr Professor Marggraff gar nicht an der Aechtheit dieses Bildes. Spätere Studien scheinen ihn aber etwas stutzig gemacht zu haben, so daß er in der neuen verbesserten Auflage nicht mehr weiß, ob er es noch für Original oder für Kopie erklären soll. Bei der Beurtheilung dieses einfältigen Porträts, das seinen vlämischen Ursprung auf der Stirne trägt, hat den Herrn Doctor offenbar die Nelke (garofolo) verführt. Sollten aber alle Bilder, auf denen Nelken vorkommen, dem Benevenuto da Garofolo zugeschrieben werden, so wäre dieser der productivste Maler aller Zeiten gewesen. Unter den 70 oder 80 Gemälden dieses Meisters, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, kenne ich höchstens drei oder vier, auf denen die bedeutsame Nelke sich vorfindet. – Ein drittes Werk des Garofolo hängt im Saale 9, No. 574. Es ist Mittelgut und gehört der spätern flauen Epoche des Meisters an.

Von einem etwas jüngern Landsmanne des Garofolo dem Lodovico Mazzolini (ist Geschlechts-, und nicht Scherz-Name, wie Herr Professor Marggraff meint) befindet sich ein ächtes aber nicht schönes Bild im Cabinet 21, No. 1190. Dieser Maler zeichnete sich: L. Mazzolinus und ist wohl eher als ein Schüler des Domenico Panetti, als des L. Costa zu betrachten. – Von dem edeln Francesco Raibolini, Francia genannt,[49] den ich in seinen Gemälden als von Lorenzo Costa, seinem Ateliercollegen, abhängig betrachte, hängen zwei ächte und gute Bilder im Saale 9. Das eine, No. 577, allgemein bekannt, stellt die h. Jungfrau in einem Rosenhage dar, das göttliche Kind verehrend; das andere, No. 575, die Madonna, das Christkind haltend, welches auf einem Tische steht, der mit einem goldgewirktem Teppiche bedeckt ist. Dies ist eine Jugendarbeit des Meisters. Daß übrigens Francia Schüler des Marco Zoppo gewesen sei, sagen zwar Bücher, nicht aber die Werke des Meisters selbst, weder seine Nielloarbeiten noch viel weniger seine Gemälde, welch’ letztere, was die Technik betrifft, alle auf Lorenzo Costa hinweisen.[50]

Ein sehr gutes Bild von einem Schüler des Francia, nämlich von dem Imolesen Innocenzo Francucci, ist in dem nämlichen Saale, No. 581, aufgestellt. Es stellt die h. Jungfrau in einer Glorie von Engeln und Cherubim dar, auf der Erde die heiligen Petronius, Clara, Franciscus und Sebastian nebst zwei Donatoren. Lebensgroße Figuren.

Die Repräsentanten der spätern bolognesischen Schule, der s. g. Akademiker, oder, wenn man lieber will, der Eklektiker, finden sich fast alle in München vor und zwar meist in stattlichem Gewande; so die Caracci, sowohl Annibale als Lodovico, so Albani, Guido, Guercino, Simon da Pesaro, Tiarini, Cavedone und Domenichino. Man kann also in der Münchner Pinakothek das Wollen und Können jener berühmten Schule hinlänglich kennen lernen. Ich kann aber das Kapitel der bolognesisch-ferraresischen Schule nicht schließen, ohne von dem Hauptrepräsentanten oder besser gesagt von dem Michelangelo dieser Schule, von Correggio, dem ein halbes Dutzend Bilder der Münchener Sammlung zugeschrieben werden, hier noch zu reden.

Das dem Umfang und auch dem künstlerischen Werthe nach bedeutendste Bild, welches vom Kataloge dem Antonio Allegri, freilich blos angeblich, zugedacht wird, hängt im Saale 8 unter der No. 580 und stellt die h. Jungfrau mit dem Kinde auf Wolken dar; unten die heiligen Jacobus und Hieronymus mit dem Donator. An Girolomo da Carpi ist gewiß nicht zu denken, eher wohl an Michelangelo Anselmi. Klüger ist es aber auf jeden Fall, dieß Bild nur allgemein der Schule des Correggio zuzuweisen.

Ein anderes, im neuen Kataloge ebenfalls in die Schule des Correggio verwiesenes Bild hängt im Cabinet 22 mit der Nummer 469. Es stellt die unter einem Baume sitzende Madonna mit dem Kinde dar, zur Seite ein Engel und die heiligen Hieronymus und Ildefonso. Dieses Gemälde, welches dereinst vielleicht dem Rondani angehört haben dürfte, ist gegenwärtig dermaßen überschmiert, daß es wahrlich nicht mehr verdient, in einer so bedeutenden Galerie, wie die Münchener ist, eine Aufstellung zu finden. – Das dritte, Cabinet 20, 1187, ist eine Kopie nach dem bekannten Bilde „Amor’s Erziehung“ von Correggio in der National-Galerie zu London, wie Herr Dr. Marggraff richtig bemerkt.

Der junge „Faunkopf“, Cabinet 23, 1247, ist wahrscheinlich Bolognesische Waare, der „Eccehomo“, Cabinet 21, 1218, ist ein untrügliches Werk des D. Feti; an Federigo Barocci, wie Herr Doctor Marggraff meint, ist dabei durchaus nicht zu denken. Ueber den kleinen liebenswürdigen s. g. Faun, Cabinet 23, 1266 habe ich mich schon ausgesprochen.



3. Die Lombarden.

Von der bolognesischen wenden wir uns nun zu der s. g. lombardischen Malerschule von Parma, denn als Lombarden pflegen die Kunstschriftsteller die Meister von Modena, Parma und Carpi anzusehen. Die Nachahmer des Correggio, Michelangelo Anselmi und Rondani, habe ich soeben erwähnt. Von Parmegianino[51], Bedolo, Pomponio Allegri, Gandini und a. m. sind keine Werke in dieser Sammlung, wohl aber einige von Bartolommeo Schedone, der, obwohl in der Schule der Caracci erzogen, sich später den Correggio und auch den Parmegianino zu Vorbildern nahm. Im Cabinet 21 ist eine büßende Magdalene (1197) von ihm aufgestellt; ebendaselbst (1217) „Loth und seine Töchter“, während 1215, im selben Cabinet, eine „nächtliche Ruhe auf der Flucht nach Aegypten“, mir nicht ihm, sondern vielmehr irgend einem Schüler oder Nachahmer Rembrandt’s anzugehören scheint. Dem Schedone aber gehört wieder das andere Magdalenenbild 1219 im Cabinet 20 an.

Im nächsten Cabinet, 20, sehen wir einen „Weltheiland“ (1202), über den Herr Marggraff sich eines weitern ausläßt. Das Bild gehört zur Schule des Boccaccio Boccaccino von Cremona und ist vielleicht die Arbeit seines Bruders Bartolommeo Boccaccio. Auf jeden Fall gehört dieß Gemälde den letzten Jahren des 15. oder wohl dem Anfang 16. Jahrhunderts an und ist nicht, wie es im Katalog heißt, „im Stil der Frühzeit des 15. Jahrhunderts“. Doch das ist wohl ein Druckfehler oder ein lapsus calami, und ich bin nicht gewillt, den Herrn Professor Marggraff für einen so groben Schnitzer verantwortlich zu machen; wofür ich ihn aber verantwortlich machen muß und zwar im Namen jener Kunstwissenschaft, der dieser sein Katalog, wie der Verfasser in der Vorrede gesteht, schon so erhebliche Dienste geleistet, ist, den Boccaccio Boccaccino zu einem der „glücklichsten Nachahmer des Pietro Perugino“ rundweg gestempelt zu haben. Es wäre auch wohl klüger gewesen, wenn er die Bemerkungen, die er bei dieser Gelegenheit über die künstlerische Entwicklung des Girolamo dai Libri zum besten giebt, für sich behalten hätte. Girolamo dai Libri ist nämlich in allen seinen uns bekannten Werken ein durch und durch veronesischer Maler und nichts weniger als das Zwitterding, halb Mantegna, halb Giambellini, wie Herr Professor Marggraff uns denselben darstellen möchte.

Von diesen Pseudolombarden gehen wir über zu der Besichtigung der Werke der eigentlichen lombardischen Malerschulen, d. h. derjenigen, die ihren Sitz zwischen dem Po und der Adda hatten, in den Städten Lodi, Pavia, Vercelli und deren geistiger Brennpunkt Mailand war.

Die Schule von Lodi, deren Hauptvertreter Albertino und Martino Piazza und dann des letztern Söhne Calisto und Scipione waren, ist wenig bekannt, selbst in Italien, ja in der Lombardei. So findet sich auch kein einziges Werk dieser Schule weder in deutschen noch in russischen Sammlungen. Wenn in München Werke der Vercellesen wie die Oldoni, Gaudenzio Ferrari, die Giovenoni, Defendente Ferrari, Lanini, Grammorseo u. a. fehlen, so besitzt diese Sammlung doch ein echtes Bildchen von Giovanantonio Bazzi, il Sodoma genannt. Es hängt im Cabinet 20 und stellt die h. Familie dar, (1194). Der Name „de’ Tizzoni“, einer altadeligen Familie von Vercelli, wurde zuweilen aus Eitelkeit auch auf Bazzi übertragen, obwohl Giovanantonio in keinem Verwandtschaftsverhältnisse zu jener Familie stand. Vielleicht hat die Familie Tizzoni den Bazzi in seiner Jugend protegirt; denn der Vater des Sodoma war ein armer Mann, seines Handwerks Schuster; auch wurde Bazzi nicht im Jahre 1474, sondern 1477 geboren, noch war er Schüler des um sieben Jahre jüngern Girolamo Giovenone, sondern er machte seine erste Lehrzeit von 1490 bis 1497 beim Glasmaler Spanzotti von Vercelli durch. Bald nachher aber scheint er nach Mailand übergesiedelt zu sein, woselbst er sich unter dem Einfluße Leonardo’s da Vinci weiter ausbildete. Im Jahre 1501 finden wir ihn schon in Siena niedergelassen, in welcher Stadt er mit den Jahren eine Schule stiftete und wo er an den dortigen Malern Beccafumi und Baldassare Peruzzi Nachahmer fand. Ein diesem sehr ähnliches Bildchen von Sodoma, doch feiner in der Ausführung, besitzt die Turiner Pinakothek.

Der Katalog führt sodann einige Bilder an, die er der Schule des Leonardo da Vinci zuweist. Zwei hängen im Saale 9, das eine, No. 545, stellt die h. Caecilie dar und ist, meiner Ansicht nach, nichts anders, als eine unschöne vlämische Kopie nach dem Raffael’schen Porträt der Giovanna d’Aragona (im Louvre); in diesem Bilde ist die Dame in eine Cäcilie verwandelt. Eine ähnliche vlämische Arbeit, aber besser erhalten, befindet sich in der Doria-Galerie zu Rom, wenn ich nicht irre dort unter dem Namen des Leonardo da Vinci. Das andere Bild trägt die Nummer 564 und stellt die h. Jungfrau in einer offenen Felsengrotte dar mit dem neben ihr liegenden Jesuskinde. Ich begreife ganz wohl, daß einem Manne, der von der Künstlergestalt des Leonardo da Vinci sich solche Begriffe macht, wie Herr Professor Marggraff, dieses Madonnenbild als aus der Schule des florent. Meisters, und jenes weibliche Brustbild mit den aufgelösten Haaren (No. 383) in der Augsburger Galerie, als Lionardo’s[a 13] eigenes Werke erscheinen mußten. Armer, unglücklicher Leonardo, wie wirst du allenthalben verkannt! In Petersburg wenigstens schreibt man ihm Bilder von Cesare da Sesto und Bernardino dei Conti zu, also von Künstlern die unmittelbar oder mittelbar seiner Schule angehörten und die überdieß Italiener waren; in Augsburg aber und in München stellt man dem Publikum als Werke Leonardo’s und aus seiner Schule kümmerliche Productionen vlämischer Nachahmer vor. Jeder Kunstfreund muß gegen solche Profanationen großer Namen mit aller Energie protestiren. Auch das andere s. g. Leonardi’sche Madonnenbild, No. 1335, im nämlichen Saale, gehört nicht Italien an, sondern ebenfalls einem Vlamländer und zwar wie mir scheint einem aus der Schule Gossaert’s.

Von Bernardo Luini, aus dem Flecken Luinò oder Lovino am Lago maggiore stammend, Schüler des Ambrogio da Fossano, Borgognone genannt, und in einer gewissen Epoche Nachahmer Leonardo’s, besitzt diese Galerie, wenn wir dem Kataloge trauen sollen, erstens ein echtes, zweitens ein verdächtiges Bild, und drittens eine Kopie nach ihm.

Das angeblich echte Bild hängt im Saale 9 No. 586 und stellt die göttliche Mutter dar, welche dem auf ihrem Schooße sitzenden Jesuskinde, das einen Stieglitz in der Hand hält, die Brust reicht; Hintergrund Landschaft. Dieser Luini ist nichts anderes als eine kümmerliche Kopie nach einem Bilde des Giampietrino, welches die Galerie Borghese in Rom besitzt (1. Saal). Die von Herr Dr. Marggraff zugestandene Kopie nach Luini ist im Cabinet 20 aufgestellt, No. 1182; wir wollen uns dabei nicht aufhalten.

Das dritte Bild endlich, welches der Katalog dem Bernardino Luini beilegt, jedoch dubitative, hängt im Saale 9 und trägt die Nummer 565. Es stellt die h. Catharina dar, mit einem Palmzweige in der Hand; das Rad liegt neben ihr am Boden; Landschaft als Hintergrund. Dieses Gemälde hat durch Restaurationen aller Art großen Schaden erlitten, in dem Grade, daß man den wahren Autor kaum noch darin wahrzunehmen im Stande ist. Die rechte Hand z. B. ist ganz neu gemalt: ich erkenne darin die Mache des verdorbenen mailändischen Bilderrestaurator’s Molteni. Die Herren Cr. u. Cav. (Bd. II, S. 60 u. 61) schreiben dieses Bild, wie mir scheint mit größerer Sachkenntniß, dem Andrea Solario zu. Auch ich glaube, daß diese hl. Catharina ursprünglich von Andreas Solario gemalt worden sei.

In deutschen Sammlungen sind von diesem feinen, ausgezeichneten lombardischen Meister, so viel ich weiß, nur zwei Bilder sichtbar, das eine nämlich in der Galerie des Belvedere zu Wien (No. 78, I Saal der altdeutschen Schule, unter dem Namen Amberger), das andere, ein von Holz auf Leinwand übertragener „Ecce homo“ in der Sammlung des Baron Sternburg zu Lützschena, bei Leipzig.[52] Da nun über diesen Maler unter den Kunstschriftstellern noch immer nicht die gewünschte Uebereinstimmung herrscht, so möge es mir erlaubt sein, mich bei dieser Gelegenheit eines weitern über denselben auszulassen. Die Künstlerfamilie der Solari (Architekten und Bildhauer) stammte aus dem Dorfe Solaro, unweit Saronno, im Mailändischen, war aber schon in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts in Mailand ansässig; es erscheint daher als sehr wahrscheinlich, daß der Maler Andreas, der ums Jahr 1460 geboren sein muß, in Mailand selbst das Licht der Welt erblickt habe. Sein älterer Bruder hieß Christoph, war Bildhauer und Baumeister, und da er etwas bucklig war, so bekam er den Zuname il gobbo d. h. der Bucklige.[53] Andreas war diesem Bruder sehr zugethan, auch scheint er demselben bei allen Veränderungen seines Aufenthaltes gefolgt zu sein. Daher kommt es wohl, daß die Bilder des Malers bald Andreas Mediolanensis, bald Andreas de Solario bezeichnet sind; die erstere Aufschrift steht auf jenen Werken, die er fern von Mailand gemalt[54], die zweite auf jenen, die er in Mailand selbst ausgeführt. – Andreas wird bei ältern Schriftstellern auch Andrea del Gobbo genannt, woraus zu schließen wäre, daß Christoph beim jüngern Bruder Andreas gleichsam Vaterstelle vertreten habe. Mancher Schriftsteller verwechselt ihn mit Andreas Salaino, dem Famulus von Leonardo da Vinci. Der verstorbene Otto Mündler in seiner musterhaften „Analyse critique de la notice des tableaux italiens du Louvre – Paris 1850,“ hat zuerst das Verdienst gehabt, über den Charakter auch dieses Künstlers Licht zu verbreiten. Ihm sind sodann die Herren Cr. u. Cav. gefolgt, haben aber in ihrem Kapitel über den Andreas Solario einiges Neue hinzugefügt, das mir durchaus unhaltbar scheint. Wer sein eigentlicher Lehrer gewesen, ist noch nicht ermittelt. In der ausgezeichnet feinen Modellirung seiner Köpfe sieht man die Schule, die er wohl bei seinem Bruder, dem Bildhauer, durchgemacht haben muß. Kein lombardischer Maler kommt dem Leonardo so nahe wie er, hat solche Köpfe zu Stande gebracht wie z. B. den des „Ecce homo“ der Poldigalerie (Mailand). In der Modellirung der Hände bleibt aber Solario weit hinter Leonardo zurück. Ein kleines Madonnenbild, No. 310, der Breragalerie zu Mailand, das älteste das mir von A. Solari bekannt ist, dürfte auch auf den Einfluß des Bartolommeo Suardi, Bramantino genannt, schließen lassen.[55] Im Jahre 1490 begleitete er seinen Bruder Cristoforo nach Venedig, und daselbst mag er das schöne Bildniß eines venezianischen Senator’s (jetzt in der National-Galerie zu London) gemalt haben; etwa um 1492–93. In diesem Gemälde ist der Einfluß des Giambellini und mehr noch der des Antonello da Messina sichtbar; auch galt dasselbe im Hause Gavotti zu Genua, woselbst früher dieß Bild sich befand, als Werk des Giambellini. Um 1494 mag auch der herrlich modellirte Eccehomo bei Poldi entstanden sein. Im Jahre 1493 kehrten beide Brüder von Venedig wieder nach Mailand zurück. Ob Andreas das Altarbild für die Kirche von San Pietro Martire zu Murano (vom Jahre 1495, jetzt in der Breragalerie) in Venedig selbst oder anderswo ausgeführt, bin ich nicht im Stande anzugeben; es ist aber wahrscheinlich, daß er ein zweites Mal die Lagunenstadt besucht und das Bild daselbst gemalt habe. Das Madonnengesicht in diesem Gemälde ist durchaus Leonardisch (erinnert in der Zeichnung namentlich an die Madonnen des Boltraffio) und beweist uns, daß Solari nach seiner Rückkunft von Venedig, also in dem Jahre 1493 und 1494, von dem großen Florentiner stark beeinflußt worden sein muß. Die Herren Cr. u. Cav. sehen aber in diesem Bilde, außer dem Leonardi’schen Einflusse, auch noch den von Andrea del Verocchio (?) und der venezianischen Schule; für sie ist dieß Bild ein Gemisch von florentinischen, lombardischen und venezianischen Eindrücken; ja, der landschaftliche Hintergrund erinnert sie dann speciell noch an die Landschaften des Previtali.[56]

Auf diesen gefährlichen Weg der Beeinflussungen und Analogien will ich diesen Herren nicht folgen, denn derselbe pflegt gewöhnlich in irgend ein Dornengestrüppe zu führen. – Vom Jahre 1499 besitzt die Sammlung des Herrn Poldi-Pezzoli zu Mailand zwei Täfelchen mit dem Täufer und der heil. Catharina, Fragmente eines Triptychon bezeichnet Andreas Madiolanensis, also nicht in Mailand gemalt. Der Täufer ist sehr Leonardisch, die heil. Catharina dagegen einheimisch lombardisch.[57] Nun kommt die kleine „Kreuzigung“, No. 396, in der Galerie des Louvre, ebenfalls A. Mediolanensis fa. bezeichnet, 1503. Aus der nämlichen Epoche ungefähr, d. h. aus den Jahren 1503 und 1504 mag wohl auch das Porträt No. 395 in derselben Galerie stammen. In neuerer Zeit wurde dies als das Bildniß von Charles d’Amboise, des französischen Statthalters im Mailändischen, ausgegeben. Das Bild stellt einen Mann, hoch in den Dreißigen, dar, auf dessen Barret der Orden des h. Michael angebracht ist; im Hintergrunde die Aussicht, die man von Mailand aus auf die beschneiten Alpen hat. Die Mache ist fein, aber ein schmutziger Firniß läßt dieselbe kaum noch erkennen. Auch dieß Porträt mag in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Mailand ausgeführt worden sein, vielleicht nach einer Medaille; denn dieß Bildniß stellt wenigstens nach meinem Dafürhalten nicht den Chaumont dar, sondern den König Ludwig XII. Man vergleiche es mit der Skulptur des Lorenzo von Mugiano, einem mittelmäßigen Bildhauer, der die ganze Figur König Ludwig’s in der Tracht eines römischen Imperator’s, wahrscheinlich im Auftrage Chaumont’s, in Stein darstellte. Diese Statue ist in den Räumen des Erdgeschoßes vom Louvre aufgestellt. – Einige Jahre später, ungefähr um 1506–7, aber noch immer in Mailand, dürfte Solari seinen Gönner, Charles d’Amboise, selbst porträtirt haben. Für dessen Porträt halte ich nämlich das Bildniß, welches sich im Hause Perego zu Mailand befindet und von einigen unbehutsamen Kunstfreunden als das Porträt des Maximilian Sforza, des Sohnes von Lodovico il moro, ausgegeben wurde. Auch die Herren Cr. u. Cav. citiren es als solches (Bd. II, S. 61.). Es ist ein sehr schönes Bildniß, aber durch Uebermalung entstellt. Auf dem Barret ist ebenfalls ein Orden angebracht, ich erinnere mich jedoch nicht genau, ob der des h. Michael oder des h. Georg; im Hintergrunde Landschaft. Hier ist ein Mann zwischen 35 und 40 Jahren dargestellt; Chaumont starb 1511. – Max Sforza, 1491 geboren, war, als dieses Gemälde entstand, noch ein sehr junger Bursche, er starb zu Paris 1530, nachdem der feige Mensch schon 1515 Italien verlassen mußte und nach Frankreich geschickt wurde. Im Jahre 1505 malte Solari das Porträt seines Freundes Johann Christoph Longoni (gegenwärtig in der National-Galerie zu London).[58] In dieselbe Zeit, d. h. in die mailändische Epoche, vor seiner Reise nach Frankreich, setze ich noch ein reizendes Frauenporträt im Besitze der Familie Isimbardi zu Mailand, woselbst es dem Boltraffio zugeschrieben wird. Ebenso die s. g. „Vierge au coussin vert“, der Louvregalerie[59]. In der Mitte des Jahres 1507 reiste Solari von Mailand nach Frankreich mit Empfehlungen vom Chaumont an dessen Onkel, den Cardinal Georg von Amboise, für welchen Andrea Solari auch zwei Jahre lang in Gaillon beschäftigt war. Der ehrsüchtige Cardinal, der nach dem Tode Pius des III. sich einige Zeit lang mit der Hoffnung getragen hatte, die Papstwürde zu erreichen, hatte nämlich seinem Neffen, dem Stellvertreter Ludwig des XII. im Mailändischen, den Wunsch geäußert, dem großen Leonardo da Vinci die Ausschmückung seiner Schloßcapelle in Gaillon anzuvertrauen. Allein Leonardo war dazumal so sehr von fortificatorischen und hydraulischen Arbeiten im Mailändischen in Anspruch genommen, daß er nicht einmal die Zeit finden konnte, für den König Ludwig ein Madonnenbild auszuführen.[60] Chaumont sendete ihm daher statt des Leonardo den Andreas Solari, welchen er nach dem Florentiner für den besten damals im Mailändischen lebenden Meister zu halten berechtigt war. Andreas Solari vollendete seine Arbeit im Schlosse Gaillon im September des Jahres 1509.

Vom Jahre 1507 ist das unschöne Bild „der Kopf des enthaupteten Täufers auf einem Präsentirteller“ (der nämliche Gegenstand ist öfters von mailändischen Malern aus jener Zeit dargestellt worden), bezeichnet:
ANDREAS DE SOLARIO . 1507.
Wahrscheinlich brachte er dies Bild von Mailand mit nach Frankreich. (Louvregalerie No. 397.)[61] – Auch ist es bis jetzt noch nicht ermittelt, ob Solari, nach vollendeter Arbeit im Schlosse Gaillon, längere Zeit noch in Frankreich sich aufgehalten habe. Mir erscheint die Hypothese nicht unwahrscheinlich, daß er vor der Rückkehr in die Heimat einige Zeit auch in Flandern, wahrscheinlich in Antwerpen, verweilt habe. Denn manches seiner Gemälde wie z. B. die Herodias in der Belvederegalerie zu Wien und der kreuztragende Christus mit den wüsten Schergen in der Borghesegalerie zu Rom haben, wenigstens in meinen Augen, einen so ausgesprochenen vlämischen Charakter, erinnern so stark an die geleckte Art und Weise des Quinten Massys und seiner Schule, daß sie einem beim ersten Anblicke wie vlämische Arbeit vorkommen.

Im Jahre 1515 scheint Solari wieder in Mailand oder wenigstens in Italien gewesen zu sein. Dies geht hervor aus der Mache des trefflichen durch und durch mailändischen Gemäldes von ihm in der Poldisammlung zu Mailand. Dieß Bild trägt die Aufschrift: Andreas de Solario mediolanen, f. 1515.

Von dieser Zeit an wissen wir nichts mehr von ihm. Daß er das große Altarbild für die Karthauser Kirche bei Pavia (jetzt in der neuen Sakristei daselbst aufgestellt) nach 1515 gemalt, ist mehr als wahrscheinlich, zumal es heißt, daß der obere Theil des Bildes, von Solari unvollendet gelassen, durch Bernardino Campi, etwa um 1576 zu Ende geführt worden sei, was ich dahingestellt sein lassen will. Was ich aber für durchaus unannehmbar halten muß, ist die von G. Calvi wiederholte Behauptung, daß Andrea Solari etwa um 1513 den Andrea da Salerno (Sabbatini ) nach Süditalien begleitet, (von wo aus?) und in Neapel, in Gesellschaft desselben, eine Kapelle in der Kirche von S. Gaudenzio ausgemalt habe. (Siehe Notizie sulla vita e sulle opere dei principali architetti, scultori e pittori che fiorirono in Milano durante il regno dei Visconti e degli Sforza, raccolte ed esposte da Girolamo Calvi, Milano, tipografia Agnelli 1865 pag. 277.) Hier mag vielleicht eine Verwechslung mit Cesare da Sesto, von dem allerdings, nach meiner Ansicht, Andrea da Salerno abhängig ist, stattgefunden haben.

Zwei männliche Porträts des Solari möchte ich hier noch erwähnen. Eines derselben mag vielleicht nach 1515 entstanden sein. Es ist dieß das männliche Bildniß, von vorn gesehen, welches unter dem Namen des Leonardo da Vinci in der Gemäldesammlung des Herzogs Scotti zu Mailand aufgestellt ist. Der Mann hat ein feines Aussehen, einen scharfen Blick und einen noch entschiedeneren Mund. Im Hause Scotti gilt dies für das Porträt des Kanzler’s Morone. Morone wurde aber erst im Jahre 1518, wenn ich nicht irre, zum Großkanzler erhoben.[62] Das andere Porträt besitzt Graf Castelbarco zu Mailand; es soll den Cesare Borgia (?) vorstellen und wird im Hause Castelbarco dem Raffael Sanzio zugeschrieben. Beide Gemälde sind durch Uebermalung sehr entstellt.

Es bleibt mir noch übrig, über zwei Bilder lombardischen Ursprungs meine Meinung abzugeben. Dieselben hängen im Saale 9, unter der Nummer 537 und 543, und stellen das eine den h. Ambrosius, das andere den h. Ludwig von Toulouse dar. Sie sind zwar nur muthmaßlich als Werke des Antonio Solario, lo Zingaro[63] genannt, dem Publikum vorgestellt, gehören aber sowohl nach dem competenten Urtheile der Herren Cr. u. Cav. als auch meinem eigenen Dafürhalten nach einem lombardisch-pavesischen Maler an. Daß der Künstler dieses Bildes in naher Beziehung zu Pier Francesco Sacchi gestanden, scheint einleuchtend. Daß diese zwei Heiligen aber, wie die obgenannten Kunsthistoriker behaupten, dem Cesare Magni einem Schüler und Nachahmer Sacchi’s, zugeschrieben werden müssen, wage ich nicht zu behaupten.



4. Die Toskaner.

Eine bessere Vertretung als die Ferraresen und Lombarden haben die alten Florentiner in der Münchener Galerie gefunden.

Die vier kleinen Tafeln, No. 1204, 1205, 1207 und 1208 (Cabinet 21), auf denen der fromme Mönch Giovanni da Fiesole Geschichten aus dem Leben der h. Cosmas und Damian dargestellt hat, gehören unstreitig zu den besseren Werken dieses liebenswürdigen, und in seiner Naivetät genialen Meisters. Das Halbrund (No. 1203) mit Gottvater inmitten mehrerer Reihen musicirender und anbetender Engel dagegen muß ihm abgesprochen werden; dieß Gemälde gehört augenscheinlich einer viel späteren Zeit an und darf nur als Kopie nach Fra Angelico betrachtet werden. Derselben Meinung sind die Herren Cr. und Cav.

Auch Fra Filippo Lippi, ein jüngerer florentinischer Zeitgenosse des Fra Angelico, war Mönch, allein die Kutte dieses Karmelitaners barg ein ganz anderes Gemüth als die des Dominikaners Giovanni da Fiesole.

Frühe schon elternlos, ward der unruhige, widerspenstige Knabe dem Kloster anheimgegeben, worin er noch ganz jung auch schon zum Mönch gestempelt wurde, ein Beruf, für den ihn indessen die weise Mutter Natur wahrscheinlich nicht geschaffen hatte. Doch so oft ihn sein feuriges, leidenschaftliches Temperament in arge Verlegenheiten gebracht hat, war es jedes Mal sein eminentes Künstlertalent, welches ihm immer wieder daraus errettete. Als sein eigentlicher Lehrer kann Masaccio angesehen werden, dessen epochemachende Fresken in der Kirche des Karmeliterklosters zu Florenz das Vorbild waren, an dem sich der junge Mönch Filippo heranbildete. Und in der That erinnert sowohl die Modellirung der Köpfe wie auch die Form der Hände in den Jugendwerken des Fra Filippo durchaus an Masaccio. Sein Hauptwerk sind die Fresken im Chore der Kathedrale von Prato. In denselben hat er auf der einen Wand das Leben und den Märtyrertod des h. Stephanus, auf der andern des h. Johannes des Täufers, dargestellt. Diese herrlichen Gemälde wurden 1456 begonnen und 1464 vollendet; sie sind also in der nämlichen Zeit ausgeführt wie die ebenso berühmten Wandgemälde des Mantegna in der Cappella degli Eremitani zu Padua. Wer das Streben und das künstlerische Vermögen jener Kunstepoche in seinen höchsten Aeußerungen kennen lernen will, der studire diese beiden Wandmalereien und halte dann das Werk des Florentiners gegen das Werk des Paduaner’s. Was uns in den Darstellungen beider Maler vor allem fesselt, ist der Charakter ihrer Kunst. Reißt uns nun Fra Filippo durch großartigere Auffassung und durch rein dramatische Lebendigkeit fort, so fesselt uns andererseits Mantegna durch größere Evidenz der Darstellung und durch die Vollkommenheit der Ausführung. Beide Werke gehören zum Höchsten, was in der Kunst des 15. Jahrhunderts in Italien hervorgebracht worden ist.

Die Münchener Galerie besitzt zwei Bilder von Fra Filippo; das eine derselben hängt im Saale 9 (No. 554) und stellt die „Verkündigung“ dar; das andere, eine sitzende Madonna mit dem Jesuskinde auf dem Schooße, ist im Cabinet 20 (No. 1169) aufgestellt. Das erstere ist ein gutes Specimen des Meisters, hängt aber zu hoch für den Beschauer; Fra Filippo hat denselben Gegenstand mehrere Male behandelt (Kirche von S. Lorenzo zu Florenz, Galerie Doria zu Rom). Die dramatische Charakteristik, die von Masolino und seinem Schüler Masaccio in die Malerei eingeführt und von Fra Filippo auf’s glänzendste entwickelt und vervollkommnet wurde, fand ihren energischsten, geistreichsten Vertreter in des Fra Filippo Schüler, dem eminenten Alessandro Botticelli von Florenz, einem Künstler, dem man erst in diesen unsern Tagen wieder die Achtung angedeihen läßt, die er wirklich verdient. – Die Münchener Galerie hat von ihm ein einziges Werk aufzuweisen, eine s. g. Pietà oder Beweinung Christi. Maria, in deren Schooße der Leichnam ruht, wird ohnmächtig von Johannes unterstützt, während zwei h. Frauen Füße und Haupt Christi mit ihren Thränen benetzen und eine dritte rückwärts verhüllt steht, drei Pfeile in der Hand haltend.

Diese fast lebensgroßen Figuren sind alle von höchster Lebendigkeit und nehmen jede in ihrer Art den innigsten Antheil an dem Vorgange. Ebenfalls gute und charakteristische Arbeiten sind die zwei Bilder, die von Filippino Lippi, dem Sohne Fra Filippo’s und Schüler Botticelli’s, im nämlichen Saale 9 aufgestellt sind. Das eine davon, No. 563 (Christus mit den fünf Wundmalen erscheint seiner Mutter Maria), ist im Kataloge richtig bezeichnet; das zweite, (No. 538) aber trägt irrthümlich den Namen des Domenico Ghirlandajo. Es stellt eine „Pietà“ dar; der todte Christus ruht im Schooße der göttlichen Mutter, auf der einen Seite die beiden Johannes, von denen der Täufer noch ganz an den Lehrer Botticelli erinnert; auf der andern der h. Jacobus und die h. Magdalena; in den Wolken drei Engel mit den Leidenswerkzeugen, im Hintergrunde eine schöne Landschaft. – Schon von den Herren Cr. und Cav. (II, 451) dem Filippino zugesprochen.

Zu den bedeutendsten Werken florentinischer Meister, die die Münchener Galerie zu besitzen sich rühmen darf, gehören aber unstreitig die drei großen Tafelbilder des Domenico Ghirlandajo, Saal 9, No. 556, 557 und 558. Das erste derselben stellt die h. Catharina von Siena dar; das zweite, Maria in einer Flammenglorie zwischen Seraphköpfen und anbetenden Engeln, verehrt von den H. Dominicus, den beiden Johannes und dem Erzengel Michael; das dritte endlich den h. Laurentius in reicher Diakonenkleidung mit Rost und Palme. Diese drei Tafeln mit andern dreien des nämlichen Meisters (jetzt im Besitze der Berliner Galerie), bildeten dereinst ein großes Altarbild, welches den Chor der Klosterkirche von Santa Maria Novella zu Florenz zierte. – Dagegen ist das in diesem nämlichen Saale 9 dem Antonio del Verrocchio zugemuthete Tafelbild mit den klotzigen drei Erzengeln nicht das Werk eines Meisters, sondern gehört einem ganz untergeordneten Florentiner an, etwa aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Auch das andere Bildchen, im Cabinet 19, No. 1163, welches früher dem Verrocchio zugeschrieben wurde, jetzt aber als Kopie nach einem Bilde des Lorenzo di Credi im Kataloge aufgeführt wird, ist, meiner Ansicht nach, nichts als eine schwache Nachahmung eines Bildes der Galerie Borghese (Saal I) das dort allerdings unter Lorenzo di Credi’s Namen geht[64], das aber einem Schüler desselben angehört, von dem unter andern auch die Galerie von Berlin (unter dem Namen des A. Verrocchio) ein gutes Madonnenbild (No. 104), und die Galerie Pitti zu Florenz eine h. Familie (No. 354) besitzt. – Nur mit Widerstreben erwähne ich hier auch der von Dr. Marggraff früher dem Antonio del Pollajuolo zugeschriebenen, in seinem verbesserten Kataloge aber klugerweise unter die Apokryphen gestellten Bildchen (Cabinet 19) No. 1157, 1162 und 1167, da dieselben selbst von den Historiographen der italienischen Kunst in ihrem berühmten Werke angeführt werden. Das erstere (1157) stellt zwei Geschichten aus der Legende des h. Franz dar und gehört höchst wahrscheinlich einem schwachen umbrischen Maler an. Die Herren Cr. und Cav. (III, 121) sehen es als Werk des Matteo da Gualdo an – eines mir zu wenig bekannten Malers, als daß ich ihr Urtheil bekräftigen oder ablehnen könnte. Der h. Georg mit der Kreuzesfahne und der h. Sebastian mit Pfeilen durchschossen aber (No. 1162) so wie die thronende Maria mit dem Jesuskinde auf dem Schooße (No. 1167), sind doch wahrlich zu geringfügige Arbeiten, als daß man über dieselben noch Worte machen sollte. Gut und charakteristisch für den Meister ist dagegen im selben Cabinet das Bild No. 1168, auf dem die h. Jungfrau mit dem Jesuskinde auf dem Arm dargestellt ist. Der Katalog schreibt es irrthümlich dem Pacchiarotto zu; es gehört indessen einem andern Sienesen, dem Zeitgenossen des Pacchiarotto, Girolamo del Pacchia an, wie dieß von den Herren Cr. und Cav. schon bemerkt wurde.

Auch von Lorenzo di Credi, diesem Carlino Dolci des 15. Jahrhunderts, besitzt die Pinakothek ein mittelmäßiges[a 15] Werk, im Saale 9, No. 553. Dieses Rundbild stellt die Anbetung des auf der Erde liegenden Christkindes dar, eine Komposition, wie sie der gute Lorenzo gar oft wiederholt hat.

Ein anderer Florentiner, Jacopo da Pontormo, ist in einem Madonnenbild (No. 449) im Saale 7 dieser Galerie ebenfalls gut vertreten.

Wenn dem Kataloge zu trauen wäre, so wartete unser noch die freudige Ueberraschung, hier oder da an den Wänden der Galerie Werke des großen Fra Bartolommeo oder Baccio della Porta aufzufinden, aber wie sollen wir diese entdecken, ohne Dr. Marggraff’s Katalog in der Hand?

Im Saale 9, No. 551 hängt ein Bild, worauf Maria mit dem Jesuskinde auf dem Schooße, vor einem grünen Vorhange sitzend, dargestellt ist. Dr. Marggraff bezeichnet es als in der Art des Fra Bartolommeo gemalt; die Herren Cr. und Cav. (III, 475) werden vor diesem Bilde theils an Michele di Ridolfo, theils an Puligo aber auch an die Brescianini von Siena erinnert. Ich meinerseits bin überzeugt, daß es das Werk des Andrea del Brescianino oder del Brescia ist[65], wie ihn Vasari nennt. Im Jahre 1525 siedelte er mit seinem Bruder Raffael von Siena nach Florenz über und studirte daselbst die Gemälde des Fra Bartolommeo, welche er auch nachzuahmen suchte. Ein Werk von ihm aus der nämlichen Epoche ist in der Uffizigalerie zu Florenz No. 1205.

Leider müssen wir auch das andere, im frühern Kataloge ebenfalls dem Fra Bartolommeo zugedachte Bild im Cabinet 20, No. 1171, umtaufen, um es, wenn auch nicht dem Fr. Granacci selbst, so doch jedenfalls seiner Schule zuzuschreiben[66]. In seinem verbesserten Kataloge weist es Herr Dr. Marggraff einem florentinischen Meister zu, „der den Einfluß des Raffael’schen Idealismus erfahren haben dürfte.“ Die Herren Cr. und Cav. dagegen sind in Zweifel, ob sie es dem Michele di Ridolfo zuschreiben sollen. (Cr. und Cav. III, 475).

Das dritte vermeintliche Werk des Fra Bartolommeo hängt in demselben Cabinet (No. 1189) und stellt die h. Jungfrau mit dem auf ihrem Schooße stehenden Jesusknaben dar.

Herr Dr. Marggraff erklärt dies unbedeutende Bild für einen s. g. pasticcio, d. h. für eine spätere Nachahmung und zwar des Raffael, und diesem Urtheile kann ich mit Freuden meine Zustimmung geben. Die Herren Cr. und Cav. wollen darin eine spätere replica des Giovanni Spagna erkennen (III, 327). Neben den vermeintlichen Werken des Fra Bartolommeo besitzt diese Sammlung eine, wenn auch stark übermalte, so doch echte „Verkündigung“ (Saal 9, No. 545) von Mariotto Albertinelli, dem Freunde und Ateliergenossen des Baccio della Porta, dessen bessere Arbeiten, sowohl Gemälde als Handzeichnungen, nicht selten mit denen des Dominikaners verwechselt werden, so z. B., um nur ein jedermann zugängliches Beispiel hier anzuführen, das herrliche kleine Triptychon in der Poldisammlung zu Mailand: in der Mitte Maria mit dem Kinde, auf den Flügeln die h. Katharina und Barbara; auf der Außenseite, grau in grau: der englische Gruß. Dieß schöne, mit großer Liebe ausgeführte Gemälde des M. Albertinelli ward lange Zeit dem Raffael zugemuthet, in neuerer Zeit aber dem Fra Bartolommeo zuerkannt, und als ein Bild dieses Meisters von Passavant (II, 407) vom Pater Marchese (II, 48) und selbst von den Herren Cr. und Cav. beschrieben (III, 477). In meinen Augen ist dieß ein zweifellos echtes Werk des M. Albertinelli.

Doch ich sehe, fast hätte ich unter den Toskanischen Meistern einen ihrer ersten Größen, Giotto da Bondone, zu erwähnen vergessen. Von ihm soll, dem Kataloge zufolge, diese Galerie drei interessante Bilder besitzen, welche im Cabinet 19, unter den Nummern 1148, 1152 und 1155 aufgestellt sind. Die zwei ersten davon gehören zu einer Serie von kleinen Tafeln, welche Giotto, nach Vasari, für die Sakristeischränke der Kirche von Santa Croce in Florenz gemalt haben soll; die Mehrzahl derselben befindet sich in der Akademie der schönen Künste zu Florenz, zwei sind in die Galerie von Berlin gewandert, zwei andere hängen hier vor unsern Augen. Das eine, 1148, stellt das h. Abendmahl dar, das zweite, 1152: Christus am Kreuze, umtrauert von den Heiligen Franziscus, Maria mit den h. Frauen, Johannes, Nicodemus, Joseph von Arimathia, einem Geistlichen und einer Nonne. Auch Baron von Rumohr hielt diese Bildchen, gleich denen in Florenz und Berlin, für echte, von Giotto selbst ausgeführte Gemälde; den Herren Cr. und Cav. (I, 342) dagegen erscheint das „Abendmahl“ (1148) bloß als Werk der Schule Giotto’s, über die andern zwei aber sprechen sich dieselben leider nicht aus, sondern begnügen sich, sie ganz allgemein für sehr schadhafte Bilder zu erklären. Meinem eigenen Dafürhalten nach sind beide Gemälde, sowohl das Abendmahl als der Christus am Kreuze, Werke eines tüchtigen Schüler’s des Giotto (Atelierbilder), das letztere namentlich von großer Feinheit in der Ausführung, und darin dem Meister selbst sehr nahe kommend.

Das dritte Bild endlich, welches im neuen Katalog Giotto’s Namen führt, wenn auch nur als angeblich ihm zugehörend, ist ein männliches Porträt, nach Herrn Dr. Marggraff’s Ansicht einer der ersten und sehr bezeichnenden selbständigen Versuche der Porträtmalerei. Oben auf dem Bilde ist mit Buchstaben im Charakter des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts der Name FRANCISCVS BRACCIVS zu lesen. Ich kann darin nur ein einfältiges, häßliches Bildniß, das untrügliche Machwerk irgend eines nordländischen Pfuscher’s aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erkennen. Man besehe sich doch nur den klobigen Daumen mit dem breiten, platten, auf dem Schnitte beleuchteten Nagel, man beachte ferner das unter dem Porträt angebrachte Wappen des Dargestellten, und ich zweifle nicht, man wird mir zugestehen, daß diese Behandlungsweise dem Geschmacke nicht nur Giotto’s sondern überhaupt jedes italienischen Malers aus der guten Zeit sehr ferne steht. – Die Aufschrift ist eine betrügerische Fälschung.

Für nichts geringeres als Betrug erkläre ich auch die moderne Kopie nach einem Bilde des Sienesen Francesco di Giorgio, welche, als unbekannt, im Cabinet 18, No. 1130, aufgestellt ist. Auf diesem Bildchen ist ein Wunder des h. Antonius von Padua dargestellt. Die Herren Cr. und Cav. halten es zwar für Originalarbeit des Francesco di Giorgio (III, 68), ich glaube aber, daß sie, bei genauerer Betrachtung, mir zugeben würden, daß dieß nur eine auf Betrug angelegte neuere Kopie nach Francesco di Giorgio sei[67].

Würde Herr Dr. Marggraff nicht auch noch in seinem verbesserten Kataloge für gut befinden, die grau in grau gemalten Bildchen, Saal 20, No. 1174, 1175, 1185, 1186, als Originalskizzen in Oel von Andrea del Sarto zu einem Theil der bekannten Fresken im Kreuzgang der Compagnia dello Scalzo in Florenz zu erklären, so hätte ich es nicht für nöthig erachtet, die jungen Kunstforscher darauf aufmerksam zu machen, daß es (ebenso wie diejenigen vom Bildhauer Santarelli der Uffizigalerie in unseren Tagen geschenkten ähnlichen Oelskizzen) nur spätere Kopien nach den Fresken sind, gleich den ähnlichen Oelskizzen in der Uffizigalerie. Jedem, auch nur oberflächlich mit der Art und Weise des genialen Florentiners Vertrauten sollte dieß sofort in die Augen springen. Von Andrea del Sarto besitzt die Galerie von München kein Originalwerk.



5. Die Umbrier.

Zum Schluß haben wir noch die in Münchens berühmter Pinakothek enthaltenen Werke der Umbrischen oder besser gesagt der Peruginischen Malerschule einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Im Saale 9 hängt unter andern ein Madonnenbild (No. 550), das sich unsern Augen gleich beim ersten Blicke als Werk des Pietro Perugino darstellt, an dessen Echtheit jedoch Herr Professor Marggraff nicht recht zu glauben scheint. Allerdings muß ihm zugegeben werden, daß das Bild sehr verputzt und überdies ein schwachmüthiges Werk des Meisters ist, aber kein Kenner der Art und Weise dieses in seinen ältern Jahren sehr ungleichen Malers wird in Abrede stellen, daß in diesem Gemälde so wie in den beiden andern ihm zugeschriebenen, in diesem Saale No. 561 und 590[68], die dem P. Perugino eigenthümlichen Formen und Kennzeichen sich vorfinden. Und da mein Urtheil sowohl über dieses als über diese drei Bilder Perugino’s mit dem der Herren Cr. und Cav. übereinstimmt (†, III, 254 und 255), so darf ich mich der freudigen Empfindung hingeben, dieses Mal wenigstens den Beifall der Kunstliteraten zu finden.

In der Beurtheilung des herrlichen Bildes von Perugino No. 561, ist es uns vergönnt, Herrn Dr. Marggraff endlich auch einmal aus voller Seele beistimmen zu können. Ja dies ist wahrlich ein bewundernswürdiges Werk des Meisters! Obschon an manchen Stellen durch Reinigung beschädigt, darf das Bild doch als ziemlich gut erhalten angesehen werden. Es stellt die h. Jungfrau dar, wie sie, begleitet von zwei Engeln, dem h. Bernhard erscheint, der in einer offenen Halle vor seinem Lehrpulte sitzt, während der h. Bartholomäus und ein anderer Heiliger hinter demselben steht.

In der Hast seiner Kollektivarbeit schreibt Vasari wahrscheinlich aus Versehen dies Bild dem Raffaellino del Garbo zu (Ediz. Lemonnier VII, 193), und siehe da, die florentinischen Kommentatoren sind alsogleich bereit, dies Gemälde in der Münchener Galerie dem P. Perugino zu entziehen, um es dem Raff. del Garbo zu geben. So darf doch wahrlich in der Kunstgeschichte nicht verfahren werden. Zu so absurden Resultaten kann man nur gelangen, wenn man über Dinge, die man gar nicht gesehen, sein Urtheil abgeben will. Allerdings scheint auch Raff. del Garbo ein Bild nicht nur mit dem nämlichen Gegenstande sondern auch von derselben Komposition wie dieses von der Hand des Perugino gemalt zu haben, wenigstens besitzt das britische Museum eine sehr gut ausgeführte, getuschte und mit Kreide aufgehöhte Zeichnung[69], auf welcher die Madonna, von zwei Engeln begleitet, dem vor einem Lesepulte sitzenden hl. Bernhard erscheint. Ob Raff. del Garbo diese feine Zeichnung als Vorlage zu einem Gemälde benutzt habe, und wo das Bild gegenwärtig sich befindet, bin ich nicht im Stande zu sagen. Die Idee aber, sowohl zur Zeichnung des Raff. del Garbo, wie zum Gemälde des P. Perugino muß in jenem herrlichen Bilde des Filippino Lippi in der Badia zu Florenz gesucht werden, wahrlich ein Wunderwerk florentinischer Kunst, das wohl auch dem jungen Fra Bartolommeo vorgeschwebt haben muß, als er in einem jetzt gleichfalls in der Akademie von Florenz befindlichen Bilde den nämlichen Gegenstand zur Darstellung brachte[70]. Die Herren Cr. und Cav. (III, 255) lassen natürlich dieses Bild der Münchener Galerie als Werk des P. Perugino gelten, nehmen aber an, daß es wahrscheinlich eine Kopie[71] des von Vasari als Werk des Raff. del Garbo beschriebenen Gemäldes sein dürfte, als ob Vasari’s Bilderbestimmungen so unbesehen angenommen werden müßten.

Das Bild No. 590 gehört dagegen wieder zu den schwachen Arbeiten des Perugino; es ist oberflächlich gedacht wie gezeichnet und gemalt. – Und nun erübrigt uns noch die Besprechung der zwei berühmten Predellen, welche unter den Nummern 1179 und 1185 im Cabinet 20 ihren Platz gefunden und seit Jahren die Aufmerksamkeit der größten Kunstkenner Deutschlands, Italiens und Englands auf sich gezogen haben. Auf der einen Seite stehen Deutschlands berühmteste Autoritäten für Raffael, die Herren von Rumohr und Passavant, welche diese Predellen dem jungen Raffael zuschreiben, auf der andern die eben so berühmten Autoritäten Englands und Italiens, die Herren Cr. und Cav., in deren Augen es nur Werke des P. Perugino sind. Ein weiser Mann sollte nun bei solchem Zwiespalt der Großen sich fein still verhalten und seines Weges weiter ziehen, um nicht Gefahr zu laufen, mit seiner einzelnen Meinung bei dem großen Publikum als ein Ketzer zu gelten. Doch da es mir einzig und allein um die Wahrheit zu thun ist, oder, um mich richtiger auszudrücken, um das was ich für Wahrheit erkannt habe, und da ich überdies nicht vorgebe eine Autorität in der Kunstwissenschaft zu sein, sondern vielmehr ein Lernbegieriger, auch an der Meinung des großen Publikums mir sehr wenig gelegen ist, um so weniger als in solchen Fragen es gar keine öffentliche Meinung giebt oder geben kann, – will ich auch hier meine Ueberzeugung zum besten geben und offen bekennen, daß sowohl die „Taufe“ als die „Auferstehung Christi“ (No. 1173 und 1185) mir nicht als Werke des P. Perugino erscheinen, und noch viel weniger des jungen Raffael Sanzio von Urbino. Die Komposition und wohl auch die vorzüglichen Zeichnungen zu diesen schönen Predellen mögen allerdings auf P. Perugino selbst zurückgehen, gleich wie die Komposition zum großen Bilde der „Auferstehung Christi“ in der vatikanischen Galerie[72], mit dem das eine dieser kleinen Bilder fast identisch ist[73], vom Meister selbst herrührte; in der Ausführung jedoch auch dieser Predellen in München glaube ich ganz deutlich die Hand und das Machwerk des Giovanni Spagna zu erkennen. Ich halte Spagna für einen Schüler des Fiorenzo di Lorenzo; die Art und Weise, wie er z. B. den Saum der Wolken beleuchtet, um nur einen charakteristischen Zug unter vielen hier anzuführen, ist durchaus die des Fiorenzo[74] und ganz abweichend in der Art des Perugino die Wolken zu formen und zu beleuchten. In das Atelier dieses letzteren Meisters mag Giovanni Spagna erst später eingetreten sein und zwar nicht als Schüler sondern als Gehilfe, als welchem Pietro ihm die Ausführung auch dieser Predellen überlassen haben wird.

Wir betrachten nun die Raffael Sanzio’s Name führenden Werke der Pinakothek. Eines derselben finden wir in dem nämlichen Cabinet. Es ist das Porträt jenes jungen Mannes (No. 1179), mit aufgeschwollener Nase und schwarzem Barret. Seiner Tracht nach, sagt Herr Passavant (I, 71), muß dieser Jüngling einer Patrizierfamilie von Florenz angehört haben, und dieser europäischen Raffaelautorität zufolge wurde dieses Porträt vom jungen Raffael während seines ersten florentinischen Aufenthaltes gemalt. Für die Echtheit dieses Raffael hatten sich schon früher Kenner wie Ignatius Hugford, ein englischer Maler, und Raffael Mengs, der große sächsische Künstler und Kunstkritiker erklärt. Zum Ueberfluß steht auch der Name Raffael’s auf den gelben Schnallen des Unterkleides:

RAPHAELLO (sic) VRBINAS. FEC.

An diesem Bilde scheint mir bei seinem gegenwärtigen Zustande auch kein Strich dem Raffael anzugehören. Ob es aber vor der Restauration Anspruch auf eine so edle Abstammung erheben konnte, wage ich nicht zu behaupten. Jedenfalls ist die Aufschrift, wie dies bereits von Herrn Marggraff, welcher auch im übrigen meine Ansicht über dieses geistlose Bildniß zu theilen scheint, bemerkt worden ist, gefälscht. Ebenso bin ich genöthigt, einen zweiten angeblichen Raffael, No. 1133 im Cabinet 21, in die „quarantaine“ zu verweisen. Dieses Bild stellt den Kopf eines jugendlichen h. Johannes dar und ist al fresco auf Ziegel gemalt. Herr Dr. Marggraff scheint nicht recht zu wissen, was er von diesem vermeintlichen opus Raphaelis halten soll. Der verstorbene Passavant sah es als eine Studie an, als einen Versuch in der Freskomalerei, ehe Raffael die Ausführung des Freskobildes in S. Severo zu Perugia unternahm (I, 72).

Das wäre ja alles ganz schön und gut, wenn dieser unbedeutende Kopf auch nur eine Spur Raffaelischer Art an sich hätte. Aber näher besehen, wie unraffaelisch sind doch z. B. die geist- und geschmacklosen Haarlocken, wie hart und ohne die geringste Anmuth ist der Hals modellirt! Offen gestanden, mir ist dieser h. Johannes äußerst verdächtig, und ich befürchte fast, daß diese Raffaelische „Probe in der Freskomalerei“ als eine moderne Fälschung sich herausstellen könnte.

In demselben Cabinet ist unter Nummer 1206 die weltberühmte „Madonna de’ Tempi“, d. h. vom Hause Tempi in Florenz, aufgestellt. – Passavant setzt diese Jugendarbeit des Urbinaten etwa ins Jahr 1506, also in jene Zeit, wo Raffael die sogenannte „Madonna im Grünen“ der Belvederegalerie von Wien gemalt hat. Mir nun scheint das Bild einer noch früheren Epoche des jungen Meisters anzugehören, jener Zeit etwa, in der die s. g. Madonna del Granduca der Galerie Pitti zu Florenz entstand, und jedenfalls früher als die „Madonna im Grünen“, als die Madonna des Lord Cooper und die Madonna degli Ansidei. – Leider war dieses Gemälde längere Zeit im Hause Tempi wie vergessen und verschollen, und später hat es durch ungeschickte Restauration hart leiden müssen, so daß in seinem gegenwärtigen Zustande fast ungenießbar ist. Die Landschaft ist verputzt und unfertig geworden, der Mund der Maria ist entstellt und sieht so aus, als ob die h. Jungfrau an Zahnschmerzen litte; auch haben Stirn und Nase ihre Originalcontouren eingebüßt, die Lider des linken Auges sind gleichfalls verdorben. Gut erhalten ist dagegen der Kopf des Christkindes, jedoch mit Ausnahme des Contours des linken Backen. In der Modellirung gleichen die Hände der Madonna del Granduca, scheinen aber unvollendet zu sein. Aber trotz alle dem bleibt die Madonna de’ Tempi, wenigstens in meinen Augen, das raffaelischste Werk dieser Galerie. – Im Museum Fabre zu Montpellier befindet sich der Carton zu diesem Bilde; er ist auf grünem Papier mit schwarzer Kreide gezeichnet und mit Gips aufgehöht, allein diese Zeichnung ist in einem so grauenhaften Zustande, daß sie fast als verloren trachtet werden muß.

Wollen wir uns nun die anderen Gemälde Raffael’s der Münchener Pinakothek besehen, so müssen wir uns in Saal 9 begeben, wo dieselben unter den Nummern 534, 547 und 585 aufgestellt sind.

Das erste von diesen drei Bildern trägt den Namen der Madonna aus dem Hause Canigiani zu Florenz. Seine Entstehung wurde von Passavant in das Jahr 1506 gesetzt, also in eine Zeit, wo Raffael in Florenz am Carton zu seiner „Grablegung“ für Atalanta Baglioni von Perugia arbeitete[75]. Vor der unglücklichen Reinigung und Uebermalung dieses Bildes soll außer dem Namen des Meisters auch die Jahreszahl 1506 am Saume des Kleides der h. Jungfrau zu lesen gewesen sein. – Eine Federzeichnung zu diesem Bilde befindet sich in der Albertina zu Wien, eine Kopie hiervon in der Sammlung von Handzeichnungen in Oxford; eine zweite Originalzeichnung mit einigen Modifikationen soll der Herzog von Aumale besitzen. Wie Passavant sehr richtig bemerkte, erinnert die Zeichnung in diesem Bilde am meisten an die der Borghesischen „Grablegung“ von Raffael. Mir scheint jedoch sowohl Zeichnung als Modellirung in diesem Gemälde viel schwächer als in jenem berühmten Bilde zu Rom. Von dieser h. Familie giebt es mehrere alte Kopien; eine davon befand sich in der Galerie Rinuccini zu Florenz, von einem Flamländer gefertigt[76] und ist gegenwärtig im Besitze der Erben Rinuccini’s. Im Kataloge jener Galerie, verfaßt von Herrn Milanesi, einem der Kommentatoren der Vasariausgabe von Lemonnier, wurde die niederländische Kopie als Original angepriesen[77]

Die Münchener Madonna di casa Canigiani ist durch die ungeschickte Restauration derart entstellt, daß man beim ersten Anblicke stutzig davor stehen bleibt; nur nach einem näheren Eingehen in die Einzelheiten der Formen wird man zur Ueberzeugung kommen, daß das Bild von Raffael nicht nur komponirt, sondern zum Theil auch gemalt wurde, daß es jedoch in jene Reihe von Werken des Meisters gesetzt werden muß, welche von ihm unter Mithilfe Anderer ausgeführt wurden[78], wie z. B. auch die „Grablegung“ der Galerie Borghese, die s. g. Madonna di casa Colonna der Berliner Galerie, die Madonna Nicolini bei Lord Cowper u. a. m. Durch nichtswürdige Uebermalung ist nicht nur die Durchsichtigkeit und Klarheit der Farben verschwunden, sondern einzelne Körpertheile sind so verputzt und entstellt, daß man darin gar nicht mehr die Hand, geschweige den Geist des Meisters gewahr wird. Um auf einzelnes hier ausdrücklich hinzuweisen z. B. der torso und die Füße des Christkindes, der rechte Arm desselben und die Haarmasse am Kopfe des kleinen Johannes. Auch die rechte Hand der h. Anna ist nicht Raffaelisch modelliert, was am Daumen besonders auffällig ist. Die Zeichnung ihres rechten Fußes ist ebenfalls verfehlt. So auch die Füße des h. Joseph. Raffaelischer Geist und Charakter ist im Kopfe des Jesuskindes noch am meisten erhalten. Großherzog Cosimo III. hatte dies Bild seiner Tochter Anna Maria de’ Medici als Brautgeschenk mit nach Deutschland gegeben.

Was nun das zweite Madonnenbild Raffael’s in diesem Saale betrifft (No. 547), so erscheint dasselbe gleichfalls von den Restauratoren hart mitgenommen und gequält und zwar in dem Grade, daß man es kaum noch von einer Kopie zu unterscheiden vermag. Es stellt Maria, im Profil gesehen, dar; sie umfaßt mit der Rechten das auf ihrem Schooße sitzende Jesuskind, während sie ihre Linke dem kleinen, mit dem Kreuze dabei stehenden Johannesknaben um den Nacken legt; im Hintergrunde links ein grüner Vorhang, weßhalb diese Madonna auch den Namen: „della tenda“ erhielt. Dies Bild ist nichts anders als eine modificirte Wiederholung der s. g. Madonna della seggiola im Palast Pitti zu Florenz. Eine Wiederholung dieses Bildes zu München besitzt auch die Turiner Bildergalerie – Atelierarbeit.

Zum Schlusse noch ein Bild, welches in diesem Saale Raffael zugeschrieben wird (No. 585). Es ist dies das weltberühmte Porträt des Bindo Altoviti von Florenz. Passavant (II, 117) behauptet, dieses Bildniß könne nicht vor 1512 gemalt sein und stelle einen jungen Mann von etwa 22 Jahren dar, während Bindo Altoviti, den 26. September 1490 geboren, im Jahre 1512 zweiundzwanzig Jahre zählte. Ueberdieß rühmt derselbe Kunstforscher die ganz vortreffliche Erhaltung dieses Gemäldes. Auch die florentinischen Kommentatoren des Vasari[79] bemerken, dies berühmte Porträt werde seiner Färbung halber für das beste von allen Raffaelischen Bildern gehalten. Vasari selbst scheint dieses Gemälde nicht mit eigenen Augen gesehen zu haben, denn er sagt: „dem Bindo Altoviti malte er sein Porträt als derselbe jung war, welches (Porträt) für wunderschön gehalten wird (che è tenuto stupendissimo).“

Nun muß ich offen das Bekenntniß ablegen, – vielleicht zu meiner Schande, daß dieses allgemein gerühmte Bild mich stets ganz kalt gelassen hat, und daß ich auch wieder bei meinem letzten Besuche Münchens, beim besten Willen, nicht im Stande war, mich dafür zu erwärmen. Entweder bin ich vor den Kopf geschlagen, oder Herr Passavant hat sich gründlich getäuscht. Ich kann nicht anders, ich muß das Bild für übermalt erklären. Diese violett-rothe Fleischfarbe, auf der man keinen Pinselstrich gewahr wird, so geleckt sieht sie aus, dieser grüne Hintergrund, diese undurchsichtigen, schwarzen Schatten, gehören – ich zweifle nicht daran – einem spätern Maler an. Auch fällt es mir auf, daß gar keine Risse und Sprünge im Gemälde wahrzunehmen sind. Ich kann darum nur wünschen, man möchte dieses weltberühmte Porträt dem von Pettenkoffer’schen Ressurrectionsverfahren unterwerfen. Dieser Raffael könnte dabei nicht verlieren.

Doch ich fürchte, meine Leser sind den beständigen Widerspruch gegen Herrn Prof. Marggraff längst müde, und ich gestehe selbst, daß die Lösung einer solchen Aufgabe mir keine erfreuliche war. Sollten aber dem in seinem Vaterlande so hochgefeierten Manne diese meine kritischen Studien in die Hände fallen, so wäre es mir wahrlich sehr leid, wenn er sich durch mein Widersprechen etwa beleidigt fühlen sollte. Ich kenne den gelehrten Herrn zwar nicht persönlich, weiß aber wohl, in wie hohem Ansehen er bei der Regierung seines Landes steht, und so kann ich ihm zum Trost über diese Aeußerungen meines Widerspruchsgeistes nur die Versicherung geben, daß ich selbst diesen meinen Urtheilen und Berichtigungen kein größeres Gewicht beilegen will, als daß ich sie für Studien, für nichts mehr als Studien erkläre, welche überdies gar nicht gelehrten, ihrer Sache schon vollkommen sichern Kunstkritikern gewidmet sind, sondern die nur deßhalb veröffentlicht worden sind, damit meine jungen Landsleute aus dem Tatarenlande, die etwa auch dergleichen Studien obliegen, neben den vielen deutschen, englischen, französischen und italienischen auch einen russischen Leitfaden zur Hand hätten, um die deutschen Bildersammlungen mit Nutzen zu besuchen. Bekanntlich sieht jede Nation mit eigenen Augen die Dinge in dieser Welt an, und folglich auch die Werke der Kunst, und ein tartarisches Auge dürfte daher in einem italienischen Gemälde oder einer italienischen Handzeichnung auch manches sehen, was z. B. ein deutsches oder französisches Auge darin nicht gewahr wurde, wie auch umgekehrt.

Herr Professor Marggraff möge es mir verzeihen, wenn in der Hitze der Diskussion manch’ herbes Wort meiner ungeschulten und ungelenken Feder entschlüpfte; feindselig war es gewiß von mir nicht gemeint, dessen darf er sich versichert halten.



6. Handzeichnungen italienischer Meister im Kupferstichcabinet.

Im Erdgeschosse der Münchener Pinakothek ist in mehreren Zimmern eine berühmte Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen untergebracht. Unter letzteren sind die Zeichnungen der altitalienischen Meister besser und reichlicher vertreten als in den anderen Sammlungen Deutschlands – Wien mit seiner herrlichen Albertina ausgenommen. Im Folgenden beschränke ich mich darauf, diejenigen Blätter zu verzeichnen, welche mir als echte erschienen sind. Bei der Untersuchung der in dieser Sammlung enthaltenen Handzeichnungen italienischer Meister, hätte ich gern dieselbe Regel befolgt wie bei den Bildern, d. h. sie nach Schulen geordnet, der Reihe nach den Lernbegierigen vorgeführt; bei näherer Erwägung jedoch wurde es mir klar, daß es für denjenigen, welcher von der Richtigkeit meiner Bestimmungen mit eigenen Augen sich überzeugen möchte, eine gar zu beschwerliche und langwierige Arbeit wäre, jedes Mal von einem Bande zu einem andern übergehen zu müssen; denn wie oben die Bilder, so sind auch die Zeichnungen leider pêle mêle zusammengestellt. Die Handzeichnungen sind in etwa 16 Bänden untergebracht, ohne daß irgend ein Gedanke der Vertheilung zu Grunde gelegt wäre:

„Italiener“: Band 22: Dieser Band enthält fast ausschließlich Braun’sche Photographien berühmter Bilder von Leonardo da Vinci, Perugino, Francia u. s. w.; unter diesen Photographien fand ich übrigens auch eine treffliche getuschte Zeichnung von Giulio Romano.

Band 23: Ebenso in diesem Bande befinden sich: eine gute Tuschzeichnung „die Apotheose des h. Franciscus“ vom Ferraresen Scarsellino; zwei Federzeichnungen von Ann. Caracci; eine Tuschzeichnung „Christi Auferstehung“ von Cigoli; drei Tuschzeichnungen von Antonio Tempesta; eine Kreidezeichnung von Cesare d’Arpino; zwei Zeichnungen von Pietro da Cortona, und sieben dem Luca Cambiaso zugeschriebene Federzeichnungen, von denen aber nur eine ihm wirklich angehört.

Band 24: enthält als Handzeichnung des Gio. Battista Tiepolo bloß eine Kopie nach einem Bilde von ihm.

Band 25: In diesem Bande befinden sich keine Originale, sondern blos Photographien von Zeichnungen des Giotto, des Giovanni da Fiesole, und von Giov. Ant. da Pordenone. Um die guten Handzeichnungen zu finden, darnach dürfen wir nicht etwa im 26. oder den folgenden Bänden aufsuchen, sondern wir müssen 25 Bände überspringen und den 50. öffnen.

Band 50: 1. Leonardo da Vinci. Von den vier diesem großen Meister zugemutheten Zeichnungen erkenne ich als echt nur das Blatt mit den drei Studien von Maschinen und beigefügter schriftlicher Erklärung. Federzeichnung, mit der Strichlage von links nach rechts.

2. Giovanni da Fiesole und 3. Masaccio. Die diesen beiden Malern zugeschriebenen Zeichnungen sind zwar gut, gehören auch florentinischen Künstlern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts an, aber weder dem Giov. da Fiesole noch dem Masaccio.

4. Pietro Perugino. Tuschzeichnung, den vom Johannes beweinten todten Christus darstellend, Studie zu einer „Grablegung.“ Schön und ganz im Sinne und der Gefühlsweise des Meisters; trotzdem erscheint mir diese Zeichnung als eine Kopie nach Perugino, von einem seiner bessern Schüler ausgeführt. Die Behandlung der Haarmasse ist ängstlich und geistlos, auch ist die Form der Finger nicht die dem Pietro eigenthümliche.

5. Giovanni Bellini. Zwei der Zeichnungen unter diesem Namen gehören dem Filippo Bellini an, einem Urbinaten vom Ende des 16. Jahrhunderts; „Achilles und Polissena“ einer noch spätern Zeit, und endlich dürfte der von hinten gesehene, in schwarzer Kreide ausgeführte Frauenkopf mit Netzhaube, wohl eher einem Niederländer aus dem 17. Jahrhundert, als dem Giambellino zuzuschreiben sein.

6. Andrea Mantegna. a) Christus zwischen den h. Andreas und Longinus, mit der Aufschrift: PIO ET IMMORTALI DEO, getuschte Federzeichnung, sehr schön und, wie ich glaube, auch echt. Wahrscheinlich ist diese Zeichnung für den bekannten Kupferstich entworfen.

b) Mucius Scaevola, grau in grau, auf Leinwand aquarellirt, scheint mir ebenfalls dem Mantegna selbst anzugehören.

c) Eine der Musen, welchen wir in seinem bekannten Bilde der Louvregalerie „der Parnaß“ begegnen. Feder, Sepia und Kreide. Scheint mir Kopie zu sein. Eine zweite von jenen Musen, in derselben Art behandelt wie diese und auch von derselben Größe, besitzt Herr Carlo Prayer in Mailand[80] Da es noch immer zu geschehen pflegt, daß sowohl in Gemälden als auch in Handzeichnungen Andrea Mantegna mit seinem Schwager Giovanni Bellini verwechselt wird und umgekehrt, wie z. B. in der bekannten Federskizze, eine „Pietà“ darstellend, der Akademie von Venedig, so erlaube ich mir hier meine jungen Freunde auf die

Form des Ohres bei Giovanni Bellini. Die Form des Ohres bei Andrea Mantegna.
Die Form der Hand bei Giovanni Bellini während seiner s. g. Mantegnesken Periode, also ungefähr von 1460 bis 1475.

Verschiedenheit, wie beide Meister die Form sowohl des Ohres als der Hand auffassen als charakteristische Unterscheidungszeichen, aufmerksam zu machen.

Eine vierte Zeichnung in München, welche ebenfalls dem Mantegna zugeschrieben wird, gehört vielmehr, meiner Meinung nach, dem Liberale da Verona an. Es ist
Die gewöhnliche Form der Hand bei A. Mantegna.


dies eine mit der Feder gezeichnete Apostelfigur, unten als Mantegna bezeichnet; schön und charakteristisch für den veronesischen Meister[81].

7. Andrea del Verrocchio. Federzeichnung; Studie der verschiedenen Proportionen an einem der Bronzepferde von S. Marco in Venedig. Ob diese Zeichnung dem Verocchio, dem Al. Leopardi oder irgend einem andern Bildhauer jener Zeit angehört, meine ich, wird schwer festzustellen sein.

8. Francesco Francia. Nichts.

9. Ambrogio Borgognone (1450–1523). Zwei ganz unbedeutende Zeichnungen vom Ende des 16. Jahrhunderts, vielleicht auch später.

10. Tiziano Vecellio: David im Begriffe dem Goliath den Kopf abzuschlagen; getuschte Federzeichnung, gut, doch wüßte ich nicht zu sagen, ob dieses Blatt wirklich dem großen Cadoriner zugeschrieben werden darf. Eine andere treffliche Zeichnung, ebenfalls unter Tizian’s Namen, gehört dagegen unstreitig dem Victor Carpaccio an: dieselbe stellt einen Kriegsknecht mit Sporen, Dolch und Horn bewaffnet dar, Tusche und Kreide.

Auch der venezianische Senator, mit Schwarzkreide gezeichnet, dürfte, glaub’ ich, eher dem Tintoretto als Tizian angehören.

11. Francesco Carotto. Getuschte Zeichnung, die h. Familie darstellend, oben auf dem Blatte Carazzi bezeichnet, ist in der That von Lodovico Caracci, und nicht von Carotto.

12. Domenico Ghirlandajo. Eine ganz vorzügliche Federzeichnung, eine Taufe (?) in einem Tempel, im Beisein von vielen Personen, darstellend. Sehr charakteristisch für den Meister. Von demselben ist auch eine Tuschzeichnung auf röthlich grundirtem Papier, „zwei Männer in florentiner Tracht, sich mit einander unterhaltend.“

Band 51: 1. Unter den „Unbekannten“ befindet sich eine ganz vorzügliche Zeichnung zu einem Reiterstandbilde des Francesco Sforza.

Diese Zeichnung, leicht und sicher mit der Feder umrissen und mit dünner Sepia schattirt, stellt sich jedem auch nur einigermaßen mit den Handzeichnungen des Antonio del Pollajuolo vertrauten als von seiner Hand ausgeführt dar. Wir sehen hier vor uns einen alten, kahlköpfigen Kriegshelden zu Pferde, unter dessen Hufen der zu Boden geworfene Feind liegt. Das Antlitz des Reiters hat die bekannten Züge des Francesco Sforza.

Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte diese treffliche Zeichnung eine von den zwei Handzeichnungen des Antonio del Pollajuolo sein, die Vasari selbst besaß und welche, nach der Aussage des Aretiners, Antonio für den Konkurs zum Monument gemacht hatte, welches Lodovico il Moro in Mailand seinem großen Vater Francesco zu errichten Willens war[82]: „E si trovò dopo la morte sua (di Antonio del Pollajuolo) il disegno e modello che a Lodovico Sforza egli avea fatto per la statua a cavallo di Francesco Sforza, duca di Milano; il quale disegno è nel nostro Libro in due modi[a 16]: in uno egli ha sotto Verona; nell’ altro, egli tutto armato, e sopra un basamento pieno di battaglie, fa saltare il cavallo addosso ad un armato.“ Leider ist dies letztere Blatt, offenbar das vorliegende der Münchener Sammlung, verstümmelt worden, indem das „basamento pieno di battaglie“ gegenwärtig fehlt. Der Grund, warum Pollajuolo den einen oder den anderen seiner Entwürfe zum Monumente Sforza’s nicht in Metall ausgeführt hat, möchte, täusche ich mich nicht, ungefähr der folgende sein:

Schon der ältere Bruder des Moro, der Herzog Galeazzo Maria, hatte sich mit dem Gedanken getragen, dem Andenken seines glorreichen Vaters Francesco ein Ehrendenkmal in Mailand zu errichten, und in dieser Absicht hatte er dem mailändischen Bildhauer Cristoforo und Antonio Mantegazza, im Jahre 1473, den Auftrag ertheilen lassen, ein Modell dazu zu liefern (S. G. L. Calvi, Notizie etc., p. 34). Jenes Projekt scheiterte jedoch aus uns unbekannten Gründen. Nach dem Tode des Galeazzo Maria nahm nun dessen Bruder Lodovico il Moro den Gedanken wieder auf und scheint zu diesem Zwecke einen Konkurs eröffnet zu haben. Unter den Konkurrenten finden wir auch den damals hochberühmten florentinischen Bildhauer Antonio del Pollajuolo. Der Preis in diesem Wettstreite muß jedoch dem Leonardo da Vinci zuerkannt gewesen sein. Auf diese Weise, so will es mir dünken, würden auch die folgenden Worte in dem bekannten von Leonardo an den Moro gerichteten Briefe leicht verständlich werden: „ancora si potrà dare opera al cavallo di bronzo, che sarà[a 17] gloria immortale et eterno onore della felice memoria del Signor vostro Padre, et della inclita casa Sforzesca.“

Dieser Brief scheint mir vor Leonardo’s Ankunft in Mailand, etwa um’s Jahr 1484, von Florenz aus an den Moro gerichtet zu sein. Den Preis des Konkurses dürfte jedoch Leonardo schon mehrere Jahre zuvor gewonnen haben, zu einer Zeit wohl, als dem Moro die pekuniären Mittel gefehlt haben mögen, sogleich an die Ausführung des Leonardi’schen Modells zu gehen. Als nun im Jahre 1484 Leonardo’s Lehrer Verrocchio nach Venedig berufen ward, um dort seine Zeichnung zur Reiterstatue des B. Colleoni in Metall auszuführen, da mag wohl die Ermahnung Leonardo’s auf den auf die venezianische Signoria stets eifersüchtigen Moro einen um so größern Eindruck gemacht und ihn sodann bewogen haben, den Leonardo da Vinci endlich nach Mailand kommen zu lassen. Leonardo dürfte schwerlich vor dem Jahre 1485, und nicht, wie Amoretti angiebt, schon 1483, in der lombardischen Residenz angekommen sein.

Allerdings sagt Sabbà da Castiglione (Ricordi, p. 109): la forma (d. h. Modell) del cavallo intorno a cui Leonardo avea sedici[a 18] (16) anni continui consumati, ecc. . Rechnet man nun vom Jahre 1499, in dem Leonardo Mailand verließ, sechzehn Jahre zurück, so ergiebt sich das Jahr 1483. Doch ist dieser Bericht des Castiglione cum grano salis anzunehmen, da Leonardo gewiß schon in Florenz außer den Zeichnungen auch ein Wachsmodell wird verfertigt haben, wodurch also die sechzehn Jahre auch auf den Aufenthaltsort in Florenz sich erstrecken würden. Andrerseits bemerkt Vasari im „Leben des Giovan Francesco Rustici“, den er ja persönlich sehr gut gekannt hatte, daß dieser von Leonardo da Vinci Unterricht bekam (Vasari, XII, 1) als sein früherer Lehrer Verrocchio nach Venedig abgegangen war, also im Jahre 1484. Von den Leonardischen Originalzeichnungen zur Reiterstatue des Francesco Sforza befindet sich eine in der Sammlung von Windsorcastle. Es ist dieß ein mit Röthel leicht hingeworfener Entwurf; der Kopf des Pferdes ist darauf in zwei verschiedenen Stellungen gegeben: gerade aus, und nach links gewendet, das Pferd offenbar dem Modelle seines Lehrers Verrocchio zur Reiterstatue des B. Colleoni entlehnt. In derselben Sammlung (leider habe ich nur die Photographien davon gesehen) befinden sich von Leonardo da Vinci noch etliche andere Reiterfiguren, mit Schwarzkreide leicht hingeworfen, die wohl Entwürfe zu den Basreliefs auf dem Sforza’schen Monumente sein möchten.

In der reichen Kupferstichsammlung des Herrn Luigi Angiolini in Mailand, sieht man vier solcher Reiter in leichten Umrissen, nach den Handzeichnungen des Leonardo, in Kupfer gestochen.

Ueber diese sehr interessante und für den Pollajuolo höchst charakteristische Zeichnung der Münchener Sammlung gab Herr Louis Courajod aus Paris einen flüchtigen Bericht in der Gazette des beaux-arts (November 1877), wo diese Zeichnung einem Schüler des Leonardo da Vinci gegeben wird. Andererseits erschien in Dohme’s vorzüglichem Werke „Kunst und Künstler“ eine Monographie über Leonardo da Vinci von Herrn Doktor Brun in Zürich, worin diese Zeichnung dem Leonardo selbst zugeschrieben wird. Ich kann leider weder dem einen noch dem andern der beiden hervorragenden Kunstforscher meine Zustimmung geben.

Zusatz. Als der Druck der deutschen Uebersetzung dieses Artikels über die Münchener Galerie schon vorgerückt war, bekam ich die Broschüre des Herrn Louis Courajod zu lesen (Léonard de Vinci et la statue de Francesco Sforza, 1879), worin der rührige französische Kunstgelehrte diese Münchener Zeichnung des Antonio del Pollajuolo neuerdings, und zwar diesmal aufs gründlichste, untersucht und von allen möglichen Seiten uns zu beleuchen trachtet, um endlich wieder zu demselben Schlusse zu kommen, daß nämlich dieselbe keineswegs von Pollajuolo, sondern nichts anderes als eine der vielen Kopien aus der lombardischen Schule zum Leonardo’schen Sforzamonumente sei.

Denn erstens, so führt der französische Gelehrte aus, liege gar kein Beweis vor, daß diese Münchener Zeichnung wirklich eine der beiden, von Vasari besessenen, sei, welche er auf eigene Faust dem Antonio del Pollajuolo zugeschrieben; und zweitens spräche kein einziger Zug in dieser Münchener Zeichnung für die Autorschaft des A. Pollajuolo, dessen Handzeichnungen ja sehr leicht an den scharfen, rohen, gelben Farbentönen zu erkennen wären, wogegen die zarte, helle, blaßgelbe Farbe der Zeichnung im Münchener Cabinet einen scharfen Gegensatz bilde. Selbst der Strich der Feder sei nicht der des Antonio del Pollajuolo.

Während ich nun nicht umhin kann, dem großen Fleiße und der nicht gewöhnlichen Gelehrsamkeit, die Herr Courajod in dieser seiner Vinci-Sforza Dissertation entwickelt, mein volles Lob zu zollen, ist es mir andrerseits doch unmöglich, die Tendenz zu billigen, in welcher sein Schriftchen abgefaßt ist. Bei allen Forschungen, welcher Art sie immer seien, dürfte die bloße Gelehrsamkeit ohne Methode nur dahin führen, den Wald, wie die Deutschen treffend sagen, vor lauter Bäumen[a 19] nicht mehr zu sehen.

In den Augen des Herrn Courajod giebt es, wie mir scheint, gar keinen charakteristischen Unterschied zwischen Zeichnungen der lombardischen und der florentinischen Schule; für ihn müssen alle Handzeichnungen von Pferden, seien sie aus dem 15., 16., seien sie sogar aus dem 17. Jahrhundert, nothwendigerweise entweder direkt oder indirekt von Leonardo da Vinci herrühren; aus Liebe zu Leonardo werden bei ihm Andrea del Verrocchio und Antonio del Pollajuolo zu bloßen Handlangern, als ob sie keiner eigenen Erfindung fähig gewesen wären; für ihn hat das Zeugniß des Vasari auch da keinen Werth mehr, wo seine Angabe aufs Haar mit dem Gegenstande, den er vor Augen hat, übereinstimmt, falls sein Zeugniß gegen die Vorurtheile des Herrn Courajod stößt. Ja, diese Vincimonomanie geht so weit, daß der so scharfsinnige Kunstfreund dabei gleichsam in Betäubung, blindlings der Führung des mehr gutwilligen als kunstverständigen Gerli sich überläßt, und mit diesem gar kein Bedenken trägt, jene einer viel spätern Zeit angehörende Zeichnung des s. g. Praxitelespferdes auf dem Quirinal als Originalzeichnung des Leonardo da Vinci zu betrachten. Hat denn der gelehrte Herr nicht erwogen, daß er bei einer solchen Annahme den Leonardo nothwendig nach Rom mußte reisen lassen, um dort seine Studie fürs Sforzadenkmal nach dem Pferde des Praxiteles machen zu können! Bis jetzt hat uns keiner der Biographen Leonardo’s von einer solchen Reise des Meisters nach Rom zu berichten gewußt. Meinen eigenen Studien zufolge dürfte Leonardo vor dem Jahre 1502 oder 1503 schwerlich die ewige Stadt besucht haben. Gaye theilt uns in seinem Carteggio folgendes mit (II, 89): A Leonardo di S. Piero da Vinci, paghati per lui a Mariotto Ghalilei, camerlengo in dogana per ghabella d’uno suo fardello di sue veste fatte venire da Roma, 30. Aprile 1505.

Daraus ließe sich, dünkt mich, vielleicht schließen, derselbe sei in Rom gewesen und habe dort Kleidungsstücke zurückgelassen, die er sich einige Jahre später nach Florenz kommen ließ. Wahrscheinlich fiel dieser erste Besuch von Rom in jene Zeit, als Leonardo im Dienste des Cesare Borgia die Festungen des päpstlichen Staates zu berichtigen hatte. Die zweite Reise Leonardo’s nach der ewigen Stadt fand bekanntlich im Jahre 1513 statt. Aber alles dies gehört nicht wesentlich zur Sache.

Die Frage, um die es sich hier handelt, ist einfach die: zu entscheiden ob die Münchener Zeichnung wirklich Originalzeichnung des Antonio del Pollajuolo sei, wie ich behaupte, oder bloß Kopie, wie Herr Louis Courajod siegreich nachgewiesen zu haben wähnt?

Zur Lösung dieser Streitfragen giebt es, glaub’ ich, nur einen Weg, nämlich authentische, außer aller Frage stehende Handzeichnungen des Antonio Pollajuolo mit der Zeichnung im Münchener Cabinet zu vergleichen. Tragen diese authentischen Zeichnungen des Meisters dieselben charakteristischen Kennzeichen an sich, wie die in der Münchener Sammlung, nun so ist die Frage zu meinen Gunsten entschieden, im entgegengesetzten Falle würde ich wenigstens insofern Unrecht haben, als ich in dieser Zeichnung ohne Grund die dem Antonio Pollajuolo eigenthümlichen Züge wahrzunehmen glaubte. –

Was ist nun überhaupt eines Künstlers Eigenthümlichkeit, und wie kann man sie fassen und begreifen lernen? Ich beantworte diese Frage ganz einfach: Dadurch, daß man nicht allein auf die Vorzüge, sondern vielmehr noch auf die Unarten eines Meisters sein Augenmerk richte, da diese letzteren viel leichter und schärfer in die Augen fallen als die ersteren, von denen sie meistens doch bedingt sind. (Siehe darüber meine Aufsätze über die Borghese Galerie, in der von Lützow’schen Zeitschrift für bildende Kunst, Jahrgang IX). Antonio del Pollajuolo nun erscheint mir in allen seinen Werken als ein Künstler voll Energie und Charakter, dagegen baar aller Anmuth, einer Gabe, die andererseits seinem jüngern Zeitgenossen Leonardo da Vinci im reichsten Maaße von der gütigen Natur beschieden war. Um nun vom Allgemeinen zum Besonderen zu kommen, so glaube ich feststellen zu dürfen, daß, während die echten Handzeichnungen des Leonardo entweder mit der rothen oder schwarzen Kreide, mit dem Silberstift oder der Feder ausgeführt sind, jene des Pollajuolo entweder bloß mit der Feder, oder aber mit der Feder scharf umrissen und mit der Sepia schattirt sind. Diese letztere Manier, in der auch die Münchener Zeichnung des Sforza Reiterbildes ausgeführt ist, weist alle Tonarten auf, von einer grellen, dunkelgelben (acre et crue) bis zu einer hellen, sanften, blaßgelben (douce, blonde et légèrement blafarde) Farbe, je nach dem dieselben längere oder kürzere Zeit der zehrenden Wirkung des Lichtes ausgesetzt waren.

Ein zweites charakteristisches Zeichen bei Pollajuolo ist der feste Federcontour mit dem seine stets wellenförmig bewegten Formen des menschlichen Körpers gezeichnet sind. Eine andere Eigenthümlichkeit sind seine unschönen, krallenartigen Finger. Auch vergißt er selten an dem geöffneten Munde seiner leidenschaftlich schreienden Kämpfer die Zähne zu zeigen.

Betrachten wir uns nun vorerst den bekannten mit dem Namen bezeichneten Kupferstich „die Gladiatoren“ des Antonio del Pollajuolo, und vergleichen wir die Bildung der Körperformen in diesem Stiche mit den Formen in der Münchener Zeichnung. Herr Courajod sagt, der Federstrich in dieser letztern Zeichnung entspreche durchaus nicht dem Federzuge in den Handzeichnungen des Pollajuolo. Nun bitte ich den gelehrten Herrn z. B. den charakteristischen Contour des Unterbeins bei Francesco Sforza mit dem Contour des Unterbeins bei einigen von den Gladiatoren vergleichen zu wollen, ebenso den unter den Hufen des Pferdes von Francesco Sforza liegenden Krieger mit dem ebenfalls zu Boden gesunkenen Gladiatoren, zu äußerst rechts vom Beschauer, und er wird, falls er nicht ein in seinem Aberglauben gar zu verhärteter Sünder ist, sowohl in der Bildung als in der Stellung der linken Hand der beiden am Boden liegenden Männer eine große Verwandtschaft finden; auch wird er bei diesen zwei Männern dieselbe Form des gebogenen Knies wahrnehmen, und ebenso läßt der Krieger auf der Zeichnung seine Zähne sehen, wie dies bei mehreren von den Gladiatoren der Fall ist.

Doch schon die im Postscriptum seines Büchleins, S. 43, von Herrn Courajod beigefügte Heliotypie der ebenfalls in der Münchener Sammlung enthaltenen (sehr verdorbenen) Durchzeichnung (und keineswegs Kopie) der Pollajuolo’schen Originalzeichnung (in England), welche unter dem Namen „Tod des Gattamelata“ bekannt ist, hätte, sollte ich meinen, unsern gelehrten Widersacher überzeugen müssen, daß der Autor dieser letztern Zeichnung auch der Autor der Francesco Sforzazeichnung sei, da wir in beiden Zeichnungen, sowohl in der „Durchzeichnung“ als in der Originalzeichnung, dieselbe krallenförmige Hand, dieselbe Form des Knies, denselben Contour des Unterbeins, den nämlichen grellen Schmerzensausdruck finden.

Ich würde gerne noch Herrn Courajod zwei andere, nach meiner Ansicht sehr charakteristische Handzeichnungen des Pollajuolo zur Vergleichung anempfehlen; da dieselben jedoch in der Uffizi Sammlung zu Florenz dem Luca Signorelli zugeschrieben sind, so könnte mir mein französischer Widersacher entgegnen: Seht, wie wenig Ihr den Meister kennet, da Ihr Zeichnungen die von allen bekannten Kunstforschern dem Signorelli zugeschrieben werden, dem Antonio del Pollajuolo vindiciren wollt.“

Wenn also nicht für Herrn Louis Courajod, den zu meiner Meinung zu bekehren, ich mir nicht anmaße, so doch zur Belehrung meiner jungen vorurtheilsfreien Landsleute will ich hier diese zwei Handzeichnungen noch anführen, damit sie sich dieselben in der Photographie anschaffen und sie studiren können.

Sie führen im Kataloge des Philpot in Florenz die No. 1743 und 1744 und stellen dar, die eine den nackten, aufwärtsblickenden Adam, die andere die nackte Eva, sitzend und spinnend mit dem kleinen Kain, der sich auf ihr rechtes Bein lehnt, und links von ihr Abel am Boden liegend. Beide leicht mit Sepia getuschte Zeichnungen scheinen mir höchst charakteristisch für unsern Antonio Pollajuolo zu sein.

2. Giovan Antonio Bazzi, Sodoma genannt. Die „Apothose der h. Magdalene“; Tuschzeichnung mit Gips aufgehöht. Echt, aber übergangen.

Vorzüglich ist dagegen eine andere dem Maturino zugedachte Zeichnung, die ich aber ohne jedes Bedenken dem Sodoma wieder zustelle. Wir sehen hier Diana im Gefolge ihrer Gefährtinnen, eine zahlreiche Satyrenfamilie in einen Wald hineintreibend. Aquarelle, die Lichter mit Gips aufgetragen. Den Sodoma erkennt man hier hauptsächlich an den geschlängelten Falten der Kleider, so wie am Ovale einiger weiblicher Köpfe. Gehört zu den besten Handzeichnungen des Meisters.

3. Domenico Beccafumi. „Christus und der Engel“; Tuschzeichnung.

4. Baccio Bandinelli. „Das offene Grab Christi, von den Marien und Engeln umgeben“; Federskizze. – Eine zweite Federzeichnung dieses Meisters stellt einen lesenden Mann in stehender Stellung dar.

Die dem Raffael Sanzio zugeschriebenen Zeichnungen der Münchener Sammlung sind alle im ersten Zimmer unter Glas aufgestellt.

Wie anderwärts, so wird auch in München gar manche Zeichnung ihm zugedacht, welche den großen Namen zu führen nicht verdient. Zu den echten Handzeichnungen Raffael’s rechne ich: 1. Den jungen Mann in knieender Stellung und mit gefalteten Händen; Federzeichnung. Auf der Rückseite: 2. Der h. Ambrosius, sitzend, die linke Hand emporgehoben. Diese beiden guten Zeichnungen sind leider an einigen Stellen übergangen. 3. Die Ausstellung der Leiche eines h. Bischofs von vielen trauernden Figuren umgeben. Leicht mit der Feder hingeworfen, hier und da übergangen[83]. Passavant citirt noch eine vierte Zeichnung „die Geburt der Venus“ darstellend (No. 274); aber diese Röthelzeichnung erscheint mir nicht als echt, und die „Schlacht nach einem alten Basrelief“, die Passavant ebenfalls als Originalzeichnung Raffaels unter No. 273 anführt, ist dermaßen verwischt und unkenntlich geworden, daß ich mir kein Urtheil darüber erlauben kann.

Band 52. 1. Fra Bartolommeo della Porta. Von diesem großen Meister besitzt diese Sammlung nicht weniger als 20 echte und gute Handzeichnungen und darunter einige ganz vorzügliche. München besitzt also nach der Uffizi Galerie die an Zeichnungen des Fra Bartolommeo reichste Sammlung der Welt. Ich will dieselben hier ganz flüchtig anführen:

1. Thronende Madonna zwischen zwei Heiligen, der kleine Johannes auf den Stufen des Thrones; schwarze Kreide (No. 1211).

2. Zwei Putten und eine vom Rücken gesehene Figur; Skizze in schwarzer Kreide und mit Gips aufgehöht. (No. 346).

3. Studie zu Putten; schwarze Kreide. (No. 384).

4. Studie zur Figur eines Heiligen; schwarze Kreide.

5. Maria mit dem Jesuskinde, Johannes, einem Engel und einer betenden Figur; Federzeichnung.

6. Zwei Madonnen mit dem Jesuskinde auf dem Arm.

7. Madonna, Christkind und zwei Putten unten am Throne, rechts und links vier Heilige; schwarze Kreide und Gips.

8. Die Kreuzabnahme, Skizze; schwarze Kreide.

9. Die h. Familie; schwarze Kreide. (No. 291).

10. Männliche Figur mit ausgestreckten Armen; schwarze Kreide und Gips. (No. 4733).

11. Studie zu einer sitzenden Madonna; Röthelzeichnung. (No. 366).

12. Studie zu einer h. Magdalene. (Fälschung).

13. Zwei Federzeichnungen. (No. 235 und 170). 14. Weiblicher Kopf im Profil; schwarze Kreide und theilweise mit dem Röthel übergangen. (No. 66).

15. Weiblicher Kopf, Brustbild; schwarze Kreide. (No. 237).

16. Ein Engel mit Trompete; Federzeichnung. (No.450).

17. Zwei knieende weibliche Figuren mit Urnen; Tusche und Kreide.

18. Lebensgroßer, männlicher Kopf, von vorne gesehen; schwarze Kreide.

19. Kopf eines alten Mannes, ebenfalls von vorne gesehen; schwarze Kreide.

(Im Bande 55 werden wir mit falscher Bestimmung zwei andere Zeichnungen vorfinden, die, nach meiner Meinung, ebenfalls dem Fra Bartolommeo angehören).

20. Die Madonna mit ausgebreiteten Armen zwischen zwei Engeln (Tuschzeichnung auf blauem Papier) ist nicht von Fra Bartolommeo, sondern eine ganz vorzügliche Zeichnung des Bartolommeo Montagna.

21. Profilkopf einer Heiligen; schwarze Kreide. (No. 393). Diese Zeichnung dürfte eher dem Fra Paolino da Pistoja, einem Nachahmer des Baccio della Porta, angehören.

22. Eine Mutter mit ihrem kranken Kinde (wohl eine Madonna?); schwarze Kreide und Gips. Ausgezeichnet in der Empfindung, aber leider etwas verrieben. Diese Zeichnung macht mir den Eindruck als rühre sie von Andrea del Sarto her. (No. 1149).

23. Zwei Madonnen mit dem Kinde; schwarze Kreide. Wohl eher von Sogliani, einem andern Nachahmer des Fra Bartolommeo.

24. Die „Waschung Marias nach ihrer Geburt.“ (No. 2590). Schwarze Kreide, erinnert wohl mehr an Beccafumi von Siena.

2. Rosso fiorentino. Madonna mit dem Kinde nebst vier anderen Figuren; getuschte Zeichnungen. (No. 2275). 3. Giulio Romano. Von diesem Meister besitzt die Sammlung unter den Nummern 849, 8770, 1184 und 335 vier Zeichnungen.

Band 53: 1. Benvenuto Cellini. Zwei allegorische Figuren; Tuschzeichnungen. Ob sie dem B. Cellini angehören, wage ich nicht zu behaupten, da mir die Handzeichnungen dieses Bildhauers zu wenig bekannt sind.

2. Ugo da Carpi. Ihm dürfen wohl die Zeichnungen unter den Nummern 1252, 1253 und 1254 zugedacht werden.

3. Parmeggianino. Zwei Federzeichnungen, No. 1172 und 8762, mit Studien zu Madonnen und zu Bacchantinnen.

4. Pirro Ligori. Die Anbetung der h. drei Könige; Tuschzeichnung mit Gips aufgehöht, No. 239. Diese ganz vorzügliche Zeichnung gehört nicht dem schwachen Pirro Ligorio aus Neapel an, sondern dem Lombarden Gaudenzio Ferrari.

5. Pierino del Vaga. Gebäude mit Statuen geschmückt; getuschte Zeichnung (No. 2196).

6. Dieser Band enthält überdieß noch etliche echte Zeichnungen des jüngern Giacomo Palma.

Band 54. In diesem Bande finden wir ein paar getuschte Zeichnungen von Tintoretto, mehrere vom Veronesen Paolo Farinati und etwa 16 Zeichnungen von Luca Cambiasi von Genua, zahlreiche andere ihm ebenfalls zugeschriebene dürften aber eher seinen Schülern Tavarone, Piaggia und andern angehören. Auch enthält dieser Band einige gute leicht getuschte Zeichnungen von Paolo Veronese, andere (No. 25 und 26) ihm gleichfalls zugeschriebene sind jedoch von Francesco Salviati, wie ich glaube.

Band 55. Unter den in diesem Bande enthaltenen Handzeichnungen des Battista Naldini, des Santi di Tito, des Bernardo Poccetti und der Gebrüder Zuccari befinden sich zwei mit den Nummern 161 und 488 bezeichnete (schwarze Kreide), welche irrigerweise den Zuccari zuertheilt wurden, die aber dem Fra Bartolommeo della Porta angehören.

Band 56. Von Palma, dem jüngern, die Nummern 4403, 8767, 2097 und 2099; von Lodovico Caracci, die Nummern 353 und 1224; von Antonio Tempesta mehrere echte und gute Zeichnungen, die „Marter des h. Stephanus“, No. 2501, gehört aber nicht ihm, sondern dem Luca Cambiasi an. Eine andere von diesem Meister ist wohl nur aus Versehen unter die Zeichnungen des Cigoli gestellt worden (No. 108). Die getuschte Zeichnung mit dem „Noli me tangere“ ist von Ventura Salimbeni.

Band 57. In diesem Bande findet man etwa 30 Porträts, mit verschiedenen Kreiden gezeichnet, von Domenico Cresti, il Passignano genannt, darunter einige vorzügliche; außerdem mehrere von Agostino und Annibale Caracci.

Band 58. Dieser Band enthält mehrere Zeichnungen (No. 547 und 466) von Guido Reni, etliche von Matteo Rosselli und mehrere von Bartolommeo Passarotti (No. 112, 313 und 8768).

Band 59. Mehrere Zeichnungen von Cantagallina, etwa sieben von Guercino, drei von Pietro da Cortona und zwei von Lorenzo Bernini.

Band 60. Wer an den Federzeichnungen mit Landschaften von Francesco Grimaldi aus Bologna Freude hat, nehme diesen Band zur Hand. Er wird darin überdies noch eine getuschte Zeichnung, No. 2962, von Giulio Carpioni, und mehrere von Simone Cantarini von Pesaro (No. 3965) finden.

Band 61. In diesem Bande finden wir mehrere echte Zeichnungen von Salvator Rosa, von Benedetto Castiglioni, von Canuti, Francesco Mola und Donato Creti. Mit diesem Bande schließe ich die etwas lange Revue dieser reichen und interessanten Sammlung.

Ich mag damit wohl die Geduld manches Lesers auf eine harte Probe gestellt haben. Doch kann ich nicht unterlassen, das Studium der Meister in ihren Skizzen und Zeichnungen dringend zu empfehlen. Man wird mit Beiseitelassung derselben den Charakter der Meister immer nur zur Hälfte kennen lernen.



 
II. DRESDEN.




Die herrliche, in ihrer Art einzig dastehende Bildergalerie verdankt bekanntlich ihr Dasein hauptsächlich der schrankenlosen Kunstliebe August III. und seines excentrischen Ministers, des Grafen von Brühl. Ihre allmähliche Entstehung und Entfaltung wird uns von Herrn Hübner in der Vorrede seines Katalogs auf die heiterste ansprechendste Weise erzählt.

Durch den Modenesischen Ankauf von hundert der schönsten Bilder, welche sachkundige Männer in der Gemäldesammlung von Modena ausgewählt hatten, sowie namentlich durch die fast gleichzeitige Erwerbung von zwei andern berühmten Gemälden, der s. g. Sixtinischen Madonna von Raffael aus Piacenza und der Holbein-Madonna aus dem Hause Dolfin[a 20] in Venedig, hat der Ruf dieser Sammlung in alle Weltgegenden sich verbreitet, und so galt sie bald und gilt noch heutigentages für die reichste und glänzendste Bildergalerie, die es überhaupt giebt.

Es wird sich daher für jeden Kunstfreund wohl der Mühe verlohnen, diese kostbarste aller Sammlungen näher zu betrachten, sich Bild für Bild in derselben kritisch anzusehen und dieselben sodann in historische Gruppen, nach Schulen gesondert, mit andern Sammlungen zu vergleichen. Nur auf diese Weise, denke ich, werden wir uns einen richtigen Maaßstab zur Beurtheilung und Schätzung auch dieser Galerie erwerben können. Doch beschränken wir uns hier auf die italienischen Meister.

Die Bildersammlung von Modena, aus der August III. hundert Bilder auswählen ließ, war nach und nach gebildet worden. Die meisten von jenen Gemälden, wie z. B. die von Tizian, von Paolo Veronese, von Dosso und Garofalo, waren vom Herzog Cesare d’Este in den Jahren 1598 und 1599 von Ferrara nach Modena gebracht worden; die werthvollsten aber, wie die vier Altarbilder des Correggio, hatte Franz III., theils durch List, theils mit Gewalt aus den Kirchen, für die sie gemalt waren, ins herzogliche Schloß gebracht; denn im vorigen Jahrhundert war das Beispiel des prunksüchtigen, s. g. großen Ludwig XIV. von Frankreich für alle regierenden Fürsten Europas ansteckend geworden. Nicht nur ein „Versailles“ auch einen „Louvre“ wollte ein jeder von ihnen besitzen[84]. Es war somit ganz in der Ordnung, daß die Mehrzahl der Bilder, aus welchen damals die Modenesische Galerie bestand, der Lombardisch-Venezianischen und vornehmlich jenen Ferrara und Modena am nächsten gelegenen Malerschulen angehörte, also vor allen der Ferraresisch-Bolognesischen, der Venezianischen und der Parmensischen. Beginnen wir daher unsere kritischen Studien mit der Betrachtung der Gemälde aus den zwei ersten der ebengenannten Schulen, d. h. der Ferraresischen und der Venezianischen.




1. Die Ferraresen.

Unter allen Völkerschaften der alten Emilia, jener Landschaft, welche von dem Po, dem Appennin und dem Metaurus eingeschlossen wird, sind die Ferraresen die kunstbegabtesten und stehen in sofern, wie die Herren Cr. und Cav. sehr richtig bemerkt haben, mit den Veronesen auf einer Linie. Wenn es uns aber, wie wir schon bemerkt haben, heutigentages noch vergönnt ist, wie schon bemerkt, den veronesischen Charakter vom Anfange des 14. Jahrhunderts bis zu Ende des 16. in noch erhaltenen Werken zu verfolgen, so sind dagegen ältere Kunstwerke der Ferraresischen Schule unserer Betrachtung leider entzogen, indem von den Künstlern Ferrara’s aus dem 14. Jahrhunderte uns nur noch die Namen erhalten sind[85]. Wir sehen uns daher genöthigt, die „heroische“ Epoche dieser Malerschule, d. h. die s. g. Giottesken, ganz zu übergehen und unser Studium mit jener Epoche zu beginnen, in welcher vornehmlich der Charakter oder die vom innern, geistigen Leben bedingten Eigenthümlichkeiten der äußern Erscheinung in Menschen und Dingen zu fassen und darzustellen die Hauptaufgabe war, die die Kunst zu lösen anstrebte. Diese Epoche ist in der Malerschule Ferrara’s hauptsächlich durch Cosimo Tura und Francesco Cossa repräsentirt. In ihrer Heimat nahm der eine wie der andere dieser bedeutenden, charaktervollen Meister denselben Platz ein, welchen in der umbrischen Schule Pier dei Franceschi oder della Francesca, in der florentinischen Fra Filippo, Andrea del Castagno, Antonio del Pollajuolo; in der venezianischen die Vivarini und andere; in der paduanischen Mantegna, Dario von Treviso, Carlo Crivelli; in der veronesischen Liberale und Consorten; in der lombardischen Vincenzo Foppa behauptet haben. Die oberitalienische Kunstepoche wird von den Kunsthistorikern gemeinhin die Mantegneske genannt, und ich lasse gern diese Bezeichnung gelten, falls man damit nur betonen will, daß Andrea Mantegna eben der größte Vertreter dieser Periode der Kunst gewesen sei. Sollte man aber damit sagen wollen, daß die Repräsentanten dieser Epoche in den andern Kunstschulen des Pothales den Mantegna nachgeahmt hätten und von ihm sich direkt hätten beeinflussen und den Weg weisen lassen, so muß ich auf das entschiedenste dagegen als eine oberflächliche und flache Anschauung und Auffassung der Kunstgeschichte protestiren[86]. Die Geschichte der einzelnen Kunstschulen wird man nur so richtig verstehen lernen, daß man, wie schon gesagt, diese als ein lebendiges Ganze betrachtet und studirt, gleich einem Organismus, welcher vom Keime an bis zu seinem Ersterben seine Entwicklung hat, von Stufe zu Stufe steigt, um dann von Stufe zu Stufe zu sinken[87]. In der Malerschule von Venedig, welche das Glück hatte, durch keine äußeren Umstände in ihrem Lebensgange gestört zu werden, kann man die ganze Parabel, welche die Kunst in ihrem Laufe beschrieben, am vollständigsten übersehen, von den s. g. Byzantinern bis herab auf Tiepolo und Pietro Longhi[88].

Dagegen ist die Malerschule von Ferrara unserem Studium erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zugänglich, wo sie uns als aufblühend und ebenso reich wie eigenthümlich sich entfaltend erscheint[89].

Einerseits waren die Ferraresen von der gelehrten Schule, welche Squarcione ungefähr um 1430 im nahen Padua gegründet hatte, vielfach beeinflußt, andererseits konnte später auch der längere Aufenthalt und Wirkungskreis des großen Perspektivlehrers Pietro della Francesca oder dei Franceschi aus Borgo San Sepolcro nicht verfehlen, den Künstlern Ferraras einen großen Impuls zu geben, in der nämlichen strengen und gelehrten Richtung sich fort zu entwickeln. Es ist wahr, daß Roger van der Weyden vom Hause Este Bestellungen erhielt (um 1451), aber den Schluß, welchen die Herren Cr. und Cav. (I, 514), daraus ziehen, daß Roger auf Galasso Gallassi(?), auf Tura und Cossa eingewirkt habe, will mir ebenso wenig einleuchten, als ihre Ansicht, daß Lorenzo Costa und Ercole Grandi junior von den Peruginern beeinflußt worden seien.

Leider ist man gewöhnt, die Ausübung der Kunst als etwas zufälliges, äußerliches, als etwas ganz unabhängiges von dem speciellen Charakter des Volkes, in dem dieselbe ausgeübt wird, zu betrachten und übersieht dabei die organischen Gesetze, nach denen das Leben der Kunst sich entwickelt, zu einem in bestimmten Grenzen sich bewegenden Organismus sich gestaltet. So wittern die Kunstschriftsteller hier vlämische, dort florentinische oder umbrische Einflüsse in Kunstschulen, die doch offenbar, wenn man sie gründlicher studirt, ihren speciellen Lokalcharakter stets bewahrt haben.

Daß Niederländer während ihres längeren Aufenthaltes in Italien nicht nur den Antonello da Messina, sondern vielleicht auch andere Italiener in das von der van Eyck’schen Malerschule angewandte Malsystem einweihten, gebe ich ja gerne zu, dasselbe fand bekanntlich auch in Deutschland statt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß etliche venezianische Maler Bilder von Jan van Eyck und von Memling, welche in jenen Zeiten von den italienischen Kunstfreunden sehr geschätzt und daher auch gesucht waren, kopirten oder nachzuahmen trachteten; daß aber solche Aeußerlichkeiten uns zur Behauptung berechtigen sollten, die Flamländer hätten die Italiener den Naturalismus oder Realismus gelehrt, wie dies Baron von Rumohr schon gepredigt hat, das scheint mir doch über das Ziel hinaus geschossen und durch und durch unwahr. War es doch die Entwicklung der Kunst selbst, die, wie in den Niederlanden, so auch in Deutschland und Italien auf das Studium der Natur geführt hat.

Meine jungen Freunde mögen diese Expectoration mir gütigst verzeihen. Kehren wir nunmehr zu unseren Ferraresen zurück. – Die bedeutenderen Maler in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren also: der derbe, knorrige und eckige, oft aber auch großartige Cosimo Tura, Cosmè genannt; der ernste, zuweilen etwas mürrische Francesco Cossa, dem Tura geistesverwandt, wiewohl nie so grottesk wie dieser; der s. g. Stefano da Ferrara der Breragalerie zu Mailand[90], von dem kein anderes Werk bekannt ist; Galasso Galassi, der jüngere; Ercole Roberti, alias Grandi genannt; Francesco Bianchi, in Modena Frarè, genannt; Domenico Panetti und Lorenzo Costa.

Diese ferraresische Malergemeinde theilte sich dann in zwei Hauptbranchen, von denen die eine mit Tura und Panetti in Ferrara verblieb, die andere mit Francesco Cossa, Galasso Galassi junior, wie es scheint, und Lorenzo Costa durch die Bentivogli nach Bologna gezogen, in dieser Stadt den größten Theil ihres Lebens wirkten. Francesco Bianchi mag zwischen 1480 und 1490 in Modena sich niedergelassen haben; Francesco Cossa kam schon 1470 nach Bologna, Lorenzo Costa um 1483[91].

Von diesen alt-ferraresischen Meistern sind in der Dresdener Galerie vertreten: Francesco Cossa und Ercole Roberti. Reichlicher dagegen finden wir hier die Ferraresen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts repräsentirt, den Dosso, Mazzolino, Garofalo und Girolamo Carpi.

No. 18. Francesco Cossa. Der Katalog weist dieses höchst interessante Bild, welches die „Verkündigung“ darstellt, dubitative dem Antonio del Pollajuolo, mit größerer Sicherheit aber der „altflorentinischen Schule“ überhaupt zu. Die Herren Cr. und Cav.[92] erkannten jedoch ganz richtig, wie mir scheint, in diesem Gemälde den Geist und die Hand eines Ferrareser Malers, bleiben aber unschlüssig, ob sie dasselbe dem Baldassare Estense[93] oder aber dem Ercole Grandi di Giulio Cesare zuschreiben sollen. Der Typus der h. Jungfrau ist durchaus derselbe wie in dem bezeichneten Bilde des Francesco Cossa vom Jahre 1474 in der Bologneser Pinakothek, nur dort vollkommner ausgeprägt. Die hochgeschwungenen Falten im Mantel der Madonna erscheinen gerade so wie im ebengenannten Bilde, – in dem Gesichte des Engels derselbe starkbräunliche Fleischton wie beim Donator im Gemälde von 1474; die Form der Hand mit den breiten Fingern, sowie die dichten wellenförmigen Falten am untern Saume des Madonnenkleides, dies alles bestimmt mich, in diesem merkwürdigen Bilde eine Jugendarbeit des Francesco Cossa zu sehen[94], eines Meisters, von dem, wie mir scheint, die Herren Cr. und Cav. sich keinen ganz klaren Begriff gemacht haben, da sie z. B. auch die 12 Apostelfiguren in der Kapelle Marsilj der Kirche S. Petronio von Bologna, auf die Versicherung der Bologneser Führer hin, noch immer dem Lorenzo Costa zuschreiben, da doch dieselben, soviel ich sehe, schlagend das Gepräge des Francesco Cossa an sich tragen[95]. Ein anderes werthvolles Werk des Fr. Cossa ist der thronende h. Hieronymus am Altare der 5. Kapelle rechts in S. Petronio. Leider ist diese Tafel durch ein elendes Machwerk neuester Kunst zur Hälfte verdeckt. Eine charakteristische Arbeit dieses zu wenig beachteten und doch so bedeutenden Ferraresen befindet sich in der Kirche von S. Giovanni in Monte in Bologna. Es ist dies das große schöne Glasfenster, den h. Johannes auf Patmos[a 22] darstellend und (Francesco Cossa) bezeichnet; von den Lokalführern dem L. Costa zugeschrieben. In derselben Kirche (Kapelle 5, links) sieht man noch ein sehr übermaltes Madonnenbild mit zwei Engeln, das meinem Dafürhalten nach ebenfalls einst ein Werk des Cossa war. In Deutschland besitzt die Sammlung des Städel’schen Instituts zu Frankfurt ein allerdings sehr übermaltes und beschädigtes Bild von diesem Meister, daselbst dem A. Mantegna zugeschrieben (No. 13). Es stellt den Evangelisten Marcus dar. Die Inschrift der Tafel ist apokryph[a 23]. Doch für diesmal genug von diesem bisher ganz verkannten Meister.

Gehen wir nun zu Ercole Roberti über. Er war der Sohn eines Malers Antonio, der 1479 schon als todt angegeben wird[96] und mag zwischen 1440 und 1450 in Ferrara das Licht der Welt erblickt haben; 1513 war auch er gestorben. Von diesem Maler besitzen wir kein authentisch beglaubigtes Werk. Zwei werthvolle kleine Bilder, No. 148 und 149, in dieser Galerie sind aus der Sacristei der Kirche S. Giovanni in Monte von Bologna nach Dresden unter dem Namen des Ercole Grandi[97] gewandert. Da wir in derselben Kirche noch heutzutage zwei Werke des F. Cossa und zwei des Lorenzo Costa vorfinden, so müssen wir annehmen, daß die malerische Ausschmückung derselben in den letzten dreißig Jahren des 15. Jahrhunderts fast ausschließlich den in Bologna ansässigen Ferraresen anvertraut war. Betrachten wir nun die interessanten, charaktervollen, lebendigen Gestalten auf den zwei Bildern vor uns (No. 148 und 149), so tritt uns darin, wie mir scheint, nicht nur der Einfluß des Andrea Mantegna sondern auch des Giambellino (um 1460–65) auf die künstlerische Entwicklung des jungen Ercole Roberti deutlich hervor. Wer sich hiervon näher überzeugen möchte, den verweise ich auf die frühen Werke des Giovan Bellini, wie die Tafel im Museum von Neapel, die „Pietà“ der Breragalerie und vornehmlich zwei Bilder im Museo Corrèr zu Venedig, wovon das eine „Christus am Oelberge“, das andere den Gekreuzigten, von der Madonna und dem Evangelisten Johannes beweint, darstellt. Das erstere der ebengenannten Bilder wird zwar noch immer im Kataloge jener Sammlung dem Mantegna zugeschrieben, wie es auch vom Marchese P. Selvatico (Commentar zum Leben des Mantegna in der Le Monnier-Ausgabe des Vasari) als Werk des Paduaners erklärt worden war, doch aber haben schon die Herren Cr. und Cav. (I, 143) darin richtig ein Jugendwerk des Giovanni Bellini erkannt. Das zweite desselben Meisters im Museo Corrèr, vom Kataloge ebenfalls dem Mantegna zugeschrieben, erschien jenen Historiographen der italienischen Malerei als Werk des Ercole Roberti[98], während es in meinen Augen ebenfalls eine höchst charakteristische Jugendarbeit des Giambellino ist[99]. Man betrachte nur hier die dem Bellini eigenthümliche Form der Hand, den Faltenwurf, den Madonnentypus und besonders die für ihn sehr bezeichnende, von den Landschaften des Ercole Roberti so verschiedene Landschaft mit den geschlängelten Wegen u. a. m.

Dieser Ercole Roberti, alias Grandi, ist ein zu interessanter Meister, als daß ich bei dieser Gelegenheit nicht meinen jungen Freunden das Wenige mittheilen sollte, was ich von ihm weiß. Ein charakteristisches Werk von ihm besitzt Fürst Mario Chigi zu Rom. Hier ist, wenn ich nicht irre, eine Begebenheit aus dem Leben Melchisedek’s dargestellt[100]. Dieses Gemälde scheint mir aus der nämlichen Kunstepoche des Meisters zu stammen, aus der die „Kinder Israels, welche Manna sammeln“ herrühren (bei Lord Dudley in London), von welch’ letzterem Bildchen die Dresdner Galerie unter Nummer 20 eine sehr schwache Kopie besitzt. Die Herren Cr. und Cav. geben zwar das Bild bei Lord Dudley dem Ercole Grandi di Giulio Cesare, also dem Schüler Francia’s und Costa’s, aber, wie ich glaube, mit großem Unrecht.

Ebenso irrthümlich haben meiner Ansicht nach die berühmten Historiographen und Kunstkritiker die von ihnen angeführten ganz unbedeutenden Bildchen in der städtischen Gemäldesammlung zu Ravenna und beim Senator Grafen Cavalli zu Padua als Werke unseres Ercole Roberti angesehen[101].

Form des Ohres und der Hand bei Francesco Bianchi.

Und hier möchte ich noch eines anderen Bildes erwähnen, welches von den Herren Cr. und Cav.[102] dem Ercole Roberti zugemuthet wird, während es mir als ein höchst charakteristisches Jugendwerk des Francesco Bianchi von Ferrara, eines Altersgenossen des Ercole Roberti, erscheint. Ich meine jenes große Tafelbild, den Tod Maria’s darstellend, bei Herrn Lombardi zu Ferrara, dem Erben des Prof. Saroli. In diesem Gemälde des Bianchi sieht man ganz deutlich wie derselbe von Tura beeinflußt war[103].

Unter den Handzeichnungen des verstorbenen His d la Salle in Paris befand sich eine Federzeichnung mit dem bethlehemitischen Kindermorde, welche ich ebenfalls unserm Ercole Grandi zuschreiben zu können glaube. Vor Kurzem wurde in der Galerie Borghese in Rom eine s. g „Grablegung“ aufgestellt, auf welcher der Name Ercole Grandi und das Jahr 1531 zu lesen sind. Dieses Bild gehört dem Grafen Zeloni von Rom und soll lange Jahre in der Galerie des dortigen Monte di Pietà zum Verkaufe ausgestellt gewesen sein.

Die Madonna, auf dem geöffneten Sarkophag sitzend, hält in ihrem Schooße den todten Christus; rechts kniet die h. Magdalene, hinter ihr stehend Joseph von Arimathia, ein Salbengefäß in der Hand, links zwei fromme Frauen in kniender Stellung und hinter ihnen Johannes und ein anderer frommer Mann; den Hintergrund bildet ein mit den Statuen des David und der Judith verziertes Gebäude. Auf dem Sarkophage steht die falsche Inschrift: E. GRANDI. F. MDXXXI. Dieses Gemälde wurde durch mehrfache Restauration gar übel zugerichtet. Die Inschrift beruht wahrscheinlich auf einer Tradition, die dieses Werk dem Herkules Grandi zuschrieb; nur hat derjenige Besitzer des Bildes, welcher den Namen darauf setzen ließ, den ältern Grandi, den Ercole Roberti, mit dem jüngern verwechselt, da im Jahre 1531 der erstere schon seit etwa zwanzig Jahren todt war. Ist nun diese „Deposizione“ beim Fürsten Borghese wirklich ein Werk des älteren Ercole Grandi von Ferrara, wie ich glaube, so besitzt auch Herr Giovanni Morelli in Mailand ein Bild von dem nämlichen Meister. Es stellt den Evangelisten Johannes dar und gehört etwa dem letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts an, während die „Grablegung“ bei Borghese schon in das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts gesetzt werden muß. Im „Evangelisten Johannes“ scheint mir auch der Einfluß des Cosimo Tura bemerklich, in der „Grablegung“ dagegen der der Schule des Francia. Aus all dem Gesagten ergiebt sich, daß der Maler Ercole Roberti bis jetzt noch sehr ungenügend bekannt ist. Es wäre daher eine schöne Aufgabe für einen jungen Kunstforscher, diesem sehr interessanten, dramatischen Meister nachzugehen und ihn mit seinen ferraresischen Zeitgenossen in eine Gruppe zusammenzustellen und schärfer zu beleuchten.

Von einem andern unbekannten Ferraresen aus dieser nämlichen Zeit befindet sich in der vaticanischen Bildergalerie eine lange Predella „Wunderthaten des h. Hiacynthus“ darstellend. Im Vatican wird das höchst interessante Bild unkluger Weise dem B. Gozzoli zugeschrieben, wie ich vermuthe eine Taufe der römischen Akademiker von San Luca.

Von Ercole Grandi, dem Sohne des Giulio Cesare und Schüler des Lorenzo Costa und des Francia, besitzt, soviel ich weiß, weder eine deutsche noch eine russische Galerie Bilder. Um diesen Meister richtig kennen zu lernen, muß man nach Italien gehen, wo man, zumal in Ferrara, seiner Vaterstadt, gar manches größere und kleinere Werk von ihm, allerdings meistens unter anderen Namen, vorfindet; so, um einige Beispiele anzuführen, gehören meiner Ansicht nach ihm die schönen Fresken an der Decke eines Saales im Hause Calcagnini-Estense zu Ferrara; diese Wandmalereien wurden vom verstorbenen N. Cittadella, welcher denselben ein besonderes Schriftchen widmete, fälschlich dem Garofalo zugeschrieben. Ein anderes größeres und sehr schönes, leider aber durch moderne Restauration etwas entstelltes Madonnenbild mit Heiligen von Ercole Grandi junior besitzt auch der Marchese Strozzi zu Ferrara. Im Hause Strozzi trägt es noch immer den falschen Namen des Lorenzo Costa, unter dem es vom Kloster S. Cristoforo degli Esposti dahin kam, und unter welchem Namen es ebenfalls von den Herren Cr. und Cav.[104] angeführt wird. In der That nähert sich Grandi in diesem Bilde gar sehr seinem Lehrer Costa, so daß es schon ein mit der ferraresischen Schule sehr vertrautes Auge erfordert, um darin den Geist und die Hand des Schülers zu erkennen.

Leider besitzt die Dresdner Galerie weder Werke des Cosimo Tura noch von dessen Schüler, dem jüngern Galasso Galassi, noch von Francesco Bianchi, von Domenico Panetti, oder von dem geistreichen Lorenzo Costa; wohl aber hat dieselbe in jüngster Zeit ein Bildchen von einem Schüler des Panetti, dem Francesco Mazzolino[105], erworben, dessen leuchtende, in allen Tonarten schillernde Farben ihn zum Liebling der römischen Monsignori machten. Er ist nur in kleinen Figuren genießbar und ist seiner Befähigung nach eher Genre- denn Historienmaler. Auf mich haben seine Bilder stets einen etwas vlämischen Eindruck gemacht. Doch wenden wir uns nun zu den Hauptvertretern der ferraresischen Schule in ihrer Blüthezeit, dem Dosso und dem Garofalo, welche beide in ihrer Heimath etwa den nämlichen Platz behaupten, den in der lombardisch-mailändischen Schule B. Luini und Gaudenzio Ferrari einnehmen.

In keiner andern Galerie diesseits der Alpen sind Dosso und Garofalo so reich und gut vertreten wie in den schönen Räumen der Dresdner Galerie[106]. Diesen beiden Ferraresen will ich hier den Girolamo Carpi noch zugesellen, da er im Kataloge verzeichnet steht als der Meister des guten Bildes No. 161, „Venus und Amor auf einer von Schwänen gezogenen Muschel“ und weil er, laut Vasari, als Schüler des Garofalo zu betrachten ist, obwohl er nach meiner Ueberzeugung mehr noch von Dosso, als von Garofalo beeinflußt war. Durch meine Studien bin ich zur Einsicht gekommen, daß viele von den Decorationsbildern, die wir hier in Betrachtung ziehen werden, zwar von Dosso erfunden und auch gezeichnet, von Girolamo Carpi aber und vielleicht auch von Battista Dossi, dem jüngeren Bruder des Dosso[107], zum größten Theil ausgeführt sein möchten. Alle diese Bilder (No. 161 mit eingerechnet) mögen dereinst irgend einem Saale im herzoglichen Schlosse von Ferrara zur Zierde gedient haben[108], und werden von Cesare, dem letzten Herzoge von Ferrara, 1599 nach Modena gebracht worden sein, woselbst sie später die verschiedensten Namen erhielten.

Wir zählen dieselben im Folgenden auf:

No. 131. „Die Gerechtigkeit mit der Waage und den Fasces.“ Die Figur sowohl als die Landschaft durchaus im Dossischen Geiste gedacht; ob aber auch die Ausführung ganz dem Dosso angehöre, was freilich wahrscheinlich ist, wage ich nicht so ohne weiteres zu behaupten. Die dem Dosso eigenthümliche Leuchtkraft der Farbe scheint mir diesem Gemälde abzugehen; aber daran mag vielleicht auch der Schmutz schuld sein, welcher die Oberfläche des Bildes bedeckt.

No. 134. Das gleiche gilt von diesem „den Frieden“ darstellenden Bilde. In der Galerie Costabili zu Ferrara befand sich dieselbe Figur mit einigen Modifikationen als Werk des Girolamo Carpi. Gegenwärtig ist letzteres Bild im Privatbesitze in Mailand. No. 131 und 134 sind von der nämlichen Größe, ebenso 79 und 80; sie mögen zusammen einen Saal im Schlosse zu Ferrara geschmückt haben.

Die beiden soeben genannten Gemälde, sowie No. 135, die h. Kirchenväter u. s. w., kamen als Werke Dosso’s von Modena nach Dresden und behielten auch hier ihre alte Benennung bei; das große Bild No. 135 ist ohne Zweifel nicht nur von Dosso erfunden, sondern auch durchaus von seiner Hand ausgeführt.

No. 132. „Diana und Endymion“ kam als Werk des Parmeggianino nach Dresden und wurde hier mit größerer Sachkenntniß dem Dosso zugeschrieben. Nach meiner Ansicht indeß gehört die Komposition und wahrscheinlich auch der Karton zu diesem Bilde dem Garofalo, die Ausführung des Gemäldes aber wohl dem Girolamo Carpi.

No. 133. Eine Hore mit Apollo’s Gespann. Auch dieses Bild, das als Garofalo über die Alpen kam, erhielt in Dresden seine nach meinem Dafürhalten richtige Attribution. Es ist eine Dossische Creation, aber nicht von ihm selbst ausgeführt, sondern vom nämlichen Maler, der No. 132 gemalt. Ferner No. 136; ein „Traum“, auch als Garofalo nach Dresden gebracht, wurde hier seinem rechtmäßigen Urheber, dem Dosso, vindicirt. Dieses Bild könnte vielleicht Battista Dosso gemalt haben.

No. 137. „Judith mit dem Haupte des Holophernes“ Wir haben hier ein Bild von Dosso unter dem Einflusse von Parmeggianino. Es war nämlich in Oberitalien zu einer gewissen Zeit (1540–1560) die Parmeggianinische Eleganz durch dessen Kupferstiche zur Mode geworden, und selbst so ganz verschieden geartete Künstler, wie z. B. Andrea Schiavone, Giacomo Bassano, Domenico Alfani, Luca Longhi, Defendente Ferrari von Chivasso und andere mehr, suchten dieselbe nachzuahmen. – Diese „Judith“ gehört nach meiner Ansicht ebenfalls in die Reihe jener von Girolamo Carpi gemalten Dossi’schen Kompositionen.

Wir betrachten nun die Reihe derjenigen Bilder des Dosso, welche nach unserer Ansicht entweder ihre falsche modenesische Attribution auch hier in Dresden beibehalten haben, oder aber ihre alte und echte Benennung in Dresden mit einer unechten vertauscht haben.

No. 165. „Ganymed, von Jupiters Adler entführt“. Dies Bild kam von Modena als Werk des Parmeggianino nach Dresden und behielt auch hier den falschen Namen bei. Was wir von den oben erwähnten Decorationsbildern des Dosso gesagt haben, gilt auch von diesem wie von dem folgenden Gemälde No. 168: eine allegorische Figur „die Gelegenheit“ genannt. Ein Jüngling, auf einer Kugel stehend, hält in der rechten Hand ein Messer, eine weibliche Gestalt steht hinter ihm. Das Bild kam von Modena als Werk des Girolamo Bedolo, auch Girolamo Mazzola genannt, Vetter des Francesco Mazzola, und behielt die unechte Bezeichnung auch in Deutschland bei. In der gegenwärtigen Galerie von Modena sieht man (No. 360) eine Kopie dieses Bildes von Andrea Donduzzi, il Mastelletta genannt. Auch dort nennt man den dargestellten Gegenstand die „Gelegenheit“. „Il pittore avrà forse inteso di rappresentare l’occasione, chel nel mondo fugge veloce, avendo sempre per compagna Motanea ossia il pèntimento, che resta indietro“, sagt Herr Tarabini, der Verfasser des modenesischen Galeriekatalogs.

„Der Erzengel Michael, im Begriff den Drachen zu erlegen“ (No. 79) kam nach Dresden als Werk des Dosso, wurde aber hier umgetauft, um dubitative dem Francesco Penni, il Fattore genannt, zugeschrieben zu werden, wahrscheinlich nur in Anbetracht der Komposition, welche ganz und gar die Raffaelische des nämlichen Gegenstandes ist. Nach meinem Dafürhalten hatten diesmal die Modeneser recht, die Dresdner unrecht, denn das Gemälde ist nicht nur von Dosso’s Geist beseelt, sondern wurde gewiß von seine Hand auch ausgeführt und zwar wahrscheinlich nach dem Rafaelischen Carton, welcher damals noch im Schlosse von Ferrara existirte[109].

„Der h. Georg“ (No. 80) ist ein Jugendwerk des Dosso, etwa um 1506 ausgeführt, ehe das Original Raffael’s nach London zum Geschenke für Heinrich VIII. abging. Die Rüstung Georg’s ist noch vergoldet. Von Modena als Werk des Garofalo nach Dresden gekommen, wurde das Bild hier ebenfalls dem Francesco Penni zugeschrieben. Und diesmal scheinen mir sowohl die einen, als die andern Unrecht[a 26] gehabt zu haben; denn auch dies Bild gehört keinem andern als dem Dosso an, welcher wahrscheinlich im Auftrage seines Herrn das herrliche kleine Original, welches Raffael 1506 für den Herzog Guidobaldo von Urbino gemalt hatte[110], in größern Verhältnissen kopirte.

Es erübrigt mir nur noch, ein Bild, No. 138, das der Hübner’sche Katalog blos einem Schüler des Dosso zuschreibt, dem Meister selbst zu vindiciren[111]. Dieses farbenreiche, schöne Werk des Dosso Dossi gehört seiner frühern und besten Epoche an. Man betrachte nur wie liebenswürdig und edel die vor dem Gottvater sich verneigende Jungfrau gestaltet ist, wie lebendig in der Handlung die vier Kirchenväter, wie herrlich die Landschaft ist! Es wundert mich nur, daß einem so eminenten Vertreter der neuern deutschen Malerei, wie Herr Hübner ist, alle die Vorzüge dieses Bildes entgehen konnten. Nach dem bisherigen besitzt also die Dresdner Galerie elf Bilder des Dosso, ein zwölftes werden wir alsbald zu betrachten haben. Davon sind außerdem vielleicht die Nummern 131 und 134 von seiner eigenen Hand ausgeführt, die andern fünf aber von ihm erfunden und wahrscheinlich in Gemeinschaft des Girolamo Carpi und des Bruders Battista Dossi gemalt.

Keine andere Sammlung kann sich eines solchen Reichthums Dossi’scher Bilder rühmen, ja die meisten öffentlichen Galerien nicht nur Deutschlands sondern auch von England, Rußland, den Niederlanden, Frankreich und Spanien[112] besitzen nichts von diesem genialen Meister, so daß, wer dazu Lust und Liebe hat, außerhalb Italiens, nur in Dresden diesen Meister kennen lernen kann.

Außer von Dosso besitzt die Dresdner Galerie auch von seinem Nebenbuhler Benvenuto Tisi da Garofalo einige würdige und schöne Werke. Die Mehrzahl derselben gehört ebenfalls zu den hundert Bildern, welche von Modena nach Dresden gebracht wurden. Die Nummern 140, 141, 145, 144, 142 und 143 repräsentiren Bilder aus der guten Epoche des Meisters (1515–1530) No. 146 giebt schon den beginnenden Niedergang von Garofalo’s Kunst zu erkennen; dies Bild ist bezeichnet: Benvenù[a 27] (im ferraresischen Dialekte für Benvenuto) Garofolo 1530. DEC. (December)[113] Es wurde nach N. Cittadella nicht für die Kirche S. Spirito, sondern für die Certosa von Ferrara gemalt. Nummer 139[114] gehört endlich nicht der Schule des Dosso zu, wie der Katalog sagt, sondern ist ein zwar schmutziges, aber echtes Werk des Garofalo.

Girolamo da Carpi oder, wie er sich selbst schreibt, Hieronymus de Carpis (Carpi wäre also sein Familienname)[115] wurde um 1501 geboren und starb 1556. Sein Vater, Tommaso, war Maler und erscheint im Jahre 1507 als solcher im Dienste der Lucrezia Borgia. Hieronymus heirathete 1538 zu Ferrara die Katharina Amatori. Daß er nicht nur mit Garofalo als Gehilfe gearbeitet, z. B. 1535 im Palaste von Coppara, sondern auch unter Dosso und in Gemeinschaft mit ihm, sagt uns Cittadella [116]. Unter anderen bemalte er als Gehilfe Dosso’s mehrere Säle im „Belvedere“, einem Lustschlosse auf einer kleinen Insel in der Nähe Ferrara’s. Die Anfangsgründe der Malerkunst wird er höchst wahrscheinlich von seinem Vater erlernt haben, später soll er, nach Vasari, auch bei Garofalo in die Schule gegangen sein. Seinem beglaubigten Bilde vom Jahre 1530 in der Kirche von San Martino zu Bologna nach zu urtheilen, muß er aber auch starke Einflüsse von Dosso aufgenommen haben, da er im eben genannten Bilde fast mehr noch als Nachahmer des Dosso als des Garofalo erscheint. Später, etwa zwischen 1540 und 1550, kopirte er mehrere Gemälde des Correggio, und von diesen Kopien und Imitationen nach Antonio Allegri brachte er manche im Jahre 1550 mit nach Rom, wo er sie dem Vasari zeigte. Doch wollen wir uns bei diesem ziemlich untergeordneten Maler nicht länger aufhalten.

Außer den soeben besprochenen Werken der ferraresischen Schule besitzt die Dresdner Galerie noch vier Bilder von Ippolito Scarsella, lo Scarsellino genannt. Sie tragen die Nummern 170 bis 173 und scheinen mir alle echt. Scarsellino bildete sich, wie bekannt, namentlich nach Paolo Veronese, in Venedig aus.

Von Francesco Mazzola, Parmeggianino genannt, sind meiner Meinung nach echt die Nummern 163 und 164[117]. Ihm dürfte auch das edle und fein aufgefaßte Bildniß eines jungen Mannes, No. 3696, angehören, welches vom Kataloge unter die Unbekannten verwiesen wurde. Es hat leider durch Verputzung stark gelitten, ist aber noch immer ein kostbares Porträt.

No. 162 dagegen, „der h. Sebastian und der h. Franziscus vor einem Throne, auf dem Maria mit dem Christkinde sitzt“ gehört meiner Ansicht nach nicht dem Francesco an, sondern wohl eher seinem Vetter und Nachahmer Girolamo Bedolo, auch Girolamo Mazzola genannt, weil er die Tochter des Pierillario Mazzola, Onkels des Parmeggianino, geheirathet hatte. Hier werden ihm zwei Bilder zugedacht, welche nicht von ihm herrühren, nämlich No. 167 und 160. Das erstere[118] scheint eine Kopie von irgend einem untergeordneten Maler aus der Schule des Correggio zu sein, das andere habe ich oben bereits dem Dosso vindicirt.

„Die Hinrichtung der Apostel Petrus und Paulus“ No. 169, ist dagegen ein echtes und gutes Werk des Niccolò dell’ Abbate. Dieser Maler, ein Schüler der Bologneser Bagnacavallo und Prospero Fontana und zuletzt in Frankreich Gehilfe des Primaticcio, Abbate di San Martino genannt – welchem Niccolò wahrscheinlich auch seinen Zunamen dell’ Abbate verdankte –, erscheint in diesem Bilde auch von Giulio Romano beeinflußt.

Ein echtes Bild ist auch die „Ruhe auf der Flucht“ von Bartolommeo Schidone, No. 174.

Und nun betrachten wir uns die Werke des Antonio Allegri, il Correggio genannt, dessen Bilder eine der Hauptzierden dieser Sammlung bilden, und denen die Dresdner Galerie viel von ihrem Weltruf zu danken hat. Wie ich leider sehe, rechnet Herr Hübner noch immer den Correggio zur lombardischen (welcher?) Schule; schon vor etlichen Jahren habe ich, wenn auch nur sehr flüchtig, nachzuweisen versucht[119], daß er der ferraresisch-bolognesischen angehört.

Sein Lehrer soll Francesco Bianchi aus Ferrara, ein in Modena ansäßiger Schüler des Cosimo Tura, gewesen sein, eine Annahme, welche alle Wahrscheinlichkeit für sich hat. Bianchi war mit Francesco Francia und Lorenzo Costa nahe befreundet und soll in Gemeinschaft mit diesen im Palazzo Bentivoglio zu Bologna al fresco gemalt haben. Dann können wir es auch als wahrscheinlich hinstellen, daß der talentvolle Zögling von Correggio, welcher um 1507 oder 8 seine Lehrzeit bei Bianchi vollendet haben dürfte, von diesem ins Atelier seines Freundes Francia zur Vollendung seiner Studien geschickt worden sei.

Sein berühmtes 1514–1515 gemaltes Bild, No. 151[120] dieser Galerie, hat so viele Züge, welche theils an Francia, z. B. der Kopf der h. Catharina, theils an Costa, so das grau in grau gemalte Medaillon auf dem Thronsockel, erinnern, daß meine Hypothese, den Correggio aus der ferraresisch-bolognesischen Schule herauswachsen zu lassen, wenigstens nicht in den Augen derer, welche sehen gelernt haben, als unbegründet verworfen werden kann[121]. Ist nun dieses herrliche Jugendwerk des Correggio das früheste, das wir von ihm besitzen? Gewiß nicht. Ehe man einem jungen Maler eine so bedeutende Bestellung geben konnte, mußte man doch überzeugende Proben seines Könnens vor Augen gehabt haben, obwohl in jenen für die Kunst so glücklichen Zeiten die Künstler gewöhnlich schon in ihrem fünfzehnten oder sechzehnten Jahre die Technik vollkommen erlernt hatten. Welches sind nun die vor 1514, d. h. vor diesem herrlichen Kirchenbilde, der Dresdner Galerie entstandenen Werke des Correggio? Leider bin ich nicht im Stande, deren mehr als fünf hier anzuführen. Eins derselben befand sich ehedem in der Galerie Costabili zu Ferrara und ist gegenwärtig im Besitze meines Freundes des Herrn Doct. Gustav Frizzoni in Mailand, der es, als feiner Kenner, mit Recht als ein Kleinod seiner Sammlung betrachtet. Dieser kleine Juwel, leider nicht im besten Zustand der Erhaltung, stellt eine thronende Madonna dar mit dem Christkinde, welches der vor ihm knienden h. Catharina den Ring darreicht; hinter der Madonna die h. Anna, neben ihr die Heiligen Franziscus und Domenicus. Auf diesem Bildchen, das nicht viel mehr als eine Spanne mißt, ist die Form der Hände noch ganz die des Lorenzo Costa, die Farbengluth erinnert an Mazzolino, aber der Ausdruck und die Bewegung des h. Franziscus sind schon ganz und gar die des spätern Correggio. Hier hat die Form und die Ausschmückung des Thrones viele Aehnlichkeit mit dem Throne auf unserm Dresdner Bilde.

Ein zweites kleines Bildchen des Correggio, welches wie ich glaube etwa um 1511–12 entstanden sein dürfte, ist die Madonna mit dem Kinde zwischen musicirenden Engeln in der Galerie degli Uffizi zu Florenz, No. 1002. In jenem Kataloge ward es zuerst als Werk der ferraresischen Schule bezeichnet, später jedoch dem Tizian zugeschrieben. Auch dieses fein empfundene, kleine Gemälde trägt schon alle dem Correggio eigenthümlichen äußern Merkmale an sich, so z. B. den Faltenwurf, die Form des Ohres und der Hand u. a. m. Auch sieht man hier über der Madonna, gerade wie in dem Dresdner Madonnenbilde mit dem h. Franciscus (No. 151), sechs oder acht Cherubsköpfe, welche hier grau in grau gemalt sind.

Etwa ein Jahr später mag das kleine Madonnenbild in der Galerie Malaspina, jetzt städtischem Museum von Pavia, entstanden sein. Es stellt die Madonna mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, die Heiligen Joseph und Anna dar[122]; und ist wie die zwei vorigen ebenfalls auf Holz gemalt; leider verputzt und auch übermalt. In jener Galerie wird es dem Francia zugeschrieben[123]. In die nämliche Epoche möchte ich sodann ein anderes kleines Madonnenbild setzen, welches früher in der Ambrosiana, jetzt aber im Museo municipale von Mailand aufgestellt ist. Auch dieses Bild[124] war auf Holz gemalt, wurde aber jüngst auf Leinwand übertragen. Das größere Kirchenbild bei Lord Ashburton zu London endlich, welches ebenfalls noch einen Francia-Costa’schen Charakter hat, scheint mir ebenfalls vor unserm Bilde des h. Franciscus entstanden zu sein, 1513–1514[125].

Ehe Correggio sich in Parma niederließ, muß derselbe auch mit Dosso und Garofalo künstlerische Beziehungen gehabt haben. Zur Annahme dieser Hypothese scheint mir sein Bild „die Ruhe auf der Flucht nach Aegypten“ (in der Tribüne der Uffizigalerie von Florenz) uns zu berechtigen. Ich mache in diesem Gemälde hier nur auf[a 28] das damals allein bei Dosso und Garofalo vorkommende Strohgelb aufmerksam. Auch soll ja Dosso das Porträt des Correggio gemalt haben. Das alles sind übrigens nur[a 29] Hypothesen, und da ich nicht in der Lage bin, auch positive Beweise zur Bestätigung dieser meiner Ansichten beizubringen, so möge man dieselben auf sich beruhen lassen. – Zu den Werken seiner reifern Jugend, etwa um 1518 entstanden, zähle ich, außer einem sehr beschädigten Madonnenbildchen beim Grafen Campori von Modena, auch jene liebliche, das Christkind kniend anbetende Maria, ebenfalls in der Tribüne der Uffizigalerie. Dieses Gemälde erinnert sowohl in der Empfindung als in der Farbe auf eine ganz merkwürdige Weise an Lorenzo Lotto. –

Man behauptet seit länger Zeit, daß Lotto nicht nur Schüler Leonardo’s da Vinci gewesen, sondern daß er sich auch die Werke des Correggio zum Muster genommen und diesen Meister ebenfalls nachzuahmen sich angelegen sein ließ. Ich habe schon bei Besprechung der in der Münchener Galerie enthaltenen italienischen Gemälde die Unrichtigkeit dieser Anschauung nachzuweisen versucht. Sie beruht auf einer oberflächlichen Auffassung der Entwicklung der Malerei in Italien. Ich erlaube mir nun bei dieser Gelegenheit wieder auf diesen Punkt zurückzukommen.

Hat die Kultur eines Volkes ihren Gipfelpunkt erreicht, so sehen wir überall, im täglichen Leben wie in Literatur und Kunst, daß die Anmuth mehr geschätzt wird als der Charakter. So war es in Italien während der letzten Decennien des 15. und den ersten des 16. Jahrhunderts. Keinem Künstler ist es nun vergönnt gewesen, dieser Empfindung einen so prägnanten Ausdruck zu geben, als dem großen Leonardo da Vinci, vielleicht der reichst begabte Mensch, den die Mutter Natur je geschaffen. Er ist der erste gewesen, welcher das Lächeln des innern Glücks, die Anmuth der Seele darzustellen angestrebt hat. Dieses Ziel konnte aber zum Theil nur durch ein feineres Verständniß der malerischen Modellirung d. h. des Helldunkels erreicht werden, und Leonardo widmete daher diesem Studium auch die besten Stunden seines mailändischen Aufenthaltes (1485–1500)[126].

Fast zur nämlichen Zeit, und gewiß ganz unabhängig von Leonardo, führte in Venedig der historische Entwicklungsgang der Kunst den Giorgione auf denselben von Leonardo eingeschlagenen Weg. Ich meine nun, daß Lorenzo Lotto hauptsächlich in dieser Hinsicht als Gefährte und Nachfolger seines Landsmannes Barbarella angesehen werde müsse. Sowohl Lotto als Giorgione haben den Leonardo da Vinci, obwohl dieser in den letzten Monaten des Jahres 1499 kurze Zeit in Venedig sich aufhielt[127], schwerlich persönlich gekannt, noch eines seiner Werke zu Gesicht bekommen. Dasselbe gilt aber auch ja noch viel mehr von Correggio. Diesem großen Meister fiel das beneidenswerthe Loos zu, den von Leonardo, von Giorgione und sodann von Lorenzo Lotto angeschlagenen Saiten den reinsten, den vollsten Klang entlockt zu haben. Ich glaube nun nicht, daß jene vier Männer je in künstlerischen Beziehungen zu einander gestanden haben. Es ist eben ein und dieselbe Empfindungsweise, welche alle vier beseelte und in ihren Werken einen Ausdruck fand. Diese Empfindungsweise lag, wie gesagt, als Ergebniß der Entwicklung des menschlichen Geistes in der Zeit selbst, in der sie lebten und wirkten. – Der aus den Windeln der mittelalterlichen Anschauung und Empfindung sich freimachende Geist schaute mit der naivsten, lebendigsten Freudigkeit den ganzen, den freien Menschen, gleichwie ehedem das Auge der Griechen. Und ist es nicht diese Siegesfreude, den wahren, lebendigen, freien Menschen wieder gefunden zu haben, welche aus den Werken der großen italienischen Meister während des ersten Decenniums des 16. Jahrhunderts zu uns spricht? Dieses Gefühl der errungenen Freiheit belebte die Gestalten nicht nur des Correggio, sondern auch des Michelangelo; die Hauptvertreter dieser Geistesrichtung in der bildenden Kunst, so verschieden auch ihre Denk- und Gefühlsweise in allem übrigen sein mochte. Michelangelo, einer florentinischen Patrizierfamilie entsprossen und in einer reichen, glanzvollen, aber politisch zerrissenen Stadt aufgewachsen, zu einer Zeit wo es dort mit dem moralischen Charakter bereits zur Neige ging, ward frühe schon von seinem hochsinnigen, stolzen, die Unabhängigkeit liebenden Naturell bitter gestimmt gegen die Charakterlosigkeit und eitle Genußsucht seiner Zeitgenossen. Schon in seinem berühmten „David“ finden wir diese Stimmung seines Gemüthes ausgesprochen; mit den Jahren nahm dieselbe immer zu und fand zumal nach dem Falle der Republik Florenz ihren stärksten Ausdruck in seinen bekannten Versen auf die Statue der Nacht:

Grato m’ è il sonno e più l’esser di sasso;
Mentre che il danno[a 30] e la vergogna dura,
Non veder, non sentir m’ è gran ventura;
Però non mi destar; deh, parla basso[128].

Unmuthig zog er sich frühe schon von der Welt zurück, um ausschließlich seiner Kunst zu leben. Gleich Correggio war er im Grunde ein einfaches, reines Gemüth[129].

Antonio Allegri dagegen, der Sohn einer bescheidenen, friedfertigen Bürgerfamilie, wuchs in kleinlichen Verhältnissen auf, und außer der Liebe zu seiner Kunst mag sein Gemüth schwerlich anhaltend und tiefer von andern Affekten berührt worden sein. Wenn Michelangelo einsam mitten im Gewühle und Gedränge und den Leidenschaften einer Weltstadt, wie Rom war, seiner Kunst nachging, so verlebte Correggio seine Tage einsam in einer kleinen Provincialstadt mitten unter Benediktinermönchen. Wie diesem von der Natur beschieden war, die Anmuth der Seele auszudrücken, im Scherze wie im Leide, im Rausche der sinnlichen Freude, wie in der Extase der göttlichen Liebe, so war Michelangelo von seinem hochsinnigen, edeln Geiste hauptsächlich darauf geleitet, Ernst und Würde, Gewalt und Stärke, den edeln Stolz eines freien Gemüthes, die bittere Verachtung alles Niedrigen, Charakterlosen und des Eiteln, mit einem Worte die männlichen Eigenschaften und Leidenschaften der Seele in ihren höchsten Lebensäußerungen darzustellen. Aus seinen titanischen Gestalten sieht der befreite Menschengeist gleichsam in vollem Bewußtsein seiner von Gott ihm verliehenen Macht, mit wahrhaft olympischem Stolze auf die gesprengten Fesseln der Menschheit herab.

Es ist gewiß merkwürdig, daß die Hauptvertreter sowohl der einen, als der andern Seelenstimmung, Correggio und Michelangelo, zur nämlichen Zeit blühten. Michelangelo, der doch seiner ganzen Gesinnung nach eher der Zeit Dante’s angehört, hat sowohl durch seine Erscheinung als auch dadurch, daß er meist für Päpste und in den zwei moralischen Hauptstädten des damaligen Italiens, Rom und Florenz, wirkte, einen weit unmittelbareren und gewaltigeren Eindruck auf seine Zeitgenossen hervorgebracht als Correggio. Alle Geister, die mit dem seinigen in Berührung kamen, wurden von ihm unterjocht oder aus ihrer natürlichen Bahn gebracht, und so wurde durch ihn der Sturz der Kunst nur jäher, als er wohl ohnedem gewesen wäre. Correggio dagegen wirkte mehr mittelbar durch die Carracci; und so finden sich seine unglücklichen Nachahmer erst im siebzehnten Jahrhundert reichlich ein.

Zwischen der gewaltigen Individualität des Michelangelo und des Correggio steht der göttliche Raphael mitten inne, als der maaßvollste, ruhigste, vollkommenste aller Künstler, als der Einzige, welcher in dieser Beziehung den Griechen ebenbürtig war. Glückselig das Land, das solche Menschen der Welt zu bieten hatte!

Doch ich muß meine jungen Freunde um Verzeihung bitten, sie so lange hingehalten zu haben mit dieser Expectoration, welche überdies etwas nach dem Katheder zu riechen scheint. Kehren wir also zu den Werken unsers Correggio zurück. Aus den obenbezeichneten Jugendbildern von ihm spricht am meisten seine einfache, naive, feine, aber auch etwas kränklich aufgeregte Natur. Dagegen fehlt in seinen späten Werken, wie z. B. den großen Kirchenbildern, die Frische der Empfindung; sie sind etwas conventionell, aber gerade von diesen seinen conventionellen Werken hat man allgemein den Begriff seiner Kunst abstrahirt[130]. In den Darstellungen aus der griechischen Mythologie dagegen ist er in seinem wahren Elemente. Niemand hat je, wie Correggio, die Sinnlichkeit so durchgeistigt, so naiv, so rein dargestellt.

Unter allen Bildern des Correggio der Dresdner Galerie ist die Madonna mit dem h. Franciscus zum Glücke das am leidlichsten erhaltene. In keinem Jugendwerke anderer Künstler, den David des Michelangelo ausgenommen, kann man eine so scharf ausgesprochene Individualität wahrnehmen, wie in diesem an Empfindung wie an Gedanken so reichen Gemälde. Die andern drei großen Kirchenbilder des Antonio Allegri, No. 152, 154 und 155 sind, besonders das erste und das letzte, so arg mißhandelt und übermalt, daß sie uns wenig Freude noch machen können. Ich bewundere in der That jene Kunstfreunde, welche das Corregio’sche Helldunkel in denselben noch in Entzücken versetzen kann. Diese drei Gemälde gehören in die Jahre 1524 bis 1530.

Neben den vier weltbekannten Bildern des Antonio Allegri weist der Katalog noch zwei andere auf, No. 156 und 153. Das erstere derselben, No. 156, ist ein männliches Porträt und trägt den kuriosen Namen „Arzt des Correggio“, welcher höchst wahrscheinlich erst im 18. Jahrhunderte ihm mag angehängt worden sein. Es ist ein arg zugerichtetes Gemälde und in seinem gegenwärtigen Zustande ungenießbar. Daß R. Mengs durch dieses Bild an Giorgione erinnert wurde, kann ich mir nur daraus erklären, daß eben kein Maler so sehr verkannt worden ist und noch immer verkannt wird wie gerade Giorgione. Das Gesicht ist ganz verputzt und dann übermalt, der Mund ist durch den Restaurator schief und einfältig geworden; die auf dem Buche ruhende Hand hat nicht die Form der Hände des Correggio, überdies vermisse ich unter anderm auch den dem Meister eigenen fetten Farbenauftrag. Will man nun dieser Ruine von einem Porträt durchaus einen Namen geben, was immer räthlich ist, da ohne Namen das Publikum nichts mit einem Bilde anzufangen weiß, so greife man zum Namen des Dosso, dem es auch in der That einst angehört haben mag[131].

Und nun komme ich endlich mit klopfendem Herzen zur Besprechung der h. Magdalena des Correggio, No. 153. Nach Pungileoni soll Correggio dieses Bild um’s Jahr 1533, also ein Jahr vor seinem Tode, gemalt haben; das ist aber bloß Vermuthung. Zum Vorschein ist diese Magdalena erst im Anfange des 18. Jahrhunderts gekommen.[132]

Von allen dem Correggio beigelegten Werken ist wohl diese „liegende Magdalena“ der Dresdner Galerie eines der bekanntesten, beliebtesten und daher auch durch Kopien am meisten vervielfältigten Bilder[a 32] der Welt. Ich muß nun offen gestehen, daß trotz ihres Nimbus mich diese Magdalena stets kalt gelassen hat.

Darf ich es aber wagen, meine haeretische Meinung über dieses Bild offen auszusprechen?

Als ich das letzte Mal vor demselben stand und im Begriffe war, einige kritische Bemerkungen in mein Notizbüchlein einzutragen, trat ein älterer Herr mit seiner Tochter auch in die Nähe dieses vermeintlichen Juwels, um, wie es nicht anders zu vermuthen war, das höchste Entzücken zu äußern.

„Ach“, rief die Dame aus, indem sie ihre goldene Brille näher an’s Auge rückte, „ein so köstliches, tiefempfundenes Gemälde giebt es nirgends sonst in der Welt; je mehr ich’s betrachte, je mehr ich’s in mich aufnehme, desto mehr begeistert es mich; ich muß gestehen, Papa, daß ich diese schöne Sünderin des Correggio selbst den Madonnen Raphael’s und Holbein’s vorziehe. Wie herrlich würde sich das in unserm Salon ausnehmen, der ja Nordlicht hat.“

„Ja, so ein Bild“, schmunzelte der Herr Papa, ein kleiner, rothbackiger Herr, „so ein Bild ist wohl seine hunderttausende von Mark werth.“

Bei diesen enthusiastischen Expectorationen trat ich etwas zurück, um den Leutchen Platz zu machen, damit sie den Gegenstand ihrer Bewunderung schärfer in’s Auge fassen könnten.

„Bitte, bitte“, sagte der höfliche Papa zu mir, „wir wollen Sie durchaus nicht stören, zumal wir sehen, daß auch Sie dieses Kleinod aller Kleinodien zu würdigen wissen. Ich und meine Tochter, Elise von Blasewitz aus Plauen, welche ich Ihnen hiermit vorstelle, wir kennen ja das Bild schon seit Jahren; ja, ja, eine sehr alte Bekanntschaft, wir haben’s ja auch sehr gut gestochen zu Hause und wissen es also auswendig. Sie aber, mein Herr, scheinen fremd zu sein und besuchen wohl diese Galerie zum ersten Male?“

Gegen meine Absicht war ich in ein kunstästhetisches Gespräch hereingezogen.

„O nein, mein Herr“, gab ich zur Antwort, „ich bin mit dieser Sammlung so ziemlich vertraut, obwohl ich ein Fremder bin.“

Ich hatte nun die Frage nach meiner Nationalität zu beantworten.

„Wenn ich recht rathe“, sagte dann holdlächelnd die Dame, „ein Kunstgelehrter?“

„Das nicht, gnädiges Fräulein, ich bin höchstens ein Kunstbeflissener“. – „Nicht doch“, bemerkte sie mit affektirter Grazie, „ich sehe es schon an der Art und Weise, wie Sie die Bilder betrachten, daß Sie Kenner sein müssen, wie wir auch in Deutschland viele Kunstgelehrte haben.“

„Zu viel Gelehrsamkeit“, bemerkte spöttisch der Herr Papa, „viel zu viel Gelehrsamkeit, und die verdirbt halt jeden gesunden Genuß. Aber nicht wahr, mein Herr, auch Sie halten wohl diese Magdalena des Correggio für das schönste Bild unserer Dresdner Galerie?“

„Da Sie mir die Ehre anthun, mich um meine Meinung zu befragen, so wäre es unhöflich von mir, wenn ich Ihnen dieselbe nicht mit aller Offenheit beantwortete. Ich gestehe, daß es mir ungemein leid thut, Ihnen eine negative Antwort geben zu müssen.“

„Also nicht? . . es gefällt Ihnen wohl nicht?“

„In meinen Augen ist diese geleckte, etwas kokette Magdalena gar nicht das Werk eines Italieners und noch viel weniger ein Gemälde des Correggio, sondern höchstwahrscheinlich eine niederländische Malerei vom Ende des 17. oder auch vom Anfange des 18. Jahrhunderts.“

Der Vater trat einen Schritt zurück, einen bedeutungsvollen Blick seiner Tochter zuwerfend, in deren Gesicht nach dem Anhören meiner Erklärung der Ausdruck vollen Mitleids zu lesen war.

„Ich bitte“, fuhr ich fort, „beunruhigen Sie sich ja nicht wegen der Vermessenheit meines Urtheiles.“

„Wirklich sehr verwegen, scheint mir“, bemerkte trocken Fräulein von Blasewitz. „Aber schauen Sie sich doch das Gemälde selbst genau an, gnädige Frau, vielleicht werden Sie selbst mir noch zustimmen, wenn ich Ihnen sage, daß es in der That an den Adriaen van der Werff erinnere.“

„Unmöglich! Wissen Sie denn nicht, daß gerade der van der Werff von allen unsern Aesthetikern als die Quintessenz des Manierismus citirt wird?“

„Das mag sein“, fuhr ich gelassen fort; „als aber im Jahr 1788 der Dresdner Feldbesitzer Wagatz nebst dieser Magdalena auch den Paris von van der Werff sich für seinen Diebstahl auserkor, so war das kein bloßer Zufall, sondern hat einen tieferen Grund; in den Augen jenes Kunstkenners waren das eben Gemälde vom nämlichen Werthe.“

„Nein das ist zu arg“, fiel etwas aufgeregt Fräulein von Blasewitz mir in’s Wort, „oder scherzen Sie etwa, mein Herr?“

„Leider ist’s mein voller, bitterer Ernst, gnädige Frau. Wollen Sie doch die Güte haben, sich das Bild näher anzuschauen. Sehen Sie doch dieses schillernde, grelle Ultramarinblau des Mantels an, das ist doch ganz und gar van der Werff’sche Farbe; sehen Sie sich die affektirte Form der Finger mit den langen, auf dem Schnitte scharf beleuchteten Nägeln an, wie das kein Italiener im Brauche hat; betrachten Sie ferner alle diese kleinlich behandelten Steinchen im Vorgrunde, gerade wie im Bilde No. 1643 des van der Werff, so auch das kalte, miniaturartig geleckte Salbengefäß neben der Magdalena; vergleichen Sie den Baumschlag hier mit dem Baumschlage in den Bildern des van der Werff (No. 1640 und 1641) und vergleichen Sie zu guterletzt noch die Sprünge und Risse auf diesem Gemälde mit den Sprüngen und Rissen auf den Gemälden des van der Werff oder anderer Zeitgenossen desselben, und Sie werden dann vielleicht – so viel Ueberwindung es Sie auch kosten mag – mir doch zugeben müssen, daß dieses Gemälde, wenn vielleicht auch nicht von Adriaen van der Werff selbst gemalt, doch einem Zeitgenossen und Landsmann von ihm angehören müsse, auf keinen Fall aber einem Italiener und noch dazu einem Italiener aus den drei ersten Decennien des 16. Jahrhunderts.“

„Nein, mein Herr, mich werden Sie nicht bekehren“, sagte spöttisch lächelnd die entrüstete Dame, die das Bild durchaus nicht genauer sich besehen wollte, und fuhr dann fort: „Sie haben wohl die Werke unsers Raphael Mengs nie gelesen? Mengs war doch auch ein Kunstkenner und zwar ein sehr großer und allgemein gefeierter, und er hatte zudem, wie kein anderer, mit dem Studium des Correggio sich gründlich befaßt, hatte sich tief in die Denk- und Gefühlsweise des göttlichen Meisters eingelebt; nun gut, Raphael Mengs giebt gerade dieser von Ihnen so sehr verachteten Magdalena den Vorzug vor allen andern Meisterwerken des Correggio. Und wollen Sie noch mehr? Unser großer Aesthetiker und Dichter Wilhelm von Schlegel widmet diesem Bilde eines seiner lieblichsten Sonette.“

„Ach, sage es ihm doch vor, Elise“, sagte der über die Gelehrsamkeit seiner Tochter entzückte Papa, „Du kannst es ja auswendig.“

„O nein, – tauben Ohren zu predigen ist nutzlos“, entgegnete rasch die Tochter.

„Kann sein“, antwortete ich, auf diese etwas scharf betonte Bemerkung. „Das ist alles sehr möglich, da ja der Geschmack von Mengs eben der Geschmack seiner Zeit war. Was aber die Kennerschaft der Aesthetiker, zumal der romantischen und neokatholischen betrifft, so erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich denselben nicht das mindeste Gewicht beilegen kann. Alle fünfzig Jahre haben wir ja eine andere Aesthetik, das ist Modesache. In ein ein so geduldiges Ding, wie ein Gemälde ist, legt ja der Aesthetiker allen Quark hinein, der ihm eben in den Sinn kommt; und die das Zeug lesen, erfreuen sich an der schönen Phrase, sehen in ihrem Geiste die Magdalena des Sonettes, kaum je die gemalte. Die meisten Menschen, gnädige Frau, erwärmen sich und schwärmen ja nicht für die Realität, sondern für ein Traumbild ihrer Phantasie und diese göttliche Gabe der Einbildungskraft läßt uns gerade das sehen, was wir zu sehen wünschen. Was mir aber durchaus unmöglich zu sein scheint“, fuhr ich nach einer Pause fort, „ist, diese Dresdner Magdalena für ein Werk eines so großen italienischen Malers, wie doch Correggio war, anzunehmen. Auch ist ja dies Bild“, fügte ich zuletzt hinzu, „auf Kupfer gemalt, und kein italienischer Maler hat vor dem Ende des 16. Jahrhunderts je dieses Materials zu seinen Bildern sich bedient.“

„Nun, hat nicht Sebastiano del Piombo auch auf Kupfer gemalt? Lesen Sie doch gütigst im Vasari nach“, erwiderte mit selbstzufriedenem Lächeln die sehr belesene Dame.

„Sie haben recht, gnädige Frau. Vasari sagt allerdings im Leben des Sebastiano veneziano, dessen erinnere auch ich mich, daß derselbe nicht nur auf Stein gemalt, sondern auch den Beweis geliefert habe, daß man ebenfalls auf Silber, Kupfer, Zinn und andere Metalle malen könne. Vasari hütet sich aber wohlweislich, uns auch nur ein einziges Gemälde auf Kupfer von Sebastiano del Piombo zu citiren, und ich erlaube mir daher, jener von ihm in der Hast des Schreibens hingeworfenen Bemerkung kein Vertrauen zu schenken. Auf Schieferstein hat Sebastiano öfters gemalt, und solcher Malereien kenne ich selbst mehrere, ein Gemälde auf Kupfer jedoch von irgend einem namhaften italienischen Maler aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist mir völlig unbekannt, so sehr ich auch darnach mich umgesehen habe[133].“ Die Substitution des Kupfers für die Holztafel und die Leinwand scheint zuerst in der Malerschule von Antwerpen eingeführt worden zu sein, und ich nenne Ihnen die Namen des Martin de Vos, des Bartel Spranger, des ältern Pourbus, des R. Savery, der Brill, der Bruegel, von denen allen Sie Bilder auf Kupfer finden können, keines aber von italienischen Meistern aus der goldnen Zeit der Kunst.“

„Die Kritik“, bemerkte trocken die Dame, indem sie ihren Shawl sich auf den Schultern zurecht machte, „die Kritik ist wie das Feuer, das alles zerstört, was es mit seiner Zunge beleckt. Kürzlich hat sie getrachtet, unsere herrliche Madonna von Holbein einzuäschern, heute wagt sie sich an den andern Juwel dieser Galerie, die weltberühmte Magdalena des Correggio. In Rußland, wo man dem Nihilismus huldigt, mag so etwas möglich sein, in unserm Deutschland jedoch, wo es, Gott sei Dank, noch so viele und so tüchtige Kunstgelehrte und Forscher giebt, werden solche giftige und perfide Versuche stets zu Schanden werden. Papa, gehen wir weiter.“

Will der Leser mir noch ein paar kurze Bemerkungen über die Dresdner Magdalena des Correggio gestatten, so möchte ich zunächst die Frage aufwerfen, ob überhaupt Antonio Allegri je eine am Boden liegende lesende Magdalena gemalt habe? Daß eine „büßende“ Magdalena in seinem Atelier entstand, wissen wir ganz bestimmt[134], wo aber dieselbe gegenwärtig sich befindet, kann ich nicht angeben. Im Giornale di Erudizione artistica[135] veröffentlichte nun Herr Guglielmo Brachirolli aus Mantua einen Brief von Carlo Malaspina, Angestellten an der Bibliothek von Parma, in welchem dieser sagt: Ortensio Lando theilte in einem Briefe der Markgräfin von Novellara mit, daß Correggio kürzlich (?) eine wunderherrliche lesende[136] Magdalena für den magnifico Signore di Mantova gemalt habe. Daraus ergäbe es sich also, daß Antonio Allegri wirklich ein Bild mit diesem nämlichen Gegenstande, wie No. 153, ausgeführt hat, d. h. eine lesende Magdalena. Was ist nun aus diesem Gemälde geworden?

Baldinucci behauptete, der florentinische Patrizier Niccolo Gaddi hätte etwa um 1660 in seiner Gemäldesammlung eine „Magdalena in der Wüste“ von Correggio besessen, welches Bild von Cristofano Allori öfters kopirt worden sei. Dies sagt Baldinucci. Wir wollen das auf sich beruhen lassen. Daß aber die „lesende Magdalena“ in liegender Stellung der Uffizigalerie zu Florenz (No. 1149) nicht von Cr. Allori ist, wie der Katalog jener Galerie auf die Erzählung Baldinucci’s hin, uns glauben machen möchte, sondern ebenfalls eine vlämische Kopie sei, wird jeder unbefangene Kenner gleich einsehen. Auch auf dieser Kopie in Florenz hat der landschaftliche Hintergrund wieder einen durchaus nordischen Charakter; die Steinchen im Vordergrunde, die wir auf dem Bild in[a 33] Dresden sehen, fehlen in dem der Uffizigalerie; dafür gewahrt man dort neben der Heiligen einen Todtenkopf und ein Salbengefäß. Außerdem hält die Büßerin in der linken Hand ein Krucifix. In meinen Augen ist, wie gesagt, auch jene Magdalena in Florenz nichts anders, als eine Kopie eines vlämischen Malers und wahrscheinlich älter als diese zu Dresden. Doch nun ist es die höchste Zeit, zur Conclusion dieser langen Plauderei zu kommen. Meiner Ansicht nach gehört also diese kokette, auf den sinnlichen Reiz berechnete, liegende Magdalena nicht der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und folglich auch nicht dem Correggio an, sondern dürfte höchstwahrscheinlich erst gegen Ende jenes Jahrhunderts aus der Schule der Caracci hervorgegangen sein. Der Typus dieses Magdalenenkopfes hat, man wird es nicht läugnen können, etwas sehr Caracceskes an sich. Was aber im besondern das auf Kupfer gemalte hochberühmte Bild der Dresdner Galerie betrifft, so erscheint mir dasselbe als eine Kopie, welche etwa gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein dem Adriaen van der Werff nahestehender Niederländer ausgeführt haben dürfte[137].

Für mich sind diese vielfältigen „büßenden Magdalenen“, welche gegen Ende des 16. und im Anfange des 17. Jahrhunderts größtentheils in Bologna zu Tage gefördert wurden, im Grunde nichts anders als die in die Sprache der Jesuiten übersetzte Venus der Venezianer. Zwischen der herrlichen schlafenden Venus des Giorgione (No. 236) dieser Galerie und der „büßenden Magdalena des Correggio“ (No. 153) liegt die ganze katholisch-spanische Gegenreformation.

Von den drei dem Francesco Raibolini, Francia genannt, zugeschriebenen Bildern, No. 435, 436 und 437, gehören, wie ich glaube, nur zwei dem Meister selbst an, und zwar die wunderliebliche kleine „Anbetung der Könige und Hirten“ (No. 435) und die stark restaurirte „Taufe Christi“ (No. 437). Das Madonnenbild (No. 436) aber erscheint mir nur als Atelierbild des Francia.

Zum Schluß möge noch ein anderes Werk aus dieser ferraresisch-bolognesischen Schule hier erwähnt werden, wenngleich Herr Hübner in seinem Kataloge dasselbe in die s. g. römische Schule verweiset. Die Madonna mit dem Christkinde und den vier Heiligen im großen Kirchenbilde des Bartolommeo da Bagnacavallo (No. 84) spricht es wohl deutlicher aus, als ich’s mit hundert Zungen zu thun im Stande wäre, daß Bagnacavallo nicht nur Schüler sondern auch Plagiator des Dosso war. Sieht doch, von weitem betrachtet, dieses Gemälde von seiner Hand geradezu wie ein Werk des Dosso aus! Daß Bartolommeo Ramenghi eine Zeit lang auch in Rom war und dort den Rafael nachahmte, thut gar nichts zur Sache; er gehört der ferraresisch-bolognesischen Schule an.



2. Die Venezianer.

Wir kommen nun zu den Malern der venezianischen Republik, deren Werke mit der ihnen eigenthümlichen Anziehungskraft von den Wänden dieser Säle uns strahlend entgegenleuchten.

Leider sind die Venezianer des 15. Jahrhunderts in der Dresdner Galerie so zu sagen nicht vertreten. Die h. Familie, No. 209, dem Gentile Bellini zugemuthet, ist wahrscheinlich eher ein Werk von Marco Marziale; doch möchte ich nicht für diese Bestimmung einstehen[138].

Das Brustbild des Dogen Leonardo Loredano, No. 210, ist nur eine Kopie nach Giambellino; das Originalgemälde befindet sich in der Nationalgalerie zu London, wie dies schon längst sachverständige Kritiker bemerkt haben. Das neuerworbene Bild aber von Giambellino, No. 2387, „die Jungfrau mit dem Kinde zwischen dem Apostel Petrus und der h. Helene“, gehört nicht dem Meister selbst an, sondern einem sehr schwachen Nachahmer desselben. Täusche ich mich nicht, so dürfte dieses Gemälde einem Schüler des Gentile Bellini, dem wenig bekannten Bartolommeo veneto, sein Dasein verdanken. Den Kopftypus des Apostels Petrus auf diesem Bilde finden wir auf andern venezianischen Bildern aus der Schule der Bellini wieder, z. B. auf Werken des Catena, des Benedetto, Diana u. a. Dieser kuriose Kauz zeichnet sich auch Bartolommeo mezzo veneziano e mezzo cremonese, so auf einem Madonnenbilde im Palaste des Senators Grafen Martinengo zu Venedig. In der städtischen Galerie von Bergamo (Abtheilung Lochis) befindet sich ein Madonnenbildchen, Bartholomaeus venetus faciebat 1505 bezeichnet[139]. Vor vielen Jahren sah ich auch beim Grafen Giovanni Melzi zu Mailand ein Frauenporträt von diesem Meister. Ein jugendliches Weib hält einen kleinen Hammer in der einen und einen Ring in der andern Hand, während auf ihrem goldenen Armbande geschrieben steht: sfoza de la Ebra (sfoza bedeutet auf venezianisch foggia, d. h. Tracht, die Art sich zu kleiden). Das Kolorit glänzend, die Haarlocken wie von Messing. Die Inschrift lautete: Bartolomeo de Venecia. F. Herr Carew in London besitzt ebenfalls ein Porträt mit derselben Bezeichnung und der Jahreszahl 1506. Auch in der an interessanten Gemälden reichen Sammlung des Städel’schen Instituts zu Frankfurt begegnen wir unserm Bartolommeo Veneziano in einem Bilde, welches die Nummer 11a trägt und dort der florentinischen Schule zugeschrieben wird. Es stellt ein phantastisch gekleidetes, junges Weib dar, mit einem Blumensträußchen in der rechten Hand, einem reichen Medaillon am Halse, und einem Lorbeerkranze auf dem Kopfe. Auch an diesem Frauenkopfe sind die Haarlocken, wie auf dem Gemälde zu Dresden und dem Bildnisse beim Grafen Giovanni Melzi in Mailand, messingartig gedreht. Nach der Aussage des Piacenza[140] befand sich in der Galerie Hercolani zu Bologna ein Madonnenbild mit der Inschrift: 1509, a di 7 aprile, Bartolamio scholaro de ZE . . . . BE . . . . Nun deuteten sowohl Piacenza als später auch die florentinischen Commentatoren des Vasari[141] dieses ZE . . . für Giovanni, während ich dafür halte, daß jene mutilirte Inschrift keine andere Erklärung zulasse als die von ZENTILE BELLINI.

Im Venezianischen ist für Giovanni nicht ZEAN sondern ZVAN gebräuchlich, und da die obengenannten Kunstforscher keine Kunde von unserm Bartolommeo Veneziano hatten, so nahmen sie auch keinen Anstand, jenes Bild dem großen Bartolommeo Montagna zuzuschreiben – ein Irrthum, der kaum einem Anfänger in der Kunstgeschichte zu verzeihen wäre.

Auch in England befinden sich einige Werke des Bartolommeo veneziano oder cremonese, je nach dem man ihn zu bezeichnen für gut hält. So besitzt die Nationalgalerie in London das Porträt des Lodovico Martinengo[142], welches folgende Aufschrift trägt:

Bartolom. Venetus faciebat M.D.XXX. XVI. ZVN. (Juni).

Mit dem Namen und dem nämlichen Jahre 1530 bezeichnet, besaß auch der verstorbene Barker in London ein „giorgioneskes“ Frauenporträt. Die unbezeichneten Bilder des Bartolommeo veneziano, und deren glaube ich mehrere zu kennen, werden gemeiniglich, wie dieß auch in Dresden geschah, größeren Meistern, als er selbst war, zugeschrieben. Mir soll es vorderhand genügen, auf den wenig bekannten Maler meine Leser aufmerksam gemacht zu haben, damit sie mit den Bildern desselben künftig auf ihrer Hut sein mögen.

Einen glücklichern Wurf scheint mir die Direktion der Dresdner Galerie mit der Erwerbung des echten Madonnenbildes, No. 2457, von Andrea Mantegna gethan zu haben. Dies Gemälde gehört in die letzte Periode des Meisters (1497–1506) und gleicht in der Mache dem großen Altarbilde im Hause Trivulzio zu Mailand (1497), dem verkürzten „todten Christus“ der Breragalerie (1505–6) und den zwei Bildern in der Sakristei der Kirche von Sant’ Andrea zu Mantua, deren eines die „Taufe Christi“, das andere die Madonna mit dem Christkinde und die Heiligen Johannes d. T., Joseph, Zacharias und Elisabeth darstellt[143]. Auch diese zwei Bilder sind, wie alle Gemälde aus der spätern Zeit des Meisters, auf Leinwand gemalt. Das Dresdner Gemälde ist zwar sehr verrieben und daher in seiner Wirkung abgeschwächt, trotzdem aber noch immer genießbar.

Die zwei Bilder des Cima da Conegliano, No. 215 und 216[144], sind ebenfalls echt; das erstere sehr übermalt, das andere unter dem Einflusse von Carpaccio entstanden; auch der „Christuskopf“, No. 217, obwohl sehr verdorben, scheint mir doch Original zu sein.

Gute Beispiele der Art und Weise des Girolamo da Santa Croce sind die Bilder No. 213 und 214[145].

Bei der Taufe des s. g. Buonconsiglio[146] war dagegen Herr Hübner, wie der Italiener sagen würde, male consigliato. Dieses Bild, No. 212, ist zwar ganz und gar übermalt und somit durchaus entstellt, läßt jedoch an einigen Stellen noch immer wenigstens die Schule erkennen, der es angehört, und das ist ohne Zweifel die des Palma vecchio. Der Typus sowohl des Christkindes als des Täufers so wie die Bewegung der h. Catharina sind durchaus die des Palma, und dieses Merkmal ist mit einer Entschiedenheit ausgeprägt, daß ich annehmen möchte, das Gemälde habe dereinst dem Meister selbst angehört. Zu meiner großen Genugthuung sehen auch die Herren Cr. und Cav. darin „die Art und Weise des Palma oder seiner Schule“ (II, 484).

Ein so arg entstelltes Bild sollte aber doch in einer öffentlichen Galerie keinen Platz finden dürfen.

Unter Nummer 33 (unbekannt) finden wir ein reizendes Bildchen, welches die h. Jungfrau mit dem Christkinde zwischen zwei Engeln darstellt. Es ist nach meinem Dafürhalten ein Werk des Veroneser Giovan Francesco Carotto; leider ist es sehr übermalt[147].

Ein Hauptwerk aus dieser altvenezianischen Schule wurde vor einigen Jahren von der Direktion dieser Galerie in Wien angekauft: es ist dies der große h. Sebastian des Antonello da Messina (No. 2382), ohne Frage eine durch und durch venezianische Produktion. Hierin kann man den großen Eindruck wahrnehmen, den die Fresken des Mantegna in der Capella degli Eremitani zu Padua auf Antonello gemacht haben müssen. Auch giebt er sich hierin als Meister in der Linienperspektive zu erkennen. Leider ist dieses Gemälde stark restaurirt worden; so sind z. B. alle Schattenpartieen in der Architektur überkleistert, ebenso der Säulenstumpf im Vorgrunde und die Schatten am Körper, auch jene der Augen und Stirnpartieen des Heiligen; übermalt ist auch der Himmel, – der ursprüngliche Luftton muß – viel heller gewesen sein. Trotzdem beansprucht das Bild ein hohes Interesse, wenn es auch nicht schön genannt werden kann. Wie lebendig und geistreich sind nicht die kleinen Figuren im Mittel- und Hintergrunde hingemalt, auch der eingeschlafene Wächter – eine fast komisch wirkende Gestalt! Wie fein ist die Ausführung bis in die kleinsten Details! Allerliebst ist das Pärchen, das von der Terrasse herabschaut. Dieses Antonello’sche Gemälde muß zwischen den Jahren 1480 und 1490 entstanden sein. So bewunderungswürdig Antonello in seinen Bildnissen ist, so nüchtern und ungelenk steht er vor uns, gilt es eine tiefe Empfindung der Seele zum Ausdruck zu bringen. Man halte nur diesen h. Sebastian gegen jenen tiefbegeisterten des Liberale in der Breragalerie von Mailand (No. 265), und der große Abstand zwischen dem Künstler von Messina und dem Veronesen wird Jedem sogleich in die Augen fallen.

Die Dresdner Galerie hat den Vorzug, von einem andern höchst seltenen Venezianer aus dem 15. Jahrhundert nicht nur eines sondern selbst mehrere Werke zu besitzen, nämlich von Jacopo de’ Barbari, in Nürnberg Walch, d. h. der Italiener, der Wälsche (balbus, der Fremdling) genannt[148].

Welcher Kupferstichsammler kennt nicht die seltenen, feinen und merkwürdigen Stiche des Meisters mit dem Merkurstab? Wenn nun die Kupferstiche dieses Meisters selten sind, so sind es noch viel mehr seine Gemälde. Die Herren Cr. und Caval., die gewissenhaftesten Kunsthistoriker, zählen derselben in ihrem Inventarium nur vier auf, nämlich die zwei Heiligen, No. 1803 und 1804, in dieser Galerie, einen Christus in der Sammlung von Weimar und endlich das Stillleben vom Jahre 1504 in der Augsburger Galerie. Herrn Professor Moritz Thausing in Wien gebührt das Verdienst, uns klar und deutlich die nähere Beziehung auseinandergesetzt zu haben, in der dieser Proteus, halber Italiener und halber Nordländer, zum großen Dürer gestanden hat. Wer also von meinen Lesern über Jacopo de’ Barbari besser unterrichtet zu sein wünscht, der informire sich darüber in Thausing’s musterhaftem Werk über Albrecht Dürer (X. Kapitel).

Der neue Dresdner Katalog von 1876 hat noch einen segnenden Christus (No. 1802) den zwei ebengenannten Bildern von Barbari hinzugefügt. Betrachten wir uns nun diese drei Gemälde des Venezianers genauer. Der segnende Christus ward im Jahre 1867 noch dem Lucas von Leyden zugemuthet (unter No. 1804 der Katalogausgabe dieses Jahres); die Heiligen Catharina und Barbara (No. 1795 und 1796 im alten Kataloge) aber wurden als Werke eines unbekannten Malers aufgeführt, obwohl schon viele Jahre zuvor Herr Renouvier diese Seitenflügel eines Triptychons als Gemälde des Jacopo de’ Barbari richtig bezeichnet hatte. Im neuen Kataloge hat nun endlich Herr Hübner sich bewogen gefühlt, diese drei Bilder, den segnenden Christus und die zwei Heiligen, als Werke des Barbari anzuerkennen, ein Entschluß, zu dem wir und mit uns gewiß alle ernstern Kunstforscher und Kunstfreunde, ihm von Herzen Glück wünschen können. Diese drei Gemälde, namentlich aber die zwei Heiligen, tragen alle einen venezianisch-deutschen Charakter und dürften daher wohl eher diesseits der Alpen als in Venedig entstanden sein. Die dem Meister eigenthümlichen Züge, auf die ich meine jungen Freunde in diesen Bildern aufmerksam zu machen mir erlaube, sind folgende:

a) Alle drei Köpfe sind mit halbgeöffnetem Munde gezeichnet.

b) Alle drei haben das obere Augenlid stark hervortretend, und dieses bildet an seiner Wurzel oder Basis eine sehr scharfe Falte.

c) Alle drei haben einen runden Schädel und eine auffallend klobige runde Daumenspitze.

Andere charakteristische Züge dieses Meisters sind seine dichten, schmiegsam gezogenen Längenfalten an den Kleidern, die schmale und hohe äußere Ohröffnung, die allzu langen Gliedmaßen der weiblichen Gestalten u. a. m. Alle diese eigenthümlichen Zeichen finden wir nun auch in einem vierten Bilde dieser Galerie, nämlich in No. 28, das, mit einem Fragezeichen, dem Sandro Botticelli zugemuthet wird. Die Galathea, auf einem Delphine stehend, machte mir das erste Mal, als ich sie sah, den Eindruck eines vlämisch-italienischen Werkes; später aber, bei eingehender Prüfung, erkannte ich darin ganz deutlich und klar die Mache des Jacopo de’ Barbari ausgeprägt. Der Mund der Galathea ist zwar überkleistert, würde man ihn aber reinigen, so träte sicher der dem Barbari eigenthümliche Zug der halben Oeffnung desselben wieder zu Tage[149].

Der Christus in der Sammlung von Weimar, der noch im Ausdrucke venezianisch ist, jener andere Christus bei Herrn Direktor Lippmann in Berlin und das Stillleben der Augsburger Galerie sind ebenfalls Bilder, die Jacopo in der Fremde, d. h. diesseits der Alpen ausgeführt haben dürfte denn darin ist, wie mir scheint, der starke Einfluß unverkennbar, den die nordische Kunst auf den Venezianer ausgeübt haben muß.

Zu diesen sieben Bildern des Barbari, die Deutschland besitzt, erlaube ich mir noch ein achtes hinzuzufügen, nämlich ein männliches, treffliches Porträt, welches, wie mir versichert wurde, schon der selige O. Mündler als Werk des Jacopo de’ Barbari erkannte. Dies interessante, sehr hübsche Bildniß befindet sich in der k. k. Galerie vom Belvedere in Wien (4. Saal, No. 36) und wird im Kataloge des Herrn Direktor von Engert der altflorentinischen Schule zugerechnet; ja, um den Meister noch schärfer zu bezeichnen, glaubte Herr von Engert es als dem Massaccio (sic) da S. Giovanni verwandt erklären zu müssen, also auf jeden Fall für florentinisch, wie die Galathea in den Augen seines Collegen an der Dresdner Galerie. Man scheint sich also in beiden Hauptstädten, an der Elbe wie an der Donau, ungefähr den nämlichen Begriff vom Charakter der altflorentinischen Malerschule gebildet zu haben. Das Bildniß der Wiener Galerie stellt einen jungen Mann italienischen Aussehens und in venezianischer Tracht dar, in schwarzem Kleide und mit schwarzem Barett; Brustbild; oben links brachte der Maler ein Lämpchen an, und dies Lämpchen sieht, in meinen Augen wenigstens, sehr nordisch in der Farbe aus, während andererseits die mit Blattwerk arabeskirte weißliche Gardine hinter ihm an die Art des Giorgione und seiner Nachahmer, wie B. Boccaccino, Marco Marziale u. a. m., erinnert. Das Porträt selbst ist nach der Malweise ausgeführt, die durch Antonello da Messina in Venedig eingeführt und die auch von Giovanni Bellini schon in den zwei letzten Decennien des 15. Jahrhunderts angewendet wurde. Der halbgeöffnete Mund, die vortretenden obern Augenlider, die tiefen scharfen Thränengruben wie die Behandlung der Haarmasse geben auch in diesem Bilde mehr die Hand des Jacopo de’ Barbari als alles andere zu erkennen.

Die bekanntesten Kupferstiche des Meisters vom Caduceo (Merkurstab) datiren, wie ich glaube, großentheils von Nürnberg und Brüssel und gehören daher den letzten zwei Decennien seines Lebens an. Jacopo hat überdies auch Zeichnungen sowohl für Kupferstecher als für Formschneider geliefert, und es genüge hier, zwei solcher Stiche zu erwähnen. Der eine, ein Kupferstich in der Sammlung der Ambrosiana zu Mailand, stellt ein in den Armen eines jungen Mannes eingeschlafenes Mädchen dar und ist Z. A. bezeichnet, also Zuan Andrea. Die Zeichnung verräth den Jacopo de’ Barbari, und der Stich scheint mir zu den Jugendarbeiten des Zuan Andrea zu gehören. Der zweite ist die große Ansicht von Venedig, 1500 in Venedig selbst in Holz geschnitten von einem deutschen Formschneider, welchen für ihn der in Venedig ansäßige, ihm befreundete Anton Kolb aus Nürnberg hatte über die Alpen kommen lassen[150]. Die Zeichnung des Barbari auf diesem Blatte ist noch durchaus venezianisch breit[151], seine Zeichnungen aus späterer Zeit, wie z. B. die Tritonenentführung in der Dresdner Sammlung von Handzeichnungen, sind schon feiner und spitziger in der Behandlung und verrathen somit den Einfluß der nordischen Kunstweise. – Jacopo de’ Barbari hat nun in Venedig nicht bloß Zeichnungen für Kupferstecher und Holzschneider geliefert, er muß nothwendigerweise auch manche Bestellung als Maler von seinen Landsleuten erhalten haben; hielt ihn doch sein Freund, der in Venedig ansäßige Nürnberger Kaufmann Anton Kolb, wie Dürer in einem seiner Briefe an Pirckheimer bemerkt, für den größten Maler der Welt. Indeß in so ganz besonderen Ehren kann Barbari zu Hause nicht gestanden haben, sonst würde er wohl schwerlich Venedig verlassen haben; auch erwähnt Vasari seiner mit keiner Silbe.

Zu den von Jacopo in Venedig ausgeführten Malereien rechne ich auch die berühmten Freskomalereien, welche das schöne steinerne Grabmal des Senators Agostino Onigo in der Kirche di San Niccolò zu Treviso zieren. Das Denkmal wurde im Jahre 1490 bestellt und die malerische Ausschmückung desselben mag wahrscheinlich in die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts fallen. Diese schönen Fresken stellen zwei an den Seiten des Monumentes stehende Krieger oder Herolde dar, von denen der eine ein langes Schwert, der andere eine eiserne Keule, einen s. g. Morgenstern, in der Hand hält[152]; zwei treffliche, lebendige Gestalten, die den Charakter der Bellinischen Schule an der Stirne tragen und deshalb sowohl von Vasari als auch von den Herren Cr. und Cav. (I, 171) dem Giovanni Bellini selber zugeschrieben wurden, während Carlo Ridolfi[153] sie dem Antonello da Messina giebt[154]. Der obere und untere Theil des Denkmals ist überdieß noch mit grau in grau gemalten Arabesken, die Seiten mit Kriegstrophäen verziert. Zwischen den Arabesken, unterhalb des Grabmals sieht man in zwei Medaillons theils Reiterkämpfe, theils Sirenen von Centauren getragen, Satyrn u. dgl. dargestellt, und gerade diese grau in grau gemalten Figuren mit der dem Jacopo de’ Barbari eigenen runden Kopfform beseitigen auch den letzten Zweifel an der Richtigkeit unserer Attribution[155]. Denselben Geist und dieselbe Technik finden wir noch in den Figuren der Arabeskenverzierung am obern Theile der Façade vom Hause No. 1548 auf dem Domplatze von Treviso, sodaß wir auch diese Malereien dem Barbari zuzuschreiben gesonnen sind. Wie bekannt, ist sowohl das Denkmal des Senators Agostino Onigo in Treviso, wie auch dasjenige des Admirals Melchiorre Trevisani in der zweiten Kapelle rechts vom Chor der Kirche Sa Maria gloriosa de’ Frari in Venedig das Werk der Lombardi[156]. Auch dieses letztere Grabmal, im Jahre 1500 entstanden, ist an den Seiten mit grau in grau gemalten Kriegstrophäen und oben mit Seegöttern, halb Mann halb Fisch, verziert. Betrachten wir uns diese Malereien genauer, so können wir nicht umhin, Herrn Dr. Gustavo Frizzoni aus Bergamo vollkommen beizustimmen[157] und auch diese Arbeit mit ihm dem Jacopo de’ Barbari zuzuschreiben. Aus den soeben bezeichneten, zur Verzierung von Denkmälern berühmter Männer dienenden Wandmalereien des Jacopo de’ Barbari, können wir schließen, daß er in Gemeinschaft seiner Landsmänner, der Bildhauer Lombardi, gearbeitet habe. Die künstlerischen Beziehungen nun zwischen dem Maler und den Bildhauern dürften wohl nicht nur die Compositionsweise mancher seiner Stiche erklären, sondern auch die ihm ganz eigenthümliche Art, die Falten der Gewänder in seinen Figuren zu bilden. Diese dichtanliegenden, scharfen Längefalten erinnern nämlich deutlich an das Gefält bei den Gewändern der Lombardi und ganz besonders des Tullio Lombardi.

Daß aber Jacopo de’ Barbari in seinen jungen Jahren auch starke Einflüsse nicht nur von Giovanni Bellini, sondern mehr noch von Antonello da Messina in sich aufgenommen haben müsse, bezeugt uns schon das Urtheil, welches die großen Kunstkritiker über seine Werke abgegeben haben, von denen die einen, wie wir eben gesehen, einige derselben dem Giovanni Bellini, die andern dem Antonello da Messina zumutheten.

Aus dieser venezianischen Frühperiode (1480–1490) sei es mir erlaubt, nur noch eines andern Gemäldes zu gedenken. Es ist dies das Porträt eines jungen Mannes in venezianischer Tracht, auf schwarzem Grunde, Brustbild, welches unter Nummer 201 in der städtischen Bildergalerie von Bergamo, Abtheilung Lochis, aufgestellt ist. Das Bild hat Schaden gelitten[158] und ist bei weitem nicht so gut erhalten als das Porträt der Belvederegalerie in Wien; an der Form des Mundes und des Auges sowie an der Art, wie die Lichter auf den Haarlocken aufgesetzt sind, glaubte ich unsern Jacopo ganz sicher zu erkennen, wogegen der Katalog der Galerie dieses interessante Bildniß dem jüngern Holbein sonderbarer Weise zumuthet. Mit größerer Sachkenntniß haben die Herren Cr. und Cav. (II, 98, Anm. 3) folgendes Urtheil über dieses Porträt abgegeben: this panel has Bellinesque and Antonellesque character, is trasparent but a little empty in tone.

Sind nun meine Attributionen der Galathea in Dresden, der Porträte in Wien und Bergamo, der Zeichnung zum Stiche des Zuan Andrea in der Ambrosiana zu Mailand und endlich der Wandmalereien in Treviso richtig, wovon ich meinerseits fest überzeugt bin, so würde daraus folgen, daß dieser Venezianer bisher viel weniger bekannt war, als er es wohl verdient hat, und ich fordere daher meine jungen Freunde in der Kunstforschung auf, diesem beweglichen und fremden Einflüssen leicht zugänglichen, aber stets geistreichen Künstler nachzugehen und seinen Spuren schärfer folgen zu wollen. In Deutschland und Belgien dürfte man gewiß noch auf manches seiner Werke stoßen, die entweder unbekannt oder, unter falscher Bezeichnung, bis jetzt unbeachtet geblieben sind.

Jacopo de’ Barbari muß zwischen 1440 und 1450 in Venedig das Licht der Welt erblickt haben. Von wem er die Anfangsgründe der Malerei erlernt, ist unbekannt. Daß er später vielfach von Giovan Bellini (1460–1740) und namentlich von Antonello da Messina (zwischen 1480–90) beeinflußt worden, kann nicht in Zweifel gezogen werden; das Bildniß in der Galerie von Bergamo muß in diese letztere Epoche fallen. Um 1490 dürfen wir ihn, so scheint es mir, seine erste Reise nach Nürnberg machen lassen. Auf diese Hypothese führen mich die Worte Albrecht Dürer’s[159], er habe Niemand gefunden, der da etwas beschrieben hätte von menschlicher Maß zu machen, als einen Mann, Jacobus genannt, von Venedig geboren, ein guter, lieblicher Maler. Nun hätte Dürer schwerlich dieses „von Venedig geboren“ hinzugefügt, wenn seine erste Begegnung mit Jacobus erst 1494 in Venedig selbst statt gehabt hätte. Er fährt sodann fort: „Der wies mir Mann und Weib, die er aus der Maß gemacht hatte, so daß ich in dieser Zeit lieber sehen wollte, was seine Meinung gewesen wäre, denn ein neu Königreich u. s. w.“ „aber“, fügt er hinzu, „ich war zu derselben Zeit noch jung und hatte von solchen Dingen nie gehört.“ Dürer war zu jener Zeit, d. h. 1490, etwa 19 Jahre alt. Diese meine Hypothese findet einen weiteren Stützpunkt in der Lehrzeit des Malers Hans von Kulmbach, welcher, wie bekannt, mit Recht als Schüler des Jacobus de’ Barbari angesehen wird und der um 1490 etwa 13 oder 14 Jahre gezählt haben dürfte[160]. Doch, sei dem nun wie ihm wolle, als sehr glaubhaft erscheint mir jedenfalls diese Thatsache, daß Barbari schon vor 1500 in Nürnberg sich längere Zeit aufgehalten haben müsse. Einige seiner Kupferstiche, wie z. B. Mars und Venus, haben einen ausgesprochenen Nürnberger Charakter und dürften daher wohl als seine ersten in Nürnberg gemachten Versuche in der Stechkunst angesehen werden. Die meisten seiner Stiche gehören indeß gewiß seinen diesseits der Alpen, theils in Nürnberg, theils in Brüssel verlebten letzten Lebensjahren an, und die Erlernung der Stechkunst mag wohl auch der Hauptgrund seiner ersten Reise nach Nürnberg gewesen sein. Ob Barbari schon vor der Veröffentlichung seines großen Holzschnittes mit der Ansicht der Stadt Venedig, 1500, sich des Merkurstabes als Monogramm bedient habe, kann ich leider nicht entscheiden, da mir hierzulande keine Sammlung zu Gebote steht, in der alle oder doch die größere Zahl seiner Kupferstiche enthalten wäre. So mögen andere die Antwort auf diese Frage finden. Mir genügt es, hier, wenn auch nur flüchtig, meine Leser auf mehrere Kunstwerke aufmerksam gemacht zu haben, welche meiner Ansicht nach dem Barbari angehören und welche dazu angethan sind, diese nicht uninteressante Künstlergestalt in einer bessern und schärfern Beleuchtung erscheinen zu lassen. Barbari war, seinen Gemälden und Stichen nach zu urtheilen, eine sanfte, weiche, schwankende Künstlernatur. Um 1501 scheint er bereits in Nürnberg ansäßig zu sein, und in diesen ersten vier Jahren des 16. Jahrhunderts kam er dann mit Dürer in nähere Berührung und hat auf diesen Reisen in der Kunst einen Einfluß ausgeübt, den wir sowohl in mehreren Dürer’schen Stichen als auch in einigen Gemälden aus jener Zeit deutlich wahrnehmen[161].

Im Jahre 1511 wurde er in Brüssel von der Erzherzogin Margarethe, Regentin der Niederlande, in Betracht seines „hohen Alters und seiner Gebrechlichkeit“, pensionirt, und 1516 war Jacopo de’ Barbari bereits verstorben[162].

Die chronologische Folge, welche wir in der Musterung der in diesen Sälen enthaltenen Gemälde venezianischer Meister angenommen haben, führt uns nun auf die vom Kataloge dem Giorgione zugedachten Bilder – ich halte es aber für zweckmäßiger, vorher die paar Bilder zu erwähnen, die Herr Hübner einem andern Sohne der Marca Trevisana, nämlich dem Vicenzo Catena, zuschreibt. Die Madonna mit dem Kinde zwischen den Heiligen Margaretha und Catharina, Antonius und Nicolaus von Bari (No. 211) trägt im Kataloge den Namen des Catena, welchem Meister selbst die Herren Cr. und Cav. das Bild zuzuschreiben für gut befinden (I, 257); doch es scheint mir dieses Gemälde einem andern Trevisaner anzugehören, dem Francesco Bissolo, welcher ebenfalls, wie auch Catena, aus der Schule des Giovanni Bellini hervorgegangen ist. Für ein echtes Werk des Catena halte ich dagegen die „heilige Familie“ (No. 46), die Herr Hübner als ein nach einer Zeichnung Raffael’s(!) von Sassoferrato ausgeführtes Bild aufführt. Ich freue mich jedoch, daß in diesem Falle mein Urtheil wenigstens mit dem der berühmten Historiographen übereinstimmt (I, 256). Auf diesem Bilde entspricht die Form sowohl des Ohres als der Hände ganz und gar derjenigen auf dem mit dem Namen Catena’s bezeichneten Gemälde in der Galerie von Pesth; auch die eigenthümliche Beleuchtung ist hier dieselbe, wie auf den Bildern der Nationalgalerie zu London und des Städel’schen Instituts zu Frankfurt, welche beide den h. Hieronymus in seinem Studirzimmer darstellen. Auch begegnen wir hier demselben Hündchen, das wir auf dem schönen Bilde der Londoner Nationalgalerie, No. 234, finden[163].

Derselben Marca Trevisana, wie Bissolo und Catena, gehört auch Giorgio Barbarella oder Barbarelli, Giorgione genannt, an. Der Hübner’sche Katalog rechnet diesem seltenen Meister nicht weniger als 5, sage fünf Bilder an, nämlich die Nummern 218, 219, 220, 221 und endlich das jüngst erworbene, mit der Nummer 2389 bezeichnete Gemälde. Betrachten wir diese Werke der Reihe nach.

No. 218 stellt den Jacob dar, welcher die Rahel, grüßt und umarmt. Ich kenne kein Bild des Palma vecchio, aus dem der Meister so liebenswürdig, so heiter, so poetisch gestimmt uns entgegentritt, wie aus diesem reizenden Idyllenbilde; denn daß es sein Werk sei, dafür spricht die stramme, etwas schwerfällige Figur der Rahel, dafür sprechen die dem Palma in seiner dritten oder „blonden“ Manier (1520–1525) eigenthümlichen rosigen Fleischtöne, so wie selbst der Gesichtstypus der Rahel, welcher mit dem seiner Venus in dieser Galerie (No. 244) übereinstimmt. In Palma’s Art ist ebenfalls der sitzende Hirt gezeichnet und gemalt, dessen Ohrform allein schon den Meister verriethe. Betrachten wir andererseits die wunderherrliche, breit behandelte Landschaft mit der Viehheerde, eine Landschaft, wie sie zu jener Zeit kein Niederländer so trefflich zu malen im Stande gewesen wäre, so können wir nicht umhin, eine freiere, jüngere Hand als die des Bergamasken darin wahrzunehmen und zwar die seines talentvollen Schülers, des Bonifazio Veronese. Es kommt mir daher vor, als ob an der Ausführung dieses reizenden Bildes vielleicht auch Bonifazio einigen Antheil gehabt haben dürfte[164].

Schon die Herren Cr. und Cav. bemerkten mit gewohntem Scharfsinne, daß viele Figuren in diesem Bilde, zumal die des Jacob und der Rahel, an die Hirten der bergamaskischen Hochthäler erinnern, und daß ihre Bewegungen und Geberden mehr auf die Schule des Palma als auf die Art des Giorgione hinweisen; doch kann ich es nur bedauern, wenn dieselben hinzufügen, daß sie das Bild weder dem Giorgione noch dem Palma geben könnten und daher genöthigt wären, es dem Cariani zuzuschreiben, zumal die auf dem Sacke der Rahel gezeichneten Initialbuchstaben G. B. F. sich ganz gut als Giovanni Busi fece deuten ließen[165].

Vor allem muß ich hiergegen bemerken, daß Cariani niemals sich Busi bezeichnet hat, sondern stets Joanes Carianus [166]. Andererseits ist Cariani klotziger in seinen Formen, schwärzer in den Schatten, er faßt die Landschaft ganz anders als Palma auf und erscheint überhaupt in allen seinen Werken viel schwächer als der Urheber dieses hochpoetischen Gemäldes. Es ist wahr, sowohl Cariani als Bonifazio waren Schüler des Palma. Wie aber der erstere nie seine etwas schwerfällige Bergnatur zu verleugnen im Stande ist, so bewährt der letztere stets in seinen Bildern die anmuthige, phantasiereiche, heitere Auffassung und Darstellung der Veroneser.

Das zweite Giorgione’sche Gemälde in der Dresdner Galerie, No. 219, stellt die „Anbetung der Hirten“ dar. Im Hause Pisani zu Venedig, dem es ehedem angehörte, galt es für ein Werk des Palma vecchio, wurde also erst in Dresden zum Giorgione erhoben. Doch dies ist, meiner Ansicht nach, ein unstreitiges Bild des Bonifazio junior. Auch die Herren Cr. und Cav. sind bei der Betrachtung dieses Gemäldes an Bonifazio erinnert worden: „we are reminded of Bonifazio“ (II, 163).

Das dritte Bild, welches im Kataloge als Werk des Giorgione angeführt wird, stellt einen Mann dar, der eine Dirne umarmt, No. 220. Ein triviales Bild, in der Auffassung etwa an Michelangelo da Caravaggio erinnernd. Die Herren Cr. und Cav. schreiben es dem von ihnen vielgenannten Domenico Mancini zu. Ich gestehe den Meister dieses Bildes nicht zu kennen – doch ist es auch mir wahrscheinlich, daß er der Marca Trevisana angehören möchte.

Das vierte Bild mit dem Namen des Giorgione ist ein männliches Porträt, welches den Pietro Aretino darstellen soll. In meinen Augen ist dies Bildniß weder ein Werk des Giorgione, noch stellt es den Pietro Aretino dar, welcher, im Jahre 1492 geboren, nur 19 Jahre zählte, als Giorgione starb, während der hier dargestellte Mann offenbar ein höheres Alter hat. Uebrigens ist dieses Porträt so überschmiert und entstellt, daß es geradezu unwürdig ist in einer öffentlichen Galerie dem Publikum vorgestellt zu werden.

Das fünfte Bild des Giorgione, welches diese Galerie zu besitzen sich rühmt, ist eine allegorische Darstellung und zwar, wie Herr Hübner meint, aus Ariosto’s Orlando Furioso. Ich erlaube mir, Herrn Hübner darauf aufmerksam zu machen, daß die erste Auflage des Orlando Furioso erst im Jahre 1516 erschien, also ungefähr fünf Jahre nach Giorgione’s Tod. Auch Herr A. Baschet hat dies Bild als Werk Giorgione’s citirt und so auch die Herren Cr. und Cav. (II, 154), doch schreiben diese es dem Girolamo Pennacchi zu. Meiner Meinung nach ist es eine alte Kopie nach einem echten Bilde des Giorgione; ob aber das Original noch erhalten sei, wüßte ich nicht anzugeben.

Wie meine jungen Freunde nach der Musterung der Werke, welche in der hiesigen und der Münchner Galerie dem Giorgione von den größten Kunstautoritäten aller Zeiten zugeschrieben werden, sich überzeugen können, ist dieser große Künstler, welcher mit Giovanni Bellini und Tizian wohl die erhabenste Figur unter den venezianischen Malern ist, schon seit Jahrhunderten zu einer Art Mythe geworden. Während man in München ihn mit Tizian und Palma verwechselt, schreibt Herr Hübner in seinem Kataloge der Dresdner Galerie demselben Werke zu, die, wie wir eben gesehen, dem Palma vecchio selbst oder einem seiner Schüler angehören, also stets entweder mittelbaren oder unmittelbaren Nachahmern des Giorgione. Anderswo bezeichnet man Gemälde des Sebastian del Piombo, des Lorenzo Lotto oder des Dosso Dossi mit dem Namen des Barbarelli und dies auch noch im besten Falle, der Nachäffungen eines Domenico Caprioli oder gar eines Pietro Vecchia, die man dem Meister von Castelfranco in die Schuhe schiebt, gar nicht zu gedenken.

Wie sollen wir nun mitten in diesem allgemeinen Wirrwar wahre Einsicht und Erkenntniß dieses feinsten und phantasiereichsten aller venezianischen Künstler erlangen? Daß Giorgione wirklich groß in seiner Kunst war, wird uns nicht nur durch die hohe Meinung, die seine Zeitgenossen von ihm hegten, bezeugt, sondern vielmehr noch durch den tiefen und weitreichenden Einfluß, den er auf die talentvollsten seiner Mitschüler und Zeitgenossen ausgeübt hat. Meiner Meinung nach giebt’s nur einen Weg, aus diesem Labyrinthe herauszukommen, nämlich vor allen Dingen die authentischen auf uns gekommenen Werke desselben genau zu betrachten und in sich aufzunehmen. Folgende sind die wenigen fest beglaubigten Werke des Meisters:

1. Das große Altarbild in der Kirche von Castelfranco. Leider wurde dies wundervolle Gemälde vor wenigen Jahren durch den venezianischen s. g. Restaurator Fabris so gräßlich überschmiert, daß man die ursprüngliche Farbenharmonie darin nicht mehr sehen, sondern nur noch ahnen kann. Da Naja in Venedig von diesem Bilde eine leidliche Photographie abgenommen, so empfehle ich meinen jungen Kunstgefährten, sich dieselbe verschaffen zu wollen.

2. Die Landschaft (auf Leinwand) mit dem Gewitter, der Zigeunerin und dem Soldaten („El paesetto in tela con la tempesta, con la zingana e Soldato“), vom Anonymus des Morelli im Jahre 1530 im Hause des Herrn Gabriel Vendramin gesehen (p. 80). Dieses allerliebste phantastische Bild kam später in die Galerie Manfrin, aus der es vor einigen Jahren Fürst Giovanelli zu Venedig erwarb. Auch von diesem Gemälde, welches gut erhalten ist, findet man bei Naja eine photographische Aufnahme.

3. „La tela a olio delli tre filosofi nel paese, due ritti e uno sentado che contempla i raggi Solari“ (Anonymus des Morelli, p. 65), auf deutsch: das Oelbild auf Leinwand mit den drei Philosophen in offener Landschaft, von denen zwei aufrecht stehen, der dritte aber sitzt und die Sonnenstrahlen betrachtet.

Dieses Bild, sagt der Anonymus, wurde von Zorzi da Castelfranco begonnen und von Sebastiano veneziano (Seb. del Piombo) vollendet. Im Jahre 1525 befand es sich im Hause des Herrn Taddeo Contarini zu Venedig; gegenwärtig ist es in einem sehr übeln Zustande in der Galerie des Belvedere in Wien aufgestellt.

Von den, etwa dreißig Jahre später, von Vasari in Venedig gesehenen und von ihm angeführten Gemälden des Giorgione sind die Wandbilder auf den Häuserfaçaden von der Salzluft längst schon verzehrt, die andern wahrscheinlich in irgend einem italienischen Palazzo oder in einem englischen Landschlosse verborgen; mir wenigstens ward es nicht vom Glücke beschieden, irgend eines derselben zu Gesicht zu bekommen.

Der sehr unkritische Maler Carl Ridolfi, welcher in der Mitte des 17. Jahrhunderts lebte, citirt zuerst unter manchen andern Werken des Barbarelli, welche von der neuern Kunstforschung demselben wieder genommen wurden[167], auch das s. g. Conzert in der Galerie Pitti zu Florenz, No. 185, welches Bild dazumal noch im Besitze des in Venedig ansäßigen florentinischen Kaufmanns Paolo del Sera sich befand. Dieser del Sera war ein s. g. Kunstfreund, der aber nicht verschmähte, mit seinen Bildern, wenn es eben ging, auch ein gutes Geschäft zu machen, und daher auch nicht selten seinem Gönner, dem Großherzog von Toscana, Kunstwerke aus seinem Besitz abzutreten beliebte[168]. Solche venezianische Gemälde kamen dann mit den ihnen vom del Sera oder auch von del Teglia (einem andern Bilderunterhändler des Großherzogs in Venedig) gegebenen Taufen nach Florenz, wo sie dieselbe Benennung bis auf unsere Tage beibehalten haben. Dies gilt auch von dem berühmten „Concerto di musica“ der Pittigalerie. Leider ist dieses Gemälde derart von einem Restaurator besudelt worden, daß man in seinem gegenwärtigen Zustande vom Original blutwenig noch erkennt. Aus der Form der Hände und des Ohres und aus den Geberden der Figuren in diesem Bilde dürfen wir mit einer gewissen Sicherheit schließen, daß es nicht ein Werk des Giorgione sei. Würde man es von der Maske, die es verdeckt, befreien, so dürfte hier wohl ein Jugendwerk Tizian’s zu Tage kommen.

Wurden nun im 17. Jahrhunderte von den Kunsthistorikern, wie wir gesehen, meistens Werke des jugendlichen Tizian, des Sebastiano del Piombo, des Palma vecchio und des Dosso Dossi dem Giorgione zugeschrieben, so wurde im vorigen Jahrhundert diese Ehre meist den zwei ältern Bonifazio erwiesen. In Dresden wurde damals die „Anbetung der Hirten“, No. 219, welches Bild von Venedig an die Elbe unter dem Namen des Palma vecchio gekommen war, zum Giorgione erhoben; dieselbe Benennung erhielt die herrliche „Findung Mosis“, No. 363 in der Breragalerie, und die Darstellung des nämlichen Gegenstandes im Kleinen in der Pittigalerie, No. 161; der s. g. Giorgione’s aus dem Atelier der Bonifazio in den Privatsammlungen hier ganz zu geschweigen.

Es ist nur eine der vielen bloßer Munizipaleitelkeit entsprossenen Fabeln, wenn Vasari uns berichtet, daß Giorgio Barbarelli seine neue Malweise aus den Bildern des Lionardo da Vinci erlernt habe. Wo hätte wohl Giorgione zu seiner Zeit in Venedig Gemälde Lionardo’s zu sehen bekommen? Andere Schriftsteller wieder behaupten, Giovanni Bellini hätte seine frühere Art zu malen in seinem Bilde vom Jahre 1505, das er für die Kirche von S. Zaccaria zu Venedig anfertigte, nach dem neuen System des Giorgione modifizirt. Dieser Behauptung widerspricht jedoch direkt das große Altarbild, das der Altmeister im letzten Decennium des 15. Jahrhunderts für die Kirche von S. Giobbe in Venedig gefertigt hatte[169]. Der Schüler hat wohl von seinem Meister gelernt, nicht aber umgekehrt; und Dürer scheint mir ganz recht zu haben, wenn er in einem Briefe von Venedig (1506) an seinen Freund Pirckheimer behauptet, Giovanni Bellini sei noch immer der größte Maler Venedig’s. Giorgione entfaltete erst in den letzten sechs Jahren seines kurzen Lebens, etwa von 1505 bis 1511, seine ganze, seine volle Kraft. Aus den wenigen Werken von ihm, die auf uns gekommen sind, – alle seine Wandgemälde hat, wie schon bemerkt, die Seeluft aufgezehrt – leuchtet uns sein origineller, hochpoetischer Geist so hell entgegen, spricht seine einfache, unbefangene, feine Künstlernatur so frisch, so einnehmend zu uns, daß, wer ihn einmal verstanden, ihn nie wieder aus seinem Geiste verlieren wird. Kein anderer Künstler weiß, wie er, mit so wenig Mitteln unsere Phantasie zu bezaubern, unsern Geist stundenlang zu fesseln, und doch wissen wir gar oft nicht einmal, was diese seine Figuren eigentlich bedeuten sollen. Schon Vasari bemerkte, daß es sehr schwer ist, Giorgione’s Darstellungen irgend einen erklärenden Namen zu geben[170]. Giorgione war eine echte, harmlose, lebensfrohe Dichternatur, ein Lyriker, im Gegensatze zu Tizian, der durch und durch Dramatiker war. Dieser letztere ist unstreitig ein gewaltigerer, energischerer Geist, Giorgione jedoch, wenigstens meinem Gefühle nach, ein Künstler von viel feinerem Schrot und Korn. In seinen landschaftlichen Hintergründen, im Reize der Linien und der Farben haben wenige den Giorgione erreicht, keiner aber ihn übertroffen, wenn wir vielleicht Tizian ausnehmen wollen. Seine Liebe gehörte der Musik, den schönen Frauen, und vor allem seiner hehren Kunst. Keiner war so unabhängig wie er, die Großen und Mächtigen der Welt ließen ihn gleichgiltig, keinem von ihnen hat er wie z. B. Tizian seine Freiheit und noch weniger seine Würde geopfert. So ungefähr schildert ihn uns Vasari, und ich denke, daß sein Bildniß damit getroffen sei.

Leider sind, wie schon gesagt, die Werke des Giorgione äußerst selten. Es sind überwiegend s. g. Cabinetsstücke; Kirchenbilder scheint er nur ausnahmsweise gemalt zu haben. Der Anonymus des Morelli zählt im ganzen nicht mehr als etwa ein Dutzend Bilder von Giorgione auf, die zu seiner Zeit, d. h. zwischen 1512 und 1540, in Venedig sich befunden; ein zweites Dutzend beschreibt Vasari beiläufig, und eine gleich große Zahl glaube auch ich nachweisen zu können. Nun rathe ich meinen jungen Freunden, dieselben entweder aufzusuchen oder doch wenigstens Photographien davon sich zu verschaffen; denn einem Meister wie Giorgione sollte ein Kunstbeflissener täglich in’s Gesicht schauen, damit er den Geist und die Formen dieses feinsten aller Venezianer nach und nach ganz in sich aufnehme. Ich werde nun chronologisch die Werke aufzählen, welche jedem zugänglich sind und meiner Ansicht nach dem Giorgione angehören.

1. Die s. g. Feuerprobe und das Urtheil Salomon’s sind wohl die ältesten Werke, die von ihm auf uns gekommen sind. Diese zwei höchst interessanten Jugendbilder des Meisters befinden sich in der Uffizigalerie zu Florenz (No. 621 und 630), sie gehören noch in’s 15. Jahrhundert, und Giorgione mag dieselben etwa in seinem 16. oder 18. Jahre gemalt haben. Die für ihn charakteristischen Züge finden wir sämmtlich schon in denselben vertreten, nämlich das längliche Oval der Frauengesichter, die etwas nahe an die Nase gerückten Augen, die phantastische Art, die Figuren zu kleiden, die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger darzustellen, die poetischen landschaftlichen Gründe mit den hochstämmigen Bäumen u. s. f.

2. Ein „kreuztragender Christus“, Brustbild auf Holz. Dieser scharfblickende Kopf, der leider durch Restaurationen viel gelitten hat, erinnert, wie die vorigen zwei Bilder, ganz und gar noch an den Lehrer Giovanni Bellini. Im Besitze der Gräfin Loschi zu Vicenza.

3. Die thronende Madonna mit den Heiligen Franciscus und Liberale in der Kirche von Castelfranco. Hauptbild.

4. Die Gewitterlandschaft mit „der Zigeunerin und dem Soldaten“, beim Senator Fürsten Giovanelli zu Venedig.

5. Die Madonna mit dem Christkinde auf dem Throne sitzend, rechts der h. Antonius, links vom Throne der h. Rochus; Hintergrund Landschaft. Auf Leinwand. Dieses herrliche Gemälde, noch gut erhalten, befindet sich im Museum von Madrid und ist im Galeriekataloge, No. 418, als Werk des Pordenone angeführt, während die neuesten Kunsthistoriker, die Herren Cr. und Cav., es dem Francesco Vecelli zuschreiben (II, 292). Doch ich muß gestehen, daß es für mich keine geringe Freude war, bei meinem Besuche von Madrid dieses Wunderwerk venezianischer Malerkunst sogleich als Schöpfung unsers Giorgione erkannt zu haben. Das Bild ist von Laurent in Madrid unter dem Namen des Pordenone photographirt worden, und ich kann Kunstfreunden nur rathen, sich die Photographie davon zu verschaffen.

6. Der leider sehr verdorbene, aber ganz echte „Johannesritter“ in der Uffizigalerie zu Florenz (No. 622), welcher auch von den Herren Cr. und Cav. als Werk Giorgione’s anerkannt wurde. Bei diesem fein aufgefaßten Kopfe an einen Maler wie Pier della Vecchia zu denken, ist eine wahre Häresie.

7. Daphne und Apollo, kleines Tafelbild, in der Gemäldesammlung des Seminario vescovile zu Venedig. Durch Restaurationen mit Oelfarben sehr entstellt[171]. 8. Die s. g. „drei Menschenalter“ in der Pittigalerie Florenz, No. 157, daselbst dem Lorenzo Lotto zugeschrieben. Leider ist dies schön gedachte Bild durch die Uebermalung sehr verdeckt, der halbbeschattete Kopf des Knaben, der ein Blatt Musik in der Hand hält, jedoch noch immer herrlich und durch und durch Giorgionesk, so daß ich es wage, ohne andere Dokumente zur Stütze meiner Ansicht zu besitzen, das Bild dem Giorgione zuzuschreiben.

9. Das s. g. „Conzert“ in der Galerie des Louvre in Paris, No. 39. Dieses herrliche Idyllenbild ist leider durch Uebermalung sehr entstellt. Tizian hat in dem einen seiner Wandgemälde der „Scuola del Santo“ zu Padua den schönen Jünglingskopf mit langen Haaren (der zazzera, wie die Italiener sagen), den wir in diesem Bilde auf dem Boden sitzend sehen, wiedergegeben.

10. Die an trefflichen Bildern italienischer Schulen reiche Esterhazy-Galerie zu Pesth besitzt auch ein Giorgione’sches Werk, jedoch nur, wie ich glaube, als Fragment (No. 143). Zwei junge Männer, nachläßig, in venezianischer Tracht des 15. Jahrhunderts gekleidet und barfuß, stehen auf einem Hügel; hinter ihnen etwas höher gelegen sieht man ein Landhaus. Es ist Morgendämmerung, und von weitem sieht man das von den ersten Sonnenstrahlen beschienene Meer. Der eine von den zwei schönen Männern lehnt den linken Arm auf die Schulter des andern und weist bedeutungsvoll auf etwas hin, was nicht weit von ihnen vorzugehen scheint; der andere blickt voll Verwunderung, ja fast erschrocken, abwärts in derselben Richtung. Irre ich nicht, so möchte wohl dieses Bild ein Bruchstück eines vom Anonymus des Morelli angeführten Werkes des Giorgione sein (Anonym. pag. 65). 1525, in casa de M. Taddeo Contarino: La tela del paese con el nascimento de Paris con li dui pastori ritti in piede, fu de mano de Zorzo de Castelfranco, e fu delle sue prime opere.“

Wir hätten also hier nur die zwei aufrechtstehenden Hirten vom Berge Ida vor uns, unter deren Aufsicht der junge Paris dann aufwuchs. – Die andere Hälfte, auf der seine Geburt dargestellt war, fehlt leider. – Die Landschaft auf diesem Bilde erinnert lebhaft an diejenige, welche wir in der Dresdner Galerie auf dem „Venusbilde“, No. 236, bewundern. In der Galerie von Pesth führt noch ein anderes Gemälde den Namen des Giorgione. Es ist dies das Bildniß eines jungen Mannes (No. 156), von gar feiner und edeler Auffassung. Aus seinem auf der Brust offenen schwarzsammtnen Oberkleide schaut ein Stück weißes Hemd hervor; das lange, gescheitelte braune Haar wird von einem Netze aufgefangen; der rechte Arm stützt sich auf ein Gesimse, die linke Hand ruht auf der Brust. Nur ungern trennt man sich von dieser melancholischen Figur; mit seinem bedeutungsvollen Gesichte hält der junge Mann den Beschauer wie festgebannt, gleich als wollte er ihm das Geheimniß seines Lebens anvertrauen. Leider hat dies Porträt sehr gelitten, und an der Mache ist schwerlich der Meister noch zu erkennen. Ich ziehe es daher vor, dieses reizvolle Bildniß nicht in die Reihe der von mir sicher für echt gehaltenen Werke des Giorgione einzutragen[172].

11. Zu Giorgio Barbarelli’s letzten Gemälden gehört das Bild mit den s. g. drei Philosophen der Wiener Belvederegalerie, von dem ich bereits gesprochen, und das der Anonymus 1525 im Hause des Taddeo Contarini zu sehen Gelegenheit hatte.

Im nämlichen Jahre trug derselbe in sein Merkbuch ein anderes Bild des Giorgione ein, welches sich damals im Hause des Jeronimo Marcello a San Tommado befand: la tela della Venere nuda, che dorme in un paese co Cupidine sù de mano de Zorzo da Castelfranco; ma lo paese e Cupidine furono finiti da Tiziano („die Leinwand mit der nackten Venus, welche in einer offenen Landschaft schläft, ist das Werk des Giorgio von Castelfranco; die Landschaft und der Cupido wurden jedoch von Tizian fertig gemalt“ Anonymus des Morelli, p. 66). Auf dieses merkwürdige, ganz verschollene Bild werden wir sogleich zurückkommen. Vorher sei es uns noch vergönnt, zu bemerken, daß derselbe Anonymus im Jahre 1530 im Hause des Gabriel Vendramin ein anderes Bild von Giorgione sah: „El Cristo morto sopra el sepolcro, con l’anzolo che el sostenta, fu de man de Zorzi da Castelfranco, reconzato da Tiziano“ („der todte Christus auf dem Grabe, mit dem Engel, der ihn stützt, ist ein Werk von Giorgio von Caltelfranco, restaurirt von Tizian“). Wir erfahren hier, daß Giorgione auch eine s. g. „Pietà“ gemalt hat; ob dieses Bild noch erhalten ist und wo es zur Zeit sich befindet, bin ich nicht im Stande zu sagen. Gewiß aber konnte der Anonymus an dieser Stelle nicht den „weltberühmten todten Christus“ im Monte di Pietà von Treviso gemeint haben, wie Einige behaupteten, da ja in diesem letztern Bilde der todte Christus nicht nur von einem, sondern von drei oder vier Engeln gestützt wird. Mit Ausnahme der Herren Cr. und Cav. bestehen auch alle neueren Kunstforscher noch immer darauf, jenes Gemälde von Treviso als ein bewunderungswürdiges Werk des Giorgione zu bezeichnen – was wohl ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung ist, daß der große Maler von Castelfranco selbst von den größten Autoritäten in der Kunst noch sehr wenig recht verstanden und gekannt ist. Ueber das Bild bin ich insofern derselben Ansicht wie die Herren Cr. und Cav., welche jene „Pietà“ in Treviso dem Giorgione absprechen. So geistlos und klotzig in den Formen, so schwerfällig und dumpf in der Farbe ist jenes Bild, daß es höchstens einem Nachahmer des Meisters, vielleicht dem Trevisaner Domenico Caprioli, der das männliche Porträt der Münchner Galerie gemalt hat, zugeschrieben werden kann[173], oder etwa irgend einem ebenbürtigen Zeitgenossen desselben – dem edeln, feinen Giorgione aber in keinem Falle.

Nach dieser langen Disgression kehren wir zurück zu dem vom Anonymus im Jahre 1525 im Hause des Jeronimo Marcello zu Venedig gesehenen und von ihm, wenn auch flüchtig, so doch richtig beschriebenen Bilde: „schlafende Venus mit dem Cupido in einer offenen Landschaft.“ Dieses wunderbar schöne Bild gilt allgemein für ganz verschollen. Ob mit Recht, ist eine andere Frage. Wenn ich dasselbe noch nachweisen zu können glaube, so habe ich meine jungen Freunde diesmal nicht weit zu führen. Das herrliche Bild befindet sich – nur dem Auge der Kunstforscher bisher verschleiert – in der Dresdner Galerie (No. 236). Zu meinem eigenen Troste kann ich mir das Zeugniß geben, in diesem zauberhaft schönen Bilde den Genius und die Hand Giorgione’s empfunden und gesehen zu haben, ehe ich entdeckte, daß es schon im Verzeichnisse des Anonymus des Morelli als solches aufgeführt steht.

Wie nun solch ein Werk, die Quintessenz venezianischer Kunst, so lange Zeit unbeachtet bleiben konnte, wäre für mich geradezu ein Räthsel, wenn ich nicht aus langer Erfahrung wüßte, daß in Sachen der Kunst das unglaublichste allerdings möglich ist. Wenn ich bedenke, daß im Saale nebenan die s. g. Madonna di Caitone das vermeintliche Werk des Moretto, hängt, ein Bild, welches von sehr geachteten und geistreichen Kunstschriftstellern z. B. von Quandt und Rio, als Original bewundert und in den Himmel erhoben werden konnte, und daß dagegen das Auge nur sehr weniger Kunstfreunde bisher durch das wunderbare Licht sich angezogen fühlte, das selbst durch die Hülle hindurch, mit der der Restaurator dieses herrlichste aller Venusbilder der Welt versehen hat, immer noch strahlend hervorscheint, – wenn ich dieses bedenke, so befällt mich ein trauriges Gefühl, eine tiefe Entmuthigung, und ich muß mir selbst sagen: was nützt alle unsere gepriesene Bildung, was frommen die Tausende von Büchern über Aesthetik und Kunst, was helfen unsere öffentlichen Vorlesungen, was unsere jährlichen Kunstausstellungen, wenn wir, ohne besondere Fingerzeige, stumpf und gefühllos vorbeigehen können an einem der herrlichsten, vollkommensten Werke, das die Kunst aller Zeiten je ans Licht gebracht hat?! – – Armer großer Giorgione, wie wenig versteht dich doch diese moderne Welt, ja, wie wenig haben selbst deine eigenen Landsleute bald nach deinem Tode dich verstanden! Wurde dein strahlendes Antlitz nicht selbst in Bildern gesucht und gefunden, worin doch nur deine Karikatur gegeben ist? Wer diese Venus des Giorgione, diese traumhaft schöne Weibergestalt, nicht zu würdigen im Stande ist, der sage mir ja nicht, daß Raffael, Lionardo, Correggio und Tizian ihn entzücken. Hat Raffael oder irgend ein Künstler, selbst unter den Griechen, je ein feineres Liniengefühl an den Tag gelegt als Giorgione in dieser Venusgestalt? Wie klotzig und bäurisch erscheint im Vergleiche das[a 34] nackte Weib des Palma vecchio an der nämlichen Wand, wie irdisch und aller innern Anmuth baar ist nicht die berühmte Venus mit Cupido des Tizian in der Tribüne der Uffizigalerie![174] Dazu diese paradiesische Landschaft! Würde dieses Gemälde mit Verständniß und großer Sorgfalt vom Schmutze und der Farbenmaske des Restaurators, die es verdecken, befreit, so glaub’ ich, müßte diese Venus des Giorgione zu den Kunstperlen erster Größe nicht nur der Dresdner sondern aller Galerien der Welt gezählt werden. Stellt man diese Venus, welche das Prototyp dieser Art Liebesbilder für die Venezianische Schule wurde, neben die berühmten Venusbilder Tizian’s oder neben seine Danaegestalten, so wird man leicht erkennen, um wie viel an Feinheit des Gefühls, an Adel der Auffassung Giorgione alle seine Nachahmer überragt. Die Danae von Tizian ist so realistisch, ja, sagen wir’s gerade heraus, so niedrig gedacht, daß man unwillkürlich in der Alten daneben an eine Kupplerin vom gemeinsten Schrote erinnert wird. Neben der Venus des Botticelli im Korridor der Uffizigalerie und neben der Danae des Correggio im Borghesepalast zu Rom erscheint freilich auch diese schlafende Venus des Giorgione noch immer realistisch, jedoch im schönsten, edelsten Sinne des Wortes. Giorgione war eben eine gesundere, kräftigere, lebensfreudigere Natur als Correggio; auch hatte sich dieser letztere in seiner Danae ein ganz anderes Ziel gesetzt als der Venezianer in seiner schlafenden Venus. Die sinnliche Wollust ist wohl nie so durchgeistigt dargestellt worden, wie dies Correggio sowohl in seiner Danae als in seiner Leda der Berliner Galerie geglückt ist. Wie grobkörnig sind nicht alle die Venus- und Danaedarstellungen eines Tizian dagegen! Doch gebe ich gerne zu, daß, was technische Meisterschaft, was äußerste Gewandtheit der Pinselführung, kunstreiche Licht- und Schattenvertheilung betrifft, kein Maler Italiens je den alten Tizian erreicht hat.

Im Jahre 1646 gab Carlo Ridolfi seine „Meraviglie dell’ arte“ heraus. Derselbe hatte aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kenntniß vom Manuscripte des Anonymus, führt aber ebenfalls diese „schlafende Venus“ als Werk Giorgione’s an, und zwar noch immer als im Hause Marcello befindlich: una deliziosa Venere ignuda dormiente è in casa Marcella, ed a’ piedi è Cupido con augellino in mano che fù terminato da Tiziano; d. h. eine wunderherrliche nackte schlafende Venus ist im Hause Marcello und hat zu ihren Füßen den Cupido mit einem kleinen Vogel in der Hand, welcher (d. h. der Cupido) von Tizian vollendet wurde (Vol. I, p. 130). So lautete also damals noch immer die Tradition im Hause Marcello. Dieses Bild kam nun, wie Herr Hübner im Kataloge uns mittheilt, als Werk Tizian’s nach Dresden, und „zu den Füßen der Venus saß ein Amor, welcher so beschädigt war, daß man die Ueberreste ganz hinweggenommen; restaurirt von Schirmer.“ Nach der Restauration ward das Bild als „wahrscheinliche Kopie(!!)“ und überdieß von Sassoferrato (!) getauft[175]. Und als solche betrachten sie auch zu meinem großen Erstaunen die Herren Cr. und Cav. (Vita di Tiziano ecc. Bd. I), welche dafür sich rühmen, in einem Bilde der Galerie von Darmstadt (No. 520), daselbst Tizian zugemuthet, das Originalgemälde dieser Dresdner Venus entdeckt zu haben. In meinen Augen ist die Darmstädter „Venus“ nichts anders als eine freie und wüste Kopie nach der Venus des Giorgione der Dresdner Galerie, und zwar von irgend einem schwachen Niederländer aus dem 17. Jahrhunderte ausgeführt. Es entscheiden nun die wahren Freunde der italienischen Kunst zwischen diesen schroff einander gegenüberstehenden Urtheilen! An diejenigen aber, welche an den Kopien des Holbein (No. 1809), des Correggio (No. 153), des Leonardo da Vinci (No. 30), des Tizian (No. 225), des Moretto (No. 254a) ihre Freude haben und dieselben als Originalgemälde zu betrachten und zu bewundern gewohnt sind, sind diese meine Worte gewiß nicht gerichtet; mögen sie ruhig fortfahren, an jener Scheinkunst sich zu erlaben, nur sollen sie mich in meiner Bewunderung dieser Venus des Giorgione ungestört lassen.

Im angrenzenden Saale hängt die berühmte, auch von Rio und Passavant[176] hochgelobte Madonna des Moretto da Brescia, No. 254a. „Die heilige Jungfrau“, sagt Herr Hübner, „wie sie im Jahre 1523 einem Hirtenknaben, Filippo Viotti von Monte Caitone in der Provinz Brescia, zur Abwendung der Pest erschien“. Veränderte Wiederholung des Altarbildes in Paitone. Oben links auf dem dunkeln Hintergrunde liest man: Imago Beatae Mariae Virg. quae mens, august. 1533 (also nicht 1523) Caitoni (sic) agri Brixani Pago apparuit Miraculor. operatione concursi pop. celeberrim. –

„C’est la Madone miraculeuse qu’il peignit (Moretto nämlich) en 1533, pour satisfaire la dévotion de ses compatriotes et la sienne etc.“, sagt der neokatholische, liebenswürdige Kunstschriftsteller A. F. Rio in seinem Büchlein: Léonard de Vinci et son école (pag. 312), und fährt dann fort: „Pour comble de bonheur, c’était sur une bannière que devait être peinte l’image vénerée, avec le double caractère de Reine des anges et de mère de miséricorde. C’était un problème analogue à celui que Rafael avait à résoudre en peignant la Madone de S. Sixte(!!); et les âmes pieuses, qui ont aussi leur compétence(?), bien différente de celle des connaisseurs (das sieht man) peuvent comparer, au point de vue de l’inspiration, ces deux chefs d’oeuvre que le hazard a réunis dans la même vilie. La vierge de Moretto est à Dresde, et fait partie de la collection de Mr. Quandt, excellent appréciateur des trésors d’art qu’il possède.“ Aus der Sammlung des verstorbenen Herrn von Quandt kam dann dieses „chef d’oeuvre“ in die Dresdner Galerie. Auch die Herren Cr. und Cav. führen die Madonna von Caitone als Werk des Moretto in ihrem Inventarium der Werke des Alessandro Bonvicino an und citiren dabei auch die Inschrift[177].

Ich müßte wohl an meinem Verstand selbst zweifeln bei allen diesen übereinstimmenden Urtheilen unserer berühmtesten Kunstschriftsteller über den Kunstwerth dieses vermeintlichen Gemäldes von Moretto, wenn ich mich dem Glauben verschließen wollte, daß die „vierge miraculeuse“ des Herrn Rio, celeberrima operatione miraculorum, wie die Inschrift sagt, noch immer fortführe, Wunder zu wirken. Doch, Scherz bei Seite! – Ich gebe gern zu, daß eine gutgemachte Kopie sehr oft auch die feinsten, ergrautesten Kenner und Experts täuschen könne; daß aber eine so einfältige, flache, schwerfällige Kopie wie dies Bild hier, Männern, die sich doch ihr ganzes Leben mit der alten Kunst befaßt und über hunderte und hunderte von Werken alter Meister ihr Urtheil der Welt zum besten gegeben haben, zu imponiren im Stande ist, das hätte ich mir wahrlich doch nie denken können. Armer unglücklicher Moretto, welchen Begriff muß sich das die Dresdner Galerie besuchende Publikum nach dieser Madonna von Caitone von deiner Kunst machen! Während du in deinen Bildern durch die so liebenswürdige, feine Harmonie deiner glänzenden Farben, durch den Adel der Form und die Eleganz der Bewegung alle Herzen zu fesseln verstehst, bist du in Dresden, am Hauptsammelplatze aller Kunstfreunde der Welt, verurtheilt am Pranger zu stehen, unter dem plumpen Aushängeschild einer einfältigen, blut- und knochenlosen, histerisch aussehenden Nonne[178] ! Nein, im Namen des edeln Brescianers protestire ich mit der ganzen Energie eines tief beleidigten Herzens gegen dieses unwürdige Plagiat auf den Meister. Daß diese alberne Frauengestalt da die Madonna von Caitone vorstelle, dagegen habe ich nichts einzuwenden, nur möge Herr Hübner meinen Rath befolgen, dieselbe fernerhin nicht mehr mit Moretto’s Madonna von Paitone zu verwechseln.

Besser als Alessandro Bonvicino, Moretto genannt ist der große Tizian, sein Zeitgenosse, in der Dresdner Galerie vertreten. Der Hübner’sche Katalog schreibt ihm nicht weniger als neun authentische Werke zu. Sehen wir uns gleich dieselben näher an.

Sein frühestes Bild unter diesen ist ohne Zweifel der weltberühmte „Zinsgroschen“, No. 222, bezeichnet Ticianus. (Fast alle Werke aus der Frühzeit des Meisters, bis etwa zum Jahre 1522–24, sind Ticianus und nicht Titianus bezeichnet.) Die Herren Cr. und Cav. setzen dieses Gemälde in’s Jahr 1508 (Vita di Tiziano, ecc.), Vasari dagegen in’s Jahr 1514. Ich meinestheils würde eher der Ansicht der Herren Cr. und Cav. als der des Vasari mich nähern[179]. Mir ist kein Bild Tizian’s bekannt, das mit solcher Sorgfalt und Liebe ausgeführt wäre, wie dieser edle, tiefempfundene Christuskopf.[180] Dieses Bild ist nach der van Eyck’schen Weise gemalt, was man z. B. noch an einer Stelle am Halse des Christus, wo die Lasur verschwunden ist, sehen kann. Man behauptet, der „Zinsgroschen“ wäre von Tizian für den Herzog Alphons von Ferrara gemalt worden – was ich dahin gestellt lassen will. Soviel scheint sicher zu sein, daß das Bild erst von Alphons IV. oder von Franz I. von Este angekauft wurde und auf diese Weise in die Galerie von Modena und sodann unter den „hundert Bildern“ nach Dresden kam.

Ein anderes, herrliches Gemälde aus der Jugendzeit des Meisters ist auch das Tafelbild, No. 223, worauf die Madonna mit dem Christkinde dargestellt ist, umgeben von den Heiligen Johannes dem Täufer, Hieronymus, Paulus und Magdalena. Trotz der argen Restauration noch immer ein Wunder leuchtender Farbe! Ich würde dieses jugendfrische, glanzvolle Werk Tizian’s ungefähr in die Epoche setzen, als er seine berühmte „Assunta“ für die Kirche von Sa. Maria gloriosa de’ Frari (jetzt in der Akademie von Venedig) malte, d. h. zwischen 1514–1520[181]. Das dritte Bild von Tizian, welches der Katalog anführt, stellt die h. Familie mit der Familie des Donator’s, Vater, Mutter und Sohn, dar, das Christkind anbetend. Sehr restaurirt, aber echt. Aus der reifen Zeit des Meisters. – Sodann folgt im Kataloge die auf einem Ruhebette liegende Venus, von Amor bekränzt und von einem lautenspielenden jungen Mann beliebäugelt, No. 225. Schon von Guarienti als Kopie betrachtet, ebenso von den Herren Cr. und Cav. Das Originalgemälde im Museum von Madrid: ein venezianischer Mieris, Metzu oder Terborch aus dem 16. Jahrhundert. So stieg der Begriff der Kunst in Europa allmählich von der Venus des Giorgione und des Botticelli – zu derartigen Tizianischen Venusbildern, und von solchen weiter zu denen des Mieris und Metzu herab, um endlich bei der Idylle des Adriaen van der Werff anzugelangen. Man hielt eine Zeitlang diese Venus für das Porträt einer Fürstin von Eboli und den Lautenspieler für Philipp II. Wahrscheinlich ist der junge Mann nichts anders als ein venezianischer Edelmann[a 35], der sich von Tizian neben seiner geliebten „cortigiana“ hat malen lassen.

Das Bildniß eines jungen Frauenzimmers in röthlicher Kleidung, No. 226, in den Händen eine Vase haltend, ist dermaaßen verputzt, verwaschen und verunstaltet, daß es in seinem gegenwärtigen Zustande nach gar nichts aussieht. Dagegen ziemlich wohl erhalten und edel aufgefaßt, ist das Porträt der vornehmen Dame im Trauerkleide, No. 227.

Den späten Jahren Tizian’s gehört das männliche Bildniß, No. 228, zu. Hinter dem Manne sieht man auf dem Gesimse eines Fensters eine Farbenschachtel; vom Jahre 1561. Tizian zählte also etwa 84 Jahre, als er dieses Bildniß malte. Wir wenden uns nun zu dem interessanten Porträt einer jungen, weißgekleideten Dame mit blonden Haaren, einen Fächer in der Hand haltend, No. 229. Dieses nämliche Porträt erblicken wir in der Belvederegalerie in Wien, meisterhaft von Rubens in’s vlämische übersetzt. Derselben Person begegnen wir, abgesehen von der Rubens’schen Kopie, auch noch in einem andern berühmten Gemälde Tizian’s in der Belvederegalerie. Es ist dies das weißgekleidete Mädchen von etwa 14 Jahren, das einen Knaben an der Hand führt, auf dem Bilde Tizian’s „Christus von Pilatus dem Volke gezeigt“ oder der „Ecce homo“, das im 2. Saale als No. 19 aufgestellt ist. Dies letztere Bild wurde im Jahre 1543 ausgeführt im Auftrage von Tizian’s Gönner, dem reichen vlämischen, in Venedig ansäßigen Kaufmann d’Anna (van Haanen). Auf unserm Dresdner Bilde hält die um etwa 11 bis 12 Jahre ältere Jungfrau ein Fähnlein in der Hand, welche Art von Fächern nur die Neuvermählten zu tragen pflegten[182]. Lavinia, denn dies Porträt ist kein anderes als das der Tochter Tizian’s, vermählte sich im Jahre 1555 mit Cornelio Sarcinelli von Serravalle[183] Offenbar in diesem Jahre ungefähr, aber nicht, wie die Herren Cr. und Cav. meinen, in dem Jahre 1546, ist dieses schöne Gemälde ausgeführt worden.

Dieselbe Lavinia nun sehen wir, ebenfalls von ihrem Vater gemalt, um etwa 15 bis 18 Jahre älter, im Bildnisse No. 231 dieser nämlichen Galerie. Tizian hätte also hier die wie eine vierzigjährige Dame aussehende und inzwischen häßlich gewordene Frau Sarcinelli etwa um 1570–72, also in seinem 94. Lebensjahre, noch einmal gemalt. Den Federwedel aber trugen nur die Adeligen in Venedig, und in der That dürfte Lavinia, als Tochter des vom Kaiser Karl V. zum Grafen, soll ich sagen erhobenen oder erniedrigten Meisters ? – auch als geadelt sich betrachtet haben. Nicht daß ich damit etwa eine Geringschätzung gegen die Grafenwürde an den Tag legen wollte; im Gegentheil, ich achte und schätze Grafen und Barone schon deßhalb, weil man unter ihnen gewiß ist, mehr gebildete und anständige Leute anzutreffen als unter der Schaar der Pluto- oder gar der Demokraten. Ich wollte eben nur sagen, daß für einen so großen Künstler, wie Tizian war, es eine Erniedrigung sein mußte, vom Kaiser mit dem gleichen Maaßstab gemessen zu werden, mit dem seine k. k. Majestät den Schwarm von Titelbettlern zu messen gewohnt war. In der politischen, officiellen Welt gilt allerdings ein Fürst mehr denn ein Graf, ein Graf mehr als ein Baron, aber in der Kunstwelt blieb und bleibt der Graf Vecellio doch immer nur ein Lump dem Künstler Tizian gegenüber.

Deutschland kann sich also rühmen, vier von Tizian gemalte Bildnisse seiner geliebten Tochter zu besitzen: erstens jenes, wo sie in dem berühmten Bilde des „Ecce homo“, in der Wiener Belvederegalerie, als etwa fünfzehnjähriges Mädchen dargestellt ist; dann die zwei soeben genannten der Dresdner Sammlung und endlich jenes idealisirte der Berliner Galerie, welches der Meister, wie es scheint, für seine Freundin Argentina Pallavicino von Reggio um 1549 malte (Gaye, II, 375).

Ich habe noch jenes Porträt einer Venezianerin zu erwähnen, das die Nummer 231 trägt. Die junge Dame hält in der Rechten einen Pelz mit Marderkopf. Herr Hübner hegt starken Zweifel an der Echtheit dieses Tizianischen Gemäldes; in der That hat dasselbe sehr gelitten und die Lasuren darauf sind fast ganz verschwunden. Nichtsdestoweniger glaube ich doch, daß es ursprünglich das Werk Tizian’s gewesen sei.

Von den Nachahmern Tizian’s ist in der Dresdner Galerie namentlich Polidoro veneziano gut, ja besser wie in jeder andern Galerie, vertreten. Die ihm vom Kataloge zugeschriebenen zwei Bilder, No. 265 und 266, sind nicht nur echt, sondern sie sind zugleich sehr charakteristisch für Polidoro, dessen Werke gewöhnlich andern Meistern zugeschrieben werden.

Das erstere stellt einen venezianischen Edelmann dar, der sein Kind der Madonna weiht, indem er dasselbe dem h. Joseph übergiebt; zur Rechten steht Magdalena, welcher das Kind ein Kränzchen reicht; im Hintergrunde der Schutzengel.

Im zweiten ist die „Verlobung der h. Catharina von Siena mit dem Christkinde im Beisein des h. Andreas“ dargestellt.

Zu Tizian’s Nachahmern gehört auch der dritte Bonifazio oder Bonifazio veneziano, welcher in seiner spätern Zeit, d. h. nach 1570, die Manier seiner Verwandten und Lehrer, Bonifazio I. und II., verließ und Tizian sich zum Vorbilde gewählt zu haben scheint. Das Bild No. 262, Maria mit dem Kinde, welches sich nach der h. Catharina wendet, im Beisein der Heiligen Antonius und Joseph, erscheint mir als Arbeit dieses Bonifazio veneziano aus seiner letzten Epoche. Schwach und verputzt.

Vom berühmten Bergamaskischen Porträtmaler, Giovan Battista Moroni und nicht Morone, wie Herr Hübner ihn nennt, finden wir unter Nummer 267 das Bildniß eines Mannes, die rechte Hand in die Seite gestützt, vom Jahre 1557, die beste Epoche dieses Meisters. Dies Porträt, wiewohl trefflich gemalt, ist jedoch höchst langweilig in der Auffassung und läßt den Moroni nicht im besten Lichte erscheinen.

Besser dagegen ist ein anderer Bergamaske, Andrea Previtali, in dieser Galerie vertreten. Sein Bild, Nummer 2388, gehört zu den neueren Acquisitionen und stellt die Madonna mit dem Christkinde und dem kleinen Johannes dar. Es ist bezeichnet: A . . . eas (Bergo) mensis, 1510; also vom Meister noch in Venedig gemalt, denn nur gegen Ende dieses Jahres kann derselbe die Hauptstadt verlassen haben und nach seiner Heimat Bergamo zurückgekehrt sein. Von 1511[184] bis 1525 sind alle seine Werke Andreas Previtalus bezeichnet, ein Beweis, daß er während dieser vierzehn Jahre sich in seiner Vaterstadt aufhielt. Graf Tassi (Vite dei pittori, scultori, etc. bergamaschi) behauptet Previtali sei um 1528 gestorben, ohne jedoch diese Angabe auf irgend einer Weise zu begründen. Das letzte bezeichnete Werk des Meisters trägt die Jahreszahl 1525 und ziert den fünften Altar rechts in der Kirche von S. Spirito in Bergamo. Es ist ein polypticon in zwei Abtheilungen: in der ersten oder unteren sehen wir in der Mitte Maria mit dem nackten Christkinde, rechts die Heiligen Monica und Lucia, links Catharina und Ursula, vor welcher letztern drei Jungfrauen knieend flehen, unterhalb der Maria liest man: Andreas Previtalus, 1525; in der zweiten oder obern Abtheilung steht in der Mitte der Erlöser, eine rothe Fahne in der linken Hand, auf beiden Seiten die Heiligen Johannes der Täufer, Bartolomäus, Petrus und der Apostel Jacobus. Diese obere Abtheilung ist nicht von der Hand des Previtali ausgeführt, sondern gehört einem grotesken bergamaskischen Maler an, dem Agostino da Caversegno, Schüler und Nachahmer des Lorenzo Lotto. Die Pestseuche hatte in den Jahren 1524 und 1525 viele Opfer auch in Bergamo gefordert, und meine Vermuthung, daß auch unser Previtali derselben erlegen, und daß somit die untere Hälfte des Polypticon als sein letztes Werk zu betrachten sei, möchte daher nicht ganz unbegründet sein. Und wäre es nicht möglich, daß Tassi, welcher Previtali erst 1528 sterben läßt, in irgend einem schriftlichen Dokument die Zahl 5 für eine 8 genommen hätte? Ich nehme nun an, daß das im Jahre 1525 von Previtali durch dessen plötzlichen Tod unvollendet gebliebene Polypticon später von Agostino da Caversegno zu Ende gebracht worden sei.

Die Herren Cr. und Cav. sprechen ferner von einem Monogramm (I, 279), das sich auf einigen Bildern Previtali’s finden soll; mir ist ein solches ganz und gar unbekannt. Auch war es mir nicht vergönnt, Einflüsse des Palma vecchio in irgend einem seiner Werke wahrzunehmen. In seinen Gemälden vom Jahre 1502 (beim Grafen Cavalli zu Padua) bis 1515 (das große Altarbild in der Kirche von S. Spirito in Bergamo: den Täufer auf einem Piedestal darstellend zwischen vier Heiligen) erscheint Previtali stets als ein getreuer, fleißiger und gewissenhafter Schüler und Nachahmer des Giovanni Bellini, etwas langweilig und leblos in der Auffassung und Darstellung, herrlich dagegen in der Farbe und lieblich in seiner Landschaft.

Als um die Mitte des Jahres 1515 Lorenzo Lotto in Bergamo sich niederließ, um sein großes Altarbild für die Kirche der Dominikaner auszuführen (jetzt in der Kirche von S. Bartolommeo aufgestellt), trachtete Previtali in mehreren seiner Werke aus jenen Jahren den Lotto nachzuahmen, und dies ist ihm so gelungen, daß gar manches Bild von ihm selbst von den Herren Cr. und Cav. dem L. Lotto zugeschrieben wurde[185], während doch das künstlerische Naturell des geistreichen, nervösen Trevisaner’s so grundverschieden von dem etwas philisterhaften Humor des Bergamasken ist!

Der Anonymus des Morelli fand kein einziges Werk von Previtali in den Sammlungen der Kunstfreunde von Venedig, während er doch mehrere von Palma vecchio und Giovanni Cariani daselbst anführt – ein Zeichen, daß Previtali’s Verdienste erst später zur Geltung kamen. Pater Lanzi jedoch, wahrscheinlich auf die Empfehlungen und übertriebenen Lobeserhebungen des Bergamasken Tassi hin, hat in seiner „Kunstgeschichte“ auch diesen Meister meiner Ansicht nach weit überschätzt, indem er ihn dem Palma vecchio fast gleichstellte. Allerdings ist Previtali in technischer Beziehung ausgezeichnet, und seine Gemälde stehen in der Leuchtkraft der Farbe keinem andern Schüler des Giambellino nach, auch sind die landschaftlichen Gründe seiner Bilder meist niedlich und musterhaft ausgeführt, allein dem guten Maler gehen die Haupteigenschaften eines großen Künstlers doch ab: Erfindungskraft und originelle Darstellungsgabe. Auch hat Previtali auf den Entwicklungsgang der venezianischen Kunst gar keinen, auf den der Lokalschule von Bergamo einen sehr geringen Einfluß ausgeübt. In den Galerien jenseits des Apennin würde man vergebens nach Werken des Andrea Previtali sich umsehen.

Weitaus der berühmteste von allen Bergamasken, und das verdientermaaßen, ist Jacopo Palma, genannt il vecchio, um ihn von seinem Großneffen, dem Jacopo Palma, il giovine, zu unterscheiden. Ueber die Stellung, welche dieser vorzügliche Maler in der Geschichte der venezianischen Kunst einzunehmen wohl berechtigt ist, habe ich schon bei Besprechung der Münchner Pinakothek meine Meinung gesagt. Es bleibt mir daher hier nur übrig, seine in diesen Sälen aufgestellten Gemälde zu besprechen. Aus seiner ersten, ziemlich farblosen Manier besitzt die Dresdner Galerie kein Bild[186], wohl aber einige treffliche Werke aus seiner zweiten und dritten oder blonden Manier.

Die s. g. „drei Schwestern“ (?) (No. 243) ist ein weltberühmtes Werk, leider aber durch die Restauration fast ungenießbar geworden. Die „Schwester“ rechts hat am meisten dabei zu leiden gehabt (Augen, Mund und Nase sind ganz und gar entstellt, so daß ihr Ausdruck dadurch unleidlich geworden ist). Dieses Bild befand sich im Jahre 1525 im Hause des M. Taddeo Contarini zu Venedig und wurde mit folgenden Worten vom Anonymus des Morelli (p. 65) in sein Notenbuch eingetragen: El quadro delle tre donne, retratte dal naturale insino al cinto, fù de man del Palma. (Das Bild mit den drei Frauen, nach dem Leben gemalt, ist das Werk des Palma.) Ein andres und zwar ganz vorzügliches Bild, das ebenfalls der nämlichen Epoche angehört, hängt unter Nummer 245 und stellt Maria mit dem Kinde dar; vor ihr Johannes der Täufer; beide halten eine beschriebene Rolle; zwischen ihnen die h. Catharina.

An der Grenze der dritten oder blonden Manier scheint die „Venus“ (No. 244) zu stehen. Dasselbe Frauenzimmer, das für die s. g. „Bella di Tiziano“ Modell gestanden, scheint dem Palma auch bei der Darstellung dieser s. g. Venus vorgeschwebt zu haben. Diese „Göttin der Liebe“ auf dem Bilde Palma’s ist übrigens nichts als ein gut gemaltes nacktes Weib. – Zur dritten oder s. g. blonden Manier des Meisters, etwa vom Jahre 1520 bis 1525, gehört das Gemälde No. 242. Es stellt das auf dem Schooße der Maria sitzende und den kleinen Johannes liebkosende Christkind dar; daneben Joseph und die h. Catharina.

Die vier eben genannten Bilder sind ohne allen Zweifel echte Werke des Palma vecchio; rechnen wir dazu noch das herrliche Idyllenbild, Jacob und Rahel, No. 218, so besitzt die Dresdner Galerie fünf Werke dieses großen, saft- und kraftvollen Malers. Keine Bildersammlung der Welt, mit Ausnahme der des Belvedere in Wien, kann sich in dieser Hinsicht mit der Dresdner Galerie messen.

Der Hübner’sche Katalog verzeichnet zwar noch zwei andere Gemälde unter dem Namen des Palma, allein, wie mir scheint, mit Unrecht. No. 241 stellt eine Frau dar, welche ihre rechte Hand auf einen Spiegel stützt; hinter ihr steht ein Mann. Dieses unbedeutende Bild kann offenbar nur einem der vielen Nachahmer des Palma angehören. Das andere Bild trägt die Nummer 246 und stellt Maria mit dem Kinde dar; ihr zur Seite Elisabeth und der kleine Johannes mit einer Rolle, worauf die Worte stehen: ecce agnus Dei. Vorn die h. Catharina und Joseph. Meiner Ansicht nach gehört dieses Gemälde dem zweiten Bonifazio an, dem nämlichen Meister also, welchem wir bereits die Anbetung der Könige (No. 219, im Katalog unter Giorgione’s Namen) zugeschrieben haben. Ich nehme hier die Gelegenheit wahr, meinen jungen Freunden Einiges über die Künstlerfamilie der Bonifazio im vorübergehen mitzutheilen.

Der älteste Schriftsteller, welcher einen Maler Bonifacio erwähnt, ist der Anonymus des Morelli (S. 62): In casa de M. Andrea di Odoni (zu Venedig) im Jahre 1532: la Transfigurazione de S. Paulo fù de man de Bonifacio Veronese. Im Jahre 1556 erschien das Werk des Francesco Sansovino: Dialogo di tutte le cose notabili che sono in Venezia etc., worin ebenfalls von einem Maler Bonifacio da Verona die Rede ist, und Anselmo Guisconi in seinem im nämlichen Jahre 1556 herausgegebenen Dialogo (betitelt: Tutte le cose notabili e belle che sono in Venezia) zählt zu den vorzüglichsten Malern des Jahrhunderts: Bonifacio da Verona, Giambellino, Giorgione, Pordenone, Tiziano, Paris, Tintoretto und Paolo Caliari. Selbst der Mailänder P. Lomazzo spricht nur von einem Bonifacio Veronese[187]. Andererseits sprechen Vasari[188] und nach ihm Ridolfi, Boschini und Zanetti nur von einen Bonifacio Veneziano.

Es gab also in den Augen all der eben genannten Schriftsteller nur einen Maler dieses Namens, nach dem einen in Verona, nach dem andern in Venedig geboren. Im Jahre 1815 machte Moschini in seiner „Guida di Venezia“ die richtige Bemerkung, daß es zwei Maler Bonifacio gegeben haben müsse, von denen der eine nach dem Necrologium der Kirche von S. Ermagora den 19. Oktober 1553 starb, der andere in Werken vertreten ist, welche mit dem Jahre 1558, ja selbst mit 1579, bezeichnet sind.

Endlich fand der jüngst verstorbene Dr. Cesare Bernasconi aus Verona[189] in einem Register der Brüderschaft, il Collegio genannt, welches sich im Archive der Kirche der Heiligen Siro e Libera von Verona befindet, daß der im Jahre 1523 in jene Bruderschaft aufgenommene Maler Bonifacio schon im Jahre 1540 verschied. Daraus ergiebt sich, daß es drei Maler dieses Namens gegeben hat, wovon der eine im Jahre 1540, der zweite 1553 starb, während ein dritter im Jahre 1579 noch künstlerisch thätig war.

Die zahlreichen Werke dieser drei Bonifazio haben unter sich eine gewisse Familienähnlichkeit, ungefähr wie auch die Malereien der gleichzeitigen Künstlerfamilie da Ponte, Bassano genannt, und sind nicht leicht von einander zu unterscheiden. Von den zwei älteren Bonifacio gehört jedoch meiner Ansicht nach der eine nicht nur zu den vorzüglichsten Künstlern der venezianischen Malerschule, sondern dürfte wohl als der glänzendste Colorist derselben bezeichnet werden. Als Künstler scheint er mir zwar in seiner heiteren Auffassung und in der leichten Grazie seiner Gestalten sein engeres Vaterland Verona nie verleugnet zu haben, als Techniker jedoch ist er durch und durch Venezianer und läßt in dieser Hinsicht gar keine Beziehung zu den Veronesen erkennen. Zwar sind die Akkorde seiner Farben weder so fein und überraschend wie bei Giorgione, noch so tief, ernst und kräftig wie bei Palma oder Tizian, noch so geistreich wie bei Lotto; aber durch ihren heitern, frohen, harmonischen Glanz üben sie doch einen ganz besonderen Zauber auf das Auge des Betrachters aus.

Der zweite Bonifazio, ein getreuer Nachahmer des eben Genannten, ging so sehr nicht nur in die Malweise, sondern selbst in die Denkweise des ersteren ein, vielleicht seines Bruders oder eines weiteren Verwandten, daß es fast unmöglich ist, die Hand des einen von der des andern zu unterscheiden, zumal in solchen Werken, an denen, wie ich mich überzeugt halte, beide gearbeitet haben. Solcher gemeinsamen Malereien der zwei älteren Bonifazio giebt es, wie es mir scheint, mehrere. Ihre Lebensverhältnisse dürften ungefähr folgende gewesen sein.

Die beiden älteren Bonifazio wurden in Verona, wahrscheinlich im letzten Decennium des 15. Jahrhunderts geboren und kamen sehr frühe schon nach Venedig in’s Atelier des Palma vecchio; beide waren Verwandte, vielleicht selbst Brüder; der eine ein eminentes Talent, der andere ein bloßer Nachahmer. Der dritte, jüngere Bonifazio, wahrscheinlich Sohn eines der zwei älteren, dürfte in Venedig das Licht der Welt erblickt und daher mit Recht Anspruch auf den Namen Bonifazio veneziano haben. Im Jahre 1568, als Vasari die zweite Auflage seines Werkes herausgab, lebte und wirkte nur dieser letztere Bonifazio, und es hatte somit der venezianische Berichterstatter des Aretiner’s nicht Unrecht, den lebenden Bonifazio, der allein ihm bekannt zu sein schien, einen Venezianer zu nennen; freilich muß ihm dabei der Vorwurf gemacht werden, von den zwei andern, doch weit bedeutendern Malern desselben Namens, keine Notiz genommen zu haben.

Nach dieser meiner Annahme hätte es also nicht nur einen, sondern zwei Maler Namens Bonifazio gegeben, die von Geburt Veronesen waren, und einer, vielleicht auch zwei Bonifazio, die, in Venedig auf die Welt gekommen, mit Recht als Venezianer angesehen werden dürfen.

Dagegen haben fast alle Kunsthistoriker bisher nur einen Maler Bonifazio anerkannt und diesem alle jene Bilder zugeschrieben, welche, wiewohl sehr ungleich im Werthe, doch eine gewisse Familienähnlichkeit zeigen. Die Verfasser zahlreicher Galeriekataloge, zumal in Italien, verwechseln, um ihrerseits das Maaß der Konfusion voll zu machen, den s. g. Bonifazio veneziano mit dem Bonifazio oder Facio Bembo, dem Hofmaler des ersten Francesco Sforza, einem Künstler, welcher zu Anfang der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts blühte, und nannten und nennen ihn darum noch immer, wie dies auch Herr Hübner thut, Bonifazio Bembi.

Facio Bembo, auch Facio di Valdarno genannt, welcher in Cremona (Kirche vom h. Augustinus), in Mailand, im Castell von Pavia und anderswo für die Sforza’s gemalt[190], hat gewiß weder eine künstlerische noch eine Familienbeziehung zu den Bonifazio von Verona gehabt. Es gab übrigens noch einen Benedetto Bembo, aus der Schule des Squarcione, von dem im Schloße von Torchiara (im Parmensischen) ein bezeichnetes Werk besteht. Ich rathe daher Herrn Hübner, in der nächsten Auflage seines Kataloges den Familiennamen Bembi lieber weglassen zu wollen. Die Malerfamilie der Bonifazio nun, aus deren Werkstatt nicht nur Antonio Palma, der Vater des jüngern Palma, sondern meiner Ansicht nach auch Polidoro Lanzani, Pol. veneziano genannt, hervorgingen, wirkte vom Anfange des dritten Decenniums an bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts, und zwar fast ausschließlich in Venedig. Zur bessern Unterscheidung der drei Maler Bonifazio, von denen allen bezeichnete Werke auf uns gekommen sind, welche die Jahre 1531 und 1579 umfassen, wollen wir für den künstlerisch bedeutendsten von ihnen den Namen Bonifazio (veronese) senior gebrauchen, für den zweiten Bonifazio (veronese) junior, den dritten aber Bonifazio veneziano nennen.

Bonifazio veronese senior wird schon von Ridolfi (Vite dei Pittori veneti, I, 369), und zwar, wie ich glaube, richtig, Schüler des Palma vecchio genannt. Mehr als schriftliche Dokumente sprechen für diese Angabe, so die Werke desselben, von denen die seiner Jugend sogar dem Palma gewöhnlich zugeschrieben werden, so unter andern das herrliche Bild bei Herrn Enrico Andreossi (Via Clerici, 2) zu Mailand. Dies köstliche, farbenreiche Gemälde stellt die sitzende Maria dar, mit dem Kinde und den kleinen Johannes, rechts von ihr der h. Hieronymus und der Apostel Jacobus, links die h. Catharina; Hintergrund Landschaft und Architektur. Im Hause Terzi in Bergamo woselbst ehedem das Bild sich befand, galt es als Werk des Palma vecchio, und als solches ist es auch von den Herren Cr. und Cav. beschrieben (II, 473), welche es sogar zu den „masterpieces“ des Bergamasken zählen. Von diesem Bilde besitzt die Akademie von Venedig (No. 365) eine Schulkopie, unter dem falschen Namen des Andrea Schiavoni. Ein nach meiner Ansicht noch früheres Werk ebendesselben Bonifazio hängt in der Bildergalerie der Ambrosiana in Mailand, unter dem Namen des Giorgione. Es stellt in der Mitte die h. Jungfrau dar, welche dem vom h. Joseph gehaltenen Christkinde eine Frucht darreicht; unterhalb der Madonna der kleine Johannes, zu ihrer Linken der Erzengel mit dem kleinen Tobias; Hintergrund Landschaft. In diesem reizenden Gemälde erinnert manches noch an den Lehrer Palma, so der h. Joseph, der Profilkopf des Erzengels, die Landschaft – allein der Typus des Madonnenkopfes ist hier schon derselbe, den wir im Bilde bei Herrn Andreossi gesehen, die Form des Ohres und der Hand ganz und gar die des Bonifazio senior. Auch treffen wir schon in diesem Bilde den diesem Meister ganz eigenthümlichen dunkelrothen Sammt, einen Stoff, den er fast in all seinen Gemälden anzubringen pflegt. Es ist dies das früheste mir bekannte Werk des Bonifazio senior. Die Herren Cr. und Cav. sind, beiläufig bemerkt, einer andern Ansicht; sie sagen zu diesem Bilde (II, 160): „this picture is by a modern, who studied many of his predecessors. The St. Joseph is in the fashion of Pordenone, the Madonna has the round fulness of Palma vecchio. But the painter, probably Calderara, is a coarse imitator“[191]. Ein anderes Jugendwerk dieses Bonifazio besitzt die Galerie Colonna (agli Apostoli) zu Rom, daselbst Tizian zugemuthet. Dasselbe stellt Maria dar, mit dem Christkinde in offener Landschaft sitzend, rechts von ihr die Heiligen Joseph und Hieronymus, links die h. Lucia und ein Engel. Im Palazzo reale zu Venedig (im s. g. Zimmer Napoleon’s I.) befindet sich ebenfalls ein gutes Bild dieses Meisters: Thronende Madonna mit dem nackten Christkinde, auf ihrem Knie stehend; links der kleine Johannes und die h. Barbara, rechts der h. Omobono, welcher einem Bettler Almosen darreicht – Hintergrund Landschaft und Architektur. Bezeichnet:
1533 – 9 noembre. –
Ebenso im Palazzo Pitti (No. 84): Maria und Kind, der kleine Johannes, die h. Elisabeth und der Donator; daselbst dem Palma vecchio zugeschrieben, von den Herren Cr. und Cav. (II, 489) aber als das Werk irgend eines Malers von Treviso oder von Friaul bezeichnet. – Auch die Dresdner Galerie scheint mir ein Bild unsers Bonifazio senior zu besitzen. Dasselbe stellt die „Findung Mosis“ dar, einen gar oft von den zwei ersten Bonifazio behandelten Gegenstand[192]. Leider ist dies noch immer glänzende, farbenreiche Gemälde von unbarmherziger Hand gereinigt und dabei seines Glacis beraubt worden[193]. In spätern Werken ist es indeß nicht immer leicht, ja zuweilen wohl unmöglich, die Hand des Bonifazio senior von der Hand des Bonifazio junior zu unterscheiden, namentlich in solchen Gemälden, die, wie ich zu vermuthen Ursache habe, von beiden in Gemeinschaft ausgeführt wurden; so, um einige Beispiele hier anzuführen in der berühmten „Findung Mosis“ der Breragalerie in Mailand, in dem „Urtheile Salomon’s“ (No. 55), in der „Anbetung der Könige“ (No. 57, aus dem Jahre 1533) und der „Ehebrecherin vor Christus“ (No. 50) der Akademie von Venedig, in der „Predigt des h. Antonius von Padua“ in der kleinen Franciscanerkirche von Camposampiero im Paduanischen. Alle die eben genannten Bilder zeichnen sich durch dieselbe Leuchtkraft der Farbe aus; auch begegnen wir in denselben dem nämlichen Typus männlicher und weiblicher Köpfe, so daß man schwerlich darin die Hand zweier Maler vermuthen sollte. Vergleiche ich jedoch die Handzeichnungen dieser zwei Veroneser Bonifazio, deren ich selbst mehrere zu besitzen das Glück habe, mit einander, so ergiebt sich, daß der eine von ihnen ein viel größerer Meister war als der andere. Während der letztere alle seine Formen in die Länge zieht und dabei in seinen Umrissen unsicher umherschwankt, stehen die Gestalten des ersteren klar und lebendig vor unsern Augen, die Licht- und Schattenpartieen sind scharf von einander getrennt, die Formen neigen mehr zum Vollen und Runden hin. Um diese Verschiedenheit in den Formen, z. B. des Ohres, nicht nur bei den zwei Veronesen Bonifazio, sondern auch bei ihrem Lehrer, dem Palma vecchio, meinen jungen Freunden klarer zu vergegenwärtigen, theile ich hier in Umrissen die Ohrform bei Palma (I) mit, dann die Ohrform bei Bonifazio senior (II), und sodann die Form des Ohres, der wir sowohl in denjenigen Gemälden begegnen, welche ich für Werke des Bonifazio junior halte, als auch in solchen, welche, wie ich vermuthe, von den beiden älteren Bonifazio in Gemeinschaft ausgeführt sind (III).
Palma vecchio (I).       Bonifazio senior (II).       Bonif. junior (III).

Dem Bonifazio junior gehören nach meiner Ansicht ausschließlich folgende, Jedem leicht zugängliche Bilder an:

In der Breragalerie zu Mailand das „Gastmahl von Emmaus“ (No. 211); in der Akademie von Venedig „Christus unter den Aposteln“ (No. 516), Christus, auf einem Throne sitzend, rings um ihn David und die Heiligen Marcus, Lodovicus, Domenicus und Anna; unterhalb des Thrones ein Engel mit der Zither, mit dem Jahre 1530 bezeichnet (No. 505); im Palazzo Pitti No. 405, „Christus im Tempel“; in der Galerie degli Uffizi das „Gastmahl von Emmaus (1037)[194]; in der Borghesegalerie die „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ (Saal 11) u. a. m.

Auch in der Dresdner Galerie finden wir von diesem jüngern Bonifazio einige Bilder, so die schon besprochene „Anbetung der Hirten“ (No. 219, unter dem Namen des Giorgione), ferner (unter dem Namen des Palma vecchio): „Maria mit dem Kinde“ (No. 246); ihr zur Seite Elisabeth und der kleine Johannes; vorn die h. Catharina und Joseph. Ich habe bei diesen unsern Studien schon öfters Gelegenheit gehabt, meine jungen Freunde zu warnen, die Bestimmung und Bezeichnung eines Kunstwerkes bloß vom Gesammteindruck, den dasselbe zufällig auf den Beschauer macht, oder von der Mache, die man in demselben zu erkennen glaubt, abhängen zu lassen, wobei ich an Beispielen zu beweisen versucht habe, wie leicht es selbst einem sehr geübten Kennerauge begegnen könne, in Ermangelung einer bestimmten, sicheren dem Urtheile zu Grunde liegenden Methode, die Werke des Lehrers mit denen seiner bessern Schüler, und umgekehrt, zu verwechseln. Wir haben bei Besprechung des schönen Bildes dieser Galerie, „Jacob und Rahel“ (No. 218), gesehen, wie die Herren Cr. und Cav. den Palma vecchio für dessen Schüler Giovanni Busi, Cariani genannt, genommen haben, und so möchte ich hier noch darauf aufmerksam machen, wie dieselben berühmten Historiographen nicht selten Bilder eines andern Schülers des Palma, nämlich des Veronesers Bonifazio, für Werke des Lehrers selbst angesehen haben. Zwei Beispiele aus deutschen Bildersammlungen mögen dafür genügen. In der Galerie von Stuttgart befinden sich zwei Bilder, No. 14 und 329, welche beide im dortigen Kataloge dem Palma vecchio zugeschrieben sind und von den Herren Cr. und Cav. ebenfalls in ihrem Inventarium der Werke des Palma als solche verzeichnet stehen (II, 484). Das erstere derselben stellt die h. Jungfrau mit dem Christkinde in offener Landschaft dar; dabei der kleine Johannes, die Heiligen Joseph, Elisabeth und Catharina. Trotz der starken Uebermalung scheint mir nicht unschwer in demselben die Hand und die Weise des Bonifazio senior erkennbar. Das andere trägt die Nummer 329: Madonna mit dem Kinde zwischen den Heiligen Petrus und Johannes dem Täufer – Hintergrund Landschaft. Uebermalt und sonst auch beschädigt, doch, meiner Meinung zufolge, immer noch als Werk des Bonifazio, und zwar des junior, erkennbar. – Außer der Form des Ohres ist bei diesen zwei Schülern des Palma auch die Form der Hand verschieden von der des Lehrers. Die Hand bei Palma vecchio ist stets knöcherner und somit mehr quattrocentistisch, wenn ich mich so ausdrücken darf, als bei seinen Schülern. Die Hand bei den Bonifazio veronesi ist mehr aufgedunsen, schwammig, die Finger sind mehr zugespitzt, als bei Palma vecchio. Bei Cariani ähnelt die Hand zwar derjenigen der Bonifazio, ist aber klotziger und derber. Wie auf den Bildern des Vincenzo Catena oft ein bolognesisches langhaariges, weißes Hündchen vorkommt, so bringt Bonifazio senior nicht selten ein roth und weiß geflecktes Schooßhündchen in seinen Gemälden an.

Der Madonnentypus des Cariani ist bäurisch, allein energischer, ernster, weniger weltlich als der des Bonifazio veronese, dessen heilige Jungfrauen und Märtyrerinnen mit ihrem sanften, süßen Ausdrucke und ihrer weichen Anmuth nicht selten an’s Sentimentale streifen. Auch in der Harmonie ihrer Farben sind sie verschieden: der Bergamaske kernhaft und kräftig, oft aber schwer und dunkel – der Veronese hell, lieblich und glänzend. Bonifazio’s Landschaften gehören zu den heitersten unter denen der Venezianer – jene auf den Bildern des Cariani sind bräunlich und von unschönen Linien.

Dem dritten oder Bonifazio veneziano gehören unter andern alle jene Figuren von Heiligen an, je zwei und zwei gruppirt, deren wir mehreren in den Kirchen Venedigs begegnen; so auch in der venezianischen Pinakothek:

No. 26, die Heiligen Hieronymus und Margaretha;
No. 28, die Heiligen Bruno und Catharina;
No. 29, die Heiligen Barnabas und Sylvester[195];
No. 34, die Heiligen Antonius und Marcus.

Alle diese Bilder sind vom Jahre 1562, gehören also in die jugendliche Epoche dieses Meisters, welcher etwa zwischen den Jahren 1525 und 1530 geboren sein muß. Ich kenne bezeichnete Bilder von ihm aus den Jahren 1558[196] und 1563, welche alle noch das Colorit und die Art und Weise der ältern Bonifazo zu erkennen geben. In Gemälden aus seiner spätern Zeit, z. B. in seinem guten Kirchenbilde (jetzt in der Akademie von Venedig, No. 483): die h. Jungfrau in den Lüften, unten die Heiligen Franciscus, Clara, Petrus, Paulus und Jacobus, König von Aragon, sieht man deutlich, wie er manchmal auch seinen großen Zeitgenossen Tizian nachzuahmen strebte.

Das Atelier dieser Künstlerfamilie war während des 16. Jahrhunderts fast ebenso thätig, wie dasjenige der Bassano, und in den meisten Kirchen Venedigs, sowie in fast allen öffentlichen und Privatsammlungen Italiens begegnet man Gemälden, welche den Stempel der Bonifazio an sich tragen. – Von diesen gehen manche auch unter dem Namen des Andrea Schiavone.

Von einem Jüngern Zeitgenossen, welcher in einer gewissen Epoche seines Lebens auch Nebenbuhler Tizian’s war, dem energischen, großartigen, wiewohl zuweilen nicht recht gehaltvollen Jacopo Robusti, Tintoretto genannt (1518 geboren), finden wir in Dresden sehr gute und charakteristische Werke. Mit Ausnahme der Wiener Belvederegalerie wüßte ich diesseits der Alpen in der That kaum eine Sammlung zu nennen, welche so treffliche Gemälde dieses Meisters besäße.

Der jüngere Jacopo Palma ist ebenfalls ziemlich gut vertreten, doch gehört keines dieser Bilder der Jugend des Meisters an, in der er mehr versprach, als er später hielt. Von seinem Vater Antonio, dem Neffen des Palma vecchio, besitzt, wie schon oben bemerkt, nur eine Gemäldesammlung Deutschlands beglaubigte Werke, nämlich die Galerie von Stuttgart. Ein Bild in jener Galerie stellt „Christi Auferstehung“ dar, mit einem landschaftlichen Hintergrunde, und ist bezeichnet: ANTONIVS PALMA. P. Dieses Gemälde, welches ganz und gar an die Schule der Bonifazio erinnert, liefert uns den Beweis, daß das freundschaftliche Verhältniß, das zwischen den zwei Veronesern Bonifazio und ihrem Lehrer Palma vecchio, Onkel des Antonio, bestanden, sich auch auf seinen Neffen verpflanzt hatte. Von diesem Antonio Palma ist mir nur noch ein bezeichnetes Werk bekannt; dasselbe hängt in der Sacristei der Pfarrkirche von Serinalta, dem Heimathsorte der Palma, im Bergamaskischen Gebirge, und gehört der spätern Epoche des Malers an.

Von dem glänzenden, zuweilen auch höchst feinen und gediegenen[197] Paris Bordone aus Treviso finde ich in dieser Galerie vier Werke, No. 255, 256, 257 und 258, die zwei letztern nur dubitative ihm zugeschrieben. Unter diesen vertritt nur No. 256 den Meister in würdiger Weise.

No. 255 stellt Apollo und Marsyas dar, No. 256 Diana mit dem Wurfspieße in der Hand und zwei Jagdhunden; eine Nymphe reicht ihr den Kopf eines Hirsches.

No. 257 „Maria, welche das vor ihr liegende Kind anbetet“, erinnert mehr an die Art und Weise des Polidoro Lanzani, als an die des Bordone.

Einem Landsmann von Paris Bordone, dem Trevisaner Rocco Marconi, Schüler des Palma vecchio[198] und später des Paris, wird im Dresdner Kataloge ein Bild zugeschrieben, welches diesem Maler jedoch nicht angehört. Dasselbe trägt die Nummer 251 und stellt den „kreuztragenden Christus“ dar. Meiner Ansicht nach ist dies Gemälde das Werk des wenig bekannten Francesco Prato von Caravaggio, eines Schülers von Girolamo Romanino aus Brescia. Von diesem übrigens sehr untergeordneten Maler sieht man Bilder – es sind dies seine besten – in Brescia in den Kirchen von S. Francesco, von S. Rocco (daselbst dem Calisto da Lodi zugeschrieben) und S. Agata und ebenso in mehreren Privatsammlungen jener Stadt, meistens jedoch unter besser klingenden Namen den Besuchern vorgestellt.

Das dem Domenico Campagnola zugemuthete Decorationsbild, No. 260, „die Freigebigkeit“ betitelt und grau in grau gemalt, dürfte wohl eher als Atelierbild des Bonifazio angesehen werden. Domenico Campagnola ist derjenige unter den Venezianern, welcher vielleicht am meisten mit Tizian verwechselt wird, zumal in seinen Handzeichnungen. So besitzt nicht nur die hiesige sowie die Uffizisammlung mehrere Handzeichnungen von ihm unter Tizian’s Namen, sondern sogar im sonst sorgfältigen Kataloge des Herrn Reiset über die Sammlung des Louvre in Paris trifft man Handzeichnungen des Domenico Campagnola an als dem Tiziano Vecellio zugedacht, so unter andern die gute Federzeichnung: „das Urtheil des Paris“[199], welche meiner Ansicht nach in ganz unverkennbarer Weise die Hand des D. Campagnola verräth. Auch in der Sammlung des British Museum dürften die Zeichnungen unter den Nummern 138 und 136 im Braun’schen Kataloge wohl eher dem Campagnola als Tizian angehören. Auf der ersteren sind zwei liegende Männer bei einem Dorfe, auf der anderen sind Kinder dargestellt.

Von dem heitern und wenn auch nicht großartigen, so doch stets würdevollen Paolo Veronese, diesem liebenswürdigen, zwar manchmal spanisch-prunkhaften, allein nie unedeln Commödiendichter, besitzt die Dresdner Galerie vier seiner besten Bilder, von denen zwei zudem auch trefflich erhalten sind. Wohl in keiner öffentlichen Sammlung der Welt, selbst die des Louvre und die Venedigs nicht ausgenommen, ist Paolo Caliari so gut vertreten wie hier. Beiläufig bemerke ich, daß die Skizze zum Bilde No. 301, worauf die Familie Cocina dargestellt ist, wie sie von den allegorischen Gestalten der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung der Madonna empfohlen werden, in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizigalerie zu Florenz sich befindet, dort unter Tizian’s Namen[200].

Die h. Familie, No. 318, wird von Herrn Hübner dem Sohne Paolo’s, dem Carletto Caliari, zugeschrieben; der verstorbene Guarienti hatte jedoch meiner Ansicht nach nicht so ganz unrecht, wenn er darin die Hand Gabriel’s, des Bruders von Carletto, wahrnahm. Es ist sehr schwer, ja wohl unmöglich, in den Atelierwerken des Paolo Veronese die verschiedenen Hände, die daran gearbeitet, genau zu erkennen und von einander zu unterscheiden.

„Dunque come da me disegnato, (schreibt Benedetto Caliari an seinen Gönner Giacomo Contarini[201] da Carlo abatiato (untermalt) e da Gabriel finito, prego lo accetti, e lo vegga come genio suo, concetto nelle nostre menti.“ Bei der Bestimmung des Frauenbildnisses, No. 322, scheint Herrn Hübner ein anderes Versehen begegnet zu sein. Fasolo, welcher dieses sehr verputzte Frauenporträt gemalt, war nämlich Zeit- und Kunstgenosse des Paolo Veronese und hat gemeinschaftlich mit ihm auch öfters al fresco gemalt. Dieser Fasolo hat aber gar nichts zu schaffen mit dem Pavesen Bernardino Fasolo, einem Zeitgenossen und Nachahmer des B. Luini und des P. F. Sacchi. Giovan Antonio Fasolo war aus Vicenza; seine Grabschrift in der Kirche von S. Lorenzo daselbst lautet:

JOANNIS. ANTONII. FASOLII.
PICTORIS. EXIMII. HAEREDVM.
Q. SVORUM. VIXIT. ANN. XLII.
OBIIT. X. CALEN. SEPT. MDLXXII.

Dem Giuseppe Porta (Salviati genannt) aus Garfagnana gehört der „von Engeln beweinte todte Christus“ an (No. 326). Pater Lanzi citirt[202] dieses Werk als eines von den hundert von Modena nach Dresden gekommenen Bildern; doch, wie es scheint, ohne genügenden Grund.

Der betende h. Franciscus, No. 328, ist schwerlich von Girolamo Muziano, sondern eher Arbeit eines Bolognesen.

Noch will ich bemerken, daß das gute Bild des Luca Carlevaris (No. 384) „die Ansicht der Stadt Venedig, mit der Landung eines Fürsten“, eine angemessenere Aufstellung im Erdgeschosse neben den Bildern seines Schülers Antonio Canal und denen seines Großschülers B. Belotti, gefunden hätte, als oben im letzten Zimmer mitten unter dem Auswurfe der Galerie. – Auch kann ich nicht umhin, das treffliche Frauenporträt, No. 428, hier zu erwähnen, das ohne den Namen seines Autors an der Wand hängt. Wer in Venedig gewesen, erinnert sich gewiß noch jener komischen Darstellungen aus dem Leben der Venezianer des vorigen Jahrhunderts, wie man sie sowohl im Museo Corrèr, als im kleinen Zimmer der Contariniabtheilung in der Akademie von Venedig findet, und es wird ihm somit der Name des Pietro Longhi nicht fremd klingen. Dieses Frauenbildniß gehört meiner Meinung nach ebenfalls diesem Goldoni unter den Malern an.

Mit Pietro Longhi stirbt fast die Kunst der Venezianer aus, nachdem sie leuchtend am Himmel ihre Parabel durchzogen hatte. Mit der Kunst aber verschwindet zugleich der Venezianer. Venedig ist vor Altersschwäche zusammengebrochen. Seine Paläste stehen zwar noch aufrecht, aber verlassen und traurig, der schönen Muschel des Nautilus gleich, in deren silberne Wölbung allerlei fremdes Gethier sich eingenistet hat. Das Menschengeschlecht, welches die Wunderstadt erbaut und würdig war, darin zu hausen, ist dahingegangen, und mit demselben verschwand auch die hehre Kunst, verschwand die politische Weisheit, die, beide vereint, dereinst Venedig geschaffen und zu dem, was es war, gemacht hatten.




3. Die Lombarden.

Die lombardische Malerschule im eigentlichen Sinne des Wortes ist in der Dresdner Galerie kaum vertreten, denn die wenigen Bilder, welche derselben angehören, sind der Erwähnung kaum werth.

Der älteste Repräsentant der mailändischen Malerschule, den wir hier vorfinden, ist das Ambrogio Borgognone zuerkannte Temperabild auf Leinwand, No. 150. Es stellt die Mutter Gottes dar in weißem Gewande und betend vor dem Christkind; oben Gottvater in einer Engelglorie. Auch die Herren Cr. und Cav.[203] geben dieses schwache Werk dem Ambrogio da Fossano, aber mit großem Unrecht. Der Maler dieses Bildes war wohl Zeitgenosse, vielleicht auch Mitschüler des Ambrogio Borgognone unter Vincenzo Foppa, steht aber an Bedeutung weit unter ihm. Es ist Ambrogio Bevilacqua. Bezeichnete Werke von ihm sind in der Breragalerie und in der Pfarrkirche von Landriano, unweit Mailand.

Ein anderer Lombarde ist der Autor der „Herodias, mit dem Haupte von Johannes dem Täufer“ (No. 131). Es ist ein schwacher Geselle aus der von Leonardo da Vinci beeinflußten Mailänder Schule. An Marco d’Oggionno ist hier nicht im entferntesten zu denken.

Herr Hübner rechnet auch den Michelangelo von Caravaggio zur lombardischen Schule, doch wohl nur, weil Caravaggio, der Geburtsort des Amerighi, jetzt zur Lombardei gehört. Allein zur Zeit des Michelangelo war alles Land jenseits der Adda der Republik Venedig zugehörig. Doch das hat hier nichts auf sich, da Michelangelo Amerighi als Maurerjunge nach Rom kam und dort erst zum Künstler ausgebildet wurde. Er gehört demnach der s. g. römischen Malerschule an. Die Dresdner Galerie besitzt einige sehr gute und charakteristische Stücke von diesem Hauptrepräsentanten der s. g. tenebrosi oder Finsterlinge. Nach ihm hauptsächlich bildete sich Ribera aus.

Auch von Alessandro Magnasco, Lissandrino in Mailand genannt, wo derselbe seine Lehrjahre durchmachte und woselbst er auch hauptsächlich seinen Wirkungskreis fand, besitzt Dresden vier gute Stücke, von denen zwei, No. 198 und 199, schon seit 1741 der Galerie angehören, zwei andere aber eine Acquisition neuesten Datums sind (1875). Sie hängen unter den Nummern 2413 und 2414 und werden im Kataloge als Werke des Salvator Rosa bezeichnet. Es ist sehr zu bedauern, daß die herrliche alte mailändische Schule mit ihrem Vincenzo Foppa, ihrem Bramantino, ihrem Borgognone und Luini und Gaudenzio Ferrari, ihrem Boltraffio, Andrea Solario, Cesare da Sesto und Giampietrino u. a. m. in einer Galerie von der Bedeutung der Dresdner so ganz und gar nicht vertreten sind. Es wäre daher, meine ich, eine schöne Aufgabe für die Direktion dieser Pinakothek, das Versäumte in Zukunft gut zu machen und diese Lücke auszufüllen.




4. Die Toskaner.

Wir beginnen unsere Studien der Werke toskanischer Meister mit dem interessanten Rundbilde, No. 21, eine h. Familie darstellend[204]. Dieses kostbare Gemälde wurde von den Herren Hübner und Gruner 1860 in London aus dem Nachlasse des Kunsthändlers Woodburn erstanden, und zwar als Werk des Luca Signorelli, welchen Namen es auch in Dresden beibehalten hat. Herr Hübner bemerkt in seiner interessanten Vorrede zum Kataloge (S. 50), daß die Staffeleibilder des Signorelli zu den größten Seltenheiten selbst in Italien gehören. Allein Italien besitzt heute noch an zwei Dutzend Bilder von diesem großen Meister, so viel sind wenigstens mir dort bekannt geworden (in Mailand, Florenz, Cortona, Perugia, la Fratta, Città di Castello, Urbino und anderwärts). Diese „größte Seltenheit“ der Bilder des Signorelli ist also sehr relativ und cum grano salis zu nehmen. So viel kann man allerdings eingestehen, daß für denjenigen, welcher in diesem Rundbilde den Geist und die Hand des Luca Signorelli erkennen konnte, die echten Werke dieses Künstlers als sehr selten, selbst in Italien, erscheinen mußten. In der That sind die Staffeleibilder von Pier di Cosimo, welchem Meister dieses Rundbild ohne allen Zweifel angehört, selbst in Italien sehr selten anzutreffen, noch mehr aber seine Freskogemälde. Die in der Sixtinischen Kapelle zu Rom befindlichen ausgenommen[205], sind mir solche völlig unbekannt geblieben. Mögen alle Kunstforscher dieses Rundbild sich genauer ansehen und dasselbe sodann mit den Bildern des Pier di Cosimo der Berliner Galerie, der Stanza del Conservatore im florentinischen Findelhause und der Galerie degli Uffizi daselbst vergleichen, und ich zweifle nicht, daß sie insgesammt die Ansicht des verstorbenen Woodburn und der lebenden Herren Hübner und Gruner, Cr. und Cav.[206] verlassen und der meinigen beitreten werden, welche übrigens auch die des gründlichen italienischen Kunstforschers, Herrn Dr. Gustavo Frizzoni aus Bergamo, ist. Zur Entschuldigung der Andersdenkenden muß übrigens bemerkt werden, daß der häßliche gelbgewordene Firniß, der dieses Gemälde bedeckt, den Anblick der schönen, dem Pier di Cosimo ganz eigenthümlichen Farbe unmöglich gemacht hat.

Von einem andern großen Toskaner des 15. Jahrhunderts, dem Florentiner Alessandro Botticelli, weist der Hübner’sche Katalog nicht weniger als sechs Werke auf, und zwar zunächst: No. 25, den Evangelisten Johannes, und No. 26, Johannes den Täufer darstellend. Diese zwei geistlosen Köpfe sind wohl Arbeiten eines Schülers oder Nachahmers des Botticelli[207], können aber doch unmöglich dem nämlichen großen Meister angehören, der „das Wunder des h. Zenobius“ (No. 26a) gemalt hat. In dieser bewegten, höchst dramatischen Darstellung erkenne ich ganz den geistreichen, eminenten, zuweilen jedoch gar zu excentrischen „Sandro“ mit allen seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Gebrechen. Dieses treffliche Tafelbild gehört ungefähr derselben Epoche des Meisters an, in der auch der liebenswürdige kleine h. Hieronymus der Uffizigalerie, N. 1179 (daselbst thörichterweise noch immer dem Fra Filippo zugetheilt) entstanden sein mag. Solcher dramatischer Szenen aus der christlichen Mythologie hat Botticelli mehrere zur Darstellung gebracht. So in einigen Täfelchen die Geschichte der Esther. Diese Bildchen befanden sich vor Jahren unter dem falschen Namen des Filippino Lippi im Hause Torreggiani zu Florenz, von wo sie nach Frankreich verschachert wurden; durch die Restauration sind sie sehr hart mitgenommen worden. Auch die herrliche Darstellung „la calunnia d’Apelle“ der Uffizigalerie, No. 1288, gehört in die Kategorie solcher dramatischer Bilder des Sandro, und ebenso die vorzügliche Darstellung in sechs Akten, des Todes der römischen Virginia, bei Herrn Giovanni Morelli in Mailand. In allen diesen dem feurigen, dramatischen Geiste des Botticelli ganz entsprechenden Darstellungen wird man mit dem Meister viel besser vertraut, als in seinen Madonnenbildern. Ich kann daher nicht begreifen, wie die Direktion der Dresdner Galerie dies köstliche Bild des Botticelli in das zweite Stockwerk hat verbannen können, statt es unten neben die Werke des Lorenzo di Credi aufzuhängen an Stelle der nichtssagenden Bilder unter dem Namen des Lippi, Raffaellino del Garbo u. a., die dort Ehrenplätze behaupten. Allerdings – de gustibus non est disputandum.

Dem Alessandro Botticelli gehört ebenfalls das „Temperabild“[208] mit der Maria, dem Kinde und dem kleinen Johannes; seiner Schule, und nicht ihm selbst muß dagegen das andere kleine Rundbild mit der Madonna, dem Kinde und Engeln (No. 27) angewiesen werden. Es ist Kopie nach einem Bilde des Meisters. Ueber das sechste Botticelli’sche Werk der Dresdner Galerie (No. 28) habe ich mich schon bei Besprechung der Bilder des Jacopo de’ Barbari ausgesprochen.

Gehen wir nun an die Betrachtung eines Gemäldes von einem andern großen florentinischen Meister und Zeitgenossen Botticelli’s, welches, dem Hübner’schen Kataloge zufolge, diese Galerie besitzen soll. Dasselbe trägt die No. 29, stellt die „Geburt des Heilandes“ dar und wird dem Domenico del Ghirlandajo oder Dom. Bigordi (nicht Curradi) zugeschrieben. Für diesen großen Maler ist dieß Bildchen doch wahrlich viel zu gering; geben wir es daher mit den Herren Cr. und Cav. der Schule des Mainardi, dem Schwager und Nachahmer des Ghirlandajo.

Die zwei interessanten Längstafeln, No. 41 und 42, von denen die erstere dem Franciabigi, die andere dem Bacchiacca angehört, hängen leider zu hoch und überdem in so schlechter Beleuchtung, daß man sie gar nicht recht genießen kann. Das Monogramm F. C. R. bedeutet Franciscus cristofori (filius). Cristoforo war nämlich der Name des Vaters von Francesco (Francia) Bigi.

In dessen Schule trat Francesco Ubertini, Bacchiacca genannt, nachdem er vorher einige Zeit lang als Lehrling im Atelier des Pietro Perugino zugebracht hatte. – Diese zwei Längstafeln wurden im Jahre 1523 für den reichen Florentiner Benintendi gemalt. In jener Zeit mochte Bacchiacca etwa 28 oder 30 Jahre zählen. Ubertini starb nicht schon im Jahre 1557, wie im Kataloge angegeben ist, sondern etwas später. Ich habe diesem bisher wenig beachteten, nicht uninteressanten florentinischen Maler einige Seiten in meinem Aufsatze über die Borghesegalerie gewidmet[209] und verweise somit meine jungen Freunde darauf, wenn sie mit diesem Meister näher bekannt zu werden wünschen.

Wir wenden uns nun zu den Werken des unsterblichen Andrea del Sarto. Herr Hübner läßt diesen Künstler in Gualfonda auf die Welt kommen und in Florenz sterben. Nun ist aber Gualfonda, d. h. Valle fonda (Hohlthal), ein Stadttheil von Florenz und keine besondere Ortschaft, wie doch Herr Hübner anzunehmen scheint.

Das trefflich komponirte Bild, No. 43, auf welchem die Verlobung der h. Catharina mit dem Christkinde im Beisein der h. Margaretha dargestellt ist, wurde leider durch Restaurationen sehr arg entstellt, wenn auch nicht so, daß man den Meister darin nicht mehr erkennen könnte. Dies Gemälde mag ungefähr in den Jahren 1512–1515 entstanden sein. Im Kataloge ist das Monogramm so angegeben, als ob es von zwei verschlungenen V gebildet wäre; auf dem Bilde selbst jedoch sind die beiden V durch zwei Querstriche zu zwei A gestaltet, so daß diese zwei verschlungenen Buchstaben A den richtigen Namen des Andrea del Sarto bilden, nämlich Andrea Angeli (Sohn des Angelo); Angelo ist der Name seines Vaters, eines Schneiders (Sarto) von Profession. Die florentinischen Kommentatoren des Vasari (Le Monnier Ausgabe) geben dies Bild dem Domenico Puligo, einem Schüler und Nachahmer des Andrea, und zwar, wie ich vermuthe, bloß auf die Autorität des Herrn Hirt hin. Die Herren Cr. und Cav. erklären es dagegen richtig für ein echtes Werk des Andrea del Sarto (III, 581), ja die berühmten Historiographen finden es selbst „very rich and sfumato in colour“ und aus der Zeit stammend, als Andrea den Fra Bartolommeo nachahmte.

Das zweite Bild des del Sarto in der Dresdner Galerie stellt „das Opfer Abrahams“ dar (No. 44) und ist eines von den hundert aus der Modenagalerie ausgewählten Bildern.

Im Jahre 1633 hing dasselbe noch in der Tribüne der Florentiner Galerie, wohin es, wie die Herausgeber des Vasari berichten, aus der Sammlung des Alfonso Davalos gekommen zu sein schien. Sodann wurde es gegen die „Ruhe auf der Flucht“ des Correggio eingetauscht und kam in die Modenagalerie. Ohne jenen Tausch wäre die Dresdner Galerie wahrscheinlich um einen Correggio reicher und um einen Andrea del Sarto ärmer. Es befindet sich nun im Museum zu Madrid ein diesem ganz ähnliches Bild, daselbst ebenfalls dem Andrea zugeschrieben (No. 387, es ist 98 Centimeter hoch u. 69 Cent. breit); im Hintergrunde jenes Bildes sieht man zwei Diener des Abraham, der Beschreibung des Vasari entsprechend (Vol. 8, 289), „vi erano, oltreciò, certi servi ignudi che guardavano un asino che pasceva“ d. h. es waren dort überdies einige nackte Diener, die einen weidenden Esel hüteten. Wir hätten also zwei Bilder des A. del Sarto, die den nämlichen Gegenstand darstellen, das eine in Dresden, 7 Fuß hoch und 5 Fuß breit, das andere viel kleinere zu Madrid. Beide sollen nach den Ansichten der verehrlichen Verfasser der respektiven Galeriekataloge Originalbilder sein. Herr Hübner sagt, daß das Dresdner Bild ursprünglich für König Franz I. von Frankreich gemalt worden sei. Herr P. von Madrazo, der Verfasser des Madrider Galeriekataloges, behauptet seinerseits, das Bild zu Madrid sei eine „repeticion“ jenes Bildes, das von Andrea bei seinem Tode in der Werkstatt zurückgelassen, später von Filippo Strozzi angekauft und von diesem dem Marquis del Vasto verehrt worden sei.

Ich halte das Madrider Bild für jene Wiederholung in kleinerem Format, die Andrea del Sarto für Paul von Terrarossa gemalt hatte. „Venne voglia a Paolo da Terrarossa, veduta la bozza del sopradetto Abramo, d’avere qualche cosa di mano d’Andrea, come amico universalmente di tutti i pittori; perchè richieftolo d’un ritratto di quello Abramo, Andrea volentieri lo servì, e glielo fece tale, che nella sua piccolezza non fù punto inferiore alla grandezza dell’ originale. Il quadro fù poi da lui mandato a Napoli.“ Das Bild des Madrider Museums hat durch Restaurationen nicht weniger zu leiden gehabt als das Dresdner[210] Auch im Museum zu Lyon hängt eine Wiederholung dieses Bildes; doch ist mir diese nicht bekannt. Das dritte Werk, welches der Katalog des Herrn Hübner dem Andrea noch beimißt, ist ein ganz kleines Bildchen, No. 45, welches erstens sehr übermalt ist, zweitens gar nichts mit Andrea del Sarto zu thun hat, und für das es drittens besser gewesen wäre, wenn man es im Galeriedepot gelassen hätte. Es stellt die Mutter Gottes dar, welche den Leichnam Christi im Schooße hat, und ist, wenn ich nicht irre, eine Kopie nach L. Lotto; jedenfalls gehört es nach meiner Ansicht der venezianischen Schule an. Außer diesen Florentinern aus der goldenen Zeit der Kunst besitzt die Dresdner Galerie noch einige sehr gute Bilder des Carlo Dolci.

Nachträglich möchte ich noch das neuerworbene Bild erwähnen, welches mit dem historischen Namen des Andrea del Castagno aus Italien in die Dresdner Galerie gelangt ist. Es stellt die Madonna mit dem Kinde zwischen den h. Hieronymus und Johannes dem Täufer dar (No. 2381). Die Werke des Andrea del Castagno sind selbst in Florenz von der größten Seltenheit; neben seinen Fresken auf der Wand einer Zelle im ehemaligen Kloster „agli Angeli“, den „Gekreuzigten“ darstellend, dem h. Abendmahl im Refectorium des Klosters St. Apollonia und dem „büßenden Hieronymus“ in der Galerie der bildenden Künste zu Florenz möchten dort wohl wenige Gemälde noch aufzufinden sein, die man diesem rohen, aber sehr energischen Meister mit einer gewissen Sicherheit zuschreiben dürfte.[211] Ist nun die Acqusition der Dresdner Galerie wirklich ein Werk des Andrea del Castagno, oder gehört dieses langweilige, schwache Temperabild nicht vielmehr einem Seneser Maler aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an? Erinnert es nicht etwa an jene Schule des Sassetta, von der auch Matteo di Giovanni und selbst Francesco di Giorgio mehr oder weniger abhingen? Mir kommt es vor, als wenn ich diesen Meister kenne. In der Seneser Stadtgalerie sind mir etliche andere Werke von ihm unter die Augen gekommen, in jenem langen Gange, woselbst die Bilder von Matteo di Giovanni, Cozzarelli, des Neroccio, Benvenuto di Giovanni, des Giovanni di Pietro u. a. m. aufgestellt sind. Ich erinnere mich aber leider nicht mehr seines Namens, da mir der Mann nicht würdig erschien, in meinem Gedächtnisse eingeprägt zu stehen.

Wie wir an den eben genannten Werken angeblich florentinischer Meister aus dem 15. Jahrhunderte gesehen haben, scheint Herr Professor Hübner nicht gerade sehr vertraut mit den toskanischen Quattrocentisten zu sein. Und so mag es Niemand wundern, daß wir auch die Taufe des folgenden Bildes, No. 30, mit der größten Vorsicht, ja mit einigen nicht ganz abweisbaren Zweifeln aufzunehmen genöthigt waren. Sind für Herrn Hübner die Staffeleibilder des Luca Signorelli von der größten Seltenheit, so sind es für mich noch viel mehr die des Leonardo da Vinci, welchem im neuesten Kataloge dieses kleine Madonnenbild zugemuthet wird. Es kann darüber kein Zweifel sein, daß die Taufe mit diesem großen Namen selbst die Leute in Dresden gewissermaaßen erschreckt haben muß, daher man die Verwunderung und das Erstaunen des Publikums dadurch zu dämpfen suchte, daß man hinzufügte: „ein Jugendbild des Meisters, um 1470.“ Leonardo da Vinci hätte also nach dem Gutachten der Herren Professoren zu Dresden dieses Bild in seinem achtzehnten Jahr gemalt. Für jeden Kunstbeflissenen ist diese letztere Versicherung von um so größerem Werthe, als man sonst nirgends, soviel wenigstens mir bekannt ist, beglaubigte Bilder aus der Jugendzeit Leonardo’s zu sehen bekommt. Wie aber sind die Herren Hübner und Gruner dazu gekommen, den achtzehnjährigen Leonardo, den Leonardino, wie ihn die Florentiner nennen würden, in diesem Bilde zu erkennen? Hören wir sie selbst. „Das Bild des Leonardo da Vinci (Seite 56 der Vorrede) wurde im Katalog der Woodburn-Sammlung als ein Werk des Lorenzo di Credi bezeichnet, von den Unterzeichneten aber sofort als ein Jugendwerk des Leonardo, und als ein solches vom höchsten Werthe, erkannt. – – – Es fand sich nämlich ganz zufällig in hiesiger k. Sammlung der Handzeichnungen das Studium zu der Madonna des genannten Bildes, eine Zeichnung, welche seit undenklichen Zeiten bereits unter dem Namen des Leonardo der Sammlung angehört hatte und dieser Bezeichnung in der That ebenso vollständig entspricht, als das Bild selber.“ Ich gestehe, daß mir jenes „ganz zufällig“ als eine Art excusatio non petita einigen Verdacht erregte und mich von vornherein etwas bedenklich machte. Wäre es nicht möglich, daß jener etwas übereilte, an Julius Cäsar gemahnende Urtheilsspruch der sonst so vorsichtigen und gelehrten Herren vielleicht auf einer falschen Prämisse fußte, wie das ja bei andern gelehrten Männern hie und da auch vorkommt? Als ich mir sodann die bewußte Leonardo-Zeichnung genauer besah, schien es mir offenbar, daß mein Verdacht nicht ganz aus der Luft gegriffen wäre. Als jene Herren des Woodburn’schen Bildchens in London ansichtig wurden, dachten sie unwillkürlich und, ich gebe es gern zu, ohne sich weiter darüber Rechenschaft zu geben, an die „dem Leonardo seit undenklichen Zeiten zugeschriebene Zeichnung“, die sie zu Hause unter Glas im Kabinete der Handzeichnungen zurückgelassen hatten, und folgerten sodann: ist jene Zeichnung von Leonardo, wie sie denn von Jedermann als unbestritten echt angesehen wird, so muß ja auch dieses Bildchen, das jener Zeichnung so nahe kommt, vom nämlichen Meister herrühren. Da aber, fuhren sie wahrscheinlich in ihrer Folgerung fort, diese kleine Madonna von den berühmten Bildern des Leonardo sehr verschieden ist, so müssen wir dasselbe als ein Jugendwerk des Altmeisters ansehen und ausgeben. Gesagt, gethan; von der Themse an die Ufer der Elbe zurückgekehrt, wurde sogleich der akademische Areopag zusammenberufen, und demselben das angekaufte Kleinod zur Beurtheilung vorgestellt, wobei, wie sich von selbst versteht, nicht vergessen wurde, die bekannte Handzeichnung aus ihrem Behälter herauszuziehen und neben das Bildchen zu legen. Und siehe da! Die kleine Madonna, welche in London Lorenzo di Credi hieß, wurde an der Elbe einstimmig als ein Jugendwerk des Leonardo da Vinci erkannt und so die Taufe der Herren Hübner und Gruner endgültig bekräftigt, besiegelt und in den Katalog eingetragen. – So ungefähr mag der Hergang der Sache gewesen sein, und sollte ich darin mich irren, so bin ich gewiß, daß die liebenswürdigen und gelehrten Herren an der Elbe dies mir nicht verargen werden.

Gehen wir aber nun zur Sache selbst über.

Wer die echten Handzeichnungen Leonardo’s in Windsorcastle, in Paris, in Turin, Mailand, Venedig, Wien, Pesth und Florenz sich etwas genauer besehen und studirt hat, der wird die Silberstiftzeichnung dieser weiblichen Figur zu Dresden schwerlich dem Geiste und der Hand Leonardo da Vinci’s zuzuschreiben geneigt sein. Die Art der Behandlung erinnert allerdings entfernt an Leonardo, richtiger gesagt an die Schule, aus der Leonardo hervorgegangen, allein das Oval dieses weiblichen Kopfes scheint mir doch in nicht geringem Maße verschieden zu sein von dem der weiblichen Köpfe dieses Meisters; auch sind die Umrisse dieser Dresdner Zeichnung etwas ängstlich, die Modellirung flauer und schwächer, als bei Leonardo. Ebenso ist die Strichlage nicht die, welche dem da Vinci eigenthümlich ist. Hier gemahnt der Mund mit den schwülstigen Lippen, die Nase mit den kleinen rundlichen Oeffnungen, die übergroßen weit auseinanderstehenden Augen mit den gar zu langen Wimpern, die schwulstige Falte des Kleides auf der Brust, das darauf angebrachte Medaillon eher an des Leonardo da Vinci Lehrer Andrea del Verocchio oder, mehr noch, an dessen getreuen Schüler und gewissenhaften Nachahmer, Lorenzo di Credi, an welchen ebenfalls der kleine pausbackige Kinderkopf neben der rechten Schulter des Weibes, leicht hingeworfen erinnert. Meiner Ansicht nach ist diese etwas verwischte Silberstiftzeichnung im Cabinet der Handzeichnungen zu Dresden nicht dem Lionardo, sondern dem Lorenzo di Credi, seinem Mitschüler bei Verocchio, zuzuschreiben. Doch davon abgesehen, drängt sich uns die Frage auf: ist der Meister der Silberstiftzeichnung in Dresden wirklich auch der Maler des kleinen Madonnenbildes unter Nummer 30 in der Galerie daselbst? Wäre es nicht möglich, daß die Zeichnung oder auch ein jetzt verschollenes Bild des Lorenzo di Credi direkt oder indirekt irgend einem damals (1470–85) in Florenz lebenden Niederländer zum Vorbilde gedient hätte? Schon die gläserne Farbe dieses Gemäldes hat etwas an sich, das an irgend einen späteren Nachkommen der van Eyck’schen Schule erinnert; nordisch ist auch der wie ein Pfropfzieher gewundene Vorhang, das kleinliche, sehr bürgerlich aussehende Kissen mit Quasten auf dem Bette, sowie der kleine Johannes, der gotterfüllte Sohn der Elisabeth, mit seinem gar zu einfältigen Ausdrucke. Das Alles spricht, mein’ ich, deutlich genug gegen die Ansicht der Herren Hübner und Gruner. Und hätte wohl Lionardo selbst zugegeben, daß er das Bildchen nicht in seinem achtzehnten, sondern schon in seinem zwölften Lebensjahre gemalt habe, hätte, so frage ich, dieser geist- und anmuthvolle Florentiner je diese miniaturartigen Bäumchen, diese Häuserchen und Thürmchen im Hintergrunde des Bildes, welche man mit dem Vergrößerungsglase sich anschauen muß, um sie vollkommen zu würdigen, hätte er diese Haare und Härchen am Kopfe der Maria, diese harten, steifen Umrisse am Körper des Christkindes zuwege gebracht? Ich zweifle sehr daran, daß ihm dies auch beim besten Willen gelungen wäre, und vor mir schon, denke ich, wird manch’ anderer Kunstforscher und Kenner des Leonardo solche Bedenken gehegt haben[212]. Lassen wir jedoch diese haarspaltende Kritik beiseite, da der Punkt, auf den es mir eigentlich ankam, durch geistige wie materielle Gründe darzuthun, daß dieses miniaturartige Madonnenbildchen, so werthvoll dasselbe auch denjenigen erscheinen muß, welche z. B. die Gemälde eines Christophsen und seinesgleichen lieben, auf keinen Fall dem Lionardo da Vinci zugemuthet werden dürfe, wie mir scheint, zu meinen Gunsten entschieden ist[213].

Ueber das andere, dereinst zu Dresden ebenfalls dem Leonardo da Vinci zugeschriebene Madonnenbild, No. 33, habe ich meine Meinung bereits ausgesprochen.

Die übrigen kleinen, meist auch verdorbenen Bilder toskanischen Ursprungs in dieser Galerie, welche wenigstens im Kataloge ehrenwerthe Namen führen, will ich, um die Geduld meiner lernbegierigen Freunde nicht gar zu sehr auf die Probe zu stellen, nur kurz berühren.

Dem Giunta Pisano, also von Pisa, welchen Herr Hübner jedoch zur florentinischen Schule zählt, giebt der Katalog ein Bild, Nummer 5, das nach gar nichts aussieht[214].

Die Bilder No. 7, 8, 9[215] gehören dem Senesen Sano di Pietro an. Der s. g. Lorenzetti,(welcher? Ambrogio oder Pietro?) No. 12[216], ist ein ganz neues Bild und gehört, so wie es jetzt ist, dem Restaurator an.

Die Jungfrau Maria mit dem auf ihrem Schooße stehenden Christuskinde – zu beiden Seiten zwei hl. Frauen. Auf Goldgrund. No. 13. Erinnert mehr an Barna, als an Lippo Memmi.

Die zwei Erzengel Michael und Raphael, 15 und 16, können doch wahrlich nicht Werke des Starnina sein, der um’s Jahr 1413 schon todt war, sondern sie mögen von einem schwachmüthigen Florentiner aus dem Anfange des XVI. Jahrhunderts herrühren.

Die „Verkündigung“, No. 17, ist zwar sehr übermalt, jedoch, wie mir scheint, immer noch als Werk des Benozzo Gozzoli erkennbar.

Die „Geburt Christi“, 19, bezeichnet Antonius Florentinus 1333. Diese Aufschrift ist eine plumpe Betrügerei. Das Bildchen ist etwa in die zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts zu versetzen. Die Herrn Cr. und Cav. (I, 375) wollen in diesem unbedeutenden Gemälde eines Toskaners die Hand des Bono da Ferrara erkennen, also des nämlichen Malers, dem sie die thronende Madonna mit Heiligen des s. g. Mantegna in der Münchner Galerie zugeschrieben haben. Ich bin der Ansicht, daß zwischen den zwei Gemälden nicht nur der Po, sondern auch der ganze Apennin liege, so weit sind dieselben einander fremd.

Der h. Ciprinus, No. 22, darf in keinem Falle dem Pietro Perugino zugeschrieben werden, welcher Ansicht durch das dem Namen beigefügte Fragezeichen selbst Herr Hübner beizupflichten scheint. Es ist eben das Werk eines der vielen Schüler und Nachahmer des Pietro[217].

Von Bernardino Pintoricchio[218] dagegen besitzt die Dresdner Galerie in dem reizenden Bildnisse eines Jünglings, No. 24, ein ganz vorzügliches Werk aus der Frühperiode (um 1480) des Meisters. Dies Gemälde ist auch insofern interessant, als man, wie ich glaube, sowohl aus der Technik wie auch aus der Qualität der Tempera die Schule erkennen kann, aus der Bernardino Betti hervorging, ich meine die seines Landsmannes Fiorenzo di Lorenzo.

Das schwache Madonnenbild, No. 34, gehört nicht, wie Herr Hübner meint, dem Lorenzo di Credi an, sondern wohl eher einem schwachen Zeitgenossen desselben, der bei Sandro Botticelli gearbeitet[219]. Echte Werke des Lorenzo di Credi hingegen sind die zwei neuerworbenen Bilder mit den Nummern 2385 und 2386. Das erstere stellt die Jungfrau dar, das vor ihr liegende Kind anbetend, welches sich nach einem Stieglitz umsieht; im zweiten sehen wir die Jungfrau auf einem Throne sitzend und das segnende Kind haltend; zu ihrer Rechten der h. Sebastianus, links der Evangelist Johannes. Beide Gemälde sind durch Restaurationen sehr hart mitgenommen worden.

Das dem Filippino Lippi zugemuthete Bild, No. 35, Maria mit dem Kinde, welches neben ihr sitzend ein aufgeschlagenes Buch hält, gehört meiner Meinung nach nicht dem Meister selbst an, sondern erscheint mir als Kopie eines Schülers nach ihm. Auch das andere Bild in der Nähe, No. 36, ist mit Unrecht dem Raffaellino del Garbo zugeschrieben; es dürfte wohl einem andern, aber viel schwächern Schüler des Filippino angehören, doch keineswegs dem Rafaellino Carli, welcher nicht mit Raf. del Garbo zu verwechseln ist, wie dies Herr Hübner thut. Dieses letztere Gemälde stellt die Madonna mit dem Kinde auf dem Arme dar; neben ihr die Heiligen Franciscus und Hieronymus. Rundbild. Auch würde heutzutage kein Anfänger in der Kunstgeschichte dem Baron von Rumohr noch zugeben können, daß die „Anbetung der Könige“, No. 36, dem Marco Palmezzano von Forlì zuzuschreiben sei.




5. Die römische Schule.

Täusche ich mich nicht, so ist Pater Luigi Lanzi wenn nicht der erste, so doch einer der ersten gewesen, der den Namen der römischen Malerschule erfunden und in Gebrauch gebracht hat. Seit jener Zeit spielt diese Schule eine gar bedeutende Rolle in der Kunstliteratur. Eine naturwüchsige, latinische, in Roms Mauern und aus der römischen Völkerschaft erstandene und von ihr gepflegte, mit den dem Volkscharakter eigenthümlichen Zügen ausgerüstete Malerschule gab es aber ebensowenig, als eine neapolitanische oder sicilianische, eine piemontesische oder ligurische Schule je existirt hat. – Wer in Rom gebaut, wer in Rom gemeißelt oder gemalt, war kein Sohn jenes Bodens, sondern kam in den meisten Fällen aus den benachbarten Ländern, sei es aus Umbrien, sei es aus Toscana, sei es auch aus dem Bolognesischen, Venezianischen oder aus der eigentlichen Lombardei nach der päpstlichen Haupt- und Residenzstadt. Weder Raffael noch Michelangelo, die angeblichen Gründer dieser s. g. römischen Schule, waren Söhne Latium’s, sondern der erste ein Umbrer, der andere ein Florentiner. Diesen beiden Heroen folgte eine ganze Schaar von Zöglingen und Nachahmern, unter denen sich, wie sich das von selbst versteht, auch etliche befanden, die in Roms Mauern das Licht der Welt erblickt hatten. Aber diese wenigen Künstler ohne allen Lokalcharakter können doch wahrlich von keinem begonnenen Manne als die Vertreter einer Kunstschule angesehen werden. Die Erörterung solcher Fragen gehört indessen nicht hierher. Ich gehe daher zur Betrachtung des großen Werkes von Raffael über, der s. g. Madonna di San Sisto, welches Bild dereinst in der Kirche von S. Sisto in Piacenza aufgestellt war. Es ist dies vielleicht das schönste Bild der Welt, und ihm vor allen verdankt die Dresdner Galerie ihren Weltruf. Das Gemälde kostete Sachsen ungefähr 220,000 Franken. Welchen Preis müßte man heutzutage, wo man ein Murillobild 730,000 Franken werth erachten konnte, dafür bezahlen? Nur ein Rothschild wäre im Stande, es an sich zu bringen. Stünde aber das Bild noch in seiner kleinen Kirche von S. Sisto zu Piacenza, so würde jene Stadt heutzutage nicht nur genannter und auch besuchter sein, als sie es eben ist, sondern dieses Bild allein würde der Einwohnerschaft mehr Gewinn einbringen, als alles andere, was sie sonst besitzt. Diesen schönen Dienst haben die Placentiner der feilen Habsucht ihrer Benediktiner-Mönche im vorigen Jahrhunderte zu verdanken. Man sieht auch hier, daß die Pfaffen nicht besser sind als die Laien und Weltkinder. Sie sind eben auch Söhne ihrer Zeit.

Das Bild hat jetzt einen neuen kostbaren, reichverzierten, aber etwas plumpen Rahmen erhalten, dessen schimmerndes Gold den Farben etwas wehe thut. Ueberdies ist es in einem besondern Zimmer mit Nordlicht aufgestellt. Dieser Raum erscheint mir viel zu enge für das Bild, auch würde, meinem Gefühle nach, diese traumhafte, himmlische Erscheinung, höher aufgestellt, etwa in einem der großen Säle, einen vollkommnern Eindruck auf den Beschauer hervorbringen als hier, wo man überdies leider auch gar zu sehr die großen Schäden, die das Gemälde, zumal durch die Restaurationen, hat erleiden müssen, gewahr wird. Namentlich fallen diese Beschädigungen am Jesuskinde und an der Stirne der Madonna in die Augen. Aber obwohl beschädigt und übertüpfelt, macht das Gemälde noch immer einen unbeschreiblichen, einen zauberhaften Eindruck. Daß dieses große Bild als Umgangsfahne gedient haben soll, wie Herr von Rumohr meinte, muß als eine spitzfindige Träumerei jenes zwar sehr geistvollen, aber auch sehr launenhaften Kunstforschers angesehen werden. Auch wäre in der engen Kirche von S. Sisto zu Piacenza nicht einmal der nöthige Raum dazu vorhanden gewesen, um darin einen Umgang mit einem so großen Bilde vorzunehmen; dann sind solche Umgangsfahnen gewöhnlich auf beiden Flächen bemalt, und endlich kannte man zu jener Zeit den hohen Werth Raffael’s viel zu gut, um eines seiner Hauptwerke zu solchem gefährlichen Dienst zu verwenden. Doch solche und ähnliche Einwendungen gegen die launige Behauptung Rumohr’s sind wohl auch von andern Fachgenossen gemacht worden, so daß ich sie meinen Lesern hätte ersparen können. Kommen wir nun zu den andern Bildern, die der Hübner’sche Katalog der römischen Schule zuschreibt.

Die „h. Familie“, No. 74, gehört sicher nicht zur Schule Raffael’s, sondern ist florentinischer Abstammung. Meiner Ansicht nach dürfte es eines von jenen vielen Bildern sein, die laut Vasari im Atelier des Ridolfo del Ghirlandajo von seinen zahlreichen Gehilfen für den Bilderhändler Giovan Battista Palla gemalt wurden, um in’s Ausland verkauft zu werden, und zwar meist unter berühmteren Namen. Der Charakter dieses Bildes erinnert theils an Bugiardini, theils an Ridolfo del Ghirlandajo, gehört aber weder dem einen, noch dem andern an – auch nicht dem Domenico Puligo.

Ueber das kleine ganz und gar übermalte Bildchen, No. 75[220], sollte man eigentlich nicht reden, denn, wiewohl nicht ohne Geist hingezeichnet, ist es doch andrerseits so arg besudelt, daß man es nicht in einer öffentlichen Sammlung, wie die Dresdner, aufstellen sollte. Ursprünglich könnte es ebenfalls einem Florentiner, und zwar dem Franciabigio angehört haben; in keinem Falle aber der Schule Raffael’s. In der Bestimmung des lieblichen Madonnenbildchens, No. 77, muß ein Druckfehler Herrn Hübner entgangen sein, da ja dieses Gemälde nicht dem Senesen Vincenzo da S. Gimignano, einem Maler aus den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts, angehören kann, sondern vielleicht eher dem Giacinto Gimignani aus Pistoja, im Jahre 1611 geboren und 1681 gestorben, ursprünglich zugeschrieben war.

Ueber das runde Kupferblechschild mit dem grau in grau oder besser schwarz in schwarz darauf gemalten Reitergefechte scheint mir ein kluges Stillschweigen angemessen. Jedenfalls darf diese Malerei nicht dem Polidoro da Caravaggio zugemuthet werden[221].

Echt und sehr charakteristisch für den Meister ist dagegen die h. Familie, genannt „la Madonna della Catina“, von Giulio Romano, No. 82. Vasari bespricht dies Bild im „Leben des Garofolo.“ Es gehörte dereinst dem Cesare Gonzaga.

Die andern bedeutenderen Gemälde, die im Hübner’schen Kataloge der römischen Schule beigezählt werden, wie die unter den Nummern 79, 80 und 84, habe ich schon bei Besprechung der bolognesisch-ferraresischen Malerschule, zu der dieselben meiner Ansicht nach gehören, berührt. Und somit wären wir nun an’s Ende dieser für jeden lebhafteren Geist nicht gerade sehr kurzweiligen Arbeit angelangt. Daß ich dabei mehrere Male mich genöthigt sah, Herrn Professor Hübner zu widersprechen, wird der liebenswürdige Direktor der Dresdner Galerie mir zugute halten wollen und bedenken, daß in dieser bunten Welt die Menschenkinder nicht immer derselben Meinung sein können. Habe ich zuweilen meine Ansichten nicht mit jener Mäßigung und jener Rücksicht ausgesprochen, die ein in ganz Deutschland so hochgefeierter Künstler, wie er, verdiente, so möge er diese Unart dem Ernste des Kunstbeflissenen, nicht aber einem Mangel an Achtung gegen seine Person anrechnen wollen. Auch räume ich Herrn Hübner schon zum Voraus gerne ein, daß in meinen Urtheilen nicht alles reines Gold sein dürfte. Wolle daher der treffliche Mann, falls er diese Blätter durchlesen sollte, sich keine grauen Haare darüber wachsen lassen. Seinem Kataloge geschieht dadurch gewiß kein Abbruch, wäre es ja nur thöricht, wollte ich der Hoffnung mich hingeben, daß die Mehrzahl der von mir vorgeschlagenen Berichtigungen in Dresden Beherzigung finden sollten. Bei so vielen Namensänderungen in den Galeriekatalogen würde ja das Kunstpublikum zuletzt ganz irre werden. An zwei derselben ist mir jedoch ganz besonders gelegen, nämlich an denjenigen, welche sich auf die Madonna des Moretto und die Venus des Giorgione beziehen; betreffs dieser bitte ich Herrn Hübner, doch diese zwei Correkturen in Betracht ziehen zu wollen und dabei der bekannten Maxime der Kapuziner zu entsagen: Sinere mundum ire, quomodo vadit.




6. Die Handzeichnungen italienischer Meister im s. g. Kupferstichcabinet.

Diese Dresdner Sammlung ist zwar nicht so reich an guten Zeichnungen italienischer Meister wie die von München, besitzt jedoch deren immerhin mehr als ein paar Dutzend, welche würdig sind, meinen jungen Freunden zum Studium anempfohlen zu werden[222].

Die Venezianer.
Schrank IV.

Gleich beim Eintritt in’s zweite Zimmer sehen wir linker Hand in einem Glaskasten die venezianischen Zeichnungen ausgestellt. Unter denselben begegnet unser Auge zuerst einer großen getuschten, auf der die thronende Maria mit dem Christkinde dargestellt ist, an den Seiten des Thrones die H. Faustinus und Jovita, die Schutzpatrone der Stadt Brescia. Auf den Stufen des Thrones drei musizirende Engel; Hintergrund bergige Landschaft. Oben auf dem gelblichen Blatte liest man Johan Bellino. Der Dresdner Katalog schreibt daher diese Tuschzeichnung dem Giovan oder Gean (sic) Bellini zu. Diese gute Zeichnung gehört jedoch nur einem Zeitgenossen des Giambellino, keineswegs aber dem Giovanni Bellino selbst an. Sie ist von der Hand des Vittore Carpaccio. Diese Zeichnung ist die Skizze zu einem großen Tafelbilde, welches vor Jahren im Hause des Herrn Angelo Averoldi von Brescia stand und später nach England verkauft wurde. Das Bild war mit dem Namen des Meisters und mit der Jahreszahl 1519 bezeichnet, demnach eines der letzten Werke des Malers[223].

Auch die andere getuschte Federzeichnung, „die Grablegung Christi“ darstellend, unter Giambellino’s Namen ist diesem, wie ich glaube, ohne Grund zugemuthet. Echte Handzeichnungen dieses großen Meisters scheinen überhaupt sehr selten zu sein, mir wenigstens sind nur wenige derselben bekannt geworden. Während man gewöhnlich ihm selbst Zeichnungen zuschreibt, welche im besten Falle andern Meistern aus der venezianischen Schule angehören, werden seine eignen unter fremden Namen dem Publikum vorgestellt[224]. Oberhalb der charakteristischen Zeichnung des Carpaccio befindet sich eine andere mit Röthel fleißig ausgeführte, „die Vermählung der Maria“ darstellend, welche in der That von der Hand des Giovan Antonio da Pordenone, dem sie auch zugeschrieben wird, zu sein scheint. Sie ist jedoch sehr verrieben.

Derselbe Schrank sollte, dem Kataloge zufolge, ebenfalls zwei Federzeichnungen des Tiziano enthalten, wovon die eine sogar von den Herren Cr. und Cav. (im „Leben Tizian’s“) dem Cadoriner zuerkannt wurde. Dieselbe stellt eine befestigte Stadt auf einer Flußinsel dar; am Strande des Flusses zwei Männer mit Hellebarden auf dem Flusse mehrere Schiffe (No. 63 im Braun’schen Kataloge). Auf dem andern Blatte sieht man einen Mann zu Pferde, dem ein zweiter zu Fuß die Aufschrift auf einem Stein zu erklären scheint. – Landschaft. Federzeichnung, (No. 63 im Braun’schen Kataloge.) Nach meiner Ansicht gehören diese zwei Federzeichnungen dem Domenico Campagnola an, der, wie wir in der Folge sehen werden, gar oft mit Tizian, seinem Vorbilde, verwechselt wird; so auch in der Louvresammlung[225].

Von Paolo Veronese scheint mir dagegen die in der Nähe befindliche leicht getuschte Zeichnung wirklich herzurühren. Dieselbe stellt drei heilige Männer dar, Antonius, Hieronymus und einen dritten, denen in den Lüften, umgeben von einer Engelglorie, die h. Jungfrau mit dem Kinde erscheint.

Auch die andere hellgetuschte Federzeichnung mit dem zum Tode verurtheilten Heiligen scheint mir die Hand des Paolo Caliari zu verrathen.

Für echt halte ich ebenfalls die Aquarellzeichnung mit dem „Abendmahle“ von Giacomo Robusti, Tintoretto genannt.

Auch der büßende h. Hieronymus in der Nähe – Aquarellzeichnung – dürfte dem Girolamo Muziano aus Brescia angehören.

Die Florentiner.
Schrank XXVIII.

Mitten unter mehreren sehr werthvollen Handzeichnungen, welche dieser Schrank birgt, wird unser Auge vor allen von einer feinen Tuschzeichnung des Beato Angelico da Fiesole angezogen. Sie stellt einen geflügelten Engel, von vorne gesehen, dar; oberhalb desselben ein nackter Junge mit ausgestrecktem linken Arm. Es in dieß die vorzüglichste und besterhaltene Zeichnung des genialen Künstlers, die mir je zu Gesichte gekommen[226]. (No. 22 im Braun’schen Katalog).

Ebenfalls trefflich ist die Zeichnung des Filippino Lippi. Das Blatt zeigt uns zwei Männer, von denen der jüngere, den Kopf mit einer Mütze bedeckt, sitzend dargestellt ist, während der ältere, baarhaupt und mit langem Barte, ein offenes Buch in der Linken haltend, vor ihm steht. Diese schöne, für den Meister sehr charakteristische Studie ist in Schwarzkreide ausgeführt und mit Gips gehöht.

Demselben Filippino Lippi und nicht, wie der Katalog sagt, dem Cosimo Rosselli, gehört auch die andere schöne Zeichnung an, die einen Johannes den Täufer und einen sitzenden jungen Mann daneben darstellt. (Im Braun’schen Kataloge No. 40 und 41). Filippino ist nicht schwer zu erkennen an seiner charakteristischen Form der Hand, des Fußes und des Ohres. Und doch wird derselbe nicht nur in seinen Zeichnungen, sondern selbst in seinen Gemälden nicht selten mit seinem Schüler Raffaellino del Garbo, manchmal mit seinem Vater Fra Filippo Lippi, dann mit Perugino und sogar mit Masaccio verwechselt[227].

Etwas verrieben, wiewohl echt und interessant, erscheint mir die Schwarzkreidezeichnung des Luca Signorelli auf braunröthlich grundirtem Papiere. Es sind vier Studien des nackten männlichen Körpers in verschiedenen Stellungen. Täusche ich mich nicht, so sind dies Studien zum jüngsten Gerichte im Dom von Orvieto.

Die Federzeichnung, die dem Sandro Botticelli zugemuthet wird und einen hinschreitenden, jungen Mann, vom Rücken gesehen, darstellt, scheint mir dagegen dem Antonio da Pollajuolo anzugehören. (Im Braun’schen Kataloge No. 13).

Die andere Zeichnung mit dem Gewühl von nackten männlichen Gestalten, welche ebenfalls dem Antonio del Pollajuolo angehört haben wird, übergeht man besser, da sie gar zu sehr verdorben ist. In der schönen und feinen Federzeichnung auf roth grundirtem Papiere, welche dem Gentile da Fabriano zugemuthet wird, kann ich durchaus nicht die Art und Weise des Arbeitsgenossen von Vittore Pisano, Pisanello genannt, erkennen. Diese Zeichnung stellt einen nackten jungen Mann dar[228]. In meinen Augen dürfte sie eher einem guten florentinischen Meister aus der Zeit des Botticelli als dem schon 1440 verstorbenen Gentile da Fabriano angehören. Ebenfalls unrichtig erscheint mir die Bezeichnung der zwei dem Lionardo da Vinci zugetheilten Handzeichnungen. Die eine davon, ein getuschter männlicher Kopf im Profil, gehört in die Reihe jener Nachahmungen, die man von diesem großen Meister in allen Sammlungen antrifft (im Braun’schen Kataloge No. 47); die andere, kleinere, in Schwarzkreide, welche einen nackten Mann darstellt, auf das linke Knie sich stützend und mit dem rechten Arm sich deckend, ermangelt, wie mir scheint, ebenfalls des dem Lionardo eigenthümlichen Charakters. (Im Braun’schen Kataloge No. 48).

Endlich die dritte dem Lionardo zugemuthete Handzeichnung ist die berühmt gewordene Silberstiftzeichnung, welche die Skizze sein soll zu jenem dem Leonardino oder dem jungen Lionardo da Vinci zugeschriebenen Madonnenbildchen (No. 30) in der Dresdner Galerie. Diese Zeichnung stellt ein junges Weib dar mit gesenktem Blicke und aufgelöstem Haare, von vorne gesehen, halbe Figur. Das Kleid ist auf der Brust mit einem Medaillon geschlossen und bildet unter demselben eine starke, bauschige Längenfalte, wie dieselben von Lorenzo di Credi geliebt sind, so z. B. auch auf seinem schönen Madonnenbilde mit dem Blumenglase, No. 2 im I. Saale der Borghesegalerie in Rom. Das Oval dieses weiblichen Kopfes ist übrigens nicht so voll und rund, wie jenes auf dem Bilde (No. 30) in der Galerie, auch erscheint mir hier die Zeichnung flüssiger und leichter als jene auf dem gemalten Bilde, welche ja durchaus hart und steif ist. Für Lorenzo di Credi spricht auch die aufgedunsene, kurze, starke Unterlippe, ein für diesen Meister sehr charakteristischer Zug. An der rechten Seite dieser weiblichen Figur sieht man leicht hingeworfen den Kopf eines Kindes. In meinen Augen gehört diese zwar etwas verwischte, jedoch feine und gute Zeichnung dem Lorenzo di Credi und keineswegs dem Leonardino und noch weniger dem Lionardo da Vinci an. Bei diesem letztern Meister sind die Striche erstens nie so fein und kleinlich, und zweitens gehen dieselben gewöhnlich in einer entgegengesetzten Richtung[229]

Vollkommen einverstanden mit Herrn Direktor Gruner bin ich wieder in der von ihm vorgeschlagenen Benennung der Federzeichnung: „Herkules mit der Keule“, die er dem Baldasare Peruzzi zuschreibt. Diese Zeichnung gehört zu seiner mittlern Epoche. In seiner Frühzeit war er nämlich von Sodoma beeinflußt, in seiner spätern von Raffael. Ein Beispiel von der erstern finden wir in der Louvresammlung in der merkwürdigen Tuschzeichnung, im Reiset’schen Katalog „triomphe“ betitelt (No. 437) und von ihm unter die „Unbekannten“ gestellt, aber mit dem sonderbaren Zusatz, daß diese Zeichnung vielleicht dem Francia oder dem Lorenzo Costa, ja selbst dem Pellegrino da S. Daniele angehören könnte. Diese merkwürdige Zeichnung, welche einst Jabach gehörte, wurde von Braun photographirt und hat die Nummer 363 seines Katalogs.

Zu den Zeichnungen der Spätzeit des B. Peruzzi zähle ich unter andern auch den schönen Karton in der Nationalgalerie der Akademie in London, worauf die Anbetung der Könige dargestellt ist.

Haben nun die Herren in Dresden, wie wir eben gesehen, den Lionardo da Vinci mit Lorenzo di Credi verwechselt, so schreiben sie dafür diesem letztern eine Zeichnung zu, die meiner Ansicht nach nicht ihm, sondern wieder einem andern seiner florentinischen Zeitgenossen angehören dürfte. Dieselbe stellt den h. Stephanus aufrecht dar, hinter ihm die h. Katharina knieend (No. 45 des Braun’schen Katalogs). Täusche ich mich nicht, so rührt diese Zeichnung von Raffaellino del Garbo her[230]. Von Fra Bartolommeo della Porta befindet sich in diesem Schranke eine „Auferstehung Christi“, eine zwar echte, aber nicht sonderlich gute Schwarzkreidezeichnung dieses großen Meisters.

Die Lombarden.
Schrank III.

Die Auswahl der in diesem Schranke zur Schau gestellten Handzeichnungen scheint mir nicht gerade die glücklichste zu sein, und so werde ich meine Leser nicht lange damit aufhalten. Wiewohl nur flüchtig hingeworfen, mag die getuschte, mit Kreide gehöhte Zeichnung, eine Skizze zu seinem Madonnenbilde mit dem h. Georg, welches unter Nummer 155 in dieser Galerie aufgestellt ist, wirklich dem Correggio angehören. Auch in dieser flüchtigen Zeichnung sieht man mehr den Maler als den Zeichner, insofern, als sie hauptsächlich auf den malerischen Effekt, auf die richtige Vertheilung von Licht und Schatten berechnet ist.

Eine andere, allerdings sehr verdorbene getuschte Federskizze des Antonio Allegri ist die gen Himmel fahrende, von zwei Engeln gestützte Madonna. – Aber das ist alles, was in diesem Schranke mir von einiger Bedeutung zu sein erschien.

Die Umbrer.
Schrank IV.

Hier finden wir mehrere dem Raffael Sanzio zugeschriebene Handzeichnungen, von denen vor allen andern die werthvolle Federzeichnung zur Randverzierung eines Bronzetellers unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Diese prachtvolle Zeichnung stellt den auf einem von zwei Meerpferden gezogenen Wagen sitzenden Neptunus dar; dem Seegotte folgen Najaden, auf Delphinen reitend, Amoretten, von Meerungeheuern getragen, Silen auf einer Seeschildkröte, Meerrosse von Centauren geführt u. s. w., kurz, ein ganz Homerisches Bild. Diese herrliche Zeichnung, zuerst leicht mit dem Röthel skizzirt und sodann mit der Feder übergangen und ausgeführt, soll nach Passavant jene sein, die Raffael laut Vasari für seinen Gönner, den reichen sienesischen, in Rom ansäßigen Kaufmann Agostino Chigi fertigte, um sie von Cesarino Rosetti aus Perugia in Metall ausführen zu lassen. Ebenfalls vortrefflich ist die Federskizze zur Gestalt einer Eva. Von großem Interesse ist auch die leicht mit der Feder hingeworfene Zeichnung der kämpfenden Reiter, eine etwa im Jahre 1504 vom jungen Raffael gemachte Studie nach dem berühmten Karton von Lionardo da Vinci.

Alle drei eben bezeichneten Zeichnungen wurden von Braun photographirt und führen die Nummern 74, 75, 79 seines Katalogs.

Wir kommen nun zu den Handzeichnungen italienischer Meister, die in Mappen aufbewahrt werden.

Die Venezianer.
Mappe I.

Die „Rückkehr des verlornen Sohnes“ (?), eine leicht mit der Feder hingeworfene Skizze des Domenico Campagnola[231].

Unrichtig bezeichnet scheinen mir wieder die beiden dem Tiziano zugemutheten Zeichnungen zu sein. Der sich kasteiende h. Hieronymus ist meines Erachtens nur eine Kopie nach dem Tizian’schen Bilde in der Breragalerie; die Röthelzeichnung: Kaiser und Papst, auf einem Throne nebeneinander sitzend und umgeben von geistlichen Würdenträgern, dürfte hingegen eher dem Bonifazio veronese angehören. Die Bonifazio pflegten mit blauer Kreide zu skizziren und sodann mit dem Röthel die Zeichnung auszuführen, wie dies auch bei dieser Zeichnung der Fall ist.

Die folgende getuschte Röthelzeichnung, auf der ein feierlicher Zug zu Pferde dargestellt ist, erscheint mir als die Skizze des Veronesen Domenico Riccio, Brusasorci (Rattenverbrenner) genannt, zu seinem bekannten Wandgemälde in einem Saale des Palazzo Ridolfi in Verona, den Einzug Karl’s V. und Clemens’ VII. in Bologna darstellend. Vor dieser Zeichnung erkennt man leicht, daß Paolo Veronese auch von diesem seinem ältern Landsmann sich gar manches abgesehen haben dürfte.

Mappe II.
In dieser Mappe befinden sich einige Zeichnungen von Paolo Veronese und eine ebenfalls echte von seinem Landsmann und Zeitgenossen Paolo Farinato. Mehrere andere aus der Veronesischen Schule.
Die Florentiner.
Mappe I.

„Der h. Antonius, von einem schönen Weibe in Versuchung geführt“, von Plautilla Nelli. Die fromme Nonne hat in dieser schwachmüthigen Zeichnung den Fra Bartolommeo kopirt.

Die gute Silberstiftzeichnung, die einen Mann in knieender Stellung darstellt, wird zwar dem Fra Filippo Lippi zugemuthet, ist aber sicher nicht von ihm[232]. Meiner Ansicht nach gehört dieselbe der Schule von Perugia an und erinnert an Fiorenzo di Lorenzo.

Gegen meinen Vorsatz, die von mir für falsch gehaltenen Zeichnungen unerwähnt zu übergehen, möchte ich hier auf die getuschte Federzeichnung aufmerksam machen, welche den todten Johanneskopf auf einem Präsentirteller darstellt und von Herrn Gruner keinem andern Meister zugemuthet wird als Lionardo da Vinci; in der That eine etwas boshafte Profanation des ehrwürdigen Mannes! Der Kopf des Täufers ist nämlich auf dieser gräßlichen Zeichnung – horresco referens – so verkürzt, daß derselbe, von einem gewissen Standpunkt aus gesehen, etwa wie ein gesottener Karpfen aussieht. Welche Begriffe muß man sich doch im Dresdner Kupferstichkabinet von Lionardo da Vinci machen, um solche erbärmliche Spielereien aus dem Ende des 17. Jahrhunderts demselben aufbürden zu können.

Die Handzeichnung, die man hier dem Francesco Pesello, Pesellino genannt, zuschreibt, scheint mir nur eine moderne Kopie nach seiner Predella in der Sammlung der florentinischen Akademie zu sein[233]. Eine solche Kopie wird auch in der Uffizisammlung in Florenz für Originalzeichnung des Pesellino ausgegeben.

Die zwei interessanten Federzeichnungen (Sirenenentführung), welche dem Lorenzo di Credi zugemuthet sind, wurden bereits von Andern besprochen und ihrem wahren Autor, nämlich dem Venezianer Jacopo de’ Barbari, zurückerstattet. Diese Zeichnungen gehörten einst dem Mariette. Sehr charakteristisch für Jacopo de’ Barbari ist besonders die runde Schädelform der Sirene, der halbgeöffnete Mund, die klotzige Daumenspitze des flötenblasenden Putto.

Richtig bezeichnet dagegen ist der Profilkopf eines Knaben von Luca Signorelli. Charakteristisch für den Meister die Form des Ohres. Schwarzkreidezeichnung. – Trefflich ist auch die Röthelzeichnung des Fra Bartolommeo; sie stellt einen vom Rücken gesehenen Mann dar, mit einem Messer in der Rechten. Ganze Figur.

Von Sandro Botticelli besitzt die Dresdner Sammlung drei echte Handzeichnungen. Es sind dieß Studien zur Figur von Johannes dem Täufer, mit der Feder, Tusche und dem Gips ausgeführt (No. 9).

Das andere Blatt jedoch, welches vom Herrn Gruner ebenfalls dem Botticelli zugerechnet wird, eine schöne getuschte Federzeichnung, dürfte meiner Ansicht nach eher einem dem Filippino Lippi nahestehenden Meister angehören. Sie stellt zwei im Gespräche begriffene Lanzenträger dar (No. 8).

Die Lombarden.
Mappe I.

„Sitzende Madonna mit dem Christkinde, rechts neben ihr die h. Elisabeth mit dem kleinen Johannes, links ein Engel.“ Diese gute Röthelzeichnung (No. 2) wird mit Recht dem Cesare da Sesto zugeschrieben, dessen Handzeichnungen nicht sehr häufig vorkommen. Die venezianische Akademie besitzt deren mehrere gute, einige vortreffliche die Sammlung der k. Bibliothek von Turin, und einige ebenfalls die Sammlung des Louvre, im s. g. Libro di Lionardo da Vinci, z. B. No. 6, 782, Röthelzeichnung mit dem h. Georg auf einem sich bäumenden Pferde (von Lomazzo citirt); No. 6, 357, Röthelzeichnung mit der Madonna und Kind und den Heiligen Hieronymus und Johannes dem Täufer; No. 6, 781 Federzeichnung mit Studien zu Madonnen.

Auch stimme ich gern Herrn Gruner bei in der Bestimmung des „an die Säule gebundenen Christus.“ Diese mit Gips gehöhte Federzeichnung (No. 18) wird dem Aurelio Luini, dem Sohne des Bernardino, zugeschrieben.

Dagegen vermag ich nicht mit ihm in der folgenden Röthelzeichnung (No. 23) die Hand des Camillo Procaccino zu erkennen. Auf derselben sehen wir vier fromme Männer auf einer Terrasse, denen die h. Jungfrau in den Lüften erscheint. Täusche ich mich nicht, so gehört diese Zeichnung dem Bonifazio veronese junior an.

Mappe II.

Diese Mappe enthält mehrere echte Zeichnungen der Genueser Benedetto Castiglione, idyllische Scenen, und des Luca Cambiaso (No. 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22).

Römische Schule.
Mappe I.

Ich wage nicht zu entscheiden, ob die gute Perspektivzeichnung von einer Stadtgasse wirklich dem Pier della Francesca, oder aber dem Frate Carnevali oder auch dem Melozzo da Forli zuzuschreiben sei (No. 1). Gehöre sie nun dem einen oder dem andern der drei ebengenannten Meister an, so hat sie doch in keinem Falle mit der römischen Schule etwas gemein.

Nicht ohne Interesse scheint mir ebenfalls die Federskizze zum Grabmale Pius’ II., in der Kirche S. Andre della Valle in Rom, zu sein. Dieselbe gehört dem Pietro Paolo da Todi an.

Und somit schließe ich diese gar zu flüchtige Rundschau unter den Handzeichnungen italienischer Meister, die sich im Kupferstichkabinet von Dresden befinden. Ich mag dabei Irrthümer begangen haben, das will ich nicht in Abrede stellen, denn zu solcher Aufgabe reicht eben der gute Wille allein nicht aus; einige meiner Correkturen dürften jedoch die Probe der Zeit aushalten. Sollte ich aber durch meinen kritischen Versuch auch nur ein paar meiner jungen Freunde zu dem freilich schwierigen Studium der Handzeichnungen zu bewegen vermocht haben, so würde ich meine Mühe für reichlich belohnt halten.



 
III. BERLIN.




Während die Pinakothek von München besonders durch die Fülle und Bedeutung ihrer Bilder aus den deutschen und vlämischen Schulen in vollem Maaße unsere Bewunderung erweckt, kommen wir in den herrlichen Sälen der Dresdner Galerie zur Einsicht, daß für das große Kunstpublikum keine andere Bildersammlung der Welt an verführerischem Reiz mit dieser wetteifern kann; besitzt doch dieselbe nicht nur einen bewunderungswürdigen Reichthum an Prachtwerken aus der Blüthezeit der meisten Malerschulen, sondern auch in der „Madonna di S. Sisto“ von Raffael vielleicht das schönste Bild der Christenheit. Ihre Correggio’s, Tizian’s, Paolo’s, ihre Palma’s und Bonifazi, ihre Ruijsdael’s und Rembrandt’s, Rubens’ und Wouwerman’s, ihre Adrian van der Velde, ihre Heyden und zumal ihre Metzu’s sind weltberühmt und gehören in der That zum Schönsten, was die moderne Kunst hervorgebracht. Hat nun die Dresdner Sammlung einen unbeschreiblichen, einen berauschenden Reiz für jeden Kunstfreund, so besitzt dieselbe noch eine ganz besondere Anziehung für jenes Kunstpublikum, das eben nicht gewohnt ist, vor einem Bilde viel nachzusinnen, sondern vielmehr vorzieht, auf den bequemen Polstern der Galerie einem träumerischen Enthusiasmus sich zu überlassen.

Die Berliner Gemäldesammlung ist spätern Ursprungs als die beiden ebengenannten Sammlungen; kaum ein halbes Jahrhundert ist seit ihrer Gründung verflossen. Nach dem Sturze Napoleon’s I. erhob, wie bekannt, die Reaction in Europa überall ihr Haupt, und so fand selbst im Kunstgeschmack ein Umschwung statt. Dieser machte sich in der Weise geltend, daß die früher ganz vernachlässigten Quattrocentisten einigermaßen wieder zur Geltung kamen. Man machte damals wenigstens den Anfang bei Beurtheilung von Kunstwerken auch der Zeit, in der dieselben entstanden, Rechnung zu tragen, und bahnte damit, obschon unbewußt, der Auffassung den Weg, daß die Kunst als ein organisches Ganzes zu betrachten sei. So weit es eben thunlich war, suchte man auch bei Anlegung einer Bildersammlung historische Principien in Anwendung zu bringen.

War Berlin gegenüber Dresden und München insofern im Nachtheile als zur Erwerbung von Prachtwerken die günstige Zeit längst schon vorüber, das Beste, so zu sagen, schon vergriffen und in sicherem Besitz fremder Hand war, so hatte die preußische Regierung andererseits den großen Vortheil, bei der Bildung ihrer Kunstsammlungen nach historischen Grundsätzen, also auch mit mehr Kritik verfahren zu können.

Es war ein Glück für die im Werden begriffene Berliner Galerie, daß in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts die Praeraffaeliten in den Augen der s. g. Kunstfreunde noch immer einen relativ untergeordneten Werth hatten und allenthalben den Bildern aus der Epoche der Carracci hintenangesetzt wurden. Diesen Zeitgeschmack mit glänzendem Erfolg ausgenutzt zu haben, ist das Verdienst des englischen Banquiers Solly, der dabei mit jenem persönlichen Criterium des Werthes von Kunstgegenständen verfuhr, das seine Fachgenossen, vom Coelner Jabach an bis auf die heutigen Rothschilde herab, ausgezeichnet hat. Die seinen Landsgenossen eigene Meisterschaft im Sammeln scheint ihm überdies angeboren gewesen zu sein. Diesem verständigen Kunstfreund war es geglückt, während dem zweiten Decennium unseres Jahrhunderts mit relativ sehr geringen Kosten eine Gemäldesammlung zu Stande zu bringen, die als Privatsammlung heutzutage schwerlich ihresgleichen haben dürfte.

Als im Jahre 1821 die preußische Regierung den glücklichen Griff that, die Solly’sche Sammlung an sich zu bringen, bestand dieselbe aus beinahe 600 Bildern, darunter die berühmten van Eyck, die köstliche Madonna aus der Frühzeit Raffael’s, mehrere treffliche Werke von Francia, Filippo und Filippino Lippi, D. Ghirlandajo, Botticelli u. s. w. Diese Solly’schen Bilder bilden den Grundstock der italienischen Sammlung in der Galerie von Berlin[234].

Wenn die Acquisition der Solly’schen Bildersammlung der Klugheit der preußischen Regierung zu großer Ehre gereicht, so muß doch auch, wenn von der Bildung der Kunstsammlungen Berlins im Allgemeinen die Rede ist, das lebendige und durch feine Bildung geläuterte Interesse für die Kunst bei den Gliedern des preußischen Königshauses in Anschlag gebracht werden.

Wenn kompetente Kunstforscher, wie Baron von Rumohr, der ja zur Verschönerung und Bereicherung der Berliner Sammlung so viel gethan, in Berlin zu Rathe gezogen wurden und stets Gehör fanden, so war dies nicht etwa das Verdienst der Bureaukratie, sondern es war dies das persönliche Verdienst des damaligen geistvollen Kronprinzen. Andrerseits sorgte die Regierung allerdings stets dafür, daß die Leitung der Kunstsammlungen nur tüchtigen, bewährten Kunstforschern anvertraut wurde, während doch anderwärts ausübende Künstler, welche in der Kunstgeschichte unerfahren und überdem von den modernen Vorurtheilen ihrer Fachgenossen geblendet sind, damit betraut werden und in Folge davon in den meisten Fällen den ihnen anvertrauten Sammlungen leider eher zum Nachtheil als zum Nutzen gereichen.

Einen andern bedeutenden und in mancher Beziehung werthvollen Zuwachs erhielt die Galerie im Jahre 1874 durch die Acquisition der an seltenen Werken holländischer Meister reichen Sammlung des Aachener Banquiers Suermondt. Neben diesen Ankäufen im Großen hat die intelligente und für den Ruhm der ihr anvertrauten Sammlung begeisterte Direktion keine Gelegenheit versäumt, die Galerie mit neuen und nicht selten sehr bedeutenden Kunstwerken zu bereichern, für die nöthigen Auslagen an ihrem hohen Patron, dem edeln, für alles Gute und Schöne wahrhaft beseelten Kronprinzen, stets einen erfolgreichen Fürsprecher findend. So ist in den letzten Jahren diese Sammlung mit Riesenschritten vorgeschritten und verspricht nicht nur an Gediegenheit sondern auch an Reichthum die andern Galerien bald einholen zu wollen.

In Beziehung auf Prachtwerke der Matadoren der verschiedenen Malerschulen Europas darf freilich, wie schon gesagt, die Berliner Galerie sich noch nicht messen mit den Sammlungen von Dresden und Wien, sie bietet aber schon jetzt dem lernbegierigen Kunstfreunde ein Bild der geschichtlichen Entwicklung der Kunst dar, wie keine andere Sammlung der Welt. In keiner zweiten Galerie findet man in der That die vlämische Schule von den Gebrüdern van Eyck bis auf Rubens und van Dyck so vollständig vertreten; die holländische von Mierevelt bis auf Adriaen van der Werff; die venezianische von Antonio da Murano bis auf Tiepolo; die ferraresisch-bolognesische von Cosmè bis auf Bagnacavallo; die florentinische von Fra Filippo bis auf Alessandro Allori; die umbrische von Fiorenzo di Lorenzo und Melozzo da Forli bis auf Rafffael Santi u. s. f. In den Galerien von Wien und Dresden ist dagegen die Kunst des 15. Jahrhunderts fast gar nicht vertreten; diese Sammlungen sind nur reich an Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts, Bildwerke, welche allerdings auf die Sinne einen weit größern Reiz ausüben, als die der trockenen, ehrlichen, effektlosen, aber stets redlich vorwärtsstrebenden Quattrocentisten[235]. Wer aber in den Kern der Kunst einzudringen wünscht, wer von derselben einen tiefern geistigen Genuß sich verschaffen will, dem rathe ich vor allem den Besuch der Berliner Galerie an. Hat er diese kostbare Sammlung eingehend kennen gelernt und mit ihren Schätzen sich vertraut gemacht, dann mag er, aber nur dann, den unaussprechlichen Genuß sich gönnen, den ihm die Galerie von Dresden bieten wird, und an der Elbe, in den Sälen jenes der Musen wahrhaft würdigen Tempels, wird er erst den besonderen Werth dieser Berliner Sammlung zu erkennen und ganz zu messen im Stande sein[236]. Gleich beim Eintritt in das Innere des Schinkel’schen Prachtbaues werden wir im Vorsaale der Gemäldegalerie durch den feierlichen Empfang, den uns mehrere der liebenswürdigsten, edelsten Künstler unter den italienischen Quattrocentisten bereiten, hoch und wonnig gestimmt. Zur Rechten stehen uns Ghirlandajo, Sandro Botticelli, Filippino Lippi, zur Linken schauen uns der zwar etwas mürrische, aber stets biedere Cosimo Tura und sein geistvoller Schüler Lorenzo Costa entgegen. Wir haben hier die Repräsentanten zweier der kunstbegabtesten Volksstämme der Halbinsel, der Florentiner und der Ferraresen, vor uns. Diese Völkerschaften sind zwar nur durch den Po und den Apennin von einander geschieden, und doch sind sie von so ganz verschiedener Physiognomie. Wollten wir diesen Florentinern und Ferraresen sei es einen Dürer, Cranach oder Burkmayr, sei es einen van der Weyden, Memling oder Quintin Messys gegenüber stellen, so träte allerdings in diesen Italienern der Lokalcharakter sogleich wieder in den Hintergrund, während der allgemeine Nationalcharakter ihres Vaterlandes aus ihren Zügen überwältigend hervorleuchten würde. Ist dies nicht auch eine Bestätigung des Satzes, daß die äußere sichtbare Form vom Geiste, der sie belebt, und daß dieser wiederum theils von der Mischung des Blutes, theils auch von der äußern Natur, in welcher der Mensch aufwächst und lebt, bedingt sind?

Meine Studien in der Berliner Galerie beginne ich mit den Werken der ferraresisch-bolognesischen Malerschule.

Hat auch Berlin nicht wie Dresden das Glück, Werke des seltenen Ercole Grandi di Roberto oder des Francesco Cossa zu besitzen, so kann es sich dagegen rühmen, nicht nur das bedeutendste Bild des Altmeisters dieser Schule, Cosimo Tura, sondern auch Werke seiner hervorragendsten Schüler, wie Lorenzo Costa, Domenico Panetti und sogar, wenn ich mich nicht täusche, ein Bild des wenig bekannten Francesco Bianchi dem lernbegierigen Kunstfreunde vorstellen zu können, also fast die ganze namhafte künstlerische Nachkommenschaft des Tura.

Es war eine Eigenthümlichkeit der alten Ferraresen, die sie übrigens mit einigen Zeitgenossen aus der Schule des Squarcione, wie z. B. mit dem großen Mantegna[237], gemein hatten, den Thron der Madonna auf ihren Bildern reichlich mit Reliefs auszuschmücken; ein Gebrauch, der durch den Francesco Bianchi bis auf den Correggio gelangte und mit den Werken aus der Frühzeit dieses Meisters verschwand[238]. Was jedoch den alten Ferraresen von Tura an bis auf die Schüler Costa’s ausschließlich eigen war, ist der Aufbau der Thrones der Madonna in zwei Theilen und zwar in der Weise, daß zwischen der Basis und dem obern Theile des Thrones ein freier Raum übrig bleibt, durch den man in’s Freie blickt[239]. Wie Herr Doktor Julius Meyer ganz treffend bemerkt, nimmt Cosimo Tura (Cosimo lautet auf ferraresisch Cosmè) unter den Ferraresen denselben Platz ein, den Andrea Mantegna in der Schule von Padua, Dario von Treviso in der von Treviso; Bartolommeo Vivarini und Giovanni Bellini (von 1460 bis 1480) in der Stadt- venezianischen Malerschule, Vincenzo Foppa in der lombardischen u. s. f.

Wie aber jede Schule ihren Mantegna, so hatte auch jede ihren Pietro Perugino und endlich auch ihren Raffael. Die Stelle, welche Perugino in der Schule von Perugia einnimmt, gebührt dem Lorenzo Costa in der ferraresisch-bolognesischen Malerschule.

Von diesem, wie mir scheint, viel zu wenig beachteten geistvollen und liebenswürdigen Maler besitzt die Berliner Galerie mehrere recht gute und charakteristische Bilder, eins vom Jahre 1502, ein anderes mit der Jahreszahl 1504 bezeichnet. Lorenzo Costa siedelte schon im Jahre 1483 von Ferrara nach Bologna über. Man behauptet gewöhnlich, Francia habe möglicherweise höchstens die Technik des Malens von ihm erlernt, dagegen soll er, einmal Herr und Meister des Pinsels geworden, wiederum überwältigend auf Lorenzo Costa zurückgewirkt haben. Jeder vorurtheilsfreie Kunstfreund, der die hiesigen zwei Bilder des Costa aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts[240] mit seinen großen Temperabildern aus dem Jahre 1488 in der Kapelle Bentivoglio (Kirche S. Jacopo maggiore) in Bologna vergleicht, wird schwerlich in Abrede stellen können, daß aus allen diesen Gemälden, die doch einen Zeitraum von etwa sechzehn Jahren umschließen, stets der nämliche Charakter herausschaut. In der Kapelle der h. Cäcilie (bei S. Jacopo maggiore in Bologna), wo in den Jahren 1505 und 1506 beide Meister neben einander gemalt, bleibt man vor jenen herrlichen Fresken ungewiß, ob Costa mehr dem Francia oder aber dieser dem Costa mehr abgelauscht habe.

Die Municipaleitelkeit der Bolognesen ging jedoch so weit, daß einige ihrer Localschriftsteller bei dem großen Altarbilde, jetzt im Chore von S. Giovanni in Monte in Bologna aufgestellt[241], wo sie die Ausführung dem Costa nicht absprechen konnten, doch die Erfindung und die Zeichnung ihrem Francia vindiziren zu müssen glaubten. Diese Behauptung ist leider selbst von den florentinischen Herausgebern des Vasari (Ediz. Lemonnier IV, 243, 2) wiederholt worden, was bei diesen um so auffallender, ja unverzeihlich ist, als in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizigalerie die Federskizze zu jenem Bilde sich vorfindet; freilich unter dem falschen Namen des Filippino Lippi. (Von Philpot in Florenz photographirt, No. 763.[242].

Ich habe bereits bei einer andern Gelegenheit (s. meine Artikel über die Galerie Borghese in der von Lützow’schen Zeitschrift für bildende Kunst) meinen jungen Freunden durch einige Beispiele von Bildern in den florentinischen Sammlungen klar zu machen gesucht, wie der äußere Schulcharakter vom Lehrer auf den Schüler manchmal so streng sich fortpflanzt, daß es Neulingen in der Kunstwissenschaft gar oft begegnet, z. B. den Fra Filippo Lippi mit seinem Vorbilde Masaccio, diesen mit dem Filippino Lippi (Porträt No. 286 in der Uffizigalerie), den Fra Filippo wieder mit Botticelli (Uffizigalerie No. 1179), oder aber, wie dieß in einer nordischen Galerie der Fall ist, den Raffaellino del Garbo mit seinem Lehrer Filippino zu verwechseln. Aehnliches hat nun auch mit der ferraresischen Schule des Cosimo Tura stattgefunden. Der h. Sebastianus, ein untrügliches Werk des Cosmè (gegenwärtig im Besitze des Antiquars Guggenheim in Venedig) wurde von allen Kunstschriftstellern, selbst von den Herren Cr. und Cav. (I, 538) dem Schüler Lorenzo Costa zugeschrieben, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil man behauptet, daß der Name des Costa in hebräischer Schrift darauf verzeichnet stehe. Die Inschriften jedoch, sowohl auf Bildern als anderswo, können doch nur einen relativen Werth haben, nämlich insofern sie mit dem Gegenstande selbst, den sie bezeichnen, übereinstimmen. Darum sagt auch ein altes venezianisches Sprüchwort: chi guarda cartelo, no magna vedelo (auf deutsch: wer einem cartello (Aufschrift) traut, der ißt kein Kalb- sondern wahrscheinlich Hammelfleisch, mit andern Worten: der wird betrogen). Jener hebräischen Aufschrift, falls sie wirklich, wie man sagt, magister Laurentius Costa[243] bedeutet, widerspricht jedoch das Bild selbst, welches so deutlich den Charakter des Tura an der Stirn trägt, daß es als Beispiel seiner Art und Weise den Neulingen vorgestellt werden könnte. Und wie nun in dieser in ihrer Art ganz trefflichen Gestalt des h. Sebastianus Cosmè für seinen Schüler Costa genommen wurde, so ward wiederum in einem andern berühmten Bilde (gegenwärtig im Hause Strozzi in Ferrara) dieser mit seinem Schüler Ercole Grandi, di Giulio Cesare, verwechselt. Freilich muß zugegeben werden, daß hier der Schüler sich so sehr der Art und Weise des Lehrers nähert, daß es vielleicht nicht zu gewagt wäre, anzunehmen, die Composition des Bildes rühre von Costa her und nur die Ausführung gehöre dem Grandi an[244].

Zur Belehrung meiner jungen Freunde erlaube ich mir, ihnen hier ein Facsimile der Form des Ohres und der Hand sowohl bei Cosimo Tura als bei Lorenzo Costa[a 38]

Hand des Lorenzo Costa.   Hand des Cosimo Tura.
Ohr des Cosimo Tura.   Ohr des Lorenzo Costa.

vor die Augen zu stellen, damit sie sich die Verschiedenheit der Formen dieser zwei ferraresischen Meister leichter merken können. Während Tura knollig und eckig ist, zieht Costa seine Formen stets in die Länge. Zu guterletzt muß ich noch bemerken, daß die landschaftlichen Hintergründe von Costa, die gewöhnlich die Aussicht aufs Renothal, in der Nähe von Bologna, darstellen, an Feinheit des Liniengefühls und an poetischer Auffassung ihresgleichen unter den Landschaften der Zeitgenossen suchen.

Zu den frühern Schülern des Cosmè mag der Ferrarese Francesco Bianchi gehört haben. Er muß zwischen den Jahren 1440 und 1450 geboren sein. Sein ältestes mir bekanntes Bild befindet sich im Besitze der Erben (Lombardi) des Professors Saroli in Ferrara und stellt den „Tod der Maria“ dar. Dies Gemälde zierte ehedem die Kirche des Klosters von S. Guglielmo von Ferrara.[245].

Bianchi dürfte schwerlich vor dem Jahre 1480 nach Modena übergesiedelt sein. Hat derselbe aber bis zu dieser Epoche in Ferrara verweilt, so möchte wohl mancher ferraresische Maler, den man bisher direkt vom Tura herkommen läßt, seine Lehrzeit eher im Atelier des Bianchi durchgemacht haben. Zu seinen Schülern in Modena rechne ich, nach dem Bilde des Bianchi in der Louvregalerie namentlich zu schließen, auch jenen Marco Meloni aus Carpi, von dem die Galerie von Modena einige gute, bezeichnete Gemälde (No. 58 und 59) besitzt. Freilich muß Meloni in der Schule des Francia sich ausgebildet und auch Werke des P. Perugino gesehen haben.

Das Bildchen dieser Galerie, das ich dem Francesco Bianchi zuschreiben zu müssen glaube, stellt die „Beschneidung Christi“ dar und führt die Nummer 119. Der verstorbene Doctor Waagen setzte es mit richtigem Takte in die ferraresische Schule und fügte treffend hinzu: dem L. Costa verwandt. Ich gehe jedoch noch einen Schritt weiter und glaube trotz der Maske, die der Restaurator auch diesem Bilde aufgesetzt hat, den wahren Meister desselben zu erkennen, nämlich unsern Ferraresen Bianchi, in Modena Frarrè, der Ferrarese, genannt. Die Jahreszahl 1516, die das Bild trägt, spräche zwar gegen meine Ansicht, da ja bekanntlich Bianchi schon im Jahre 1510 starb. Ich bin jedoch diesmal so keck, meinen Augen, die in der Form der Hände und des Ohres, an der Stellung und Bewegung der Figuren ganz deutlich den Meister zu erkennen glauben, mehr zu trauen als der auf dem Bilde später aufgesetzten Jahreszahl, die mir also apokryph erscheint.

Doch auch noch einen dritten Schüler des Tura und Altersgenossen des L. Costa ist es uns vergönnt, in dieser Galerie kennen zu lernen. Ich meine den Domenico Panetti, dem das Bild unter No. 113 angehört. Es stellt die „Klage um den Leichnam Christi“ dar und ist mit dem Namen des Malers bezeichnet. Panetti ist ein Meister, dessen Werke außerhalb seiner Vaterstadt nur höchst selten angetroffen werden.

Haben wir Lorenzo Costa den Perugino der ferraresischen Schule genannt, so dürfte man in gewisser Beziehung Panetti den Pintoricchio derselben nennen, wiewohl der Peruginer als Künstler den etwas nüchternen und philisterhaften Ferraresen weit überragt. Panetti mag etwa zwischen 1450 und 1460 geboren sein, er starb um 1512. Daß derselbe unter dem Einflusse umbrischer Meister(?) sich weiter ausgebildet habe, ist doch wohl schwerlich anzunehmen, mir wenigstens erscheint er in allen seinen Werken durchaus als Ferrarese.

Als Schüler eher des Panetti denn des in Bologna weilenden L. Costa, wie allgemein angenommen wird, dürfte Lodovico Mazzolini angesehen werden. Für diese meine Ansicht sprechen sowohl die Form des Ohres und der Hand bei ihm, als auch der landschaftliche Hintergrund[246] auf seinen Bildern wie auch seine Farbenscala. Auch von diesem schillernden Ferraresen weist die Berliner Galerie mehrere charakteristische Bildchen auf.

Wir sind nun stufenweise endlich zu den zwei berühmtesten Maler dieser Schule angelangt, ich meine den Giovanni Dosso und den Benvenuto Garofolo, welche unter den Ferraresen etwa den nämlichen Platz einnehmen, den Gaudenzio Ferrari und Bernardino Luini, ihre Zeitgenossen, in der lombardischen behaupten. Sie lebten nämlich alle in einer Epoche, als in Italien die Kunst ihren Culminationspunkt erreichte. Daß Dosso, wie der Katalog meint, sich auch in Rom aufgehalten habe, muß ich in Zweifel ziehen. Mir wenigstens ist kein schriftliches Dokument bekannt, woraus man einen solchen Schluß ziehen könnte, und in seinen Werken bleibt Dosso stets Ferrarese; in späterer Zeit wird allerdings sein ferraresisches Colorit venezianisch[247], jedoch von Einwirkungen Raffaels sind nirgends Spuren in seinen Werken aufzufinden[248].

Im Jahre 1512 hatte Dosso seine Malereien für den Hof der Gonzaga in Mantua bereits vollendet. Im Jahre 1532 war er auch in Trient thätig, und seine „thronende Madonna mit dem Kinde, dem ein h. Bischof den Cardinal von Cless anempfiehlt“ besteht, zwar sehr verdorben, noch immer im Schlosse daselbst (oberhalb einer Thüre, die in den Rathsaal führt). Dosso’s Bild (No. 264) in dieser Galerie, ein Fragment, stellt die Kirchenväter in Betrachtung über das Mysterium der unbefleckten Empfängniß Mariae dar; es hat leider bei der Uebermalung so sehr eingebüßt, daß man sich an demselben in seinem gegenwärtigen Zustande keinen rechten Begriff von Dosso’s Kunst mehr machen kann.

Besser als Dosso ist hingegen sein Zeitgenosse und Nebenbuhler Garofolo in diesen Sälen repräsentirt, und sein „büßender Hieronymus“ (No. 243), seine „Anbetung der Könige“ (No. 260), seine „Grablegung“ (No. 262) und seine „Verkündigung“ sind ganz gute Bilder, vor denen man den Meister richtig kennen lernt. – (Ueber diesen Meister verweise ich meine jungen Freunde auf meinen Aufsatz über die Borghese Galerie, in der von Lützow’schen „Zeitschrift für bildende Kunst“).

Wir kommen nun zu den eigentlichen Bolognesen, einer Völkerschaft, die lange Zeit in der Kunst durchaus von den Ferraresen abhängig blieb. Ihre Maler aus dem 14. Jahrhundert und der ersten Hälfte des folgenden, wie der s. g. Crocefissaio, Jacopo Avanzi, Lippo Dalmasio u. a. m. sind sehr untergeordnete Künstler, den Veronesen Altichiero und Vittore Pisano, oder gar den gleichzeitigen Senesen und Florentinern gegenübergestellt. Ihr Marco Zoppo ist eigentlich nur eine Carrikatur seines Lehrers Squarcione und verweilte überdies den größten Theil seines Lebens in Venedig. Erst um das Jahr 1470 durch die von den Bentivogli nach Bologna berufenen Ferraresen Francesco Cossa, Galasso Galassi, Ercole Roberti und namentlich durch Lorenzo Costa (1483 bis 1509) wurde die ältere bolognesische Malerschule (die s. g. Schule des Francia) gegründet. Sehen wir uns z. B. die Nielloarbeiten des Francesco Raibolini an, welcher bis ungefähr um 1490 Goldarbeiter geblieben war, so finden wir in denselben keine Spur jenes Stils, den er später durch die Berührung mit Lorenzo Costa in seinen Gemälden entwickelte.

Auch diese ferraresisch-bolognesische Malerschule ist in der Berliner Galerie ziemlich vollständig repräsentirt durch die Meister Francesco Raibolini, Francia genannt, und dessen Söhne Giacomo und Giulio Francia, durch Amico Aspertini, Girolamo Marchesi, Bartolommeo Ramenghi und Innocenzo Francucci.

Zur großen Zierde dieser Sammlung gehören nun vorerst einige Werke aus der kräftigen, herben Frühzeit des edeln, in seinen Formen stets reinen und geschmackvollen Francia. Dazu rechne ich vor allen die liebenswürdige Madonna mit dem Kinde und dem h. Joseph (No. 125), die Francia für seinen Freund Bianchini malte, und die ungefähr derselben Epoche angehören mag, in welcher der bewunderungswürdige h. Stephanus der Borghesegalerie in Rom entstand. – Ohr und Hand sind auf diesem Bild sehr charakteristisch für den Meister.

Daß Francesco Raibolini, wie der Katalog meint, unter dem Einflusse des Perugino und der florentinischen Kunst gestanden habe, lasse ich dahingestellt sein, da ich der Beeinflussungstheorie der Herren Cr. und Cav. sehr abgeneigt bin, indem ich dieselbe für durchaus unwahr und unhistorisch halte.

Sehr schwach ist dagegen in seinem Bilde No. 118, der „Anbetung der Hirten“, Amico Aspertini in dieser Galerie vertreten. Dieser Schüler des Costa ist sehr ungleichmäßig in seinen Arbeiten; manchmal ist er extravagant und barock, manchmal giebt er uns in seinen Gemälden die schönsten Episoden, wie z. B. seine zwei Wandgemälde in der Kapelle der h. Cäcilie in Bologna beweisen. Amico liebt seine Bilder zuweilen mit Gold auszustaffiren und sonst noch durch allerlei Nebendinge interessant zu machen. Gewöhnlich verleiht er seinen Figuren einen allzu großen Schädel, sodaß dieselben schon daran von denen seines Lehrers sich erkennen lassen. Zuweilen jedoch, zumal in den Porträts, kommt er dem Lorenzo Costa so nahe, daß es nicht leicht ist, den einen Meister vom andern zu unterscheiden. Die Farbenscala des Aspertini ist jedoch stets tiefer als die seines Vorbildes Costa.

Die Herren Cr. und Cav. lassen, auf die Aussage des Malvasia hin, den Amico Aspertini in seiner Kunst nicht vom Costa herkommen, sondern vom Ercole Roberti und stellen neben diesen Lehrer noch einige Schüler des Pintoricchio, doch nur Schüler zweiten Ranges. Sie erklären ferner die Wandgemälde des Aspertini in der Kapelle der h. Cäcilie, vom Jahre 1506[249], für seine Erstlingswerke, während sein „tirocinium“ bezeichnetes großes Altarbild (in der bolognesischen Pinakothek) ohne allen Zweifel einer viel frühern Epoche angehören muß. Auch schreiben sie diesem bolognesischen Meister das eine (No. 573) der zwei Bildchen im Museo von Madrid zu, welche im Kataloge des Don Pedro Madrazo der altumbrischen Schule zugewiesen sind, mir aber als untrügliche Werke des Baldassare Peruzzi erscheinen aus seiner Frühzeit, nämlich, da er noch unter dem Einflusse des Pintoricchio malte, wie z. B. in seinen Fresken in S. Onofrio in Rom[250]. Das andere Bildchen (No. 574) ließen die Historiographen unbeachtet (I, 576). Wie wir aus den Fresken in S. Onofrio zu Rom wissen, malte Baldassare Peruzzi, ehe er sich den Soddoma zum Vorbilde wählte, unter dem Einflusse und der Leitung des Pintoricchio.

Von des Francia Söhnen und Schülern Giacomo und Giulio befinden sich mehrere Bilder in dieser Sammlung. Die „Keuschheit“ (No. 271) gehört der Frühzeit des Giacomo an und wurde wahrscheinlich nach einer Zeichnung des Vaters von ihm gemalt. Auch „Maria mit dem Kinde und dem h. Franciscus“ (No. 293) ist ein frühes Werk des Meisters. Im großen Bilde „Maria als Himmelskönigin“ (No. 287) scheinen mir die Heiligen Franciscus und Johannes der Täufer die Hand des jüngern Bruders Giulio zu verrathen.

In des Giacomo Bildern aus den dreißiger Jahren (1530–1540) erkennt man deutlich den Einfluß, den der damals hochberühmte Dosso auch auf diesen Bolognesen ausgeübt hat (Breragalerie, No. 171 und 177). Die Herren Cr. und Cav. schreiben dem Giacomo Francia zwar auch die zwei Wandgemälde in der Kapelle der h. Cäcilie zu, von denen das eine die „Taufe des Valerianus“, das andere die „Marter der h. Cäcilie“ darstellt (I, 574), dieselben gehören jedoch, wie schon Lami in seiner im Jahre 1560 gedruckten „Graticola“ sagt, dem Tamarozzo, einem Schüler des Costa und des Francia an[251].

Ein anderer Maler aus der Schule des Francia, welcher sich in späterer Zeit den Dosso zum Vorbilde gewählt, ist Bartolommeo Ramenghi aus Bagnacavallo. Ich bezweifle sehr, daß er entweder unmittelbar, wie Girolamo Marchesi, oder mittelbar, wie Innocenzo da Imola, irgend welchen Einfluß von Raffael erfahren habe. Mir wenigstens ist kein einziges Werk von ihm zu Gesichte gekommen, in dem ein geistiger Einfluß Raffael’s auf ihn bemerkbar gewesen wäre. In seinen Bildern aus der Frühzeit erinnert er an die Schule des Francia, etwa wie seine Zeitgenossen Giacomo und Giulio Francia; später ahmte er den Dosso nach. Ueberhaupt muß die Behauptung einer direkten Einwirkung Raffael’s auf seine Zeitgenossen mit großer Vorsicht aufgenommen werden, wie auch die des Mantegna oder des Perugino auf ihre Zeitgenossen cum grano salis zu verstehen ist. Diese angenommenen Traditionen wurzeln in den meisten Fällen nur in der Munizipaleitelkeit. Doch kann man zugeben, daß allerdings bei vielen Malern aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Verbreitung der Compositionen Raffael’s durch die Stiche eines Marcantonio, eines Marco Dente, eines G. Caraglio u. a. m. viel dazu beigetragen haben, den Einfluß des großen Urbinaten auf alle Provinzen Italiens mehr oder weniger auszudehnen.

Das Bild des Bagnacavallo in dieser Galerie, No. 238, stellt die HH. Petronius, Agnes und Ludwig von Toulouse dar und gehört der Zeit des Meisters an, in der er den Dosso nachahmte.

Ein anderer Romagnole, ein Zeitgenosse der ebengenannten Meister, ist Girolamo Marchesi da Cotignola. Derselbe ist weniger als Schüler des Francia, wie der Katalog sagt, zu betrachten denn als Zögling seiner Landsleute, der Brüder Francesco und Bernardino Zaganelli aus Cotignola[252]. Seine Werke aus der Frühzeit, wie z. B. die „Grablegung“ (No. 119), in der Bildergalerie von Pesth, „Hieronymus Marchesys de Cotignola“ bezeichnet, liefern uns dafür den schlagendsten Beweis. Sein Bild in dieser Galerie vom Jahre 1526 („Ertheilung der Ordensregel an die Bernhardiner“, No. 268) gehört also der Zeit an, in der auch dieser Romagnole in Rom gewesen war und daselbst starke Einflüsse von Raffael aufgenommen hatte. Ja, es ist sogar höchst wahrscheinlich, daß Marchesi wirklich in den „Loggie“, also nach den Zeichnungen und unter der persönlichen Leitung Raffael’s gearbeitet habe.

Wir schließen diese flüchtige Rundschau der ferraresisch-bolognesischen Malerschule mit einem dritten Romagnolen, der später zwar auch den Raffael nachzuahmen trachtete, jedoch keineswegs mit demselben Geiste wie Girolamo Marchesi. Dieser Maler hieß Innocenzo Francucci und stammte aus Imola. Wie sehr jedoch derselbe in seiner Jugend auch von den Florentinern, namentlich von Mariotto Albertinelli, sich beeinflussen ließ, sieht man besonders deutlich an der obern Hälfte seines Bildes vom Jahre 1517 in der Pinakothek von Bologna (No. 89), in welchem er die Maria mit dem Kinde auf Wolken dargestellt hat, umgeben von Engeln, und unten den Erzengel Michael und die HH. Petrus und Benediktus. – Das Bild des Francucci in der Berliner Galerie trägt die Nummer 280 und stellt Maria mit dem Kinde und Heiligen dar. Eine von den ebengenannten, drei Romagnolen ganz verschiedene Schulbildung ward ihren zwei Landesgenossen Niccolò Rondinelli aus Ravenna und Marco Palmezzano aus Forlì zu Theil. Der erstere erlernte seine Kunst im Atelier des Giambellino in Venedig, der zweite von seinem großen Landsmann Melozzo, einem direkten oder indirekten Schüler des gelehrten Pier della Francesca. Palmezzano, ein sehr mittelmäßiges Talent, muß jedoch später auch von Rondinelli beeinflußt worden sein, wie dies schon seine dem Ravennaten ganz eigenthümlichen, reichlich mit goldenen Arabesken verzierten Madonnenthrone zu erkennen geben.

Die Berliner Galerie besitzt weder Bilder von Rondinelli noch von Palmezzano, wohl aber das Werk eines spätern Ravennaten, des Luca Longhi. Die ebenfalls mit Goldarabesken geschmückten Throne auf den Bildern des Longhi lassen uns vermuthen, daß er seine ersten Lehrjahre unter der Leitung seines Mitbürgers Rondinelli durchgemacht habe. Später jedoch muß er, scheint mir, Bologna besucht und dort sich an den Werken des Innocenzo da Imola und des Giacomo Francia ausgebildet haben.

Die Bilder seiner ersten Manier, welche ungefähr bis zum Jahre 1545 reicht, haben alle ein noch ziemlich alterthümliches Aussehen; in seiner zweiten Manier giebt er sich als Nachahmer des damals hoch in der Gunst stehenden Parmeggianino zu erkennen. Seine thronende Maria mit dem Christkinde und Heiligen in dieser Galerie (No. 117) gehört dem Jahre 1542 und also noch der ersten Manier des Meisters an.

Hat die Berliner Sammlung kein Werk des nüchternen Marco Palmezzano aufzuweisen, so besitzt sie dafür ein höchst interessantes Bild des Landsmannes und Meisters desselben, nämlich des Melozzo da Forli. Es ist dies eine allegorische Darstellung der Pflege der Wissenschaft unter dem Herzoge Friedrich von Montefeltro am Hofe von Urbino und[WS 2] gehörte einer Reihenfolge ähnlicher Bilder an, die wahrscheinlich dereinst dem großen Bibliotheksaale im herrlichen Schlosse von Urbino zur Zierde gedient haben möchte. Drei andere Bilder aus dieser Reihenfolge befinden sich in England (zwei davon in der Nationalgalerie, die Rhetorik(?) und die Musik(?) darstellend, No. 755 und 756), ein drittes im Schlosse von Windsor: Herzog Friedrich und sein Sohn Guidobaldo mit Victor von Feltre, dem Lehrer desselben; auf Holz gemalt[253]. Ein fünftes aus dieser Bilderreihe sah ich vor Jahren in einem der oberen Säle des Palazzo Barberini in Rom. Dasselbe stellte den Herzog Friedrich auf einem Thronsessel sitzend dar, vor ihm sein Sohn Guidobaldo im Knabenalter[254]. Melozzo und sein um wenige Jahre jüngerer Landsmann Bramante mögen sowohl in der Architektur als auch in der Malerei aus derselben Quelle, wahrscheinlich in Urbino, die Anfangsgründe ihrer Kunst geschöpft haben. Beide Männer waren mehr Architekten als Maler, und beide haben die letztere Kunst nur zur Ausschmückung und Verschönerung ihrer Bauten in Anwendung gebracht. Auch scheinen mir beide z. B. in der Art und Weise, wie sie ihre Köpfe modelliren, große Aehnlichkeit mit einander zu haben.

Wie von Melozzo, zum Theil wenigstens, der Veroneser Falconetto in seiner Kunst herkommt, so von[WS 3] Bramante der Mailänder Bartolommeo Suardi, Bramantino genannt. Auch diese zwei nordischen Schüler der Urbinaten waren mehr Architekten als Maler oder wenigstens als solche mehr Decorationsmaler. Ein Vergleich dieser beiden Künstler unter einander und mit dem Sienesen Baldassare Peruzzi, der ja ebenso, wie sie, Architekt und Decorationsmaler war, möchte nicht ganz ohne Interesse für den Entwicklungsproceß der italienischen Kunst sein, doch ich sehe, daß hier nicht der passende Ort ist, diesen Vergleich durchzuführen. Wenden wir uns daher vom Rubicon wieder abwärts der adriatischen Meeresküste entlang, wo wir vergebens nach einem Heerde der Kunst uns umschauen würden. Um einen solchen wieder aufzufinden, sind wir gezwungen dem Meere den Rücken kehrend ins nahe Gebirge hinaufzusteigen, nach Urbino, Fabriano, Gubbio und Sanseverino.

Von den Malern aus Urbino besitzt die Berliner Galerie keine Werke, weder von Fra Carnevali noch von Giovanni Santi, dem Vater Raffael’s, weder von Girolamo Genga noch von Timoteo Viti. Der Katalog schreibt zwar noch immer einen sich kasteienden h. Hieronymus (No. 124) und eine thronende Madonna mit dem Kinde und Heiligen diesem Meister zu, wie mich dünkt, aber mit großem Unrecht.

Der kleine Hieronymus hat durchaus den Charakter der Peruginischen Malerschule und nähert sich der Weise des Giovanni Spagna, hat somit mit Timoteo Viti, der zur Schule des Francia gehört, gar nichts zu schaffen.

Ueber das andere Bild, die thronende Madonna (No. 120), hören wir vorerst die Meinung des Herrn Baron von Rumohr. Dieser gelehrte deutsche Kunstforscher sagt im III. Bande seiner „Italienischen Forschungen“, S. 23, folgendes von diesem Bilde: „Die Charaktere der Aufschrift IO. SANCTIS. VRBI. P. auf dem schönen Bilde der königlichen Galerie zu Berlin haben ein echteres Ansehen; auch scheint der anmuthsvolle(?) Knabe zur Rechten in seinem Hemdchen den späteren Bildnissen Raffael’s(!!) in etwas zu gleichen, was auch für die Echtheit der Aufschrift eine günstige Stimmung erweckt.“

Die Meinung Rumohr’s war offenbar durch den Umstand beeinflußt, daß das Gemälde zur Zeit, als er es sah, mit dem Namen des Giovanni Santi bezeichnet war. In späterer Zeit jedoch, wahrscheinlich bei einer Reinigung oder Restauration des Gemäldes, ist auf einmal die Aufschrift verschwunden, und das Bild blieb ohne Namen. Um nun aus der Verlegenheit zu kommen, sah man sich nach dem Namen irgend eines andern Malers aus Urbino um und fand, daß der des Timoteo Viti wohl der passendste sein dürfte.

So stand die Kunstkritik noch vor etwa einem halben Jahrhundert. Und seit jener Periode paradisischer Unschuld scheint sie mir keine besonderen Fortschritte gemacht zu haben, wenigstens nicht in Bezug auf die Bedeutung des Timoteo Viti.

Irre ich nicht sehr, so dürfte diese thronende Madonna von irgend einem Maler aus der Romagna, der dem Luca Longhi von Ravenna nahe gestanden, herrühren. Die Typen und Charaktere erinnern an Luca Longhi, ebenso die Thronnische der Madonna mit dem grünen, rothgesäumten Vorhange dahinter, des etwas in Longhi’s Manier einfältig gescheitelten Kinderkopfes zu geschweigen. Dem sei jedoch, wie ihm wolle, das Bild No. 120 gehört in keinem Falle dem edeln Timoteo an. Da ich bei Besprechung der Bilder aus der Frühzeit Raffael’s ausführlich mich über Timoteo auszusprechen gedenke, so gehen wir nun ohne Säumniß an die Besprechung der Umbrer, von denen mehrere interessante Werke in dieser Galerie sich vorfinden.

Wer die Hügelstadt Perugia besucht, wird dort, so erging’s wenigstens mir, durch zwei Dinge überrascht: die lieblich klingende, feine Stimme der Frauen und die Aussicht, welche vom Platze aus, wo einst das alte Castell gestanden, über die ganze Thalebene dem entzückten Auge sich darstellt. Zur Rechten das Städtchen Deruta, zur Linken auf einem Hügelvorsprunge, der sich an einen kahlen, sonnverbrannten Berg anlehnt, das schwarze Assisi, die Geburtsstätte des h. Franciscus, wo zuerst seine Feuerseele erglüht und geschwärmt, und wo seine fromme Schwester Clara gewirkt und endlich auch ihr Grab gefunden hat. Weiter, abwärts erreicht unser Blick noch Spello und das nahe Foligno, während die Hügelkette, auf deren Rücken mitten zwischen grauen Olivenbäumen Montefalco herausschaut, das reizende Bild abschließt.

Das ist das schöne Stück Erde, die liebliche Landschaft, in die Pietro Perugino seine keuschen, gotterfüllten Madonnen zu setzen liebte, und die auf seinen Bildern wie sanfte Musik die Seelenstimmung uns noch erhöht, in die seine nach dem Paradiese schmachtenden Märtyrer uns versetzen.

In diesen Thälern, auf diesen Bergen, diesseits und jenseits des Apennins, scheinen einst die Umbrer, nachdem sie aus dem Norden Italiens einerseits durch die Ligurer, andererseits durch die Illyrier südwärts gedrängt wurden, ihren Hauptsitz gehabt zu haben. Mit den in spätern Zeiten vom Norden und Westen her auf sie eindringenden Etruskern scheinen die Umbrer, nach langen und hartnäckigen Kämpfen, sich endlich ausgesöhnt und in friedliche Beziehungen getreten zu sein, und das Mischvolk, das aus der Vermengung von etruskischem mit umbrischen Blute hervorging, die Umbrer des Mittelalters, dürfte seine innige Blutsverwandschaft mit seinen Nachbarn, den modernen Toskanern, vornehmlich durch den Kunstsinn, den sie an den Tag legt, bekunden. Schärfer und viel zäher war der Widerstand, den die Umbrer den vom Süden andrängenden Latinern entgegenstellten. Längs des adriatischen Meeres wurden die ersten jedoch von den letztern überall von der Küste vertrieben und ins Gebirge hinaufgedrängt[255].

Spricht man daher von einer umbrischen Kunstschule, so darf man nicht etwa, wie dies gewöhnlich geschieht, nur die Peruginische und etwa noch die Folignatische darunter verstehen, man muß auch die verschiedenen transapenninischen Schulen, die doch, wenigstens meiner Anschauung nach, viel naturwüchsiger und charakteristischer, wenn auch nicht so berühmt sind, wie die Peruginischen, mit einbegreifen; ich meine die Schule von Gubbio, welche in Ottaviano Nelli ihren Glanzpunkt fand, die von S. Severino und namentlich die Schule von Fabriano, aus der Allegretto Nuzi und sein weltberühmter Schüler Gentile da Fabriano hervorgingen. Alle die eben berührten Malerschulen blühten im Anfange des 15. Jahrhunderts, zu einer Zeit also, wo weder in Perugia noch in Assisi noch in Foligno der Kunstsinn des Volkes irgend ein Lebenszeichen gab; denn die Maler, welche die Klosterkirchen von Assisi mit Wandmalereien schmückten, waren nicht Söhne des Landes, und die, welche damals in Perugia meißelten oder malten, waren zumeist Toskaner. Will man also den wahren, den naturwüchsigen Charakter der umbrischen Kunst kennen lernen, sich mit ihm vertraut machen, so darf man weder den Niccolò da Foligno und noch weniger den P. Perugino oder den Pinturicchio als Vertreter derselben ansehen, wie dies doch bisher seit Rumohr geschehen ist, sondern muß die ebengenannten Hauptrepräsentanten der Malerschulen von Gubbio, von Sanseverino und von Fabriano ins Auge fassen.

Leider ist von Ottaviano Nelli nur das bekannte Wandgemälde in der Kirche S. Maria nuova von Gubbio noch leidlich erhalten auf uns gekommen. Es ist vom J. 1404; der Engelchor um die h. Jungfrau ist voll Anmuth, wiewohl weder im Kopfe der Maria noch in denen der Engel irgend eine Spur jener religiösen Schwärmerei, jenes Schmachtens wahrzunehmen ist, das in der Schule des Niccolò da Foligno zuerst auftritt und in der des P. Perugino so charakteristisch wurde, daß man es als ein Hauptmerkmal bezeichnete, an dem die umbrische gegenüber den andern Malerschulen Italiens zu erkennen wäre[256].

Das besterhaltene Werk der Gebrüder G. und L. da Sanseverino sind die Fresken der kleinen Brüderschaftskirche von S. Giovanni in Urbino, deren Wände mit Darstellungen aus dem Leben des Täufers und der h. Jungfrau geschmückt sind. In diesen Gemälden begegnen wir schon Bildnissen von Männern und Frauen voll Leben und Ausdruck; allein auch hier würden wir vergebens nach jenem schmachtenden Zuge suchen, der für die Schulen von Foligno und für die des Perugino so bezeichnend ist.

Die Malerschule von Fabriano erlangte ihre Berühmtheit nicht sowohl durch Allegretto Nuzi als vielmehr durch dessen hervorragenden Schüler Gentile da Fabriano, vor dessen Wandgemälden in S. Giovanni in Laterano zu Rom (an denen freilich sein Mitarbeiter, der große Pisanello aus Verona, auch Hand angelegt hatte) Roger van der Weyden im Jahre 1450 den etwas gewagten Ausspruch gethan haben soll, Gentile erscheine ihm als der vorzüglichste aller Maler Italiens[257]. Leider sind die ebengenannten Wandgemälde wie auch seine andern Fresken zu Grunde gegangen, so jene im Sacellum des Pandolfo Malatesta in Brescia[258], etwa vom Jahre 1418; ebenso die Malereien im Dogenpalast von Venedig (1420) und die im Dome von Orvieto (1425–26). Nur einige wenige Tafelbildchen dieses Meisters sind uns erhalten geblieben, von denen die Apotheose der Maria mit den HH. Franciscus, Hieronymus, Magdalena und Dominicus in der Breragalerie, ein kleines Madonnenbild in der städtischen Galerie von Perugia und die zwei in Florenz, in der Kirche von S. Niccolò und in der Akademie, die bekanntesten sind. Dieses letztere Bild, die „Anbetung der Könige“ ist wohl das beste unter denselben und wurde von den Kunstschriftstellern auch über die Gebühr gelobt. Seinen großen Zeitgenossen Fra Angelico, Ghiberti, Masaccio, Pisanello gegenüberstellt, gebührt, meiner Ansicht nach, dem Gentile als Künstler eine untergeordnete Stelle.

Von all den ebengenannten umbrischen Malern aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts besitzt, dem Kataloge nach, die Galerie von Berlin kein Werk; wir versparen uns daher die Besprechung der transapenninischen Kunstschulen Umbriens für eine andere Gelegenheit und gehen nun zur Betrachtung der in diesen Sälen aufgestellten Bilder aus der Kunstschule Perugia’s über.

Baron von Rumohr war wohl der erste, der diese umbrische Schule folgendermaaßen charakterisirte (Italienische Forschungen II, 310): „Diese umbrischen Malerschulen hatten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, vielleicht schon ungleich früher(?), durch Tiefe und Zartheit des Gefühls, durch eine wunderbare Vereinigung halbdeutlicher Reminiscenzen aus den Kunstübungen der ältesten Christen mit den Vorstellungen der neuern über ihre toskanischen, lombardischen und venezianischen Zeitgenossen, ungeachtet vieler technischen Unvollkommenheiten, einen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube, jedes Herz sich öffnet; obwohl ihre, an sich selbst schöne und lobenswerthe Stimmung, auf die Länge durch Einförmigkeit zu ermüden pflegt. Woher eben diesem engen Bezirke Italiens eine so ganz eigenthümliche Richtung gekommen sei, habe ich oben, dort freilich ohne zulängliche Beweise, aus der Einwirkung des Sienesers Taddeo di Bartolo auf den Bezirk von Perugia zu erklären versucht; eines Malers, welcher unter allen Umständen zuerst jene Richtung eingeschlagen hat.

„Indeß dürfte hier auch die Lage jener kleinen Ortschaften in Betracht kommen, welche den Hügel von Assisi, die geweihte Stätte des h. Franz, umkränzen und in so großer Nähe des Mittelpunktes seiner Stiftung bereitwilliger sein mußten, sich den Ansichten und der Stimmung hinzugeben, welche diesen Orden beherrschen und unläugbar mitgewirkt haben, die neuere Malerei ihrer Höhe entgegenzuführen(!). Es zeigte sich jene Richtung zunächst nicht in Perugia, wo um die Mitte des Jahrhunderts ein äußerst mittelmäßiger Charaktermaler, Benedetto Bonfigli, im Besitze der Gunst war, sondern in dem kleinern Foligno, in den Arbeiten des Niccolò Alunno.“

Aus dieser Auseinandersetzung des Barons von Rumohr ersehen wir also:

Erstens: daß in Perugia selbst um die Mitte des 15. Jahrhunderts der mittelmäßige Charaktermaler Benedetto Bonfigli, in der Gunst des Publikums war, in dessen Bildern keine Spur jener ascetischen Seelenstimmung zu sehen ist, die wir später in den Gemälden des Perugino und auch des Pinturicchio wahrnehmen.

Zweitens: daß der erste umbrische Maler, in dessen Werken diese schöne Seelenstimmung sich offenbarte, Niccolò Alunno von Foligno war, und

Drittens: daß auf die Anregung dieser Stimmung theils der Sienese Taddeo di Bartolo, der im Anfange jenes Jahrhunderts in Perugia gewirkt hatte, theils aber auch die Nähe der geweihten Stätte des h. Franz von Assisi Einfluß gehabt haben dürften.

Das älteste bezeichnete Bild des Niccolò da Foligno soll die Jahreszahl 1458 haben[259], das letzte ist vom Jahre 1499; wir können somit annehmen, daß er um’s Jahr 1430 auf die Welt gekommen sei und also im Jahre 1450 etwa zwanzig Jahre zählte, als Benozzo Gozzoli, nachdem er im Jahre 1446–47 seinem Lehrer, dem Fra Angelico da Fiesole, in der Kapelle des Domes von Orvieto hülfreiche Hand geleistet, nach dem Städtchen Montefalco kam. Dort begann Gozzoli seine schönen, jugendfrischen Wandgemälde in der Kirche von S. Fortunato. Des Benozzo Wirksamkeit in Montefalco und in der Umgegend dürfte wohl bis zum Jahre 1455 gedauert haben. Von Montefalco scheint er sodann nach Perugia übergesiedelt zu sein, wo er unter andern Bildern auch die gute Altartafel vom Jahre 1456 gemalt haben dürfte, welche gegenwärtig in der städtischen Galerie von Perugia ihren Platz gefunden hat.

War also Niccolò da Foligno ein angehender Jüngling, als 1450 Benozzo nach Montefalco kam, so möchte es wohl nicht zu gewagt erscheinen, wenn wir annehmen, daß er als Schüler in die Werkstätte des Gozzoli eingetreten sei. Und in der That kann man bei Betrachtung der Malereien aus der Frühzeit des Alunno die Bemerkung nicht unterdrücken, daß in denselben überall Anklänge an Benozzo wahrzunehmen seien. Ich halte also dafür, daß dieser und kein anderer als der wahre Lehrer des Niccolò, unter dessen Leitung er sich zum Künstler ausgebildet habe, angesehen werden müße. Vor dem Orte Montefalco, am Wege, der zur Kirche von S. Fortunato führt, befindet sich die s. g. cappella della cancellata, welche mit Fresken ausgeschmückt ist, in denen nicht nur die Hand, sondern auch der Sinn des Alunno deutlich wahrzunehmen sind. In diesen Wandgemälden nun stellt der Folignate sich uns überall als von Gozzoli beeinflußt dar. Besuchen wir dann die nahe bei Foligno gelegene Kirche S. Maria in campis, so haben wir an den Malereien des Alunno in jener Kirche dieselbe Bemerkung zu machen; denn auch hier giebt er sich uns als Schüler und Nachahmer des Gozzoli zu erkennen[260]. Niccolò da Foligno verräth jedoch in seinen spätern Werken, sich selbst überlassen, stets die Uebertreibungssucht, die den Bewohner eines kleinen Provinzialstädtchens bezeichnet; er ist nämlich karrikirt und oft sogar grotesk, wie man sich dessen in seinen Altartafeln, die man nicht selten in den Galerien Roms antrifft, leicht überzeugen kann.

Wir kommen nun zur Localschule von Perugia. Da man in neuerer Zeit, zumal in Deutschland, durch die Schriften des geistvollen Kunstforschers von Rumohr dazu zu veranlaßt, dieser Schule vor allen andern Malerschulen Italiens eine Bedeutung gegeben hat, die mir überschwenglich vorkommt, so möge man mir gestatten, wenn auch nur sehr flüchtig, wie eben Ort und Raum es mir gebieten, meine Meinung auch über diesen Punkt auszusprechen. Die Mittheilung derselben ist ja ebensowenig wie diese Studien überhaupt für’s große Kunstpublikum bestimmt, sondern nur an jene wenigen jungen Fachgenossen gerichtet, welche an Selbstforschung Freude haben, und die es vorziehen, ihre Weisheit mehr aus den Werken der Meister selbst als aus den Kunstbüchern zu schöpfen. So, unter vier oder acht Augen, sollt’ ich meinen, darf man sich gar manches mittheilen, was den Ohren der Schriftgelehrten und folglich der Menge, als Haeresie erscheinen müßte.

Wir sagen also, daß aus jener Periode der italienischen Kunst, die man gemeiniglich die Giotteske zu nennen pflegt, weder die Stadt Perugia noch ihr Gebiet einen einzigen namhaften Meister aufzuweisen hat. Die herrliche Klosterkirche von Assisi, von einem Deutschen erbaut, wurde von Giotto und seinen Schülern, worunter man jedoch keinen Peruginer antrifft, ausgemalt. Ueberdies begegnen wir während des ganzen 14. Jahrhunderts sowohl in der Stadt als auch im Umkreise von Perugia meist nur Malern aus der nahen Schule von Siena, wie einem Guido da Siena, dem unbedeutenden Meo di Guido (1319), dem Luigi di Francesco Tinghi (1385), um’s Jahr 1403 dem großen Taddeo di Bartolo von Siena und 1438 dessen Bruder und Schüler, Domenico di Bartolo[261]. Allein auch in der darauf folgenden Kunstepoche, nämlich in der wissenschaftlich-realistischen, wo im Toskanischen, vornehmlich durch die Bemühungen eines Paolo Uccello und dann eines Piero di Borgo S. Sepolcro die Grundlage zur Linienperspektive gelegt, und in den Werkstätten der florentinischen Goldarbeiter das Studium des menschlichen Körpers so herrlich gefördert wurde, hat Perugia keinen eigenen Vertreter aufzustellen und war daher genöthigt, etwa ums Jahr 1440 den Pier della Francesca und den Domenico Veneziano, also zwei fremde Meister, zu sich zu berufen.

Im Jahre 1446 finden wir zwar den Johannes de Boccatis, einen Maler aus dem nahen transapenninischen Bergstädtchen Camerino, in Perugia ansäßig, allein mit der Kunst dieses Mannes war es eben auch nicht weit her, wovon man sich an seinen in der Galerie von Perugia aufgestellten drei Bildern leicht überzeugen kann; und die Malereien dieses Boccati dürften, mit den gleichzeitigen des Veronesers Pisanello, der Gebrüder Antonio und Bartolommeo Vivarini oder gar des A. Mantegna, sowie der Florentiner B. Angelico, Masaccio oder Fra Filippo Lippi zusammengestellt, kaum der Beachtung würdig befunden werden.

Endlich in der Mitte des 15. Jahrhunderts ungefähr tauchen auch in Perugia einige Meister auf, nämlich Angelo di Baldassare und sein Sohn Lodovico di Angelo[262]; Benedetto di Bonfiglio (um 1425 geboren, 1496 machte er sein Testament) und Bartolommeo Caporale[263].

Wir finden somit in Perugia um die Mitte des 15. Jahrhunderts drei Malerfamilien, die in ihren Werkstätten, ungefähr wie die Bicci in Florenz, die Vivarini in Murano, die Badili in Verona u. s. f., alles besorgten, was zur Ausschmückung eines Altars erforderlich war. Die erste dieser Familien ist vertreten durch Bonfiglio und später durch seinen Sohn Benedetto; die zweite durch Baldassare, Angelo di Baldassare und Lodovico di Angelo; die dritte endlich durch die Caporali.

In der Werkstätte der einen oder der andern der ebengenannten Malerfamilien mag nun Fiorenzo di Lorenzo die Anfangsgründe seiner Kunst erlernt haben. Uebrigens kommt wenig darauf an, zu wissen, ob dieser oder jener schwache Maler einem Lehrling den Pinsel in die Hand gelegt habe; als sein wirklicher Lehrer darf doch nur der angesehen werden, welcher ihn zuerst in die Geheimnisse seiner Kunst einweiht und ihm die geistige Richtung giebt. Und diesen Dienst, scheint mir, dürfte Fiorenzo keinem andern zu verdanken haben, als dem Benozzo Gozzoli. Zu dieser Ansicht scheint auch Baron von Rumohr hinzuneigen (Forschungen II, 321). Fiorenzo starb im hohen Alter im Jahre 1520[264]; er muß zwischen 1440 und 1445 geboren sein, da er im Jahre 1472 bereits Decemvir war (Mariotti, p. 31). Zu den liebenswürdigsten Schöpfungen des Meisters zähle ich jene Reihenfolge von acht Bildern, in denen er mit Lebendigkeit, Anmuth und reicher Phantasie Episoden aus dem Leben des h. Bernardinus von Siena darstellte. Eines dieser Täfelchen trägt die Jahreszahl 1473. Diese Gemälde wurden von den Kunstschreibern dem schon in den fünfziger Jahren verdorbenen Veronesen Vittore Pisano, Pisanello genannt, zugemuthet[265], und da noch heutzutage von manchem Kunstfreunde nebst diesen acht Bildern auch die „Anbetung der Könige“, No. 39 in derselben Galerie, dem Fiorenzo di Lorenzo abgesprochen wird, so mögen meine jungen Freunde mir gestatten, in aller Kürze ihnen die charakteristischen, äußern Merkmale anzudeuten, an denen sich die Werke des Fiorenzo di Lorenzo leicht erkennen lassen. Die Form des Ohres ist bei ihm meist faunartig zugespitzt, der Daumen der Hand sowie die große Zehe des Fußes fast immer krampfhaft aufwärts gebogen, die Nasenspitze etwas angeschwollen, und die Lichter auf dem Nasenrücken stark betont; sein Gefälte ist geschlängelt und die Lichter darauf scharf aufgesetzt; auch bringt er auf den Aermeln, am Ellenbogengelenke, meist dichte Querfältchen an. Des Fiorenzo Zeichnung ist immer kräftig und sicher, doch giebt er nicht selten seinen Figuren einen allzulangen Oberleib. Die landschaftlichen Gründe auf seinen Bildern erinnern an diejenigen des Gozzoli, sie sind schön aufgebaut und lieblich empfunden, durch Flüsse und Städte belebt, und die Wolken in denselben sind sehr charakteristisch durch ihre scharf beleuchteten Umrisse. Diese eigenthümlichen äußern Zeichen des Fiorenzo kann man in der Stadtgalerie von Perugia an mehr denn einem Dutzend Bildern bestätigt finden, sowie ebenfalls an der „Anbetung der Könige“, No. 39[266], auf welchem Bilde überdies der Typus des Christkindes ganz derselbe ist, den wir in Polypticon (No. 13) derselben Sammlung finden. Außerhalb des Weichbildes von Perugia begegnet man höchst selten einem Werke von Fiorenzo di Lorenzo[267]. In Deutschland besitzt die Gemäldesammlung des Städel’schen Instituts zu Frankfurt ein sehr schönes Werk von diesem Meister, No. 15, ein kleines Bild der thronenden Jungfrau mit dem Kinde und Heiligen.

Zwischen den Werken des Fiorenzo und denen aus der Frühzeit des Bernardino Betti, genannt il Pinturicchio, oder richtiger Pintoriccio und Pintoricchio, d. h. das Malerchen, finde ich nun eine sehr innige Verwandtschaft[268]. Ein derartiges Werk befindet sich, falls ich mich nicht gänzlich täusche, im Saale I der Borghese Galerie zu Rom, daselbst dem Carlo Crivelli zugeschrieben. Das Bildchen stellt den Gekreuzigten dar zwischen den HH. Hieronymus und Christoph, mit landschaftlichem Hintergrunde. Wie in manchem Bilde aus der Frühzeit des Pinturicchio ist auch hier die Carnation des h. Christoph stark braun; auch erinnert der allzulange Leib des Gekreuzigten an den Lehrer Fiorenzo, wie ebenfalls der Typus des Christkindes. Zudem finden wir schon hier an dem gebogenen Zeigefinger des h. Christoph eine beim Pinturicchio später conventionell gewordene Bewegung. – Nach der Rückkunft des Perugino von Florenz, um 1470, wurde Pinturicchio allerdings auch von diesem Meister stark beeinflußt[269], so daß in einer gewissen Epoche Werke des Letztern dem Erstern zugeschrieben wurden.

In dem trefflichen, für den Meister höchstcharakteristischen Reliquiarium (132a) besitzt die Berliner Galerie ebenfalls ein Werk aus der Frühzeit des Meisters, von ihm wahrscheinlich, ehe er nach Rom kam, gemalt. Auch das reizende Altarbild im Dome von Sanseverino (Maria mit dem Kinde zwischen zwei Engeln und dem Donator), von dem uns die Historiographen der italienischen Malerei ein Facsimile in ihrem Werke zum besten geben (III, 272), möchte ungefähr in diese frühe Epoche Pinturicchio’s zu setzen sein.

Im Jahre 1479, also in seinem fünfundzwanzigsten Jahre, kam Bernardino zum ersten Male in die ewige Stadt und scheint dort sogleich vom Cardinal della Rovere Aufträge erhalten zu haben (Vasari V, 268). Einige Jahre später, um 1483, schmückte Pinturicchio, ebenfalls im Auftrage des della Rovere, die erste Kapelle rechts in S. Maria del Popolo in Rom mit Wandmalereien aus; und wohl nicht viele Jahre später dürften seine schönen, geist- und lebensvollen Fresken in der Bufalinikapelle in der Kirche von Ara coeli von ihm ausgeführt worden sein[270]. Auch in diesen Gemälden erinnert noch manches an Fiorenzo (z. B. die Einkleidung des h. Bernardinus), anderes wieder an Perugino, z. B. der Hintergrund mit dem Tempel in der Mitte auf dem die Ausstellung der Leiche des h. Bernardinus darstellendem Bilde. Herrlich ist dann auf dem Mittelbilde die Landschaft mit den steilen durchbrochenen Felsen, den Cypressen und Palmen. Pinturicchio zeigt sich hier als ein Landschaftsmaler ersten Ranges, wofür er auch damals in Rom allgemein muß gegolten haben, da ihm vom Papste Innocenz VIII. der Auftrag zutheil wurde, einige Hallen im Vatican mit Landschaften zu verzieren (Vasari V, 268). Eben diese seine poetischen landschaftlichen Hintergründe waren es, die mir zuerst beim Anblick der zwei großen Wandgemälde der sixtinischen Kapelle die Augen öffneten und den wahren Meister derselben erkennen ließen. Diese zwei berühmten Fresken, in den Jahren 1480–1482 gemalt, und zwar unter den Auspicien seines ältern Freundes und ehemaligen Lehrers P. Perugino, stellen: das eine die „Taufe Christi“ dar, das andere gegenüber, auf der einen Seite Moses, der vom Engel den Befehl erhält, den eigenen Sohn beschneiden zu lassen, auf der andern Zipporah, welche durch eine ihrer Frauen den Befehl des Engels ausführen läßt; im Hintergrunde sind andere Episoden aus der Reise des Moses dargestellt. Die erste dieser Fresken, d. h. die Taufe Christi, wurde seit Vasari von allen Kunstschriftstellern dem P. Perugino zugeschrieben, die „Reise Mosis“ dagegen seit Jahrhunderten dem Luca Signorelli (Siehe Manni’s Biographie des Luca Signorelli in der Raccolta milanese di vari opuscoli, Vol. I, f. 29 u. f.). Kunstverständigere Schriftsteller neuerer Zeiten, zu denen auch der geistvollste unter ihnen, Jacob Burckhardt aus Basel, gezählt werden muß, haben diese Freske dem Signorelli mit Recht abgesprochen und sie dem P. Perugino vindicirt. Zuletzt gingen die Herren Cr. und Cav. noch einen Schritt weiter, indem sie in beiden Gemälden, sowohl in diesem als in der „Taufe Christi“, außer der Hand des Perugino, auch noch die des Don Bartolommeo della Gatta, und, was mir zur größern Genugthuung gereicht, selbst die des Pinturicchio gewahrten, welch’ letztern Meister die Historiographen übrigens, auch hierin leider den andern Fachgenossen folgend, bloß als einen untergeordneten Gehülfen des Perugino ansehen und gelten lassen wollen (III, 178, 179 und 183[271]).

Vasari erzählt uns im Leben des P. Perugino auf eine etwas verworrene Weise, dieser Maler hätte in der Sixtinischen Kapelle folgende Malereien ausgeführt: Die „Verleihung der Schlüssel“, und zwar gemeinschaftlich mit Don Bartolommeo della Gatta; die „Geburt“ und die „Taufe Christi“; die „Findung Mosis“ und als Mittelbild die „Himmelfahrt der Maria“, auf welch letzterem Gemälde er das Bildniß des Papstes Sixtus IV. angebracht habe. Drei von diesen Fresken, nämlich die Geburt Christi, die Findung Mosis und das große Mittelbild mit der Himmelfahrt der Maria, mußten später dem jüngsten Gericht von Michelangelo Platz machen. Es blieben uns also von den vom Vasari dem Perugino zugeschriebenen fünf Bildern in dieser Kapelle nur die „Verleihung der Schlüssel“ und die „Taufe Christi“. Von dem andern Freskobilde, das die „Reise Mosis“ darstellt, und welches von der neuern Forschung ebenfalls als Werk des Perugino bestimmt wurde, sagt Vasari kein Wort.

Bevor wir nun diese zwei Fresken einer nähern Betrachtung unterziehen, muß bemerkt werden, daß sie, weil in unmittelbarer Nähe des Altars, auch mehr als alle andern Gemälde dieser Kapelle der schädlichen Wirkung des Weihrauchs ausgesetzt waren und somit auch am empfindlichsten gelitten haben. Deshalb mußten dieselben wiederholt der Reinigung und der Restauration unterstellt werden, so daß man in ihrem gegenwärtigen Zustande von der ursprünglichen Farbe gar wenig noch zu sehen bekommt. In den beiden Bildern leidet die Composition an Ueberfüllung – einem Fehler, in den Pinturicchio sehr oft, Perugino fast nie fällt. Betrachten wir nun vorerst den landschaftlichen Hintergrund in beiden Gemälden, so müssen wir uns doch sogleich gestehen, daß diese durchbrochenen Felsmassen, diese Cypressen und Palmen, dieser schöngeformte Thalkessel, selbst der kleinere Vögel verfolgende Falke in der Luft[272] doch eher an die Landschaften des Pinturicchio denn an die des Perugino erinnern. Im Bilde der „Reise Mosis“ ist der Engel in der Mitte eine ganz im Sinne des Pinturicchio bewegte Figur, sind die Kinder (wiewohl die Herren Cr. und Cav. in demselben die Hand des Bartolommeo della Gatta ganz deutlich erkennen wollen, III, 178) durchaus den andern Kindern des Pinturicchio ähnlich, z. B. denen in der Kapelle des h. Bernardinus in Ara Coeli [273], und stechen von den unschönen Kindern des Perugino mit ihrem runden, schlauchartig geformten Bauche sehr vorteilhaft ab. Auch hat die vor der Zipporah knieende Frau, welche eben daran ist, mit einem Steine die Operation am Kinde zu vollführen, den Charakter des Pinturicchio so scharf ausgeprägt, sowohl in ihrem Gesichtstypus als in ihren Körperformen, erinnert der schöne Manneskopf mit schwarzem Haare und rother Mütze in ihrer Nähe ebenfalls so sehr an diesen Meister und nicht an Perugino, daß es mich in Wahrheit höchlich wundert, der erste gewesen zu sein, dem beim Anblicke dieses Bildes nicht Perugino sondern sogleich Pinturicchio in den Sinn kam.

Beschauen wir uns nun genauer das gegenüberstehende Bild, die „Taufe Christi“, so müssen wir hier vor allem den zwei alten bärtigen Köpfen auf der äußersten Rechten des Bildes unsere Aufmerksamkeit zuwenden; beide sprechen laut für Pinturicchio. Ebenso haben die Engel und der Jüngling im Kleide von Goldbrokat daneben durchaus den Typus des Bernardino Betti und nicht den des Vannucci, von den nackten, langbeinigen Jünglingsgestalten im Mittelgrunde gar nicht zu reden. Die Köpfe in diesem Bilde sind zwar alle geistreich und lebendig, wir vermissen in denselben jedoch jene feinere und tiefere Auffassung und Behandlung, die in den Köpfen auf dem Peruginischen Gemälde „die Verleihung der Schlüssel“ uns mit Bewunderung erfüllen.

In meinen Augen also sind die beiden eben besprochenen Wandgemälde, die „Taufe Christi“ und die „Reise Mosis“, Werke des Pinturicchio und nicht des Perugino, wiewohl ich gerne zugebe, daß auch zu diesen Bildern, wie auch zu andern, der jüngere Meister, wie dies ja auch beim jungen Raffael der Fall war, nicht selten der Handzeichnungen seines Freundes und Lehrers Perugino sich bediente und daher diese oder jene Peruginische Figur in diesen Gemälden angebracht haben dürfte[274]. – Die Composition und die malerische Ausführung jedoch gehören, meiner Ansicht nach, unbedingt ihm, dem verachteten Pinturicchio an, und keinem andern.

Vasari, sei es aus Leichtfertigkeit, sei es vielleicht auch in der Absicht, den Perugino, der ja in Toskana sich ausgebildet hatte, in helleres Licht zu stellen, behandelt den Pinturicchio mit der schreiendsten Ungerechtigkeit und Parteilichkeit. Von diesen seinen zwei Wandgemälden in der Sixtina giebt er das eine dem Pietro, über das andere beobachtet er völliges Stillschweigen. Und während er es dem Botticelli und andern Zeitgenossen gar nicht übel anrechnet, daß sie in ihren Malereien, weil’s damals Brauch war, des Goldes sich reichlich bedienen, um ihren Bildern dadurch mehr Glanz zu verleihen, findet er bei Pinturicchio diese Angewöhnung dumm und von ihm nur in der Absicht befolgt, damit den Beifall der unwissenden Menge sich zu erwerben. Zu seinen Fresken in der Libreria des Domes von Siena läßt er sodann den fünfzigjährigen, erprobten Meister Pinturicchio sich vom zwanzigjährigen Raffael die Skizzen und sogar die Cartons machen u. s. w. (Vasari V, 265). Dieses herbe Urtheil des Aretiners wird nun während mehr als drei Jahrhunderten von der langen, immer anwachsenden und unabsehbaren Procession der Kunstforscher litaneimäßig wiederholt[275]. Ich will damit den Pinturicchio keineswegs in Allem freisprechen; ich weiß gar wohl, daß die Gewinnsucht auch ihn manchmal liederlich und gewissenlos machte, allein war dies nicht auch bei Pietro Perugino und bei andern berühmten Malern der Fall? Meine Absicht bei dieser langen, leider viel zu langen Auseinandersetzung konnte nur die sein, dem verkannten Künstler, der in seiner Jugend ja so Schönes geschaffen, wo möglich in jene Ehrenstelle wieder einzusetzen, die er bei seinen Lebzeiten eingenommen[276], indem ich sein bestes Eigenthum, dessen er durch Ungunst und durch die Verblendung der Nachwelt beraubt wurde, ihm wieder zuzustellen trachtete. Denn nicht zufrieden, seine Werke in Rom theils dem Signorelli, theils dem Perugino zuzuschreiben, werden noch heutigen Tages seine Handzeichnungen in Venedig, in Florenz, in Paris und in Wien von Alt und Jung als bewundernswürdige Ergüsse des göttlichen Raffael in den Himmel erhoben und allenthalben von den Kunsthistorikern als Muster des feinsten und erhabensten Kunststiles bezeichnet.

Zur warnenden Belehrung meiner jungen Landsleute, die sich der Kunstforschung widmen, will ich ihnen hier in aller Kürze den Hergang erzählen, wie diesen Federzeichnungen in der venezianischen Akademie die hohe Ehre zu Theil ward, als Werke aus der Frühzeit Raffael’s die Bewunderung der civilisirten Welt zu gewinnen.

Der vor etwa einem halben Jahrhundert verstorbene geistreiche Maler Giuseppe Bossi, Professor an der Breraakademie von Mailand, schrieb eines Tages in sein Notizbuch folgendes Erlebniß: „Gestern darf ich wohl sagen, einen Gruß von der Glücksgöttin erhalten zu haben[277]. Schon seit geraumer Zeit hatte ich dem Giocondo Albertolli das Versprechen abgenommen, mir gewisse Zeichnungen zu zeigen, welche im Besitze einer Dame aus Parma sich befanden. Endlich kam der ersehnte Tag, und ich finde außer dem Albertolli noch den Maler Mazzola, beide von der Dame beauftragt, den Kauf der bewußten Zeichnungen, die sie mir vorweisen, abzuschließen. Es war ein Bund von 53 Blättern, die etwa eine Spanne in der Höhe und etwas weniger in der Breite maaßen. Ich erkenne sogleich die Hand, besehe mir aber die Blätter in aller Flüchtigkeit – – – – und biete zuletzt hundert mailändische Thaler dafür an (etwa 400 Franken), womit die Besitzerin sich sehr zufrieden erklärte. Mit meinem kleinen Schatze nach Hause zurückgekehrt, und nachdem ich aufmerksam diese Blätter mir angesehen hatte, komme ich zur Ueberzeugung, daß nicht nur etliche von der göttlichen Hand Raffael’s gezeichnet seien, sondern daß alle das nämliche Format haben und daher zusammen ein Büchlein gebildet haben müssen, und daß alle (folglich) seiner Hand angehören, mit Ausnahme von etwa drei oder vier unter denselben, u. s. w. – – – – – – – – – – – –– – – – – – – – – – – –

„Dieses Büchlein, welches lange Zeit sei’s am Gurte sei’s in der Tasche herumgeschleppt ward und daher etwas abgenutzt und beschädigt ist, enthält von allem Etwas und gelangt, meiner Meinung nach, bis zum Jahr 1505, d. h. ein Jahr nach der Vollendung des Bildes für Città di Castello (des „Sposalizio“), welches gegenwärtig in der k. Galerie der Brera sich befindet. Es dürfte jedoch viel früher begonnen sein, und es ist interessant, die Studien darin zu beobachten, die er nach Perugino, dem Pollajuolo, Lionardo und andern gemacht. Man sieht da Weiber und Kinder von bewundernswürdiger Schönheit, Faltenstudien, Aktstücke, Köpfe von Alten u. s. w., alles Dinge, die jene Grazie, jene Liebe, ein gewisses Etwas, was sich mit Worten nicht ausdrücken läßt, athmen, das in unsre Seele dringt und das fast ausschließlich nur diesem Engel der Malerkunst angehört, der da unsern Geist nie ermüdet und der nur süßen Genuß uns verschafft.“ – – – – – – – – – – – –– – – – – – – – – – – –

„Ich habe neuerdings das bewundernswürdige Büchlein Raffael’s durchblättert, und es war mir als ob ich ihm in seinen Studien folgte. Es sind am Ende viele Figuren darin, die ihm zu den Cartons gedient haben, welche er für den Pinturicchio in Siena machte.

„Auch sieht man eine Studie nach der antiken Marmorgruppe der Grazien, die also schon zu jener Zeit in jener berühmten Sacristei aufgestellt war. Wir finden da ebenfalls Studien für das Bild der „Vermählung Mariae“ (in der Brera).“

Dies letztere und dies nicht allein war eben eine optische Täuschung des sanguinischen Besitzers der s. g. Handzeichnungen Raffael’s.

Seit dem Ausspruche Bossi’s galten und gelten nun die Federzeichnungen in Venedig für Werke Raffael’s. Die ganze und an trefflichen Handzeichnungen von Lionardo, von Cesare da Sesto, von Luini, Gaudenzio Ferrari, von Giambellino und andern Meistern reiche Sammlung Bossi’s wurde nach dem Tode desselben auf Cicognara’s Antrieb von der österreichischen Landesregierung für die Akademie von Venedig erworben. Graf Leopold Cicognara durfte sich wohl mit Recht rühmen, diese in ihrer Art herrliche Sammlung des Bossi seinem Lande erhalten und Venedig damit bereichert zu haben[278].

Wir haben hier also zwei bekannte Kenner von Handzeichnungen, die Italiener Bossi und Cicognara, welche die Federzeichnungen in Venedig unbedingt dem göttlichen Raffael zumuthen.

Endlich gesellte sich ihnen ein dritter berühmter Kunstkenner und zudem specieller Raffaellist, der weltbekannte Passavant, zu, der in seinem Werke „Raffael d’Urbin etc.“ (französische Uebersetzung aus dem deutschen Original) diese Zeichnungen eine nach der andern beschreibt und bespricht.

Die vierte Autorität, welche zuletzt umständlich und der Reihe nach die venezianischen s. g. Raffaelzeichnungen einer kritischen und ästhetischen Beurtheilung unterwarf, war der Marchese Pietro Selvatico Estense von Padua, in seinem im Jahre 1854 erschienenen Catalogo delle opere d’arte contenute nella Sala delle sedute dell’ J. R. Accademia di Venezia.

Das Urtheil dieser vier Raffaelautoritäten genügte, wie sich das leicht denken läßt, den Ruf der Handzeichnungen Raffael’s in Venedig für alle Zeiten festzustellen und zu sichern.

Es dürfte daher gar manchem meiner Leser als eine frevelhafte Verwegenheit erscheinen, daß ich unbekannter Sohn einer unwirthlichen Steppe mir herausnehme, gegen das Urtheil solch’ anerkannter Autoritäten zu protestiren, und mir sogar zumuthe, im Stande zu sein, die Unrichtigkeit jener Attribution vorurtheilsfreien Kunstfreunden begreiflich zu machen.

Die ganze Reihenfolge der s. g. Raffaelischen Handzeichnungen in der Akademie von Venedig ist von Passavant (II, 407 bis 416) einzeln angeführt, beschrieben und beurtheilt; deßgleichen von Marchese Pietro Selvatico in seinen Catalog. Antonio Perini in Venedig hat zudem fast alle Blätter photographirt und mit progressiven Nummern bezeichnet. Bei Besprechung etlicher dieser Zeichnungen werde ich also auch auf die betreffenden Nummern der Photographie verweisen, damit diejenigen unter meinen Lesern, die an derlei Untersuchungen Antheil nehmen und sich wirklich von der Sache zu überzeugen gewillt wären, sich dieselben verschaffen können. Der Preis jedes Perinischen Blattes beträgt nur 50 Centimes[279].

I. Als die früheste dieser Federzeichnungen sehe ich die an, auf der ein alter Mann in knieender Stellung mit gefalteten Händen dargestellt ist. [No. 72 bei Passavant, der dabei bemerkt: wahrscheinlich nach einem ältern Bilde; Selvatico, Rahmen 27,5, – „schöner Kopf, das Gefälte sehr gut bezeichnet.“ Perini, No. 65].

Die Form des Ohres noch an Fiorenzo di Lorenzo, den ersten Lehrer des Pinturicchio, erinnernd, faunartig zugespitzt, das Ohrläppchen kaum noch vom Ohre getrennt. Die Hände sorgfältig nach der Natur gezeichnet.

2. Der h. Andreas [No. 13 bei Passavant; bei Selvatico Rahmen 16,1, – „Zeichnung von großer Meisterschaft in der Form, und die an Pinturicchio’s Stil erinnert.“ Perini No. 44]. Die rechte Hand des Apostels gemahnt noch an Meister Fiorenzo, das Ohrläppchen schon stark getrennt und von jener runden, etwas schweren Form, die für Pinturicchio’s Ohr charakteristisch wird. Sehr sorgfältig ausgeführte Zeichnung – aus der Frühzeit des Meisters. Von der Art und Weise Raffael’s oder auch Perugino’s keine Spur.

3. Junge Frau in knieender Stellung mit gefalteten Händen. [Passavant No. 8, „in der Manier des Perugino.“ Selvatico, Rahmen 23,7, „von höchster Feinheit, ist eine Studie zur Figur der h. Jungfrau in dem berühmten Bilde des Perugino in S. Francesco zu Perugia.“ Perini, No. 7].

Diese ausgezeichnet schöne Zeichnung ist, meiner Ansicht nach, die ausgeführte Studie zur h. Jungfrau im „Praesepium mit dem h. Hieronymus“, in dem Altarbilde der ersten Kapelle rechts in S. Maria del Popolo in Rom. Pinturicchio malte dies Bild nebst dem Freskencyklus im Auftrage seines Patrons, des Cardinals della Rovere, um’s Jahr 1483. Wir haben hier schon denselben Typus der Hand mit den langen, knöchernen Fingern, den wir in der schönen Madonna im herrlichen Bilde Pinturicchio’s in der städtischen Galerie von Perugia wiederfinden[280]. Ihm eigenthümlich sind ebenfalls die spitzen scharfen Federstriche; charakteristisch für ihn sind die stufenartig gelegten Falten auf beiden Seiten des Mantels.

4. Ein stehender Löwe [Passavant, No. 40, „Schülerarbeit;“ Selvatico, Rahmen 26,12, „hat wenig Werth.“ Perini, No. 55].

Dieser sehr kindische Löwe mit dem allzulangen Leib ist die Studie zu dem Löwen, den Pinturicchio mit geänderter Kopfstellung neben den h. Hieronymus stellte, in einer Seitenlünette in der obgenannten ersten Kapelle von S. Maria del Popolo (um 1483).

5. Die stehende Figur eines Jünglings mit langen Haaren, die Rechte auf der Brust. Quadratirte Federzeichnung. [Passavant, No. 4. „Scheint der Apostel Johannes zu sein;“ Selvatico, Rahmen 23,8. „Studie des Apostels Johannes am Fuße des Kreuzes. Sehr elegante und ausdrucksvolle Figur, in der die Einfachheit höchstens durch eine allzu übertriebene Nachahmung des unschönen Faltenwurfs in der Weise des Perugino beeinträchtigt wird.“ Perini No.8].

Diese feine, edle Jünglingsgestalt ist wahrscheinlich nichts anderes als die vom Pinturicchio im Auftrag seines Lehrers Perugino, nach einer flüchtigen Zeichnung des letztern, ausgeführte Studie zum Apostel Johannes in der Freske des Perugino „die Verleihung der Schlüssel.“ Diese Federzeichnung mit den fleißig ausgeführten Falten des Mantels ist quadratirt und scheint also bestimmt gewesen zu sein, auf den Carton in größern Verhältnissen übertragen zu werden. Man vergleiche diese Zeichnung des Pinturicchio mit der gemalten Figur des Perugino, und man wird die Verschiedenheit der Ausfassung und der Empfindungsweise der beiden Meister alsbald wahrnehmen.

6. Eine stehende männliche Figur mit langen Haaren, vom Rücken gesehen. [Passavant, No. 7 „eine ähnliche Figur, in umgekehrter Wendung, findet man in den Fresken der Libreria in Siena.“ Selvatico, Rahmen 23,9 „schöne Bewegung, vorzüglich in der Zeichnung, ausgezeichnete Falten.“ Perini, No. 9].

Diese quadratirte Zeichnung stellt den Apostel dar, der in dem Fresco „der Verleihung der Schlüssel“ hinter dem Apostel Johannes steht. Von ihr gilt dasselbe, was ich bei der vorhergehenden bemerkt habe. Diese Figur, hier mit einem Turban auf dem Kopfe, benutzte Pinturicchio für seine Freske „Mosis Reise“ im Mittelgrunde.

7. Zwei stehende männliche Figuren mit langen Haaren, von denen die auf der rechten Seite mit der rechten Hand auf etwas zu deuten scheint. Quadratirte Federzeichnung. [Passavant, No. 1 „eine Kopie von dieser Zeichnung von Timoteo Viti(!!) befindet sich zu Paris in der Sammlung von Handzeichnungen des Herrn Reiset. – Selvatico, Rahmen 24,5, „correkt in der Zeichnung, aber hart und symmetrisch in der Art des Perugino.“ Perini, No. 21].

Auch diese quadratirte Federzeichnung ist eine vom Pinturicchio vorbereitete Zeichnung für den Carton zum Wandgemälde „die Verleihung der Schlüssel“ des Perugino. Von diesen zwei Figuren hat jedoch Pietro die zur Linken weggelassen und den Raum, den diese im Frescobilde eingenommen hätte, durch zwei Porträts, das eine nur Brustbild, das andere in ganzer Figur, ausgefüllt. Die drei ebengenannten Figuren stehen im Wandgemälde auf der äußersten Linken des Beschauers[281]. Schon dieser Umstand schließt, wie ich glaube, die behauptete Cooperation des Don Bartolommeo della Gatta in dieser Freske des Perugino aus. – Die Composition derselben gehört ganz und gar dem Perugino an, die Ausführung des Faltenwurfs in kleinern Verhältnissen wurde vom Perugino seinem Freunde und ehemaligen Schüler Pinturicchio überlassen; die Cartons aber und das Wandgemälde selbst wurden ausschließlich von der Hand Pietro’s ausgeführt.

8. Eine Frau, knieend mit vorwärts gestreckten Armen; im Profil. [Passavant, No. 42, „scheint eine h. Jungfrau zu sein, im Begriffe, den Schleier vom Jesuskinde abzuheben.“ Selvatico, Rahmen 14,2, „der Erzengel Raffael im Begriffe, die Lilie der Jungfrau darzureichen; ausgezeichnet schöne Zeichnung, in der die ganze Anmuth und Correktheit des Urbinaten erglänzen.“ Perini, No. 18].

Diese Federzeichnung ist die Studie zu der an Mosis Söhnlein die Operation vollziehenden knieenden Frau in der Freske „Mosis Reise.“

Wären nun diese venezianischen sogenannten Raffaelzeichnungen wirklich von Raffael, so müßte er demnach diese Figur, wie noch mehrere andere der Sammlung, um’s Jahr 1481 und somit zwei Jahre vor seiner Geburt gezeichnet haben. Auf einem andern Blatte finden wir die Gewandstudie zur Figur der Zipporah. Selvatico, Rahmen 23,10, bemerkt dazu, „die Falten sind gut und mit vielem Verständniß gelegt, verrathen jedoch zu sehr die Weise des Perugino.“ Perini, No. 10.

9. Sitzende Frau mit gefalteten Händen und aufwärtsgerichtetem Blicke; im Profil. [Passavant, No. 2. – Selvatico , Rahmen 14,3, „die Magdalena am Calvarienberg; von etwas trockenem, jedoch reinem Stile, die richtige Faltenlage beweist, daß Raffael in dieser Zeichnung sich schon seiner zweiten Manier nähert.“ Perini, No. 19].

Es ist dies die Studie, die Pinturicchio zu der sitzenden Frau benutzt hat, welche in der „Taufe Christi“ mit einem Kinde zur Rechten und einem andern, auf ihren Knieen aufrechtstehenden, der Predigt Christi zuhört. (Im Mittelgrund, links vom Beschauer).

9. Ein nackter Jüngling mit ausgestrecktem linken Arme. [Passavant, No. 22, „in der Haltung des jungen Königs in der „Anbetung der Könige.“ Selvatico, Rahmen 23,16. „Schwache Zeichnung, scheint von einer Figur des Signorelli im Dome von Orvieto kopirt zu sein.“

Diese Naturstudie diente dem Pinturicchio zu zweien der nackten Figuren, welche wir in der „Taufe Christi“ links hinter Christus sehen.

9b. Arabeske zu Pilasterverzierung. Leicht mit der Feder hingeworfen. Selvatico, Rahmen 27,17. Perini No. 78.

Studie zur Verzierung eines Zwischenraumes an der Decke des Chores der Kirche Sa. Maria del Popolo in Rom.

10. Derselbe mit einer Malermütze bedeckte Kopf eines Jünglings, in zwei verschiedenen Stellungen: gerade ausblickend, und auf die rechte Hand gestützt aufwärts gerichtet. Links auf dem Blatte neben diesem letztern Kopfe liest man: L. paro. [Passavant, No. 48, „sehr geistreiche Federzeichnung.“ Selvatico, Rahmen 17,27. „Zwei mit großem Verständniß gezeichnete Köpfe.“ Perini No. 85].

Die Buchstaben des Wortes paro stimmen wohl mit der Handschrift des Pinturicchio, nicht aber mit dem Charakter der Handschrift Raffael’s überein. Dieser letztere bildet z. B. den Buchstaben p mit einem Häkchen am untern Ende p, Pinturicchio hingegen ungefähr so, wie das p im Worte paro bezeichnet ist.

11. Vier Frauenköpfe; drei davon von vorn, der vierte im Profil gesehen. [Passavant, No. 60, Selvatico, Rahmen 13,6. „Herrliche Zeichnung, die da wieder einen Beweis liefert, welche Grazie und Originalität Sanzio dem weiblichen Haarputze zu verleihen wußte.“ Perini No. 6].

Dies sind wohl jene weiblichen Köpfe, in denen der begeisterte Besitzer, Bossi, Studien Raffael’s zu seinem „Sposalizio“ in der Breragalerie zu sehen wähnte. Drei von diesen schönen weiblichen Köpfen sind Studien zu Pinturicchio’s Wandgemälde „die Reise Mosis.“ Von den zwei obern finden wir den links (vom Beschauer) mit einer leichten Aenderung in der Kopfstellung, zu jenem Weibe benutzt, das auf der äußersten Linken der Freske mit einem Wasserkruge auf dem Kopfe dem Zuge folgt; von den zwei untern diente der links zu dem Weibe, welches einen Knaben an der Rechten führt; der andere aber, rechts auf der Zeichnung, ist die hier in Holzschnitt wiedergegebene Studie zum Kopfe der Zipporah auf dem Bilde[282]

Studie Pinturicchio’s zu dem Kopfe der Zipporah.

12. Drei weibliche Köpfe. [Passavant, No. 59. Selvatico, Rahmen 15,2. „In diesen Köpfen erkennt man die ganze Fülle von Anmuth, die in der Seele des Sanzio lag. Ist’s doch unmöglich, liebenswürdigere Köpfe zu bilden und sie mit mehr Geschmack aufzuputzen.“ Perini, No. 26].

Von diesen Studien weiblicher Köpfe gilt, was ich eben über die vorgenannten zu bemerken mir erlaubte.

13. Drei männliche Köpfe im Profil. [Passavant, No. 83. „Zwei davon in Carrikatur, in der Art des Lionardo, ja vielleicht diesem Meister selbst entnommen; der dritte Kopf ist eine Studie zu dem Hirten in der „Anbetung der Hirten“, vom Jahre 1503, im Vatican.“(!) Selvatico, Rahmen 34,2. „Federskizzen von geringem Werthe.“ Perini No. 87].

Eine Zusammenstellung dieser Federzeichnung des Pinturicchio mit einer andern Raffael’s, welche die Sammlung von Oxford besitzt, und die im Braun’schen Kataloge die Nummer 15(?) führt, dürfte meine jungen Freunde schneller und eindringlicher zum Verständnisse des Unterschiedes zwischen Pinturicchio und dem Urbinaten führen als alle schriftlichen Auseinandersetzungen. Der eine wie der andere Meister hat hier denselben Lionardischen männlichen Kopf wiedergegeben, und Pinturicchio hat außer diesem noch zwei andere männliche Köpfe nach Lionardo auf demselben Blatte reproducirt. Diese Zeichnung muß von dem Jahre 1504 oder 1505 datiren.

Um nun meine Leser mit meiner vielleicht langweiligen, allein für meine Beweisführung doch nothwendigen Musterung der s. g. Raffaelzeichnungen in Venedig nicht gar zu sehr zu ermüden, will ich dieselbe hier abbrechen und nur noch bemerken, daß in jener Sammlung nach meiner Ansicht allerdings auch echte Zeichnungen von Raffael sich befinden, welche aber weder von Passavant noch von Selvatico besonders hervorgehoben wurden. Beide Herren haben den großen Unterschied nicht wahrgenommen, der zwischen diesen Zeichnungen des Urbinaten und den übrigen Federzeichnungen, d. h. denen des Pinturicchio, besteht und doch jedem mit der Raffaelischen Art befreundeten Auge sofort auffallen muß. Diese zwei schönen Federzeichnungen sind wahrscheinlich Skizzen zu fingirten Basreliefs für seine „Scuola d’Atene“, gehören also in die Jahre 1511–12 und führen im Kataloge von Perini die Nummern 66 und 82. – Passavant beschreibt und beurtheilt sie folgendermaßen: Nummer 34, „drei nackte Figuren, von denen die zur Linken eine Fahne führt; die zwei andern zur Rechten mit Panzern und Lanzen vertheidigen sich gegen einen sie angreifenden Reiter. Federskizze, sehr lebendig und geistreich.“ Selvatico (Rahmen 17,6 und 22) bemerkt bloß „sehr lebendige Skizze“ – und zu No. 22 „sehr sichere Zeichnung, die die breiteste Manier Raffael’s an den Tag legt.“

Außer diesen zwei Skizzen von Raffael finden wir in der Sammlung von Handzeichnungen in Venedig noch zwei von Antonio del Pollajuolo; es sind zwei leicht getuschte s. g. Aktstücke, beide Zeichnungen jedoch übergangen und daher verdorben. Passavant, Nummer 25 und 26, nimmt dieselben, was wirklich fast unglaublich erscheint, für Zeichnungen Raffael’s an und beschreibt sie ganz ruhig als solche in seinem Kataloge der Raffaelischen Zeichnungen in der Sammlung von Venedig. Die eine dieser verdorbenen Pollajuolozeichnungen stellt einen nackten, stehenden, mit der Rechten auf ein Gesimse sich stützenden Mann dar; die andere einen ebenfalls nackten Alten in sitzender Stellung und in der linken Hand eine Kugel haltend, während sein rechter Arm ausgestreckt ist.

Nebst diesen vier Zeichnungen, die also zwei anderen Meistern angehören, dem Raffael nämlich und dem Antonio del Pollajuolo, finden wir unter den Zeichnungen des Pinturicchio zwei, welche Nachbildungen nach dem berühmten Stiche des Mantegna „il deposto di croce“ sind und mehrere, an denen man sieht, daß Pinturicchio später sich auch den Luca Signorelli zum Vorbilde genommen, und ebenfalls etliche, die Kopien nach Zeichnungen seines Lehrers Perugino zu sein scheinen.

Wie ich nun, scheint mir, zur Genüge bewiesen habe, gehört die größte Zahl dieser schönen Federzeichnungen in Venedig, welche der verstorbene Professor Bossi zuerst als von der Hand Raffael’s erklärte – eine vorgefaßte Meinung, welche später von den Raffaelisten aller Welttheile bestätigt und besiegelt wurde, – keinem andern als dem armen, verkannten Bernardino Pinturicchio. Die meisten derselben beziehen sich auf Werke, die theils von ihm selbst, theils (die Gewandstudien) von P. Perugino in den Jahren 1480 bis 82 in Rom ausgeführt wurden. Andere wieder, wie die Kopien nach Zeichnungen des Perugino, die Nachbildungen nach L. Signorelli, nach Andrea Mantegna, nach Lionardo da Vinci, fallen in viel spätere Zeiten. Der „fliegende Engel mit dem Tamburin“[283] z. B. gehört zu Pinturicchio’s sienesischer Zeit (1503) und stimmt ganz und gar in der Behandlung mit seiner herrlichen Tuschzeichnung „Aeneas Silvius Piccolomini, der zum Conzil von Basel abreist“ (in der Uffizigalerie) überein, welche Zeichnung von der sorglosen Direktion jener Sammlung noch immerfort dem Raffael zugeschrieben wird.

Aus dem Gesagten ergäbe sich überdieß, daß der vom seligen Professor Giuseppe Bossi erworbene Band Handzeichnungen ursprünglich nicht das Skizzenbuch des Malers sein konnte, sondern ein Album war, dem der Sammler, außer der Reihenfolge von Zeichnungen des Pinturicchio, die er wahrscheinlich beisammen gefunden hatte, noch zwei Zeichnungen von Raffael, ein paar von Antonio del Pollajuolo, nebst einigen andern unbedeutenden aus der Peruginischen Schule hinzugefügt hatte.

Darf ich nun annehmen, in den Augen der Mehrzahl meiner wenigen Leser über die Richtigkeit der Bezeichnung der s. g. Raffaelischen Federzeichnungen in Venedig vielleicht einige Zweifel wachgerufen zu haben, so wäre es andererseits eine große Illusion von mir, wenn ich mich der süßen Hoffnung überlassen wollte, meine jungen Freunde überzeugt zu haben, daß die zwei herrlichen Wandgemälde in der Sixtinischen Kapelle nicht das Werk des Perugino, sondern des Pinturicchio sind. Ich kenne aus eigener Erfahrung die ganze Macht und Beharrlichkeit der vorgefaßten Ideen und weiß gar wohl, daß dieselben, wenn man sie zur Thüre hinaustreibt, zum Fenster wieder hereinschlüpfen. Uebrigens kann mir auch am Resultate dieser meiner zweiten Beweisführung viel weniger liegen als an dem der ersten. Bleibt es doch immer eine secundäre Frage für die Kunstgeschichte, zu wissen, ob ein Kunstwerk dem einen oder dem andern der zwei ebenbürtigen Peruginer Maler, Vannucci und Betti, angehöre, während es mir fast als Haeresie erscheint, Raffael, diese edelste, vollkommenste, liebenswürdigste Gestalt unter allen Künstlern der Neuzeit, selbst in den ersten Schritten seiner ruhmvollen Bahn mit Künstlern zu verwechseln, die, so trefflich sie auch immer in ihrer besonderen Art sein mögen, doch nur momentan und nur in äußerlichen Schulbeziehungen zu ihm standen.

Und nun genug von Pinturicchio. Wenn er in Darstellung ernster, religiöser Gegenstände, was Maß, schöne Raumausfüllung und Vollendung anbetrifft, den Perugino nicht erreicht; wenn seine Formen nicht so edel, der Ausdruck der religiösen Seelenstimmung nicht so tief ist, wie bei Pietro, so ist Pinturicchio dafür, in meinen Augen wenigstens, bewußtloser, frischer und gewürziger als Perugino und ermüdet uns seltener als dieser durch Einförmigkeit und durch jene conventionelle Süßigkeit, die, namentlich in seinen Produktionen der letzten zwanzig Jahre, ihn uns geradezu überdrüssig werden läßt. Als phantasiereicher Landschaftsmaler aber überragt Pinturicchio gewiß die meisten seiner Zeitgenossen.

Pinturicchio führt uns naturgemäß zu Raffael Sanzio, aus dessen Frühzeit die Berliner Sammlung einige kostbare Werke besitzt.

Zur florentinischen Schule, wie es im Kataloge heißt, darf, scheint mir, Raffael doch wohl nicht gezählt werden, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß er während seines mehrfachen Aufenthaltes in Florenz Einflüsse auch von dortigen Meistern, namentlich von Lionardo da Vinci und von Fra Bartolommeo, in sich aufgenommen habe. Nichtsdestoweniger bleibt er, wenigstens unserer Ansicht nach, sowohl in seiner Empfindungs- als auch in seiner Auffassungsweise stets Umbrer.

In Rom angekommen, hat er mit der Zeit allerdings eine Schule, die Raffaelische, gebildet; diese kann jedoch in unserm Sinne mindestens ebensowenig als die des Michelangelo eine römische genannt werden. Ich sage: in unserm Sinne, denn für diejenigen, welche die Kunst, wie es eben gang und gebe ist, als etwas Aeußerliches betrachten, unabhängig von der Eigenthümlichkeit des Volkes, das sich in derselben ausspricht, für solche giebt es ja sogar schweizerische und tyrolische Malerschulen. Der Katalog sagt ferner, daß Raffael, nachdem er die erste Unterweisung von seinem Vater empfangen, also bis 1494, nach dessen Tode sofort in die Schule des Pietro Perugino gekommen sei.

Es möge mir vergönnt sein, diesen Punkt eingehend zu erörtern und zwar mit dem etwas verwegenen Vorsatze, meinen jungen Freunden eine Ansicht auseinanderzusetzen, die ich lange mit mir herumgetragen, die aber durch das Studium der Jugendwerke Raffael’s einerseits und derer des Timoteo Viti andererseits sich nach und nach zur klarsten Ueberzeugung in mir gestaltet hat. Dieselbe steht allerdings mit der zum Axiom gewordenen Lehre von der künstlerischen Erziehung Raffael’s in direktem Widerspruch, und ich würde mich keineswegs wundern, wenn sie, aus der Feder einer Autorität etwa hervorgehend, Anlaß zu einem wahren Skandal bei den Raffaelisten des civilisirten Europa gäbe; allein da sie von einem Sarmatischen Kunstbeflissenen, welcher zudem nicht den mindesten Anspruch auf Autorität macht, noch machen darf, nur als Hypothese ausgeht, ist wohl keine Gefahr vorhanden, daß irgend jemandes Glauben an die hergebrachten Kunsttraditionen dadurch einen Stoß erlitte.

Vasari erzählt uns bekanntlich in seinen Lebensbeschreibungen der berühmtesten Künstler neben so viel Wahrem und Trefflichem auch nicht wenig Falsches, ja so manche von ihm selbst erfundene Fabel; doch ist er bis auf unsere Tage die Hauptquelle geblieben, aus der alle Schriftsteller, die sich über Raffael vernehmen ließen, geschöpft haben.

Auf die Autorität des Aretiners hin lassen somit die Kunsthistoriker, den fleißigen Passavant mit inbegriffen[284], den jungen elfjährigen Raffael, zwar nicht ganz so, wie Vasari schrieb, von seinem Vater dem Pietro Perugino vorgestellt und empfohlen werden, und dies ist schon ein Fortschritt, jedoch sie lassen ihn noch immer, kurz nach seines Vaters Tode, also um’s Jahr 1495, nach Perugia in die Werkstätte des Pietro Vannucci kommen.

„Il est probable, que ce fut en 1495. Le Pérugin était alors à l’apogée de sa gloire[285].“

Dies letztere ist allerdings richtig, allein eben so wahr ist es, daß Perugino in jenen Jahren, d. h. von 1493 bis Mitte 1498, nur momentan sich in Perugia aufhielt. Im Jahre 1494 war er in Venedig (siehe Gaye II, 69). Im selben Jahre vollendete er sein schönes Bild für die Kirche des h. Augustinus in Cremona, wahrscheinlich in Cremona selbst. Den 6. März 1495 war Pietro wieder in Perugia und unterzeichnete dort die Verpflichtung für die Cassinenser Mönche, die „Himmelfahrt Mariae“ (jetzt in Lyon) zu malen. Aus dem nämlichen Jahre ist die „Grablegung Christi“, die er für die Kirche von S. Chiara in Perugia fertigte (Palazzo Pitti, No. 164). Im Jahre 1496 malte er die „Vermählung Mariae“ für den Dom von Perugia, (gegenwärtig im Museum von Caen). In demselben Jahre verweilte er längere Zeit in Venedig, wie dieß durch ein Dokument bestätigt wird, welches Schreiber dieser Zeilen das Glück hatte zufällig im Staatsarchive von Mailand aufzufinden[286]. Der Inhalt desselben ist folgender:

Jener Maler, der in unsern kleinen Zimmern malte, hat sich heute eines gewissen Skandals wegen aus dem Staube gemacht, und müssen wir uns daher nach einem andern Maler umsehen, um das begonnene Werk zu vollenden und um den Meister zu ersetzen, der sich entfernt hat. Da wir nun inne wurden, daß Meister Peter Perugino sich dort (in Venedig) befindet, so schien es uns räthlich, Euch aufzutragen, denselben zu sprechen, um von ihm selbst zu vernehmen, ob er in unsern Dienst treten wolle, mit der Versicherung, daß, falls er unsere Einladung annimmt, wir bereit seien, ihm solche Bedingungen zu machen, die ihn befriedigen sollen. Bei dieser Verhandlung jedoch muß man den Fall berücksichtigen, ob er (Perugino) nicht etwa bereits Verpflichtungen mit jener Erlauchten Signoria eingegangen ist, in welch letzterem Falle wir nicht nur keine weiteren Schritte zu thun gesonnen sind, sondern wir würden ihn, falls er hier bei uns wäre, dorthin zurückschicken. Ihr werdet daher diesen letztern Punkt besonders im Auge behalten und werdet uns, nach Eurer Rücksprache mit dem Meister (Perugino), benachrichtigen, was er Euch geantwortet, und ob wir uns der Hoffnung überlassen dürfen, ihn hier zu haben.   Mailand, 8. Juni 1496.
  Ludovicus Sforza
  Anglus, Dux Mediolani.  B. Chalcus.

Im Herbste desselben Jahres 1496 finden wir den unstäten Meister in Florenz, 1496: Petrus Christofori, vocatus Perugino de Perusio, habitator in populo S. Petri majoris (ein Beweis, daß Perugino sich in Florenz stets längere Zeit aufzuhalten pflegte) emit unum petium (pezzo = Stück) terrae aptae ad faciendum unum domum, positum in populo S. Petri majoris.

1498, 26. Juni, treffen wir ihn abermals in Florenz. (Siehe darüber Vasari, Ediz. Le Monnier, VI, 68 und 69).

In diese Epoche, d. h. in die Zwischenzeit der Jahre 1494 und 1498, setze ich ebenfalls das herrliche Triptychon für die Certosa von Pavia, eines der vollkommensten Werke des Perugino (jetzt in der Nationalgalerie von London). Ob er dies Gemälde während seines Aufenthaltes in Oberitalien, sei es in Cremona, sei es vielleicht in der Certosa selbst, oder aber anderswo ausgeführt habe, bin ich nicht in der Lage zu bestimmen. Mir lag es nur daran, hier zu bemerken, daß meiner Ansicht nach dieses Peruginische Werk noch dem 15. Jahrhundert angehören müsse.

Ich weiß wohl, daß die berühmtesten Autoritäten, Rumohr und Passavant, den Engel mit dem Tobias in diesem Gemälde dem jungen Raffael selbst zuschreiben, was natürlich voraussetzen läßt, daß in den Augen jener Herren die Entstehung des Bildes um etwa acht bis zehn Jahre später, als ich anzunehmen geneigt bin, zu setzen wäre. Diese ihre Ansicht scheint mir jedoch jeder Begründung zu ermangeln. Die schöne, fleißig ausgeführte Handzeichnung zum Tobias mit dem Engel befindet sich in der Sammlung von Handzeichnungen zu Oxford und wurde irrthümlich von Braun in seinem Kataloge des British Museum (No. 149) aufgeführt, und zwar unter den Zeichnungen Raffael’s, dem selbst Herr I. C. Robinson dieselbe noch immer zuschreibt. Schon die Handform wie der Wurf der Falten sollten, meine ich, hinreichen, diese übrigens gute und sorgfältig ausgeführte Zeichnung dem Urbinaten abzusprechen.

Im Jahre 1497 muß Pietro sich längere Zeit in Fano aufgehalten haben; das große Altarbild für den Altar der Familie Duranti in der Kirche S. Maria nuova daselbst führte er vielleicht an Ort und Stelle aus.

Im folgenden Jahre treffen wir Meister Pietro wieder in Perugia an, beschäftigt, für die Kapelle der Brüderschaft des h. Pietro Martire in der Kirche von S. Domenico das Madonnenbild mit den sechs knieenden Brüdern zu malen (jetzt in der städtischen Galerie von Perugia).

Gegen Ende des Jahres 1499 und Anfang des Jahres 1500 endlich fertigte Pietro Perugino das große Tafelbild für die Kirche von Vallombrosa (gegenwärtig in der florentinischen Akademie). Dieses leider durch Verputzung etwas verdorbene schöne Bild stellt die „Verklärung Mariae nebst vier stehenden Heiligen“ dar und ist mit dem Namen des Meisters und dem Jahre 1500 bezeichnet. Bei jener Gelegenheit mag Perugino auch die zwei Mönchsbildnisse gemalt haben, von denen das eine den Don Blasio Milanese, General des Ordens von Vallombrosa, das andere den Abt von Vallombrosa, Don Balthasar, darstellt (ebenfalls in der florentinischen Akademie). Von mehreren Kunstforschern, selbst von Passavant, werden auch diese zwei schönen Porträts dem jugendlichen Raffael zugemuthet.

Bei so einem Wanderleben dürfte es dem Perugino in jener Epoche seiner Wirksamkeit unmöglich gewesen sein, einem zwölfjährigen Knaben, wie damals Raffael war, einen geordneten, intensiven Unterricht, dessen ein so junger Lehrling doch bedurfte, zu ertheilen.

Schon Baron von Rumohr, geleitet von seinem sehr feinen Kunstsinne, sprach daher die Vermuthung aus, der junge Raffael möchte etwa erst um’s Jahr 1500 in die Werkstätte des Pietro Perugino eingetreten sein[287]. Nun hat, wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Professor Rossi von Perugia Dokumente entdeckt, aus denen hervorginge, daß Raffael erst gegen Ende des Jahres 1499 von Urbino nach Perugia übergesiedelt und als Gehülfe in die Werkstätte des Pietro Perugino gekommen sei. So glaubwürdig mir diese Kunde auch erscheint, so bin ich jedoch nicht in der Lage, für die Wahrheit derselben einzustehen. Es entsteht nun die Frage: was hat der Knabe Raffael nach dem Tode seines Vaters und ersten Lehrmeisters in Urbino getrieben, und unter welches Malers Leitung hat er seine Studien dort fortgesetzt?

Wir wissen aus mehreren Dokumenten, daß zwischen Timoteo Viti und Raffael eine zärtliche Freundschaft bestand. Aus diesem Freundschaftsverhältnisse zwischen den zwei Malern aus Urbino zieht nun Vasari schlechtweg die Folgerung, daß Timoteo der Schüler Raffael’s gewesen sein müsse. Hören wir den Aretiner selbst: Timoteo si mise arditamente(?) a colorire (nämlich in Bologna im Atelier des Francia, von 1490 bis 1495) pigliando una assai vaga maniera e assai simile a quella del nuovo Apelle, suo compatrioto (der damals etwa 11 bis 12 Jahre alt war) ancorché di mano di lui non avesse veduto se non alcune poche cose in Bologna[288]. Von dieser Erzählung des Vasari ist nur wahr die „assai vaga maniera“ des jungen Timoteo Viti, e assai simile a quella, die einige Jahre später auch dessen jüngerer Landsmann Raffael entfaltete. Ist dies nicht der schlagendste Beweis dafür, daß erstens dem Aretiner die künstlerische Entwicklung Raffael’s nur sehr oberflächlich bekannt war, und daß er zweitens gar oft, wie auch in diesem Falle, von irgend einem Vorurtheile geblendet, den Weg der geschichtlichen Wahrheit verließ, um im Gestrüppe der Vermuthungen sich zu verlieren? Offenbar war es sein Vorurtheil, Raffael müsse der Lehrer des Timoteo gewesen sein, während allein schon die Chronologie, hätte er derselben auch nur eine oberflächliche Aufmerksamkeit geschenkt, ihn eines Bessern belehrt haben würde.

Dem Vasari sind sodann alle s. g. Kunsthistoriker, wie das ja wohl natürlich ist, gefolgt und haben bis heutigen Tags den Timoteo Viti als einen Schüler und Nachahmer Raffael’s angesehen und dargestellt. Doch hören wir den Aretiner weiter über Timoteo: „Die Jugendwerke des Timoteo machten denselben in kurzer Zeit so berühmt, daß Raffaello ihn nach Rom kommen ließ, woselbst Timoteo in einem Jahre so reichen Gewinn nicht nur für seine Kunst, sondern auch für seinen Beutel machte, daß er eine schöne Summe Geld nach Hause zu schicken im Stande war. Er malte mit seinem Meister in der Kirche della Pace die Sibyllen „di sua mano ed invenzione“[289] Im „Leben Raffael’s“ dagegen sagt derselbe Vasari „figurò (Raffael) in questa pittura alcuni profeti e sibille, che, nel vero, delle sue cose è tenuta la migliore e fra le tante belle billissima“ u. s. f., e questa opera lo fece stimar grandemente vivo e morto, per essere la più rara ed eccellente opera che Raffaello facesse in vita sua“[290]. Doch, fügt Vasari hin, das Heimweh trieb Timoteo wieder von Rom nach Urbino, woselbst er bald nach seiner Rückkunft sich verheirathete (also um 1519 nach Vasari, da die Propheten und Sibyllen in der Kirche la Pace etwa im Jahre 1518 gemalt wurden), und da seine Frau ihn in der Folge mit Kindern beschenkte, so wollte Timoteo, trotz der wiederholten Einladungen Raffael’s, Urbino nicht mehr verlassen[291]. An dieser ganzen Erzählung des Aretiner’s ist nun nicht ein Wort wahr. Pungileoni berichtet in seinem „Elogio storico di Timoteo“ etc., daß Timoteo Viti sich schon im Jahre 1501 verheirathet und in der ganzen Zwischenzeit von 1501 bis 1510 seine Vaterstadt Urbino nie verlassen habe; daß er ferner im Jahre 1513 der erste Magistrat Urbinos gewesen, und daß seine Kunst noch im Jahre 1518 in Urbino vom herzoglichen Hofe daselbst in Anspruch genommen wurde. Timoteo Viti gehörte zudem einer wohlhabenden Bürgerfamilie von Urbino an, war dort ein sehr angesehener Mann und zählte im Jahre 1518, als Raffael seine Wandgemälde in der Kirche von S. Maria della Pace ausführte, schon an fünfzig Jahre, was doch gewiß kein Alter ist, in welchem ein begüterter, angesehener Mann Heimath und Familie verläßt, um fern vom eigenen Heerde unter einem viel jüngern Meister bei einer Wandmalerei Dienste als Handlanger oder auch als Gehülfe zu leisten.

Allen diesen Widersprüchen zum Trotz, nur um die Fabel des Vasari ja nicht fallen zu lassen, schreibt Passavant zwar nicht die Sibyllen, wie Vasari will, aber die Propheten (in S. Maria della Pace) dem Timoteo zu. Aus welchem Grunde? „Das Wandgemälde mit den Propheten, sagt er, ist um so viel schwächer als jenes mit den Sibyllen, daß ohne allen Zweifel dem Raffael bloß die Kartons dafür zugeschrieben werden dürfen, während er die Ausführung der Malerei einem seiner Gehülfen wird überlassen haben. Hat also, wie Vasari berichtet, Timoteo Viti bei dieser Arbeit dem Raffael Hülfe geleistet, so kann diese Cooperation sich bloß auf die „Propheten“ beziehen[292]. Dies Urtheil des Frankfurter Gelehrten wurde später von den Herren Cr. und Cav. nicht nur besiegelt, sondern die Historiographen der italienischen Kunst glaubten, wie man zu sagen pflegt, noch das Tüpfelchen auf’s i setzen zu müssen, indem sie dem Timoteo außer den Propheten auch noch die Ausführung der „draperies“ der Sibyllen zuerkennen (Vol. I, 581). Ich muß hier gestehen, hätte ich nun zwischen den Urtheilssprüchen der drei größten neuern Kunsthistoriker, d. h. zwischen dem des Herrn Passavant einerseits und dem der Herren Cr. und Cav. andererseits, mich zu entscheiden, so würde ich dem Passavant’schen fast den Vorzug geben, also die „draperies“ der Sibyllen vorderhand noch dem Raffael lassen, und zwar so lange, bis aus einem neuen wichtigen Dokumente hervorleuchten sollte, daß jene „draperies“ wirklich von Timoteo Viti und nicht von Raffael selbst gemalt worden sind[293].

Fragen wir uns jedoch in allem Ernste, woher kam es denn, daß ein so liebenswürdiger, anmuthiger, in seiner Weise und für seine Zeit so bedeutender Künstler, als welcher Timoteo Viti in seinen Werken sich uns offenbart, von allen Schriftstellern über die italienische Kunst bis jetzt so ganz und gar verkannt werden konnte? Täusche ich mich nicht, so haben zwei Umstände wohl am meisten dazu beigetragen, daß der große Irrthum, den Vasari aus Leichtfertigkeit begangen, bis auf unsere Tage in Geltung erhalten worden ist. Der eine dieser Umstände scheint mir der zu sein, daß fast alle Kunsthistoriker, die sich mit Raffael beschäftigten, bloß auf die Aussage des Vasari hin den jungen Raffael schon im Jahre 1495 nach Perugia in die Werkstätte des P. Perugino kommen ließen; der andere und wohl der hauptsächlichste muß in jener gänzlichen Vernachlässigung gesucht werden, welche die Kunstforschung seit Vasari bis auf unsere Zeiten dem Timoteo Viti gegenüber sich hat zu Schulden kommen lassen.

Wenn wir den eben nicht sehr kunstverständigen Gelehrten Pungileoni ausnehmen, so fragen wir vergeblich, welcher Kunstforscher von irgend welcher Bedeutung hat dieses liebenswürdigsten Schülers des Francia sich angenommen, seine Werke studirt und dieselben mit den Jugendarbeiten seines jungen Landsmannes Raffael Sanzio verglichen?

Dies ist leider so wenig geschehen, daß sogar die umsichtigsten und gewissenhaftesten Historiker der italienischen Malerei, die berühmten Herren Cr. und Cav., nicht als Ausnahme dastehen, sondern vielmehr fortfahren, die heterogensten Malereien demselben Timoteo Viti zuzuschreiben.

In der Absicht, jungen Kunstbeflissenen einen kleinen Leitfaden an die Hand zu geben, der ihnen vielleicht dienen könnte, sich diesen ganz und gar verkannten Meister in größerer Nähe und von verschiedenen Standpunkten besehen und studiren zu können, lade ich sie ein, mit mir vorerst die von Vasari und folglich ebenfalls von Passavant und den Herren Cr. und Cav. ihm zugeschriebenen Werke sich ansehen zu wollen, um sodann zur kritischen Musterung derjenigen Gemälde überzugehen, die theils von Passavant, theils von den neuesten Historiographen der italienischen Malerei dem Vasarischen Inventarium der Werke des Timoteo Viti noch hinzugefügt wurden. – Eine solche Zusammenstellung dürfte uns vielleicht dazu verhelfen, dem Meister näher zu kommen und das Eigenthümliche seiner Physiognomie besser in’s Auge zu fassen.

Vasari und Passavant führen nun folgende Werke des Timoteo auf:

1) Ein großes Temperabild auf Leinwand, auf Bestellung des Marino Spaccioli von Urbino gemalt[294]. Es stellt die Madonna dar mit dem Christkinde und einem musizirenden Engel; auf den Seiten des Thrones die Heiligen Crescentius und Vitalis. Gegenwärtig in der Breragalerie in Mailand, doch in sehr beschädigtem Zustande, namentlich die h. Jungfrau und das Jesuskind. Passavant bemerkt, daß ihn in diesem Bilde die Köpfe an Francia und Perugino (warum nicht eher an Raffael?) erinnern, und daß dies Gemälde lange Zeit für ein Werk Raffael’s gegolten, bis durch später aufgefundene Dokumente der wahre Meister desselben entdeckt worden sei[295]. Die Herren Cr. und Cav. erwähnen mit keiner Silbe dieses für die Geschichte der Malerei doch so wichtige Bild, wahrscheinlich weil es aus platter Indolenz der Galeriedirektion im Kataloge der Brerasammlung nicht aufgeführt steht, wiewohl dasselbe in der Galerie selbst, im dunkeln Vorraume, der zur s. g. Oggionnigalerie führt, aufgestellt ist.

2) Eine h. Apollonia[296], für den Hauptaltar des Kirchleins della Trinità in Urbino gemalt. Gegenwärtig, in einem nicht rühmlichen Zustande, in der städtischen Galerie von Urbino aufgehängt. Dies Bild ist von Passavant und somit auch von den Herren Cr. und Cav. erwähnt; der erstere nennt diese Figur hart in der Zeichnung und kalt in der Farbe (ist sehr übermalt) und auch im Ausdrucke(!); die Herren Cr. und Cav. bemerken dagegen daß Timoteo in diesem Bilde: adopted the Raffaellesque as evolved in the art of Spagna.

3) Das Altarbild für die Kapelle von S. Martino im Dome von Urbino, auf Bestellung des Bischofs Arrivabene[a 40] im Jahre 1504 gemalt[297]. Gegenwärtig in der Sacristei des Domes von Urbino; erwähnt von Passavant und den Herren Cr. und Cav.

4) Die h. Magdalena, im Auftrage des Bolognesen Lodovico Amaduzzi im Jahre 1508 gemalt[298]. Gegenwärtig in der Pinakothek von Bologna. Aufgeführt von Passavant und den Herren Cr. und Cav., welch’ letztere dies Werk als das beste des Timoteo rühmen, während Herrn Passavant diese Magdalena eben so kalt und wenig anziehend wie die h. Apollonia vorkommt.

5) Die Altartafel für die Kapelle der Bonaventuri in der Kirche des h. Bernardinus[299] bei Urbino. Gegenwärtig in der Breragalerie zu Mailand. Beschrieben von Passavant und auch von den Herren Cr. und Cav. Passavant rühmt namentlich die Zeichnung an diesem Bilde, die Historiographen der italienischen Malerei finden jedoch die Figuren plump und werden vor diesem Bilde nicht nur an Francia, sondern auch an Pinturicchio erinnert.

6) Vasari erwähnt noch ein Bild „Apollo mit zwei Musen“[300] im herzoglichen Palaste von Urbino, er scheint dasselbe jedoch nicht selbst gesehen zu haben. Auch Baldi in seiner „descrizione del palazzo ducale di Urbino“ (Seite 527) spricht von Tafelbildern des Timoteo Viti, auf welchen Apollo mit den neun Musen dargestellt war. Passavant und die Herren Cr. und Cav. geben dies Werk des Timoteo für verloren. Im obern Stockwerke des Palazzo Barberini in Rom sah ich vor Jahren 8 Tafelbilder mit Apollo, Polyhymnia, Terpsichore, Calliope, Clio, Melpomone, Erato und Thalia; jede Tafel maß ungefähr 82 Centimeter in der Höhe und 38 Centimeter in der Breite. Diese Bilder kamen aus dem herzoglichen Palast von Urbino nach Rom und zwar unter dem Namen des Timoteo Viti. Tausche ich mich nicht sehr, so gehört jedoch dieser Apollo mit den 8 Musen keineswegs dem Timoteo Viti an, sondern dem Francesco Bianchi aus Ferrara; das von Vasari citirte Bild mit Apollo und den zwei Musen muß daher als verloren betrachtet werden.

7) Das „Noli me tangere“ in Cagli, bezeichnet: Timotei de Vite urbinat. opus. Im Jahre 1518(?) gemalt. Passavant zufolge ist dies Bild des Timoteo von Raffaelischem Stil, jedoch nicht ohne Affektation. Auch die Herren Cr. und Cav. finden den Raffaelischen Stil darin, jedoch mit der Härte und dem Conventionalismus des Giovanni Santi und des Palmezzano vereint[301]. Da ich nach Cagli zu gehen immer verhindert war, bin ich auch nicht in der Lage, mein eigenes Urtheil mit demjenigen der ebengenannten Kunstforscher zusammenzustellen. Ebenso ist es mir nicht vergönnt gewesen, das von Vasari erwähnte Bild ausfindig zu machen, welches Timoteo für Città di Castello gemalt haben soll[302]. Weder Passavant noch die Herren Cr. und Cav. sprechen von diesem Werke des Timoteo, wahrscheinlich ist es, wie die florentinischen Kommentatoren des Vasari vermuthen, verloren gegangen.

8) Endlich erwähnt Vasari, wie wir bereits gesehen, der Cooperation des Timoteo an dem Raffaelischen Wandgemälde mit den Propheten und den Sibyllen in S. Maria della Pace in Rom; von Raffael im Jahre 1518 ausgeführt.

Diesen soeben von Vasari und somit auch von den neueren Historiographen einstimmig dem Timoteo Viti zuerkannten Werken fügen Passavant und mit ihm auch die Herren Cr. und Cav. noch die thronende Maria mit dem Kinde und den Heiligen in der Berliner Galerie (No. 120) hinzu, welches Bild von dem Frankfurter Gelehrten ein schönes[303], von den Herren Cr. und Cav. „a genuine specimen[304] des Meisters genannt wird.

Mit feinerm Kunstsinne und größerer Sachkenntniß scheint mir dagegen Passavant das in Europa allgemein bekannte kleine Bild mit Apollo und Marsyas, im Besitze des Herrn Moris Moore in Rom, beurtheilt zu haben, indem er dies allerliebste, Raffaelischen Duft athmende Gemälde dem Timoteo Viti zuschreibt und mit richtigem Takte die Schule des Francia darin erkennt[305].

Die berühmten Historiographen der italienischen Malerei rechnen dann ihrerseits noch folgende Bilder unserm Timoteo Viti an:

1) Die große Tafel, worauf der Evangelist Lucas mit seinem lebensgroßen Ochsen als Maler der Maria dargestellt ist[306]. In der Akademie von S. Luca zu Rom, dort Raffael selbst zugemuthet[307].

2) Den kleinen sich kasteienden h. Hieronymus, in der Berliner Galerie (No. 124). Wurde vom Baron von Rumohr als Werk des Timoteo Viti erworben, und als solches auch von Dr. Waagen in seinen Galerie-Katalog eingetragen.

3) Die „Apotheose der Maria Egiziaca“, mit dem darunterstehenden h. Zosimus, aus der Kirche von S. Andrea m die städtische Galerie von Ferrara gekommen. Im Kataloge jener Galerie als Werk des Timoteo Viti aufgeführt. Meiner Ansicht zufolge gehört dieses gute Gemälde höchstwahrscheinlich einem andern Meister aus der Schule des Francia und Costa, nämlich dem Ercole Grandi di Giulio Cesare. Schon der diesem Künstler eigene Schädelbau scheint mir ihn zu verrathen.

4) Ein kleines Madonnenbild(?) bei den Erben des Professors Saroli in Ferrara.

5) Ein Bild mit dem „Gekreuzigten, beweint von Maria und Johannes“; einst im Hause des Grafen Mazza in Ferrara (jetzt nicht mehr dort vorhanden).

6)[WS 5] Endlich noch das „praesepium“ (No. 60) in der Pinakothek von Bologna, daselbst dem Chiodarolo zugeschrieben[308]. In meinen Augen ist es ein Atelierbild des Lorenzo Costa.

Um das Maß voll zu machen, bemerkt zuletzt noch Passavant, Timoteo Viti hätte die Manier Raffael’s mit der Feder zu zeichnen so sehr sich angeeignet, daß seine Federskizzen gar oft von Unkundigen Raffael selbst zugeschrieben würden; man erkenne dieselben jedoch an einer weniger geistreichen Mache und, in größern Kompositionen, insbesondere an einem gewissen Mangel an tiefen und naiven Ideen, da nämlich die Figuren geringe Bedeutung und auch wenig mit der Haupthandlung zu schaffen hätten[309]. Passavant hütet sich jedoch wohlweislich, jene Federzeichnungen und größeren Kompositionen des Timoteo zu bezeichnen, die ihm zu den eben angeführten gelehrten Bemerkungen Anlaß gaben[310]. Da die Herren Cr. und Cav. in ihrem Geschichtswerke die Handzeichnungen der Meister nicht in Betrachtung ziehen, so ist es mir auch nicht vergönnt, die Ansichten der berühmten Historiographen über diesen wichtigen Punkt (ja einen der wichtigsten in der Geschichte der Kunst) hier anzuführen.

Nun fragen wir jeden vorurtheilsfreien, denkenden Kunstforscher: darf man wohl im Ernste annehmen, daß ein begabter Künstler, wie Timoteo Viti, in seinem 27. Jahr, und nach seiner bei Francia bereits vollendeten Lehrzeit sich von einem 12jährigen Knaben, denn so alt war Raffael, als Timoteo 1495 von Bologna nach Urbino zurückkam, in die Lehre nehmen und von ihm sich beeinflussen ließ, oder wäre nicht viel mehr gerade das Gegentheil das Wahrscheinlichere?

Das Temperabild (jetzt in der Breragalerie) mit der thronenden Maria und den Heiligen Crescentius und Vitalis ist, wie uns Vasari berichtet, das erste Werk, das Timoteo nach seiner Rückkehr aus Bologna malte; und in der That sieht dasselbe nicht nur sehr frisch und jugendlich aus, sondern es erinnert uns lebhaft, wenn auch nicht, wie Passavant meint, an Perugino, so doch an Lorenzo Costa und an Francia[311]. Dies Bild dürfte also zwischen den Jahren 1496 und 1500 entstanden sein, in der Zeit nämlich, als Timoteo in freundliche Verhältnisse mit der Familie Spaccioli, für die das Gemälde ausgeführt wurde, getreten war, aus deren Mitte er kurze Zeit darauf, im Jahre 1501, die Girolama di Guido Spaccioli zum Weibe sich erkor. Wie Passavant uns erzählt, wurde dies Bild lange Zeit für ein Werk Raffael’s gehalten, bis aufgefundene Dokumente es dem Timoteo zurückerstatteten. Auch die „h. Apollonia“ ist, Vasari zufolge, ein Bild aus der Frühzeit des Timoteo, und die Herren Cr. und Cav. fanden die liebliche Figur dieser Heiligen, wie wir bereits gesehen, theils Raffaelisch, theils an Giovanni Spagna erinnernd. Sollte es nun wirklich, nach diesen von uns bis hierher angestellten Betrachtungen und Erwägungen, meinen Lesern noch immer als zu gewagt erscheinen, an der zum Axiom gewordenen Lehre, nach welcher Timoteo Viti als Schüler und Nachahmer Raffael’s zu betrachten ist, einige Zweifel zu hegen?

Wir haben nichts dagegen einzuwenden, wird man vielleicht mir entgegnen, daß, wie Ihr ganz richtig bemerkt, es nicht wohl anzunehmen ist, der 27jährige Timoteo habe sich vom 12jährigen Raffael in seiner Kunst unterrichten lassen, allein wie wollt Ihr andrerseits erklären, daß die Werke aus der Frühzeit des Timoteo nicht nur auf alle Kunstforscher einen Raffael’schen Eindruck machen, sondern daß sogar eines derselben Jahrhunderte lang dem Raffael zugeschrieben ward und wahrscheinlich noch immer als ein solches angesehen würde, falls nicht Dokumente zum Vorschein gekommen wären, welche es dem Timoteo Viti vindicirten?

Ich muß auf diese Einwendung wohl gefaßt sein und erlaube mir daher, so gut es mir eben möglich ist, auf dieselbe zu antworten.

Als Timoteo Viti im April des Jahres 1495[312] in seine Vaterstadt Urbino als gelernter Maler zurückkehrte, traf er den 12jährigen Raffael daselbst an, welcher durch den im Jahre vorher erfolgten Tod seines Vaters Giovanni nun ohne Lehrer und Leiter in seiner Kunst geblieben war. Maler von einiger Bedeutung befanden sich, soviel mir bekannt ist, zu jener Zeit nicht in Urbino. Kann man es daher unwahrscheinlich nennen, daß der junge Raffael an seinen um fünfzehn Jahre ältern Landsmann sich angeschlossen und bei diesem seine durch des Vaters Tod unterbrochenen Studien in der Malerei fortgesetzt habe?

Timoteo war eine liebenswürdige, offene, reine Künstlernatur, und so erwarb er sich auch, wie wir aus dem Tagebuche des Francia ersehen, die ganze Liebe seines Lehrers in Bologna. Ist es unter diesen Verhältnissen nicht auch wahrscheinlich, daß die gegenseitige Achtung und Freundschaft, welche später zwischen dem jungen Raffael und Francia bestand, eben durch Timoteo vermittelt wurde?

Allein, wird man vielleicht mir in’s Wort fallen, wie könnt Ihr nur annehmen, daß ein Genie, wie Raffael, von einem so mittelmäßigen Maler, wie Timoteo Viti gewesen zu sein scheint – nach seinen Bildern in der Berliner Galerie und nach dem malenden h. Lucas in der Akademie von Rom wenigstens zu schließen – beeinflußt worden sei, während es uns doch viel einleuchtender ist, daß auch Timoteo, gleich allen andern Künstlern, die das Glück hatten, Raffael sich zu nähern, von dessen Geiste bezaubert, nach der Raffael’schen Manier die seine modifizirt habe? Dem habe ich zu entgegnen: Dies mag alles ganz schön und gut sein, aber logisch ist es nicht. Denn erstens hat Timoteo Viti wenige Jahre nach seiner Rückkunft nach Urbino ein s. g. Raffael’sches Bild gemalt, zu einer Zeit also, wo Raffael kaum fünfzehn Jahre zählen konnte; zweitens wissen wir, daß Raffael nach seiner Abreise von Urbino, um 1500, nur ein paar Male, nämlich im Jahre 1504 und im Jahre 1506, seine Vaterstadt wieder besuchte und dort für nur kurze Zeit sich aufhielt. Im Oktober dieses letzteren Jahres geht Raffael von Urbino nach Florenz. Wir wissen ferner, daß Timoteo Viti im Jahre 1501 die Girolamo Spaccioli heirathete, und daß er von jenem Jahre an sein Haus und seine Familie nie wieder auf längere Zeit verließ, woraus hervorgeht, daß er unmöglich, sei es in Perugia, sei es in Florenz, beim jungen Raffael in die Lehre gegangen sein kann. Ist es aus allen diesen Gründen nun nicht einleuchtender anzunehmen, daß jener Raffael’sche Anflug, den alle Kunstkenner in Viti’s Werken, zumal in den Bildern aus der Frühzeit, bemerkten, dem individuellen Charakter des Timoteo zuzuschreiben sei? Auch er war ein Urbinate! – Wie Lorenzo Lotto früher Correggesk war als Correggio selbst, so sehen wir, daß Timoteo Viti mehrere Jahre vor Raffael seinen Werken Raffael’sche Anmuth und Raffael’schen Duft einhauchte. Allein nicht nur die Auffassung hat in den jugendlichen Bildern des Timoteo etwas, was an Raffael gemahnt, auch die Form der Hände, der Füße, des Gesichtsovals, die Art die Falten zu legen, erinnern bei ihm an seinen jungern Landsmann. Ich gebe freilich gern zu, daß für diejenigen, welche die thronende Madonna (No. 120) in der Berliner Galerie und den malenden Lucas der Akademie zu Rom dem Timoteo zumuthen können, meine Auseinandersetzungen über diesen streitigen Punkt, so redlich gemeint sie auch sind, eine Stimme in der Wüste sein werden. Wer aber unter meinen jungen Freunden den Muth haben sollte, mir auf dem etwas langen und nicht gerade sehr unterhaltenden Wege der Auseinandersetzung zu folgen, der ermanne sich mit Geduld und Ausdauer. Das Ziel, nach dem wir streben, ist einiger Mühe werth.

Betrachten wir uns nun vor allem diejenigen Werke, die mit Fug und Recht zu Timoteo’s Jugendarbeiten gezählt werden können, d. h. diejenigen, welche beiläufig im Zeitraum zwischen 1495, der Rückkehr Timoteo’s nach Urbino, und 1500, der Abreise Raffael’s von Urbino nach Perugia, entstanden sein mögen.

Hier kommt zunächst die thronende Madonna mit den Heiligen Crescenzio und Vitale, in der Breragalerie, in Betracht. In diesem schon von Vasari als Jugendwerk

Der h. Vitalis. Von Timoteo Viti. Mailand.
des Timoteo bezeichneten Bilde erscheint der etwa 27 bis 28jährige Künstler noch ziemlich von der Art und Weise seiner Lehrmeister Francia und Lorenzo Costa beeinflußt; der musizirende Engel erinnert an Costa, die Heiligen Crescenzio und Vitale an Francia, während gerade die reizende Gestalt des Vitalis dazu beigetragen haben dürfte, daß dies Bild als ein Werk Raffael’s betrachtet worden ist.

Ein anderes kleines Bild, im Privatbesitze zu Mailand, möchte etwa, wenn nicht noch früher, so doch sicher in die nämliche Frühperiode, wie das obengenannte, zu setzen sein. Auf der kleinen, etwa 28 Centimeter hohen und 20 Centimeter breiten Holztafel ist die h. Margarethe dargestellt, in der Rechten einen Palmzweig, mit der Linken die Kette haltend, an welcher sie den ihr zu Füßen liegenden Lindwurm führt. Den Hintergrund bildet eine Landschaft, die einigermaßen an die Umgegend von Urbino erinnert. Der Kopf und die Haltung der Heiligen rufen uns unwillkürlich den Francia ins Gedächtniß, während das Gesichtsoval an jenes der Madonna del Granduca von Raffael gemahnt. Das Bildchen kam von Urbino als Werk Timoteo’s nach Rom und wurde dort von seinem jetzigen Besitzer erworben. Den Karton zu dieser kleinen h. Margarethe benutzte der Künstler auch für die Figur der Apollonia in dem Altarbild des Kirchleins der h. Trinità; statt des Palmzweiges gab er dieser Heiligen eine Zange in die Rechte und ließ den Drachen weg. Bei dieser Gelegenheit will ich noch bemerken, daß der Lindwurm zu Füßen der h. Margarethe dem Drachen auf dem Bilde des jungen Raffael, welches den h. Georg darstellt (gegenwärtig in der Galerie des Louvre No. 369, die Federzeichnung dazu in der Uffizisammlung), gleicht.

Ebenfalls um 1500 scheint mir das schöne Bild, jetzt im Besitze des Herrn Moris Moore in Rom, entstanden zu sein. Dasselbe stellt Apollo stehend und unbekleidet dar, wie er dem sitzenden und auf einer Flöte blasenden Marsyas, welcher gleichfalls unbekleidet ist, mit stolzer Verachtung zuhört. Die Formen der beiden Körper sowie die

Die h. Margarethe. Von Timoteo Viti. Mailand.
Bäumchen der Landschaft mit ihrem feinen Laubwerk erinnern lebhaft an die Schule des Costa und Francia; die Landschaft jedoch ist die dem Timoteo eigenthümliche. Die Handzeichnung zu diesem Gemälde besitzt die Akademie von Venedig unter dem ihr oktroirten Namen des Raffael. Dieselbe ist von Perini (Venedig) photographirt worden (No. 91). Auch von dem Bilde selbst giebt[a 41] es eine leidliche Photographie.

Ebenso rechne ich zu den Werken der Frühzeit unsers Timoteo jene Reihenfolge von 17 Majolicatellern, mit Bildern mythologischen Inhaltes verziert, die meiner Ansicht nach zu den kostbarsten Schätzen des Museo Correr in Venedig gehören. Täusche ich mich nicht, so muß Timoteo selbst die herrlichen Bildchen auf die Teller gemalt haben. Jene Figuren tragen insgesammt das Gepräge der Francia-Costa’schen Schule an sich, und es ist mir ganz unbegreiflich, wie ein so einsichtsvoller Mann, wie Lazzari, im Kataloge jenes Museums den hohen Kunstwerth dieser Teller so ganz und gar verkennen konnte, indem er dieselben nicht nur in’s Jahr 1484 setzt, sondern sie auch einer Fabrik von Faenza zuschreibt, während sie allem Anscheine nach vielmehr der berühmten Majolicafabrik von Castel Durante angehören dürften. Nicht minder wundert’s mich, daß die Herren Cr. und Cav., die doch so oft zu eingehenden Studien in jenem Museum verweilt haben dürften, diese bemalten Teller keiner Beachtung würdigten, während sie im selben Zimmer für Meister vom Schlage eines Pasqualino oder Jacopo da Valenza Worte der Anerkennung zu finden wußten. Es thut dies mir um so mehr leid, als ein aufmunternder Wink ihrerseits mir für meine eigenen Forschungen über Timoteo Viti Muth eingeflößt haben würde.

Außer diesen wenigen mir bekannten Werken aus der Frühzeit des Timoteo Viti mag wohl noch manches andere von ihm, vielleicht unter dem Namen Raffaels, in der Welt zerstreut sein. So besitzt z. B. die Sammlung von Handzeichnungen in Oxford einen schönen weiblichen Kopf, mit schwarzer Kreide gezeichnet – das junge Weib hält in der Linken einen Palmenzweig. In Oxford wird diese Zeichnung Raffael zugeschrieben. Herr J. C. Robinson, ein feiner Kenner von Handzeichnungen, hat jedoch mit richtigem Takt in dieser Zeichnung die Hand des Timoteo Viti vermuthet[313]. (Im Braun’schen Katalog No. 14). In meinen Augen gehört diese Originalzeichnung untrüglich der Frühzeit des Timoteo Viti an und ist sehr charakteristisch für den Meister.

Stellen wir nun die eben bezeichneten Werke des Timoteo mit jenen Bildern und Handzeichnungen zusammen, welche unserer Ansicht nach dem fünfzehn- oder sechzehnjährigen Raffael angehören dürften. Leider steht uns nur weniges zu Gebote: ein einziges Bildchen und ein paar Handzeichnungen. Das Bildchen ist der s. g. Traum eines Ritters (No. 213) in der Nationalgalerie zu London. Die Handzeichnungen: jene zu dem eben angeführten Bilde ebenfalls im Besitze der Nationalgalerie, und zweitens eine Federzeichnung in der Wicarsammlung zu Lille, auf der zwei junge Bogenschützen dargestellt sind[314]; wahrscheinlich Studien zu einem „Martyrium des h. Sebastian.“

Ich bitte nun meine jungen Freunde, sich diese paar Zeichnungen recht genau besehen zu wollen, und ich zweifle nicht, daß sie bald zur Einsicht kommen dürften, daß dieselben unsere Gedanken eher auf Timoteo Viti als auf Pietro Perugino hinleiten. Der landschaftliche Hintergrund auf dem Bild „der Traum eines Ritters“ ist sehr verschieden von den Landschaften nicht nur auf den Bildern des P. Perugino und des Pinturicchio, sondern selbst von denen des Raffael in seiner Peruginischen Epoche. Die Falten, z. B. jene am Oberarm der allegorischen Figur, rechts vom schlafenden Ritter, stimmt ganz und gar mit der Falte am Oberarme der h. Margarethe des Timoteo. Auch gleicht das volle, etwas runde Gesichtsoval dieser weiblichen Figur demjenigen der h. Margarethe. Man betrachte ferner die breite, fast viereckige Mittelhand (metacarpium) des träumenden Ritters, die Timoteo von seinem Lehrer Costa angenommen (Fig. A) und dann

Fig. A.   Fig. B.

auf den jungen Raffael verpflanzt zu haben scheint. Es ist merkwürdig, wie später, unter dem Einflusse des Perugino in Perugia, Raffael diese seine breite Hand modifizirt; dieselbe wird nämlich schmäler und die Finger länger (Fig. B), wovon man sich in den zwei Bildern, dem „Gekreuzigten“ bei Lord Dudley[315] und der „Krönung Mariae“ in der Vaticanischen Galerie, überzeugen kann. Diese beiden Bilder wurden von Raffael zwischen den Jahren 1501 und 1503 unter dem unmittelbaren Einflusse des Perugino gemalt, ja die „Krönung der Maria“ dürfte höchst wahrscheinlich als eigenhändiges Werk des Perugino dem Besteller zugestellt worden sein[316]. Wie aber einige Jahre später, um 1504, Raffael sich selbst wiederfindet und von den Eindrücken der Peruginischen Schule sich nach und nach frei zu machen trachtet, erscheint wieder die Costa-Timoteo’sche breite Hand in den Bildern des jungen Raffael, so wie auch die Fleischtöne klarer, die Schatten statt schwarz wieder grau werden. Ein Beispiel davon die „Vermählung Mariae“ vom Jahre 1504, in der Breragalerie von Mailand, soviel ich weiß, das zweite mit dem Namen bezeichnete Bild von Raffael. Die Komposition dieses Bildes gehört, wie bekannt, dem Lehrer P. Perugino an[317], und es ist höchstwahrscheinlich, daß der junge Raffael nicht aus Mangel an eignen Ideen, sondern auf Wunsch des Bestellers an das Bild seines Meisters sich streng gehalten habe. Betrachten wir jedoch die Farbenharmonie in diesem reizvollen Gemälde, so werden wir nicht in Abrede stellen können, daß Raffael hier fast eben so sehr seinem frühern Lehrer Timoteo wieder sich nähert, als er andererseits seinem zweiten Lehrer Perugino in vielen Zügen noch treu bleibt[318]. Doch genug davon, denn ich fürchte fast, meine jungen Freunde durch solche etwas gar zu pedantische und in’s Detail sich verlierende Auseinandersetzungen ermüdet zu haben. Mögen sie mir dieselben zu Gute halten und bedenken, daß mir diese Frage fast zu einer Herzensangelegenheit geworden ist. Es ist meine durch gewissenhafte Studien in mir herangereifte Ueberzeugung, daß nämlich Raffael seine erste Lehrzeit nicht in Perugia, sondern in Urbino gemacht und die frühesten und somit tiefsten Eindrücke in seiner Kunst dort zuerst durch den Vater, sodann durch den anmuthigen Timoteo Viti empfangen habe. Diese Ueberzeugung auf irgend einen jungen Kunstbeflissenen, dessen Geist von den verschimmelten Vorurtheilen sich noch frei erhalten, mittheilen zu können, wäre mein sehnlichster Wunsch. Will es mich doch bedünken, daß das Studium und die Ergründung des Bildungsprocesses dieses vollkommensten Vertreters der italienischen Kunst für einen jungen Forscher eine gar reizvolle Aufgabe wäre.

Sehen wir nun vor allem nach, welche Werke aus der Frühzeit Raffael’s sein berühmter Biograph Passavant anführt.

1) Das Christkind, welches den kleinen Johannes liebkost; in der Sacristei der Kirche von S. Pietro in Perugia. Dieß durch rohe Uebermalung übel zugerichtete Gemälde gehört meiner Meinung nach unbedingt dem P. Perugino an. Man besehe sich namentlich die diesem letzteren Meister eigenthümliche häßliche, schlauchartige Bildung des Bauches der beiden putti, die Form der Hand und des Ohres, so ganz verschieden von der Hand und dem runden, fetten Ohre bei Raffael.

2) Studien nach seinem Meister Pietro, in der Sammlung von Handzeichnungen der Akademie Venedig. Alle diese Federzeichnungen sind, wie ich bereits festzustellen versucht habe, von der Hand des Bernardino Pinturicchio und keineswegs von Raffael.

3) Die Handzeichnung in der Sammlung des Städelschen Instituts zu Frankfurt, welche den h. Martinus zu Pferde darstellt. Raffael gehört diese Zeichnung sicher nicht an, sie dürfte eher einem andern Schüler des Perugino, nämlich dem Eusebio da San Giorgio zuzuschreiben sein. Außer anderem gehört das Pferd des h. Martinus nicht zu jener Pferderaçe, die Raffael sich zum Modell auserkoren hatte. Man vergleiche z. B. den Schädel dieses Pferdes auf der Frankfurter Federzeichnung mit den Pferdeköpfen auf den zwei Federzeichnungen in der Sammlung der Uffizigalerie in Florenz, auf denen der h. Georg im Kampfe mit dem Drachen dargestellt ist, und man wird gewiß mir in dieser Frage beipflichten. Auf der Rückseite dieses Blattes ist eine Federzeichnung des P. Perugino. Hat nun Passavant in dieser Zeichnung den Eusebio da San Giorgio mit Raffael verwechselt, so folgte vor kurzem noch der in Deutschland vielgenannte Kunstschriftsteller Dr. Ernst Förster dem Beispiele Passavant’s nach, indem er die „Anbetung der Könige“ in der Stadgalerie von Perugia, ein untrügliches Gemälde des Eusebio, ebenfalls dem jungen Raffael zu vindiciren trachtete.

4) Die „Auferstehung Christi“ (gegenwärtig in der Vaticanischen Sammlung). Auch die Herren Cr. und Cav., dem Passavant folgend, schreiben dieses mittelmäßige Bild Raffael zu[319]. Passavant glaubte in einigen Zeichnungen der Sammlung von Oxford Studien zu den Wächtern auf diesem Gemälde erkannt zu haben, ich glaube jedoch, daß er auch darin sich getäuscht habe. Schon bei Besprechung der Predella (No. 1185 in der Münchner Galerie) sprach ich meine Meinung über dies Bild aus, indem ich es dem Giovanni Spagna zuerkannte. Das Tafelbild stand ehemals in der Kirche S. Francesco zu Perugia und wurde schon von Vasari als Werk des Pietro Perugino erwähnt. (Ediz. Lemonnier, VI, 42). Orsini schreibt es ebenfalls demselben zu. In neuester Zeit jedoch, als es im großen Saale des Vaticans aufgestellt wurde, fanden einige Kunstforscher im Gesichte des einen Wächters die Züge des Perugino, in jenen des andern schlafenden die des jungen Raffael. Seit dieser Entdeckung wurde das Bild umgetauft und als gemeinsames Werk des Perugino und des Raffael erklärt. Herr Passavant sah daher in diesem Gemälde einen rührenden Beweis der innigen Freundschaft, die Lehrer und Schüler verband. Da diese Deutung liebenswürdig, ja fast sentimental klingt, mundet sie dem modernen Kunstpublikum, besonders den Damen. Meinerseits kann ich in diesem Gemälde wahrlich weder die Farben, noch die Formen, noch irgend einen Zug des Urbinaten erkennen; wohl glaube ich dagegen ganz bestimmt die Hand des Giovanni Spagna darin wahrzunehmen, welchem Gehülfen Meister Perugino wahrscheinlich die Ausführung des Bildes nach seinem Karton mag überlassen haben[320].

5) Auch in dem herrlichen Triptychon, das Perugino für die Certosa bei Pavia gemalt (jetzt in der Nationalgalerie zu London), wollte nicht nur Passavant[321], sondern vor ihm schon Baron von Rumohr, die Hand des jungen Raffael erkennen. Perugino malte aber höchst wahrscheinlich dies Bild, eines seiner vollkommensten Werke, noch im 15. Jahrhundert, als Raffael noch in Urbino weilte.

Von allen diesen fünf als Erstlingswerke Raffael’s von Passavant citirten Bildern vermag ich also keines ihm zuzuerkennen, und ich zweifle nicht, daß jeder ernstere Forscher meiner Ansicht beipflichten wird.

6) Ein kleines Madonnenbild, einst bei der Gräfin Alfani von Perugia, gegenwärtig(?) in einem Privathause in Terni. Meiner Ansicht nach gehört dies Bildchen bloß der Schule des Perugino an.

7) Christus am Kreuze, gegenwärtig bei Lord Dudley in London, um 1501 gemalt.

8) Das Madonnenbild (No. 145) in der Berliner Galerie; die Federhandzeichnung dazu in der „Albertina“ in Wien.

9) Das andere Madonnenbild (No. 141) in der Berliner Galerie.

10) Die Krönung der Maria, in der Bildersammlung des Vaticans.

11) Das kleine Madonnenbild, für die Familie Staffa von Perugia gemalt; gegenwärtig im k. k. Palais in St. Petersburg.

12) Der „Traum eines Ritters“; in der Nationalgalerie zu London.

13) Die zwei getuschten Handzeichnungen zu den Fresken in der „Libreria“ von Siena, die eine in der Uffizigalerie von Florenz, die andere im Hause Baldeschi zu Perugia. Diese zwei Zeichnungen gehören augenscheinlich dem Pinturicchio an.

14) Die Handzeichnung mit den zwei Grazien in der Sammlung von Venedig; gehört meiner Ansicht nach ebenfalls dem Pinturicchio.

15) Die „Vermählung Mariae“, in Mailand.

16) Die „Madonna del Granduca“, in Florenz.

Nachdem ich nun die von den bekanntesten Raffaelisten und Kunsthistorikern dem Maler Timoteo Viti zugeschriebenen Bilder gewissenhaft aufgeführt und sodann die künstlerische Entwicklung Raffael’s, wie Passavant dieselbe darstellt, meinen Lesern wieder in’s Gedächtniß zurückgerufen habe, sei es mir gestattet, nach meinem eigenen Verständniß denselben Weg noch einmal zurückzulegen, wobei ich freilich manches schon Gesagte werde wiederholen müssen. Doch ich meine, das große Interesse des Gegenstandes ist es wohl werth, daß man keine Mühe sparen sollte, dem Ziele entgegen zu kommen, die so wichtige Frage aufzuklären.

Nach meiner Anschauung könnten die von den Raffaelisten der Frühzeit Raffael’s zugeschriebenen Werke nicht weiter zurück datirt werden als bis zum Jahre 1500, da ja selbst die gegenwärtig ganz verdorbene Umgangsfahne mit der Dreieinigkeit auf der einen und der Erschaffung Eva’s auf der andern Seite, in Città di Castello, als ganz im Sinne des Perugino gedacht und gemalt erklärt wird, und da ja dasselbe von dem zu Grunde gegangenen Gemälde Raffael’s mit der „Krönung des h. Nicolaus von Tolentino“ gilt. Wir dürfen indessen nicht annehmen, daß ein so begabter, ja frühreifer Jüngling wie Raffael in seinem fünfzehnten oder sechzehnten Jahre der Technik seiner Kunst nicht schon vollkommen Herr gewesen wäre. Dies beweisen ja schon seine Werke aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts. Ich halte daher an meinem Glauben fest, daß der junge Raffael nicht vor dem Ende des Jahres 1499 nach Perugia gekommen, und daß er dort nicht als Schüler, sondern als Gehülfe in die Werkstätte des P. Perugino eingetreten sei.

Vorerst werde ich die Werke, die mir von Timoteo bekannt sind, chronologisch der Reihe nach aufzählen und dann die nämliche Musterung an den Bildern halten, die mir der Frühzeit Raffael’s anzugehören scheinen:
Werke des Timoteo Viti.

1) Die thronende Madonna mit den Heiligen Crescentius und Vitalis. (Breragalerie).

2) Die h. Margarethe. (Mailand).

3) Handzeichnung in der Sammlung von Oxford, eine Frau mit einem Palmzweig in der Linken darstellend.

4) Die h. Apollonia, im städtischen Museum von Urbino. Leider sehr verdorben.

5) Die Majolicateller mit Darstellungen aus den

Orpheus. Museo Correr.

Metamorphosen des Ovidius, im Museo Correr von Venedig. (Siehe die Abbildung).

6) Apollo und Marsyas, im Besitze des Herrn Moris Moore in Rom.

7) Die Verkündigung, mit den Heiligen Sebastian und Johannes dem Täufer (noch sehr an Francia erinnernd); in der Breragalerie von Mailand.

Auf diese Werke aus der Frühzeit des Timoteo Viti (etwa vom Jahre 1495 bis 1503) konnte nun wahrlich der junge Raffael nicht den mindesten Einfluß ausgeübt haben, da erstens in denselben nicht ein Zug an Pietro Perugino, wohl aber gar vieles an Lorenzo Costa und Francia erinnert, und weil ja andererseits die Bilder aus Raffael’s Frühzeit, wie der „Gekreuzigte“, bei Lord Dudley, und die „Krönung Mariae“, im Vatican (etwa vom Jahre 1501 bis 1503), ein durch und durch Peruginisches Aussehen haben.

8) Das Altarbild für den Bischof Arrivabene, im Jahre 1504 von Timoteo gemalt; in der Sacristei des Domes von Urbino. In der obern Hälfte dieses vorzüglichen Tafelbildes sieht man die h. Bischöfe Tommaso di Villanova und Martino, der erstere mit dem Crucifix in der ausgestreckten Linken, der andere segnend dargestellt; die untere Hälfte enthält die Porträts des Bischofs Arrivabene und des Herzogs Guidobaldo III. von Montefeltro, beide knieend; Hintergrund Landschaft mit der Stadt Mantua. Gut erhalten, aber in einem sehr schmutzigen Zustande.

9) Ein Jüngling im Profil, Brustbild; in der städtischen Galerie von Brescia, dort dem Cesare da Sesto zugeschrieben.

10) Die „h. Magdalena“; in der Pinakothek von Bologna (1508–1509).

11) Das „Noli me tangere“ in Cagli, um 1518(?).

Zu den soeben angeführten Bildern, die mir wenigstens sammt und sonders bestimmt dem Timoteo anzugehören scheinen, hätte ich gerne noch etliche andere hinzugefügt, wäre ich meiner Sache dabei sicherer gewesen. So erinnere ich mich, um hier nur ein Beispiel anzuführen, vor Jahren in derselben Sacristei des Domes von Urbino neben dem Bilde des Arrivabene eine s. g. Geburt Christi gesehen zu haben, die dort zwar dem Giovanni Santi zugeschrieben wird, mir aber durchaus den Eindruck eines Werkes von Timoteo machte, und zwar aus seiner spätern Zeit, als nämlich sein Landsmann, der vom Herzog hochbegünstigte Girolamo Genga, einen gewissen Einfluß auf Timoteo ausgeübt haben könnte.

Wie meine Leser gesehen haben, ist die Ausbeute an Werken des Viti, die ich ihnen zu bieten im Stande bin, eine sehr geringe. Wie viele andere Bilder dieses anmuthigen, liebenswürdigen Meisters mögen indeß, wie schon gesagt, wahrscheinlich unter dem Namen Raffaels oder des Francia noch in der Welt zerstreut sein.

Naturgemäß gelangen wir nun zu den Werken aus der Frühzeit Raffael’s, die ich gerne seine Urbinatische Periode (1495–1500) nennen möchte. Meiner Ansicht nach gehören derselben etwa die folgenden an:

1) Die Federzeichnung mit dem Bogenschützen; noch sehr kindlich und naiv in der Auffassung, fleißig und sorgfältig in der Ausführung. Die Ohrform des jungen Mannes neben dem Bogenschützen, so wie auch die seiner Hand und die rückwärts gestrichenen Locken erinnern noch sehr an Timoteo. Diese interessante Zeichnung befindet sich in der Sammlung von Lille, welche an Zeichnungen aus der Frühzeit Raffael’s reich ist; sie führt die Nummer 64 im Braun’schen Katalog.

2) „Der Traum eines Ritters“. Das reizende Bildchen, welches der Knospe einer Rose gleich den nahen Lenz verkündet (etwa um 1498), kam aus der Galerie Borghese nach London und wurde später für die dortige Nationalgalerie erworben.

3) Die Skizze zu diesem Gemälde, welche sich ebenfalls in der Nationalgalerie befindet. Dieselbe ist sehr sorgfältig, zierlich und gewissenhaft, und fast möchte ich sagen, etwas ängstlich mit der Feder ausgeführt und erinnert, wie mich dünkt, an Timoteo sowohl in dem vom Peruginischen ganz verschiedenen Aufbau der Landschaft, dem Wurfe der Falten, z. B. am Oberarm der weiblichen Figur rechts vom Ritter, dem kurzen, nicht ganz bis zum Knöchel reichenden Gewand derselben, dem um’s Haupt gelegten Tuche (gerade so, wie es Timoteo im Brauche hatte), als auch in der breiten, etwas platten Mittelhand des schlafenden Ritters und der rundlichen Kopfform der

Der Traum eines Ritters. Federzeichnung. Nationalgalerie in London.

allegorischen Figur mit dem Schwerte in der Rechten (Siehe die Abbildung). Auch zweifle ich nicht, daß jeder Sachkundige in dieser so naiven Zeichnung die Hand eines allerdings sehr genialen Knaben, aber immerhin eines Knaben, erkennen wird.

4) Die Federzeichnung mit einem weiblichen Kopfe, Brustbild wahrscheinlich Studie zu einer Madonna (No. 2797 Katalog von Philipot). Diese herrliche Zeichnung von einem ausgesprochenen Timoteischen Charakter mag Raffael kurz vor seiner Abreise von Urbino gefertigt und mit sich nach Perugia genommen haben, denn später fügte er noch einen andern weiblichen Kopf hinzu, in dem ich schon eine fertigere Federführung zu sehen glaube.[322] Dieser letztere Frauenkopf dürfte vielleicht in der Zeit von Raffael hinzugezeichnet worden sein, als er die ebenfalls in der Sammlung der Uffizigalerie befindliche Zeichnung mit Madonnenstudien fertigte, die im Katalog des Philipot die Nummer 1096 führt. (1503–1504).

Es folgen nun die Werke Raffael’s aus seiner Peruginischen Periode:

1) Die schöne Zeichnung: „Maria, die dem vor ihr sitzenden Jesuskinde einen Granatapfel darreicht“, in der „Albertina“ zu Wien, erinnert noch sehr an die Weise des Timoteo Viti, sowohl im Gesichtsovale der Madonna, in der Strichführung, als in der Handform, so daß ich dieselbe in die erste Zeit seines Peruginischen Aufenthaltes setzen möchte. Die linke Hand des Christkindes noch sehr unvollkommen, die rechte der Madonna ganz Timoteisch, das Tuch auf der Stirne der Maria ebenfalls nach Art des Timoteo gelegt; auch ist über den Köpfen noch der Nimbus angedeutet. (Im Braun’schen Kataloge No. 149).

2) „Christus am Kreuze“, bei Lord Dudley in London; um 1501 gemalt. Die feine, etwas weibliche, empfängliche Natur des jungen Raffael’s vergißt in Perugia gar bald seinen Lehrer Timoteo und sucht, wie wir in diesem interessanten Bilde sehen, schon ganz und gar an die Art und Weise seines neuen Meisters sich anzuschmiegen. Wir haben bereits bemerkt, daß Raffael zu diesem Gemälde dem Meister Pietro sowohl die beiden fliegenden Engel, welche das Blut Christi in Kelchen auffangen, wie auch den h. Johannes und die Madonna entlehnte. Das Bild ist sehr schwarz, ja rußig in den Schatten. Die Form der Hand ist nach der Peruginischen Hand modifizirt, die Mittelhand nämlich schmaler und die Finger länger als bei der Hand des träumenden Ritters; das Ohr des h. Hieronymus fett und rund, wie Raffael dasselbe von dieser Zeit an bis an sein Lebensende beibehielt; der landschaftliche Grund durchaus Peruginisch: eine Thalebene, mit einem Flusse in der Mitte, auf beiden Seiten Hügelland. Auch finden wir hier, z. B. auf dem Schenkel des h. Hieronymus, jene länglichen Querfalten, die dem Perugino und dem Pinturicchio eigenthümlich sind. Kurz, in diesem Bilde Raffael’s ist fast nichts mehr, was noch an Timoteo erinnerte. Der edle, zarte und tiefe Geist des jungen Künstlers leuchtet jedoch schon aus diesen Gestalten so hell und glänzend uns entgegen, daß wir dabei des Pietro Perugino kaum gedenken.

3) In diese Epoche ungefähr dürfte auch die naive Federzeichnung „Madonna und das Christkind“ mit einem landschaftlichen Hintergrund, der wieder an die Landschaften Timoteo’s erinnert, zu setzen sein. Ueber dem Haupte der Madonna ist noch der Nimbus angedeutet, den Raffael später auf seinen Handzeichnungen gewöhnlich wegläßt. In der Sammlung von Oxford, und No. 10 im Braun’schen Katalog.

4) Das Bildniß seines Meisters Perugino, in der Galerie Borghese zu Rom, und daselbst dem Holbein zugemuthet[323]. Dies leider etwas verdorbene Gemälde kam mit dem „Traum eines Ritters“ und den „drei Grazien“ (bei Lord Dudley) von Urbino nach Rom.

5) Die „Krönung Mariae“, im Vatican. Ebenfalls noch schwärzliche Schatten. Die Form der Hand und der landschaftliche Hintergrund Peruginisch wie in No. 2. Einige von den musicirenden Engeln in diesem Gemälde sind von den Engeln des Perugino inspirirt, die Pietro in seinem schönen Bilde anbrachte, welches er im Jahre 1500 für die Mönche von Vallombrosa malte, und das gegenwärtig in der Akademie von Florenz seinen Platz gefunden hat. Es stellt die „Verklärung der h. Jungfrau“ dar. Von Alinari photographirt[324].

Dieses Bild wurde lange Jahre für das Werk des Perugino selbst gehalten, und wahrscheinlich deßhalb, weil es bei ihm bestellt wurde und dann als Arbeit des Meisters und nicht des Gehülfen an den Committenten mag abgeliefert worden sein[325].

6) „Maria mit dem Kinde“, in der Berliner Galerie (No. 141): Maria liest in einem Buche, das sie in der Rechten hält; mit der Linken stützt sie den rechten Fuß des auf ihrem Schooße sitzenden Kindes. Das Kind hält in der Linken einen Stieglitz. Schwarz in den Schatten, wie die drei oben bezeichneten Gemälde. Handform und landschaftlicher Hintergrund Peruginisch; die Finger jedoch nicht mehr so lang wie in den Bildern 2 und 4, der Daumen sowohl in der Form als in der Bewegung durchaus der des Perugino; selbst die Formen des nackten Kindes erinnern an die Putti von Meister Pietro. Wäre Raffael noch einige Jahre länger in der Werkstatt und unter dem unmittelbaren Einfluß des Perugino geblieben, so würde er sich zweifellos so sehr in die Manier seines Meisters eingelebt haben, daß es ihm später schwere Mühe gekostet hätte, sich aus derselben wieder herauszuarbeiten.

7) „Maria mit dem Kinde und den Heiligen Hieronymus und Franciscus“; ebenfalls in dieser Galerie (No. 145). Die Komposition zu diesem Bilde entlehnte Raffael einer zierlichen Federzeichnung des Pinturicchio, die sich in der Albertina zu Wien befindet. Ich weiß zwar, daß jene schöne, sehr sorgfältig ausgeführte Zeichnung von den größten Autoritäten, Passavant mit eingerechnet, dem Pietro Perugino zugeschrieben wird, welcher Ansicht ebenfalls die Verfasser des Berliner Galeriekatalogs huldigen; allein so leid es mir auch thut, solchen Männern zu widersprechen, so ist es mir doch unmöglich, ihrer Meinung beizupflichten. In der Federzeichnung der Albertina ist nämlich die Form der Hand, sowohl der Madonna als ganz besonders des h. Hieronymus, ebenso die Form des Ohres des h. Franciscus weder Raffaelisch noch in der Art des Perugino, sondern sie ist eben die dem Pinturicchio eigenthümliche. Auch ist der Typus des Christkindes derselbe, dem man häufig in den Madonnenbildern des Pinturicchio begegnet, z. B. auch in seinem schönen Altarbilde, welches einst den Hauptaltar der Kirche der h. Anna in Perugia schmückte und später in die städtische Galerie gelangte. (Dies Bild wurde von Pinturicchio im Jahre 1495 gemalt[326]). Ebenso finden wir den breiten, tellerförmigen goldnen Nimbus mit dem darin angebrachten Kreuze über dem Haupte des Jesuskindes, soviel ich mich erinnere, nur beim Pinturicchio, nicht aber bei Perugino und auch nicht beim jungen Raffael. Noch eine andere Bemerkung sei mir erlaubt. Die spitze, feine Feder, deren sich der Meister für diese Zeichnung bediente, ist dieselbe, die er bei der Ausführung der meisten seiner Handzeichnungen in der venezianischen Akademie gebrauchte. In den Federzeichnungen des Perugino dagegen sind die Striche breiter und dichter gekreuzt, die Schatten daher viel stärker, schwärzer angegeben. Mir ist überdieß kein Madonnenbild von Pietro bekannt, wo das Christkind, wie in der Handzeichnung der Albertina, auf einem Kissen auf den Knieen seiner Mutter sitzt, wie dies wiederum bei Pinturicchio sehr oft der Fall ist. Doch das sind alles nur Worte, und wenn es wahr ist, daß sich mit Worten trefflich streiten läßt, so ist’s eben so wahr, daß man mit bloßen Worten nicht überzeugen kann. Damit nun meine jungen Freunde in der beregten Streitfrage eine eigene Meinung sich bilden können, mögen sie mir erlauben, einige photographirte Federzeichnungen sowohl des einen als des andern Meisters ihnen zu bezeichnen, damit sie dieselben mit einander vergleichen und die Art des einen Meisters von der des andern unterscheiden lernen.

a. Pinturicchio.

Ich wähle von diesem Meister gerade einige seiner besseren Federzeichnungen aus der bekannten Sammlung in der venezianischen Akademie; denn falls dieselben, wie man seit Bossi allgemein annimmt, Raffael angehören, so müßte unstreitig auch die Federzeichnung in der Albertina (zum Bilde in Berlin) nicht mehr dem Perugino, sondern dem Urbinaten zuerkannt werden; sind jedoch, wie ich überzeugt bin, die Zeichnungen in Venedig von Pinturicchio, so muß auch die Zeichnung in der Albertina von diesem Meister herrühren.

1) Eine knieende weibliche Figur mit sanft gesenktem Kopfe und gefalteten Händen. Von Perini photographirt, No. 7. Ich erkenne hierin eine Studie des Pinturicchio zu seiner „Madonna“ im „Praesepium mit dem h. Hieronymus“ in seinem schönen ums Jahr 1483 gemalten Altarbilde der I. Kapelle rechts in der Kirche S. Maria del Popolo zu Rom[327]

2) Zwei männliche Figuren, vom Rücken gesehen, Gewandstudien. Bei Perini in Venedig, No. 21. Im Auftrage des Perugino von Pinturicchio ausgeführt.

3) Zwei von den drei Grazien der antiken Marmorgruppe, einst in der Libreria des Domes, gegenwärtig in einem Zimmer des bischöfl. Palastes zu Siena aufbewahrt. No. 59 bei Perini, im Kataloge des Selvatico Quadro XXVI, 18. „bastevole intelligenza dell’ antico, ma poca correzione“).

Diese drei Handzeichnungen sind offenbar alle von einer und derselben Hand.

b. P. Perugino.

1) Ein lesender Mönch, ganze Figur. Federzeichnung in der Sammlung der Uffizigalerie von Florenz. Von Philipot photographirt No. 628.

2) Die ganze stehende Figur des Sokrates (im Cambio zu Perugia), fleißig ausgeführte Federzeichnung; Uffizigalerie. No. 543 des Braun’schen Katalogs.

3) Zwei stehende männliche Figuren, von denen die eine einen Bogen spannt, die andre den Bogen abschießt. (Wahrscheinlich Studie zu seinem Freskobilde „die Marter des h. Sebastianus“, in der Kirche von Panicale bei Perugia.) Federzeichnung in der Sammlung des Herzogs von Aumale. Von Braun photographirt, No. 100.

4) Federzeichnung; Studien zu Putti in verschiedenen Stellungen. In der Sammlung der Uffizigalerie, im Kataloge von Philipot, No. 649.

Hat nun der junge, etwa zwanzigjährige Raffael das Bildchen der Berliner Galerie wirklich, wie ich glaube, nach der Federzeichnung des Pinturicchio in der Albertina gemalt, so werden wir unwillkürlich zur Annahme geführt, daß Raffael während seines Aufenthaltes in Perugia auch mit Pinturicchio in nahen freundlichen Beziehungen gestanden habe. Bei einem solchen Freundschaftsverhältniß zwischen dem fast fünfzigjährigen Decemvir Pinturicchio und dem zwanzigjährigen Raffael liegt die Vermuthung auf der Hand, daß der junge Urbinate aus Lernbegierde öfters auch die Werkstätte des berühmten Pinturicchio besucht habe. Jene bekannte Zeichnung in der Sammlung von Oxford[328], welche vier aufrecht stehende junge Männer darstellt, von denen drei auf eine Lanze sich stützen, liefert uns, meine ich, den besten Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese. Auf dieser Zeichnung sehen wir nämlich denselben Jüngling in verschiedenen Stellungen dargestellt. Es ist also eine Studie nach der Natur, ein s. g. Aktstudium, und keine Composition. Hat nun Pinturicchio zur selben Stunde und nach demselben Modell dieselben Studien gemacht, was ich für das Wahrscheinlichste halte, oder hat er diese Aktstudie von Raffael für eines seiner Wandgemälde in der Libreria von Siena entliehen?

Soviel ist zunächst gewiß, daß Pinturicchio in einem seiner sienesischen Fresken drei von diesen vier Burschen im Mittelgrunde angebracht hat, mit Modificationen der Zeichnung: Zum Beispiel der junge Krieger mit der Lanze und dem gelben Mäntelchen, welcher auf der Aktzeichnung von Raffael, fast im Profil gesehen, nach links schaut, hält in der Freske den Kopf nach rechts gewendet; der andere Bursche, der Führer, der mit rother Mütze den anderen voranschreitet, läßt im Freskobilde seinen auf die Spitze gestellten linken Fuß ganz sehen, während er auf dem Blatte Raffael’s anders gestellt ist, auch hält derselbe bei Pinturicchio den rechten Arm ausgestreckt und hat überdieß einen Stock in der Hand, Einzelheiten, welche auf der Zeichnung Raffael’s anders sich darstellen. Die mittlere Figur in der Aktstudie Raffael’s fehlt in der Freske. Uebrigens ist die Gruppe bei Pinturicchio viel lebendiger als in der Studie Raffael’s.

Auf Grund dieser Beobachtungen scheint mir die Vermuthung erlaubt, daß der junge Raffael im Atelier des Pinturicchio dieselbe Figur in verschiedenen Stellungen nach der Natur wahrscheinlich gemeinschaftlich mit seinem ältern Freunde Pinturicchio gezeichnet habe. Wäre es doch beinahe lächerlich, anzunehmen, daß ein in seiner Kunst ergrauter Meister, der gewesene Hofmaler des Papstes Alexander VI., von einem zwanzigjährigen Jüngling die Komposition zu seinem Werke in der Libreria des Domes von Siena sich habe anfertigen lassen.

Vasari, der, wie dies auch schon Baron von Rumohr zu bemerken Gelegenheit nahm (II, 330), auf den Pinturicchio nicht eben gut zu sprechen war, hat nur die von der sienesischen Municipaleitelkeit erfundene Fabel blindlings für baare Münze angenommen und sie durch sein Werk in Umgang gesetzt[329]. Meiner Ansicht nach sind die sieben oben bezeichneten Werke, natürlich neben vielen Zeichnungen, die hier aufzuführen zu weit führen würde, von Raffael während der ersten drei Jahre seines Aufenthaltes in Perugia und unter dem unmittelbaren Einflusse seines Meisters Pietro Perugino ausgeführt worden, also zwischen den Jahren 1500 und 1503. Gegen Ende des letzteren Jahres begab sich Pietro nach Florenz und brachte dann die meiste Zeit der folgenden Jahre 1504 und 1505 theils hier, theils in Città della Pieve, seinem Geburtsorte, zu.

Nach der Abreise seines Meisters sich selbst überlassen[330], scheint Raffael, unter der Leitung seines genialen Naturells, sich bestrebt zu haben, nach und nach von der Peruginesken Manier frei zu werden, wovon unter anderm die wohl in jenem Jahre entstandene „Madonna del Libro“, für’s Haus Staffa in Perugia gemalt, uns einen Beweis liefert. Im selben Jahre 1503 dürfte auch der h. Sebastian, Brustbild, entstanden sein, aus der Sammlung des verstorbenen Grafen Lochis in die Communalgalerie von Bergamo gelangt.

Im folgenden Jahre 1504 vollendete er das herrliche Bild „die Vermählung der Maria“ für die Kirche von S. Francesco in Città di Castello (Breragalerie). Es ist merkwürdig, daß in diesem Gemälde, dessen Komposition, wie bekannt, dem Perugino angehört, Raffael zum Theil wieder auf seine frühere Timoteische Form der Hand zurückkommt. Auch die rußigen Schatten und rabenschwarzen Pupillen seiner früheren Bilder (No. 2, 3, 4) sind hier verschwunden, und die Fleischtöne haben eine hellere Färbung angenommen, die mehr der Carnation in den Bildern des Timoteo als des Perugino ähnlich ist.

Im Frühjahr 1504 besuchte Raffael, nach einer Abwesenheit von mehr als drei Jahren, seine Vaterstadt Urbino. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß er während der fünf oder sechs Monate, die er dort zubrachte, für den Herzog Guidobaldo die von Passavant bezeichneten Bilder[331] ausführte, ja daher vielleicht im Atelier seines Freundes und ehemaligen Lehrers Timoteo Viti sich etablirte.

Gegen Mitte Oktober desselben Jahres 1504 kam Raffael zum ersten Male nach Florenz. Hier scheinen die Werke Lionardo’s da Vinci und Michelangelo’s auf den jungen Urbinaten den tiefsten, nachhaltigsten Eindruck ausgeübt zu haben. Wie sehr er[WS 6] namentlich von dem anmuthsvollen Wesen Lionardo’s sich angezogen gefühlt, ersehen wir nicht nur aus mehreren Handzeichnungen aus dieser ersten florentinischen Epoche[332], sondern eben so deutlich aus dem Bildnisse der Magdalena Doni, welches unwillkürlich an das Porträt der Mona Lisa del Giocondo von Lionardo erinnert[333].

Neben den Bildnissen der Ehegatten Doni (im Palazzo Pitti) mögen in derselben Zeit die Madonna di Casa Tempi (in der Münchner Galerie), die s. g. Madonna del Granduca (im Palazzo Pitti), und die Madonna bei Lord Cooper in Panshanger in der Nähe von London, die wunderherrlichste aller Madonnen Raffael’s, angehören. Im landschaftlichen Grunde dieses letztern Bildes sehen wir den Hügel von S. Miniato dargestellt mit Cronaca’s schönem Capuzinerkirchlein, das Michelangelo seine „bella Villanella“ zu nennen pflegte. Erinnert nun Raffael in den zwei erstern der eben genannten Madonnenbildern mehr an Timoteo denn an Perugino[334], so erscheint n dem letzteren Bilde der junge Künstler schon in seiner ganzen Selbständigkeit vor unsern Augen. Aus diesem Bilde weht der bezaubernde Duft seiner göttlichen Seele in seiner ganzen Fülle uns entgegen. Im Madonnenbilde der Berliner Galerie (No. 145) behält Raffael, an Pinturicchio sich anschmiegend, die von der sienesischen Schule nach Perugia gebrachte Anordnung bei mit den zwei zur Seite der Madonna stehenden Heiligen, gerade so wie wir dies auf den meisten Madonnenbildern eines Tiberio d’Assisi, eines Spagna, des Pinturicchio u. a. beobachten. Andererseits machen wir die Beobachtung, daß Raffael seit seinem ersten Aufenthalte in Florenz der Landschaft als Staffage seiner Madonnenbilder eine größere Bedeutung zumißt. In allen Raffaelischen Madonnenbildern, deren Entstehung man in die folgenden Jahre 1505, 1506 und 1507 setzen darf, wie z. B. in jener unter Nummer 147 der Berliner Galerie, der Jungfrau im Grünen der Belvederegalerie von Wien, in der Madonna del Cardellino der Tribuna in Florenz u. s. f., sehen wir die Jungfrau mit dem Christkinde und dem kleinen Johannes in heiterer offener Landschaft vor uns. Später umstellt Raffael die Madonna zuweilen auch mit Gliedern der h. Familie, wie Joseph, Elisabeth, Anna. Es ist dies eben der bedeutsame Wendepunkt in der italienischen Kunstgeschichte, wo die Kunst aus der Kirche tritt und das Freie sucht: Die Madonna vermenschlicht sich und wird zur zärtlichen Mutter.

Der erste Aufenthalt Raffael’s in Florenz mag beiläufig bis Ende September des Jahres 1505 gedauert haben. Er kehrte sodann wieder nach Perugia zurück, woselbst er, wie es scheint, fast ein ganzes Jahr zubrachte, bis er nach Florenz zurückkehrte. In diese Zeit dürften etwa die folgenden Werke zu setzen sein: Die Madonna der Berliner Galerie, No. 147a, die „Jungfrau im Grünen“ in Wien, der kleine segnende Christus in der städtischen Galerie von Brescia, die s. g. Madonna degli Ansidei (in Blenheim), die Madonna des h. Antonius von Padova (beim Fürsten von Sa Lucia) und der obere Theil des Wandgemäldes im Kloster von S. Severo in Perugia.

Gehen wir nun pflichtgemäß zur Betrachtung der s. g. Madonna del Duca di Terranova (No. 147a) in der hiesigen Galerie über.

Wenn wir in den Madonnen di casa Tempi, del Granduca und in den Bildnissen der Ehegatten Doni eine Art Rückkehr zur Weise des Timoteo wahrzunehmen Gelegenheit hatten, so sehen wir in der Jungfrau im Grünen und mehr noch in dieser Madonna del Duca di Terranova in Raffael neben florentinischen Einflüssen auch Peruginische Eindrücke wieder wach werden, wie dies zu meiner Freude auch Herr Doktor Julius Meyer bemerkt. Der kleine Putto, links von der Jungfrau, erinnert sehr an Meister Pietro. Die runde Form des Bildes scheint auf florentinische Bestellung zu deuten. Aus den eben berührten Gründen könnte meiner Ansicht nach der Schluß gezogen werden, daß die Entstehung dieses schönen Bildes etwa in den Spätherbst des Jahres 1505, und mehrere Monate vor der Jungfrau im Grünen, zu setzen sei. Es ist auffällig, daß Raffael zu diesem Gemälde eine Zeichnung seines Meisters Perugino benutzt zu haben scheint. Täusche ich mich nicht, so muß Raffael wahrscheinlich schon früher die in seinem Sinne modifizirte Kopie nach der Federzeichnung des P. Perugino gemacht haben, welche Raffaelische Kopie in der Sammlung von Lille sich vorfindet (No. 46 des Braun’schen Katalogs[335]). Raffael hat in seinem Bilde den h. Hieronymus und den Engel weggelassen, welche auf der Handzeichnung hinter der Madonna stehen, und dafür zur bessern Raumausfüllung des Tondo zur Linken der Jungfrau einen Putto gesetzt[336]. Wie schon bemerkt, hat Raffael die Komposition zwar dieses Mal nicht dem Pinturicchio, wohl aber seinem Meister Perugino entlehnt. Ich besitze die Photographie der Peruginischen Federzeichnung, bin aber nicht in der Lage, anzugeben, in welcher Sammlung die Originalzeichnung sich befindet. Bei Zusammenstellung der Photographien dieser beiden Zeichnungen, d. h. der Originalzeichnung des Pietro und der flüchtig hingeworfenen Kopie Raffael’s, erscheinen mir nun die sinnvollen Modificationen, die der junge Raffael in dem Originale seines Meisters einzuführen für gut erachtete, vom höchsten Interesse, so z. B. an der Stellung und der Geberde des h. Hieronymus und des Christkindes; an der Stellung des linken Armes der Madonna u. a. m. Auch hat er den bei Perugino allzulangen Oberkörper der Jungfrau richtig verkürzt; mit einem Worte, diese flüchtige Nachbildung des jungen Raffael bekundet auf eine schlagende Weise die volle Selbständigkeit und Superiorität, die er schon zu jener Zeit seinem ehemaligen Meister gegenüber sich erworben hatte.

Im Herbste des Jahres 1506 scheint Raffael schon wieder nach Florenz zurückgekehrt zu sein, nachdem er sein Wandgemälde in S. Severo zu Perugia unvollendet hatte stehen lassen. In Florenz malte er unter anderm auch die schöne s. g. Madonna del Cardellino, die wir in der Tribuna zu Florenz, trotz der diesem Bilde zugefügten Unbilden, bewundern. Auch begann er dort später das große Altarbild für die Familie Dei (No. 165, im Palazzo Pitti), wo die Einflüsse des Fra Bartolommeo della Porta sich so bemerklich machen. Leider ließ Raffael auch dies Bild unvollendet, da dringende Geschäfte ihn wieder nach Perugia zurückgerufen zu haben scheinen. Raffael war schon damals sowohl in Florenz als in Perugia und Urbino ein berühmter Meister, so daß Bestellungen von allen Seiten ihm zuflossen, und er darum genöthigt war, zu Gehülfen seine Zuflucht zu nehmen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß gar manches in dieser Epoche seiner Thätigkeit (vom Ende des Jahres 1506 bis Mitte 1508) aus seinem Atelier hervorgegangene Werk die Raffaelische Abstammung minder rein zur Schau trägt als die früheren Werke[337].

Am Schlusse meiner vielleicht allzulangen Plauderei über Timoteo Viti’s Verhältniß zum jungen Raffael drängt es mich, an meine Leser die Bitte zu richten, die langen Auseinandersetzungen und Abschweifungen zur Begründung meiner Hypothese mir zu gute halten zu wollen. Es mag wohl sein, daß das Resultat meiner Forschungen über die Entwicklungsgeschichte des Urbinaten nur eine Illusion sei. Doch wird man mir vielleicht so viel wenigstens einräumen, daß meine Hypothese der Wahrheit näher zu kommen scheint, als was uns Vasari, Rumohr und Passavant über den Entwicklungsgang des jungen Raffael erzählt haben.

Der Punkt nun, welchen bei dieser langen Auseinandersetzung besser aufzuklären mir am Herzen lag, war der Beweis, daß Timoteo Viti in keinem Falle als Schüler oder Nachahmer Raffael’s angesehen werden dürfe, und diesen Beweis hoffe ich, so gut es mir eben möglich war, thatsächlich geliefert zu haben.

Bevor wir nun von den Werken der Frühzeit Raffael’s Abschied nehmen, wollen wir noch einen Blick dem zwar sehr verdorbenen aber noch immerfort reizenden Bildchen schenken, welches die Nummer 147 trägt und von der Direktion der Galerie in vorsichtiger Weise nur dubitative dem Raffael zugeschrieben wird. Es stellt Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes dar. Mir scheint es, daß auch aus diesem Bilde trotz der Unbilden, die es erfahren hat, noch immer Raffaelischer Geist uns entgegenschimmere. Die Formen des Ohres und der Hände sind die seinigen, der landschaftliche Hintergrund erinnert an den auf der „Madonna di casa Tempi“ in der Münchner Galerie. Allerdings ist das Gemälde verrieben, und haben namentlich der Mund und die Augenparthien der Maria durch Uebermalung gelitten, wie dies auch schon im Katalog bemerkt ist. Täusche ich mich nicht, so dürfte dies Bild kurze Zeit vor der Madonna di casa Tempi entstanden sein.

Doch ich sehe, ich habe zu ausführlich bei der umbrischen Schule verweilt; um meine Leser dafür schadlos zu halten, verspreche ich, bei Besprechung der florentinischen Malerschule mich um so kürzer zu fassen. Dies darf ich mit um so ruhigerem Gewissen thun, als keine andere Schule Italiens wohl mehr studirt worden und somit auch besser bekannt ist als gerade diese.

Der verstorbene Baron von Rumohr, der vornehmlich dieser florentinischen Schule und ihren Bestrebungen seine Aufmerksamkeit zuwandte, unterscheidet in derselben, wie mich dünkt sehr scharfsinnig, im Laufe des 15. Jahrhunderts drei Hauptrichtungen. „Der vorwaltende Naturalismus der Florentiner, so bemerkt er (II, 271), spaltete sich nunmehr in zwei entgegengesetzte Richtungen aus. Handlung, Bewegung, Ausdruck heftiger und starker Affekte ward das Erbtheil der Schule des Fra Filippo; sinnliche Wahrscheinlichkeit und Richtigkeit in der Charakteristik des Einzelnen das Ziel einer Schule, welche, wie ich glaube, von Cosimo Rosselli ausgegangen ist, obwohl sie dessen spätere Leistungen weit übertroffen hat.“

„Eine dritte Verzweigung der florentinischen Schule ging unmittelbar aus den Bestrebungen der Bildner hervor.“ (II, 287).

Zu der ersten Gruppe gehörten also in zeitlicher Folge: Masolino da Panicale, Masaccio, Fra Filippo Lippi, Francesco Pesellino, Sandro Botticelli, Filippino Lippi und dessen Schule.

Zur zweiten: Alesso Baldovinetti, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlandajo und dessen Schwager Mainardi.

Zur dritten endlich: Lorenzo Ghiberti, Antonio del Pollajuolo, Andrea del Verrocchio und dessen Schüler Lionardo da Vinci und Lorenzo di Credi.

In keiner Galerie diesseits der Alpen, und auch jenseits nur in den Sammlungen von Florenz, hat die Florentiner Malerschule eine so reiche, so vorzügliche Vertretung gefunden wie in den Sälen der Berliner Sammlung.

Von Fra Filippo Lippi, der sich besonders nach Masaccio ausgebildet zu haben scheint, sehen wir mehrere echte Madonnenbilder, von denen jenes mit der Nummer 69 als das für diesen Meister charakteristischste und zugleich besterhaltene mir erscheint. Aehnliche Kompositionen von ihm besitzt die Gemäldesammlung der florentinischen Akademie.

Mehr noch als die Bilder des eben so genialen wie leichtsinnigen Karmelitermönchs ziehen jene seines Schülers Sandro Botticelli die Aufmerksamkeit des Kunstfreundes auf sich, und die Berliner Galerie hat wie keine andere das Glück, deren etwa ein halbes Dutzend zu besitzen, von denen ein paar zu den vorzüglichen Arbeiten des Meisters gezählt werden dürfen.

Botticelli hatte mehrere Gehülfen und Nachahmer, die nach seinen Kartons Bilder verfertigten, welche nicht nur in Kirchen von Florenz, sondern auch in öffentlichen Sammlungen meist als Werke des Meisters selbst ausgegeben werden. Dieselben unterscheiden sich jedoch sowohl durch eine rohere Zeichnung und Modellirung als auch durch ein viel matteres Kolorit von den Originalgemälden des Meisters. Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit einige der am leichtesten zugänglichen solcher Atelierarbeiten hier anzugeben, damit der Kunstbeflissene dieselben sich genau anschauen möge: in der kleinen Kirche des Conservatorio di Ripoli (Via della Scala) in Florenz eine „Krönung der Maria“ mit vielen Heiligen; in der Florentinischen Akademie eine thronende Madonna mit dem Kinde und Heiligen, worunter Cosimus und Damianus knieend dargestellt sind; in der Borghesegalerie in Rom das Tondo mit der Madonna, umgeben von Engeln (Saal I); die s. g. „Abbondanza“, einst bei Herrn Reiset, gegenwärtig im Besitze des Herzogs von Aumale[338].

Fast eben so reichlich als Botticelli ist sein Schüler Filippino Lippi in diesen Sälen repräsentirt. Ich mache meine jungen Freunde unter andern auf die zwei Bilder aufmerksam, von denen das eine die Nummer 82, das andere die Nummer 101 führt. Das erstere stellt Maria mit dem Kinde dar, welches in einem Buche blättert, das die Jungfrau in der Linken hält. Hand und Ohrform bezeichnend für diesen Meister. Das zweite stellt ebenfalls die h. Jungfrau mit dem Christkind dar, welches liebkosend das Gesicht an das ihrige schmiegt.

Ebenfalls charakteristisch für den Meister ist das reizende Bild von Raffaellino del Garbo, Filippino’s Schüler. Es trägt die Nummer 90 und stellt Maria mit dem Christkinde dar mit zwei musizirenden Engeln. Ich stimme mit vollem Herzen in das Lob ein, das Herr Direktor Meyer mit dem ihm eigenen feinen Kunstsinn diesem Bilde zollt.

Gut, wenn auch nicht ganz so vollständig, ist die zweite von Rumohr bezeichnete Künstlergruppe hier vertreten.

Die zwei Bilder des Cosimo Rosselli, mit den Nummern 59 und 71, sind charakteristische Werke dieses übrigens von Baron von Rumohr, meiner Ansicht nach, viel zu hoch gestellten Meisters. Im ersten erblicken wir Maria in der Herrlichkeit, mit Heiligen; im zweiten die „Grablegung Christi.“ Es ist merkwürdig, daß dieser Maler, den seine wie durch die Rhynoplastik aufgesetzten Nasen, die stets starken Brauen, die eigenthümliche Thallandschaft wie noch manch’ anderer Zug so leicht von seinen Zeitgenossen unterscheiden lassen, in der Uffizigalerie, seit Lanzi, immer noch dem Publikum als Pesello vorgestellt wird. Ja selbst die Historiographen der italienischen Malerei haben jene falsche Attribution für baare Münze genommen und die stark übermalte „Anbetung der Könige“, No. 26, im ersten Korridor daselbst, dem Giuliano d’Arrigo di Giuocolo Giuochi, Pesello genannt (im Jahre 1367 geboren), mit folgenden Worten zuerkannt: „Lanzi’s assertion, that the adoration of the Magi, commissioned for the palazzo de’ Signori was preserved in the Uffizi, is correct, and the student may still see etc. – The landscape is remarkable for its excessive study of details, and painted in with the relief colour peculiar to the first Florentine efforts for the introduction of oil vehicles in tempera pictures“ (II, 360–1). Das Bild, etwa um 1480 entstanden, ist ganz und gar übermalt, der Meister jedoch darin noch immer leicht erkennbar, und zwar an den Formen, doch schwerlich an den „oil vehicles.“

Auch die zwei Gemälde des Pier di Cosimo, Schülers und Gehülfen des Rosselli, welches die Berliner Galerie besitzt, sind charakteristisch für den Meister. Das Bild Nummer 107 stellt Venus, Amor und Mars dar, Nummer 204 die „Anbetung der Hirten.“

Weitaus der größte und so auch berühmteste in dieser Gruppe ist Domenico Bigordi, del Ghirlandajo genannt. Ihm gehört der obere Theil des Bildes No. 88: „Maria und Kind in der Herrlichkeit, mit Heiligen.“ Ein ebenfalls echtes Werk des Meisters ist das kleine Bild „Judith mit ihrer Magd“ (No. 21). Ich pflichte auch bei dieser Attribution völlig dem Urtheile der Verfasser des Berliner Katalogs bei, während die Herren Cr. und Cav. das Bildchen bloß der Schule Ghirlandajo’s zugeschrieben wissen wollen (II, 492).

Als Atelierbilder des Domenico sind die „thronende Madonna mit dem Kinde und Heiligen“ (No. 84) und die „Auferstehung Christi“ (No. 75) sowie der h. Vincentius Ferrerius (No. 74) und der h. Antonius (No. 76) zu betrachten. Die zwei letztgenannten Flügelbilder verrathen die Hand des Francesco Granacci, was auch der Katalog mit hinreichenden Gründen bekräftigt.

Einem andern dem Meister selbst zuweilen sehr nahe kommenden Schüler, dem Bastiano Mainardi, zugleich Schwager des Ghirlandajo, wird mit vollem Recht, wie mir scheint, von Herrn Direktor Meyer die thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen (No. 68) zugeschrieben, in welches Urtheil auch die Herren Cr. und Cav. (II, 491) einzuwilligen scheinen.

Von Ridolfo, dem Sohne des Domenico Ghirlandajo, besitzt die Berliner Galerie ebenfalls ein gutes Bild (No. 91). Dasselbe stellt die „Verehrung des Christkindes“ dar, etwa zwischen 1506–1510 gemalt. Unter den Lehrern des Ridolfo Ghirlandajo wird im Kataloge, ich weiß nicht aus welchem besonderen Grunde, auch Cosimo Rosseli, angeführt. Vasari, der den Ridolfo persönlich gekannt, erwähnt den Rosselli mit keiner Silbe; so enthalten die Werke aus der Frühzeit des Ridolfo auch nicht einen Zug, der an Cosimo Rosselli gemahnte. Bis zum Tode des Vaters Domenico, also bis zum Jahre 1494, blieb er gewiß dessen Schüler, wovon auch die Federzeichnungen beider Meister Zeugniß ablegen[339]. Nach dem Tode des Vaters mag allerdings Granacci, der Lieblingsschüler des Domenico, den Ridolfo weiter unterrichtet haben, wovon uns mehr als Worte zwei Täfelchen, jedes mit drei anbetenden Engeln, überzeugen dürften. Diese zwei Bilder befinden sich im Saale der s. g. kleinen Bilder der Akademie von Florenz unter dem Namen des Granacci. Außer Granacci muß auch Pier di Cosimo Einfluß auf die künstlerische Bildung Ridolfo’s gehabt haben. Die Landschaften auf den Bildern aus der Frühzeit des letztern sind durchaus denen des Pier di Cosimo nachgebildet.

Als aber im Jahre 1503 Lionardo da Vinci nach Florenz kam und sich daselbst niederließ, wirkte gewiß kein anderer so sehr wie dieser auf die Ausbildung des zwanzigjährigen Ridolfo. In diese Lionardische Epoche unsers Künstlers setze ich unter andern folgende Gemälde, in denen insgesammt der Einfluß Lionardo’s mehr oder minder sichtbar ist. Sie befinden sich ausnahmslos noch in Florenz und sind daher jedem leicht zugänglich.

1) Die „Verkündigung“ (No. 1288), in der Uffizigalerie. Dies Bild kam aus der Sakristei der Klosterkirche von Montoliveto (bei Florenz) vor wenigen Jahren unter dem Namen des Ghirlandajo in die Uffizigalerie und wurde sodann von den damaligen Direktoren der Galerie, den Herren Gotti und Campana, wenn auch nur dubitative dem großen Lionardo da Vinci zugeschrieben. Schon die im Bilde angebrachte steinerne Graburne, wie man sie in Domenico’s Bildern nicht selten antrifft, hätte die Herren vor einer solchen Taufe stutzig machen sollen. Die Form der Hände, besonders der langen Finger mit den häßlichen Nägeln an denselben, erinnern freilich gar sehr an die Hände des kleinen Porträts eines Goldschmiedes (No. 207 im Palazzo Pitti). Ist aber, so müssen wir hier fragen, dieses Bildniß wirklich das Werk Lionardo’s, wie der Katalog des Herrn Chiavacci uns glauben machen möchte, oder ist es nicht vielmehr ein Jugendwerk unser’s Ridolfo del Ghirlandajo? Trotz der Uebermalung und dem Schmutze erkennt man noch in dem landschaftlichen Grunde und an den gelben Felsen den Nachahmer des Pier di Cosimo. Auch ist die Modellirung des Kopfes sowie die Bildung der Hand ganz dieselbe, wie wir sie in dem Jugendwerke Ridolfo’s im Hause des Cavaliere Niccolò Antinori (Via de Servi, zu Florenz) wiederfinden. In diesem letztern Bilde, das Ridolfo Ghirlandajo etwa im Jahre 1505 für’s Haus Antinori gemalt, und auf dem der „Gang nach Golgatha“ dargestellt ist, können wir besser als anderswo den jungen Ridolfo in dieser seiner Frühepoche kennen lernen. Wir haben hier etwa 17 größere nebst vielen kleineren Figuren vor uns. Auf den Haaren des jungen Mannes z. B. mit den weiß und roth gestreiften Hosen und der Lanze in der Hand sind die Lichter gerade so aufgesetzt wie bei dem Engel in der „Verkündigung“ (No. 1288) der Uffizigalerie. Die Form der Hände und Finger ist dieselbe, die wir in der ebengenannten „Verkündigung“, in dem Porträt des Goldarbeiters im Pittipalast, bei den „Engeln“ in der Akademie, im Madonnenbilde mit der Vermählung der h. Catharina in der Kirche des Conservatorio in Ripoli (Via della Scala) finden[340]. Der Kopf des Longinus mit dem phantastisch geformten Helm erinnert sehr an Lionardo da Vinci, ebenso dessen Pferd. Die Querfalten auf dem Aermel der Veronica sind dieselben, die wir auf dem Aermel der Madonna in der „Verkündigung“ der Uffizigalerie bemerkten u. s. f.

Derselben Lionardischen Epoche Ridolfo’s gehört auch das s. g. Porträt des Girolamo Benivieni an, in der Sammlung des Marchese Torrigiani zu Florenz (Saal II, No. 9), daselbst Lionardo zugemuthet. Es stellt einen alten Mann dar mit schwarzem Barett und in schwarzem Kleide. In allen diesen Jugendwerken sticht die meist mangelhafte Zeichnung von der Schönheit der Köpfe in den Figuren befremdend ab.

In den Werken Ridolfo’s aus den Jahren 1506 bis 1510 bemerken wir dagegen den Einfluß theils des Fra Bartolommeo, theils seines Freundes und Altersgenossen Raffaelo Sanzio, der mit dem Ridolfo, wie es scheint, in jener Epoche am berühmten Karton des Lionardo da Vinci studirte. Aus diesen gemeinsamen Kunststudien erwuchs, wie uns Vasari berichtet, zwischen den beiden gleichgesinnten Jünglingen eine warme Freundschaft. Daß ein solches inniges Zusammenleben mit dem weit begabteren Raffael nicht ohne Einfluß auf Ridolfo bleiben konnte, ist sehr natürlich, und mehrere Gemälde aus dieser frühen Epoche unseres Meisters scheinen auch einen Beweis von einer solchen Einwirkung uns zu geben; so unter andern nebst dem guten Bilde No. 91 in der Berliner Galerie auch das Madonnenbild mit der h. Elisabeth und dem kleinen Johannes (No. 1110) in der Tribuna der Uffizigalerie, dort irrthümlich dem Orazio Alfani zugeschrieben[341].

Vasari erzählt uns im Leben des Domenico Puligo (VIII, 131, 132), Ridolfo del Ghirlandajo habe in seinem Atelier stets viele junge Maler beschäftigt, und ferner, daß er von diesen Leuten gar manches Bild ausführen ließ, welches sodann unter hochklingenden Namen nach England, Deutschland und Spanien gesandt wurde. Von diesen Gehülfen des Ridolfo nennt Vasari unter andern: Baccio Gotti, Toto del Nunziata, Antonio del Cerajuolo, Domenico Puligo. Dem einen oder anderen dieser Maler, die unter der Leitung des Ridolfo arbeiteten, möchte vielleicht unter andern Bildern auch die bekannte „Madonna del pozzo“ angehören, die in der Tribuna der Uffizigalerie (No. 1125) dem Publikum leider immer noch als Werk Raffael’s vorgestellt und als solches von demselben auch angestaunt wird. Weder der dem Bugiardini noch dem Franciabigio, denen es neuere Schriftsteller zuschreiben, darf, scheint mir bei genauerer Besichtigung, dies Bild angerechnet werden.

Da ich soeben den Franciabigio nannte, so will ich hier bemerken, daß die Berliner Galerie auch von diesem Meister ein schönes männliches Bildniß (No. 245) besitzt; dasselbe ist mit dem Namen und der Jahreszahl 1522 bezeichnet. Der Katalog muthet auch das andere in der Nähe aufgestellte Porträt eines jungen Mannes mit langem braunen Haar und schwarzem Barett (No. 245a) demselben Meister zu. Dieses schöne, interessante Porträt verräth jedoch, wenn ich mich nicht täusche, sowohl in der Modellirung wie im Auftrage der Farben eine andere Schule als die florentinische, nämlich die von Perugia. Die Handbildung und der landschaftliche Hintergrund[342] deuten auf die Art des Pinturicchio hin, alles Uebrige jedoch, zumal jene stufenartig über einander stehenden punktirten, fächerförmig aufgetragenen rothgelben Lichter auf dem Baumschlage, jene hochstämmigen Bäumchen mit braungelbem Laube, jener geröthete Horizont, sowie die schwarzen Schatten scheinen in diesem trefflichen Bildnisse die Hand eines zwar wenig bekannten, aber sehr tüchtigen Schülers des Pinturicchio, nämlich des Matteo Balducci von Fontignano, im Gebiete von Perugia, zu verrathen[343]. Man vergleiche dies Gemälde in der Berliner Galerie mit den in der Galerie der sienesischen Akademie aufgestellten Werken des Matteo Balducci, so wie auch mit einem Tafelbilde (Clelia, die mit einer ihrer Gefährtinnen zu Pferde über die Tiber setzt) in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli in Mailand, und man wird dann vielleicht meinem Urtheile beistimmen.

Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir noch zu bemerken , daß jenes, übrigens ganz übermalte männliche Porträt (No. 32) in den Uffizien doch wohl schwerlich, wie der Berliner Katalog meint, dem Franciabigio angehören dürfte.

Franciabigio war ein trefflicher Zeichner, wovon der schöne männliche Kopf in der Sammlung der Handzeichnungen im Louvre (No. 93 des Braun’schen Katalogs ) uns ein glänzendes Zeugniß liefert; eine kleinere, ebenfalls für den Meister charakteristische Kreidezeichnung befindet sich unter den Zeichnungen Raffael’s in der Sammlung Wicar in Lille (im Braun’schen Katalog No. 91)[344].

Ein anderer ausgezeichneter florentinischer Porträtmaler, aus freilich späterer Zeit, war Agnolo di Cosimo, genannt il Bronzino. Auch von diesem eleganten Meister, dem Parmigianino der florentinischen Schule, findet sich ein sehr gutes Werk in der Berliner Galerie vor. Es ist das Bildniß des Ugolino Martelli (No. 338a). Seiner literarischen Bildung halber wurde Bronzino in die Akademie der Crusca aufgenommen.

Wenden wir uns jetzt zu einer kurzen Uebersicht der Bilder dieser Sammlung, welche der dritten von Baron von Rumohr hervorgehobenen Verzweigung der florentinischen Schule im 15. Jahrhundert beizuzählen sind, nämlich jener Richtung, die unmittelbar aus den Bestrebungen der Bildner hervorging, und als deren Hauptvertreter Antonio del Pollajuolo, Andrea del Verrocchio, Lionardo da Vinci und Lorenzo di Credi zu betrachten sind.

Jacopo, der Vater des Antonio und Piero Pollajuolo, war Goldschmied, und sein älterer Sohn Antonio wurde, wie dies in jener Zeit üblich war, in der Profession des Vaters erzogen. Sodann soll Antonio, Vasari zufolge, in der Werkstätte des damals berühmten Bartoluccio Ghiberti (des Stiefvaters des großen Ghiberti) sich weiter ausgebildet haben. Erst in späterer Zeit versuchte Antonio sich auch in der Malerei, wovon die „Herkuleskämpfe“ in den Uffizien (No. 1153) Zeugniß ablegen. Das Gefühl für die Harmonie der Farben sowie für die Anmuth war jedoch nicht gerade die starke Seite des Meisters. Gleich seinem großen Zeitgenossen Mantegna strebte Antonio vor allem den Charakter in Menschen und Dingen zu erfassen und darzustellen. Auch galt er bei seinen Landsleuten als der vorzüglichste Zeichner seiner Zeit[345], und als solcher erweist er sich nicht nur in seinen Handzeichnungen sondern auch in seinen seltenen Kupferstichen.

Sein um etwa acht Jahre jüngerer Bruder Piero wendete sich dagegen der Malerei zu, und zwar, seinen Werken nach zu schließen, nicht sowohl, wie Vasari annimmt, unter der Leitung des rohen Andrea del Castagno, sondern, wie mir wahrscheinlicher erscheint, im Atelier des Alesso Baldovinetti[346].

Dem sei nun, wie ihm wolle, so viel scheint mir gewiß, daß zu den meisten Jugendarbeiten des Piero sein Bruder Antonio die Kartons geliefert haben muß. Es ergiebt sich dies aus den dem Antonio ganz eigenthümlichen Formen auf vielen Bildern des Piero. Ich erlaube mir einige davon anzuführen, damit sich meine Freunde besser hiervon überzeugen mögen.

Auf dem trefflichen Bilde mit den Heiligen Eustachius Jacobus und Vincentius (No. 1301 der Uffizigalerie), welches dereinst den Altar der Kapelle des Cardinale del Portogallo zierte, erinnert sowohl das Gesichtsoval des h. Vincentius wie die Form der Hand des Eustachius durchaus an Antonio; auch sagt Vasari ausdrücklich bei Citirung dieses Bildes[347]: „ed unitosi Antonio in tutto con Piero lavorarono in compagnia di molte pitture, fra le quali fecero al Cardinale del Portogallo una tavola a olio in S. Miniato al Monte, e vi dipinsero dentro S. Jacopo, S. Eustachio e S. Vincenzio“ etc.

Die Zeichnung und Formgebung im bekannten „Martyrium des h. Sebastianus“ in der Nationalgalerie zu London erinnern ebenfalls an Antonio[348], während die Malerei höchstwahrscheinlich dem Piero angehört. Der „Engel mit Tobias“ in der Turiner Galerie und die allegorische Figur, „Prudentia“ genannt (No. 1306), in den Uffizien dürften ebenfalls in diese Reihenfolge solcher in Gemeinschaft mit seinem Bruder Antonio ausgeführten Bilder des Piero gehören.

Endlich glaube ich dasselbe von der „Verkündigung“ (No. 73) in der Berliner Galerie sagen zu können. Dies gute, in den Formen (Hand und Gesichtsoval) für Antonio charakteristische Bild trug ehedem mit eben so viel Recht den Namen des ältern Bruders, als es gegenwärtig jenen des jüngern, d. h. des Piero, führt, dem die malerische Ausführung des Bildes allerdings zugeschrieben werden dürfte. Gebe ich demnach sehr gern den Herren Verfassern des Katalogs zu, daß die Färbung in diesem Bilde an die „Krönung der Maria“ des Piero Pollajuolo in der Collegiata von S. Gimignano erinnere, so kann ich andrerseits ihre Meinung nicht theilen, daß nämlich der Typus und die Haltung der Maria ebenfalls an jenes bezeichnete Bild des Piero gemahnen. – War es mir unmöglich, bei der Bestimmung des Bildes No. 73 vollkommen die Ansichten der Herren Meyer und Bode zu den meinigen zu machen, so ist es mir auch beim besten Willen nicht möglich, ihnen in der Attribution der mit No. 104a und 108 in der Berliner Galerie und jener mit No. 296 in der Nationalgalerie zu London und No. 8 im Städel’schen Institut zu Frankfurt bezeichneten Bilder zu folgen.

Die zwei eminenten Kunstforscher in Berlin glauben nämlich die Maria mit dem Kinde (No. 104a) dem Andrea del Verrocchio selbst, das andere Madonnenbild (No. 108) ebendaselbst, sowie die genannten Bilder in der Nationalgalerie und im Städel’schen Institut bloß der Schule des Verrocchio zuschreiben zu dürfen.

Vergleiche ich nun alle diese vier Bilder mit einander, so scheint es mir doch, daß sie alle aus der Werkstatt desselben Meisters hervorgegangen sind[349]. In allen vier Bildern erkenne ich dieselbe Formgebung, in allen dieselbe Landschaft, welche doch gar zu sehr abweicht von jener häßlichen auf dem Bilde mit der „Taufe Christi“ in der florentinischen Akademie, dem einzigen Gemälde, das wir mit einer gewissen Zuversicht dem Verrocchio zuschreiben dürfen. Auch der Faltenwurf auf all diesen Bildern entspricht keineswegs den statuarischen, schwerfälligen Falten sowohl in der „Taufe Christi“, wie ebenfalls auf den Bildwerken des Verrocchio: „Christus und Thomas“ in Orsanmicchele, die „Madonna“ in Terracotta (F) in der Sammlung von S. Maria Nuova in Florenz, der segnende Christus mit den vier Engeln am Grabmale des Kardinals Forteguerri zu Pistoja.

Kurz, ich gestehe, daß ich gleich meinem verstorbenen Freund Mündler beim Anblicke all dieser Bilder eher an das Atelier des Piero del Pollajuolo denken mußte als an jenes des Andrea del Verrocchio, dessen Handzeichnungen uns wohl schwerlich zu einer bestimmteren Kenntniß seiner Manier verhelfen können, da ja von denselben gar zu wenige authentische bekannt sind. Die Herren Verfasser des Berliner Katalogs stützen sich ferner zur Aufrechterhaltung ihrer Attribution auf die Maltechnik, die sie im Bilde No. 104a wahrzunehmen glauben und dem „Verfahren von Verrocchio entsprechend“ finden. Auf diesem schlüpfrigen Wege jedoch wage ich es nicht ihnen zu folgen, da mir, ich gestehe es zu meiner Schande, das Malverfahren des Verrocchio gar zu mangelhaft bekannt ist.

Aus all dem Gesagten ergäbe es sich also, daß, wenigstens meiner Ansicht nach, unsere Kenntniß von Verrocchio als Maler noch viel zu wenig begründet sei, als daß wir mit einer gewissen Zuversicht ihm Werke zuschreiben dürften, die vielleicht mit demselben Recht andern florentiner Künstlern aus der nämlichen Zeit zugemuthet werden könnten.

Meisterhaft und über alle Zweifel erhaben sind dagegen die beiden Bilder, welche die Berliner Galerie von Lorenzo di Credi, dem Lieblingsschüler und treuen Lebensgefährten des Verrocchio, zu besitzen das Glück hat. Das eine derselben, Maria mit dem Kinde, trägt die Nummer 100, das zweite, „Maria von Aegypten“, die Nummer 103. Wie rein und in wahrhaft christlichem Sinne hat nicht der Florentiner des 15. Jahrhunderts diese weibliche Büßerin noch aufgefaßt und dargestellt, und welcher Abstand liegt nicht schon zwischen dieser ernsten büßenden Maria des Lorenzo di Credi und der lieblichen Maria Magdalena des Timoteo Viti in der Bologneser Pinakothek, welche Kluft trennt dann wieder diese letztere von den Magdalenen des Canlassi und anderer Bolognesen, jener spätern des van der Werff ganz zu geschweigen!

Ich finde im Kataloge noch gar manch anderes interessante Werk aus der Schule von Florenz aufgeführt, zu meinem Leidwesen jedoch muß ich dieselben übergehen, da der Umbau jener Säle der Berliner Galerie, in denen gerade diese Bilder aufgestellt waren, mir die Besichtigung derselben unmöglich machte.

Wir kehren nun über den Apennin und den Po zurück in der Absicht, zuletzt noch den Venezianern und den Lombarden einen kurzen Besuch abzustatten.

Aus den glänzenden Malerschulen der ersteren besitzt die Berliner Sammlung wahre Kleinodien.

A tout seigneur tout honneur. Wir fangen daher an mit der Schule der Stadt Venedig oder der „Dominante“, wie dieselbe vom Volke genannt wurde.

Ein altes Sprichwort charakterisirt die verschiedenen Provinzen der ehemaligen Republik folgendermaßen:

Veneziani, gran Signori,

Padovani, gran Dottori,

Vicentini, magnagatti (Katzenfresser, d. h. vornehmthuend, aber arm).

Veronesi, mezzo matti (sorglos und lustig).

Bresciani, spacca cantoni (Eisenfresser).

Bergamaschi, facoglioni (sich dumm stellend, den Tölpel spielend, um die Andern zu überlisten).

In der That waren die Venezianer große Herren, gran Signori, Aristokraten im guten Sinne des Wortes. Die Genuesen, ihre Nebenbuhler, treten uns in der Geschichte stets als rührige, gescheidte, unternehmende Kaufleute, als tüchtige Seefahrer entgegen; die Venezianer waren nicht nur dies, sondern sie waren, wie die Engländer unserer Tage, zugleich auch „große Herren.“ Die venezianische Kunst legt davon die glänzendsten Zeugnisse ab.

Im Anfange des 15. Jahrhunderts stand die Malerschule der Stadt Venedig tief unter der Schule der dortigen Bildner. Die Maler de Flor, Francesco und sein Sohn Jacobello, Jacobello de Bonomo[350] und andere Bilderverfertiger von noch geringerem Schlage vertraten in Venedig die Malerkunst, als Gentile da Fabriano und sein noch viel bedeutenderer Mitarbeiter, der Veronese Vittor Pisano, Pisanello genannt[351], um’s Jahr 1419 etwa nach Venedig berufen wurden, mit dem Auftrage, im Palazzo ducale einen Saal mit Malereien auszuschmücken.

Die Gegenwart dieser zwei hervorragenden Künstler in der Lagunenstadt gab auch der dortigen Malerschule einen neuen Aufschwung. Jacopo Bellini wurde Schüler des Gentile und begleitete seinen Meister, nachdem letzterer seine Arbeit in Venedig vollendet hatte, nach Florenz. Während der wenigen in der Lagunenstadt zugebrachten Jahre müssen nun Gentile und Pisanello nicht nur den Bellini in ihrer Kunst unterrichtet haben, sondern ihr Einfluß auch auf Giambono und namentlich auf Antonio Vivarini von Murano erscheint mir in den Werken dieser zwei letztern Maler unläugbar. In den dreißiger Jahren gründete Antonio die später berühmt gewordene Bilderfabrik von Murano, in der um’s Jahr 1440 ein Deutscher aus der Kölnerschule (wie es scheint), der bekannte Joannes Alemannus, Anstellung fand. Aus dieser Kunstwerkstatt, die für alles sorgte, was zum Schmucke eines Kirchenaltars nöthig war, gingen später die Maler Bartolommeo Vivarini, ein jüngerer Bruder des Antonio und Alvise Vivarini, Andrea da Murano und andere Maler hervor[352].

Die Berliner Sammlung besitzt in der „Anbetung der Könige“ (No. 5) weitaus das interessanteste Werk des Antonio da Murano, das mir bekannt ist. Es ist dies ein Bild aus seiner Frühzeit, etwa zwischen 1435 und 1440 entstanden. In diesem für die Kunstgeschichte kostbaren Gemälde gewahrt man auch nicht den leisesten Einfluß des von neuern Schriftstellern doch viel zu hoch gestellten Johannes Alemannus, wohl aber eine sehr ausgesprochene Einwirkung des Gentile da Fabriano und des Pisanello von Verona. Der landschaftliche Grund in demselben erinnert durchaus an Gentile’s Art und Weise. Dies Werk beweist auf die untrüglichste Weise, daß Antonio schon ein ausgebildeter Maler war, als er mit Johannes Alemannus die bekannte Werkstatt in Murano gründete.

Von Bartolommeo, dem jüngeren Bruder und zum Theil auch Schüler des Antonio, findet sich in der Berliner Galerie ein ebenfalls vorzügliches Bild vor. Ich meine damit nicht etwa den h. Georg (No. 1160), „ein Atelierwerk“ des Meisters[353], sondern das interessante, höchst charakteristische Bild, auf dem Maria mit dem auf der Brüstung vor ihr sitzenden, bekleideten Kinde dargestellt ist; über ihr ein Fruchtgehänge (No. 27). Dies Bild wird im Katalog leider noch immer dem Andrea Mantegna zugemuthet; selbst die Herren Cr. und Cav. stimmen in dieses Urtheil mit ein, ja wollen sogar das von Mantegna dem Matteo Bosso, Abt von Fiesole, gemalte Madonnenbild darin erkennen (II, 386)[354].

Daß Bartolommeo Vivarini später(?) auch unter dem Einflusse des Donatello und selbst des Antonello da Messina gestanden haben soll, wollen wir auf sich beruhen lassen. Was würden ernste[a 43] Kritiker dazu sagen, wenn jemand dem Publikum erklären wollte, daß z. B. Göthe dies oder jenes Gedicht unter dem Einflusse von Herder, von Wieland, von Bürger, von Rousseau, von Sterne u. s. f. geschaffen habe? Möglich ist es allerdings, allein wer kann es beweisen? Es kommt doch vor allem darauf an, daß man seine Theoreme auch beweist. – Kehren wir nun zu unsern Muranesen zurück.

Die thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen (No. 38) von Alvise Vivarini ist in meinen Augen nicht nur das bedeutendste Werk dieses Meisters, sondern eines der bedeutendsten Bilder venezianischer Kunst im 15. Jahrhundert. In diesem Gemälde ist Alvise so edel und kräftig wie Bartolommeo Montagna, und außer Giovanni Bellini wüßte ich keinen Meister in Venedig namhaft zu machen, der im letzten Decennium des 15. Jahrhunderts solch ein Bild zu schaffen im Stande gewesen wäre. Wie wir uns überzeugt haben, sind die Muranesen in diesen Sälen so trefflich vertreten, wie nirgendwo anders.

Von Marco Basaïti, dem Schüler und Gehülfen des Alvise Vivarini, als welchen der Katalog ihn sehr richtig bezeichnet, finden wir in dieser Galerie zwei Werke: „die Klage um den Leichnam Christi“ (No. 6), und „einen h. Sebastian“ (No. 37), ein allerdings stark restaurirtes Werk des Meisters.

Von anderen Schülern des Alvise Vivarini, wie Jacopo da Valenza, Lazzaro Sebastiani, Bernardo Parentino, Girolamo Moceto[355], besitzt die Berliner Sammlung, soviel ich weiß, keine Bilder. Ich fand dagegen in diesen Sälen einen „Christus mit den beiden Jüngern zu Emmaus“ (No. 1) von Marco Marziale, einem Zeitgenossen der soeben genannten Maler. Lassen wir jedoch alle diese Meister zweiten und dritten Ranges und gehen wir an die Betrachtung der in dieser Galerie enthaltenen Werke des größten aller Künstler Venedigs, ich meine des Giovanni Bellino.

Der Berliner Katalog meint, Giambellino könnte vielleicht in Rom und nicht in Venedig, wie bisher allgemein angenommen wurde, geboren sein; wir wollen indessen diese nagelneue Theorie vorläufig noch in Quarantaine versetzen[356].

Alles in allem zusammengenommen, ist in meinen Augen Giambellino, wie gesagt, im 15. Jahrhundert der größte Künstler Oberitaliens.

Vittor Pisano war zwar für seine Zeit, d. h. in der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts, in gewisser Beziehung eben so bahnbrechend, wie jener in der zweiten es war; man sehe sich sein treffliches Frescobild an, in S. Anastasia in Verona, den h. Georg nach dem Siege über den Drachen darstellend; man betrachte ferner seine höchst interessanten Federzeichnungen im s. g. Zeichnungsbuche des Lionardo da Vinci im Louvre und seine anderen Handzeichnungen in der Ambrosiana zu Mailand; seiner herrlichen Medaillen ganz zu geschweigen. Andrea Mantegna ist energischer, imponirender, gelehrter als Giambellino, auch führt er den Moment des Geschehens mit größerer Evidenz und realistischer Wahrheit uns vor die Augen. Während jedoch sowohl Pisanello als Mantegna eine gewisse Einförmigkeit in Auffassung und Darstellung an den Tag legen, entfaltet dagegen Giovanni Bellino als Künstler die größte Mannigfaltigkeit.

Von seinem dreißigsten Jahre, also von etwa 1456, an bis zu seinen letzten uns bekannten Werken von 1513 und 1514 (S. Giovan Crisostomo in Venedig und Bacchanal beim Herzog von Northumberland) ist er in stetem Wachsen, in einer nie innehaltenden Evolution begriffen, und zwar so, daß Dürer ganz Recht hatte, als er im Jahre 1506 denselben für den „besten“ Maler in Venedig erklärte. Giambellino ist großartig und ernst, anmuthig und liebreich naiv und einfach, und dies stets am rechten Orte, und wenn es der Gegenstand erheischt. Seine Frauen und Kinder, seine Greise und Jünglinge sind nie dieselben und haben nur selten den gleichen Typus oder Ausdruck.

Dies alles sei jedoch bemerkt ohne damit den eminenten Verdiensten des großen Mantegna den geringsten Abbruch thun zu wollen; gehöre ich doch wahrlich nicht zu jenen Kritikern, die in einer außerordentlichen Individualität alle Eigenschaften suchen und verlangen. Ja, ich glaube sogar, daß gewisse Geistes- und Gemüthsgaben geradezu andere ausschließen, und daß somit Mantegna sowohl wie Michelangelo nicht jene Höhe in ihrer Art erreicht hätten, würden an ihrer Wiege die Grazien gestanden haben. Um meinen Gedanken verständlicher zu machen, möchte ich sagen: Besäße Bismark alle jene Qualitäten, die mancher seiner Widersacher an ihm vermißt, so wäre schwerlich die Einheit Deutschlands eine Wahrheit geworden.

In der Epoche, in der die Kunst vornehmlich den Charakter darzustellen bemüht war, ist Giambellino nach Mantegna der größte Charakterzeichner in Oberitalien; später, als zur Hauptaufgabe der Kunst die Darstellung der menschlichen Seelenregungen gehörte, steht er keinem andern nach in der Versinnlichung der Mutterliebe, der Frömmigkeit, des naiven kindlichen Frohsinns, sowie der religiösen Demuth bei den Frauen, eines gotterfüllten Ernstes bei den Männern. Dramatisch ist Bellini zwar nie, seine Heiligen sind jedoch alle voll Lebenskraft, Energie und Würde.

Die Werke des Giambellino sind schon bald nach seinem Tode mit denen seiner Schüler und Nachahmer verwechselt worden, ja etliche dieser letztern, in der Absicht, ihre Bilder leichter und auch theurer an den Mann zu bringen, scheuten sich nicht, dieselben mit dem Namen des Meisters zu versehen. Solche falsche Aufschriften (Cartellini) sind jedoch leicht von den echten zu unterscheiden, noch viel leichter sind es freilich die Bilder selbst[357].

Während nun einerseits gar manches Bild von Schülern und Nachahmern dem Meister selbst zugewiesen wird, so werden andererseits noch heutzutage, und dies selbst von berühmten Kunsthistorikern, viele seiner Jugendwerke bald dem Mantegna oder dem Ercole Roberti, und dies noch im besten Falle, bald aber auch geringern Meistern, wie Francesco Maria Pennacchi, Zaganelli, Rondinelli u. s. f zugemuthet.

Um den Unterschied der Werke des Giambellino von denen des Mantegna, mit dem er in einer gewissen Epoche seines Wirkens (1460 bis 1480) am meisten verwechselt wird, meinen jungen Freunden zu erleichtern, will ich hier für Anfänger in der Kunstwissenschaft einige materielle, jedem erkennbare Zeichen anführen, wie dieselben während meiner Studien mir eben in die Augen gefallen sind. Wie gesagt, diese Fingerzeige sind nur Anfängern gewidmet und zwar solchen in meinem sarmatischen Heimathslande; wäre es doch lächerlich von mir, dergleichen ABC-Uebungen dem großen gebildeten Kunstpublikum des civilisirten Europa zu bieten. Hand und Ohrform also sind bei beiden Meistern sehr verschieden. Während bei Giambellino das Ohr rund und fleischig, ist es bei Mantegna länglich und sehr knorpelig geformt; die Hand und die Finger dagegen sind bei Mantegna fleischiger und kürzer, bei Giambellino knochiger, mehr zugespitzt und mit stark accentuirten Gelenken. Der landschaftliche Hintergrund auf den Bildern dieses letztern stellt bis ungefähr in die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts, wo seine Landschaften realistisch werden, gewöhnlich eine Ebene dar, mit Gewässern, mit befestigten Orten im Mittelgrund und Gebirgen in der Ferne; zumeist zieht ein Weg in Schlangenwindung durch Vor- und Mittelgrund. Ursprünglich waren die Farben dieser Landschaften: fahlgrün im Vorder- und dunkelgrün im Mittelgrunde, mit der Zeit jedoch oxidirten diese Farben, so daß sie gegenwärtig gewöhnlich schwarz aussehen[358].

Mantegna hatte wenig Sinn weder für die Linien noch für die Farben in der Landschaft. Gewöhnlich stellen seine landschaftlichen Gründe einen befestigten Ort dar, auf steilem Hügel, zu dem ein gewundener Weg führt; zuweilen auch zackige Felsmassen.

Da nun die größere Zahl der Bilder des Giambellino leider stark übermalt wurde, so sind durch die Restauration gar oft gerade die charakteristisch accentuirten Formen des Meisters nach den Vorschriften der Schule abgeschwächt worden und springen daher nicht sogleich in die Augen. Will man deßhalb den Meister in der Auffassung seiner Formen studiren, so suche man die Werke aus seiner Jugendzeit auf, welche a tempera gemalt und daher auch weniger entstellt wurden als diejenigen der spätern Epochen, welche alle mit Oelfarbe lasirt waren und somit fast alle durch den Restaurator verputzt worden sind.

Diese Bemerkung soll nicht nur für die Werke des Giambellino gelten, sondern sie gilt ebenfalls für diejenigen aller großen Venezianischen Meister aus derselben Epoche. In den Jugendwerken treten die Eigenthümlichkeiten des Künstlers am meisten und schärfsten hervor. Wären die „Pietà“ in der Brera zu Mailand (No. 278) und die „Transfiguration“ in der Galerie von Neapel nicht mit dem Namen des Meisters bezeichnet, so würden aller Wahrscheinlichkeit nach auch diese Bilder des Giambellino dem Mantegna zugerechnet worden sein, wie dies ja so manch’ anderm Gemälde des Bellini aus derselben Epoche ergangen ist; ich brauche hier nur den „Christus auf dem Oelberge“ in der Nationalgalerie zu London (No. 726) und jenen im Museum Corrèr zu Venedig (No. 27), so wie die „Pietà“ in der Vaticanischen Galerie als Beispiele solcher Verwechslung anzuführen[359].

Die Darstellung der Beweinung Christi war in einer gewissen Periode (1460–1470) ein Lieblingsgegenstand des Meisters. Zwei solcher „Pietà“ befinden sich im Museum Corrèr in Venedig. Das eine jener Bilder (No. 36) trägt die gefälschte Chiffre des Albrecht Dürer und wurde von den Herren Cr. und Cav. dem Pietro Maria Pennacchi zugeschrieben (II, 227); dasselbe ähnelt sehr dem Bilde (No. 28) in der Berliner Galerie und dürfte wohl derselben Zeitepoche angehören.

Die andere „Pietà“ (No. 18) ist durch rohe Uebermalung so entstellt, daß man den Meister kaum noch darin zu erkennen vermag.

In eine noch frühere Epoche des Giambellino möchte ich das Bildchen mit dem Gekreuzigten im Museo Corrèr (No. 28) setzen. Dies höchst charakteristische, an den Vater Jacopo noch lebhaft erinnernde, wohl erhaltene Temperabild wird in Venedig ebenfalls dem Mantegna zugemuthet, von den Historiographen Cr. und Cav. (I, 534) dagegen, wie bereits bemerkt wurde, dem Ercole Roberti aus Ferrara zugeschrieben.

Ein anderes gleicherweise frühzeitiges Werk unsers Meisters ist das zwar überschmierte, jedoch noch immerhin genießbare Madonnenbild (No. 372) in der Akademie von Venedig: Maria mit dem schlafenden Kinde auf ihren Knieen. Dasselbe Motiv finden wir im schönen Bilde des Bartolommeo Vivarini vom Jahre 1464, in derselben Galerie No. 1, wiederholt.

Habe ich mich bei diesen interessanten und meist so gröblich verkannten Werken aus der Frühzeit Giambellino’s etwas länger aufgehalten, als Ort und Zeit es mir wohl erlauben, so ist dies nur in der Absicht geschehen, irgend einen jungen Kunstforscher zu veranlassen, diesem großen Meister und seiner Schule eine eindringlichere Aufmerksamkeit zu schenken, als bisher geschehen ist.

Betrachten wir nun die Werke von ihm, welche die Berliner Galerie zu besitzen sich rühmt. Der Katalog führt deren nicht weniger denn vier auf, nämlich:

1) Die „Beweinung Christi“ (No. 4). Dies Bild ist zwar sehr übermalt, scheint mir jedoch Originalarbeit des Meisters zu sein.

2) „Maria mit dem Kinde“ (No. 10) halte ich dagegen für Atelierbild. Das Originalgemälde befindet sich im Privatbesitze in Mailand. Ein anderes, jedoch stark übermaltes Atelierbild mit demselben Gegenstande hängt in der Gemäldesammlung der städtischen Bibliothek von Treviso[360]. Dies Berliner Bild ist übrigens zu hoch aufgestellt, als daß ich es näher zu bestimmen im Stande gewesen wäre.

3) „Maria mit dem Kinde“ (No. 11) erscheint mir ebenfalls als Atelierbild; das Originalgemälde dürfte wohl das stark übermalte Bild (No. 94) mit der gefälschten Aufschrift und der Jahreszahl 1487 in der Akademie von Venedig sein.

4) Trefflich dagegen ist die „Pietà“ (No. 28), der todte Christus von zwei trauernden Engeln gestützt und beweint. Ich kann nicht umhin, der Direktion der Galerie meinen vollen Beifall für den Muth zu zollen, mit dem sie dieses für den Meister so charakteristische schöne Bild, welches bisher dem Mantegna zugeschrieben war, seinem rechtmäßigen Autor zurückerstattet haben[361]. Die „Pietà“ in der Brera zu Mailand ist ältern Ursprungs als diese. Eine ähnliche „Pietà“ besitzt auch Herr Menghini in Mantua, indeß sehr übermalt und entstellt, unter dem Namen des Mantegna. Von allen Pietàdarstellungen des Meisters ist in meinen Augen die im Stadthause von Rimini die herrlichste. Die Herren Cr. und Cav. wollen zwar auch jenes so fein und so tief gefühlte Bild dem Giambellino abstreiten, um es dem höchst unbedeutenden Maler Zaganelli aus Gotignola zu schenken[362]. Aber damit fügen sie nicht nur dem Bellini, sondern auch dem Vasari ein großes Unrecht zu. Denn Messer Giorgio führt das Werk in seiner Geschichte nicht nur als Werk des Giambellino auf, sondern bemerkt dabei noch ausdrücklich, daß es für Sigismondo Malatesta gemalt worden sei, also vor 1468, dem Todesjahre des Sigismondo[363].

Auch aus der Reihe der zahlreichen Schüler und Nachahmer des Giambellino finden sich nicht wenige in den Sälen der Berliner Galerie vertreten.

Vom stets würdevollen, wiewohl etwas einseitigen Cima da Conegliano hängen unter No. 2 eine thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen, und unter den Nummern 7 und 17 zwei gute Madonnenbilder.

Von Pier Maria Pennacchi sehen wir eine „Pietà“ unter Nummer 1166, Christus im Grabe von Engeln gehalten. Die Herren Cr. und Cav. (II, 227) widmen diesem Jugendwerke des Pennacchi Worte der vollen Anerkennung, in welches Lob wir gern einstimmen, sie fügen jedoch hinzu, daß die Werke aus der Frühzeit dieses Trevisaners so verschieden seien von seinen spätern Arbeiten, daß sie an der Echtheit derselben hätten zweifeln müssen, falls diese „Pietà“ in Berlin nicht bezeichnet wäre. Sie erklären dies Phänomen mit der Annahme, daß Pennacchi, ehe er in’s Atelier des Bellini kam, unter dem Einflusse der Schule des Squarcione in Padua gestanden haben müsse, wodurch seine Werke jenes „Gemisch von Transalpinischem und Paduanischem“ in ihrem Aussehen erhielten, das den Bildern so vieler älterer Maler Norditaliens so wenig Anziehungskraft verleihe. Pennacchi hätte nun gleich nach seiner Ankunft von Padua in Venedig die „Pietà“ mit dem falschen Dürermonogramm (gegenwärtig im Museo Corrèr No. 36) gemalt, ein Bild, dessen verfeinerter Stil den Einfluß der Bellini und der Vivarini verrathe, trotzdem jedoch noch so deutsch im Ausdruck sei, daß das Monogramm Dürer’s und die Jahreszahl 1494 darauf selbst heutzutage noch für baare Münze genommen würden.

Nach dem Urtheil der berühmten Historiographen der italienischen Malerei war also der Stil des Squarcione ein Gemisch von „Transalpinischem und Paduanischem“, eine Definition, der man nicht den Vorwurf allzu großer Deutlichkeit machen kann.

Squarcione war, wie dies aus seinem einzigen auf uns gekommenen Werke (in der Stadtgalerie von Padua) zu ersehen ist, kein Maler erster Größe, sondern wahrscheinlich gleich seinem Zeitgenossen Pier della Francesca mehr ein trefflicher Lehrer, zumal in der Perspektive. Dies scheint mir aus den Werken der verschiedenen Schüler des Squarcione hervorzugehen; denn gerade die strenge Linienperspektive ist es, die diese Schule von Padua leicht erkennen läßt – ein Vorzug, den alle Schüler Squarcione’s gemein haben, sowohl Marco Zoppo wie Gregorio Schiavone, sowohl Mantegna als Ansuino da Forli, wie Carlo Crivelli, Nicoletto Pizzolo oder Dario und der ältere Girolamo da Treviso[364]. Von dem einen oder andern dieser zwei letztgenannten Squarcionesken könnte also P. M. Pennacchi den ersten Unterricht erhalten haben. Allein die Behauptung der Historiographen, daß nämlich die Werke dieser Squarcionesken einen so ausgesprochenen transalpinischen Charakter[365] an sich trügen, daß man dieselben für Werke Dürer’s halten könne, scheint mir doch aller und jeder Begründung zu entbehren. Es ist wahr, ein Fälscher hat auf die schöne „Pietà“ im Museo Corrèr das Dürer’sche Monogramm und die Jahrzahl 1494 gesetzt, offenbar in der Absicht, das Bild besser verkaufen zu können; ebenso läßt sich nicht läugnen, daß in den Augen eines oberflächlichen Kunstpublikums jenes Monogramm für authentisch gegolten hat, wie dies ebenfalls bei vielen andern falschen Aufschriften auf andern Bildern der Fall war und noch immer ist. Allein wir fragen alle ernstern Kunstforscher, die das Bild im Museo Corrèr gesehen, ob sie auch die Ansicht der Herren Cr. und Cav. theilen, daß nämlich jenes Gemälde einen transalpinischen Charakter habe, d. h. den eines Dürer, der Kölner- oder einer Niederländischen Schule, oder ob sie nicht vielmehr mit uns in jener „Pietà“ den Stempel eines großen Venezianischen Künstlers wahrnehmen? Daß die Herren Cr. und Cav. den Giambellino in seiner herrlichen, so tief empfundenen Darstellung so gröblich verkennen konnten, thut uns aufrichtig leid, nicht nur für sie, indem sie dadurch einen hohen Kunstgenuß eingebüßt, sondern noch viel mehr für die Menge ihrer Schüler und Nachfolger, welche durch ihr Urtheil von der breiten Straße der Kunstwissenschaft ab und in ein Dorngestrüpp geführt werden, aus dem wieder sich zu befreien ihnen wohl viel Zeit und Mühe kosten wird.

Von andern Mitschülern des Cima und des Pennacchi (1480–1490) in der Werkstatt des Giambellino, wie Cristoforo Caselli von Parma, Mansueti, Lattanzio von Rimini[366], Niccolò Rondinelli von Ravenna, Jacopo von Montagnana u. a. m. besitzt die Berliner Galerie keine Werke, wohl aber begegnen wir in diesen Sälen Bildern einiger Schüler Bellini’s aus späterer Zeit, wie Giorgione, Lorenzo Lotto, Vicenzo Catena und Francesco Bissolo. Auch diese vier letzteren waren, gleich Cima und Pennacchi, Söhne der Marca Trevisana, eines Bezirkes, der schon im dreizehnten Jahrhundert wegen seiner Eleganz, seines Luxus und seiner prunkvollen, heitern Feste in ganz Italien berühmt war und daher „amorosa“ und „giocosa“ genannt wurde[367].

Das vermeintliche Bild des Giorgione trägt die Nummer 152 und stellt das Porträt zweier Männer dar; beide mittleren Alters, mit schwarzem Barett und in schwarzem Kleide. Die Herren Cr. und Cav. vermuthen in diesem Bilde[368] das von Vasari in Florenz im Hause der Söhne des Borgherini gesehene, in welchem der junge Borgherini neben seinem Lehrer dargestellt war[369]. Die Herren Direktoren der Galerie scheinen jedoch durch ein beigesetztes Fragezeichen ihre Zweifel an der Richtigkeit dieser Vermuthung zu erkennen zu geben. Und so ganz unrecht damit haben, scheint mir, die Herren in Berlin nicht, denn fürs erste stellte jenes von Vasari bezeichnete Bild einen jungen und einen ältern Mann, den Lehrer und den Schüler, dar, während wir hier zwei Männer mittlern Alters vor uns sehen; zweitens deutet in diesem Bilde nicht nur die Zeichnung und die Malerei, sondern auch die Auffassung nicht nur nicht auf Giorgione hin, sondern überhaupt auf eine spätere Zeit, als die des Giorgione war, und endlich drittens ist dies Gemälde in einem so kläglichen Zustande, daß es auch mir, gleichwie den Herren Direktoren, zu gewagt erscheint, ein bestimmtes Urtheil darüber abzugeben.

Reichlich ist dagegen die Galerie mit Bildern von Lorenzo Lotto versehen; sie zählt deren nicht weniger denn vier auf, und diese sind alle gute und echte Werke des Meisters.

Das Bildniß eines Architekten (No. 153) ist ein treffliches Porträt aus Lotto’s reiferer Zeit (1530–1540). Ebenfalls echt ist das Doppelbild, die Heiligen Sebastian und Christoph darstellend, vom Jahre 1531. Das angebliche Bild des Künstlers trägt die Nummer 326. Lotto, etwa um 1477 geboren, müßte also dies Bildniß im ersten Decennium des 15. Jahrhunderts gemalt haben, falls es ein Selbstporträt wäre. Zeichnung und Mache auf diesem Gemälde deuten jedoch auf eine viel spätere Zeit hin. Daß er darauf L. Lotus pict. zeichnete statt pinxit, thut doch wahrlich nichts zur Sache – finden wir ja dieselbe Bezeichnung auch auf jenem andern Bilde (No. 325) von seiner Hand, welches „Christi Abschied von seiner Mutter“ darstellt – ein Gegenstand, der ebenfalls um 1520 von Correggio in einem kleinen Bilde behandelt wurde, welches gegenwärtig, allerdings in sehr beschädigtem Zustande in London sich befindet. Das Bild in Berlin ward von Lotto in Bergamo für den Domenico Tassi gemalt; die Stifterin mit dem Gebetbuche in den Händen stellt die Gemahlin des Domenico Tassi, Elisabetta Rota, dar[370]. Aus dem Hause Tassi kam das Bild in’s Haus des Canonicus Grafen Zanchi von Bergamo und wurde von diesem an den Bilderhändler Abate Massinelli verkauft, der es dann Herrn Solly abtrat. Eine alte, ebenfalls mit der Aufschrift versehene Kopie dieses Bildes sah ich vor Jahren beim Antiquar Baslini in Mailand.

Auch die zwei dem Vicenzo Catena zugeschriebenen Bilder sind gut und charakteristisch für den Meister; No. 19 stellt Maria mit dem Kinde und Heiligen dar; No. 32 ist das Bildniß eines in Venedig ansäßigen Fugger aus Augsburg und darf als eines der besten Porträts dieses Malers betrachtet werden.

Der erste Lehrer des Catena möchte wohl sein Landsmann, der ältere Hieronymus von Treviso, gewesen sein, wie dies mir aus etlichen Jugendbildern Catena’s sich zu ergeben scheint. Ein solches mit Namen bezeichnetes Bild befindet sich unter andern in der Bildergalerie zu Pesth, ein anderes in der Stadtgalerie von Padua[371].

Dem Francesco Bissolo, einem andern Trevisaner und Schüler, ja Nachahmer des Giambellino, gehört die „Auferstehung Christi“ an (No. 43). Die bessern Werke dieses unbedeutenden Malers werden oft dem Bellini selbst zugeschrieben, wie unter andern auch das viel bewunderte Madonnenbild in der Sacristei des Redentore zu Venedig.

Von den Schülern des Giambellino aus dem Bergamaskischen finden wir hier ebenfalls einige Werke vor: unter andern ein ganz vorzügliches, dem Lorenzo Lotto sehr nahe stehendes Frauenporträt von Palma vecchio[372], No. 197a, etwa zwischen 1512 und 1520 gemalt; eine „Anbetung der Könige“ (No. 22) von Francesco Rizo da Santa Croce (einem Dorfe im Bergamaskischen). Eine andere Wiederholung in der städtischen Galerie von Verona. Das Originalbild mit dieser Komposition gehört, wenn ich nicht sehr irre, dem Andrea Mantegna an; wo dasselbe sich befindet, kann ich leider nicht angeben. Wohl aber kann ich versichern, eine auf Täuschung berechnete Kopie davon beim Photographen Perini in Venedig gesehen zu haben. Die Zeichnung auf dieser Kopie war wahrscheinlich durchgepaust, denn die Formen stimmten mit den Mantegna eigenthümlichen genau überein. Francesco Rizo muß um’s Jahr 1480 geboren und noch sehr jung nach Venedig in die Werkstatt des Giovanni Bellini gekommen sein. Seine „Verkündigung“, mit dem Namen und dem Jahre 1504 bezeichnet, gegenwärtig in der städtischen Galerie von Bergamo[373], ist ganz und gar Bellinisch und hat eine nahe Verwandtschaft mit den Werken aus der Frühzeit seines Landsmannes und Mitschülers Andrea Previtali.

Von diesem letztern hängt ein gutes Bild, „Maria mit dem Kinde und Heiligen“, unter No. 39.

Auch von dem andern Maler mit dem Namen Santa Croce, dem trockenen und einförmigen Girolamo, vielleicht Verwandten, jedenfalls Schüler des Francesco Rizo, finden wir in diesen Räumen vier Bilder: die „Geburt Christi“ (No. 24), das „Martyrium des h. Sebastian“ (No. 26), die „Krönung der Maria“ (No. 33) und endlich die „Kreuzigung Christi“ (No. 35). Die Jugendwerke des Girolamo, von denen etliche in der städtischen Galerie von Bergamo sich vorfinden, stellen ihn, wie gesagt, als Schüler des Francesco hin. Später ahmte er zuweilen unter andern auch den Cima nach. Seine kleinen, alle in derselben eintönigen Manier gefertigten Bilder, denen man fast in jeder Gemäldesammlung begegnet, scheinen seiner Mittelzeit (1525–1540) anzugehören. Auf vielen seiner Gemälde bringt er einen Papagei an; charakteristisch für diesen Meister ist auch die Landschaft mit den steifen, runden, reihenweise gestellten Bäumchen und dem gestreiften Horizont. Die Technik des Girolamo da Santa Croce ist vorzüglich, seine Phantasie und sein Geschmack sehr alltäglich; am besten gelangen ihm daher die Bildnisse, von denen eines in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand sich befindet.

Pietro Paolo da Santa Croce, der bis ans Ende des 16. Jahrhunderts fortwirkte, war, wenn vielleicht auch nicht der Sohn, jedoch sicher Schüler und Nachahmer des Girolamo; am Altar der Scrovegnikapelle in Padua sieht man ein bezeichnetes Bild von ihm; auch im Museo Corrèr zu Venedig befinden sich mehrere Bilder von Pietro Paolo, eines, „Cristo in casa delle Marie“, mit der gefälschten Aufschrift Laurentii Canotii de Lendinaria opus (No. 312) in der Akademie zu Venedig[374].

Bevor wir nun zur Betrachtung der Bilder eines der berühmtesten Nachahmer des Giambellino, nämlich des Antonello da Messina, übergehen, möchte ich meine Leser nur noch auf ein paar gute Werke aufmerksam machen, welche die Berliner Galerie von Vittor Carpaccio besitzt. Diesem naiven, stets liebenswürdigen, oft auch schalkhaften Legendenerzähler gehört die „Einsegnung des h. Stephanus“ (No. 23) und das Madonnenbild mit Heiligen (No. 14). Das erstere dieser zwei Bilder wurde vom Meister, nebst vier andern, für die Scuola di S. Stefano in Venedig gemalt. Wer diesen Meister jedoch genau kennen zu lernen wünscht, muß ihm in Venedig nachgehen, woselbst er in S. Gregorio degli Schiavoni und namentlich in der Akademie das Beste von ihm finden wird.

Im Vorübergehen möchte ich noch hier bemerken, daß die Direktion der Berliner Galerie, zu ihrer großen Ehre, mit dem herrlichen Bildniß einer Tochter des Roberti Strozzi von Tizian, No. 160a (von ihr im Jahre 1878 aus dem fürstlichen Palazzo Strozzi zu Florenz erworben), ihre Sammlung mit einem Schatze bereichert hat, um den alle Galerien der Welt sie mit Recht beneiden werden.

Wenn es dahin gekommen, daß die fürstlichen Familien sich herablassen, nicht nur ihre Kunstschätze, sondern selbst ihre von Meisterhand gemalten Familienporträts an den Meistbietenden zu verschachern, so ist dies ein Zeichen mehr, daß es mit dem Adel ein Ende hat. Und so darf man es Königen auch nicht verargen, wenn sie über Nacht reichgewordene Börsengauner oder Eisenbahnhelden zu Grafen und zu Herzögen stempeln.

Es wäre mir zwar sehr erwünscht gewesen, in dieser flüchtigen Musterung noch über dies und jenes Bild aus der Venezianischen Schule in der Berliner Galerie meinen Freunden einige Bemerkungen mitzutheilen, ich muß dieselben jedoch auf eine andere Gelegenheit aufsparen, da es mir vorläufig besonders daran liegt, bevor wir von den Malern der Stadt Venedig Abschied nehmen, die Aufmerksamkeit meiner Leser für einige Zeit auf mehrere Bilder zu lenken, die den Namen eines Künstlers tragen, welcher zwar fern von Venedig geboren wurde, und dessen erste künstlerische Erziehung ebenfalls eine fremde war, der jedoch trotz alledem in gewisse Beziehung zur Venezianischen Kunstschule gerechnet werden muß. Ich meine den in neuester Zeit so hochberühmt gewordenen Antonello da Messina.

Zu den Ansichten, welche im Laufe der Jahre den Charakter des Dogmas angenommen haben, mit dessen logischer Analyse man sich nicht weiter mehr befaßt, gehört in erster Linie die Ueberzeugung, daß Antonello nach Flandern gewandert und dort bei Johann van Eyck (einige neuere Schriftsteller substituiren dem 1441 verstorbenen van Eyck den Roger van der Weyden oder auch den Hans Memling) die Oelmalerei erlernt habe. Irre ich nicht gröblich, so dürfte diese Fabel der lebhaften und eiteln Phantasie irgend eines Sicilianers ihren Ursprung verdanken.

Untersuchen wir die Frage näher und ohne vorgefaßte Meinung.

Daß die Maler Europa’s schon lange vor den Brüdern van Eyck des oil mediums, um einen beliebten Ausdruck der Herren Cr. und Cav. zu gebrauchen, sich zu bedienen pflegten, geht nicht nur aus dem im Jahre 1437 erschienenen Trattato della Pittura des Cennino Cennini hervor, sondern schon aus der viel früheren „diversarum artium schedula“ des Mönchs Theophilus.

Die Inschrift, welche in den Niederlanden dem Andenken des Jan van Eyck gesetzt wurde, erwähnt mit keiner Silbe seine Erfindung der Oelmalerei:

Hic jacet eximia clarus virtute Joannes,
In quo picturae gratia mira fuit etc.[375].

Auch unter den deutschen Schriftstellern des 15. Jahrhunderts spricht keiner von dieser van Eyckschen Entdeckung, während doch die größere Zahl der Maler Deutschlands, wie Martin Schöngauer, Michel Wohlgemuth, Albrecht Dürer, Hans Holbein d. ältere, Burckmair u. a. m. das von den Brüdern von Eyck vervollkommnete System der Oelmalerei sich zu eigen gemacht hatte, ohne daß man diesseits der Alpen darüber Lärm geschlagen hätte.

Allein selbst in Italien scheint man vor der im Jahre 1550 in den „Vite“ des Vasari erschienenen Biographie des Antonello da Messina über die neue flandrische Malweise kein besonderes Aufheben gemacht zu haben.

Bartholomeus Facius bemerkt zwar in seinem 1456 geschriebenen Buche „de viris illustribus“ über Joannes Gallicus (van Eyck), den er als praktischen Maler „princeps pictorum“ nennt, daß derselbe „multa de colorum proprietatibus invenisse, quae ab antiquis tradita, ex Plinii et ab aliorum auctorum lectione dedicerat.“

Ein Zeitgenosse des Facius, der florentinische Baumeister und Bildner Antonio Averulino, Filarete genannt, sagt im 24. Buch seines „Trattato della Architettura etc.“ (im Manuscript in der Bibliothek Trivulzio zu Mailand und in der Magliabecchiana in Florenz) „und auch in Oel kann man alle diese Farben auf Leinwand oder auf Holz anbringen, dazu gehört jedoch ein anderes Malsystem, das sehr schön ist für diejenigen, die es kennen. In Deutschland (Lamagna) arbeitet man gut in dieser Weise, besonders zeichnet sich darin Meister Johan von Brügge und Meister Roger (van der Weyden) aus, welche beide trefflich mit Oelfarben arbeiten. Frage: Sage mir auf welche Weise wendet man dieses Oel an, und was für ein Oel ist es? Antwort: Leinöl. Frage: Ist es nicht sehr trübe? Antwort: Ja, allein man benimmt ihm die Trübe; auf welche Weise, weiß ich aber nicht u. s. f.[376]

Im Jahre 1464, als Filarete seinen Trattato verfaßte, zählte der nach den Historiographen um 1414 geborene Antonello fünfzig Jahre; nichtsdestoweniger wird auch von Filarete, wie wir soeben gesehen, der Messinese nicht in Zusammenhang damit gebracht. Gleicherweise beobachten Stillschweigen über ihn sowohl Ciriacus von Ancona als der Toskaner Albertini.

Unter allen Schriftstellern aus dem 15. Jahrhundert nennt ihn nur der Sicilianer Matteo Collaccio, und zwar in einem Briefe, den er an einen andern Sicilianer, den Antonio Siciliano, Rektor der Universität von Padua richtet, und worin er von den berühmten Männern seiner Zeit spricht: „habet vero haec aetas Antonellum Siculum, cujus pictura Venetiis in Divi Cassiani aede magnae est admirationi.“

Albrecht Dürer, welcher im Jahre 1494 zum ersten Male die Lagunenstadt besuchte, zu einer Zeit also, als Antonello kaum verstorben war, erwähnt ihn in seinen spätern Briefen und Aufzeichnungen mit keiner Silbe, ein Zeichen, scheint mir, daß Antonello in Venedig als Künstler doch nicht jenes Rufes genoß und in den Augen der Kunstverständigen nicht jene Bedeutung haben konnte, die man ihm fünfzig Jahre später, wie in den Biographien des Vasari, hat beilegen wollen.

Im Jahre 1524 wandte sich der venezianische Patrizier Marcantonio Michiel, ein verständiger Kunstfreund[377], an den Architekten Summonzio aus Neapel, in der Absicht, von diesem nähere Nachrichten über Antonello da Messina zu erhalten. Die Antwort des Neapolitaners an den Venezianer lautet: „Von der Zeit des Königs Ladislaus an bis auf unsern neapolitanischen Meister Colantonio haben wir keinen andern Mann besessen, der wie dieser so große Anlage zur Malerei gehabt hätte; wäre er nicht jung gestorben, so hatte er wahrlich Großes geleistet. Und erreichte dieser Colantonio auch nicht jene Vollkommenheit in seiner Kunst, zu der sein bei Euch in Venedig wohlbekannter Schüler Antonello von Messina gelangte, so war dies bloß die Schuld der Zeiten, in denen er lebte. Die Profession des Colantonio war, wie es damals in Neapel allgemein üblich war, nach Art der Niederländer zu malen, und da er leidenschaftlich seine Kunst liebte, so hatte er den Entschluß gefaßt, sich nach Flandern zu begeben, um an Ort und Stelle in der Malerei sich zu vervollkommnen . König Roger von Anjou[378] hielt ihn jedoch von der vorgehabten Reise ab, indem er selbst ihm sowohl die Anwendung des Oels (pratica) als auch das Geheimniß der Farbenmischung (tempera) lehrte. Von Colantonio, der jung noch das Zeitliche segnete, habe es sodann sein Schüler Antonello da Messina erlernt [379].

Die neuere Kritik hat nun auf’s Klarste nachgewiesen, daß jener neapolitanische Maler Colantonio des Summonzio nichts als eine der vielen Erfindungen oder Illusionen des neapolitanischen Lokalpatriotismus war[380], allein das thut nichts zur Sache, die uns hier interessirt. Mir liegt es bloß daran, meine Leser darauf aufmerksam zu machen, daß der erste Fachmann, welcher über Antonello’s Kunsterziehung berichtete, der neapolitanische Architekt Summonzio denselben die neue, niederländische Art, in Oel zu malen, nicht in Flandern selbst, wie Vasari angiebt, sondern in Italien erlernen läßt[381]. In grellem Widerspruch zu diesem Berichte des Neapolitaners steht nun jener, der über Antonello etwa fünfundzwanzig Jahr später von einem, wie ich zu vermuthen einigen Grund habe, sicilianischen Gelehrten dem Vasari für seine „Vite“ eingesandt wurde. Nach diesem letztern hätte Antonello das Zeichnen in Rom (von wem?) erlernt, hätte sich sodann nach Palermo[382] zurückgezogen, woselbst er sich großen Ruhm erworben, und wäre, nach etlichen Jahren eines dortigen Aufenthaltes, wieder nach seiner Vaterstadt Messina zurückgekehrt, wo er den Ruhm, dessen er in Palermo genossen, besiegelt hätte. Als jedoch Antonello eines Tages nach Neapel sich begab, und daselbst ihm das schöne Bild des Jan van Eyck gezeigt wurde, das man dem König „René“ aus Flandern gesandt hatte, hätte die Gluth und Lebendigkeit der Farbe in jenem Gemälde einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er ohne weiteres sich entschlossen, nach Brügge zu reisen, wo er, von Jan van Eyck freundlichst empfangen, alsbald von ihm in’s Geheimniß der Oelmalerei eingeweiht worden sei. Von Flandern nach Messina zurückgekommen (also um 1440 oder 1441, da ja in diesem letztern Jahre Jan van Eyck starb), hätte Antonello nur sehr kurze Zeit in seiner Vaterstadt verweilt und wäre nach Venedig gezogen – somit etwa um’s Jahr 1442 oder 1443.

Hören wir noch einen spätern Sicilianer, den Maurolicus (Hist. Sican. fol. 186). Nach ihm hätte Antonello: „ob mirum ingenium Venetiis aliquot annos publice conductus vixit: Mediolani quoque fuit percelebris.“ Merkwürdigerweise gedenkt jedoch kein einziger gleichzeitiger Schriftsteller von Mailand der Anwesenheit des hochberühmten Antonello von Messina in der lombardischen Residenzstadt!

Klang nun der Bericht des Summonzio, wie wir bereits gesehen haben, sehr albern, so blickt andererseits sowohl aus den Zeilen der Sicilianer Matteo Collaccio und Maurolicus wie aus der Biographie des Antonello im Vasarischen Collectivwerke der sicilianische Localpatriotismus so naiv in seiner kindlichen Eitelkeit heraus, daß man sich dabei eines Lächelns kaum erwehren kann. Und in der That verstößt von allen Lebensbeschreibungen berühmter Künstler in den „Vite“ des Vasari keine so arg gegen Chronologie und Geschichte, wie gerade die des Antonello da Messina.

Um das Maß vollzumachen, schließt dieselbe mit folgendem Epitaphium, das auf das Grab des im Jahre 1493 in Venedig verstorbenen Meisters gesetzt worden sei; eine Grabschrift, die jedoch, so sehr und so oft man auch darnach sich umgesehen, bis jetzt noch kein Mensch hat auffinden können.
D.      O.      M.

Antonius pictor, praecipuum Messanae suae et Siciliae[383] totius ornamentum, hac humo contegitur. Non solum suis picturis, in quibus singulare artificium et venustas fuit, sed et quod coloribus oleo miscendis splendorem et perpetuitatem(!)primus italicae picturae contulit, summo semper artificum studio celebratus.“

Alles das, sowie die dabei mit eingefügte Geschichte des Domenico Veneziano und des Andrea del Castagno, klingt doch wahrlich nicht ernsthaft, sondern, wie mir scheint, sehr komisch, ja kindisch, und es ist mir unbegreiflich, daß bis jetzt in Italien, wo doch vom vorigen Jahrhundert an bis auf die neuesten Zeiten so viele gelehrte Männer mit der Biographie des Antonello sich abplagten, keiner von ihnen auf die Absurdität dieser ganzen Erzählung im Vasarischen Werke aufmerksam geworden ist.

Wollen wir daher einiges Licht über diesen Meister erhalten, so sind wir genöthigt, von der Vasari’schen Biographie ganz und gar zu abstrahiren und uns anderswo darnach umzusehen. Lassen wir also seine Werke selbst sprechen.

Das älteste mit der Jahreszahl bezeichnete Bild des Antonello da Messina, das auf uns gekommen ist, gehört dem Jahr 1465 an, und, soviel ich weiß, besitzen wir kein früheres Bild von ihm. Es ist dies das gegenwärtig in der Londoner Nationalgalerie aufgestellte Gemälde (No. 673), welches den Salvator mundi darstellt. Bezeichnet auf einem Cartello von größerem Format, als es die späteren des Antonello sind:
Antonellus Messaneus.
Dies Gemälde sieht sowohl im Ausdruck als in der Farbe noch sehr flandrisch aus.

Ein ebenfalls niederländisches Aussehen haben einige kleine „Ecce homo“, ohne Bezeichnung, von denen eines im Hause Spinola delle Pelliccierie in Genua, das andere in der städtischen Bildersammlung von Vicenza (3. Zimmer, No. 12) sich befindet. Beide Bilder, sehr verunstaltet, dürften vielleicht noch vor dem Jahre 1465 entstanden sein. Derselben noch flandrischen Frühepoche des Meisters (1465–1470) möchte auch der sehr verdorbene „Ecce homo“ bei Herrn Zir in Neapel angehören. Diese vier ebengenannten Christusköpfe sind alle noch sehr schwach in der Modellirung, sehen, wie gesagt, noch sehr vlämisch aus sowohl in der Auffassung wie auch in jener der Eyck’schen Malerschule eigenthümlichen röthlichen Gesichtsfarbe, und geben sich, wenn wir sie den etwa zehn Jahre späteren Arbeiten des Meisters gegenüber halten, als Werke eines noch sehr unausgebildeten Künstlers zu erkennen.

Zu Anfang des Jahres 1473 muß er das Triptychon für die Kirche von S. Gregorio zu Messina vollendet haben, ob in Messina selbst oder aber in Venedig, von wo aus er es zur See leicht nach Sicilien hätte senden können, ist nicht ausgemacht[384]. Gewiß scheint zu sein, daß Antonello in jenem Jahre bereits in Venedig sich befand.

Die praktische Kenntniß der neuen, in der Lagunenstadt noch unbekannten Art, die a tempera untermalten Bilder mit Oelfarben zu lasiren, muß dem Antonello in Venedig eine größere Bedeutung verliehen haben, als wozu ihn seine wirklichen Verdienste in der Kunst berechtigt hätten. Wir sehen, daß die Kirchenvorsteher von S. Cassiano ihn sogleich mit einem Auftrage beehren. Dieses von Matteo Collaccio und Sabellico hochgepriesene Altarbild, mit dem Jahre 1473 bezeichnet, ist leider schon seit langer Zeit verschollen. Allein nicht nur die Kirchenvorsteher in Venedig, auch die Patrizier beeilten sich nach dem neuen, von Antonello geübten Malsystem sich abconterfeien zu lassen, und, nach den vielen Bildnissen des Antonello aus jenen Jahren zu urtheilen, muß derselbe damals der gefeiertste Porträtmaler Venedigs gewesen sein.

Ein männliches Porträt vom Jahre 1474, Antonellus Messaneus bezeichnet, soll der Herzog von Hamilton besitzen. Vom Jahre 1475 ist das hochberühmte kostbare Porträt im Salon carré des Louvre, ebenfalls Antonellus Messaneus bezeichnet; aus demselben Jahre und mit der Aufschrift: Antonellus Messaneus ist die „Kreuzigung“ in der Antwerpener Galerie, in welchem Bilde ein leiser Einfluß Carpaccio’s auf den Messinesen mir unverkennbar erscheint.

Brachte nun Antonello das s. g. Geheimniß des neuen van Eyck’schen Malsystems mit sich nach Venedig, so mußte er doch ohne Zweifel als Künstler den Brüdern Bellini und den Vivarini, selbst dem Carpaccio gegenüber sich noch in einer untergeordneten Stellung fühlen. Aus seinen Bildern aus spätern Jahren scheint es mir klar hervorzuleuchten, daß er in Venedig durch das Studium der Werke und im Umgange mit den dortigen großen Meistern nach und nach sich ausgebildet und jenen Grad von Vollkommenheit, namentlich in der Formgebung und in der Linienperspektive, erreicht habe, die wir in seinen frühern „Ecce homo“ noch vermissen, in seinen Bildnissen aber von den Jahren 1475, 76 und 78 bewundern. Bis zu diesem letztern Jahre behält das Incarnat in den Bildern des Antonello die vlämisch-röthliche Farbe bei[385], während das männliche Porträt vom Jahre 1478 in der Berliner Galerie (No. 18) schon eine hellere Fleischfarbe, ähnlich derjenigen in Giambellino’s Bildern, bekommen hat. Unter allen Bildnissen des Messinesen gebe ich diesem in Berlin den Vorzug. In seinen übrigen Porträtbildern, sowohl in denen aus der Frühzeit, wie in jenen aus dem neunten Decennium (1480[a 48]–1490), z. B. in dem trefflichen Mannesporträt beim Advokaten Molfino in Genua, oder in jenem Bildniß eines mit Lorbeer bekränzten Mannes im Museo civico von Mailand, übertreibt Antonello die Linienperspektive des Auges in einem Maße, daß der Blick der dargestellten Person dadurch eine unnatürliche Schärfe erhält, wie dies übrigens auch Dürer in seinem sonst so herrlichen Bildnisse des alten Holtzschuher’s in Nürnberg erging.

In diese seine spätere oder venezianische Epoche setze ich, außer dem h. Sebastianus in Dresden, auch noch das schöne Bildniß eines jungen Mannes in der Berliner Galerie (No. 25), einen „Christus am Kreuze“, im Besitze des kürzlich verstorbenen Duca di Castelvecchio in Rom, und den leider ganz übermalten h. Sebastian (No. 16) in der Städel’schen Galerie zu Frankfurt.

Es ist jedoch nicht wohl anzunehmen, daß Antonello vom Jahre 1478 bis zu seinem um’s Jahr 1493 erfolgten Tode sich sollte begnügt haben, nur dieses halbe Dutzend von uns bekannten, meist kleineren Bildern zu produziren, wir dürfen daher mit gutem Grunde die Vermuthung hegen, daß noch gar manch’ anderes größere Werk von ihm erhalten sei; in welchem Verstecke freilich solche geblieben, ist eine Frage, auf die eine Antwort zu geben ich vorläufig nicht in der Lage bin.

Wir haben gesehen, daß die ältesten Werke des Antonello sich höchstens aufs Jahr 1463 oder 1464 zurückführen lassen, und daß jene Christusköpfe eine noch sehr unvollkommene Meisterhand verrathen. Ist nun der Messinese, wie die Historiographen dem Vasari nachsprechen, wirklich schon im Jahre 1414 auf die Welt gekommen, so entsteht die Frage, wo denn die Werke aus seiner Frühzeit geblieben sind, falls man etwa nicht annehmen will, daß er erst in seinem fünfzigsten Jahre sich der Malerkunst gewidmet habe? Vasari läßt ihn zwar 1414 das Licht der Welt erblicken, allein im Jahre 1493 in einem Alter von 49 Jahren das Zeitliche segnen. Halten wir die letztere Angabe des Aretiners fest, so wäre also Antonello erst im Jahre 1444 geboren, was mir unter allen Umständen das Wahrscheinlichste zu sein scheint. Gallus, in seinen Annalen von Messina[386], setzt die Geburt des Antonello auf etwa elf Jahre vor dem Tode des Königs Alfons, der 1458 verstarb, mithin um’s Jahr 1447. Nehmen wir demnach an, Antonello sei ungefähr im Anfang des Jahres 1445 geboren und gegen das Ende von 1493 gestorben.

Nach dieser Berechnung hätte er also den Salvator mundi in der National Galerie in London in seinem zwanzigsten Jahre gemalt, einem Alter, mit dem die Mache jenem Bilde sehr wohl übereinstimmt. Von dieser Zeit an bis zum Jahre 1478 ist es uns vergönnt, seine Fortschritte fast von Jahr zu Jahr zu verfolgen. Seine italienische Natur bricht nach und nach die vlämische Schaale durch, in die sein erster Lehrmeister sowohl seine Hand wie seinen Geist eingeschlossen hatte; aus seinem Porträt vom Jahre 1475 im Louvre und jenem von 1476 im Hause Trivulzio zu Mailand blickt schon ganz und gar der Sohn des Südens heraus, während uns das Bildniß (No. 18) in der Berliner Galerie vom Jahre 1478 den zum Venezianer modifizirten Sicilianer vorführt. Hat nun an dieser künstlerischen Aus- und Umbildung Antonello’s von allen Malern Venedigs augenscheinlich Giovan Bellini den größten Antheil gehabt, so hatten wir andererseits schon bei Betrachtung seines h. Sebastianus in der Dresdner Galerie Gelegenheit zu bemerken, daß auch die Wandgemälde Mantegna’s in Padua nicht ohne Einfluß auf seinen Bildungsgang geblieben sind[387].

Aus dem Gesagten dürfen wir somit den Schluß ziehen, daß Antonello erst in Venedig sich zum Künstler ausbildete, was doch schwerlich stattgehabt hätte, wäre er in einem Alter von acht- oder neunundfünfzig Jahren dahin gekommen. Noch will ich bemerken, daß Scardeone in seinen „Antiquitates patavienses“ erzählt, der Paduanische Bildhauer Andrea Riccio (um 1440 geboren) habe, als einer der intimsten Freunde Antonello’s, dessen Tod tief betrauert – ein Schmerz, der beim Hinscheiden eines achtzigjährigen Greises kaum zu erklären wäre.

Und nun stellen wir zuguterletzt noch die Frage auf: War es denn wirklich nöthig, einen Italiener nach Brügge reisen zu lassen zu einem Zwecke, den er eben so gut im eigenen Vaterlande erreichen konnte? Fanden sich denn nicht um die Mitte des 15. Jahrhunderts vlämische Maler aus der Schule der van Eyck’s in Italien, sowohl in Neapel wie anderswo? Wir wissen ja, daß selbst der berühmte Roger van der Weyden zu jener Zeit mehrere Jahre auf der Halbinsel sich aufhielt. Die Möglichkeit also, daß Antonello das van Eyck’sche Malsystem ebensogut in Italien selbst von irgend einem vlämischen Maler als in Flandern habe erlernen und sich zu eigen machen können, muß, wie ich glaube, zugestanden werden. Mehr verlange ich nicht; die weiteren Schlußfolgerungen überlasse ich der Einsicht meiner freundlichen Leser.

Die mehr als zwanzigjährige Wirksamkeit Antonello’s in Venedig, sowie die hervorragende Stellung, die er dort, zumal als Porträtist, sich zu erwerben gewußt, konnte nicht ohne Einfluß auf sein engeres Vaterland bleiben. Wer die Kirchen Messina’s und der Ortschaften längs der Ostküste Siciliens bis Syracus besucht, wird in mancher derselben noch heutzutage Madonnenbildern, sei es in Farben, sei es in Marmor, begegnen, die ihn ebensowohl an Antonello wie an Giambellino, zuweilen auch an Cima da Conegliano, erinnern, und er dürfte vielleicht bald mit uns die Überzeugung gewinnen, daß von einer naturwüchsigen messinesischen Kunstschule ebenso wenig die Rede sein kann, als von einer Palermitanischen. Die Bilder eines {{SperrSchrift|Pietro von Messina[388], eines Maso, eines Antonello Saliba eines Salvo d’Antonio, des s. g. Francesco Cardillo u. a. m., ebenso wie die Marmorstatuen der Madonna mit dem Christkinde auf den Armen in den Kirchen von Messina, Taormina, Catania, Syracus u. s. w. tragen sammt und sonders das Gepräge der Venezianischen Schule an sich und erlauben uns die Vermuthung, daß alle diese ostsicilianischen Künstler, durch ihren berühmten Landsmann Antonello nach Venedig gezogen, erst da ihre künstlerische Ausbildung, sei es als Maler sei es als Bildhauer, erhalten haben möchten.

Antonello hat jedoch nicht nur auf seine sicilianischen Landsleute großen Einfluß ausgeübt, seine Einwirkung bemerken wir ebenfalls in mehreren Bildnissen von Malern Oberitaliens, so, um einige derselben hier namhaft zu machen, in denen des Jacopo de Barbarj, des Filippo Mazzola, des Andrea Solari (Porträt eines venezianischen Senators in der National-Galerie zu London).

Der Berliner Katalog weist dem Antonello von Messina drei Bilder zu, nämlich: den h. Sebastian (No. 8), Maria mit dem Kinde (No. 13) und das berühmte Bildniß eines jungen Mannes in venezianischer Tracht (No. 18).

Das Bild mit dem h. Sebastian trägt auf der Brüstung die Aufschrift: Antonellus. MESANEVS (sic). Die Mache auf diesem Gemälde ist für Antonello viel zu schwach in der Zeichnung und viel zu roh in der Ausführung; auch zeichnete der Meister seinen Namen stets auf einem Zettel und Messaneus mit zwei s. Ich halte daher diesen h. Sebastian ebenso wie jenen diesem ähnlichen in der städtischen Galerie von Bergamo für Atelierarbeit. Die Aufschrift ist augenscheinlich nach dem Tode Antonello’s auf’s Bild gesetzt.

Das zweite Bild: „Maria mit dem Kinde“ trägt, meiner Ansicht nach, ebenfalls eine falsche Aufschrift und dürfte sehr wahrscheinlich das Werk des Pietro von Messina sein. Die Form der Hand der Maria nähert sich in diesem Bilde mehr als in jenem des Pietro in S. Maria Formosa der Handform des Giambellino, die Form der Beine des Kindes sowie der Kopf der Maria sind hier ebenfalls dem Giambellino nachgebildet, die Form des Ohres mit dem spitzauslaufenden Läppchen jedoch, die steifen reihenweise aufgestellten Bäumchen wie der blaßrothe Horizont scheinen mir mehr auf Pietro wie auf andere Schüler Antonello’s hinzuweisen. Dem sei übrigens, wie ihm wolle, für ein Werk dieses letzteren erscheint mir das Bild jedenfalls viel zu schwach.

Herrlich dagegen ist das dritte Bildchen mit dem Porträt eines jungen Mannes (No. 18). In diesem Gemälde ist der Messinese schon ganz giambellinisch-venezianisch. Die ursprüngliche Jahreszahl 1478 oder 79 wurde von einem Fälscher in 1445 verwandelt, wahrscheinlich in der Absicht, das Bildchen besser mit dem vermeintlichen Geburtsjahr Antonello’s von 1410 in Einklang zu bringen.

Außer diesem kleinen Porträt besitzt, glaube ich, die Berliner Galerie noch ein zweites Bildniß des Antonello da Messina. Es stellt ebenfalls einen jungen Mann dar, trägt die Nummer 25 und wird im Kataloge der venezianischen Schule zugeschrieben, was ich wohl als einen Beweis mehr für meine Thesis nehmen kann, daß nämlich der Sicilianer in Venedig mit der Zeit zum Venezianer geworden ist. Ich setze dieses Gemälde in das Decennium von 1480 zu 1490.

Der federgewandte Kunstschriftsteller Herr A. Michiels[389] citirt ein anderes drittes Porträt von Antonello, das er in der Berliner Galerie entdeckt zu haben behauptet. „C’est l’image de Philipe le Bon. Le style du peintre s’y manifeste au premier coup d’oeuil“ (No. 537). Gegenwärtig hängt zwar unter dieser Nummer noch immer das Porträt von Philipp dem Guten, allein dies Bild gehört augenscheinlich einem Niederländer, und Herr Michiels kann doch unmöglich diesen Meister mit Antonello verwechselt haben. Doch genug von dem Messinesen; fürchte ich doch, durch meine etwas kühne Auffassung dieses vielgepriesenen Meisters und durch den von mir gemachten Versuch, ihm in der Kunstgeschichte eine untergeordnetere Stelle anzuweisen, als die ist, welche er seither in den Augen der Orthodoxen behauptete, gar manchen Collegen verstimmt zu haben. Mögen dieselben mir auch diese Häresie neben den vielen andern nicht übel nehmen; wir leben ja in Zeiten, wo gar manches Princip, das von unsern Vorfahren für heilig und unumstößlich gehalten wurde, entgegengesetzten Ansichten Platz machen mußte!

Damit nehmen wir von Venedig Abschied, um uns aus dem goldenen Dunstkreise der Lagunenstadt in die zwar hellere und trockenere, aber auch farbenkühlere Luft der „terra ferma“ zu begeben. Längs dem Brentaflusse gelangen wir zwischen freundlichen Villen, dem beliebten Aufenthalt der venezianischen Patrizier des 16. Jahrhunderts, nach der alten und weltberühmten Universitätsstadt Padua.

Padovani, gran Dottori. In der That ist von allen Kunstschulen des fruchtreichen Pothales die von Padua unbedingt die gelehrteste. Hier hatte der weitgereiste Paduaner Francesco Squarcione seine berühmte Schule gegründet, in der vornehmlich das Studium der Linienperspektive gepflegt und gefördert wurde. Diesen Studien dürfte indessen auch die Anwesenheit des nicht hinlänglich gewürdigten Florentiners Paolo Uccello neue Anregung gegeben haben[390]. Die Schule des Squarcione genoß zu ihrer Zeit eines solchen Rufes, daß die durchreisenden Fürsten und großen Herren sie mit ihren Besuchen zu beehren pflegten.

Aus dieser Squarcionischen Malerschule besitzt die Berliner Galerie ein Werk des Dalmatiners Gregorio Schiavone[391] und zwei des weitaus größten Vertreters derselben, des Andrea Mantegna[392]. Dem Berliner Katalog zufolge hätte auch der Schwiegervater des letzteren, Jacopo Bellini, auf die Ausbildung Mantegna’s Einfluß gehabt. Es möchte jedoch wohl schwer halten, Beweise anzuführen, die uns zu einer solchen Annahme berechtigten. Ich lasse dagegen gern die Einwirkung gelten, welche die plastischen Werke des Donatello auf den jungen Mantegna ausgeübt haben werden, hatte doch in der That die Mutter Natur ihn mehr zum Bildner als zum Maler geschaffen.

Die zwei Bilder des Mantegna, die sich in den Sälen der Berliner Galerie vorfinden, führen die Nummern 9 und 29.

Das erstere stellt einen Geistlichen in vorgerücktem Alter dar. Diese Büste scheint wie in Erz gegossen, das Auge streng und lebendig, Kinn und Hals meisterhaft modellirt. Sehe ich recht, so muß dies Bildniß etwa um’s Jahr 1460 gemalt worden sein, zu einer Zeit also, als Matteo Bosso, für dessen Porträt mit den Herren Cr. und Cav. der Katalog es erklärt, noch in viel jüngern Jahren stand, als der hier von Mantegna dargestellte Mann zeigt. Es scheint mir daher rathsamer, die ehemalige Katalogangabe festzuhalten, nach welcher auf diesem Bilde der Cardinal-Erzbischof von Florenz, Ludwig von Padua, abgebildet wäre[393].

Die „Darstellung Christi im Tempel“ (No. 29), dies leider verriebene und zum Theil auch durch die Restauration entstellte Temperagemälde, gehört zu den spätern Arbeiten des Meisters (1490–1500). Es ist wie das große Altarbild vom Jahre 1497 im Hause Trivulzio, und, wenn ich mich recht besinne, wie die zwei Bilder des Mantegna in der Sacristei der Kirche S. Andrea zu Mantua[394], a colletta, d. h. ohne Imprimitur gemalt.

In der Sammlung Querini-Stampalia in Venedig befindet sich eine Wiederholung dieses Gegenstandes, auf Holz; im Ganzen acht Figuren[395]. Der Anonymus des Morelli (S. 17) beschreibt wohl dies letztere Bild, und nicht das in der Berliner Galerie, als im Besitze des Pietro Bembo von Padua: el quadro in tavola della N. D. che presenta el puttino alla circoncisione.

Mit Recht nennen die Herren Cr. und Cav. den Mantegna den Luca Signorelli des Nordens (I, 328), oder mit andern Worten den eminentesten Vertreter jener Epoche der Kunstgeschichte in Norditalien, die ich die des Charakters zu nennen pflege. Wenn also Künstler Mittelitaliens, wie Luca Signorelli, Künstlern des Nordens aus der nämlichen Kunstepoche ähnlich sehen, so ist man nicht berechtigt, wie dies bisher geschah, dies Phänomen damit zu erklären, daß der eine von beiden dem andern abgesehen und sich von ihm habe beeinflussen lassen, sondern es hat seinen Grund darin, daß beide Künstler auf derselben Entwicklungsstufe der Kunst stehen, derselben Epoche angehören und demselben Kunstgeschmacke unterthan sind. Von Vasari bis auf unsere Zeit wird jedoch mit der s. g. Beeinflussungstheorie der tollste Unfug getrieben, sodaß einem bei diesem beständigen chassez-croisez, den die Historiographen ihre Künstler machen lassen, förmlich schwindelt. Es wäre daher doch hohe Zeit, daß man von dieser so ganz und gar unhistorischen und dabei auch so einfältigen Sucht abließe. Dadurch würde, zum Theil wenigstens, dem heillosen Wirrwar gesteuert, der durch den Mißbrauch dieser geistreich seinsollenden Spielerei in die italienische Kunstgeschichte eingeführt wurde.

Von einer naturwüchsigen Vicentinischen Malerschule kann gar nicht die Rede sein. Allerdings hat der große Bartolommeo Montagna in Vicenza eine Malerschule gegründet, aus der, nebst dem mehr als Kupferstecher denn als Maler bekannten Benedetto Montagna, auch Giovanni Speranza, ein Nachahmer des Bartolommeo, zum Theil auch Giovanni Bonconsiglio und Francesco da Ponte, Vater des Jacopo Bassano, hervorgegangen sind, allein Bartolommeo Montagna war von Geburt ein Brescianer, und seine künstlerische Erziehung muß er zum großen Theil in Venedig erhalten haben[396]. Daß er in dieser letztern Stadt auch von Vittor Carpaccio Einflüsse in sich aufgenommen habe, scheint mir am deutlichsten aus seinem Bilde vom Jahre 1487 (thronende Madonna mit Heiligen), in der städtischen Galerie von Bergamo, hervorzuleuchten. Als sein bedeutendstes Werk erscheint uns das große Altarbild vom Jahre 1499 (No. 163) in der Breragalerie. Das Bild in der Berliner Galerie (No. 44) stellt eine thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen dar, ist mit dem Namen des Meisters und der Jahreszahl 1500 bezeichnet, also aus der besten Zeit des Malers. – Bartolommeo Montagna wurde in Orzinovi, zwischen Brescia und Crema, geboren. Längs der herrlichen Bergkette, welche das Vicentinergebiet von den Tiroler Alpen trennt, erreichen wir in wenigen Stunden das uralte Verona, die Residenz der Scaliger, die von Shakespeare mehrfach besungene Flußstadt mit ihren hohen Kirchthürmen und schwarzen Cypressen, zwischen denen uns von fern das majestätische Haupt des Monte Baldo entgegenschaut. „Aria di Montebaldo“ bezeichnet auch die ausgelassene Heiterkeit der Veronesen. Keine Malerschule Italiens, die Florentinische ausgenommen, weist uns eine so regelmäßige, ununterbrochene Entwicklung vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, wie die liebenswürdige Schule von Verona. Man besehe sich z. B. einige von den ältesten Fresken in S. Zeno, man betrachte die Bilder des Turoni, die Wandmalereien des Altichiero und des Giacomo Avanzi aus dem vierzehnten Jahrhundert, die Freske des großen Pisanello in S. Anastasia aus der ersten Hälfte des folgenden, die Bilder des Stefano da Zevio, des Liberale, des Domenico Morone und deren Schüler Francesco Morone, Girolamo dai Libri, Michele da Verona, Giolfino, Carotto, Torbido und Cavazzola, und komme sodann von Antonio Badile und Domenico Brusasorci zu Paolo Veronese und dessen Nachfolgern – und man wird stets demselben heitern, liebenswürdigen, anmuthigen Charakter begegnen, welcher aus jedem dieser Werke der veronesischen Malerschule herausschaut. Die Veronesen dringen zwar nicht so tief in das Wesen der Kunst ein, wie die Venezianer, sie sind jedoch, mit wenigen Ausnahmen, anmuthiger und heiterer als diese. Auch gilt noch heutzutage die Bevölkerung der herrlich gelegenen Stadt für das heiterste, lustigste Volk Italiens (Veronesi, mezzo matti[a 49]).

Auch von dieser Schule besitzt die Berliner Galerie einige Repräsentanten, nämlich ein Bild von Francesco Morone und eines von Girolamo dai Libri.

Das Madonnenbildchen des erstern (No. 46), mit dem Namen bezeichnet, hat leider sehr gelitten und ist nicht gerade geeignet, uns von der Bedeutung dieses trefflichen Malers einen richtigen Begriff zu geben. Wir müssen ihn in Verona kennen lernen. Francesco Morone war der Schüler seines Vaters Domenico; von seinen Werken aus der Frühzeit (S. Bernardino in Verona) bis zu seinen spätesten behält er stets den nämlichen Charakter bei. Von einem „Einflusse des Mantegna und des Montagna“ bemerkt man in seinen Bildern, so scheint es mir, auch nicht die leiseste Spur. Die thronende Maria mit dem Kinde, zwei Heiligen und drei singenden Engeln von Girolamo dai Libri (No. 30) hat ebenfalls mehrfachen Schaden gelitten. Die Engel z. B. haben ihren Originalcharakter ganz eingebüßt; die Madonna ist jedoch noch leidlich erhalten und charakteristisch für den Meister. Es ist dies, so viel ich weiß, das einzige Bild dieses Veroneser Malers, das sich in Deutschland befindet. Die schönsten Werke Girolamo’s sind in S. Giorgio, in S. Paolo, in der städtischen Galerie, und eins seiner allerbesten in S. Tommaso zu Verona. Dies letztere herrliche Bild stellt drei Heilige dar[397] und wird an Ort und Stelle irrigerweise dem Carotto zugemuthet. Girolamo dai Libri hat sich doch wohl vorerst unter Liberale, vielleicht auch unter Domenico Morone, und nicht unter dem ja nur um wenige Jahre ältern Francesco Carotto ausgebildet. Die Werke aus seiner Frühzeit (S. Anastasia) erinnern mehr an Liberale als an Mantegna, die spätern an Francesco Morone (S. Giorgio, städtische Galerie).

Der Gardasee und sein Ausfluß, der Mincio, scheiden das Veronesische vom Brescianischen Gebiete und zugleich auch die Malerschule Verona’s von der Brescia’s.

Während ich auf dem linken Ufer des Gardasee’s nur ein einziges Bild aus der Malerschule von Brescia ausfindig machen konnte[398], begegnen uns dagegen auf dem rechten oder Brescianischen Ufer mehrere Werke veronesischer Künstler[399] – eine Thatsache, die, wie mir scheint, für die größere Lebens- und Expansivkraft der Veronesischen gegenüber der Brescianischen Schule spricht. Die Lautsprache der Brescianer ähnelt zwar sehr jener der angrenzenden Provinz Bergamo, ist jedoch weniger hart und rauh, auch ist der Charakter des Volkes lebhafter, offener, prunksüchtiger und großsprecherischer (Bresciani, spaccacantoni[a 50]). Die Brescianer, zwischen den Veronesen und Bergamasken eingekeilt, vereinigen gewissermaßen die mannhafte Energie der letztern mit der größern Lebendigkeit und Geschmeidigkeit der ersteren.

Soweit es uns gegenwärtig möglich ist, die Malerschule Brescia’s zu übersehen, darf man behaupten, daß sie gleich der Bergamaskischen, erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts anfing aufzublühen und den ihr eigenthümlichen, individuellen Charakter zu entfalten. Es ist allerdings wahr, daß schon zur Zeit des Veronesers Altichiero da Zevio, also in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, ein Maler Namens Ottaviano Prandino aus Brescia gelebt und, wenn wir dem Michele Savonarola (de laudibus Patavii) trauen dürfen, in Gemeinschaft Altichiero’s den „Gigantensaal“ im Palazzo del Capitanio von Padua mit Fresken geschmückt hat. Diesen Ottaviano erwähnt ebenfalls der Chronist Elia Capriolo in seinem im Anfange des 16. Jahrhunderts niedergeschriebenen Chronic, de rebus Brixianorum: „Eo tempore haec civitas Octaviano Prandino et Bartholino cognomento Testorino pictoribus floruit, quorum virtuti et muneri in colorandis imaginibus nemo adhuc par usque inventus fuit, quamquam Gentilis pictor Florentinus (da Fabriano) Pandulpho tunc[400] principi sacellum in praesentiarum usque Pandulphi capellam vocitatum et ipse graphice pinxerit.“

Von der Hand dieser zwei von Capriolo in den Himmel erhobenen Maler aus Brescia ist jedoch kein Werk auf uns gekommen, so daß auch kein Urtheil über die Bedeutung derselben uns gestattet ist.

In der Turiner Galerie (im Zimmer des Conservators aufgestellt) wurde mir vor Jahren ein Tafelbild vorgewiesen: thronende Maria mit dem unbekleideten, auf ihren Knieen liegenden Kinde und den HH. Laurentius, Aurelius, Albinus und Amicus; das Bild trug folgende Aufschrift: Paulus Brisiensis pinxit 1458. Mir erschien dieser Paulus als ein unbedeutender, charakterloser, handwerksmäßiger Geselle[401].

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts endlich trat der große, viel zu wenig gewürdigte Vincenzo Foppa in seiner Vaterstadt Brescia[402] auf, und so wurde durch ihn auch in dieser Stadt der Grund zu einer Malerschule gelegt. Foppa nimmt sowohl in der Schule von Brescia als insbesondere auch in der von Mailand[403] dieselbe Stelle ein, welche in Padua und Mantua dem gewaltig Mantegna, dem Liberale in der von Verona, dem Cosimo Tura in der von Ferrara u. s. f. gebührt. Dem Filarete und Girolamo Savonarola zufolge soll er Schüler des Squarcione gewesen sein, doch das wollen wir vorderhand dahingestellt sein lassen.

Aus Foppa’s Schule ging, neben anderen untergeordneteren Malern aus Brescia, Floriano Ferramola hervor, dem vom Schicksal das Glück beschieden war, einen der glänzendsten und liebenswürdigsten Maler Oberitaliens in die Kunst einzuweihen, ich meine den großen Alessandro Bonvicino, Moretto genannt. (Bezeichnete Werke von Ferramola sieht man in der Kirche S. Maria in Lovere (am Iseosee) vom Jahre 1514.) Ferramola starb im Jahre 1528. Die Herren Cr. und Cav. (II, 363) behaupten, Ferramola sei unter dem Einflusse der Schulen von Foppa, von Costa und Francia erzogen worden. Was die Bolognesische Schule des Costa und Francia mit dem Brescianer Ferramola zu thun hat, das mögen freilich außer den berühmten Historiographen nur die Götter wissen.

Der Katalog der Berliner Galerie läßt den Moretto in Rovato auf die Welt kommen und um 1560 sterben, was beides unrichtig ist. Moretto wurde im Jahre 1498 in Brescia geboren und verstarb daselbst Ende des Jahres 1455. (Fenaroli a. a. O. 35 und 57).

Das letzte Datum auf seinen Werken ist das Jahr 1554. Es befindet sich auf dem großen „die Beweinung Christi“ darstellenden Altarbild im Besitze des Herrn Frizzoni-Salis in Bergamo.

Ich will keineswegs in Abrede stellen, daß der vierundzwanzigjährige Moretto an dem von Tizian 1522 für die Kirche von S. Nazzaro e Celso in Brescia gefertigten Polyptichon, „die Auferstehung Christi“, manches studirt und gelernt haben möchte, daß er jedoch, wie die Herren Cr. und Cav. wollen, in seiner guten Zeit den Cadoriner je nachzuahmen gestrebt habe, das vermag ich fürwahr nicht einzusehen[404]. Man betrachte seine Werke vom Jahre 1521 in S. Giovanni Evangelista in Brescia, sein männliches Bildniß vom Jahre 1526 (gegenwärtig in der Nationalgalerie von London), die h. Margarethe vom Jahre 1530 in S. Francesco in Brescia, das andere Bild vom Jahre 1540 in S. Giorgio zu Verona, und man wird hoffentlich mir zugeben, daß in diesen Werken von einem Einfluß Tizian’s auf Moretto im Ernste nicht die Rede sein könne[405], noch viel weniger aber von einer direkten Einwirkung des Palma vecchio auf die Kunst des durchaus originellen Brescianer’s. Es ist dies wieder eine von den vielen ganz aus der Luft gegriffenen Behauptungen, die ihre Entstehung lediglich dem leidigen Beeinflussungssystem der berühmten Historiographen der italienischen Malerei zu verdanken haben. Die stets eleganten Formen des Brescianer’s sind ja so verschieden von den Formen des Bergamasken, auch stehen die tiefen, goldenen Farbentöne dieses letztern im grellsten Widerspruch zu den feinen Silbertönen in den Gemälden des Moretto. Seine Farbenharmonien sind eben so originell als anmuthig, sie entzücken das Auge[406]. Im Gegensatze zu seinem Nebenbuhler, dem Romanino, ist Moretto nur höchst selten nachläßig in seinen Werken, und die für Dorfkirchen bestimmten Bilder wurden von ihm mit derselben Liebe und Sorgfalt behandelt wie diejenigen für die Stadt Moretto hat, man darf wohl sagen, fast ausschließlich für seine Vaterstadt und für die Provinz Brescia gewirkt, auch ist daselbst fast das ganze Werk seines Lebens noch heutzutage zu finden[407]. Deßhalb war er auch außerhalb der Grenzen des Brescianischen Gebietes wenig bekannt. Der Anonymus des Morelli erwähnt ihn mit keiner Silbe, ein deutliches Zeichen, daß Moretto in jener Zeit keinerlei Art Rufes in Venedig genoß. Sein Ruhm datirt, wie auch der seines Schülers G. B. Moroni, erst seit etwa einem halben Jahrhundert. Doch selbst in unserer Zeit ist dieser große Meister weder in Italien noch im Auslande nach seinem vollen Verdienste gewürdigt. Die Galerien von Toscana besitzen kein einziges Werk von ihm[408], Rom nur eins und dazu von seinen schwächsten, ich meine jene ganz übermalte thronende Maria zwischen den HH. Hieronymus und Bartholomaeus in der Galerie des Vaticans[409]. Wünschen daher meine jungen Freunde den edeln, feinen und eleganten Maler näher kennen zu lernen, so lade ich sie ein, einige Tage in Brescia zu verweilen, woselbst ihnen fast in jeder Kirche Moretto mit einem, oft sogar mit etlichen seiner Werke entgegentritt. Das früheste, wenn auch nicht mit dem Namen, so doch mit dem Jahr 1518 bezeichnete Bild des Moretto dürfte wohl der „Kreuztragende Christus mit dem knieenden Stifter“ in der städtischen Galerie von Bergamo (No. 132) sein[410]; an Ort und Stelle schreibt man es zwar noch immer Tizian zu, allein schon die Herren Cr. und Cav. fanden in diesem Bilde sehr richtig den Charakter der Brescianischen Malerschule. Sowohl in diesem Bildchen, wie auch im „Christus am Grabe zwischen den HH. Hieronymus und Dorothea“ in S. M. in Calchera zu Brescia und in mehreren andern Bildchen aus seiner Frühzeit (bei Sir H. Layard in Venedig, Herrn Cereda-Bonomi in Mailand) vermißt man noch jenen herrlichen und für den Meister so charakteristischen Silberton der Farben, durch den seine Werke vom Jahre 1521 an bis ungefähr zum Jahre 1541 sich auszeichnen; später wird seine Farbe schwerer, das Incarnat schwammig und nimmt eine ziegelrothe Farbe an. – Die vorzüglichsten Werke Moretto’s finden sich in den Kirchen von Brescia (S. Nazzaro, S. Clemente, S. Giovanni Evangelista (Chor), S. Eufemia) und im Auslande in der Belvederegalerie zu Wien[411].

Die Handzeichnungen von Moretto sind selten; eine befindet sich in der Sammlung der Akademie von Venedig, mehrere im Vorsaale der städtischen Galerie von Brescia.

Die „Glorie der Maria und Elisabeth“ (No. 197) in der Berliner Galerie ist Mittelgut, giebt jedoch immerhin einen vortheilhaftern Begriff von diesem Meister als sein zweites Bild daselbst, „die Anbetung der Hirten“ (No. 187).

Von Girolamo Romanino, dem Nebenbuhler des Moretto, führt der Katalog der Berliner Galerie drei Bilder an. Wir werden dieselben später betrachten. Zunächst sollen noch einige Berichtungen der im Kataloge über diesen Meister gemachten Notizen hier Platz finden.

Romanino wurde in Brescia und nicht in Romano geboren. Seine Voreltern stammten allerdings aus dem Flecken Romano, auf der Grenze der Provinz Brescia, jedoch noch zum Bergamaskischen Gebiete gehörend. Schon sein Großvater Luchino hieß Romanino. In einem von Grasselli (Abecedario) mitgetheilten Dokument vom Jahre 1517 heißt es: Magistro Hieronimo de Romani filio che fù de maistro Romano da Brexa[412]. – Romanino’s Vater war also ebenfalls Maler und wahrscheinlich der erste Lehrer seiner Söhne, denn Hieronymus hatte zwei Brüder, Antonio und Alessandro (geboren 1490), die auch Maler und vermuthlich seine Gehülfen waren[413]. Stefano Rizzi, den die Localschriftsteller als Lehrer des Romanino anführen, ist ein ganz unbekannter Meister. Ich habe dagegen Grund, die Vermuthung auszusprechen, Romanino möchte in seiner Jugend von Vincenzo Civerchio mehr noch als von Ferramola beeinflußt worden sein[414]. In den Jahren 1509 bis 1513 scheint er sich theils in Padua theils auch in Venedig aufgehalten und gewirkt zu haben; dort nahm er sich den Giorgione zum Vorbild, und in jener Zeit erwarb er sich sein glänzendes, goldenes Colorit. Im Jahre 1514 war Romanino wieder in Brescia; sein herrlichstes Werk, die große Altartafel in der Kirche S. Francesco, datirt, wenn ich nicht irre, aus diesem Jahre. Der schöne Rahmen, in dem das große Bild eingeschlossen ist, von Stefano Lamberti aus Brescia im Jahre 1502 angefertigt[415], hat schon manchen deutschen Schriftsteller zur falschen Ansicht verleitet, das Bild selbst stamme aus dieser Zeit her. Die beste Epoche des Romanino fällt ungefähr zwischen die Jahre 1510 und 1520; in diesem Zeitraum entstanden unter andern seine Bilder für S. Giustani in Padua (gegenwärtig in der städtischen Galerie daselbst), für S. Francesco, S. Maria in Calchera, S. Giovanni Evangelista in Brescia; in diese Zeit fällt ebenfalls das herrliche giorgioneske Porträt eines Cavaliers, einst im Hause der Gräfin Fenaroli und daselbst dem Tizian zugeschrieben[416] In Romanino’s großen Bildern für S. Giustina und S. Francesco ist die für die Brescianische Schule charakteristisch gewordene Farbenharmonie bereits schon gefunden.

Moretto hat dieselbe von 1521 an nur ausgebildet und, wenn man will, verfeinert. Romanino ließ sich in seinen spätern Jahren gehen, ja er konnte zuweilen sogar sehr lüderlich sein, wovon vielfache Proben zu liefern mir nicht schwer fallen könnte[417]. Auch er, wie Moretto, war außerhalb des Bezirkes von Brescia wenig bekannt. Als Frescomaler dürften ihn Wenige übertroffen haben, wovon seine Wandgemälde in der Val Camonica, in Cremona, in Trient (Schloß), in Brescia Zeugniß ablegen. Es geschieht zuweilen, daß Dilettanten den Romanino mit Moretto verwechseln[418].

Die Berliner Galerie besitzt zwei Bilder dieses Meisters, No. 151 und 157. Das erstere, „der todte Christus von den Angehörigen betrauert“, ist ein Werk aus seiner Mittelzeit, nicht sehr korrekt in der Zeichnung, doch voller Bewegung und Leuchtkraft der Farbe; es zierte ehemals die Kirche von S. Faustino in Brescia; das andere, „thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen“, gehört der Frühzeit des Meisters an. Dies Bild kam aus S. Francesco in den Besitz des Grafen Teodoro Lecchi. (S. Fenaroli a. a. O. 213). Wo aber der Einfluß des Palma vecchio in diesem Gemälde sichtbar sei, wüßte ich wahrlich nicht zu sagen. (Siehe Cr. und Cav. II, 370). Palma hat sich, soviel mir bekannt, nie im Brescianischen aufgehalten, sondern verweilte fast ununterbrochen in Venedig, und in den Jahren, als Romanino sich im Paduanischen befand (1510–1513), war Palma noch nicht sehr berühmt, hatte auch noch nicht sein herrliches Kolorit ausgebildet. Beide Maler, sowohl Palma als Romanino, strebten nach demselben Ziele, beide hatten sich nämlich Giorgione zum Vorbilde gewählt, und daher mag es sich vielleicht ereignen, daß wir zuweilen in den Gemälden des einen wie des andern Meisters dieselben Giorgionesken Farbenakkorde finden.

Der Katalog führt noch ein drittes Bild als Werk des Romanino an, nämlich „die Judith“ (No. 155). Die Fleischfarbe dieses Weibes ist jedoch zu kalt, die Zeichnung zu hart, die Ausführung zu kleinlich und ängstlich für den Romanino; auch fehlen hier die für den Meister charakteristischen hängenden Mundwinkel bei den Frauen.

Die Marchela Arconati-Visconti zu Mailand besitzt ein ähnliches Bild; auch dieses galt für ein Werk des Romanino, ehe die Restauration desselben den wahren Namen des Autors an den Tag treten ließ. Die Aufschrift lautet: Fzci CARAVAGIENSIS OPVS, d. h. Werk des Francesco Prato von Caravaggio, Schüler und Nachahmer des Romanino[419].

Derselbe sieht zuweilen seinem Meister sehr ähnlich, ist jedoch nie so geistreich und lebendig in der Auffassung, so breit und frei in der Ausführung; seine Schatten sind rußiger und undurchsichtiger, die Zeichnung zahmer als bei Romanino.

Außer den ebengenannten Meistern von Brescia begegnen wir in diesen Sälen noch einem dritten Brescianischen Maler, dem Giovan Girolamo Savoldo, dem Alters-, vielleicht auch Schulgenossen des Romanino. Im Jahre 1508 verweilte er in Florenz, und wir finden ihn dort als Meister in der Malergilde verzeichnet (Hieronymus de Savoldis de Brixia); sein Aufenthalt daselbst muß jedoch nicht von langer Dauer gewesen sein, da wenigstens die uns bekannten Werke von ihm keinerlei florentinische Einflüsse verrathen. Später setzte er sich in Venedig fest und bildete sich dort an den Werken Giambellino’s (S. Giovan Crisostomo vom Jahre 1513) und Tizian’s aus[420]. Das bedeutendste Werk dieses ziemlich seltenen Meisters besitzt die Galerie der Brera in Mailand (No. 142). Eine Wiederholung der „Venezianerin“ zu Berlin (No. 307), wie sie im Kataloge bezeichnet wird, oder der h. Magdalena, wie man sie früher nannte, befand sich noch vor kurzer Zeit im Hause des Grafen Fenaroli in Brescia, ward aber neuerlich vom Kunsthändler Baslini erworben und sodann nach England verkauft (Nationalgalerie). Carlo Ridolfi (Vite etc., I, 354) citirt solch ein Bild als im Besitze des Hauses Averoldi von Brescia: ed in casa Averolda una figura della Maddalena, involta in drappo col vaso dell’ alabastro, incamminata al sepolcro, celebre pittura, della quale si sono tratte molte copie. Madame Ardier, ambasciatrice francese, aveva una delle Maddalene suddette – – – e in casa Antelmi (von Brescia) vi è un deposto di croce.“ Dieses letztere Bild befand sich im Hause Torre zu Brescia, bevor es in die Galerie von Berlin (No. 307a) gelangte.

Ueber die Schule von Bergamo habe ich Gelegenheit gefunden in den zwei vorangehenden Artikeln, welche den Galerien von München und Dresden gewidmet sind, wenn auch nur flüchtig, doch in der Hauptsache genügend mich auszusprechen; ich erlaube mir daher hier im Vorübergehen nur die Bemerkung zu machen, daß Giovan Battista Moroni, der berühmte Porträtist, schwerlich schon im Jahre 1510, sondern vielmehr um 1525, und auch nicht bei Brescia geboren wurde. Sein Geburtsort Bondo, bei Albino im Seriothal, liegt ungefähr zwei Stunden von Bergamo entfernt. Auch starb er nicht in Brescia, sondern in Bergamo. Aus den vierziger Jahren sind mir keine datirten Werke des Meisters bekannt. Die Bilder aus seiner Frühzeit (1545–1550), wie z. B. das Madonnenbild in der Breragalerie von Mailand (No. 252), (den Donator ausgenommen, eine Kopie nach seinem Lehrer Moretto) haben alle noch eine ziegelröthliche Carnation. Die beste Zeit des Moroni fällt zwischen die Jahre 1556–1565. Das Porträt eines jungen Mannes in der Berliner Galerie, (No. 167) mit dem Jahre 1553, trägt das älteste Datum, das mir von diesem Meister bekannt ist. In diesem Bildniß ist die Form der Hand mit den zugespitzten Fingern noch ziemlich die des Moretto.

Ganz vorzüglich ist auch noch das Bildniß eines Gelehrten (No. 193a). Des männlichen Porträts, das im Katalog die Nummer 188 führt und einem andern trefflichen Porträtmaler aus Bergamo, nämlich dem Giovanni de Busi, Cariani genannt, zugeschrieben wird, konnte ich leider wegen des Umbaues der Säle der Galerie nicht ansichtig werden. Das andere diesem Meister noch im Waagen’schen Katalog zugemuthete Porträt (No. 190) wurde von der neuen Direktion mit größerer Sachkenntniß dem Johannes von Calcar, einem Schüler und Nachahmer Tizian’s, vindicirt. Wer den Cariani kennen zu lernen wünscht, muß diesem Meister in Bergamo und in den Sammlungen in Mailand nachgehen. Nur dort kann man sich mit ihm vertraut machen. In den mir bekannten Galerien Deutschlands bin ich bis jetzt noch keinem Werke Cariani’s begegnet, falls nämlich das Giorgioneske oder besser Palmeske Porträt in der Münchner Galerie nicht ihm, sondern dem Palma vecchio wirklich angehören sollte[421].


Die Lombarden.

Die Adda trennt das Hügelland der Bergamasken von der mailändischen Ebene. In Canonica, dem Grenzort der Provinz Bergamo, klingt noch die bergamaskische Gutturalsprache, jenseits der Addabrücke, in Vaprio, spricht man schon den mailändischen Dialekt, und gerade bis Vaprio erstreckt sich auch die Kunstschule, deren Brennpunkt wir in Mailand zu suchen haben, ich meine die Mailändisch-Lombardische.

Es wäre mein Wunsch gewesen, bei dieser Gelegenheit diese mailändisch-lombardische Malerschule mit ihren drei Verzweigungen, von Lodi, Pavia und Vercelli, etwas eingehender zu besprechen; dieser Aufsatz über die Berliner Galerie ist jedoch, selbst nach dem Dafürhalten meines gütigen Herrn Verlegers, schon zu einer solchen Dicke herangewachsen, daß ich mich leider genöthigt sehe, von meinem Vorhaben abzustehen. Ich werde daher für diesmal mich begnügen müssen, meinen jungen Freunden nur einige flüchtige Bemerkungen über die wenigen in der Berliner Galerie aufgestellten Bilder aus der mailändischen Malerschule mitzutheilen.

Die großen Bauten des Mailänder Domes und der Certosa bei Pavia haben in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vornehmlich der Skulptur einen großen Aufschwung gegeben und die Malerei dabei etwas in den Hintergrund gedrängt; deßhalb treffen wir auch unter der Regierung des Filippo Maria Visconti (1405–1447) nur auf wenige namhafte Maler (Michelino und die Zavattari, den Porträtmaler Zanetto Bugatto, Costantino Zenone da Vaprio, Leonardo Ponzoni neben andern). Francesco Sforza dagegen schien die Maler eben so sehr wie die andern Künstler zu begünstigen, und unter seiner Regierung zeichneten sich namentlich die Maler Bonifacio Bembo, auch Facio da Valdarno genannt, und der Cremonese Cristoforo Moretti aus. Von den Werken dieser beiden Meister sind nur einige Bruchstücke auf uns gekommen[422]. Zu jener Zeit jedoch (1455–1466) machte sich schon der Brescianer Vincenzo Foppa bemerkbar, und diesem kräftigen, ja großen Meister hat Mailand, wo derselbe sich niederließ und auch die größte Zeit seines Lebens wirkte, seine Hauptschule zu verdanken. Aus derselben gingen hervor: Zenale und Buttinone von Treviglio; vielleicht auch Giovanni Donato da Montorfano[423]; Bartolommeo Suardi aus Mailand, später unter Bramante ausgebildet und daher Bramantino genannt; Ambrogio da Fossano, Borgognone genannt; Ambrogio Bevilacqua[424]; Vincenzo Civerchio aus Crema; Macrino aus Alba[425], Bernardino de’ Conti aus Pavia u. a. m.

Die mailändische Malerschule spaltete sich jedoch im letzten Decennium des 15. Jahrhunderts in zwei Branchen, wovon die eine von Lionardo da Vinci direkt abhing, die andere nur indirekte Einflüsse von ihm in sich aufnahm.

Die Malerschule von Lodi ist hauptsächlich durch die Familie Piazza vertreten[426].

Unter den Repräsentanten der Pavesischen Schule finden wir keinen, etwa den Bernardino dei Conti ausgenommen, der sich über die Mittelmäßigkeit erhoben hätte. Lorenzo und Bernardino Fasolo, Pierfrancesco Sacchi und sein schwacher Schüler Cesare Magni[427] sind eben alle nichts als Nachahmer, die zwar die Technik gut erlernt und daher Werke zu Stande brachten, die ihrer lieblichen Farbenharmonie halber immerhin einen angenehmen Eindruck auf’s Auge des Beschauers hervorbringen, die aber Geist und Herz kalt lassen. Zudem besitzen die von ihnen dargestellten Figuren alle mehr oder minder jene leichte Anmuth im Ausdrucke, in Stellung und Bewegung, welche dem Italiener nicht nur in jenen für die Kunst so glücklichen Zeiten eigenthümlich war, sondern die er zum Theil heutzutage noch besitzt, weßhalb auch seine Kunsterzeugnisse, so leer und nichtig dieselben zuweilen auch sein mögen, doch noch immer vortheilhaft von denen anderer Nationen abstechen und beim großen Publikum beliebt sind.

In Vercelli wirkte schon von der Mitte des 15. Jahrhunderts an die dort angesiedelte Malerfamilie der Oldoni[428], wie in Casale die andere ebenfalls mailändische Malerfamilie der Ferrari[429].

Im letzten Decennium des 15. Jahrhunderts muß, täusche ich mich nicht sehr, auch Macrino d’Alba längere Zeit in Vercelli gewirkt haben[430], und dürfte er daher nicht ohne Einfluß auf die erste Entwicklung des Girolamo Giovenone, des Eleazar Oldoni[431] und selbst des Defendente Ferrari aus Chivasso gewesen sein. Zu den unmittelbaren Schülern des Lionardo da Vinci in Mailand, von denen wir beglaubigte Werke besitzen, rechnen wir Giovan Antonio Boltraffio; Marco d’Oggionno; Andrea Sala, Salaïno, d. h. der kleine Sala, genannt; Giovan Antonio Bazzi, in Siena Sodoma genannt; Cesare da Sesto; zu den indirekt von ihm beeinflußten den Mailänder Ambrogio de Predis[432], den Pavesen Bernardino dei Conti, Andrea Solari von Mailand, den s. g. Giampietrino, Bernardino Luini, Gaudenzio Ferrari u. a. m.

Bartolommeo Suardi, Bramantino genannt, bildete sich unter dem großen von 1474 bis 1499 in Mailand wirkenden Donato Bramante weiter aus und gründete ums Jahr 1500 eine eigene Malerschule in Mailand.

Zenale und Buttinone, die Gebrüder Ambrogio und Bernardino Borgognone, A. Bevilacqua[WS 7], Giovanni da Montorfano wie auch Civerchio u. a. m. gingen unberührt ihren Weg in der von Vincenzo Foppa empfangenen Richtung fort, ohne weder von Bramante noch von Lionardo da Vinci Einflüsse in sich aufzunehmen.

Aus dieser letztern specifisch mailändischen Malerschule des 15. Jahrhunderts haben wir bereits in der Galerie von Dresden ein Werk des Ambrogio Bevilacqua (dort Borgognone genannt) gefunden; die Berliner Galerie soll, dem Kataloge zufolge, ein Bild von Zenale und zwei von Ambrogio Borgognone besitzen.

Das von der neuen Direktion mit Sachkenntniß nur dubitative dem Zenale zugeschriebene Werk ist das Madonnenbild No. 90a. Unserer Ansicht nach gehört dies schwache Bild nicht der mailändischen Schule an, sondern ist höchstwahrscheinlich eine alte Kopie oder Nachbildung nach Lorenzo di Credi. Die Herren Cr. und Cav. behaupten zwar, es wäre in der Manier des Zenale gemalt, allein wir erlauben uns die Frage an sie zu stellen, wo denn beglaubigte Werke des Zenale zu sehen sind?

Vasari (VII, 127) sagt: „in Mailand war noch ein Bernardino da Trevio (Treviglio), Ingenieur und Architekt des Domes (von Mailand), und ein vortrefflicher Zeichner, der bei Lionardo da Vinci in Ehren stand, obwohl seine Manier roh und etwas trocken in den Gemälden war.“ Wir hätten somit, nach dem Zeugnisse des Berichterstatters des Vasari, in Zenale mehr den Ingenieur und Architekten als den Maler zu suchen. Gewiß ist es, daß heutzutage von diesem Zenale kein authentisches Bild aufzufinden ist. Die große Altartafel mit dem S. Martinus, hinter dem Hauptaltar der Pfarrkirche von Treviglio aufgestellt, ist zwar ein dokumentirtes Werk des Zenale und des Buttinone (eine Kopie des Originalvertrages findet man im Archive der Kirche von Treviglio), wir wissen jedoch nicht, wie viel in diesem Gemälde dem Zenale, wieviel dem Buttinone angehöre. Selbst die Herren Cr. und Cav. müssen bekennen, daß es schwer sei, die Figuren, die hier von Zenale ausgeführt sind, von denen zu unterscheiden, welche seinem Arbeitsgenossen Buttinone ihr Dasein verdanken. Dasselbe gilt auch für das fast ausgelöschte Wandgemälde der beiden Meister in der Kapelle Griffi, in der Kirche S. Pietro in Gessate zu Mailand; beim Anblick dieser Fresken treten uns die nämlichen Schwierigkeiten entgegen. Nichtsdestoweniger und uneingedenk des früher gemachten Geständnisses wollen die berühmten Historiographen in jenen kaum sichtbaren Malereien die Manier des einen Malers von der des andern unterscheiden, indem sie in der Arbeit des Buttinone den Charakter der paduanischen Schule, abgeleitet, sei es von den Mantegnesken, sei es von Carlo Crevelli(!), erkennen, in der Arbeit des Zenale aber mehr Anmuth der Form, abgeleitet von Lionardo da Vinci, wahrnehmen wollen. Auf die paduanische oder Squarcioneske Abstammung des Buttinone möchte wohl mehr als die Betrachtung dieser Freskenmalerei die Erinnerung an das Bild des Buttinone in der Galerie Borromeo auf der Isola Bella die Herren Historiographen geführt haben. Jenes Bildchen nämlich, das die thronende Madonna mit dem Kinde, im Beisein der hh. Johannes des Täufers und der Justina (die bevorzugte Heilige der Paduaner), darstellt, sieht allerdings sehr Sqarcionesk aus. Es trägt in Goldbuchstaben die Aufschrift: Bernardinus Bettinonus (sic) de Trivilio. Auf einem unten angebrachten Wappen liest man den im 15. Jahrhundert von den Borromeo angenommenen Wahlspruch: „humilitas.“ Meiner Ansicht nach hat nun dies Bildchen gar nichts mit den oben angeführten beglaubigten Werken des Buttinone und Zenale in Treviglio und in S. Pietro in Gessate zu thun, entspricht dagegen auf’s Haar, sowohl im Typus der Figuren wie auch in der Technik, den sonstigen Werken des Gregorio Schiavone aus Dalmatien, für dessen Arbeit ich es auch erkläre. Gregorio mag das Bildchen für die in Padua ansäßige Familie der Borromeo (Seitenlinie) gefertigt haben. Die Aufschrift ist augenscheinlich eine Fälschung.

Die Herren Cr. und Cav. führen ferner noch als Werk des Buttinone das männliche Porträt im Hause Borromeo zu Mailand an[433]. Hier wurde auf dem unten angebrachten länglichen Cartellino oder Zettel (ganz in der Form der Cartellini auf den echten Bildern des Antonello da Messina) der darauf bezeichnete Name des Autors ausgelöscht und der des Lionardo substituirt. Die Mache dieses Gemäldes spricht für einen Nachahmer des Antonello, und selbst der grüne Grund des Bildes deutet auf Filippo Mazzola hin, dem ich dies Porträt ohne Zaudern zuschreiben zu dürfen glaube. Man vergleiche dasselbe mit den andern Porträts des Mazzola, z. B. mit dem in der Breragalerie oder mit einem andern männlichen Bildnisse in der Berliner Galerie (No. 225, hier dem Boltraffio zugemuthet), und ich hoffe, man wird nicht umhin können, meiner Ansicht beizutreten.

Ein echtes, mit dem Namen bezeichnetes Werk des Bernardino Buttinone besitzt jedoch seit kurzer Zeit die Breragalerie von Mailand. Dasselbe stammt aus dem Hause Castelbarco und stellt im Mittelbilde die thronende Maria dar mit dem auf ihrem rechten Knie aufrechtstehenden Christkinde; links vom Throne ein nach der Maria gewendeter Engel (sehr an die Manier des Bramantino erinnernd); auf dem rechten Flügel des Triptychon’s steht der h. Bernardinus, auf dem linken der h. Leonardus. Die Aufschrift lautet:
Bernardinus . Bu . . . . . . . .
de Trivilio 1484(?)
In dieser Arbeit erscheint mir Buttinone als Schüler Foppa’s und als ein sehr mittelmäßiger Meister[434]. Doch genug von ihm; verweilen wir noch kurz bei seinem Ateliergenossen, dem Zenale.

Die Herren Cr. und Cav. schreiben diesem letztern die unter sich verschiedensten Werke zu, so z. B., wie wir bereits gesehen, in der Brera das große Poliptychon (einst in S. Maria delle Grazie zu Bergamo) des Vincenzo Foppa[435], ferner die Altartafel, die einst unter dem Namen des Lionardo da Vinci in der Kirche von S. Ambrogio ad nemus in Mailand aufgestellt war und erst, als sie in die Breragalerie versetzt wurde, ganz willkürlich dem Zenale zugemuthet ward, seither jedoch als Hauptwerk des Zenale von Jung und Alt angesehen wird. Wir werden später auf dieses Bild noch zu sprechen kommen. Ferner citiren sie als Bild des Zenale die kleine Madonna mit dem säugenden Kinde, Bernar . . Zinalia bezeichnet, in der städtischen Galerie von Bergamo (Abtheilung Lochis, No. 148). Für jeden auch nur einigermaßen mit den lombardischen Schulen vertrauten Kunstfreund ist jedoch dies eine untrügliche Arbeit des Ambrogio Borgognone und die Aufschrift auf dem Bilde nichts als eine grobe Betrügerei.

Die von Lomazzo angeführten „Darstellungen aus dem Leben der h. Magdalena“ in der Karmeliterkirche von Mailand (Trattato della Pittura, II, 47) sowie die andern im Kloster von S. Maria delle Grazie, in der Kapelle der hh. Petrus und Paulus in S. Francesco u. s. w., sowie die Werke Zenale’s in Brescia sind alle zu Grunde gegangen, so daß wir über die Bedeutung dieses Meisters als Maler durchaus im Dunkeln bleiben. Lomazzo rühmt den Zenale hauptsächlich seiner „Verkürzungen“ halber.

Ambrogio da Fossano, genannt Borgognone, dürfte zwischen den Jahren 1450 und 1460 geboren sein, und zwar nicht zu Fossano, sondern in Mailand. Die Familie Fossano oder Fossani bestand noch in neueren Zeiten in der Lombardei. Der Großvater oder Urgroßvater des Ambrogio mag wohl vom piemontesischen Flecken Fossano nach Mailand übergesiedelt sein[436]; einer seiner Vorfahren wird wahrscheinlich längere Zeit in Flandern (damals von den Italienern Borgogna genannt) sich aufgehalten und daher den Zunamen Borgognone erhalten haben[437]. Ambrogio starb, wahrscheinlich an der Pest, im Jahre 1523 in Mailand. Er hatte einen etwas jüngern Bruder, Bernardino, ebenfalls Maler. Von diesem letztern besitzt Herr Enrico Andreossi (Via Clerici No. 2) zu Mailand ein mit dem Namen und dem Jahre 1523 bezeichnetes Bild, welches den h. Rochus darstellt. Ambrogio Borgognone, welcher in der mailändischen Malerschule dieselbe Stelle vertritt, wie P. Perugino in der von Perugia, Lorenzo Costa und Francia in der Bolognesischen, Panetti in der Ferraresischen, Francesco Morone in der von Verona, war, meiner Ansicht nach, Schüler des Vincenzo Foppa des ältern und der eigentliche Lehrer des Bernardino Luini, des Raffael’s dieser mailändischen Schule. Von Lionardo da Vinci ist Borgognone sicherlich nicht beeinflußt worden, und noch viel weniger von Bernardino Zenale, wie Girolamo Calvi aufs geradewohl hin angiebt. In allen seinen Werken bleibt er stets durch und durch Lombarde[438]. Das erste Werk, das er für die Certosa bei Pavia fertigte, wurde von ihm im Jahre 1488–89 gemalt; die Zeichnungen zu den Stühlen und der Thüre des Chores daselbst, welche der Mantuaner Bartolommeo de Polli ausarbeitete, datiren vom Jahre 1490[439]. Die Herren Cr. und Cav. lassen diesen Bartolommeo von Pola(!) abstammen und setzen seine Arbeit in’s Jahr 1486. Das oft citirte Altarbild in der Dorfkirche von Cremeno (Valsassina) ist das Werk eines charakterlosen Lombarden und gehört in keinem Falle dem Borgognone an.

Die „thronende Maria mit dem Kinde“ (No. 51) in der Berliner Galerie gehört in die Frühzeit des Meisters (1490–1500).

Bilder aus derselben Epoche: in der Incoronata von Lodi, in der Certosa bei Pavia, in Arona, in der Ambrosiana, im Hause Borromeo zu Mailand und anderswo.

Die andere „thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen“ (No. 52) muß in eine spätere Zeit (1505–1510) versetzt werden. (Hauptbild aus dieser Epoche (1508) in S. Spirito zu Bergamo). Die Erscheinung des h. Ambrosius im Hintergrund ist eine Hindeutung auf den durch Vermittlung dieses Heiligen bei Parabiago von den Mailändern unter Führung des Azzone Visconti im Jahre 1336 erfochtenen Sieg. Dies Bild dürfte daher wahrscheinlich für irgend ein Mitglied der Familie Visconti gemalt worden sein.

Wir kommen nun zu Bernardino dei Conti, von welchem seltenen und gewiß nicht unbedeutenden Meister die Berliner Galerie das einzige mit dem Namen und dem Jahre bezeichnete Bild zu besitzen sich rühmen darf.

Kein Kunstschriftsteller, den so wenig zuverläßigen Lomazzo und nach ihm Orlandi allein ausgenommen, berichtet uns über diesen Meister. Derselbe soll ein Pavese gewesen sein, und als solcher dürfte er seine erste künstlerische Erziehung dem Vincenzo Foppa verdanken, der öfters wie wir wissen, in der Vaterstadt seiner Gemahlin weilte und wirkte. Später jedoch muß Conti sich in Mailand niedergelassen und dort mannigfache Einflüsse auch von Lionardo da Vinci in sich aufgenommen haben.

Die Herren Cr. und Cav. (II, 67) speisen diesen lombardischen Maler kurz ab, indem sie ihn ohne weiteres als einen Schüler des Zenale uns vorstellen und sodann einige wenige Werke von ihm anführen, nämlich das bezeichnete Porträt eines Prälaten in der Berliner Galerie, vom Jahre 1499 (No. 55); eine das Kind säugende Maria in der Schleißheimer Sammlung; eine Wiederholung davon in der städtischen Galerie von Bergamo, eine „Vermählung der h. Katharina“ ebendaselbst, und endlich ein Madonnenbild in der Sammlung Poldi-Pezzoli zu Mailand.

Das Madonnenbild in Schleißheim habe ich leider nicht gesehen, kann also kein Urtheil darüber abgeben. Die zwei Bilder (No. 126 und 254) in der städtischen Galerie von Bergamo sind jedoch wohl nur als Atelierwerke zu betrachten, die italienische Aufschrift mit dem Jahre 1501 auf dem einen derselben (No. 126) ist nicht von Bernardino selbst darauf gesetzt.

Echt jedoch und gut erhalten, wenn auch nicht eins seiner bessern Werke, scheint mir die Madonna mit dem säugenden Kinde in der Sammlung Poldi-Pezzoli (No. 59) zu sein[440]. Ist nun dies Bild wirklich die Arbeit des Bernardino dei Conti, wie ich glaube, so gehört auch ihm, und keineswegs dem Zenale, die thronende Maria mit dem segnenden Kinde und den vier Kirchenvätern nebst der unter dem Throne knieenden Familie des Lodovico il Moro in der Breragalerie (No. 449).

Demselben Meister würde ich ebenfalls das reizende Bildchen, die das Kind stillende Maria darstellend, einst im Hause Litta zu Mailand, gegenwärtig in der Galerie de l’Ermitage zu Petersburg, zuschreiben, und dieses müßte als sein bestes uns bekanntes Werk gelten. In allen den eben angeführten Bildern finden wir dieselbe etwas ungeschlachte Handbildung (ähnlich wie die Hand bei Antonio del Pollajuolo geformt) mit den kurzabgeschnittenen Nägeln, dieselbe Modellirung des Christkindes, dieselben grauen Fleischtöne.

Ich erinnere mich, dereinst im Hause Castelbarco das fast lebensgroße Porträt einer vornehmen, etwas wohlbeleibten Frau gesehen zu haben, das dort Lionardo da Vinci zugeschrieben wurde, jedoch augenscheinlich unserm Bernardino de’ Conti angehören mußte. Dies Porträt soll sich gegenwärtig in London befinden.

Ein anderes gutes Bildniß eines jungen Mannes mit ausgestreckter Hand kam aus dem Hause Archinto von Mailand ebenfalls nach England, und auch dieses Bildniß muß demselben Meister zugeschrieben werden, dem die große thronende Maria mit der Familie Sforza in der Breragalerie (No. 449) ihre Entstehung zu verdanken hat.

Das s. g. Selbstbildniß des Lucas von Leyden in der Uffizigalerie zu Florenz (No. 444) scheint ebenfalls nichts anders als eine alte Kopie nach einem Bildnisse des Bernardino de’ Conti zu sein, vorausgesetzt, daß der Autor der soeben angeführten Gruppe von Bildern wirklich Bernardino de’ Conti sein sollte. Ich hätte noch etliche andere Bilder zu nennen, die den nämlichen Ursprung wie die eben bezeichneten verrathen, muß mich jedoch begnügen, hier nur noch einige Handzeichnungen zu erwähnen, welche demselben Meister angehören, die aber unter dem Namen des Lionardo da Vinci den Kunstfreunden vorgestellt zu werden pflegen.

Eine solche findet man in der Sammlung des British Museums in London (Schwarzkreide und Gyps); auf derselben sehen wir Maria mit dem unbekleideten, auf ihrem rechten Knie stehenden und segnenden Christuskinde dargestellt. Die aufgelösten Haare der Madonna reichen ihr bis auf die Schultern, die Form des Ohres entspricht auch hier durchaus derjenigen im Profilporträt des kleinen Maximilian Sforza auf dem Bilde No. 449 der Breragalerie und ist sehr verschieden von der Ohrform bei Lionardo da Vinci; auch gehen die Striche von rechts nach links und nicht, wie es bei Lionardo fast immer der Fall ist, von links nach rechts. Diese gute Zeichnung wurde von Braun unter dem Namen des Lionardo photographirt (No. 45).

Ein weiteres Beispiel solcher Zeichnungen dieses von mir vermutheten Bernardino dei Conti, welche als Lionardo da Vinci in den öffentlichen Sammlungen aufgestellt sind, besitzt die Ambrosiana im punktirten Profilporträt des Massimiliano Sforza (von Marville photographirt, No. 127); es ist dies eine Studie zum Brerabilde No. 449 nach dem Leben. Die Herren Cr. und Cav. schreiben zwar, der Menge folgend, auch diese Zeichnung dem Lionardo zu[441], was mir ein weiterer Beweis zu sein scheint, daß die berühmten Historiographen auch mit Lionardo da Vinci nicht besser vertraut sind, als die Mehrzahl jener Kunstschriftsteller, die sich über diesen großen Künstler haben vernehmen lassen.

Der Umbau der Galerie verhinderte mich leider am Eintritt in jene Säle, in denen die Bilder aus der lombardisch-mailändischen Schule hingen; ich sehe mich daher genöthigt, für diesmal wenigstens, unter den im Katalog angeführten Werken der speciellen Schüler Lionardo’s nur über die wenigen derselben, die in den dem Publikum zugänglichen Räumen aufgestellt waren, hier zuletzt einige flüchtige Bemerkungen anzureihen. Dem Katalog nach gehören diese Bilder dem Boltraffio, dem Balthasar Peruzzi und endlich dem Francesco Melzi an.

Die edle, wahrhaft monumentale Gestalt der h. Barbara des Boltraffio oder Beltrafio (No. 207), die Ende des vorigen Jahrhunderts noch in der Sakristei von S. Satiro in Mailand sich befand, gehört zu der kleinen Zahl der Werke von größerem Format, die von diesem feinen Meister uns erhalten sind; die Mehrzahl der Boltraffischen Bilder scheint nämlich für’s Haus bestimmt gewesen zu sein, und so haben sie nur kleine, viele derselben sogar sehr kleine Dimensionen[442]. Von diesen letztern befindet sich etwa ein halbes Dutzend in Mailand im Privatbesitze[443], zwei davon in Bergamo[444], und etwa ein anderes halbes Dutzend in England. In deutlichen und österreichischen Gemäldesammlungen sind mir, mit Ausnahme der h. Barbara in Berlin nur noch zwei Bilder des Boltraffio bekannt. Das eine davon ist das reizende Madonnenbild in der städtischen Galerie von Pest (No. 175); das andere sah ich im Jahre 1869 bei der öffentlichen Gemäldeausstellung in München, unter dem falschen Namen des Francesco Melzi. Es stellte die Madonna, von vorn gesehen, dar, wie sie dem vor ihr auf einer Brüstung stehenden und sich vorneigenden unbekleideten Christuskinde einige Blümchen darreicht. Grund dunkel. Das Bild ist in Privatbesitz und mißt ungefähr 1,5 Fuß in der Höhe und 4,5 Fuß in der Breite; leider war es durch Restaurationen beschädigt.

Die Grabschrift des Boltraffio lautet:

IO. ANTONIO BELTRAFIO ET
CONSILII ET MORVM GRAVITATE
SVIS CIVIBVS GRATISS. PROPINQVORES
AMICI DESIDERIO AEGRE TEMPERANTIS
p. VIXIT ANN. 49.
PICTVRAE AD QVEM PVERVM SORS
DETVLERAT STVDIA INTER SERIA NON
ABSTINVIT NEC SI QVID EFFINXIT
ANIMASSE OPVS MINVSQVAM SIMVLASSE
VISVS EST.

Aus dieser Grabschrift erhellt, daß Boltraffio sich erst spät mit vollem Ernste der Kunst widmete. In der That finden wir ihn 1490, also bereits in seinem dreiundzwanzigsten Jahre, noch immer als Kostgänger des Lionardo. Boltraffio gehörte einem adeligen Geschlechte von Mailand an und bekleidete in späteren Jahren auch öffentliche Stellungen in seiner Vaterstadt. Er darf zwar nicht als Maler von Profession, noch weniger aber als bloßer Dilettant betrachtet werden. Seine Bilder sind alle mit dem größten Fleiße, mit der liebevollsten Sorgfalt ausgeführt, und soweit es ihm seine Kräfte immer gestatteten, trachtete er in denselben sich seinem großen Lehrer möglichst zu nähern. Die menschliche Gestalt in größern Verhältnissen sowie den Menschen in seinen Leidenschaften darzustellen war nicht seine Sache; besser gelang es ihm dagegen, die naive Unschuld in den Kindern, die milde Anmuth in der Mutter Gottes zum Ausdruck zu bringen. Seine Bildnisse sind alle edel aufgefaßt und trefflich modellirt.

Ueber das im Berliner Katalog ihm zugemuthete männliche Porträt (No. 225) habe ich meine Ansicht bereits ausgesprochen, indem ich der verehrlichen Direktion den Vorschlag machte, dasselbe vielmehr dem Filippo Mazzola zuschreiben zu wollen[445].

Nebst der h. Barbara des Boltraffio und dem Bilde mit dem „Vertumnus und der Pomona“ des Melzi zog ein drittes Bildchen aus dieser Lionardischen Schule meine Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich; ich meine die liebliche Gestalt der „Caritas“ (No. 109), die zwar im Katalog als Werk des B. Peruzzi aufgeführt wird, jedoch meiner modificirten Ansicht nach wohl eher dem Sodoma angehören dürfte. Giovan Antonio Bazzi, denn dies war der wahre Name des Sodoma, lernte allerdings die Anfangsgründe seiner Kunst beim Glasmaler Martino Spanzotti in Vercelli, zum Künstler jedoch reifte er erst in den zwei in Mailand, in der Nähe Lionardo’s, verlebten Jahren 1498–1500. Deßhalb muß Sodoma zur mailändisch-lombardischen Schule gerechnet werden. Ja, ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich behaupte, daß die Mehrzahl der bessern, in Privatsammlungen dem Lionardo zugemutheten Werke von Giovan Antonio Bazzi herrühren. So wurde noch vor wenigen Jahren die herrliche Leda (1. Saal der Borghesegalerie) dem Vinci selbst zugerechnet und erst in neuerer Zeit in die Lionardische Schule verwiesen; so trägt noch immer ein kleines, stark nachgedunkeltes Madonnenbildchen in der Stadtgalerie von Bergamo (Abtheilung Lochis, No. 207) den Namen des Lionardo, während dasselbe für jeden Kenner als Werk des Sodoma sich erweisen muß; so noch etliche Madonnenbilder in Privatsammlungen sowohl in Italien als in England.[446]. Der junge Bazzi scheint jedoch in Mailand den Lionardo nicht nur in der Kunst, sondern selbst in der äußern Erscheinung und in seinen Liebhabereien sich zum Vorbild genommen zu haben. Den Cavalier hat er sein ganzes Leben durch gern gespielt, und gleich Lionardo hielt er sich stets Reitpferde im Stalle und allerlei curioses Gethier im Hause. (Siehe Vasari).

Wird nun, wie wir eben gesehen, gar manches seiner Werke dem Vinci zugemuthet, so galt andererseits vor gar nicht langer Zeit noch die schöne Röthelzeichnung zu seiner „Hochzeit Alexanders mit Roxane“, in der Albertina , bei Alt und Jung, ja selbst beim Raffaelisten Passavant, für eine ganz vorzügliche Zeichnung des Raffael von Urbino[447].

In derselben Albertina wurde vor Jahren das schöne, lebensgroße, mit Schwarzkreide gezeichnete Bildniß eines jungen Mannes, mit langen Haaren und schwarzer Mütze, von vorn gesehen, ebenfalls Raffael zugeschrieben, bis der Kennerblick des Herrn Direktor Moritz Thausing es dem Sodoma, seinem wahren Autor, zurückerstattete.

In der Gemäldesammlung des Städel’schen Instituts zu Frankfurt geht dann wieder ein treffliches, wiewohl etwas übermaltes Frauenbildniß (No. 22) des Sodoma unter dem Namen des Fra Sebastiano del Piombo[448].

Bei dieser Gelegenheit können wir nicht umhin zu bemerken, daß die prachtvolle Deckendekoration der s. g. Camera della Segnatura im Vatican selbst von Raffael für so trefflich befunden wurde, daß er dieselbe nicht nur stehen ließ, sondern selbst seine Achtung vor dem Sodoma damit bezeugen wollte, daß er dessen Porträt neben dem eigenen und jenem seines literarischen Rathgebers, des Grafen Castiglione, in der Scuola d’Atene anbrachte[449].

Ich habe vor Jahren, mein Urtheil auf eine Photographie basirend, die „Caritas“ in der Berliner Galerie auch dem Balthasar Peruzzi zugeschrieben, bin aber später, vor dem Bilde selbst, von jenem voreiligen Urtheil zurückgekommen, indem ich mich bald überzeugen mußte, daß diese anmuthige „Caritas“ (No. 109) vielmehr das Werk des Sodoma selbst und nicht das seines Nachahmers Peruzzi ist. Es scheint mir nämlich, daß sowohl die Form der Hand bei der Caritas wie der Kopftypus der übrigens durch die Restauration entstellten Putti und desgleichen der landschaftliche Grund durchaus die Art und Weise des Bazzi bekunden[450].

Balthasar Peruzzi, von dem, soviel ich weiß, in deutschen Gemäldesammlungen keine Werke zu sehen sind, war bekanntlich in der Malerei längere Zeit Nachahmer des Sodoma, wie dies Jedem nicht nur in seinem schönen Wandgemälde in der Kapelle Ponzetti in S. Maria della Pace, sondern ebenfalls in seinem Tafelbilde, „den Raub der Sabinerinnen“ darstellend, im Palazzo Chigi in Rom, in die Augen springt. Später jedoch ließ er sich auch von Raffael beeinflussen[451].

Herr Albert Jansen (Leben und Werke des Malers G. A. Bazzi, 1870) bemerkt sehr richtig: „Sodoma war ein glühendes, tiefempfindendes Dichtergemüth, ein schöpferisches, begabtes Talent, aber ohne Anlage zu strenger, ernster Arbeit. Nie hat ein Mensch seinen Launen größer Freiheit gelassen und genommen, nie ein Künstler unbefangener seinem Genius gelebt. Er kümmerte sich wenig um andere, aber die andern noch weniger um ihn. Sodoma wirkte deßhalb nicht, wie er wirken konnte, und galt deßhalb nicht, was er werth war.“

Nach diesen wenigen Bemerkungen über Boltraffio und Giovan Antonio Bazzi mögen meine Leser mir erlauben, einen Moment noch bei dem Bilde „Vertumnus und Pomona“ zu verweilen, da dasselbe seit langer Zeit schon einem Meister zugemuthet wird, von dem kein einziges beglaubigtes Werk bis auf uns gekommen ist; ich meine den Francesco Melzi. Bei Nennung dieses Namens möchte ich vor allem die Präliminarfrage aufwerfen: hat es denn im eigentlichen Sinne des Wortes je einen Maler Melzi gegeben? Trotz aller Nachforschungen ist es mir wenigstens nicht gelungen, ein authentisches Bild dieses Freundes, zum Theil auch Zöglings des Lionardo da Vinci, ausfindig zu machen. Auch Vasari erwähnt mit keiner Silbe einen Malers dieses Namens, wohl aber sagt er im Leben des Lionardo: „von diesen anatomischen Zeichnungen Lionardo’s befindet sich der größte Theil im Besitze des Herrn Francesco von Melzo, eines mailändischen Edelmannes, der zur Zeit Lionardo’s ein sehr schöner Knabe war und Lionardo’s ganze Liebe genoß, so wie er heutzutage (im Jahre 1566) ein sehr schöner und liebenswürdiger Greis ist, der diese Zeichnungen und sonstigen Papiere Lionardo’s als Reliquien aufbewahrt u. s. w.“

In Vasari’s Worten finden wir also nicht die leiseste Anspielung auf das Malertalent des Melzi. Ein Jahrzehnt später ungefähr veröffentlichte der schwülstige Lomazzo seinen „Trattato della Pittura“, worin er den Melzi als „grandissimo miniatore“ qualifizirt[452]. Nun weiß aber Jeder, dem die Kulturgeschichte Italiens auch nur oberflächlich bekannt ist, daß zu jener Zeit das Zeichnen Erziehung und Bildung eines vollkommenen Edelmannes gehörte[453]. Andrerseits veröffentlichte vor Jahren der Marchese Campori von Modena einen Brief des ferraresischen Gesandten in Mailand Bendedei an seinen Herrn, den Herzog Alfonso d’Este in Ferrara, aus dem der Schluß gezogen werden könnte, Melzi sei wirklich Maler gewesen. Der Brief ist vom Jahre 1523 und lautet: „Et perché ho fatto mentione de la casa de Melzi, aviso a V. Ex. che un fratello di questo che ha gostrato (d. h. giostrato, im Turnier gefochten) fù creato (Zögling) de Lionardo da Vinci, et herede et ha molti de’ suoi secreti, et tutte le sue opinioni, et dipinge molto ben, per quanto intendo (d. h. wie ich höre) et nel suo ragionare mostra d’avere iuditio et è gentilissimo giovane. L’ho pregato assai volte che el venghi a Ferrara promettendogli che V. S. il vedrà con buona ciera, et dopo ch’io son venuto l’ho replicato ad un suo Barba (Onkel), gentilhomo molto da ben et honorato, ch’è a lui non ho potuto dirlo, perchè stà in Villa per la febbre quartana. Se piacerà a V. Ex. ne farò ancora maggiore istantia. Credo ch’egli habbia quelli libriccini de Lionardo de la Notomia, et de molte altre belle cose.“ – –

Di Milano 6 de       Di V. Illma et
Marzo 1523. Exma Sa Servo[a 58] Alberto Bendedei.

Bin ich nicht in einer vorgefaßten Meinung befangen, so geht selbst aus diesem synchronischen Briefe deutlich hervor, daß Melzi zwar gemalt habe, jedoch nur als Dilettant. Aus dem Miniaturmaler des Lomazzo und dem Dilettanten des Bendedei entstand nun später der Maler Francesco Melzi, der natürlich als Edelmann noch obendrein als der vorzüglichste unter den Schülern Lionardo’s uns vogestellt werden mußte. Endlich kamen die Sammler, die nach den Werken dieses seltenen Malers fahndeten, und bald darauf erschienen, wie das in der Sache selbst liegt, auch die Fälscher, die unter irgend ein beliebiges Bild der mailändisch-lombardischen Schule aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Namen des Melzi setzten. Solcher Fälschungen sind mir etliche zu Gesicht gekommen, ja eine davon, vielleicht die plumpste, befindet sich selbst im Hause des Herzogs Lodovico Melzi d’Eril zu Mailand. Es ist dies das Porträt, Brustbild, eines jungen Mannes mit einem Papagei in der rechten Hand und mit der Aufschrift: FR. MELZIVS; ein gar einfältiges Machwerk irgend eines Florentiners aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Von hohem Interesse dagegen für die Lösung unserer Frage dürfte eine kleine Röthelzeichnung sein, die in der Ambrosiana zu Mailand unter den Handzeichnungen des Lionardo aufgestellt ist. Wir sehen auf derselben den Kahlkopf eines ältern Mannes im Profil dargestellt und lesen oben auf dem Blatte: 1510 a di 14 Augusto, cavata de relevo, folglich nach einer Büste kopirt, ein Beweis, daß Melzi damals noch nicht nach der Natur zeichnete und somit noch Anfänger war. Unten auf dem Blatte steht: Francescho da Melzo de anni 17 (Melzi wäre somit im Jahre 1493 geboren).

Dieser Kopf ist durchaus Lionardisch, sowohl dem Charakter als auch der Formbildung des Ohres nach. Es scheint daher wahrscheinlich, daß der siebzehnjährige Melzi diesen Kopf etwa nach einem in Wachs formirten Modell des Lionardo kopirt habe, worauf das „per cavata de rilievodeuten dürfte. Auch weist die angebrachte Correktur in der Ohrstellung und in den Kontouren darauf hin, daß der Lehrer Lionardo dabei seine Hand im Spiele gehabt haben möchte. Die Schrift auf dem Blatte trägt den Charakter der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts[454].

Das Bild mit dem Vertumnus und der Pomona in der Berliner Galerie (No. 222) hat, so scheint es mir, nicht den Charakter eines Werkes eines bloßen Dilettanten, sondern stellt sich uns vielmehr als die Arbeit eines Malers von Profession dar. Sowohl A. J. Rio (a. a. O. 200) als auch Herr Direktor Julius Meyer behaupten, die Originalzeichnung zu diesem Gemälde befände sich in der Sammlung zu Windsor. Ich habe danach gesucht, es ist mir indeß leider nicht geglückt, dieselbe dort ausfindig zu machen. Welchem Schüler oder Nachahmer des Lionardo sollen wir nun diesen „Vertumnus und Pomona“ zuschreiben, falls wir den Francesco Melzi nicht als den Autor des Bildes anerkennen wollen? Auf diese Frage bin ich leider nicht im Stande, eine irgend zuverläßige Antwort zu geben.

Die Bilder des Bernardino Luini und des Gaudenzio Ferrari, die in der Berliner Galerie sich vorfinden, waren in jenen Tagen dem Publikum unzugänglich; ich werde deßhalb mich darauf beschränken, nur einige Zusätze den im Katalog mitgetheilten Lebensnachrichten dieser zwei Hauptvertreter der lombardisch-mailändischen Malerschule hier zuzufügen.

Dem Argellati zufolge (Script. Mediol. II, 816) war Bernardino der Sohn des Giovanni Lutero von Luino, einem Flecken am Lago maggiore. Ueber das Jahr seiner Geburt sind wir noch immer im Dunkeln; doch würde ich dieselbe jedenfalls statt in’s Jahr 1470, wie man gewöhnlich annimmt, in den Zeitraum zwischen 1475 und 1480 setzen. Auch machen, wie mir scheint, sowohl Herr Direktor Meyer als auch die Herren Cr. und Cav. (II, 43) mit Unrecht den Luini zum Schüler Lionardo’s. In seiner großen „Beweinung Christi“[455], im Chore der Kirche S. Maria della Passione zu Mailand, das wohl das älteste unter den uns bekannten Werken des Luini sein dürfte (etwa zwischen 1505–1510), erweist sich derselbe noch als ein durchaus lombardischer Meister, der auch nicht die leiseste Spur Lionardischer Einflüsse, wohl aber deutlich die Schule des Ambrogio Borgognone, nebst mannichfachen Einwirkungen des Bramantino verräth[456].

Erst in seiner zweiten Manier (etwa von 1510–1520) erscheint in seinen Werken die Nachahmung Lionardo’s[457]. In seiner dritten, s. g. blonden Manier (von 1520–1529) tritt Luini in seiner vollen Freiheit und Unabhängigkeit uns entgegen. In diese Zeit fallen wohl seine besten Werke, wie z. B. der Freskencyklus im „Monastero maggiore“ zu Mailand; Maria mit dem Kinde, im Besitze der Wittwe Arconati-Visconti zu Mailand; das herrliche Poliptychon in der Pfarrkirche von Legnano; die Fresken in Saronno; die drei Bilder im Dome von Como; die Fresken in Lugano. Vom Jahre 1529 an verstummt alle Kunde über Luini; er dürfte also schon in jenen Jahren gestorben sein. Die Mehrzahl seiner Bilder ist unbezeichnet, ich kenne deren nur vier, die seinen Namen tragen, und alle vier gehören seiner letzten Epoche an[458]. Sowohl er wie auch sein Nebenbuhler Gaudenzio Ferrari sollen, nach Lomazzo, neben der Malerei auch die Dichtkunst gepflegt haben[459].

Lomazzo, der als Knabe den alten Gaudenzio Ferrari noch hätte persönlich kennen können, jedenfalls als Schüler eines Schülers desselben in der Lage war, gut über die künstlerische Erziehung Gaudenzio’s unterrichtet zu sein, stellt uns ihn dar als einen Schüler zuerst des Scotto in Mailand, sodann des Bernardino Luini. Was den ersteren betrifft, so können wir die Aussage des Lomazzo weder bejahen noch verneinen, da kein anderer Schriftsteller des Scotto Erwähnung thut und auch kein authentisches Werk desselben uns bekannt ist; dagegen erscheint uns sehr wahrscheinlich, daß Luini in einer gewissen Periode großen Einfluß auf seinen um etwa um zehn Jahre jüngern Kunstgenossen Gaudenzio ausgeübt haben dürfte. Zeugniß davon giebt uns nicht nur die weibliche sitzende Figur mit den zwei Putten, welche unter den Handzeichnungen in der venezianischen Akademie als Luini bezeichnet ist (bei Perini No. 198), jedoch dem Gaudenzio angehört, sondern ebensosehr die für die Kirche S. Maria della Pace in Mailand gemalten Fresken, gegenwärtig in der Breragalerie aufgestellt unter dem Namen des Luini und den Nummern 1, 4, 40, 41 (Vorstellung im Tempel), 62 (Erziehung der Maria), 67 (Traum des h. Joseph). Dieser Freskencyclus wird zwar, wie schon bemerkt, im Brerakatalog dem B. Luini zugeschrieben; allein die Formen, die Kopftypen, sowie der freiere Pinselzug in denselben deuten vielmehr auf Gaudenzio hin[460].

Eine alte Tradition stellt uns den Ferrari als ein frühreifes Talent dar; nicht nur in Rücksicht hierauf, sondern mehr noch aus gewissen an Macrino d’Alba und an die Oldoni von Vercelli erinnernden Angewöhnungen, an denen Gaudenzio sein ganzes Leben festhielt, erscheint es mir nicht unwahrscheinlich, daß derselbe schon in Vercelli, ehe er nach Mailand kam, den ersten Unterricht in seiner Kunst erhalten habe, jedoch keineswegs von dem sehr schwachmüthigen, gleichalterigen Girolamo Giovenone, wie uns Bordiga und andere seiner Nachtreter glauben machen möchten, sondern wahrscheinlicher von Macrino d’Alba[461]. Gaudenzio muß jedoch in Mailand außer dem Atelier des Scotto und des Luini auch noch jenes des Bramantino besucht haben. Den Einfluß dieses letztern Meisters auf ihn beweisen, scheint mir, seine vier Tafelbildchen (No. 52, 53, 57 und 58) der Turiner Galerie und die von ihm fast sein ganzes Leben durch beibehaltene Angewöhnung, nach Art des Bramantino seine Figuren von unten nach oben zu beleuchten[462].

Im Jahre 1508 erhielt der vierundzwanzigjährige Gaudenzio den Auftrag, ein Bild für eine Kirche von Vercelli zu malen. Eine Kopie des Vertrags zu diesem Gemälde findet sich bei Padre Bruzza in Rom. In diesem Dokumente wird Gaudenzio bald Ferrari, bald Vinci genannt. Der letztere Name war nämlich der der Familie seiner Mutter; es ist dies ein Geschlechtsname, der in der Valduggia noch heutigentags besteht. Daraus erklärt sich auch, wie Gaudenzio noch im Jahre 1511 sein herrliches Triptychon in der Kirche von Arona Gaudentius Vincius bezeichnen konnte.

Täusche ich mich nicht, so war es Baldinucci, der zuerst die Fabel in Umlauf brachte, Gaudenzio sei eine Zeit lang in Gemeinschaft Raffael’s, also im Zeitraum zwischen 1500 und 1508, in Perugia bei Perugino in der Lehre gewesen[463]. Es ist dies, wie mir scheint, wieder eine von jenen leeren, jedes Haltes entbehrenden Behauptungen, mit denen die Geschichte der italienischen Malerei so reichlich gespickt ist. In den Werken des Ferrari ist der Einfluß sei es des Perugino, sei es Raffael’s nicht mehr und nicht weniger sichtbar als in den Gemälden fast aller großen Meister aus jener glücklichen Kunstepoche, die man das goldne Zeitalter der italienischen Kunst zu nennen pflegt, und in der Gaudenzio und Luini in ihrer Schule, d. h. der mailändischen, denselben Platz einnehmen, den etwa Raffael in der umbrischen, Cavazzola und Carotto in der veronesischen, Garofalo und Dosso in der ferraresischen beanspruchen.

Gaudenzio besitzt zwar nicht die Anmuth des Luini, seine Werke sind auch nicht so vollendet in der Ausführung wie die seines Nebenbuhlers, allein, Alles in Allem genommen, steht er, was Erfindungsgabe, dramatisches Leben, malerisches Talent anbelangt, weit über Luini. Sehr oft verliert Ferrari in seinem Feuereifer das Gleichgewicht und wird barock und affektirt; auch sind viele seiner größern Kompositionen gar zu sehr mit Figuren überfüllt; in seinen besten Werken jedoch steht er nur wenigen seiner Zeitgenossen nach, ja manchmal, wie z. B. in einigen jener Männer- und Frauengruppen in der großen „Kreuzigung Christi“ zu Varallo, dürfte Gaudenzio selbst den Vergleich mit Raffael nicht zu fürchten haben.

Die Handzeichnungen dieses großen, nicht hinlänglich gekannten und gewürdigten Meisters sind meist nach dem System, welches von Vincenzo Foppa in die lombardischen Schulen eingeführt wurde, d. h. mit Schwarzkreide und Gips auf blau grundirtem Papier ausgeführt[464]. In seiner späteren Zeit bediente er sich auch zuweilen der Tusche. Die schönsten Handzeichnungen des Meisters finden wir in der Sammlung der königlichen Bibliothek in Turin; auch die Ambrosiana besitzt mehrere, von denen ein paar, neben Zeichnungen des Bramantino aufgestellt, einleuchtender als jede Argumentation die theilweise künstlerische Abstammung Gaudenzio’s von Bartolommeo Suardi, Bramantino genannt, veranschaulichen dürften.




Nachträge.


Zu Seite 71. Bei meinem diesjährigen zweiten Besuche der Baron Sternburg’schen Bildersammlung in Lützschena kam ich leider zu der Ueberzeugung, daß der „Ecce homo“ von Andrea Solario kein Original, sondern eine auf Täuschung berechnete Kopie sein müsse. Das Gemälde ist viel zu stumpf und flach in Zeichnung und Modellirung für einen Meister wie Solario; auch hat das Ohr des Christus nicht die dem Meister eigenthümliche Form.

Zu Seite 465. Auf der diesjährigen „Kunstausstellung“ in Turin (1880) sah ich vor etwa einem Monate ein zweites mit dem Namen und der Jahreszahl bezeichnetes Werk des Bernardino Conti. Es ist dies das fast lebensgroße Profilporträt eines jungen Mannes mit langem braunem Haar und schwarzem, mit dem Orden des h. Michael gezierten Barett auf dem Kopfe. Der etwas düster ausschauende Cavalier trägt einen Dolch an der Seite. Die Fleischtöne sind auch in diesem Bilde grau wie auf Conti’s sonstigen Gemälden. Oben auf der Tafel liest man: Catellanus Trivulcius, ann. 26–1505; unten steht die Aufschrift: Bernardini Comitis opus. Das werthvolle Bildniß gehört den Erben des unlängst verstorbenen Senators Marchese Giorgio Pallavicino-Trivulzio von Mailand; der dargestellte Catellanus Trivulcius dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ein natürlicher Sohn des bekannten französischen Feldmarschalls Gian Giacomo Trivulzio gewesen sein. Derselbe wird übrigens im Werke des Pompeo Litta nicht erwähnt.




Alphabetisches Künstlerregister.
Die in Parenthese gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Anmerkungen.
Agostino da Caversegno 209.
Albani 65.
Albertinelli 87. 286.
Alfani, Dom. 139.
–, Orazio 285.
Alibrandi 429.
Allori, Aless. 270.
Altichiero 436. 438.
Amadeo 7 (2). 78 Anm.
Amalteus, Pomp. 54.
Amberger 71.
Andrea da Salerno 79.
Andrea del Castagno 124. 238. 389.
Andrea del Sarto 39 Anm. 89. 117. 236. 387 (1).
Angelo di Baldassare 299.
Anselmi 65.
Ansuino da Forli 62. 408. 432 (3).
Antonello da Messina 73. 125 (1). 127. 167. 168. 169 Anm. 172. 175. 416–431. 460.
Antonio da Ferrara 126 (2).
Antonio da Murano 396. 397.
Aragonese siehe: Ragonese.
Aspertini, Am. 273 (2). 282. 283.
Avanzi, Jac. 282. 436.


Bacchiacca 235. 388 (1).
Badili 300. 436.
Bagnacavallo s. Ramenghi.
Baldassare da Forli 163 (1).
Baldovinetti 379. 389. 392 Anm.
Balducci, Matteo 370 Anm. 387.
Bandinelli, Baccio 115.
Barocci 66.
Barbari, Jacopo de’ s. unter Jacopo.
Barna 244.
Bartolomeo (venez. Bildhauer) 6. 260.
Bartolomeo da Murano 397. 405.
Bartolomeo, Fra, della Gatta 85–87. 92. 116. 117. 119. 192 Anm. 236–238. 264. 304–306. 317. 325. 376. 385.
Bartolomeo de’ Polli 464.
Bartolomeo Veneto 163. 164.
Basaiti 14. 15. 191 (1). 399.
Bassano Giac. 139. 435.
Beccafumi 69. 115. 117.
Bedolo siehe Mazzola.
Bellini 6.
Bellini, Filippo 103.
Bellini, Gentile 12 (1). 163. 191 (1).
Bellini, Giovanni 10. 11. 15. 30. 40. 73. 103. 104. 125 Anm. 131. 132. 163. 169 Anm. 172 (2). 173. 186. 209 Anm. 210. 252. 253 (2). 287. 312. 398. 399. 407. 409. 413. 426. 427. 428 Anm. 435 (1). 446 (3). 447 (1).
Bellini, Jacopo 132 (2). 395. 400 (1).
Bellunello, Andrea 24 Anm.
Beltraffio s. Boltraffio.
Bellotto 59. 228.
Bembo, Benedetto 217.
Bembo, Bonifazio 216. 217. 453.
Bembo, Giov. Franc. 447 (2).
Benaglio 13.
Bernini, Lorenzo 119.
Bevilacqua, Ambr. 7 (2). 230. 453. 458.
Bianchi, F. 128. 133. 134. 144. 145. 272. 278. 279. 338.
Bicci 200.
Bissolo 179.
Boccaccino, Bartolomeo 68.
Boccaccino, Boccaccio 67.
Bolognesische Schule 228.
Boltraffio 73. 76. 191 (1). 456. 461. 468–470.
Bonfigli 296. 300.
Bonifazi 53. 207. 214–224. 226. 262.
Bonifazio (veronese) senior 19. 28. 43. 54. 55. 180. 181 (2). 182. 186. 207. 214–224. 262.
Bonifazio (veronese) junior 182. 207. 213. 215–224. 265.
Bonifazio veneziano 207. 215–224.
Bono 62.
Bonsignori 124. 125 Anm.
Bordone 46. 53. 141 (2). 225.
Borgognone, Ambr. 7 (2). 105. 191 (1). 230. 453. 456 (1). 458.
Boselli 5.
Botticelli 83. 170. 195. 233–235. 264. 271. 276. 379.
Bramante 173 (1). 288. 289. 458.
Bramantino 7 (2). 73. 78 Anm. 289. 453. 458. 462. 478 (2). 481 (1). 484.
Brea 440 Anm.
Brescianer Malerschule 437 ff.
Brescianino, Andrea del 86.
Breughel 159.
Brill 159.
Bronzino 39 Anm. 388.
Brusaforci 436.
Bugatto 452.
Buonconsiglio 166. 167. 435.
Buttinone 453. 458. 461.


Calderari 24. Anm. 219
Calendario, Fil. 6.
Caliari, Carletto u. Gabriel 227.
Callisto da Lodi 226. 449 (1).
Cambiaso, Luca 102. 118. 119. 265.
Camelo 59.
Campagnola, Dom. 172 (2). 226. 227. 254. 261.
Canaletto 4. 59. 228.
Canlassi 393.
Canova 4.
Cantagallina 119.
Cantarini 119.
Canuti 119.
Caporale, Bart. 300.
Caprioli, Dom 57. 183. 193.
Caravaggio, Michelangelo da, Polidoro da und Prato da, siehe unter M. und P.
Cardillo 428.
Cariani, Giov. 5. 16. 19. 31. 41. 43. 181. 182. 451.
Carlevaris, Luca 228.
Carnevali, Fra 265. 289.
Carotto 53. 54. 106. 124. 167. 436. 437. 483.
Carpaccio 106. 253. 415. 423. 424. 435.
Carpi, Gir. 137–139. 141. 142.
Carpioni 119.
Carracci 39. 65. 67. 102. 106. 119.
Carstens 4.
Caselli, Cristoforo 409.
Castagno siehe Andrea del C.
Castiglioni 119. 265.
Catena 164. 179. 191 (1). 208 (1). 223. 412.
Cavazzola 167 (1). 436. 483.
Cavedone 65.
Cellini, Benv. 118.
Ceresa 50. 52.
Cesare d’Arpino 102.
Cesare da Sesto 70. 79. 191 (1). 264. 312. 359. 454 (1). 456.
Chiodarolo 275 (1).
Cigoli 102.
Cima da Conegliano 166. 407. 414. 427. 428 Anm.
Civerchio 7 (2). 440 Anm. 446. 453. 458.
Conti, Bernardino de’ 70. 453. 454. 456. 465. 466. 484.
Cornelius 4.
Correggio 37. 38. 62. 65. 66. 122. 143–161. 191 (1). 195. 197. 237. 260. 272. 273 (1). 344. 411.
Cortona, Pietro da 102. 119.
Cossa 64 (2). 124. 128–130. 243 (2).
Costa 64. 128. 130. 131. 135. 136. 144–146. 271. 273 (2). 274–280. 283. 340. 341. 346. 347. 350. 359. 463.
Credi, Lorenzo di 84. 85. 234. 240–243. 245. 257–259. 264. 379. 393. 459.
Cresti, Dom 119.
Creti, Donato 120.
Crivelli, Carlo 124. 191 (1). 302. 408. 432 (2). 459.
Crocefissaio 282.


Dalmasio 282.
Dario 124. 408. 432 (2).
David 4.
Diana 164.
Dolci, Carlo 238.
Domenico di Bartolo 299.
Domenico Veneziano 239. Anm. 299.
Domenichino 65.
Donatello 432
Donato da Montorsano 453.
Donduzzi 139.
Dosso, Battista 137. 138.
Dosso Dossi 7. 43. 62. 63. 122. 136–144. 147. 153. 162. 280. 281. 285.
Dürer 36. 40. 57. 125 (1). 176 bis 178. 187. 191 (1). 192 Anm. 200 (2). 400. 404. 407. 408. 416. 418. 424. 483.


Ercole Grandi siehe unter Grandi.
Ercole Roberti (Grandi) 128–135.
Eusebio da San Giorgio 353. 354.
Eyck, van 40. 125 (1). 127. 416. 417.


Falconetto 289.
Farinato, Paolo 28. 118. 262.
Fasolo, Bernardino 228. 454.
Fasolo, Giovan Antonio 228.
Fasolo, Lorenzo 454.
Ferramola 441. 446. 448 (1).
Ferraresische Schule 123 ff. 135.
Ferrari 455.
Ferrari, Desendente 68. 139. 455.
Ferrari, Gaudenzio 7 (2). 53. 68. 312. 457. 478–484.
Fiesole, siehe Giovanni da Fiesole.
Fiorenzo di Lorenzo 93. 245. 270. 300–303. 315 (1). 351 (2).
Flor, De 394
Florentinische Schule 5. 129. 379.
Florigerio 24 Anm.
Foppa 7 (2). 53. 124. 439. 453. 458. 461. 464. 465. 483.
Francia, Francesco 64. 105. 135. 144–146. 161. 274. 275. 282. 283. 331. 341–343. 346. 347. 359. 463. 483 (1).
Francia, Giacomo und Giulio 284. 285.
Franciabigio 235. 250. 386. 387 (1). 388 (1).
Francesco di Giorgio 88. 239.
Francucci 65. 282. 286. 287.


Galassi 126. 128.
Galeazzi 445 (1).
Galizzi 19.
Gambara 447 (2).
Garofolo 62. 122. 135–138. 141. 142. 147. 281. 282. 483.
Gavazzi 5.
Genga, Gir. 289.
Gentile da Fabriano 6. 293. 294. 395–397. 400 (1). 439 (1).
Georgios 123.
Ghiberti 379.
Ghirlandajo, Domenico 83. 106. 235. 271. 302. Anm. 379. 381. 382.
Ghirlandajo, Ridolfo del, s. unter R.
Giambono 395.
Giampietrino 70. 191 (1). 457.
Gimignani, Giacinto 250.
Giolfino 54. 124. 125 Anm. 436.
Giorgione 14. 15. 20. 34. 41–43. 53. 57. 148. 161. 172. 178–197. 209 Anm. 218. 410. 482 Anm.
Giottesken 5.
Giotto 87. 88.
Giovanni da Fiesole 81. 102. 255. 296. 297 (1). 439 (1).
Girolamo dai Libri 68. 436. 437.
Girolamo da Treviso 408. 412.
Giovenoni 68. 69. 455. 481.
Giulio Romano 54. 102. 118. 144. 250. 472 (2).
Giunta Pisano 244.
Goes, Hugo van der 40.
Gozzoli, B. 135. 244. 296. 297. 300.
Grammorseo 68. 455 (2).
Granacci 86. 382.
Grandi, Ercole Roberti siehe unter Ercole.
Grandi, Ercole di Giulio Cesare 135. 136. 276. 277. 340.
Grassi, Giov. Batt. 20 (1).
Grassi, Girol. 24 Anm.
Grimaldi 119.
Guercino 65.
Guido da Siena 298.
Guido Reni 65. 119.


Holbein d. Jüng. 192 Anm. 197. 456.


India 58.
Innocenzo da Imola 63. 285.
Jacob Walch 57. 169 Anm.
Jacopello de Bonomo 394.
Jacopo de’ Barbari 21 Anm. 57. 168–178. 235. 264. 429.
Jacopo da Montagnana 410 Anm.
Jacopo da Valenzia 399.
Johannes Alemannus 6. 396. 397.
Johannes de Boccatis 299.
Johann von Calcar 451.


Kaulbach 4.
Kulmbach, Hans von 177.


Lanini 68.
Lattanzio da Rimini 62. 409.
Leonardo da San Daniele 24 Anm.
Leonardo da Vinci 37. 39 Anm. 69. 70. 72. 73. 76. 79. 102. 107–112. 147. 148. 186. 192 Anm. 197. 239–243. 257–259. 261. 263. 312. 321. 323. 325. 372. 379. 383–385. 400. 454. 456. 457 Anm. 458–460. 462. 464. 465. 467–471. 474–479.
Leopardi, Al. 105.
Leyden, Lucas von 191 (1). 192 Anm. 466.
Liberale 6. 54. 104. 124. 125 Anm. 167 (1). 168. 436. 437. 440.
Ligori, Pirro 118.
Lippi, Filippino 83. 91. 234. 245. 246. 255. 256. 264. 271. 275. 379. 380.
Lippi, Filippo 81. 82. 124. 234. 256. 263. 270. 378. 379.
Lippo Memmi 244.
Lissandrino 231.
Lodi, Callisto da siehe unter Callisto.
Lodi, Schule von 68. 454.
Lodovico di Angelo 299.
Lomazzo 53.
Lombardi 6 174. 175.
Lombardi, Alfonso 7.
Longhi, Luca 139. 287. 290.
Longhi, Pietro 126. 229.
Lorenzetti 244.
Lorenzetto 37 (1).
Lorenzo di Credi siehe unter Credi.
Lorenzo von Mugiano 75.
Lotto 14. 19. 20. 31–41. 43. 147–148. 190. 210. 238. 344. 411. 412 (2).
Luigi di Francesco Tinghi 299.
Luini, Bern. 7 (2). 70. 191 (1). 312. 457. 464. 478–481. 483.


Macrino d’Alba 453. 455. 481.
Magnasco 231.
Magni, Cesare 80. 454.
Mailänder Schule 7. 452.
Mainardi 235. 379. 382.
Mancini, Dom. 182.
Mansueti 409.
Mantegna, Andr. 10. 12. 82. 103. 104. 124. 130–132. 166. 254. Anm. 285. 322. 323. 397. 400. 402. 403. 405. 406. 408. 413. 426. 432. 433 (1). 434. 440.
Marcantonio 285.
Marchesi von Cotignola 63. 282. 285. 286.
Marco d’Oggionno 230. 456.
Marconi, Rocco 56.
Martini, G. 24 Anm.
Marziale 163. 172. 399.
Masaccio 82. 83. 102. 256 (1). 379.
Maso 427. 428 Anm.
Masolino 83. 379.
Massegne, delle 6.
Matteo di Giovanni 239.
Matteo del Pozzo 432 (3).
Mazzola, Filippo 429. 460 (1). 461. 470.
Mazzola, Francesco siehe Parmigianino.
Mazzola, Girolamo 139. 143.
Mazzolini 63. 136. 146. 280.
Meloni 279. 447 (2).
Melozzo da Forli 62. 265. 270. 288.
Melzi 468. 469. 474–477.
Memmi, Lippo 244.
Meo di Guido 299.
Messina, siehe unter Antonello und Pietro da Messina.
Miani 24 Anm.
Michelangelo Buonarotti 149–152. 192 Anm. 305. 372. 388.
Michelangelo da Caravaggio 182. 230. 231.
Michele da Verona 436.
Michelino 452.
Michelozzo 453.
Moceto, Girol. 399.
Mola 119.
Mombello 445 (1).
Moneta 52.
Montagna, Bart. 22 Anm. 117. 253 (1). 398. 435.
Montagna, Benedetto 435.
Montorfano, Giov. da 458.
Monverde, L. 24 Anm.
Morando siehe Cavazzola.
Moretti, Cristoforo 453.
Moretto 48–51. 194. 197–200. 437 (3). 441–445. 447. 448.
Morone 53. 253 (1). 436. 437. 463.
Moroni 27. 48–53. 207. 443. 445(1). 451.
Morto da Feltre 20.
Murano, da, siehe unter Antonio und Bartolommeo da M.
Muziano, Girolomo 228. 255. 447(2).


Naldini 118.
Nelli, Ottaviano 292. 293.
Nelli, Plautilla 263.
Niccolo dell’ Abbate 144.
Niccolò (Alunno) da Foligno 293. 296. 297.
Nuzi, Alegretto 293. 294.


Oggionno siehe unter Marco d’O.
Oldoni 68. 455.


Pacchia, Girolamo del 85.
Pacchiarotto 85.
Palma, Antonio 217. 225.
Palma, Giacomo 118. 119.
Palma, il Giovane 59.
Palma, Jacopo jun. 225.
Palma Vecchio 5. 14. 15. 17. 25–31. 36. 43. 55. 60. 61. 167. 180. 183. 195. 412. 442. 448. 452.
Palmezzano, Marco 287.
Panetti 63. 128. 136. 280.
Paolino, Fra 117.
Paolo Veronese 57. 58. 118. 122. 227. 228. 254. 255. 262. 436.
Parentino 399.
Parmeggianino 39 Anm. 67. 118. 139. 143. 287. 456 Anm.
Passarotti 119.
Paulus Brisiensis 439.
Pellegrino da San Daniele 20–25.
Pennacchi 402. 404. 407. 408.
Permi, Franc. 140.
Perugino 90–92. 102. 103. 235. 245. 256 (1). 285. 293. 296. 303(1). 304–307. 309. 311. 312. 315. 318. 322–324. 326. 335. 350–353. 355-357. 362-367. 370. 371. 372 (2). 373–376. 463. 472 (2). 482. 483.
Peruzzi 69. 258. 259. 284. 289. 468. 470. 472 (2). 473.
Pesellino 263. 379.
Pesello 381.
Piaggia 118.
Piazza 68. 447 (2). 454.
Pier di Cosimo 232. 233. 381. 383. 387 (1).
Pierino del Vaga 118. 137 (2).
Piero della Francesca 124. 265. 299.
Pietro da Messina 427. 428. 430.
Pietro Paolo da Todi 266.
Pinturicchio 80 (1). 245. 284. 293. 296. 302–324. 353. 356. 363. 365. 366–369. 373. 376.
Pisanello 6. 294. 299. 395. 400. 436.
Pizzolo, Nicoletto 408. 432 (3).
Poccetti 118.
Polidoro da Caravaggio 250. 429 Anm.
Polidoro Lanzani 217. 226.
Pollajuolo, Antonio del 84. 106–114. 124. 129. 256. 257. 322. 323. 379. 389–392.
Pollajuolo, Piero 389–392.
Pontormo 85. 387 (1).
Ponzoni 453.
Pordenone, G. A. 20, 22 Anm. 43. 189. 193 (1). 254. 413 Anm.
Porta, Giuseppe 228.
Pourbus 159.
Prandino 438.
Prato, Fr. da Caravaggio 226. 447 (2). 449.
Predis, Ambrogio de’ 456.
Predis, Cristoforo de 458 Anm.
Previtali 5. 36. 181 (2). 208–211. 413.
Primaticcio 144.
Procaccino 265.


Ramenghi da Bagnacavallo 63. 144. 162. 270. 282. 285. 286.
Raffael 80. 86. 87. 92. 95–99. 115. 140 (1). 151. 191 (1). 192 Anm. 248. 258. 260. 261. 270. 285. 286. 290. 307. 309–326. 330–336. 339–344. 346. 348–357. 359–378. 385. 386. 471–473. 483.
Raffaelino del Garbo 91. 246. 259. 276. 380.
Ragonese, Sebastian 437 (2). 447 (2).
Rembrandt, Schule 67.
Reni, Guido siehe Guido R.
Richini 445 (1).
Riccio, Andrea 426.
Riccio, Antonio 6.
Riccio, Domenico 262.
Ridolfo del Ghirlandajo 249. 382–386.
Rizzi, Stefano 446.
Robusti, Domenico 59.
Römische Schule 247. 454 (1).
Roger van der Weyden 127. 294. 416. 417. 427.
Romanino, Aless. 444 (2).
Romanino, Hieronymus 22 Anm. 43. 50 (1). 226. 437 (2). 443. 444 (2). 445–449.
Rondani 66.
Rondinelli, Niccolò 12. 62. 286 (1). 287. 402.
Rosa, Salvator 119. 231.
Roselli, Cosimo 256. 378–380. 382.
Roselli, Matteo 119.
Rosso fiorentino 117.
Rotari 58.
Rubens 46. 203


Sacchi 80. 454.
Salaino 72. 456.
Saliba, Antonello 427. 428 Anm.
Salimbeni 119.
Salviati 118.
Salvo d’ Antonio 427. 428 Anm.
Sano di Pietro 244.
Sanseverino, G. und L. da 293.
Santa Croce, Francesco Rizo da 413. 414.
Santa Croce, Girol. da 5. 28. 166. 414.
Santa Croce, Pietro Paolo 414.
Santi di Tito 118.
Santi, Giov. 288 (2). 289. 290. 359.
Sassetta, Schule von 239.
Sassoferrato 179.
Savery 159.
Savoldo 254 (1). 449. 450.
Scarsellino 62. 102. 143.
Schedone, Bartolomeo 67.
Schiavone, Andrea 48. 139. 218. 224.
Schiavone, Gregorio 408. 432. 460.
Scipioni von Averara 5.
Scotto 480.
Sebastian (Luciani) del Piombo 43. 158. 172 (2). 184. 472.
Sebastiani, Lazaro 399.
Seccante 24 Anm.
Signorelli 114. 232. 256. 264. 304. 309. 322. 323. 434.
Simone da Pesaro 65.
Sodoma 69. 114. 115. 258. 284. 456. 470–474.
Sogliani 117.
Solario, Andrea 7 (2). 71. 80. 429. 457. 484.
Solario, Antonio 80.
Solario, Cristoforo 7 (2). 71. 72. 73 (1).
Spagna 93. 289. 354. 355. 373.
Speranza 435.
Spranger 159.
Squarcione, Fr. 64 (2). 282. 408. 431. 433 (1). 441.
Stefano von Ferrara 62. 128. 273 (2).
Stefano da Zevio 28. 393. 436.
Suardi, Bartolomeo, sieh. Bramantino.


Taddeo di Bartolo 296. 298 Anm.
Tamarozzo 285.
Tavarone 118.
Tempesta 102. 119.
Tiarini 65.
Tiberio d’ Assisi 373.
Tiepolo 4. 126.
Tintoretto 59. 106. 118. 224. 225. 255.
Tizian 14. 15. 20. 26 Anm. 38. 41–48. 53. 105. 106. 122. 172 (2). 187. 188. 192. 195. 197. 200. 219. 226. 254. 281 (1). 415. 441. 442. 444. 447. 450.
Tiziano, Girolamo del 45.
Tiziano, Stefano del 45.
Tolmezzo, Dom. und Gianfranc. da, 24 Anm.
Tonno 429 Anm.
Torbido 53. 436. 437 (2). 438 Anm.
Tura 62. 124. 128. 135. 136. 144. 270. 271. 273. 276. 277. 278 (1). 279. 441.
Turoni 436.


Ubertini, siehe Bacchiacca.
Uccello, Paolo 299. 431, 432.
Ugo da Carpi 118.
Umbrische Schule 85. 291–293. 295.


Vecchia, Pietro 183.
Venezian. Schule 3. 6. 229. 394. 404.
Veronese, siehe Paolo Veronese.
Veronesische Schule 6. 53. 436.
Verrocchio 84. 105. 108. 109. 242. 379. 391.
Viti, Timoteo 65 (Anm.). 126 (2). 289. 290. 291. 303 (1). 317. 325. 331–352. 357. 371. 372 (2). 374. 377. 393. 472 Anm.
Vittore di Matteo 60.
Vivarini 6. 124. 299. 300. 396.
Vivarini, Alvise 15. 124 Anm. 396. 398. 399.
Vivarini, Antonio 395.
Vivarini, Bartolomeo, siehe Bartolomeo da Murano.
Vlämische Schule 63. 70. 77 (1). 96. 158 (1).
Vos, M. de 159.


Werff, Adr. van der 161. 393.
Wohlgemuth 178 (2). 416.


Zaganelli 226. 402. 406.
Zavattari 452.
Zenale 7 (2). 453. 458–460. 461 (1). 462. 464. 465.
Zenon 437 (3). 452.
Zoppo 62. 64 (2). 126 (2). 128 (2). 282. 408.
Zuccari 119.
Zucco 52.
Alphabetisches Ortsverzeichniss
der im Text vorkommenden Gemäldesammlungen, Kirchen, Paläste u. s. w.
Abbiategrasso 453 (1).
Alba 453 (4).
Ancona, Marca d’ 30.
Antwerpen, Mus. 26 Anm.
S. Arcangelo (bei Rimini) 394 (1).
Arona 464. 482.
Asolo 34. 40.
Asti 453 (4).
Augsburg, Gem. Gal. 70. 171.
Auro 199 (1).


Barbeano 24 Anm.
Bassano 408 (1).
Bergamo 5, 29. 51.
–, S. Alessandro della Croce 208 (1).
–, S. Andrea 443 (2).
–, S. Bartolomeo 210.
–, Chiesa del Conventino 208 (1).
–, Dom 210 (1). 447 (1).
–, S. Francesco 443.
–, Frizzoni-Salis (Sammig.) 181 (2). 408 (1). 409 (1). 441. 454 (1). 469 (1).
–, Gritti (Samml.) 33.
–, S. Maria delle Grazie 9 (2).
–, S. Maria Maggiore 181 (2). 209 Anm.
–, S. Michele 30.
–, S. Spirito 209. 210. 464.
–, Stadtgalerie 39 Anm. 49. 50. 164. 175. 413. 435. 439 (3). 440 Anm. 444. 449 (1). 454 (1). 456 Anm. 462. 465. 469. 471.
Bergamo, Terzi (Sammig). 208 (1).
Berliner Galerie 30. 84. 87. 97. 141 (2). 196. 233. 267–484.
Berlin, Sammlg. Lippmann 171.
Blenheim 374.
Bologna, Bolognini (Pal.) 7 (1).
–, S. Giovanni in Monte 130. 273 (2) 274.
–, S. Jacopo Maggiore 274. 283. 284.
–, S. Martino 142. 143. 273 (2).
–, Mezaratta bei, 126 (2).
–, S. Petronio 130.
–, Pinakothek 64 (2). 126 (2). 284. 286. 337. 340. 359.
Braunschweig, Galerie 19. 212 (1).
Brescia 30. 226. 294. 447 (2).
–, S. Agata 449 (1).
–, S. Alessandro 439 (1). 440 Anm.
–, Averoldi A. (Samml.) 253.
–, Bischöfl. Palast. 445 (1).
–, S. Clemente 445.
–, S. Eufemia 445.
–, Fenaroli (Samml) 447. 450.
–, S. Francesco 442. 446. 447.
–, Galerie 359. 374. 440 Anm. 445, 447 (2). 453 (3).
–, S. Giovanni Evang. 442. 444 (2). 446.
–, S. Giustina 447.
–, Lecchi (Sammlg) 448.
–, S. Maria in Calchera 444. 446. 447 (2).
Brescia, S. Maria della Pace 445 (1).
–, S. Nazareo e Celso 441. 445.
–, S. Rocco 449 (1).


Caen, Mus. 327.
Cagli 338. 359.
Camonica, Val. 447.
Campo Sampiero 220.
Castelfranco 184. 189. 197 Anm.
Castiglione d’Adda 454 (1).
Castiglione del Lago 300 (1)
Catania 429.
–, Mus. 428 Anm.
Ceneda 394 (1).
Città di Castello 257.
Cividale 20. 23 Anm. 24 Anm.
Crema 440 Anm.
–, Haus Marazzi 181 (2).
Cremeno (Val Sassina 464).
Cremona, 447.
–, S. Agostino 217. 453 (1).
–, Dom 447 (2).
Como, Dom 479.


S. Daniele 22 Anm.
Darmstadt, Gal. 197. 455 (4).
Dossena 19. 29.
Dresden 121–266. 267. 268. 271. 273 (1). 372 (1). 424. 458.


Fano 330.
Ferrara, Calcagnini-Estense (Haus) 135.
–, Lombardi (Samml.) 134. 278.
–, Mazza (Samml.) 340.
–, Saroli (Samml.) 340.
–. Stadtgalerie 278 (1). 339.
–, Strozzi (Samml.) 136. 276. 277 (1).
Florenz[WS 8], Agli Angeli (Kloster) 238.
–, Akademie 92. 263 294. 330. 351 (1). 364. 379. 380. 392.
–, Antinori (Samml