Die Wittwe

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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Die Wittwe
Untertitel: Ein Mährchen
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Drittes Buch. S. 283–286
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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[283]
Die Wittwe.


Ein Mährchen.

Dorindens junger Ehegatte,
Den sie so lieb, wie sich, und wohl noch lieber hatte – – –
Noch lieber? wirft der Spötter ein
Und lachet hönisch; doch er lache!

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Durch eine Spötterey hört eine wahre Sache

Drum noch nicht auf, gewiß zu seyn.
Genug, der Tod entriß Dorinden
Sehr früh den treusten, besten Mann;
Und ich kann keine Worte finden,

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So leicht man im Affect sie sonst auch finden kann,

Um alles das recht lebhaft auszudrücken,
Was sie, die junge Frau, gefühlt,
Die ihn vor wenig Augenblicken
Gesund, itzt aber todt in ihren Armen hielt,

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Und ihn aus ihrem Arm auch totd nicht lassen wollte.

Der Priester kam, der sie besänftgen sollte;
Die ganze Freundschaft kam; doch nichts bewegte sie.
Je mehr man tröstete, je mehr Dorinde schrie.
Man mußte mit Gewalt sie von dem Todten bringen.

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Ein unaufhörlich Händeringen

War alles, was sie that; und ein entsetzlich Ach!
War alles, was sie trostlos sprach.
Dieß trieb sie länger noch als vier und zwanzig Stunden.

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     Indessen hatte sich der Nachbar eingefunden,
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Ein Mann, geschickt in Holz zu haun.

Er sah Dorindens Schmerz; und theils auf ihr Begehren,
Theils als ein Freund den Seligen zu ehren,
Und seinem Untergang im Tode vorzubaun,
Entschloß er sich, in Holz ihn auszuhaun.

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     Es glückt des Künstlers weisen Händen,

Das Werk in kurzem zu vollenden;
Und Stephan stund in Lebensgröße da.
Ein Meisterstück pflegt bald bekannt zu werden;
Das Volk lief zu und schrie, so balds den Stephan sah:

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Ach Himmel, ach! das ist er. Ja!

Seht nur die lächelnden Geberden!
Seht nur den aufgeworfnen Mund!
Nein, ähnlichers kann nichts gefunden werden:
So sah ich ihn noch jüngst, als er Gevatter stund.

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     Man brachte den geschnitzten Gatten,

Der noch allein der Wittwe Trost verlieh,
Ins zweyte Stock, wo er und sie
Ein ganzes Jahr vergnügt geschlafen hatten.
Hier schloß sie sich mit ihm in ihre Kammer ein,

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Und suchte Ruh in Schmerz und Pein,

Und hielts für ihre Pflicht, mit ganzen Strömen Zähren,
Um seiner ewig werth zu seyn,
Ihn noch im Tode zu verehren.
Wer kann wohl mehr von einer Frau begehren?

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     So saß Dorinde viele Wochen,

Und hatte, wie mein Währmann sagt,
Kein lebendes Geschöpf seit dieser Zeit gesprochen,
Als ihren Hund und ihre Magd.
Und heute wars nach so viel bangen Wochen

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Das erstemal, daß sie aus ihrem Fenster sah:

Und in dem Augenblick war auch ein Fremder da.
Schnell kam die Magd mit schlauen Mienen:
„Madam, es fragt ein Herr nach Ihnen,
Ein schöner Herr, fast wie der selge Mann;

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Er hat etwas bey Ihnen auszurichten,

Das er mir nicht vertrauen kann.“
Du kannst, sprach sie, nur was erdichten,
Ich gehe nicht von meinem lieben Mann.
Und kurz, du darfst ihm nur berichten,

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Ich wäre krank vor vielem Gram;

Denn ach! kein Wunder wärs – – –
 „Dieß geht nicht an, Madam,
Er hat Sie schon, indem er angekommen,
An Ihrem Fenster wahrgenommen.

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Sie müssen mit herunter kommen;

Der fremde Herr ruht eher nicht.
Er hat was wichtigs anzubringen.
Ich dächte doch, Madam, Sie giengen!“

     Die junge Wittwe sieht bestürzt,

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Umarmt mit einem schnellen Feuer

Das Bild, mit dem sie sich zeither die Zeit verkürzt,
Und nimmt den Fremden an. Wer wird es seyn? Ein Freyer?
Vielleicht giebt uns die Magd Bericht?

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Sie horcht schon an der Thür; allein sie kann nichts hören,
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Als den betrübten Ton, mit dem Dorinde spricht.

Der Nachmittag verstreicht. Der Fremde geht noch nicht.
Soll er denn gar ihr Gast zu seyn begehren?

     Dorinde kömmt und zwar allein.
Sie wird sich wohl einmal am Bilde letzen wollen.

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Magd, fängt sie an, sprich, was wir machen sollen?

Der Herr will mit Gewalt mein Gast den Abend seyn?
Du mußt geschwind die Kanne Schmerlen sieden.
„Ja, ja, Madam, ich bins zufrieden.“
Dorinde geht zurück. Die Magd durchsucht das Haus,

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Zum Sieden hartes Holz zu finden.

Sie findet keins, und ruft Dorinden
In aller Angst geschwind heraus.
„Madam, ach lassen Sie sichs klagen!
Es ist kein hartes Fischholz da,

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Soll ich das Bild herunter tragen,

Es ist hart Holz, und es zerschlagen?“
Das Bild? Nein, nein – – doch – – thus nur. Ja. – –
Was brauchst du mich denn erst zu fragen?
„Allein das Bild ist schwer, ich kanns allein nicht tragen:

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Zum Fenster gieng es wohl heraus.“

Nun gut, so darfst du ja das Holz nicht erst zerschlagen.
Der Herr zieht künftig in mein Haus;
Da darf ich so nicht länger klagen.

     Das Fenster öffnet sich; und Stephan fliegt heraus.