Die X-Strahlung

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Textdaten
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Autor: J. S.
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Titel: Die X-Strahlung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75, 84
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die X-Strahlung.

(Hierzu die Abbildungen auf dieser Seite und auf Seite 84.)


In der Rechenkunst wird eine unbekannte, zu ermittelnde Größe mit dem drittletzten Buchstaben unseres Alphabetes bezeichnet und deshalb hat Herr W. C. Röntgen, Professor der Physik in Würzburg, eine von ihm beobachtete Strahlungs-Erscheinung, deren Art des Unbekannten und Rätselhaften hinreichend aufweist, um nicht nur Fachgelehrte zu ihrer Erforschung anzuregen, sondern auch das allgemeine Interesse in Anspruch zu nehmen, vorläufig die X-Strahlung genannt. Soll doch durch diese Strahlen in gewisser Hinsicht die Photographie des Unsichtbaren möglich sein, sollen sie doch den Arzt in den Stand versetzen, Photographien von Knochen im lebenden Körper aufzunehmen, und so scheinen sie berufen, als ein neues Hilfsmittel zur Erkennung der Krankheiten der Menschheit zu dienen.

Andererseits ist Röntgens Entdeckung von voraussichtlich weittragender wissenschaftlicher Bedeutung, indem sie eine bis dahin nicht bekannte Art der Kraftäußerung zum Gegenstande der Forschung zu machen gestattet, woraus die Anschauung von dem, was die Physiker Kraft, Energie nennen, erheblichen Gewinn zu ziehen berechtigte Aussicht hat.

Die Wärme, das Licht, die Elektrizität, der Magnetismus sind Bewegungserscheinungen, die sich entweder an den kleinsten Teilchen der Körper kundgeben oder am Aether, jenem gemutmaßten Stoffe, der nicht nur die Räume zwischen den kleinsten Körperteilchen, den Molekülen, ausfüllt, sondern auch durch den ganzen Weltenraum ausgebreitet ist. Bestimmte Schwingungen des Aethers sind Licht, und da das Licht ferner Sonnen zu uns gelangt, müssen wir schließen, daß der Aether im Universum vorhanden ist, so weit es unserem Auge wahrnehmbar wird; ist doch das Licht der Bote, der in dem Streifenbilde des Spektrums uns Kunde von physikalischen und chemischen Vorgängen aus Entfernungen giebt, zu deren Berechnungen der Astronom als Einheit die zwanzig Millionen geographische Meilen haltende Sonnenmeile anwendet.

Daß das Licht von fernen Gestirnen zu uns kommt, setzt uns nicht in Erstaunen, denn der Himmel ist ja durchsichtig. Nun aber wird eine Kraft entdeckt, oder sagen wir lieber eine Strahlung, die einzelne Eigenschaften des Lichtes besitzt, während sie sich im übrigen wesentlich von den „Licht“ genannten Schwingungen des Aethers unterscheidet, mit einem Worte die X-Strahlung, die undurchsichtige Gegenstände durchdringt. Dies macht den Eindruck eines Wunders.

Crookes’sche Röhre mit einem phosporescierenden Diamanten.
Aus W. Crookes’ „Strahlende Materie“ (Leipzig, Quandt u. Händel)

Wie Professor Röntgen die Strahlung fand, sei in Kürze mitgeteilt. Er hatte eine mit Stoff umwickelte sogenannte Crookes’sche Röhre auf seinem Laboratoriumstische, durch die er behufs eines Versuches starke elektrische Ströme leitete. Nach einiger Zeit bemerkte er, daß ein entfernt von der Röhre liegendes lichtempfindliches Papier Linien zeigte, die bisher bei elektrischer Einwirkung nicht wahrgenommen wurden. Er verfolgte die Beobachtung weiter. Er bedeckte die Crookes’sche Röhre mit einem dicken Karton und stellte in einer Entfernung bis von zwei Metern von ihr einen Papierschirm auf, der mit einer fluorescierenden (selbstleuchtenden) Masse, mit Bariumplatincyanür, bestrichen war. Nun fand er, daß der Schirm bei jeder Entladung in der Röhre aufleuchtete. Es mußten mithin unsichtbare Strahlen von der Röhre ausgehen, die das Kartonpapier durchdrangen und die genannte Substanz zum Leuchten brachten.

Die Crookes’schen Röhren sind röhren- oder kugelförmige Glasgefäße, in deren Wandungen Platindrähte zum Einleiten der Elektrizität geschmolzen sind, es ist aber die in ihnen befindliche Luft- oder Gasart durch Auspumpen bis auf ein Millionstel verdünnt. Die ersten grundlegenden Versuche mit solchen Röhren wurden von den deutschen Physikern Hittorf in Münster und Goldstein in Berlin gemacht, am bekanntesten wurden aber die späteren Versuche des englischen Physikers Crookes. Daher der Name der Röhren. Crookes nahm an, daß die Moleküle der Luft in dieser Verdünnung freieren Spielraum hätten als unter gewöhnlichem Druck und von Elektrizität in Bewegung gesetzt würden, ohne sich gegenseitig zu hindern und in der Bahn zu stören. Sie prallen, wie er meint, nicht gegeneinander, sondern werden erst dann gehemmt, wenn sie die Wand des Glases treffen, wobei ein solches Bombardement von elektrisch geschleuderten Luft- oder Gasmolekülen stattfindet, daß die Glaswand zu leuchten beginnt. Die strahlende Materie – so nannte Crookes die elektrisch in Bewegung gesetzten verdünnten Gase – hat die Fähigkeit, geeignete Körper zum Phosphorescieren, d. i. zum Selbstleuchten, zu bringen. Beryllerde, in ein solches Rohr gethan, phosphoresciert blau, Lithium goldgelb, der Smaragd karmesinrot. Am schönsten und schnellsten aber phosphoresciert der Diamant. Ein Diamant, der bei Tageslicht grün, bei Kerzenlicht aber weiß erschien, gab in einer Crookes’schen Kugelröhre, als die molekulare Entladung von unten gegen ihn gerichtet wurde, ein grünliches Licht, das im Dunkeln mit dem Glanze einer Kerze strahlte.

Unsere nebenstehende Abbildung zeigt die Anwendung des eben beschriebenen Versuches.

Crookes brachte die phosphorescierenden Stoffe unmittelbar in die Bahn der sogenannten strahlenden Materie, die als solche nicht leuchtet, sondern das Leuchten anderer Substanzen hervorruft. Röntgen fand, daß von den elektrisch erregten verdünnten Gasen eine Strahlung in die Ferne stattfindet, und zwar durch undurchsichtige Umhüllung hindurch, und er nannte die Erscheinung X-Strahlung. Dabei stellte sich heraus, daß die X-Strahlung Körper durchdringt, die unserm Auge undurchsichtig erscheinen, und zwar um so leichter, je weniger dicht die betreffenden Stoffe sind. Papier ist sehr durchlässig; stellte Professor Röntgen ein Buch von etwa 1000 Seiten zwischen die Crookes’sche Röhre und den Fluorescenzschirm, so leuchtete derselbe noch deutlich auf. Hielt er die Hand zwischen den Entladungsapparat und den Schirm, so sah er die dunkleren Schatten der Handknochen in dem nur wenig dunklen Schattenbilde der Hand. Holz ist für die neuen Strahlen sehr durchlässig, Metalle dagegen halten die Strahlen je nach ihrer Dichte auf. Professor Röntgen fand ferner, daß die X-Strahlen auf die gewöhnlichen photographischen Trockenplatten einwirken, und nahm eine Reihe der Schattenbilder photographisch auf. Als er bei hellem Tageslichte seine Hand auf die geschlossene Kassette eines photographischen Apparates legte und der X-Strahlung aussetzte, erhielt er auf dem in der Kassette eingeschlossenen empfindlichen Papiere den Lichtabdruck der Hand, und zwar das Bild der Knochen und der Ringe, die frei um den Finger zu schweben scheinen. Die Weichteile lassen dies Licht durch, d. h. schwach sind auch sie gekennzeichnet, wogegen die Knochen scharf modelliert sind, ebenso wie die Ringe. Die Photographie einer Damenhand nach diesem Verfahren von P. Spies in Berlin zeigt unsere Abbildung auf S. 84.

Die scharfen Umrisse sind besonders wichtig: sie lassen erkennen, daß die X-Strahlung sich geradlinig fortpflanzt, daß keinerlei Beugung stattgefunden hat. Weitere Versuche ergaben, daß die X-Strahlung weder durch Wasser noch durch Prismen abgelenkt wird, und deshalb wird es auch nicht möglich sein, sie durch Glaslinsen zu brechen und zum Photographieren mit den bekannten Apparaten zu benutzen. Die Bilder, die bis jetzt mit der X-Strahlung erhalten wurden, sind daher als Schattenbilder zu betrachten und nicht als Photographien üblicher Art. Aber schon jetzt ist man zu der Hoffnung berechtigt, daß aus dieser Entdeckung nicht nur die Wissenschaft, sondern auch deren praktische Anwendung im Leben Nutzen ziehen werden. J. S.     


[84]

Eine Damenhand.
Nach dem Röntgenschen Verfahren aufgenommen von P. Spies in Berlin 1896.
(Vergl. den Artikel S. 75.)