Die deutschen Vorschuß-Vereine

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Autor: Hermann Schulze-Delitzsch
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Titel: Die deutschen Vorschuß-Vereine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 183-184
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die deutschen Vorschuß-Vereine.
Von Schulze-Delitzsch.

Die glänzende Anerkennung, welche das deutsche Associationswesen auf dem Congresse deutscher Volkswirthe zu Gotha im September vorigen Jahres gefunden hat, bezog sich namentlich mit auf unsere Vorschuß- und Creditvereine, welche, aus Selbsthülfe und Solidarität gegründet, die Aufgabe, dem unbemittelten Gewerbtreibenden das nöthige Capital zu seinem Geschäftsbetriebe zuzuführen, trotz ihres erst so kurzen Bestehens in überraschender Weise gelöst haben. Sie sind eine eigenthümlich deutsche Form der Genossenschaft, welche weder in England, noch in Frankreich vorkommt, und in dem ganz besonders dem deutschen Wesen eignen Streben gegründet, vermöge dessen unsere Handwerker und Arbeiter soviel als möglich ihre vereinzelte gewerbliche Selbstständigkeit zu behaupten suchen und sich sehr schwer zu genossenschaftlichem Gewerbebetriebe für gemeinsame Rechnung entschließen, vielmehr die Genossenschaft, wo es immer geht, nur zur vortheilhafteren Beschaffung der Vorbedingungen eines lohnenden Gewerbetriebes für den Einzelnen benutzen. Daß sie aber eben so fruchtreich, ja unentbehrlich bei weiterer Verbreitung des Associationswesens sein müssen, ist klar, indem die alsdann vielleicht zu erwartende Steigerung des Verkehrs der Productiv-Associationen der Vermittelung von Associations-Banken gar nicht wird entbehren können, wie sich schon jetzt darin zeigt, daß die bestehenden Rohstoff- und Consum-Vereine zu den regelmäßigsten und sichersten Kunden der Vorschußvereine gehören.

Ueber die Einrichtung derselben verweise ich auf mein Schriftchen: „Vorschußvereine als Volksbanken“ (Leipzig, bei E. Keil), welches in einigen Wochen in zweiter, ganz umgearbeiteter Auflage erscheinen wird, sowie auf frühere Mittheilungen in diesem Blatte, da hier nur die Umrisse im Allgemeinsten angedeutet werden können.

Die Vorschußvereine sind überall, ohne Mitwirkung von Capitalisten, durch Zutritt der kleinen Gewerbtreibenden und Arbeiter gegründet, welche sich derselben bedienen wollen, so daß die Kunden zugleich die Träger des Geschäfts sind, welches nur seinen Mitgliedern creditirt, die durch Gründung eines solchen Vereines also ihrem eigenen Bedürfnisse abhelfen. Der Fond wird durch Beiträge derselben und Anlehen von Dritten aufgebracht, für welche letztere Alle solidarisch, d. h. Jeder für das Ganze haften. Zu regelmäßigen Beiträgen sind die einzelnen Mitglieder, meist in Form von Monatssteuern, so lange verpflichtet, bis bei jedem ein festnormirter Betrag, ein Geschäftsantheil, in der Casse gebildet ist, welchem auch bis dahin die Dividenden zugeschrieben werden. Indem man die letzteren nach Höhe dieses Guthabens eines jeden Einzelnen in der Vereinscasse vertheilt, gewährt man den Mitgliedern den größten Reiz zur Verstärkung der Monatssteuern, also zum Sparen, und erreicht auf diese Weise, durch Anspornung des Eigeninteresse’s, die Anfänge eigener Capitalbildung für die Mitglieder viel rascher, als auf jedem anderen Wege, mit ihr aber die Grundlage alles wirthschaftlichen Gedeihens, worauf wir den größten Werth legen. Denn die Leichtigkeit, Credit zu erhalten, ist für den unbemittelten Gewerbtreibenden, wenn nicht das Anwachsen der Deckungsmittel damit Hand in Hand geht, nicht selten ein zweischneidiges Schwert, welches sich wider ihn selbst kehrt. So aber, wo er genöthigt ist, durch allmähliche, ihn nicht belästigende Steuern sich eine Summe anzusammeln, zu welcher noch der Reingewinn des Vorschußgeschäfts (sonst das thatsächliche Monopol der Capitalisten) als Dividende fließt, wird nicht blos für die Bank selbst, dem Publicum gegenüber, in einem den Mitgliedern gehörigen Grundstock, welcher mehr und mehr fremde Gelder entbehrlich macht, ein fester Anhalt, eine sichere Garantie gewonnen, sondern auch für den von dem Einzelnen zu beanspruchenden Credit. Es ist dies ein Vorzug, den unsere Vorschußvereine vor allen ähnlichen Instituten dieser Art voraus haben, der ihre segensreiche Wirkung hauptsächlich bedingt und sie zu einem so wichtigen Hebel für die Hebung der arbeitenden Classen macht.

Zum Belege des Gesagten mögen nun hier von einigen Vereinen die Resultate nach den mitgetheilten Rechnungsabschlüssen in den Hauptbeziehungen eine Stelle finden, wobei auf die verschiedenen Zeitstufen ihrer Entwickelung Rücksicht zu nehmen ist.

Betrachten wir zunächst den ältesten und ersten darunter, den Vorschußverein zu Delitzsch, welcher anfangs, vom Mai 1850 bis zum Herbst 1852, in alter Weise, nach dem kläglichen Almosenprincip organisirt war, von welchem so viele auch jetzt, trotz Wissenschaft und Erfahrung, nicht los können. Man hatte einige hundert Thaler geschenkweise und als unzinsbare Darlehen aufgebracht, die man in kleinen Posten gegen einen äußerst geringen Verwaltungskostenbeitrag auslieh und wobei man das, was nicht unrettbar verloren ging, meist wieder einklagen oder doch sehr mühsam einziehen mußte, bis im Herbst 1852 durch den Obengenannten die Reorganisation nach den jetzigen Grundsätzen erfolgte, welche den meisten später gegründeten zum Muster diente. Es ergeben sich hier folgende Zahlen, wobei alle Summen nur in Thalern ausgerückt sind:

1. Jahr der Wirksamkeit. 2. Mitgliederzahl am Jahresschl. 3. Summe d. im J. gegeb. Vorsch. u. Prolongationen. 4. Guthaben od. Geschäftsantheil d. Mitgl. 5. Reserve. 6. Ganzer Betriebsfond am Jahresschl.
1850–1852 117–30 825 47 108 230
1853 175 8440 195 204 2067
1854 210 15,012 558 235 3560
1855 256 19.810 1548 255 5096
1856 301 24,532 2729 303 6039
1857 350 30,958 3871 368 9784
1858 382 45,197 4830 394 12,987

Hier stellt sich so recht der Unterschied zwischen dem alten Princip der Unterstützung und dem jetzt dem Vereine zu Grunde liegenden der Selbsthülfe heraus. Während in der Zeit vom Mai 1850 bis October 1852 – zwei Jahre und fünf Monate – nur 825 Thaler im Ganzen als Vorschüsse gewährt wurden und die Mitgliederzahl von 117 auf 30 heruntersank: eine solche Steigerung des Verkehrs von 1853 ab mit jedem Jahre! Und dies in einer Landstadt von 5000 Einwohnern mit gewöhnlicher Handwerksindustrie, wo noch dazu die städtische, höchst bedeutende Sparcasse eine gefährliche Concurrenz macht, welche von ihren Gewinnüberschüssen ebenfalls Vorschüsse zu geringeren Zinsen gegen Pfand und Bürgschaft gewährt.

Von großem Interesse ist ferner der Verlauf der Dinge in Eisleben (Bergstadt von 14,000 Einwohnern), wo sich besonders durch die Bemühungen des dasigen ausgezeichnet tüchtigen Geschäftsmannes, Herrn Söngel, ein Vorschußverein ganz in der Art des Delitzscher im Jahre 1854 bildete. Da die Behörde in jener Zeit den Verein für concessionspflichtig achtete und die Concession an höchst erschwerende, jede freie Bewegung lähmende Bedingungen knüpfte, so gestaltete man denselben Anfang October 1856 in eine [184] Disconto-Gesellschaft, ein gewöhnliches Societäts-Bankgeschäft um, in welchem jedes Mitglied sich mit einem Geschäftsantheile von mindestens 10 Thaler, welcher allmählich eingezahlt wurde, beteiligen mußte, und gab die Vorschüsse in der Form von Wechseldiscontirungen, was um so weniger Schwierigkeiten machte, als man bereits vorher sich von den Mitgliedern Wechsel statt gewöhnlicher Schuldscheine hatte ausstellen lassen. Das Geschäft nahm folgenden Aufschwung:

1. Jahr der Wirksamkeit. 2. Mitgliederzahl am Jahresschl. 3. Summe der im Jahr gegebenen Vorschüsse. 4. Guthaben od. Geschäftsantheil d. Mitgl. 5. Reserve. 6. Ganzer Betriebsfond am Jahresschl.
1854 735
1855 101 6416 180 118 2359
1856 255 30,929 3814 343 14,867
1857 295 83,716 8267 639 35,970
1858 340 302,738 18,527 873 95,605

wobei zu bemerken ist, daß das Geschäft erst in dem letzten Quartal 1854 begann und die erste Rechnung deshalb erst Ende 1855 abgeschlossen ist, gegenwärtig jedoch das Rechnungsjahr jedes Mal vom ersten Juli bis letzten Juni des nächsten Jahres läuft.

Einen sehr bemerkenswerthen Gang nahmen die Dinge in Leipzig, wo im Sommer 1856 besonders durch die rastlosen Bemühungen des durch seine gemeinnützigen Bestrebungen bekannten Advocaten Winter ein Vorschußverein nach dem Plane der unsrigen zu Stande kam, nachdem ein vom dasigen Innungsmeisterverein schon 1854 aufgestelltes Project daran gescheitert war, daß das dazu erwählte, zum Theil aus reichen Kaufleuten bestehende Organisationscomité die Begründung eines solchen Instituts auf Selbsthülfe und Gegenseitigkeit für unmöglich erklärte, vielmehr durch unzinsbare Darlehen und Geschenke einen bedeutenden Fond von 8540 Thalern zusammenbrachte und damit die Darlehnsanstalt für Gewerbtreibende gründete. Dieser wesentlich auf Mildthätigkeit, Hülfe von außen basirten Anstalt gegenüber hat sich unser Vorschußverein, ohne alles Zuthun der Capitalisten, ohne jede Subvention, blos aus eigener Kraft seiner Mitglieder – meist aus dem kleinen Gewerbsstande – in der kurzen Zeit seines Bestehens aus den bescheidensten Anfängen heraus dergestalt entwickelt, daß er dieselbe an Umfang seines sich stets steigernden Verkehres bereits jetzt überflügelt. Derselbe betrug nämlich:

1. Jahr der Wirksamkeit. 2. Mitgliederzahl am Jahresschl. 3. Summe der im Jahr gegebenen Vorschüsse. 4. Guthaben od. Geschäftsantheil d. Mitgl. 5. Reserve. 6. Ganzer Betriebsfond am Jahresschl.
1856
(nur 5 Monate)
126 1547 198 13 1133
1857 400 32,747 2140 135 13,049
1858 700 64,179 6929 383 22,676

Ueberhaupt waren von fünfundzwanzig Vorschußvereinen, von denen die meisten erst seit einem und zwei Jahren bestanden, im Jahre 1857, nach den mitgetheilten Rechnungsabschlüssen, 643,879 Thaler Vorschüsse gewährt worden, ein Betrag, der sich 1858 nur allein bei diesen fünfundzwanzig Vereinen (wie der Vorgang von Eisleben zeigt) verdoppelt hat. Nun sind aber gegenwärtig bereits achtzig bis neunzig solcher Vereine in Deutschland im Gange, woraus man sich einen Begriff von der Bedeutung dieser Institute für unsern Kleinverkehr machen kann, da ihr Gesammtumsatz nach Millionen berechnet werden muß. Dies haben denn auch sämmtliche deutsche Regierungen, mit alleiniger Ausnahme der hannöverschen, anerkannt und jede Hemmung, wie sie besonders in dem leidigen Concessionswesen und der damit verbundenen Controle und Bindung des freien Geschäftsverkehres lag, beseitigt. Gerade in Hannover aber, wo, nächst der preußischen Provinz Sachsen, die Genossenschaften dieser Art, bei der Kernhaftigkeit und Intelligenz des dortigen Handwerkerstandes am freudigsten aufblühten, sind eine ganze Anzahl der in der gedeihlichsten Wirksamkeit begriffenen Vereine (in Hannover, Hildesheim, Peine, Celle, Emden, Lüchow, Alfeld u. a.) durch die Concessionsverweigerung unterdrückt, und es ist noch fraglich, ob dieselben vielleicht unter anderer, die Einmischung der Behörden, als eines mit der Wirksamkeit dieser Banken unverträglichen Elementes, ausschließenden Form je wieder in Wirksamkeit treten werden.

Die bedeutendsten der jetzt begehenden Vereine, außer den genannten, sind die in Meißen, Zerbst, Sangerhausen, Luckau und Dresden, von denen jeder der vier ersteren im Jahre 1858 sicher gegen 100,000 Thaler und darüber an Vorschüssen ausgegeben hat (die vollständigen Rechnungsabschlüsse liegen noch nicht vor), der letztere aber im Jahre 1858, als im ersten seiner Wirksamkeit, gleich mit 41,056 Thaler Vorschüssen begann. Von den Leitern dieser Vereine sind namentlich die Herren Advocat Hallbauer in Meißen, Buchhändler Behm in Zerbst, Amtsrichter Steinacker in Sangerhausen, Destillateur Zopp in Luckau, Haushofmeister Schöne und Advocat Miller in Dresden als besonders verdiente Förderer der guten Sache zu erwähnen, von denen Herr Hallbauer in einer sehr schätzenswerthen Schrift: „Ueber Vorschuß- und Credit-Vereine mit besonderer Rücksicht auf den Credit-Verein in Meißen. Meißen, 1857.“ für die Verbreitung der Vereine besonders für Sachsen Propaganda macht, und die Eigenthümlichkeiten des von ihm mit so vielem Erfolge geleiteten Vereins, welcher von der königlich sächsischen Regierung in liberalster Weise Corporationsrechte erhalten hat, entwickelt.

Hoffentlich wird der im nächsten Herbst in Frankfurt a. M. wieder zusammentretende Congreß deutscher Volkswirthe auf die fernere Entwickelung des Genossenschaftswesens namentlich in Süddeutschland vortheilhaft einwirken und dazu helfen, daß die Rechnungsabschlüsse der Vereine nebst sonstigen Nachrichten besser, wie bisher, eingehen und die für Fortbildung der Sache unerläßliche Statistik vervollständigt werden kam.