Die eisernen Stiefel
[198]
Ein König hatte ein großes Schloß, darin wohnte er mit seiner Frau. Sie waren aber gar nicht glücklich darin, denn sie hatten wohl Reichthümer genug, Dienerschaft die Menge und große Ställe voll Pferde, aber das Beste und Schönste fehlte ihnen, sie hatten keine Kinder. Das machte ihnen ihr Leben recht bitter und das Herz oft so schwer, daß sie weinen mußten. Aber es schien ihnen noch viel mehr Trübsal und Leid bestimmt, denn eines Tages brach ein großes Feuer aus, welches das ganze Schloß verzehrte. Der König und die Königin kamen zwar mit dem Leben davon, aber von all ihren Schätzen und all ihrer Habe retteten sie nur eine eiserne Kiste voll Gold. Damit bauten sie das schöne Schloß wieder auf, aber die Freude währte nicht lange. Ein zweiter Brand verschlang das neue Schloß und es wurde nichts gerettet, als die eiserne Kiste, die aber war leer. So war der König plötzlich so arm geworden, wie der ärmste Mann in seinem Lande, und noch ärmer, denn ein armer Mann kann wenigstens arbeiten und sich sein Brod verdienen, das aber konnte der König nicht. Seine Diener und Hofherren waren im Nu wie fortgeblasen, denn in's Königs Haus geht nicht viel Treue ein und aus und ein König kann noch viel eher sagen als unser eins: der Freunde [199] in der Noth gehn hundert auf ein Loth. Da nahm er seine Frau an der Hand und die Beiden gingen tief betrübt in den Wald. Da stand ein verlassenes Hirtenhäuschen, dies bezogen sie und wirthschafteten darin, wie geringe Leute. Der König trug selbst sein Brennholz nach Hause und die Königin machte selber Feuer an und kochte Suppe und Kartoffeln. Das war sehr ungewohnte Arbeit für sie, darum wurde es ihnen Anfangs recht sauer, aber nach und nach gings immer besser und sie hatten sich mit jedem Tage lieber, viel lieber als da, wo sie noch auf dem Throne saßen und Alles vollauf hatten.
Eines Tages, als der König im Walde Holz fällte, trat ein fremder unbekannter Mann zu ihm, der frug ihn, wie es ihm gehe? „Nicht allzugut“ sprach der König. „Es will immer noch nicht so recht vorwärts mit der Arbeit.“ Sprach der Fremde: „Ihr habt nicht nöthig zu arbeiten, ihr könnt es besser haben, das liegt nur an euch.“ „Wie meint ihr das?“ „Wenn ihr mir schriftlich versprecht, was ihr nicht wißt, dann fülle ich euch eure eiserne Kiste mit Gold.“ Der König dachte: Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß und gab dem Fremden das Versprechen auf ein Stück Papier. Der aber lachte boshaft und sprach: „Dann lasset Beil und Holz nur hier liegen und geht nach Hause.“
Als der König nach Hause kam, sprang seine Frau ihm schon von weitem entgegen und rief: „Ein Glück kommt selten allein, denke dir, die eiserne Kiste ist voll Gold und was wir uns seit Jahren schon gewünscht haben, unser größtes Glück das sollen [200] wir auch bekommen.“ Wie war der König da so froh! Er ließ alsbald alle möglichen Handwerker kommen, Maurer und Zimmermann, Schlosser und Schreiner und es dauerte nicht lange, da stand an der Stelle des Hüttchens das schönste Schloß von der Welt im Walde. Noch wohnte er keine drei Wochen darin, da erfüllte sich auch das andere Glück, denn die Königin genas eines schönen Söhnchens; so daß dem Könige nichts zu wünschen übrig blieb.
Am folgenden Tage ließ sich ein fremder Mann bei dem König melden. Als derselbe hereintrat, begrüßte ihn der König mit vieler Freude und wollte ihm von seinem Glück erzählen, aber der Fremde sprach: „Ich weiß schon Alles, dein Sohn ist ja das, was du mir versprochen hast, ohne es zu wissen. Sobald er fünfzehn Jahre alt ist, muß er in den Wald kommen, da wo ich dich gefunden habe, da will ich ihn holen und mit mir nehmen.“ Mit den Worten war der Fremde verschwunden, der König stand aber da, wie vom Donner gerührt. Da lagen nun alle seine Hoffnungen und viel lieber wäre er wieder im Waldhäuschen gewesen, als in seinem großen und prächtigen Schloß, denn um den Preis hatte er ja seinen Sohn verkauft. In der ersten Zeit sagte er der Königin nichts davon, als sie es aber später erfuhr, da weinte sie Tag und Nacht und wollte sich nicht trösten lassen. Der König suchte sie zu beruhigen und sagte: „Wer weiß, ob es nicht besser geht, als wir glauben. Es wird sich wohl ein Mittel finden, unser Kind zu retten. Warum sollen wir uns jetzt schon darüber quälen und uns alle Freude verbittern; Gott wird schon helfen, [201] wenn wir das Unsrige thun.“ Eine Zeit lang schlugen diese Reden wenig an, später aber wurde die Königin immer ruhiger und endlich ganz heiter, denn sie hatte Gott Alles anheim gestellt.
Als das Kind größer wurde, gaben es die Aeltern einem frommen Priester zur Erziehung, daß er es in Allem unterrichte, was ein Prinz wissen muß. Sie verschwiegen ihm zwar, was es mit dem Knaben für eine gefährliche Bewandtnis hatte, denn der König schämte sich zu sagen, daß er sich mit dem Teufel eingelassen habe und sich von ihm betrügen lassen, doch der Priester merkte es dem Kinde alsbald an, daß es dem Bösen verschrieben und verkauft war. Darum erzog er den Knaben vor Allem in der Gottesfurcht, ließ es aber dabei an andern Künsten und gelehrten Dingen nicht fehlen. Als der Knabe das vierzehnte Jahr erreicht hatte, sprach er zu ihm: „Gehe zu deinen Aeltern und frage sie, an welchem Tage du in dem Walde sein mußt, da wo dein Vater stand, als ihm der fremde Mann zuerst erschienen ist, und bringe mir Antwort um jeden Preis.“ Der Knabe ging in das Schloß und frug zuerst seine Mutter, dann seinen Vater, doch Beide wollten es ihm nicht sagen, bis er sie bedrohte; da gestand der König Alles, wie es war, und daß er an seinem fünfzehnten Geburtstage auf der Waldwiese sein müsse. Getrost kehrte der Prinz zurück, denn er fürchtete sich vor nichts; er blieb nun bei seinem Lehrer, dem er Alles wieder erzählte, und während des ganzen Jahres war nicht einmal die Rede von dem Abenteuer, welches ihm bevorstand.
Am Morgen seines fünfzehnten Geburtstages trat der Prinz [202] zu dem Priester und sprach: „Ich komme, um Abschied von euch zu nehmen und euch für Alles zu danken, was ich hier gelernt habe. Mit Gottes Hülfe werde ich wol des Teufels Meister werden.“ „Das geht nicht so leicht,“ sagte der Priester; „wenn du mir aber folgen willst, kann es dir nicht fehlen.“ Er gab ihm einen Stab und unterrichtete ihn in Allem, was er zu thun hatte, begleitete ihn noch bis zum Rande des Waldes und schied von ihm mit seinem Segen und vielen guten Wünschen.
Der Prinz schritt wacker zu und kam bald an den Platz, wo er des Bösen warten sollte. Er schaute sich nach allen Seiten um, aber da war nichts zu hören noch zu sehn. Der Wald lag todtenstill da, kein Vogel sang darin, nur manchmal raschelte ein Eichhörnchen durch die Zweige oder ein Reh lief scheu vorüber. Da fing ihm wohl das Herz an zu pochen, doch faßte er all seinen Muth zusammen und sang ein frisches frommes Lied. Da schollen plötzlich helle Töne, wie von vieler Musik aus der Luft, Trommeln und Pfeifen, Hörner und Geigen. Er schaute empor, da fuhr ein Schiff durch die Luft daher und auf ihn zu, darin saß eine Menge von Teufeln, die musizirten und sangen und schrieen dazwischen:
›Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!‹
Dabei streckten sie die Klauen nach ihm aus, um ihn zu greifen, aber er nicht faul schlug ihnen mit dem Stabe drauf, da heulten sie ganz erbärmlich und fuhren weiter, als ob ein Gewitter hinter ihnen drein gewesen wäre. [203]
Der Prinz athmete frisch auf, doch nicht lange, denn da kam ein zweites Schiff gefahren, darin saßen noch viel ärgere und größere Teufel als in dem ersten; sie machten eine so durchdringende Musik, daß er sich fast die Ohren zuhalten mußte und schrieen:
›Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!‹
griffen auch mit ihren Klauen und Krallen nach ihm. Er theilte ihnen aber so gründliche Schläge aus, daß sie heulend zurückfuhren und das Schiff schoß weiter, wie ein Pfeil vom Bogen.
Jetzt war des Prinzen Muth gewachsen, denn da er die zwei Schiffe voll Teufel bestanden hatte, meinte er auch das dritte noch bestehen zu können, wenn ja ein solches noch kommen sollte. Nun kam zwar kein Schiff weiter, doch sein Muth litt eine noch härtere Probe. Es fuhr nämlich ein goldner Wagen heran, der mit feurigen Pferden bespannt war, daraus erscholl eine so sinnverwirrende Musik, daß Ferdinand seiner Besinnung nur schwer Meister blieb. Wie in den Schiffen, so saßen auch in dem Wagen Teufel die Menge, zu oberst aber der Altteufel, der lehnte sich weit aus dem Wagen heraus und rief mit gräulicher Stimme:
›Die Zeit und Stunde die ist aus,
Ferdinand, Ferdinand komm herauf!‹
Dabei hielt er dem Prinzen das Papier vor, welches der König unterschrieben hatte. Ferdinand nahm aber all seine Kraft zusammen und schlug den Altteufel, als derselbe nach ihm greifen wollte, mit dem Stabe tüchtig auf seine Pfote. Da ließ er die [204] Handschrift fallen und schrie, daß der ganze Wald widerhallte; die Pferde schnaubten Feuer und der Wagen zischte durch die Luft dahin schneller wie der Blitz.
Nun stand Ferdinand allein im Walde da, aber sein Herz war leicht und fröhlich und auch der Wald wurde jetzt lebendig; wie nach einem schweren Gewitter, so kamen die Vöglein aller Orten hervor und sangen und jubilirten, die Hirsche und Rehe sprangen munter daher, als hätten sie gar keine Scheu vor ihm und das Bächlein hüpfte frisch über die weißen Kiesel. Der Prinz eilte zu seinem Lehrer zurück, welcher ihn mit banger Spannung erwartete und sich gar sehr freute, ihn wiederzusehn. „Du bist zu großen und schönen Dingen berufen,“ sprach der Priester da, „darum kannst du nicht länger bei mir bleiben und mußt nun fort in die Welt.“ Der Prinz erwiederte: „Nun ich mit dem Teufel fertig geworden bin, habe ich eine wahre Sehnsucht in mir nach dem Himmelreich, darum bitte ich euch, daß ihr mir ferner helfet und saget, wie ich dahin gelangen kann.“ „Davon kann ich dir wenig sagen,“ sprach der Priester. „Gehe aber im Walde fort, bis du an das große Wasser kommst, welches jenseits desselben liegt; da wohnt ein Einsiedel, der kann dir mehr davon sagen, wie ich.“
Da nahm Ferdinand Abschied von dem Priester und wanderte in den Wald hinein. Er hatte schon manchen Schritt und Tritt gethan, da wurde es eines Tages lichter und immer lichter, der Wald öffnete sich vor ihm und er kam an ein großes Wasser, dessen Ende er gar nicht absehen konnte. Am Ufer lag ein Häuschen [205] von Holz und Moos mit einem Kreuzchen drauf, da klopfte er an. Die Thür ging auf und der Einsiedel mit seinem langen grauen Bart und der braunen Kutte trat heraus. Der Prinz grüßte ihn bescheidentlich und fragte ihn: „Könnt ihr mir sagen, wie ich den Weg zum Himmelreich finde?“ Der Einsiedel antwortete: „Ich kann dir das nicht sagen, ich wohne schon dreihundert Jahre hier und sah in all der Zeit keinen Menschen; aber mein Bruder weiß es wohl, der wohnt dreihundert Meilen von hier, jenseits des Wassers, wenn du ihn fragen willst, wird er es dir sagen.“ „Wie soll ich aber über das Wasser kommen?“ fragte der Prinz weiter und der Einsiedel ging mit ihm zum Ufer, wo ein Kahn lag und sprach: „Setze dich hinein und du wirst den Weg bald gemacht haben.“ Ferdinand dankte dem frommen Manne, setzte sich in den Kahn und sogleich begann die Reise. Der Kahn schoß leicht und schnell über die Wellen daher, als ob sechs Rudrer gerudert hätten und der Wind in volle Segel geblasen hätte. Ehe er sichs versah, war der Prinz am andern Ufer und sprang aus dem Kahn ans Land. Er schritt heitern Gemüthes weiter, bis er abermals an ein großes Wasser kam. Da stand am Ufer wiederum ein Häuschen von Holz und Moos mit einem Kreuzchen drauf und drinnen saß der Einsiedel mit weißem Bart und brauner Kutte und las in einem großen Buch; vor ihm stand ein Todtenkopf und sein Wasserkrüglein. Ferdinand grüßte ihn und fragte: „Könnt ihr mir nicht sagen, wie ich den Weg in's Himmelreich finde?“ Der Einsiedel antwortete: „Ich kann es dir nicht sagen, ich wohne schon dreihundert Jahre hier und habe [206] in der Zeit keinen Menschen gesehn, aber mein Bruder, der jenseits des Wassers wohnt, ist älter und klüger als ich, der kann es dir wohl sagen, wenn du ihn fragen willst.“ „Wie soll ich aber über das Wasser kommen?“ frug der Prinz. „Dazu will ich dir verhelfen,“ sprach der Einsiedel und ging mit ihm zum Ufer, wo ein Kahn lag: „Setze dich nur in diesen Kahn und du wirst bald dort sein.“ Ferdinand dankte ihm, stieg in den Kahn und fort gings, wie der Wind. Bald landete der Kahn und er sprang ans Land. In der Ferne sah er schon das Haus des dritten Einsiedels, es war aber viel höher und größer, wie das der beiden andern. Der Prinz trat zu der Thür und klopfte, da kam der Einsiedel heraus. Ferdinand grüßte ihn bescheidentlich und fragte: „Könnt ihr mir nicht sagen, wie ich den Weg zum Himmelreich finde?“ Der Einsiedel sprach: „Ich wohne bereits seit dreihundert Jahren hier, aber noch hat mich keiner nach dem Himmelreich gefragt; ich kann es dir nicht sagen, aber droben im andern Stock des Hauses wohnen allerlei Vögel, die können es dir jedenfalls sagen.“ Der Prinz dankte dem Einsiedel für seinen Rath, stieg in den obern Stock, wo die Vögel waren und frug sie: „Wisset ihr nicht, wie ich den Weg ins Himmelreich finde?“ Da schrieen alle die Vögel durcheinander: „Wir wissen es nicht, wir wissen es nicht, aber wir sind nicht alle beisammen. Der Vogel Greif ist ausgeflogen, wenn der wiederkommt, kann er es dir sagen, er ist eben im himmlischen Paradies.“ Es dauerte dem Prinzen gar lange, bis der Vogel Greif kam, auch war da ein Lärm und Geschrei von den Vögeln, daß er sich die Ohren [207] zuhalten mußte. Endlich schrieen sie: „Da kommt er! da kommt er!“ Der Prinz trat ans Fenster und sah, wie von fernher eine große Wolke heranflog, als sie näher kam, wurde sie immer größer und dabei rauschte es, wie ein starker Wind. Das war der Vogel Greif, er flog auf das Haus zu und ließ sich vor demselben nieder. Ferdinand trat zu ihm und frug: „Kannst du mir sagen, wie ich in das Himmelreich komme?“ „Sagen kann ich es dir wohl,“ sprach der Greif, „aber das Sagen allein hilft dir nichts, denn du kannst weder zu Wasser noch zu Lande hinein. Ich will dir aber helfen und dich hineintragen.“ Ferdinand wollte ihm danken, aber ehe er noch sprechen konnte, faßte der Greif ihn schon mit seinen ungeheuren Klauen und flog mit ihm auf, immer höher und höher, bis er ihn im Himmelreich niedersetzte.
Der Prinz schaute sich erfreut um. Er stand in einem herrlichen Garten voll der prächtigsten Blumen und Bäume; in der Mitte erhob sich ein hohes stolzes Schloß, das leuchtete in der Sonne wie von purem Gold. Vor dem Schlosse lag ein großer, großer Teich und in dem Teich eine große furchtbare Schlange. Die hätte manchen Andern in Furcht und Schrecken versetzt, der Prinz aber hatte längst verlernt, was es heiße Furcht haben. Er ging keck auf den Teich los und betrachtete sie, da hob sie ihr Haupt aus dem Wasser empor, sah ihn mit klugen Augen an und sprach: „Ferdinand, ich habe schon lange auf dich gehofft und geharrt, denn du sollst mich erlösen und kein Anderer kann es, als du allein.“ Der Prinz fragte: „Wie soll ich dieß denn anfangen?“ Die Schlange antwortete: „Du mußt drei Nächte im Schlosse [208] schlafen. Da wird dir allerhand begegnen, aber du darfst dich nichts anfechten lassen, was auch komme. Bestehst du diese Zeit, dann bin ich erlöst und wir sind Beide glücklich, du und ich.“ Der Prinz versprach ihr gerne das Beste, denn er dachte, wenn er so viel ausgehalten habe, dann könne er auch noch die drei Nächte aushalten. Da gab ihm die Schlange noch allerlei Rathschläge, wie er sich zu verhalten habe, dann tauchte sie ihr Haupt nieder unter das Wasser und war verschwunden.
Ferdinand ging in dem Garten umher, die wunderbaren Bäume und Blumen zu beschauen und betrat zuletzt auch das Schloß. Da stand ein reich gedeckter Tisch im schönsten Saale, den man mit Augen sehen kann. Er setzte sich hinzu und ließ es sich wohlschmecken, und je mehr er aß und trank, um so mehr neue und köstlichere Speisen wurden von unsichtbaren Händen herbeigetragen. Gegen Abend legte er sich zu Bette, aber er konnte nicht schlafen, denn er war allzuneugierig, was wohl in der Nacht vorgehen werde.
Gegen zwölf Uhr fuhr die Thür auf und eine große Gesellschaft von prächtig gekleideten Herren und Frauen kam herein. Viele Diener mit Kerzen gingen ihnen zur Seite und hinterher kam eine zahlreiche Bande von Musikanten, welche lustige Tänze spielten. Hei, war das ein Leben! Ferdinand sah ihnen verwundert zu, wie sie tanzten und sprangen, aber er hütete sich wohl mit ihnen herum zu springen. Da kamen sie alle nach der Reihe an sein Bett und luden ihn ein, mit zu tanzen und sich mit ihnen zu freuen, aber er that, als höre und sehe er nichts und [209] blieb unbeweglich da liegen, wie ein Stock. Das dauerte so fort, bis die Glocke Eins schlug, da verschwand der ganze Spuk. Zugleich ringelte sich die große Schlange herein und sprach: „Ferdinand, mein Erlöser, eine Nacht hast du ausgehalten und zwei stehen dir noch bevor; fürchte dich aber nicht, es geschieht dir nichts und Niemand kann dir am Leben schaden.“
In der zweiten Nacht hatte es wiederum kaum Zwölf geschlagen, als dieselbe Gesellschaft mit Dienern und Musikanten in das Zimmer trat und ihre Tänze begann. Sie kamen an sein Bett und riefen, er solle heraus kommen und mit ihnen tanzen, doch er blieb liegen und hörte nicht auf sie. Da drohten sie ihm und als er auch da noch liegen blieb, zerrten sie ihn heraus, schlugen ihn und traten ihn mit Füßen, doch er ließ es sich ruhig gefallen und das wurde ihm nicht schwer, denn er fühlte nichts davon. Also ging es fort, bis es Eins schlug, da verschwand die ganze Sippschaft. Die Schlange kam wieder herein und sprach: „Ferdinand, mein Erlöser, zwei Nächte hast du glücklich ausgehalten und eine steht dir noch bevor; das ist die härteste von allen. Fürchte dich aber nicht, es geschieht dir nichts und Niemand kann dir am Leben schaden.“
Der Prinz erwartete muthig in der dritten Nacht die zwölfte Stunde. Als es schlug erschien auch das gespenstische Volk wieder und begann seine alten Streiche. Zuerst tanzte es allein, dann wollte es ihn verlocken mit zu tanzen. Als er standhaft blieb und sich nicht rührte, da rissen sie ihn aus dem Bette heraus und schlugen ihn und als auch das nicht helfen wollte, da schnitten [210] sie ihn in Stücke und tanzten darauf im Zimmer herum, bis es Eins schlug. Da verstoben sie wie ein Rauch. Zugleich öffnete sich aber die Thür und herein kam – nicht die Schlange, sondern die allerschönste Königstochter. Die ging im Zimmer umher, las die Stücke zusammen und fügte sie aneinander. Als das letzte Stückchen dabei war, da sprang der Prinz auf und war so frisch und gesund wie vorher und schaute die Königstochter mit erstaunten Augen an. Da sprach sie: „Ferdinand, mein Erlöser, jetzt hast du dein Werk vollbracht und ich bin dein auf ewig; wir bleiben nun beisammen und du hast Alles, was dein Herz begehrt.“ Da umarmte sie der Prinz und küßte sie und Beide waren froh und glückseelig. Sie führte ihn in dem ganzen Schloß umher und da wimmelte es von Bedienten und Hofherren, überall war ein neues Leben eingekehrt. Nachdem sie ihm das Schloß gezeigt hatte, führte sie ihn auch in den wunderherrlichen Garten, wo jetzt Alles noch viel schöner als vorher stand; nur an einem kleinen Gartenhäuschen ging sie vorüber und schloß es nicht auf. Da frug der Prinz, was in dem Häuschen sei, aber sie sprach: „Da frage nicht und schließe es auch nie auf, wenn du mich lieb hast, denn wenn du dies thust, ist es dein Unglück.“ Da drang er nicht weiter in sie und versprach ihr, er wolle nie hinein schauen.
Eine Zeitlang lebte der Prinz mit der schönen Königstochter in Glück und Freude; nach und nach aber mußte er stets, wenn er in dem Garten war, auf das Gartenhäuschen schauen und er wurde mit jedem Tage neugieriger zu wissen, was wohl darin sein möge. [211] Er sagte der Königstochter nichts davon, denn er schämte sich, ihr wieder davon anzufangen, nachdem er ihr doch das Versprechen gegeben hatte, nicht hineinschauen zu wollen. Wenn er allein im Garten war, ging er um das Häuschen herum, ob er eine Ritze fände, durch die er hineingucken könnte, aber die Fenster und die Thüre waren ganz dicht. Zuletzt aber konnte er seine Neugier nicht mehr bändigen, trat hinzu und schloß kurz und gut die Thüre auf. Da sah er tief, tief hinab und unter sich die Welt, auf der Welt aber seines Vaters Schloß. Alsbald überfiel ihn ein schmerzliches Heimweh und er mußte immer denken: „Ach wäre ich doch nur Einmal wieder zu Hause, sähe ich meine Aeltern doch nur Einmal wieder.“ Anfangs ließ er sich nichts davon merken, denn er schämte sich, sein Versprechen gebrochen zu haben, aber er wurde von Tag zu Tage stiller und betrübter. Da bat ihn seine Frau eines Morgens, er solle ihr doch sagen, was ihm fehle und sofort wolle sie es ihm gewähren. „Ich möchte meine lieben Aeltern einmal wiedersehn, ich habe sie so lange nicht gesehn,“ sprach er. Da seufzte sie tief auf und sagte: „So hast du dein Versprechen nicht gehalten. Da es nun aber nicht anders sein kann, so fahre hin und besuche sie, nur merke dir das Eine: Wenn du in Noth gerathen solltest, dann rufe mich bei meinem Namen Katharina Magdalena, so bin ich alsbald bei dir. Hüte dich jedoch, es ohne Noth zu thun, denn dann würdest du mein und dein Unglück vollenden und uns Beide in bitteres Leiden bringen.“ Der Prinz versprach ihr in seiner Freude Alles, was sie wollte und wie bald er wieder zurückkehren werde. Dann nahm er Abschied [212] von ihr, setzte sich in einen prächtigen Wagen mit sechs Schimmeln bespannt und fuhr hinab zur Erde und geraden Wegs nach seines Vaters Schloß.
Ach da fand er unterdessen gar vieles verändert. Seine liebe Mutter war gestorben und sein Vater hatte eine andere Frau genommen, welche noch sehr jung und dabei überaus schön war. Der alte König war über alle Maaßen glücklich, als er seinen Sohn nach so langer Zeit wiedersah und veranstaltete ein Fest über das andere zur Feier seiner Rückkehr. Als nun alle Gäste bei Tische saßen und die junge Königin gar so schön in ihrem Schmuck glänzte, da sprach der König: „Du bist nun viel in der Welt herumgekommen und hast manche schöne Frau gesehn, gib aber einmal der Wahrheit die Ehre und sage mir, ob du je ein so schönes Weib gesehen hast, wie meine Gemahlin ist.“ Der Prinz sprach: „Deren gibt es wohl wenige, aber ich weiß doch eine, welche noch tausendmal schöner ist.“ „Das ist nicht möglich!“ rief der König, „und das glaubt dir kein Mensch, bevor er sie sieht. Ich möchte aber wissen, wo sie denn zu finden wäre.“ „Das will ich dir sagen,“ sprach der Prinz, „es ist meine Frau, und die hat ihres Gleichen nicht und neben ihr kann keine andere aufkommen.“ Das ärgerte den König und er bestand darauf, es sei unmöglich und wenn es wahr wäre, dann hätte Ferdinand sie wohl mitgebracht. Also stritten sie und erhitzten sich immer mehr, bis der Prinz rief: „Nun so muß sie herbei und mag es gehn wie es will. Katharina Magdalena!“ Da trat die wunderschöne Frau herein, und Alle verstummten, weil sie so überschön war, [213] daß ihr nichts verglichen werden konnte; aber sie sah gar blaß und traurig aus. Sie kam schweigend an den Tisch und schrieb mit ihrem feinen schneeweißen Finger darauf; das gab goldene Buchstaben und lautete also:
›Es ist dir unmöglich, ein Paar eiserne Stiefel zu zer reißen
Und ebenso unmöglich, wieder ins himmlische Para dies zu reisen.‹
Und als sie das geschrieben hatte seufzte sie tief auf und verschwand. Der Prinz war schon erschrocken, als sie so blaß und traurig hereintrat und seine Schuld lag ihm schon in dem Augenblick schwer auf dem Herzen. Jetzt aber, wo er sah daß er durch seinen Leichtsinn sein ganzes Glück verscherzt und seine liebe Frau verloren hatte, war er ganz trostlos. Er faßte sich aber bald einen Muth und sprach zu sich selber: Was ich verbrochen habe, dafür will ich auch Buße thun, und ging aus dem Saal, ohne einem der Gäste Lebewohl zu sagen. Diese waren Alle so sehr von der Erscheinung getroffen, daß ihnen die Lust zum Essen und Trinken ganz vergangen war und einer nach dem andern sich leise fortschlich.
Ferdinand ging aber zu einem Schmied, der mußte ihm ein Paar eiserne Stiefel an die Füße schmieden, damit wanderte er in die weite Welt hinaus. Jahr aus, Jahr ein zog er also herum, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und gönnte sich kaum die allernöthigste Ruhe. Da war ihm kein Sommer zu heiß und kein Winter zu kalt, kein Berg zu steil und kein Weg zu schlecht, er wanderte immer und immer zu und war da kein Halten an ihm. [214]
Als nun einmal nach einem gar harten und kalten Winter, worin er viel Mühsal ausgestanden hatte, der liebe Gott die große warme Stube wieder aufschloß, schaute er eines Morgens nach seiner Gewohnheit nach den Stiefeln, ob er sie nicht bald zu Schanden gelaufen habe. Da sah er, daß die Sohlen so dünn waren, daß sie keine acht Tage mehr halten konnten. Das war die erste frohe Stunde, welche er seit vielen Jahren wieder hatte und er dankte Gott auf seinen Knieen dafür. Sein erster Weg war nach dem Walde zu, an dessen Ende der Einsiedel am großen Wasser wohnte. Er bat ihn, daß er ihm nur einmal noch den Kahn gebe, der ihn über das große Wasser trüge und der gute Einsiedel führte ihn zum Ufer und hieß ihn einsteigen. Ebenso schnell wie das erstemal war er am andern Ufer. Der zweite Einsiedel half ihm dort in den andern Kahn, also kam er zu dem dritten Einsiedel, welcher ihn zu den Vögeln schickte. Es dauerte nicht lange, da flog der Vogel Greif wieder heran und Ferdinand bat ihn flehentlich, er möge ihn noch einmal in das Himmelreich tragen. Da faßte der Greif ihn mit seinen starken Klauen und erhob sich in die Luft und flog immer höher und höher, bis er den Prinzen in dem wunderschönen Paradiesgarten niedersetzte. Unterwegs frug Ferdinand, wie es der schönen Prinzessin ergehe? Da sprach der Greif: „Seitdem du fort warst, ist sie sehr traurig gewesen, nun aber feiert sie ihre Hochzeit mit ihrem neuen Gemahl.“ Das schnitt dem armen Prinzen durch das Herz, und er bat den Greif, doch nur schnell zu fliegen, bevor die Prinzessin mit ihrem neuen Gemahl in ihre Kammer gehe.
[215]
Als der Prinz an das Schloß kam, da erscholl ihm herrliche Musik entgegen und Alles war Freude und Lust. Leise schlich er durch das Thor und die Treppen hinan zu der Kammerthür seiner lieben Frau. Da zog er seine jetzt ganz zerrissenen Stiefel aus und stellte sie hin; an die Thüre schrieb er:
›Es ist möglich, ein Paar eiserner Stiefel zu zerreißen,
Und ist auch möglich ins himmlische Paradies zu reisen.‹
Er selber aber stellte sich nebenan in eine dunkle Ecke.
Abends als die Königstochter mit ihrem neuen Gemahl in ihre Kammer eingehn wollte, stieß sie an die eisernen Stiefel. Da erschrak sie freudig, aber noch mehr, als sie das Haupt erhob und auf der Thür las, was der Prinz geschrieben hatte. Sie erkannte daraus, daß ihr geliebter Ferdinand wieder zurückgekehrt sei, hieß ihren neuen Gemahl auf den andern Abend warten und ging allein in ihre Kammer. Wie war der Prinz so glücklich, als er sie in ihrer ganzen Schönheit wiedersah und nun wußte, daß sie ihn doch lieber habe, als ihren neuen Gemahl. Er regte sich aber nicht in seiner Ecke, bis sie in ihrem Zimmer war, dann ging er und offenbarte sich den Bedienten, befahl ihnen jedoch, keinem Menschen etwas von seiner Rückkehr zu sagen. Er wurde nun in seine prächtige Kammer geführt, wo er die Nacht blieb, er schlief aber nicht vor lauter Freude.
Am folgenden Tage wurde auf Befehl der Prinzessin ein herrliches Mahl bereitet und alle Hochzeitsgäste dazu geladen. Als nun die Speisen aufgetragen waren, erhob sich die Prinzessin und sprach: „Ich habe eine eiserne Kiste, worin ich meine [216] Perlen und Edelsteine verschlossen halte. Durch Unvorsichtigkeit verlor ich den Schlüssel dazu. Ich suchte lange vergebens darnach, als ich ihn nicht finden konnte, ließ ich den Schlosser kommen und bestellte einen neuen Schlüssel. Nun habe ich glücklicherweise den alten Schlüssel wieder gefunden und möchte euren Rath hören, welchen der Beiden ich nehmen soll, den alten oder den neuen?“ „Natürlich den alten!“ riefen alle Gäste einstimmig. Da öffnete sich die Thüre und der Prinz trat in den Saal und alle Gäste eilten ihm entgegen, ihn willkommen zu heißen, nur der neue Bräutigam nicht. Der schlich sich leise fort und Niemand hörte noch sah jemals wieder etwas von ihm. Zuerst vor allen aber flog die Prinzessin ihrem geliebten Gemahl an die Brust und ein glücklicheres Paar mag wohl nie gewesen sein, als die Beiden waren.