Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§13
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Es seien zwei starre Drahtringe, die durchflossen sind von den gleichförmigen elektrischen Strömen Befinden sich diese Ringe in irgend welchen Bewegungen, und gleichzeitig etwa auch die in ihnen vorhandenen Ströme (unbeschadet ihrer Gleichförmigkeit) in irgend welchem Zustande der Veränderung, so wird (vergl. pag. 53) für jedes Zeitelement die Formel gelten:
Zeitelement die vom Ringe auf den Ring ausgeübte ponderomotische Arbeit eldy. Us gleich gross ist mit dem negativen partiellen Zuwachs des Potentiales genommen nach der räumlichen Lage von
Bei den hier anzustellenden Erörterungen wollen wir, der Einfachheit willen, uns beschränken auf den Fall beträchtlicher Entfernungen. Alsdann ist (vergl. pag. 46) die Function identisch mit folglich das Potential (vergl. pag. 57) darstellbar durch
oder auch durch:
wo dieselben Bedeutungen haben wie im Ampère’schen Gesetz (pag. 44). Multiplicirt man die Formeln (2.) und (3.) respective mit und und addirt, so erhält man für folgende dritte Darstellung:
wo offenbar eine völlig willkührliche Constante ist. An Stelle von (4.) mag kürzer geschrieben werden:
wo alsdann zu definiren ist durch die Formel:
Andererseits sei bemerkt, dass die in (1.) mit bezeichnete Arbeit in folgender Weise ausgedrückt werden kann:
wo alsdann diejenige Arbeit eldy. Us repräsentirt, welche ein einzelnes Element des Ringes ausübt auf ein einzelnes Element des Ringes
Durch Substitution der Werthe (5.), (7.) gewinnt nun die Formel (1.) folgende Gestalt:
oder (was dasselbe ist) folgende:
Die vom Ringe auf den Ring ausgeübte Arbeit ist also, wie aus der Formel (9.) deutlich hervorgeht, von solcher Beschaffenheit, als würde von jedem einzelnen Elemente auf jedes einzelne Element eine Arbeit ausgeübt vom Werthe:
Jene frühere Formel (1.) kann bezeichnet werden als ein für zwei gleichförmige Stromringe gültiges Integralgesetz, andererseits die Formel (10.) als ein aus diesem, durch Repartirung auf die einzelnen Elemente, sich ergebendes Elementargesetz. Dem entsprechend würde alsdann das elektrodynamische Potential der beiden Ringe aufeinander, und dasjenige der beiden Elemente aufeinander zu nennen sein.
Ein solcher Process der Repartirung ist selbstverständlich vom mathematischen Standpuncte aus völlig unberechtigt, ebenso unberechtigt, als wollte man aus einer gegebenen Gleichung den Schluss ziehen, dass und sein müsse. Auch würde die Formel (10.) ein Elementargesetz repräsentiren, welches, wie leicht zu übersehen, mit dem Ampère’schen Elementargesetz in Widerspruch steht.
Doch könnte man die Dinge von einem andern Standpuncte aus betrachten. Man könnte behaupten, wirklich durch die Erfahrung constatirt sei das Ampère’sche Elementargesetz keineswegs, sondern nur das aus ihm sich ergebende, durch die Formel (1.) ausgedrückte Integralgesetz. Demgemäss habe jedes andere Elementargesetz, falls dasselbe nur ebenfalls hinleite zu dem genannten Integralgesetze (1.), dieselbe Berechtigung wie das Ampère’sche. Der Annahme des durch (10.) ausgedrückten neuen Elementargesetzes an Stelle des Ampère’schen stünde also kein Bedenken entgegen; ausserdem aber falle zu seinen Gunsten noch der Umstand ins Gewicht, dass dasselbe, dem Ampère’schen gegenüber, durch grössere Einfachheit sich auszeichne, nämlich verträglich sei mit der Existenz eines elementaren Potentiales.
Unterwerfen wir nun, auf solche Empfehlung hin, das durch die Formel (10.) ausgedrückte neue Elementargesetz einer näheren Betrachtung; und denken wir uns dabei, der grösseren Bequemlichkeit willen, den Ring mithin auch das Element als unbeweglich. Der Ausdruck (6.) ist nicht nur abhängig von den Coordinaten des Elements sondern auch von seiner Richtung. Folglich wird, jenem neuen Gesetze (10.) zufolge, die elementare Arbeit auch dann noch einen gewissen Werth besitzen, wenn das Element ohne seinen Ort im Raum zu ändern, nur |eine Richtung[1] wechselt. Jenem Gesetze (10.) zufolge, sind also die ponderomotorischen Kräfte elektrodynamischen Ursprungs, welche das unbewegliche Element auf das Element ausübt, von solcher Beschaffenheit, dass sie eine gewisse Arbeit verrichten, sobald das Element etwa um seinen eignen Mittelpunkt sich dreht. Mit andern Worten: Jenem Gesetze zufolge werden die genannten Kräfte ein gewisses Drehungsmoment auf ausüben. — Unterwirft man die in solcher Weise sich ergebenden elementaren Drehungsmomente nämlich das von auf und umgekehrt von auf ausgeübte, einer näheren Untersuchung, so zeigt sich, dass die geometrischen Charakteristiken [2] dieser beiden Momente parallel, von gleicher Stärke und entgegengesetzter Richtung sind, vorausgesetzt, dass man der bisher unbestimmt gelassenen Constanten [welche in (6.) enthalten ist] den Werth zu Theil werden lässt. Ueberhaupt zeigt sich, dass jenes neue Elementargesetz (10.) bei Annahme dieses speciellen Werthes von im vollen Einklange steht mit den Anforderungen des allgemeinen Princips der Action und Reaction.
Soweit also würde kein Einwand zu erheben sein gegen die Annahme jenes neuen Elementargesetzes (10.) und des damit verbundenen elementaren Potentiales Doch ergeben sich gewichtige Einwände von einer andern Seite her.
Denkt man sich nämlich den Stromring zusammengesetzt aus zwei Theilen, von welchen der eine drehbar ist um eine gegebene Achse, während der andere eine völlig feste Aufstellung hat, und denkt man sich andererseits den Stromring ersetzt durch ein ebenfalls fest aufgestelltes Solenoid, dessen geometrische Achse zusammenfällt mit jener gegebenen Drehungsachse, so wird die relative Lage zwischen diesem Solenoide und dem Theile falls man letztern um die genannte Achse in Umdrehung versetzt, fortwährend dieselbe bleiben. Die während irgend eines Zeitelementes dieser Umdrehung vom Solenoid auf den Theil ausgeübte Arbeit hat nun zufolge des neuen Elementargesetzes (10.) den Werth:
ein Integral zu verstehen, welches sich ausdehnt über alle Elemente des Theiles und über alle Elemente des Solenoides
Während der genannten Umdrehungsbewegung bleibt nun aber, wie schon bemerkt, die relative Lage zwischen und fortdauernd ein und dieselbe, mithin der Werth des Integrales (12.) unabhängig von Somit folgt aus (11.), dass
ist, dass also die vom Solenoid auf den Theil während seiner Umdrehung ausgeübte ponderomotorische Arbeit eldy. Us fortdauernd Null bleibt, und dass mithin die vom Solenoide auf den Theil ausgeübten ponderomotorischen Kräfte eldy. Us nicht im Stande sein können, diesen Theil falls er etwa zu Anfang in Ruhe sich befindet, in Umdrehung zu versetzen. Solches aber widerspricht bekanntlich in directer Weise den experimentellen Thatsachen [3].
Die Vorstellung, das Ampère’sche Elementargesetz dürfe oder müsse ersetzt werden durch jenes neue in (10.) angegebene Elementargesetz, überhaupt die Vorstellung, für die ponderomotorischen Kräfte eldy. Us existire ein elementares Potential, — diese Vorstellungen brechen also zusammen unter dem Gewicht der empirischen Thatsachen.
Ein solches Wort wie Potential kann allerdings in höchst verschiedenen [4] Bedeutungen gebraucht werden; und es wird daher angemessen sein, das eben ausgesprochene Ergebniss ein wenig sorgfältiger zu formuliren, indem wir sagen:
Das für die ponderomotorischen Kräfte eldy. Us mit Bezug auf zwei gleichförmige Stromringe von meinem |Vater eingeführte Potential besitzt bekanntlich die charakteristische Eigenschaft, dass die von solchen Ringen aufeinander ausgeübten translatorischen Wirkungen und Drehungsmomente identisch sind mit der negativen partiellen Ableitung von nach der betreffenden Richtung oder nach dem betreffenden Drehungswinkel, und dass allgemeiner die von dem einen Ringe auf den andern während irgend eines Zeitelements ausgeübte Arbeit identisch ist mit dem negativen partiellen Zuwachs von genommen nach der räumlichen Lage jenes andern Ringes. — Dass ein derselben Eigenschaften sich erfreuendes Potential auch existire für irgend zwei Stromelemente, ist den empirischen Thatsachen gegenüber ein Ding der Unmöglichkeit [5].
Allerdings wird mit Bezug auf gewisse specielle Fälle (wenn z. B. die betrachteten Ringe starr oder wenigstens ohne Gleitstellen, und die in ihnen vorhandenen Ströme gleichförmig sind) der Annahme eines solchen elementaren Potentiales kein Hinderniss entgegenstehen. Doch wird dieses elementare Potential, eben weil seine Anwendbarkeit auf specielle Fälle beschränkt ist, niemals angesehen werden dürfen als der Ausdruck des wirklichen Elementargesetzes, sondern aufzufassen sein als der Ausdruck eines scheinbaren Elementargesetzes, welches in jenen speciellen Fällen mit dem wirklichen äquivalent ist. Das in (10.) angegebene scheinbare Elementargesetz bietet übrigens, wie vorhin gezeigt worden ist, die Eigenthümlichkeit dar, dass ihm zufolge zwischen zwei Stromelementen nicht nur gegenseitige translatorische Kräfte, sondern daneben auch noch gegenseitige Drehungsmomente vorhanden sein würden.
- ↑ WS: Satzfehler korrigiert: Richung → Richtung
- ↑ Unter der geometrischen Charakteristik eines Drehungsmomentes soll eine mit der Achse des Momentes parallele Linie verstanden sein, welche durch ihre Länge und Richtung die Stärke und den Sinn des Drehungsmomentes angiebt.
- ↑ Die erste der hierher gehörigen experimentellen Thatsachen dürfte von Savary entdeckt worden sein (vergl. Ampère: Théorie des phén. élektrody., pag. 47). Diejenige specielle Thatsache, welche bei den obigen Erörterungen vorzugsweise ins Auge gefasst ist, nämlich die Rotation eines elektrischen Stromleiters um einen Magneten oder um ein Solenoid, tritt deutlich hervor bei dem von Faraday construirten Rotationsapparat. Man findet die Beschreibung dieses Apparates in Wiedemann’s Lehre vom Galvanismus (Braunschweig, 1863, Bd. II, pag. 121), ferner in Wüllner’s Lehrbuch der Experimentalphysik (Leipzig, 1865, Bd. II, pag. 1125).
- ↑ In ganz anderer Bedeutung ist z. B. dieses Wort Potential von mir gebraucht worden in einer Abhandlung über die Principien der Elektrodynamik vom Jahre 1868 (Programm der Tübinger Universität vom Juli 1868; vergl. auch die Math. Annalen, Bd. I, pag. 317).
- ↑ Man findet diese Erörterungen, theilweise ein wenig weiter ausgeführt, in einem Aufsatze, den ich in den von Clebsch und mir herausgegebenen Math. Annalen (Bd. V, pag. 602) veröffentlicht habe. Zugleich findet man dort (pag. 614), in unmittelbarem Anschluss an diese Erörterungen, gewisse Bedenken ausgesprochen gegen die neuerdings von Helmholtz entwickelte Theorie (Borchardt’s Journal, Bd. 72, pag. 57 und Bd. 75, pag. 35). Ohne auf diese Bedenken hier von Neuem einzugehen, mag nur noch bemerkt sein, dass der Ausdruck (6.) genau derjenige ist, welchen Helmholtz als das Potential zweier Stromelemente aufeinander bezeichnet, dass es aber auf einem Irrthum beruht, wenn Helmholtz sagt, jener Ausdruck verwandele sich für in das von meinem Vater aufgestellte Potential. Denn in den betreffenden Abhandlungen meines Vaters ist nirgends von einem Potential zwischen Stromelementen die Rede, sondern immer nur von dem Potential zwischen geschlossenen gleichförmigen Strömen.