Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§53

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§. 53. Fortsetzung. — Die ponderomotorische Arbeit zwischen Solenoid und Stromelement. Bemerkung über die elektromotorische Einwirkung.


Die unendlich vielen Bewegungsarten, welche ein gegebenes materielles System anzunehmen im Stande ist, können in zwei Classen getheilt werden:

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Erstens. Bewegungen, bei denen die relativen Verhältnisse des Systems sich ändern.
Zweitens. Bewegungen, bei denen die genannten Verhältnisse constant bleiben[1].

Bestehen die inneren Kräfte des Systems in letzter Instanz aus lauter Centralkräften[2], so ist keine Tendenz vorhanden zur Erzeugung einer Bewegung zweiter Classe. In der That kann alsdann, falls das System zu Anfang in Ruhe ist und äussere Einwirkungen fehlen, eine Bewegung zweiter Classe niemals eintreten; wird aber durch geeignete äussere Einwirkungen eine solche Bewegung zweiter Classe wirklich hervorgerufen, so ist die während derselben von jenen inneren Kräften verrichtete Arbeit gleich Null.

Anders verhält es sich, wenn die innern Kräfte von der Natur der Ampère’schen Kräfte[3] sind; wovon wir uns leicht durch ein Beispiel überzeugen können.

Der im vorhergehenden § betrachtete Körper sei ein um seine eigene Axe drehbarer Cylinder. Im Innern dieses Körpers sei nur ein einziges Solenoid enthalten, dessen Axe mit der Drehungs- oder Cylinder-Axe zusammenfällt, und dessen einzelne Ringe genau kreisförmig sind; so dass also Körper und Solenoid zusammengenommen völlig symmetrisch sind in Bezug auf die Drehungsaxe.

Mit dieser Axe sei ausserdem durch irgend welche Arme ein Stromelement verbunden, in solcher Weise, dass dasselbe (unabhängig vom Körper ) um diese Axe beliebig gedreht werden kann.

Aus dem Satze (61.) ergiebt sich, dass alsdann der Körper auf das Element ein gewisses Drehungsmoment , und umgekehrt auf das entgegengesetzte Drehungsmonrent ausübt.

Die zwischen Element und Körper vorhandenen Kräfte besitzen also die Tendenz, diesen beiden Objecten entgegengesetzte Drehungen| einzuprägen. Mit andern Worten: Sie besitzen eine Tendenz zur Hervorrufung einer Bewegung zweiter Classe.

Drehen sich Element und Körper während der Zeit um irgend welche Winkel, die, in einerlei Sinn gerechnet, und sind, so ist diejenige Arbeit[4], welche die zwischen den beiden Objecten vorhandenen Kräfte während jener Zeit auf das Element ausüben, andererseits diejenige, welche sie auf den Körper ausüben. Trotzdem also, dass die betrachtete Bewegung zur zweiten Classe gehört, werden dennoch während derselben von jenen Kräften gewisse Arbeiten verrichtet.

Die vom Körper auf das Element ausgeübte Wirkung zerfällt, entsprechend den beiden Polen und des Solenoids, in zwei Kräfte

(62.)

welche senkrecht stehen respective gegen die Ebenen und . Desgleichen zerfällt das (schon erwähnte) vom Körper auf ausgeübte Drehungsmoment ebenfalls in zwei Theile:

(63.)

Um das dem Pole entsprechende und näher zu bestimmen, bedienen wir uns eines Axensystemes, dessen Anfangspunct in liegt, und dessen -Axe mit der Solenoidaxe zusammenfällt. Alsdann ergeben sich aus (59.) für die Componenten der Kraft die Werthe:

(64.)

wo und die Coordinaten und Projectionen von vorstellen, während ist.

Ferner ergiebt sich:

(65.)

oder falls man die Werthe (64.) substituirt;

(66.)
| hier bezeichnet den Winkel, unter welchem die Linie gegen die -Axe, d. i. gegen die Solenoidaxe geneigt ist, und diejenige Aenderung, welche erfährt, sobald man den Endpunct der Linie das Element durchwandern lässt.

In analoger Weise kann offenbar berechnet werden, so dass man also die Formeln erhält:

(67.)

woraus mit Rücksicht auf (63.) folgt:

(68.)

dabei ist zu bemerken, dass ist.

Dieses (68.) repräsentirt das vom Körper auf das Element ausgeübte Drehungsmoment. Demgemäss wird das umgekehrt von auf ausgeübte Drehungsmoment gleich sein.

Drehen sich nun und während der Zeit um irgend welche Winkel und bezeichnet man diese Winkel, in demselben Sinne wie gerechnet, respective mit und , so repräsentirt die während der Zeit von auf ausgeübte Arbeit, und diejenige, welche während dieser Zeit von auf ausgeübt wird; so dass man also schreiben kann:

(69.)
(69.)

Nehmen wir an der Körper und das in ihm enthaltene Solenoid seien unendlich lang, so dass der Pol in unendlicher Ferne liegt, so reduciren sich die Formeln (69. ) auf:

(70.)
(70.)

Formeln, welche sich beiläufig bemerkt noch einfacher gestalten lassen durch Einführung einer gewissen Kegelöffnung[5].

| Nimmt man statt des Elementes ein Stromsegment von endlicher Länge, welches ebenfalls um die gegebene Axe in Rotation begriffen ist, so erhält man aus (70. ) durch Integration die analogen Formeln:
(71.)
(71.)

wo und die Winkel der Strahlen und gegen die Drehungsaxe vorstellen.

Um die hier entwickelte Theorie, welche bekanntlich schon Ampère gegeben hat, experimentell zu verfolgen, bedient man sich gewisser Apparate[6], bei denen entweder oder in fester Aufstellung sich befindet. Im erstern Fall entsteht alsdann, in Folge der elektrodynamischen Kräfte, eine rotirende Bewegung von , im letztern eine im entgegengesetzten Sinn rotirende Bewegung des Körpers .

Bemerkung. — Aus (71.) folgt durch Addition:

(72.)

wo den relativen Drehungswinkel vorstellt, d. i. denjenigen Winkel, um welchen das Segment dem Körper während der Zeit voraneilt. Mit Hilfe dieser Formel (72.) kann nun, unter Anwendung eines früher gefundenen Satzes (pag. 235), sofort auch die Summe derjenigen elektromotorischen Kräfte angegeben werden, welche der Körper während der Zeit im Segmente hervorbringt. Denn das vom Körper beherbergte Solenoid ist nichts Anderes als ein System constanter elektrischer Ströme; so dass also der Anwendung des citirten Satzes (pag. 235) kein Hinderniss entgegensteht. Man gelangt in solcher Weise zur Erklärung der sogenannten unipolaren Induction[7].


  1. Besteht, um einige Beispiele anzugeben, das System aus nur zwei Massenpuncten, so wird eine Bewegung zweiter Classe vorhanden sein, falls der eine im Kreise um den andern herumläuft. Besteht ferner das System aus zwei starren Körpern und , von denen der letztere ein homogener Rotationskörper ist, so wird eine Bewegung zweiter Classe vorhanden sein, sobald ruht und um seine geometrische Axe sich dreht.
  2. Unter einer Centralkraft verstehe ich eine Kraft, deren Stärke nur von der Entfernung der betrachteten Elemente abhängt, und deren Richtung mit dieser Entfernung zusammenfällt.
  3. Die Kraft, welche nach dem Ampère’schen Gesetz, zwischen zwei elektrischen Stromelementen stattfindet, hängt, ausser von der Entfernung, auch noch von gewissen Winkeln ab, und besetzt also nicht mehr den Charakter einer Centralkraft.
  4. Man vergl. pag. 49.
  5. Die Formel (70.) kann nämlich so dargestellt werden:

    wo die Oeffnung desjenigen Kegel repräsentirt, welcher vom Pole nach der vom Element während der Zeit beschriebenen Fläche hinläuft; denn [266] diese Oeffnung hat die Gestalt eines kleinen Parallelogramms, dessen Basis durch , und dessen Höhe durch repräsentirt ist.
    Das Vorzeichen in dieser letzten Formel näher bestimmen zu wollen, würde unnöthige Mühe sein. Denn wir werden später [vgl. (7.), pag. 272.] auf anderem Wege zu allgemeineren Formeln gelangen, die auch dem Vorzeichen nach völlig bestimmt sind.

  6. Auf derartige Apparate ist bereits früher (bei Besprechung der Helmholtz’schen Theorie, pag. 78) hingewiesen worden. Man findet die Beschreibung dieser Apparate in Wüllner’s Experimentalphysik, Leipzig 1865, Bd. II, pag. 1125 und 1129.
  7. Vergl. Wüllner’s Experimentalphysik. Leipzig. 1866. Bd. II, pag. 1262.