Die erste ungläubige Pilgerfahrt nach dem Grabe des großen Propheten

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Autor: unbekannt
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Titel: Die erste ungläubige Pilgerfahrt nach dem Grabe des großen Propheten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 129–132
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die erste ungläubige Pilgerfahrt nach dem Grabe des großen Propheten.

Es wird Friede. Die „Unabhängigkeit der Türkei ist gesichert“ d. h. auf Deutsch: die Türkei ist gründlich ruinirt worden und geht nun, nie wieder beschützt, um so ungehinderter ihrem Schicksale entgegen. Der große Gewinn, der aus dem Kriege für Rußland erwächst, besteht darin, daß England und Frankreich den Willen und die Macht verloren haben, die Türkei jemals wieder zu beschützen. Solche Verluste können die Alliirten nicht zum zweiten Male tragen, solche Gefahren nicht zum zweiten Male wagen.

Das Grab des Propheten in Medina

Unter der verlorenen Türkei verstehen wir zunächst die europäische, denn die asiatische ist noch voller Lebens- und Glaubenskraft. Daß dieser muhamedanische Glaube uns zum Theil unsinnig erscheint, schwächt nicht seine Kraft. Er ist das Lebensblut der Racen, des Klima’s, der socialen und sittlichen Anschauungsweise jener Gegenden und Menschen. Dort fließt noch altes Saracenenblut in den Adern des weiß- und blaugeschmückten, beturbanten Muselmanns Der europäische Türke besteht aus einer ganz andern Sorte von Menschen. Er hat seinen Glauben verloren und dafür keinen andern gewonnen, sondern nur Auswurf europäischer Civilisation. So ohne innere Anregung und Halt an der Außenwelt verkommt und verkümmert er auf seinen Beinen kauernd und starken Tabak dazu rauchend. „Kein europäischer Türke hat ein unverfallenes Haus über und reine Kleidung an sich,“ sagt ein deutscher Doctor, der die europäische und asiatische Türkei durchwanderte, „während die Muselmänner in Damaskus u. s. w. immer im schönsten blauen Kaftan und schneeweißen Turban aus ihren glänzenden Palästen heraustreten.“ Kurz die asiatische Türkei hat noch Leben, noch Herz und Kern. Nur sehr wenige Europäer sind bis jetzt persönlich bis in diesen Kern, das fanatisch bewachte Allerheiligste der großen muhamedanischen Welt eingedrungen. Wir haben jetzt in der That erst den ersten Bericht des ersten Europäers, der wirklich in diesem Allerheiligsten, Medina, war. Mittheilungen des Wesentlichsten daraus werden daher für jeden Leser Interesse haben.

Wer arabische Mährchen, Tausend und Eine Nacht und dergleichen gelesen, wird sich erinnern, wie viele Personen mit dem Titel „Haji“ auftreten. Vielleicht kennt er die Helden Haji Baba und Haji Saad. Was ist ein Haji? Ein Heiliger d. h. ein Muselmann, der die Wallfahrt nach Mecca und Medina gemacht und das Allerheiligste des muhamedanischen Glaubens, den Schrein des großen Propheten u. s. w. vor sich gesehen. Tausende, viele Tausende [130] reuiger, gläubiger, frommer Muselmänner haben sich durch tausendmeilige Wanderungen über Wüsten und Wildnisse hinweg den Titel Haji erworben, aber der ehemalige englisch-ostindische Lieutenant Richard Burton ist der erste Europäer und Ungläubige, der das Allerheiligste in Medina persönlich sah und der Erste, der genau und im Interesse der Wissenschaft, für die er reif’te, darüber Kunde gab.

Von der geographischen Gesellschaft in London beauftragt, führte er seine lebensgefährliche Mission in einer ganz neuen, originellen Weise durch. Kein Ungläubiger darf das eigentliche heilige Land der Muhamedaner betreten. Selbst Renegaten werden nur unter der argwöhnischsten Wachsamkeit zugelassen. So beschloß Burton, der Engländer, als geborner Muselmann sein Heil zu versuchen. Bald nach seiner Abreise von England steckte er sich in das Gemach und die Garderobe eines persischen Prinzen. Als solcher kam er in die Hände der egyptischen Polizei und Paßvisitatoren zu Alexandria, die ihn als persischen Prinzen sehr scharf bewachten. Durch Vermittelung des Consuls gelang es ihm, sich zum muhamedanischen Derwisch und Doctor zu machen und Erlaubniß zum Reisen in ganz Egypten zu erhalten. Er nannte sich Abdullah und reis’te zunächst nach Kairo, wo er mit einem merkwürdigen kleinen Manne, einem gebornen Russen, bekannt ward. Dieser, ganz Muselmann geworden und genau bekannt mit allen Verhältnissen, überredete ihn, seine Rolle abermals aufzugeben und sich zum Pathaner oder „Afghanen auf Reisen“ zu machen. Als solcher mußte er persissch, indisch und arabisch sprechen können, worin er sich auch bereits große Fertigkeiten erworben hatte.

Mit gläubigen Eltern, Sprachen und einer Profession, der eines Doctors, versehen, hielt sich „Abdullah“ nun für hinlänglich vorbereitet und sicher. Wie er sich in Kairo die Medicamente, ,Zaubersprüche und all den Hocuspocus, wie ihn das Volk dort haben will und er den wirklichen Arzt ausmacht, durch das eifrigste Studium erwarb, gehört nicht wesentlich zur Sache. Die große „Praxis“, in welche er kam, ward beinahe zum Hinderniß seiner Absichten. Er wies also viele Kranke ab und widmete sich eifrig dem Studium muhamedanischer Theologie, worin ihn der kleine Russe und ein besonderer Shaykh (Lehrer) bestens unterstützten. Er wählte die Shafei-Confession, als die freisinnigste und wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem persischen Muhamedanismus oder „Shiah“, womit er schon ziemlich bekannt war. So studirte er Theologie und Volkssitten und curirte, was das Zeug hielt, bis er sich eines Tages mit einem derben Albanier so tüchtig betrunken hatte, daß Letzterer den großen Propheten lästerte und die braunen Gläubigen mit dem Stocke tractirte. Dadurch entstand ein fanatischer Volksauflauf, aus welchem sich unser Abdullah mit genauer Noth rettete, um sofort seine Pilgerfahrt anzutreten. Aber obgleich mit allen möglichen Kennzeichen und Eigenschaften des wahren Gläubigen versehen, so daß ihn der Frömmste und Strenggläubigste schwerlich entlarven konnte, fand er doch bald, daß er noch eine ganze Menge verdächtige Artikel wegwerfen mußtte. Messer, Scheeren, Trinkglas, Taschenpistol und selbst den christlichen Barbierpinsel mußte er wegwerfen, um statt des letzteren ein Stück, an dem einen Ende borstig gekautes Holz d. h. den gläubig-muhamedanischen Barbierpinsel, statt des Wasserglases ein Gefäß von Ziegenfell und statt anderer des Unglaubens und giaurischer Abkunft verdächtiger Gegenstände gläubige, einheimische anzuschaffen. Auch ein Buch mit weißem Papier und Bleistift warf er weg, weil ein vor ihm Reisender von Beduinen blos wegen eines solchen ermordet worden war. Eine grobe, persische Decke diente ihm·als Sopha, Stuhl, Tisch, Bett und Katheder, letzteres für Fälle medicinischer Predigten. In einer gläubig erbsengrün angestrichenen Kiste, mit der Eigenschaft, täglich zweimal vom Kameele zu fallen, ohne Schaden zu nehmen, barg er seine Apotheke. Ein wollenes Umschlagtuch gegen kaltes Wetter, ein Stück Leinwand zu einem Zelte und ein ungeheuer großer, hellgelber und kattuner Regenschirm vollendeten seine gläubige Ausstattung. Einige arabische Bücher nahm er nur zu dem Zweck mit, um vielleicht unter dem Scheine des Lesens und Studirens gelegentlich Notizen und Bemerkungen an deren weißen Stellen machen zu können. Zuletzt miethete er zwei Kameele, zu 3 Thlr. jedes, richtete sich auf denselben ein und schloß sich einer Karavane nach Suez (etwa 20 geographische Meilen von Kairo) an.

Auf der Reise durch diese öde Wüste traf er mehrere Personen aus Medina, die sich ihm anschlossen und auch auf dem Pilgerschiffe bis nach Yembo am rothen Meere bei ihm blieben. Yembo ist der Hafen Medina’s, wo immerwährend ankommende und abgehende Pilger im- und exportirt werden.

Am 18. Juli 1854 trat er in Begleitung von 12 andern Pilgern seine Landreise von Yembo nach Medina an, über eine brennende, phantastische Wüste von öden Hügeln, todten Ebenen und wüsten Thälern. Der Weg wand sich über Felsengebröckel, zwischen denen nicht einmal Kameelgras wachsen wollte. Ganze Tage und Nächte hindurch kein Halm, kein Vogel, kein Thier, nichts Lebendiges, Alles war todt gebrannt unter der erbarmungslos herabglühenden Sonne. Nur manchmal fand sich etwas Lebendiges ein, aber nur als fürchterliche Plage: stechende Insekten und Heuschrecken, die jede vegetabilische Spur in den Thälern bis auf die Wurzeln vertilgten. Die meisten Pilger schliefen während der Reise auf ihren Kameelen, denen nur immer Einer oder der Andere etwas vorspielte und sang.

Manchmal nach tagelanger Pilgerschaft durch brennenden Tod sah man eine Ortschaft liegen, stets verfallen und in Trümmern, Folge der alten Wahhabiten- und egyptischen Kriege, der „Heiligkeit“ des Landes und der türkischen Regierungsfaulheit. El Hejaz, das heilige Land, weit um die heiligen Städte, gehört auf ewige Zeiten den Nachkommen der alten Bewohner, welche von den Pilgern oder direct vom Raube leben und daher um so weniger an Bodencultur denken. Furcht vor den „Wüstenräubern“ fesselte die Reisenden nicht selten, da sie in dem Glauben leben, Rettung vor ihnen sei blos möglich, wenn man sich bei ihrem Herannahen nicht im Geringsten bewege und so den Schein öder Hügel und Berge annehme.

Nach der mühsamsten Reise über die noch nicht 30 deutsche Meilen lange Wüste zwischen Yembo und Medina, wozu man 8 Tage gebraucht, erreichte man endlich „das gesegnete Thal“ der arabischen Dichter, d. h. etwas weniger Wüste vor der heiligen Stadt selbst und an dessen Ende eine große, breite, schwarze Basalt- Treppe, die unmittelbar in die Stadt hinaufführt. Oben angelangt sahen sie Medina vor sich liegen. Aber Niemand wagte um sich zu blicken. Jeder kauerte sich nieder mit dem Gesicht den heiligen Boden berührend und betend. Mr. Burton oder Abdullah machte alle die Andachtsübungen so geschickt, daß er nicht den geringsten Verdacht erregte und hernach, hinter den Uebrigen reitend, sogar im Stande war, den Totalanblick der Stadt zu skizziren. Das Charakteristische der Stadt sind vier große Thürme und die golden blitzende Moschee, Masjid-el-Rabawi, –– unter welcher die irdischen Ueberreste Muhamed’s ruhen. Diese Moschee des großen Propheten war denn auch sein Hauptaugenmerk. Nachdem er sich gläubig gebadet, abgebrüht und sonstige vorbereitende Ceremonien durchgemacht, hüllte er sich in einen weißen baumwollenen Mantel und machte seinen „Zigarat“, seinen Besuch in dem Allerheiligsten. Der Tradition nach ist ein Gebet hier eben so viel werth, als tausend anderswo, so daß die Gläubigen in ihrem Glauben 1000 Procent Profit machen. Da nun jeder Pilger nach dem Zigarat vorschriftsmäßig jeden Tag, so lange er in Medina bleibt, fünf Mal beten muß und die Meisten 8–14 Tage, oft noch viel länger dort bleiben, um so viel als möglich solcher werthvollen Gebete zu erwerben, kehren sie auch alle mehr oder minder bereichert an solchem imaginären Kapital der Heiligkeit in ihre verschiedenen Wohnsitze, die bis in’s Innere Afrika’s, bis Timbuktu reichen, zurück. Man kann sich daher leicht denken, wie die Haji’s zugleich als große Kapitalisten der Frömmigkeit Verehrung finden. Außer der Propheten-Moschee hat blos noch die in Mecca, Masjid-el-Haram, die Eigenschaft, einem Gebete den Werth von tausend zu geben. „Der dritte heiligste Platz der Welt,“ Masjid-el-Aska — in Jerusalem, thut schon dies Wunder nicht mehr.

Mr. Burton fühlte sich schon beim Herantreten an die allerheiligste Moschee sehr enttäuscht. Der Weg ist dicht bis an das Gebäude selbst mit gewöhnlichen und gemeinen Bauten und Buden eingeengt. Man hatte von keiner Seite einen Gesamtüberblick. „Je mehr ich die Moschee ansah,“ sagte er, „desto mehr kam sie mir wie ein Museum untern Ranges, wie ein Raritäten- Laden vor, voller Ornamente und überfüllt mit ärmlichem Glanze.“

Wer dem Grabe des Propheten zum ersten Male nahe tritt, heißt ein Zaïr. Er darf blos in Begleitung eines Muzzawir oder privilegirten Führers kommen. Burton fand ihn in der Person seines Wirthes und Reisegefährten. Mit ihm durchwanderte er [131] die heiligen Plätze langsam und in officiell betender Haltung, die linke Hand unter dem Herzen festgedrückt und dieselbe mit der rechten bedeckend. Natürlich war’s ihm nicht um’s Beten zu thun, sondern so genau und so viel als möglich zu sehen und sich Situation und Lage jedes einzelnen Heiligthums zu merken. Dies gelang ihm auch so weit, daß er hinterher im Stande war, einen Grundriß des Haram (der eigentlichen Moschee) und die Situation der „Quelle des Propheten“, seines Rednerstuhls, seines Rawyah (Gartens), des Fensters, durch welches der Engel Gabriel hereingeflogen war, um dem Propheten himmlische Geheimnisse zu offenbaren, der „weinenden Säule“, der „Reue-Säule“, der „Flüchtlings-Säule“ und der „Säule Ayesha’s“ (Muhamed’s Frau) zu zeichnen.

Dem Allerheiligsten selbst, d. h. dem Sarge des Propheten, darf niemals Jemand nahe treten. Burton konnte also auch blos dessen Ansehen von Außen schildern. Dieses Allerheiligste liegt innerhalb des Gartens, belegt mit blumigen Tapeten, gedeckt mit grünen Ziegeln, bemalt mit seltsamen Arabesken und des Nachts erleuchtet mit Kandelabern von geschnittenem Glas, dem Werke eines londoner Glasschneiders. Am Tage sah das Ganze ärmlich und schmutzig aus, nur bei künstlicher Beleuchtung machte es den Eindruck einer wunderlichen, reichen Theaterdekoration.

Die Hujrah, Ayesha’s Zimmer und der Raum, in welchem der Prophet starb, bilden ein großes, unregelmäßiges Viereck im südöstlichen Winkel des Gebäudes, von allen Seiten durch eine breite Passage von der Moschee selbst geschieden. Innerhalb dieses Vierecks ist das Mausoleum von einem doppelten Eisengitter, mit einem ganz schwarz gefärbten Wege dazwischen, eingeschlossen. Innerhalb des innern Gitters hängt der Vorhang, der die Gräber Muhamed’s und der beiden ersten Khalifen, Abubekir und Omar, den Blicken Sterblicher verbirgt. Ein viertes leeres Grab ist für „Isa bin Maryam,“ d. h. den Sohn Maria’s, der hier nach Vollendung seiner zweiten Mission auf Erden seine letzte Ruhestätte finden soll. Das Grabmal Muhamed’s ist am Vorhange durch einen Stern und Rosenkranz von Perlen bezeichnet, „aus Diamanten geflochten,“ wie die Gläubigen sagen. Der Stern in der Mitte ist der „Juwel unter den Juwelen des Paradieses“. Nach Burton sieht er ganz so aus wie der Stöpsel zu einer gewöhnlichen Wasserflasche von Glas.

Von dem Grabe und dem Sarge des Propheten giebt es viele Lesearten. Der Sarg besteht aus einem schwarzen Marmorblock, den man sehen kann, wenn der Wind den Vorhang hebt; nach Andern liegt er tief in der Erde in einem Sarge von Ebenholz mit Silber beschlagen. Noch Andere ließen ihn mit sammt einem eisernen Sarge direkt in den Himmel fahren. Die Sache ist, daß Niemand etwas davon weiß. So oft der Vorhang erneuert werden muß, nimmt man die Nacht dazu und Gläubigste der Gläubigen, welche um keinen Preis der Welt ihre Augen dahin richten würden.

Das geistliche Haupt des Islam ließ während Burton’s Anwesenheit in Medina einen der fünf Thürme der Muhamed-Moschee ausbessern; doch ging die Arbeit sehr langsam vorwärts, da die nöthigen Gelder von Konstantinopel sehr oft ausblieben. Es hieß, der Bau werde während des Krieges wohl ganz unterbleiben.

Ein mit den heiligen Plätzen in Verbindung stehendes Institut enthält alle Arten von heiligen Beamten, deren Jeder so viel als möglich von den Pilgern zu schlucken versucht. Außer diesen „Agha’s“ belagern eine Masse Bettler beiderlei Geschlechts, lahme, blinde, mit Lumpen und Geschwüren und Schmutz bedeckte Gläubige die Zugänge, so daß Burton mehr als doppelt so viel brauchte, als er erwartet, um sich überall durchzukaufen.

Die Stadt des Propheten, Medinet-el-Rabi bei den Arabern, wofür wir Medina sagen, liegt auf einem großen Plateau Mittel- Arabiens in einer zwölf englische Meilen ringsum heiligen Gegend. Innerhalb derselben ist Alles geheiligt und keine „Immoralität“ erlaubt. Dieses heilige Land enthält noch eine Menge andere Heiligthümer, Moscheen, Quellen, aus denen der Prophet trank, Gärten, in welchen er wandelte, das Grab seines Onkels Hamzah in der Stadt Jebal Ohod, wo auch Aaron begraben liegt, und die Seelen der Gläubigen in geistiger Unterhaltung beisammen sitzen, 100,000 Heilige mit Gesichtern wie Vollmond bei el Bakia, die Auferstehung Muhamed’s erwartend, um sich ihm gleich zur Verfügung zu stellen. —— Alle diese Plätze besuchte Burton, stets mit dem rechten Fuße zuerst eintretend und fast immer in Bewegung mit der Hand aus der Tasche, um die Heiligen, welche auch Fleisch und Bein hatten, mit irdischen Gütern kleinen Gepräges zu erfreuen.

Medina ist eine hübsch gebaute Stadt mit etwa 16,000 Einwohnern. Die Dächer sind flach, größtentheils zweistöckig, die bessern in Gärten gelegen, von Springbrunnen und Dattelbäumen umgeben. Die Datteln von Medina gelten als die besten in der ganzen Welt. Das Interessanteste ist das seltsame Gemisch der Bevölkerung. Sie besteht aus zurückgebliebenen Pilgern aller muhamedanischen Racen, vom negerartigen Schwarz bis zu dem edeln, feinen, blassen Gesicht des „Dolche blickenden“ ächten Sarazenen. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nichts in die Scheuren und Allah und sein Prophet ernähren sie doch. Sie bezahlen keine Steuern und thun nichts, als die frommen Fremden führen, bewirthen und ausbetteln. Einige handeln mit Datteln, Tabak, getrockneten Früchten, die ihnen von den Bäumen in würziger Süßigkeit zufallen. Von Datteln unterscheidet man im Handel und in der Art der Verpackung über sechzig Arten. Die besten, über zwei Zoll lang, werden in Zinnbüchsen bis in die fernsten Theile der muhamedanischen Welt als Geschenke an besonders Gläubige gesandt, die Datteln aus „Fatima’s Garten“ an den Sultan und die Häupter des Islam verschenkt. Datteln sind die Kartoffeln der ganzen Gegend, auch Apotheke. Man ißt sich in Datteln krank und kurirt sich mit Medicin, die aus Datteln bereitet wird. Aechte Homöopathen. Außerdem ißt man viel — zerlassene Butter, worin gebratenes Fleisch schwimmt. Sie haben’s wirklich so weit gebracht wie jener Schäferjunge, der gefragt, was er thun würde, wenn er König wäre, antwortete: „Ich tränke die braune Butter aus Bierkrügen.“

Mr. Burton hörte die Aeltesten des Islam zuweilen über den Krieg disputiren. Auf ihren Knieen kauernd und aus langen Pfeifen bedächtig zierliche Wolken blasend, vereinigten sie ihre Nachrichten und Meinungen dahin: „Der Czaar hat um Frieden gebeten und Tribut und Treue geboten. Aber der Sultan hat ausgerufen: „Nein, bei Allah! El Islam! Erst muß der Czaar zum Glauben des Propheten schwören! Dann wird er das Schicksal der Moskowiter bestimmen und hernach die Ungläubigen von Feringistan (d. h. des übrigen Europa) zur Fahne des Propheten schwören lassen.“ —-

Die weibliche Bevölkerung Medina’s beschäftigt sich mit Zanken und Putzen. Sie zanken ihre schwarzen Dienstboten aus, deren jede 80 bis 150 Thaler Lohn bekommt, und gehen in einem weißen, weiten Hemde mit langen Aermeln und sehr engen, anschließenden Tarwals (Beinkleidern) freier umher, als sonst in der Türkei. Außerdem färben sie die Sohlen ihrer nackten Füße und innern Handflächen sehr sorgfältig schwarz.

Das malerische Leben und Treiben der Stadt mit ankommenden und abgehenden Pilgrims-Caravanen ist äußerst interessant. Mit besonderer Aufregung wurde während Burton’s Anwesenheit die jährlich einmal von Damaskus ankommende Karavane erwartet, weil diese einen neuen Vorhang für das Grab des Propheten mitbrachte. Sie blieb über die Zeit aus, so daß man schon fürchtete, Wüstenräuber könnten sie ausgeplündert und ermordet und selbst den heiligen Vorhang nicht geschont haben. Sie war aber einmal über Nacht sicher angekommen. Und der glänzende, heiße Morgen strahlte auf eine ganze, über Nacht wie aus der Erde gezauberte neue Welt. Eine große Stadt von Zelten war zwischen den Häusern emporgewachsen, bunte, kostbare Zelte, wie Paläste mit Harem, Ställen und Küchen, mit goldenen Zinnen und kostbaren Shawlgehängen, mit Pavillons, mit Schlaf- und Besuchszimmern; weiße, graue, grüne Zelte als Privatwohnungen oder als Buden, aus denen Tabak-, Frucht- und Spezereihändler schrieen; dazwischen hervorragend große, weiße, syrische Dromedare mit braunen Beduinen an deren Höckern klebend, Arnauten, Türken und „Feuer blickende“ kurdische Reiter in malerischen Farben glänzend, persische Pilgrime in Ohnmacht fallend, umherwandelnde Scherbetverkäufer, fromme Haji’s, einander „rämpelnd,“ so daß bald hier, bald da Einer unter Kameelfüße oder über die Seile der Zelte purzelte, Kanonendonner von der Citadelle, Lustschützen, die ihre kleinen Gewehre zum Vergnügen in die Luft knallten, lautes Gekreisch von Weibern und Mädchen in deren dichtverschlossenen Sänften, aus denen sie doch ganz frei herauskollerten, wenn die Träger über Stricke und Pfähle der Zelte fielen; eine kühn daherreitende Gruppe arabischer Shaykhs, den Arzah oder Kriegstanz aufführend, schießend [132] im Tanze oder das Pulver in den Taschen des nächsten Nachbars auf einmal abbrennend, Schwerter schwingend und wahnsinnig dazu in Sprüngen laufend und sich drehend, so daß die hellfarbigen Lumpen lustig im Winde flattern, mit ihren ungeheuren Speeren stoßend und fuchtelnd, so daß die Straußfedern daran zum Theil abfliegen, oder sie hoch in die Luft werfend, ohne darnach zu fragen, wo und wie sie herunter fallen – und zwischen all diesem bunten Gewimmel und Getöse hier und da ein wankendes, zusammenknickendes, zerlumptes Menschenbild, leise betend und mit hohlen Augen umherblickend nach einem ruhigen Winkel, um darin – auf heiligem Boden – dem letzten und höchsten Ziele seiner Wünsche – gläubig und selig zu sterben. –

Wir sehen, der Muhamedanismus hat dort noch seinen Kultus, sein Volksleben, seinen Fanatismus, seine eifrige Orthodoxie, seine Heiligthümer, deren Entweihung durch das Betreten Ungläubiger sofort mit Tode bestraft wird. Auf die Vernunft und den Sinn der Sache – in unserm Sinne – kommt es nicht an, sondern auf die Kraft der Existenz, des Glaubens, der Breite, Tiefe und Energie dieser religiösen und socialen Gebilde. Von alledem hat Burton ausführlich und genau Zeugniß gegeben. Mitten in dem Jubel der Karavanen von Damaskus verließ er in Gesellschaft seiner Mitpilger Medina, um auch Mecca zu besuchen. Er erreichte es sicher und kam sicher wieder heraus, so daß wir seinem Berichte darüber entgegen sehen können.

Der muhamedanische Kultus hat klimatisch seine Lebenskraft in Arabien, auf und um Wüsten mit sternenfunkelnden Nächten und öder, erhabener Einsamkeit. In Europa wird er unter- und sein Gebiet übergehen. Die Alliirten werden wahrscheinlich die ihnen obliegende und zugetraute Absicht, dieses Gebiet der Freiheit zu retten, auf immer verscherzt und vereitelt haben.