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Die französische Deputirtenkammer

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Textdaten
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Autor: Le Globe
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Titel: Die französische Deputirtenkammer
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 110 S. 437-438
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[437]

Die französische Deputirtenkammer.

[1]

Seit zwei Monaten sind die französischen Kammern versammelt. Was sie gethan haben, berichten uns die politischen Tagesblätter, die aber weder Zeit noch Unparteilichkeit genug besitzen, um den innern Gang und Wechsel der Grundsätze und Gesinnungen zu verfolgen, wie er hinter dem, was gethan wurde, verborgen liegt. Versuchen wir, einen offenen, freien Blick hinter diesen Schleier zu thun.

In der Kammer der Deputirten befindet sich eine Bank, mit blauem Tuche frisch überzogen, und mit einer glänzenden Inschrift verziert. Gegen diese Bank richten sich gewöhnlich alle Blicke; von ihr gehen feierliche Reden, entscheidende Aussprüche, ja selbst Befehle und Anordnungen aus. Im vorigen Jahre war diese Bank ein Thron, auf dem Könige saßen; in diesem Jahre ist es ein demüthiger Sitz, auf dem einige Schüler ihre Lectionen erhalten. Daß diese Aenderung ihnen mißfällt, ist sehr natürlich; aber warum sollte sich das Publikum darüber Kummer machen? Indessen lese man die Journale, höre die Conversationen. „Was ist – ruft man aus – ein Ministerium ohne Einfluß und Majorität, das nie spricht als um sein Stillschweigen zu entschuldigen, und sich nur in den Kampf wagt, um den Preis als Sieger in Anspruch zu nehmen? Eine solche Neutralität ist strafwürdig, eine solche Schwäche schmachvoll. Entschiedene, kräftige Charactere sind nöthig, die den Impuls geben, statt ihn empfangen sollten.“

Gewiss ist es um kräftige Menschen eine treffliche Sache; aber die Deputirten sind auch Menschen, und Kraft gefällt uns an ihnen eben so gut als an andern. Statt also um das, was äußerlich geschieht, zu streiten, wollen wir einmal untersuchen, ob dasselbe nicht noch etwas anderes, als blos die Frage um diese oder jene Persönlichkeit, einschließe. Vor zehn Jahren glaubte ein Ministerium – und wir glaubten es mit – es sey ein reiner Ausfluß der höchsten Gewalt, ein Strahl jener Sonne, deren Anblick die Constitution verbietet. Damals blickte es hoch herab auf die Kammern und die Nation. Die Nation war da, um regiert zu werden: die Kammer der Pairs, um den Thron zu zieren; die Kammer der Deputirten, um einige demüthige Wünsche an dessen Stufen niederzulegen. Man mußte die Miene sehen, mit der damals ein Minister sprach und handelte: es war die liebenwürdige Impertinenz des alten Regimes mit der hochfahrenden Verachtung des Kaiserreichs. Die Thüre öffnet sich mit Geräusch – da ist er! seht ihn auf die Bank der Minister zuschreiten, das Haupt empor geworfen, den Körper stolz aufgerichtet, sein großes Portefeuille unter dem Arm; seht, wie der dichte Haufen, demüthig und schweigend, sich vor ihm verneigt; hört, wie ein leises Geflüster der Verehrung sein Nahen begrüßt, und sagt, ob ihr euch nicht in der Gegenwart eines höhern Wesens fühlt, eines Halbgottes, der in höhern Sphären lebt und nichts gemein hat mit euch. Wie glücklich war damals der Deputirte, den Se. Excellenz mit einem Lächeln beehrte; wie glücklich gar der, den er vertraulich unterm Arm nahm und an seine Tafel zog! Eine solche Gunst war durch ein wenig Gefälligkeit doch gewiß nicht zu theuer bezahlt.

Plötzlich wechseln die Rollen. Die einen beugen, die andern erheben sich. Was man einst verlieh, um das sucht man jetzt nach: hundertmal werden Stellen angeboten und hundertmal zurückgewiesen. Steigt ein Minister auf die Tribüne, so geschieht es mit unsicherm Schritte; spricht er, so beobachtet er eine bescheidene, wohlwollende Behutsamkeit. Verstummt sind jene stolzen Declamationen, jene Berufungen auf einen erhabenen Namen, die sogleich Stillschweigen geboten: der Sachwalter vor seinen Richtern ist an die Stelle des Königs auf seinem Throne getreten. Man möchte keinem Mitgliede der Kammer mißfallen: sie sind alle so achtungswerth! was verdankt man nicht den Mandataren der Nation! Aber wie werden diese Mandatare auch geschmeichelt und geliebkost! Der Eintritt eines von ihnen in diesen oder jenen Salon wird als ein Sieg verkündigt, und ein Eilbote trägt von Minister zu Minister die glückliche Neuigkeit, daß ein anderer die Einladung zum Diner angenommen hat. So sind alle Schmeichelein und Huldigungen, die man einst empfangen hatte, mit Zins heimbezahlt.

Glaubt man nun, daß eine so vollständige Metamorphose nicht eine tiefere Bedeutung habe? Glaubt man, daß sie bloß eine Folge des Zufalls oder der veränderten Stellung einzelner Personen sey? Was uns betrifft, so erblicken wir darin eben sowohl einen Fortschritt der Ideen als eine Aenderung in den Sitten. In absoluten Regierungen sinkt die Gewalt; sie steigt in repräsentativen. Damit diese Wahrheit desto besser erkannt würde, mußte geschehen, was wir vor unsern Augen sich ereignen sehen. Kräftigere Minister hätten jenes Sinken der Gewalt verborgen gehalten. Denen, die Frankreich jetzt besitzt, verdankt [438] es, daß alle Springfedern einer repräsentativen Regierung nackt und offen vor dem Blicke liegen; jeder kann sie nach Gefallen prüfen, zählen, berühren.

Wenn übrigens die ehmalige Lage unnatürlich und widersinnig war, so sollte auch die jetzige nur eine Uebergangsperiode seyn. Die Minister dürfen so wenig als die Deputirten beständig die Kniee beugen. Die Zeit wird kommen, wo man in der Kammer weder Souveräne noch Unterthanen, sondern Gleiche, Gefährten sehen wird, welche, belebt von Einem Geist, und Einer Sache ergeben, offen vorwärts schreiten und sich gegenseitig Hülfe leisten werden. Die Minister werden dann in gewisser Art die Männer der Majorität seyn, von dieser beauftragt sie zu repräsentiren; durchdrungen von ihrem Geist, lebend von ihrem Leben, werden sie kräftig seyn ohne Insolenz, human ohne Erniedrigung; sie werden die Hand weder ausrecken noch zurückziehen, weder drohen noch bitten. Dann wir auch der Ausdruck Ministerieller aufhören ein Vorwurf zu seyn; denn wenn die Unabhängigkeit es verschmäht, sich an den Wagen des stolzen Gebieters zu spannen, so kann sie es nicht verschmähen, einen wohlwollenden Freund zu unterstützen. Der Ministerielle der Majorität wird der Freisinnige seyn. So wird alles in seine natürliche Ordnung zurückkehren. Das Königthum wird in der hohen Sphäre bleiben, in die es durch die Constitution gestellt wurde; die Kammer wird den Rang einnehmen, der ihr gebührt; und vielleicht werden es die Minister selbst ehrenvoller finden, die Erwählten aus den Erwählten der Nation zu seyn, als die Begünstigten einer obscuren Vorzimmer-Intrigue.

  1. Le Globe.