Tunis (Das Ausland, 1828)
Tunis.
Die Regentschaft von Tunis eröffnet der Wißbegierde des Philosophen und des Archäologen ein weites Feld: aber die natürliche Beschaffenheit des Landes und das unruhige Mißtrauen des Bey’s machen die Reisen im Innern sehr schwierig und gefährlich. Der ganze Raum zwischen Tunis und dem Vorgebirge von Carthago ist mit merkwürdigen Resten des Alterthums bedeckt. Die Ruinen der ungeheuern Wasserleitung, die das Wasser von den Zaduanischen Bergen nach Carthago führte, gehen von dem Behälter, in welchen das Wasser geleitet wurde, bis zu dem Ort, wo es herkam, in einer Weite von sechzig ital. Miglien ununterbrochen fort. Noch bestehen die Cisternen; diejenigen, welche ihr Wasser aus dem Aquaduct empfingen, dienen jetzt den elenden Beduinen, welche die einzige Bevölkerung jener Gegenden sind, zum Aufenthaltsort. Die ganze Fläche, auf welcher Carthago sich erhob, ist über und unter der Erde mit Trümmern angefüllt. Bei den untern Cisternen hat der Bey eine Redoute, welche bei den Franken den Namen des heil. Ludwig (S. Luigi) trägt. In dem Dorfe Sidi-bu-Said, auf dem Gipfel des Berges von Cap Carthago (Capo Cartagine) sieht man das Grabmal, in welchem der heil. Fürst beigesetzt wurde; gegenwärtig dient dasselbe zu einem Signalthurme. Auf dem Gebirge von Zauan erheben sich die Ruinen eines alten Tempels, und zu Porto-Farina (dem alten Utica), die eines Gebäudes, welches für das Haus gilt, in welchem Cato wohnte. Nicht selten findet man Medaillen und Cameen, besonders aus der Römerzeit, mit denen die in Tunis ansäßigen Christen einen so lebhaften Handel treiben, daß man auch die gemeinern nicht anders als zu sehr hohen Preisen erhalten kann. Tunis liegt sechs Miglien von dem Golf entfernt, dem es gleich dem großen See, durch dessen Ufer es vom Meere getrennt wird, den Namen gibt. Diese Stadt ist von einem elenden Wall von Erde und Steinen umgeben, der ihr weder zur Zierde, noch zu besonderem Nutzen gereichen kann. Die Häuser sind von Stein, aber in schlechtem Geschmack gebaut. Der Bey ließ vor einigen Jahren einen Palast bauen, der sich nicht übel ausnehmen würde, wenn er nicht in einer engen und schmutzigen Gasse versteckt läge und sein Erdgeschoß durch eine Menge Buden verunstaltet würde. Die Bazar’s, die gleich den Läden nur schlecht mit Waaren versehen sind, gewähren keinen bessern Anblick, als die übrigen Gebäude. Die Einwohner, die sich in diesem Labyrinth von krummen, unreinlichen und ungepflasterten Gäßchen umher winden, geben einen Begriff von dem allgemeinen Elend und der tiefen Unterdrückung des Landes. Die Bevölkerung von Tunis wird auf mehr als 150,000 Seelen geschätzt, und soll sich vor der letzten Pest auf 300,000 belaufen haben.
Der gegenwärtig herrschende Bey wollte der Stadt wenigstens das Ansehen eines haltbaren Platzes geben; er ließ unter der Leitung eines holländischen Ingenieurs mehrer Thore und andere Befestigungswerke anlegen, die indeß im Fall eines Angriffes keinen ernsthaften Widerstand zu bieten im Stande wären. Die Citadelle oder Kazba, im obern Theile der Stadt, ist ein Werk der Spanier, die zur Zeit Carls V hier die Herren spielten. Dieß Castell, welches die ganze Stadt beherrscht, kann sie nöthigenfalls im Zaume halten; zur Vertheidigung derselben möchten indeß die kleinen Redouten, die in der Nähe von Tunis errichtet worden sind, zweckmäßiger seyn.
Der Hafen von der Goletta dient zur Erhaltung der Verbindung zwischen der Rhede und dem See von Tunis. Da dieser in seinem ganzen Umfang keinen einzigen Fluß oder Bach aufnimmt, so muß seine Ausdünstung durch Meer-Wasser ersetzt werden, welches aus dem Golf hineindringt. Goletta wird von zwei starken Forts vertheidigt, welche die Spanier zur Zeit Carls V errichteten und die leidlich erhalten sind. Sie sind mit schönem Geschütz besetzt, und ein Stück desselben, das Steinkugeln schießt, ist von ungeheuerm Kaliber. Da der Hafen von Tunis für schwere Fahrzeuge zu seicht ist, so liegen die Kriegsschiffe des Bey in Porto-Farina; und die Kauffahrer, die Ladungen in Tunis einzunehmen oder auszuladen haben, halten sich auf der Rhede, wo sie einen guten Ankergrund von 5 bis 7 Ellen Tiefe finden, und bedienen sich zum Transport ihrer Frachten großer Boote mit lateinischen Segeln und Rudern, Sandalen genannt, die wenig Wasser brauchen, und daher den See befahren können.
Das Clima ist das vortrefflichste der Welt, und der Boden würde den größten Theil der Colonialproducte hervorbringen können, welche Europa aus so entlegenen Gegenden bezieht. Die ganze Küste der Barbarei ist für [442] die Cultur des Zuckers, der Baumwolle und von Spezereien aller Art geeignet; die Zucht des Seidenwurmes und der Bau des Indigo könnte mit geringer Mühe betrieben werden. Der Boden ist überall äußerst fruchtbar und gibt fast ohne den geringsten Anbau einen unermeßlichen Ertrag. In guten Jahren erhält man mehr als hundertfältige Frucht. In geringer Entfernung von der Stadt und von dem See ist die Luft vollkommen gesund. Merkwürdig ist, daß fast im ganzen Lande das Wasser der Brunnen warm und salzig ist; jedoch gibt es auch einige Quellen von sehr gutem und reinem Wasser, besonders zu Zaduan. Das Vieh in der Umgegend von Tunis will wenig sagen. Das Landvolk, das in der Auswahl seiner Speisen nicht sehr delicat ist, verzehrt eine Menge Ziegen. Wild ist in Ueberfluß vorhanden; aber dieses so wie die Fische des See’s sind eben nicht von der besten Qualität. Die schönen Berberrosse, die früher so berühmt waren, sind verschwunden; selten sieht man in Tunis nur einigermaßen erträgliche Pferde. An die Stelle derselben sind die Cameele getreten, die in der ganzen Barbarei sehr allgemein verbreitet sind, und denen das Clima vollkommen zusagt.
Den Charakter der Mauren kennen zu lernen, bedarf es keines großen Studiums; sie sind unwissend, hochmüthig, betrügerisch, geizig und undankbar. In allen mercantilischen oder politischen Verhältnissen, die ein Maure mit einem Fremden anknüpft, wird er immer diesen zu übervortheilen suchen. Die Ansicht einiger Politiker, daß die Barbaresken durch freundschaftliche und zuvorkommende Behandlung gewonnen werden können, ist eben so falsch, als gefährlich. Nie werden sie aufhören, den Christen mit Haß und Verachtung zu betrachten. Wenn ein Maure jemals einen Ungläubigen mit einiger Achtung behandelt, oder ihm keinen Schaden zufügt, so er das Vermögen dazu besäße, so kann man immer annehmen, daß nicht Gerechtigkeit oder Großmuth, sondern Furcht oder Interesse ihn bestimmen. Bei der ersten Gelegenheit wird der Maure sich seiner Neigung zum Betrug und Raub überlassen, und der Christ kann dann sicher seyn, ihm nicht zu entgehen. [446] Von den Leidenschaften, welche dieses Volk beherrschen, ist keine tiefer eingewurzelt, als seine Rachsucht. [447] Nie vergißt ein Maure die Erinnerung einer Beleidigung, die ihm widerfahren ist, und mit unermüdlicher Ausdauer und List sucht er seinem Feinde zu schaden, und seinen Durst nach Rache zu befriedigen. Oft wird er die Verstellung so weit treiben, den Schein der innigsten Freundschaft anzunehmen, um dann seinen Schlag, den er lange vorher bedacht hat, mit desto größerer Sicherheit und um so unerwarteter zu führen. – Der schmutzigste Geiz ist allen Ständen der Barbaresken gemein. Die untersten beobachten allgemein den Gebrauch, wenn sie das Garama (die Kopfsteuer) zahlen sollen, vorzugeben, daß sie außer Stande dazu wären. Der Einnehmer des Fiscus kennt indessen bereits die Bedeutung dieser Entschuldigung, und läßt sich dadurch von der Ausübung seiner Amtspflicht nicht abhalten. Der Widerspenstige erhält eine Anzahl Peitschenhiebe, und darauf versteht er sich zur Zahlung; gewöhnlich zieht er noch auf dem Platze selbst, wo er seine Hiebe empfangen hat, die Börse, und entrichtet die Steuer. Ein Europäer, der Zeuge einer solchen Scene war, fragte den Leidenden, ob es denn nicht besser für ihn gewesen wäre, ohne jene Ceremonie zu zahlen? – Wie, antwortete ihm der Maure, ganz erstaunt: ich sollte meine Steuer bezahlen, ohne die Peitsche erhalten zu haben? – Wie viel auch zu dieser sonderbaren Sitte der blinde Geldgeiz der Mauren beitragen mag, der sie verleitet, bis auf den letzten Moment die Erlassung ihrer Verbindlichkeit zu hoffen, so scheint der Hauptgrund doch in der Nothwendigkeit zu liegen, unter einem so räuberischen Gouvernement jeden Schein des Reichthums zu vermeiden.
Unter den Sitten und Gebräuchen der Mauren sind wenige, die nachgeahmt oder auch nur bemerkt zu werden verdienten. Ihre außerordentliche Unwissenheit macht sie abergläubisch im höchsten Grade; Vorbedeutungen dieser oder jener Art haben fast immer einen Einfluß auf ihre Handlungen. In Religionssachen ist man vielleicht in keinem andern mahomedanischen Lande strenger als in Tunis. Die Moscheen stehen in Constantinopel den Christen mit und ohne Befehl des Großherrn offen; in Tunis werden sie durch die Gegenwart eines Ungläubigen für entweiht betrachtet, und dieser läuft in einem solchen Falle die äußerste Lebensgefahr.
In allen Theilen des Landes sieht man öffentliche Andachtsorte, die fast immer die schönste Lage haben, und meist entweder die Wohnungen lebender, oder die Gräber todter Heiligen sind. Die lebenden Heiligen sind in der Barbarei größtentheils Menschen, die ihrer Sinne nicht mächtig sind, und die deshalb Freiheit haben, ungestraft jede Gattung von Ausschweifungen zu verüben; es wird behauptet, daß sich viele, um desselben Vorzuges zu genießen, verrückt stellten, ohne es zu seyn. Einer von diesen Heiligen, der vor kurzem gestorben ist, hatte die Gabe, daß er in einer halben Stunde das Grab des Propheten zu Mecca besuchen, und nach Tunis zurückkehren konnte. Ein anderer hatte das Privilegium, in einer Nacht ganz Europa zu durchreisen, und von Zeit zu Zeit 300 Ungläubige zu tödten, worauf er bei Anbruch des folgenden Tages nach Hause zurückkehrte. Das Volk glaubt allgemein – nach einer alten Prophezeiung, – daß an einem Freitage während des Mittagsgebetes die Christen kommen, und sich des Landes bemächtigen werden. Deshalb werden zu dieser Stunde in allen Städten die Thore geschlossen und nichts kann sie bewegen, sie zu öffnen, wer auch immer Einlaß begehren mag. Jene Prophezeiung sagt, daß die Nation, welche die Eroberung machen werde, roth gekleidet seyn würde, und deßhalb glaubt man allgemein, daß die Engländer darunter gemeint wären.
Die Mauren von Tunis zeigen sich weniger eifersüchtig in Betreff ihrer Weiber, als die Türken. In der Levante ist das schöne Geschlecht der Obhut von Eunuchen übergeben; in Tunis gibt es die letztern nicht, und die Frauen werden so gut als gar nicht gehütet. Sklaven bedienen sie, und wenn diese Europäer sind, so pflegen die Tunesischen Frauen sich nicht einmal vor ihnen zu verhüllen, wahrscheinlich wegen der Verachtung, in der sie gehalten werden. Einer der sonderbarsten Gebräuche, den die Tunesen haben, ist der, daß sie ihre Töchter, ehe sie dieselben verheirathen – mästen. Kaum sind sie von der Brust entwöhnt, so werden sie in enge Gemächer eingesperrt, und es werden ihnen darauf goldene oder silberne Ringe um die Arme und Beine gelegt. Ist das Mädchen für einen Wittwer oder Geschiedenen bestimmt, so dienen dazu die Ringe seiner ersten Frau. Ist dieß geschehen, so werden ihnen die nahrhaftesten Speisen im Ueberflusse gereicht, und dieß Verfahren so lange fortgesetzt, bis die Ringe fest am Fleische anliegen. Welche Schwierigkeiten dieß hat, wenn vielleicht zufällig ein sehr schlankes Mädchen zur Nachfolgerin einer Frau von dem entgegengesetzten Vorzuge bestimmt ist, läßt sich denken; ob die Barbaren in einem solchen Falle ein Ausnahme von ihrer Regel gestatten, ist uns nicht bekannt geworden. Aber Ausdauer überwindet alles.
- ↑ Appendice criticco-letterario della Gazzetta di Milano, Marzo 24, 25 del a. c.