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Die freie Rede

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Die freie Rede
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 371, 374–375
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[371]
Die freie Rede.
Ein Wort für Lehrer und Lernende von Friedrich Gerstäcker.

Wir leben in einer Zeit, wo sich das Menschengeschlecht in auffallend rascher Weise entwickelt und fortbildet. Fast in allen Zweigen der Kunst und Wissenschaft sind neue Entdeckungen, neue Erfahrungen gemacht, und größere Forderungen werden von Jahr zu Jahr an den Menschen gestellt, wenn er eben auf der Höhe seiner Zeit bleiben, wenn er mit der Welt fortschreiten will.

Auch die Schulen sind darin nicht zurückgeblieben – obgleich in ihnen noch Manches gethan werden könnte, alte Vorurtheile zu beseitigen. Neue Methoden sind in manchen Branchen an die Stelle der alten, unpraktischen getreten, den Kindern das Lernen zu erleichtern und sie auf faßliche und interessante Weise zu belehren, und es geschieht – so wenig man auch noch immer für die Lehrer thut – für die Kinder außerordentlich viel. Leider wollen die meisten Menschen aber noch immer nicht einsehen, daß der Lehrer eigentlich der wichtigste Mann im Staate, eben so wie er am schlechttesten besoldet ist, und während sie die ganze Zukunft des Liebsten was sie auf der Welt haben – ihrer Kinder – in seine Hand legen, geben sie ihm einen Gehalt, bei dem er kaum nothdürftig existiren kann und leider nur zu oft Hunger und Kummer leiden muß. Und doch soll gerade der Lehrer die Jugend dahin bringen, allen diesen neuen, vermehrten Ansprüchen zu genügen, und doch bin ich selber eben im Begriff, dem Lehrer eine neue Last aufzuerlegen. Aber ich hoffe auch, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo der Lehrerstand sowohl in pecuniärer Hinsicht gesichert als auch zu der Stellung emporgehoben wird, die er, seiner Würde nach, einnehmen sollte, d. h. nicht unter, sondern neben dem Geistlichen zu wirken, in Dorf wie Stadt, und wenn er dann besser besoldet und nicht mehr gezwungen ist, die wenigen ihm bleibenden Freistunden, die Niemand nöthiger braucht, wie gerade er, zu Privatstunden zu verwenden, um seine Familie und sich am Leben zu erhalten, wenn es nicht mehr heißt „der Herr Pastor und der Schulmeister“, dann dürfen wir auch hoffen, daß sich die Lehrer mit Lust und Liebe ihren Stunden hingeben, daß sie freudig an der anwachsenden, sich fröhlich unter ihnen entwickelnden Jugend wirken werden.

Doch davon wollte ich eigentlich jetzt nicht reden, obgleich dies Capitel nie zu oft erwähnt werden kann. Nur einen Vorschlag möchte ich den Lehrern machen, auf eine leichte, wie für Lehrer und Schüler interessante Weise die Letzteren an öffentliche Vorträge zu gewöhnen.

Ich verwahre mich dabei gegen die Vermutung, als ob ich selber hierin eine neue Methode entdeckt hätte. Das ist nicht der Fall, sondern ich möchte unseren deutschen Schulen nur etwas an das Herz legen, das schon seit langen Jahren mit großem Erfolge in England und Amerika betrieben wird.

Wir leben nicht mehr in einem Zeitalter, wo nur einzelne bestimmte Classen dazu gelangen, in öffentlicher Versammlung ihre Meinung auszusprechen. In den Häusern der Abgeordneten wird jetzt von Jedem gefordert, daß er seine Ansicht frei und offen, aber auch in verständlicher Sprache und nicht etwa stotternd und ohne Ideenverbindung sage. Wo aber sollen die Knaben und jungen Leute das lernen, wo sich üben?

Bei uns wird in den Schulen unter „frei sprechen“ das fehlerfreie Auswendiglernen und Hersagen von Gedichten oder Aufsätzen – das sogenannte Declamiren – verstanden, was aber damit bezweckt? Nichts weiter, als daß der Schüler die Ideen anderer Menschen mit gutem Ausdruck und in deren Sinn eingehend hersagen lernt, aber nie wird er dabei im Stande sein, einen eigenen Gedanken zu fassen und ihn auszuführen. Das Mechanische der Sache studirt er, aber die eigentliche Seele der Rednerkunst bleibt ihm fremd, und diese ist: einen eigenen Gedanken in klare und verständliche Worte zu fassen und ihn auszusprechen.

Die Folgen solchen „Declamirens“ liegen zu Tage. Von Tausenden sind kaum zwei im Stande, das, was sie wirklich fühlen und wissen, vor einer Versammlung mit deutlichen Worten und in richtigem Satzbau anzusprechen, und wenn sie es wirklich könnten, so getrauen sie sich doch nicht, den Mund aufzuthun, denn sie hatten keine Uebung.

Das Hersagen von Gedichten u. s. w. ist ganz gut, den Ton der Stimme zu üben, wenn aber nicht tiefer dabei gegriffen wird, und es eben nur bei dieser Tonübung bleibt, so kann die eigene Intelligenz des Knaben in der freien Rede nie geweckt, sein Geist [374] nicht geschärft, sondern eher durch die ihm aufgezwungenen fremden Worte nur ertödtet werden.

Besonders werden darin alle jene langen Leute vernachlässigt, die mit der Confirmation die Schule verlassen und in ein Geschäft oder einen andern Wirkungskreis treten. In der Schule kamen sie höchstens einmal alle drei oder vier Wochen daran, ein Gedicht zu „declamiren“ und, aus der Schule heraus, wird ihnen gar keine Gelegenheit mehr geboten, sich zu üben – als Lehrling verlangt man sogar von ihnen, daß sie den Mund nicht aufthun, bis sie gefragt werden. Und wie stehen sie dann da, wenn sie später einmal, ob auch mit tüchtigen Kenntnissen ausgestattet, in einen weiteren Wirkungskreis, in die Welt treten? Sie können in vielen Fällen das, was sie wissen, nicht einmal verwerthen, in den Kammern der Abgeordnetem z. B. das nicht bekämpfen, was sie für unrecht, das nicht vertheidigen, was sie für recht hatten, und sind dann höchstens als „Stimmzettel“ zu gebrauchen.

In dieser Hinsicht sind uns Engländer und Amerikaner weit voraus, und zwar durch ein ganz einfaches, besonders in Amerika in den meisten Schulen eingeführtes Mittel, eine vortreffliche Redeübung, der beizuwohnen ich selber oft Gelegenheit hatte und die ich hier jetzt näher beschreiben will.

Ganz von dem Grundsatze ausgehend, daß man durch Declamiren auswendig gelernter Stücke nie wird frei reden lernen, sondern daß der Schüler einen gegebenen oder selbst gefundenen Stoff haben muß, über den er zu sprechen versucht, werden in den amerikanischen Schulen gewöhnlich allwöchentlich sogenannte Debatten gehalten, und ich selber bin oft Zeuge gewesen, mit welchem Eifer nicht allein die Schüler denselben beiwohnten, sondern auch, welche Freude die Lehrer selbst daran fanden.

Ich will mich hier darauf beschränken, eine kurze Anleitung einer solchen Debatte zu geben, und die Lehrer mögen dann selbst beurtheilen, wie leicht ausführbar dieselben auch in unseren Schulen sind und wie segensreich sie wirken können.

In den amerikanischen Schulen der Backwoods oder der westlichen Wälder versammeln sich gewöhnlich am Freitag Abend – da Sonnabends keine Schule ist – Lehrer und Kinder und nicht selten auch die Eltern der Letzteren zu jenen regelmäßigen sogenannten „Debatten“.

Vorher schon wird den Schülern zur Pflicht gemacht, daß sich Jeder eine passende Frage zur Debatte ausdenke – wie auch die Lehrer einige in Vorschlag haben müssen, damit beim Zusammenkommen nicht zu viel Zeit mit der Wahl des Stoffes versäumt werde.

Gleich nach der Zusammenkunft wird ein Richter gewählt, oder sind Erwachsene genug dazu vorhanden, so kann man auch drei zu Richtern nehmen.

Viele lassen sich jetzt die verschiedenen Vorschläge zur nächsten Debatte sagen, irgend einen passenden Stoff auszuwählen, oder legen auch selber der Versammlung – jedenfalls das Kürzeste – einen Stoff zur Abstimmung vor.

Sobald man sich darüber geeinigt hat, geht es an die Wahl der beiden debattirenden Parteien. Es geschieht dieselbe auf rasche unparteiische Weise, die jede Vorbereitung unmöglich macht, denn es ist ein Hauptzweck dieser Redeübungen, nicht etwa auswendig Gelerntes oder vorher sorgfältig Ueberdachtes herzusagen, sondern im Augenblicke selbst einen selbständigen Gedanken zu fassen und ihn auszusprechen.

Der oder die Richter wahlen nämlich aus der Zahl der Lehrer oder der am meisten befähigten Schüler zwei Capitaine oder Führer, die wir A. und B. nennen wollen.

A. hat jetzt das Recht, sich aus der Schaar der Schüler einen auszuwählen, und er nimmt natürlich den, den er für den Befähigtsten hält; ist das geschehen, so sucht sich B. ebenfalls einen Schüler für seine Seite aus, dann kommt A. wieder an die Reihe und dann B., und so abwechselnd, bis sämmtliche Schüler in zwei verschiedene Parteien getrennt sind und nun auch zwei verschiedene Seiten der Stube einnehmen, jede Verwechselung zu vermeiden.

Zwischen A. und B. mag vorher noch das Loos entscheiden, wer den ersten Knaben wählen darf, damit von keiner Seite eine Klage erhoben werden sann.

Natürlich dürfen, besonders im Anfange, den Schülern nicht zu schwere Stoffe zum Debattiren aufgegeben werden. Sie müssen sich alle in dem Kreise ihres Fassungsvermögens bewegen, und mit der Zeit werden sie dann schon selbst auf mehr verwickelte Sätze und Streitfragen gebracht werden.

Hier will ich also annehmen, daß die Versammlung beschlossen hatte, zu debattiren:

„Ob Gold oder Eisen dem Menschengeschlecht den größten Segen gebracht habe?“

Dem Richter liegt es jetzt ob, mit ein paar kurzen einleitenden Worten beiden Parteien die Frage, um die es sich handelt, vorzulegen, und er bestimmt dabei, wenn sich die beiden Führer nicht selber darüber einigen können, welche Partei die Vortheile des Goldes, welche die des Eisens vertheidigen solle.

Ich will annehmen, daß A. überkommen hätte, das Gold und dessen Vortheile dem Eisen gegenüber hervorzuheben.

A. nimmt jetzt – gegen den Richter gewandt – das Wort und sucht in allgemeinen Umrissen, ohne zu sehr auf Einzelheiten einzugehen, die Vortheile hervorzuheben, die der Besitz des Goldes den Menschen gebracht habe, wie die Nachtheile, die ihm durch den Gebrauch des Eisens erwachsen sind.

Danach spricht B. im anderen Sinne, und die einzelnen Schüler eröffnen jetzt die Debatte, indem sie abwechselnd, zuerst Einer von A.’s, dann ein Anderer von B.’s Partei, auftreten und ihre Seile der Streitfrage zu verfechten suchen.

Eine gewisse Zeit, wie lange Jeder sprechen darf, mag bestimmt werden, aber Jeder muß reden und seine Meinung aussprechen, darauf haben die Lehrer besonders zu achten, denn die Schüchternen, die solche Uebung am nothwendigsten brauchen, würden sonst nie das Wort ergreifen.

Mögen dann auch manchmal wunderliche und komische Schlüsse auftauchen – lieber Gott, selbst in den Kammern fehlt es ja daran nicht – die Kinder dürfen nicht irre gemacht werden, und mit dem Bewußtsein, daß sie die Pflicht und das Recht zu reden haben, werden sie auch bald die alle Scheu überwinden und nach und nach lernen, ihre eigenen Gedanken auf den einen Punkt zu sammeln und mit der Zeit geordnet auszusprechen.

Haben nun beide Theile geendet, so nehmen die Führer noch einmal das Wort, das Resultat ihrer beiden Parteien klar und deutlich zusammenzufassen, und ist das geschehen, so entscheidet der oder die Richter, welche Partei am überzeugendsten gesprochen habe – welcher also der Sieg zuzuerkennen sei.

Bleibt dann noch Zeit, so mag eine neue Debatte gewählt werden, zu der man, wenn man will, wieder neue Richter und Führer ernennen kann.

Sehr wünschenswert ist es, daß da, wo es angeht, auch die Väter oder Eltern der Schüler – wenigstens zu Zeiten – solchen Debatten beiwohnen. Sie brauchen natürlich nicht Alle hinzugehen, aber schon wenig Erwachsene üben einen wohlthätigen Einfluß aufs den Ehrgeiz der Kinder aus. Ueberdies schadet es, besonders auf dem Lande, den alten Bauern gar nichts, wenn sie einmal gezwungen werden, über etwas Anderes nachzudenken, als ihre Saaten und Aecker.

Eine Hauptsache bei diesen Debatten ist die, einen richtigen und treffenden Stoff für die Kinder zu finden, der nicht allein belehrend, sondern auch unterhaltend auf sie wirkt. Aber die Welt ist so reich an Stoff, daß es daran nicht fehlen kann. Außerdem gibt es in jeder Stadt, in jeder Commune eine Menge von Dingen und Angelegenheiten, über die verschiedene Meinungen herrschen, und es wird dann stets in der Hand des Lehrers liegen eine passende Debatte einzuleiten und seinen Schülern Mittel an die Hand zu geben, sich Aufklärung darüber zu verschaffen.

Allgemeine Stoffe zu Debatten finden sich deshalb in Masse, und ich will nur einige hier anführen, den Reigen zu eröffnen. Jeder Lehrer wird darnach leicht, den Fähigkeiten seine Schüler entsprechend, andere finden und benutzen können.

1. Hat Furcht vor Strafe oder Hoffnung auf Belohnung den größten Einfluß auf die Thaten der Menschen?

Braucht ein guter Mensch beide?

2. Wer ist der verächtlichste Mensch – ein Lügner oder ein Heuchler?

3. Ist Ehrgeiz eine Tugend aber ein Laster?

4. Ist das Pferd oder der Stier das dem Menschengeschlecht nützlichste Thier?

5. Welches Gefühl gewährt uns mehr Freude, das der Hoffnung oder das der Erinnerung?

[375] 6. Was trägt am meisten dazu bei, Verbrechen zu befördern: Armuth, Reichthum oder Unwissenheit?

7. Wer war der größte Feldherr, Hannibal oder Alexander?

8. Wodurch lernen wir mehr, durch Bücher oder durch das Leben selbst?

9. Haben Thiere nur Instinct oder auch Verstand?

10. Wer ist für die menschliche Gesellschaft der Gefährlichste – der Verschwender oder der Geizige? etc. etc. etc.

Auch launige Debatten dürfen nicht ausgeschlossen sein; so erinnere ich mich, daß in Arkansas ein Fall debattirt wurde, der mehrere Abende hintereinander immer wieder zur Verhandlung kam und große Heiterkeit hervorrief. Es war der folgende:

Ein Mann hatte an einem Flusse ein Fährboot angebunden. Eines Tages kommt ein Stier, der einem anderen Einwohner des Orts gehörte, zu dem Boot herunter, steigt hinein, kaut so lange an dem Strick, bis dieser reißt, und treibt mit dem Boot den Fluß hinab, so daß man beide nicht wieder erlangen konnte.

Wer hatte jetzt den Schaden zu tragen, der Mann, dem der Stier gehörte, oder der Booteigenthümer? – denn Beide verklagten einander – hatte nämlich das Boot den Stier oder der Stier, das Boot entführt?

Solche scherzhafte Debatten – kleine unschuldige, aber verwickelte Rechtsfragen und dergleichen, eignen sich vortrefflich zu diesem Zweck. Das Leben um uns her bietet dabei so manchen interessanten Stoff, und es kann den Lehrern nicht schwer fallen, Manches aufzufinden, was die Aufmerksamkeit ihrer Schüler fesselt. Sie werden dabei selber über den Erfolg staunen, den diese Uebungen bewirken, denn es sind nicht mehr einfache, hergesagte Lectionen, es ist der eigene Gedanke, der aus den Kindern spricht.

Was nützt den Knaben das Declamiren, das nur allein der Schauspieler für sich verwerthen kann? Er lernt sprechen, ja aber er kann das Gelernte nie für sich praktisch verwerthen. Die Stimme, die Gesticulation, der auf die einzelnen Worte gehörige Ausdruck sind allerdings wesentliche Momente der Rede, aber sie sind und bleiben doch nur die äußeren Zierden des Baumes, während der eigene Gedanke Stamm und Mark desselben bildet.

Verschafft deshalb dem Kinde erst die Möglichkeit, sich eigene Gedanken zu formen und zu entwickeln, gebt ihm einen Gegenstand, der sein Herz erwärmt und seinen Geist schärft, und er wird auch mit dem richtigen Ausdruck, mit der richtigen Gesticulation sprechen lernen, weil das, was er spricht, aus seinem eigenen Herzen kommt.

Den Beweis des eben Gesagten können wir jede Stunde auf jeder Straße finden, wo wir zwei Leute, selbst aus den niedrigsten Ständen, sich unterhalten sehen. Laßt diese irgend ein beliebiges Gedicht hersagen, und es wird ohne Ausdruck, mit den ungeschicktesten Bewegungen geschehen, aber wie sie dort stehen und sich streiten oder irgend etwas Geschehenes besprechen, ist jede Bewegung natürlich, jedes Wort richtig betont – und warum? – weil sie fühlen, was sie reden, weil ihr Körper, der Ausdruck ihres Gesichtes selbst unwillkürlich, ja ihnen unbewußt, mit ihren Gedanken im Einklange steht.

Der richtige Declamator dagegen lernt vielleicht mühsam einen Anderen Gedanken durch Worte und Bewegungen richtig wiedergeben – aber es ist die Frage, ob er je im Stande sein wird, einen eigenen und selbstständigen Gedanken ohne Stottern auszusprechen.

Die Debatte ist deshalb das einzige Mittel, den Schüler nicht allein sprechen, nein, auch denken zu lehren, und wollen die Lehrer einmal den Versuch machen, welche Wirkung sie damit bei ihren Schülern erzielen, so bin ich der festen Ueberzeugung, daß sie nie wieder zur leeren Declamation zurückkehren oder dieselbe wenigstens von da an als das betrachten werden, was sie wirklich ist: einzig und allein als eine Gedächtnißübung, bei der sie die Schüler ruhig können aus ihren Plätzen sitzen und die Hände auf die Schreibbank legen lassen.

Und wären solche Redeübungen allein für Schulen von segensreicher Wirkung?

Diese Debatte möchte ich den Vereinen junger Kaufleute und Handwerker als Aufgabe empfohlen haben und ich bin fest überzeugt, daß sie es dann nicht bei der einen bewenden lassen. Sie werden einsehen, daß auch für sie in späteren Jahren die Nothwendigkeit eintreten kann, öffentlich zu sprechen, unter welchen Verhältnissen es auch immer sei, und daß sie bei ihren Zusammenkünften einen Theil ihrer Zeit nicht besser und nützlicher verwerthen können, als durch solche Uebung.