Die geheime Agentur
Die geheime Agentur.
Es war im Jahr 1857, als die große finanzielle Krisis, welche später die ganze Welt erschütterte, sich wie eine Lawine, Alles mit sich fortreißend, über die Vereinigten Staaten ergoß. Die Ohio-Lebensversicherungs- und Credit-Gesellschaft, an deren sicherem Bestande damals Niemand zweifelte, eröffnete den Reigen mit einem Bankerott von zehn Millionen Dollars, Bank auf Bank folgte durch das ganze weite Land, die im Bau begriffenen Eisenbahnen blieben liegen, die alten, bis dahin gut rentirenden Schienenwege zahlten keine Dividende mehr, und der große Nordwesten, die Kornkammer der Welt, erlag fast der finanziellen Calamität und der Ueberspeculation. Eine andere Nation hätte in solcher traurigen Lage fast allen Unternehmungsgeist verloren, aber für den kräftigen amerikanischen Zweig des angelsächsischen Stammes war dieses Unglück nur ein neuer Sporn, um durch Anstrengung aller Spannkraft die Verluste wieder gut zu machen. Waren auch die Papiere und Banknoten entwerthet, war auch das Eigenthum im Werthe gesunken, waren auch Millionen durch Fallissements ruinirt, so war doch die schöpferische Kraft des unermeßlichen Bodenreichthums noch vorhanden; auf diese gestützt entschloß sich das thatkräftige Volk, die Schlacht des Lebens von Neuem zu schlagen und siegreich durchzuführen. Eine eigenthümliche Erscheinung war, daß viele Leute, welche bis dahin nur nominelle Christen gewesen waren, plötzlich fromm wurden und sogenannte prayer-meetings, öffentliche Betstunden besuchten, ohne freilich, wie die deutschen Pietisten, ihre Geschäfte dabei zu vernachlässigen. Bei solchen Zusammenkünften sah man die bedeutendsten Männer, Politiker, Richter, Aerzte und Andere im Verein mit gewöhnlichen Handwerkern sich vor dem Höchsten beugen und bessere Zeiten herabflehen. Bei Manchen mag wohl Heuchelei mit im Spiel gewesen sein, bei den Meisten aber kann man mit Sicherheit annehmen, daß sie von tiefen religiösen Gefühlen ergriffen waren.
Eine der traurigsten Erscheinungen in dieser folgenschweren Zelt war der Umstand, daß es sich bei Vielen herausstellte, wie sie ganz wagehalsig, ohne die Folgen zu berechnen, in’s Blaue hinein speculirt hatten, während Andere, von der allgemeinen Misère unmoralischen Gebrauch machend, diese Gelegenheit benutzten, ihre Schulden abzuschütteln. Es war ja außerordentlich leicht, sich unter diesem oder jenem Vorwande seinen Verpflichtungen zu entziehen. Konnte man ja doch sein festes oder bewegliches Eigenthum, wenn man unredlich dachte, gar leicht auf eine dritte Person, die im Einverständniß handelte, überschreiben lassen (transfer of property) und so den selbst bedrängten Gläubiger um seine Rechte betrügen. Gab es ja doch gewissenlose Advocaten genug, die zu solchen Manipulationen für gewisse Procente ihre Hand boten. Daß unter solchen Verhältnissen der bei weitem größere und bessere Theil der Geschäftswelt nach einem Mittel suchte, diesem fraudulenten Verfahren einen festen Damm zu setzen, um sich vor künftigen Verlusten zu schützen, ist leicht erklärlich. Wie nun die Angelsachsen stets das Princip festhalten: hilf Dir selbst, und nicht, wie die Deutschen im Gefühle ihrer Abhängigkeit, von den Behörden allein Remedur erwarten, so fanden sich bald ein paar unternehmende Köpfe, welche den leitenden Kaufleuten und Banken der großen Städte einen Plan vorlegten, der trotz mancher moralischer Bedenken im Ganzen Beifall fand. Gleichsam wie die großen Speditions-Gesellschaften Adams’, Fargo’s und American Express Company sich über das ganze Land verzweigen und fast in jeder größern oder kleinern Stadt Agenturen besitzen, so wollte man an allen Handelsplätzen geheime Officen errichten, deren Zweck es sein sollte, über die Verhältnisse der Geschäftswelt am Orte selbst und in der Nachbarschaft die genauesten Erkundigungen einzuziehen und zu registriren. Zu diesem Zwecke wurden vertraute Männer von New-York aus durch das ganze Land geschickt, welche den Auftrag hatten, überall die passenden Persönlichkeiten für das Unternehmen aufzusuchen, wie sich denn leider auch Geschäftsleute ohne Verdienst und Advocaten ohne Praxis in Menge zu diesen zweideutigen Agenturen gebrauchen ließen. Nicht lange darauf entstand dann in Empire City (New-York) eine Centralagentur ohne deutlich ausgesprochenen Namen der Firma, gewöhnlich Somebody’s secret office (eines gewissen Jemand Geheim-Bureau) von den Importeuren genannt, im Westen und Süden häufiger als Douglas und Co. bezeichnet. Um die Unkosten des Unternehmens zu decken, mußten alle Firmas je nach ihrer Bedeutung, wenn ihnen die geheimen Bücher der mysteriösen Agentur erschlossen werden sollten, einen Beitrag von 50–200 Dollars jährlich entrichten. Dafür hatten sie das Recht, wenn sie mit irgend einem Hause, auch in dem entferntesten Theile des Landes, in geschäftlicher Beziehung standen und über dessen Solidität Erkundigungen einziehen wollten, bei der nächsten Office von Douglas und Co. nachzufragen, die sich dann direct mit dem entsprechenden Zweige der Agentur in Verbindung setzte und mit umgehender Post dem Nachfragenden die nöthige Auskunft mittheilte. Daß das Geheimniß dieser lichtscheuen Manipulation auf das Strengste beobachtet wurde, geht daraus hervor, daß Jeder, der seinen Namen als Subscribent in die Bücher der geheimen Agentur eintragen lassen wollte, erst drei eingeweihte Bürgen seiner Schweigsamkeit und Discretion stellen mußte, ehe ihm die Art und Weise [633] des ganzen Verfahrens mitgetheilt wurde. Er erhielt dann eine kleine Karte, auf der ungefähr folgendes Schema stand:
A. | Reich, tadellos sicher. | 1) | Er spielt. |
B. | Wohlhabend, sicher. | 2) | Er trinkt. |
C. | Schulden, aber reichliche Deckung. | 3) | Er liebt die Weiber. |
D. | Schulden und Deckung gleich. | 4) | Ist im Begriff, fein Eigenthum zu überschreiben. |
E. | Mehr Schulden als Deckung. | 5) | Er ist kränklich. |
Bei Compagnongeschäften trat in diesen Bezeichnungen eine kleine Modification ein, außerdem wurden von Zeit zu Zeit die Zeichen gewechselt. Die Referenzen wurden nun von der Agentur auf folgende Weise mitgetheilt. Verlangte z. B. Peter Smith in Philadelphia Auskunft über John Brown in St. Louis, so erhielt er von der entsprechenden Agentur eine Karte, auf der einfach die fünf bezeichneten Buchstaben wie die fünf Ziffern standen, ohne die charakteristischen Zusätze. Diejenigen Buchstaben oder Zahlen, welche den Werth oder Unwerth des John Brown als Geschäftsmann und Bürger nach dem erstangeführten Schema markiren sollten, waren aber mit rother Tinte unterstrichen. Jedenfalls genügte diese Karte, um den Anfrager, falls der kurze Bericht correct und wahrheitsgetreu war, in seinen Handelsoperationen mehr oder weniger sicher zu stellen. War z. B. die Zahl 4 unterstrichen, so hatte derselbe nichts eiliger zu thun, als den etwaigen transfer of property, die Ueberschreibung des Eigenthums, auf legalem Wege zu sistiren, wenn er seine Schuldforderung decken wollte.
Wenn man nun das ganze Verfahren und die große Heimlichkeit des gefährlichen Institutes unbefangen betrachtet, so kann man bei dem ersten Blick nicht leugnen, daß dasselbe unter gewissenhafter Verwaltung der soliden Geschäftswelt eine anscheinende Garantie gegen den sich breitmachenden Schwindel bot, allein auf der andern Seite muß man wohl erwägen, daß gerade in dieser Heimlichkeit und Unverantwortlichkeit den Ansichten und den Privatleidenschaften mancher Agenten ein viel zu großer Spielraum gegeben wurde. Leute, die mit den Verhältnissen genau vertraut sind, wollen behaupten, daß der Impuls zu der ganzen Idee von einem New-Yorker Kaufmann ausgegangen sei, der früher in Deutschland als Beamter die geheimen Conduitenlisten, welche man noch heute in gewissen deutschen Staaten über die Angestellten zu führen pflegt, ausgearbeitet habe.
So verschieden nun auch die Urtheile der moralisirenden Geschäftswelt über Douglas und Co. sind, so kann man doch immerhin Einiges zur Entschuldigung anführen. Man denke sich den Fall, daß ein Haus in Boston mit einem Geschäftsmann in St. Paul ein vortheilhaftes Geschäft abschließen kann, aber darüber im Unklaren ist, ob derselbe seinen Verpflichtungen nachkommen kann oder will; das Haus in St. Paul ist dem Bostoner ganz unbekannt, auch hat letzterer in St. Paul keine Geschäftsfreunde, die ihm Aufschluß geben könnten. Was bleibt dann dem Bostoner, wenn er den erwarteten Gewinn sich nicht entgehen lassen will, weiter übrig, als bei der geheimen Agentur anzufragen, falls er seine 100 Dollars jährlich an dieselbe entrichtet? Amerika ist noch ein junges Land, neue Handelsplätze und Firmen schießen wie die Pilze aus der Erde, und neuetablirte Kaufleute, deren Namen man in den großen Emporiums der atlantischen Städte noch nicht kennt, reisen nach dem Osten und verlangen für ihre Einkäufe Credit. Wie ist es da möglich, die Principien des kaufmännischen Credits, wie sie im alten Deutschland bei wohlfundirten Häusern festgestellt sind, durchzuführen? Man müßte sich eben dazu bequemen, gar keine Geschäfte zu machen. Wenn nun der Kaufmannsstand in den Vereinigten Staaten überhaupt durch die Verhältnisse gezwungen ist, seine Waaren ohne diejenige Sicherheit, welche man in Europa fast immer beansprucht, dem Käufer zu verabfolgen, so kann man es ihm in mancher Beziehung nicht verdenken, wenn er nach Mitteln sucht, um sich vor Verlusten zu schützen, welche ihm durch den Leichtsinn oder bösen Willen Anderer zugefügt werden. Diesem Umstände hat es die geheime Agentur zu verdanken, daß dieselbe von einer so großen Masse Geschäftsleuten benutzt wird und dadurch in den Stand gesetzt ist, mehr oder weniger eine moralische Tyrannei über Viele auszuüben, wie sie denn auch nicht blos unter Schwindlern, sondern auch unter der bessern Classe, die heftigsten Gegner in Menge zählt. Es liegt ja tief in der menschlichen Natur, eine geheime Macht, welche eine auch nur geschäftliche Controle über uns prätendirt, zu hassen, und wenn wir ein Stück unseres Grundeigenthums veräußern, wer giebt ihr das Recht, den Verkaufspreis und die Bedingungen in ihre Bücher einzutragen, um einmal bei gelegener Zeit Gebrauch davon zu machen, wenn vielleicht ein früherer Geschäftsfreund es sich einfallen läßt, unsere Finanzen mit mißtrauischen Augen zu betrachten?
Da wir Amerika schon seit Jahresfrist verlassen haben, so können wir nicht wissen, ob Douglas und Co. noch ihre geheimnißvolle Thätigkeit fortsetzen. Vielleicht hat der unglückliche Bürgerkrieg auch der mysteriösen Agentur die Wurzeln abgehauen, was wir nicht im Geringsten bedauern würden, da sie unseres Erachtens mehr Schlechtes als Gutes gestiftet hat. Sie hat allerdings manche Verluste verhütet, manche Betrügereien aufgedeckt, aber sie hat auch durch die Spürnase ihrer Agenten und Advocaten die verborgensten Familiengeheimnisse mit Unrecht aufgedeckt und oft durch falsche Berichte den besten Credit ruinirt. Sie hat durch ihre ungesetzliche Einmischung die besten Leute zum Fall gebracht und durch die absichtlichen Lügen boshafter Werkzeuge Manchen bis zum Verbrechen getrieben.
Eben ein solches, welches mit teuflischer Bosheit in einer großen westlichen Stadt verübt wurde, war die Ursache, daß endlich die geheimen Machinationen der Agentur an die Oeffentlichkeit gezogen werden konnten; indessen waren die Beamten derselben zu schlau, um den Richtern und dem Volke mehr als einen flüchtigen Blick in das innere Getriebe ihres Systems zu gestatten. Die Umstände aber, welche sich an diesen vielfach besprochenen Fall knüpfen, sind zu interessant und werfen einen zu tiefen Schatten auf das amerikanische Geschäftsleben, als daß wir dieselben unsern deutschen Lesern vorenthalten könnten. Möge es uns daher vergönnt sein, in flüchtigen Skizzen, welche wir größtentheils dem Portefeuille eines angesehenen Advocaten entlehnten, das verderbliche Treiben und Thun von Douglas und Co. und die noch schrecklicheren Folgen davon zu beleuchten. –
In einer größern Stadt des Westens lebte Mr. Francis
Hargrave, ein noch junger Mann von dreißig Jahren, der ein
nicht unbedeutendes Droguengeschäft betrieb. Mit seiner Frau, die
den Ruf einer koketten Weltdame besaß, schien er nicht im besten
Einvernehmen zu leben, auch flüsterte man sich in die Ohren, daß
die schöne Lucy die Huldigungen seines Buchhalters nicht fest
genug zurückweise. Dafür war aber das einzige Kind seiner Ehe,
ein schöner Knabe, Namens Harry, sein Augapfel, und wenn er
ermüdet aus dem Geschäfte zurückkam, widmete er ausschließlich
dem Kleinen seine Zeit.
Eines Tages kam Mr. Hargrave verdrießlich von einem Ausgang zurück; er war auf der Bank gewesen, um einige Wechsel, welche Mr. Cox, der Buchhalter, für gut acceptirt hatte, discontiren zu lassen; dort hatte man sich aber geweigert, weil die Aussteller angeblich nicht zahlungsfähig wären. Hierüber kam es nun zu einem heftigen Streit, weil Mr. Cox die Vorwürfe, welche ihm mit Recht oder Unrecht gemacht wurden, nicht auf sich sitzen lassen wollte. Jedenfalls hätte der Wortwechsel zwischen Beiden ernstere Folgen nach sich gezogen, wenn nicht zufällig Mrs. Hargrave im Laden erschienen wäre, um ihren Gemahl daran zu erinnern, daß er ihr das Versprechen gegeben habe, denselben Nachmittag mit ihr auszufahren. Dieser konnte dann nach amerikanischer Sitte nicht umhin, ihrem Wunsche nachzukommen. Seinen Aerger verschluckend verließ er mit seiner Frau die Office, um in den Wagen, der vor dem Hause hielt, einzusteigen, während Mr. Cox, in Gedanken versunken, sich anscheinend in seine Bücher vertiefte.
Als es sechs Uhr schlug, entfernten sich wie gewöhnlich die Clerks, ebenso der Porter, der vorher noch Alles, bis auf eine der Frontthüren, verschließen mußte. Als der Buchhalter sich allein sah, steckte er bei der zunehmenden Dunkelheit das Gas in der Office, sich selbst aber eine Cigarre an und sah von Zeit zu Zeit ungeduldig nach seiner Uhr, als wenn er Jemand erwartete. Es dauerte auch nicht lange, so erschien im Eingänge des Ladens eine lange Gestalt, die sich, vorsichtig zwischen den vielen Fässern und Kisten umhertappend, der Office näherte.
„Sieh da, Mr. Sharp, endlich!“ sagte Cox. „Nun, hat man den Counterfeiter (Fälscher) verurtheilt, und hat das Zuchthaus einen Candidaten mehr? Ich sollte doch meinen, die Bank hätte Beweise genug gehabt!“ fragte er neugierig.
„Ach nein,“ sagte der Angeredete, „die Sache nahm eine ganz andere Wendung, als der Staatsanwalt und ich, sein Assistent, [634] erwarteten. Wir hatten dem Director der Bank versprochen, unser Möglichstes zu thun, aber die Vertheidigung brachte Zeugen, die uns zwangen, ein nolle prosequi einzureichen.“
„Das muß besonders zugehen, wenn Mr. Sharp einen Angeklagten aus seinen Klauen läßt, zumal wenn er einem reichen Bankdirector dabei gefällig sein kann!“ bemerkte Cox.
„Hole der Teufel Mr. St., den Bankdirector! Hätte die Sache ruhen lassen sollen, wenn er selbst faule Fische hat. Aber wer hätte das ahnen können! habe ich doch selbst bei Douglas und Co. nachgefragt, ob die Bank solvent sei und keine Ursache habe, zweideutige Operationen zu treiben. Ich selbst habe in den Büchern nachgesehen, denn Sie wissen, daß ich so hin und wieder der geheimen Agentur kleine Dienste erweise. Die Auskunft war vollständig günstig.“
„Nun, wie ging denn das zu? Sollten sich der schlaue St. und seine Collegen wirklich die Finger verbrannt haben?“ fragte Cox, Sharp erstaunt ansehend.
„Ei, das hat wohl Nichts zu sagen; die haben großen Einfluß, und die Staatsanwaltschaft wird sie nicht beißen. Doch ehe ich den ganzen Hergang erzähle, erlauben Sie wohl, daß ich mich setze.“ Nachdem Mr. Sharp Platz genommen, fuhr er fort:
„Sie wissen, die Bank gab vor anderthalb Jahren neue Fünfdollarnoten aus, und der Graveur, welcher heute auf der Anklagebank saß, war der Verfertiger; die Noten waren vorzüglich gestochen und machten ihm Ehre. Da kam vor ungefähr sechs Monaten der alte St., der Bankpräsident, mit der Platte zu ihm und trug ihm auf, eine kleine Veränderung daran vorzunehmen, welche aber nur für die Beamten der Bank erkennbar sein sollte. An dem Buchstaben k, am Schlusse des Wortes „Bank“, sollte er ein unmerkliches Häkchen anbringen. Die von der veränderten Platte abgezogenen Noten sollten eine neue Serie zur bessern Controle der Ausgabe bilden. Smithson, der Graveur, unterzog sich der Aufgabe, obgleich er Verdacht schöpfte und seine Maßregeln danach traf. Indessen, da er doch nächstens nach Californien gehen wollte, erfüllte er den Auftrag, und die Bank soll für 100,000 Dollars von der veränderten Platte abgezogen und als gut ausgegeben haben. Vor drei Monaten erklärte man nun diese neuen Noten als gefälschte und weigerte sich dieselben einzulösen. Sicherlich hat die Nachricht von Smithson’s Tode, der nach seiner Ankunft in St. Francisco erfolgt sein sollte, dazu beigetragen, die Bank zu diesem Schritte zu verleiten. Die Detectives (geheimen Polizisten) wurden nun auf die Beine gebracht, eben weil man erwartete, daß jede Spur verwischt sei. Da fügt es sich so, daß der todtgeglaubte Smithson plötzlich zurückkommt. Er hatte nur am Panamafieber hart darniedergelegen, und die Aerzte dort hatten ihm gerathen, des Klimas wegen eiligst nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren. Die Detectives arretiren seine Person und finden in seinem Gepäck einige Abzüge von der veränderten Platte, Beweis genug, um ihn in den Anklagestand zu setzen. Was sollte nun das Bankdirectorium thun? – Die erschwindelten 100,000 Dollars wieder verlieren, oder Smithson auf das Schärfste verfolgen? Sie kennen den alten Heuchler St., Cox, also werden Sie sich nicht wundern, wenn er das Letzte wählte. Vor der grand jury (Voruntersuchungs-Gericht) schwur er Stein und Bein gegen den Graveur und von der in seinem Auftrage erfolgten Abänderung der Platte hütete er sich wohl ein Wort zu sagen. Wer konnte anders der Schuldige sein als Smithson? und so thaten wir in der Staatsanwaltschaft unser Bestes, um ihn zu überführen, obgleich ich von Anfang an ahnte, daß falsches Spiel dahinter stecke. Schon glaubten wir ihn fest zu haben und so den alten St. und die Bank uns zu verpflichten, als durch unantastbare Zeugenaussagen die obenerwähnten Umstände zum Vorschein kamen.“
„Aber wie ging das zu?“ fragte Cox, „bei solchen Geschäftstransactionen pflegt man doch keine Zeugen zu haben, und der alte St. ist ein schlauer Fuchs.“
„Selbst der schlaueste Fuchs geht zuweilen in die Falle,“ bemerkte Sharp. „Sie müssen nämlich wissen, daß der alte St. so ziemlich taub ist, so daß man ihm in die Ohren schreien muß, um sich ihm verständlich zu machen. Diesen Umstand hatte Smithson benutzt und bei der Uebergabe der veränderten Platte und der Probeabzüge zwei Zeugen in das Nebenzimmer gestellt, die natürlich bei der lauten, im schreienden Tone geführten Unterhaltung jedes Wort verstanden. Es waren die beiden Deutschen, die unter seinem frühern Atelier einen Gewürzladen halten. Diesen Rath hatte ihm sein Freund, der junge Rechtsgelehrte George C. gegeben, als Smithson ihn über den kitzligen Auftrag zu Rathe zog, und das Datum des betreffenden Tages, wie die Stunde der Abgabe der Platte wurde genau markirt. Nicht blos die beiden Deutschen gaben ein vollständiges Entlastungszeugniß ab, sondern auch George C. selbst ließ sich als Zeuge einschwören, so daß die Staatsanwaltschaft gezwungen wurde, die Anklage fallen zu lassen.“
„Und nun wird Smithson den Spieß umdrehen und gegen die Bank klagen!“ meinte Cox.
„Das hat gute Wege, Freundchen, das corpus delicti, die veränderte Platte, wird schon verschwunden sein, da sie im Besitze von St. ist, und wer kann behaupten, daß die von der Bank für Counterfeit erklärten Fünf-Dollarnoten wirkliche Abzüge sind? Außerdem, wie kann ein armer Graveur gegen so einflußreiche Leute auftreten, zumal wenn wir es nicht wollen? Indessen dafür will ich schon sorgen, daß der Fall dem alten St. ein theurer Spaß wird. Sie wissen, Cox, daß solche Leute zuweilen sehr freigebig sind, wenn die Behörde zur rechten Zeit an Augenschmerzen leidet.“
„Also Sie fragten, bevor Sie den Fall in die Hand nahmen, bei Douglas und Co. nach, wie es eigentlich mit der Bank stände,“ bemerkte Cox, „und man sagte Ihnen Nichts von einer etwaigen betrügerischen Ausgabe von Noten?“
„Sir,“ lächelte Sharp listig, „Sie begreifen noch nicht die Politik der geheimen Agentur. Eben weil man wußte, daß die Bank durch die veränderte Platte 100,000 Dollars verdient hatte, gab man ihr ein günstiges Zeugniß.“
„Gott verdamme mich, das ist schlau,“ rief Cox und riß die Augen weit auf, „bei Douglas und Co. möchte ich wohl noch in die Schule gehen.“
Sharp stand bei diesen Worten auf, schaute aus der Office in den dunkeln Laden hinaus und fragte: „Sind wir ganz allein, Cox? Ist kein Lauscher da? Sie wissen, ich hatte versprochen, Ihnen heute Abend eine wichtige Mittheilung zu machen.“
„Mutterseelenallein, ich habe den Porter und die Clerks wie gewöhnlich um 6 Uhr nach Hause geschickt, und Hargrave ist mit seiner Frau ausgefahren, wird uns daher nicht überraschen. Lassen Sie hören!“
„Nun,“ sagte Sharp, „Douglas und Co. brauchen einen tüchtigen Unteragenten, der die Stadt L. hier genau kennt. Sie wissen, daß ich die Bücher der Recordersoffice (Registratur) regelmäßig für die Agentur nachsehe, und so habe ich bei derselben ein klein wenig Einfluß. Ich habe Sie daher als Vertrauensmann vorgeschlagen, und man hat mich beauftragt, mit Ihnen zu sprechen. Zugleich muß ich aber erklären, daß ich heute noch ein Probestück von Ihnen verlange, falls Sie darauf eingehen. Ich will Sie nicht überreden, das sei ferne von mir, aber ein so tüchtiger Geschäftsmann, wie Mr. Cox, verdient eine bessere Situation, als diese schlechte Buchhalterstelle.“
Cox, der diesen Antrag erwartet hatte, machte nichts desto weniger ein erstauntes Gesicht. „Also, Sie meinen, Sharp,“ sprach er, „daß ich einen guten Agenten abgeben würde? Was ist das aber für ein Probestück, wovon Sie sprechen?“
„Nichts Uebermäßiges,“ sagte Sharp, „wir verlangen Auskunft über Ihren Principal. Jones und Co. in New-York haben angefragt, ebenso ein Philadelphiahaus, das Sie als Buchhalter des Geschäfts wohl kennen werden.“
„O, Sie meinen George Bingham!“ unterbrach Cox, „wir schulden dem für 15,000 Dollars Farbewaaren, und Jones und Co. haben Noten im Betrage von 9000 Doll. von uns in den Händen.“
Sharp nahm eine Brieftafel heraus, um Notizen zu machen. „Es steht wohl überhaupt nicht besonders mit Hargrave?“ fuhr er fort, „heraus mit der Sprache! kein Mensch erfährt ein sterbendes Wörtchen davon. Hargrave selbst wird mit seinem Namen nicht in das Hauptbuch eingetragen, sondern nur unter einer bestimmten Nummer, zu der blos der Hauptagent den Schlüssel hat.“
Cox, der im Grunde seines Herzens den Principal haßte, dabei noch, wie oben angedeutet, für dessen Frau eine unreine Leidenschaft im Busen trug, versuchte zu erröthen, es gelang ihm aber nicht; dann sagte er zögernd: „Hargrave hat bis jetzt guten Credit im Osten gehabt, ist aber selbst sehr leichtsinnig im Creditgeben (Cox verleitete ihn dazu), so daß wir viele Außenstände in Missouri, Iowa, Wisconsin und Minnesota haben, die schwer collectirt werden [635] können. Doch so lange er von New-York aus nicht gedrängt wird, möchte Alles gut gehen. Erschüttert man dort aber seinen Credit, so muß die Boutique zusammenbrechen. Ich habe ihm erst neulich Milwaukie-Prairie du Chien-Bahnactien aufgeschwatzt, so daß er einen großen Theil seiner Baarfonds darin angelegt hat, und Sie wissen so gut wie ich, daß die Compagnie nächstens ein assignment. (Erklärung der Zahlungsunfähigkeit) machen wird. Dazu kostet sein Haushalt viel Geld, seine Frau ist sehr verschwenderisch.“
Sharp, der einige Bemerkungen notirt hatte, nickte beifällig und bemerkte höhnisch: „Ich weiß nicht, woher es kommt, daß ich diesen Hargrave nicht leiden kann. Als ich ihn vor einigen Jahren zum ersten Male sah, faßte ich gleich einen großen Widerwillen gegen ihn. Später hat er mich beleidigt, als er Thompson beredete, mir den fetten Proceß über das Irving’sche Eigenthum aus den Händen zu nehmen; seit der Zeit habe ich ihm Rache geschworen.“
Cox, der schon lange in den Fesseln der koketten und schönen Lucy lag und schon deshalb aus Eifersucht Hargrave zu stürzen suchte, an welchen Plan sich wohl allerhand Hintergedanken knüpften, verfehlte nun nicht, Sharp die allerkleinsten Details aus dem Geschäfte mitzutheilen, um den Hebel zum Ruin seines Principals anzusetzen. Erst in später Abendstunde trennte sich das würdige Paar, nachdem Sharp den Buchhalter gründlich über die Verpflichtungen und die Vortheile eines Agenten von Douglas und Co. instruirt hatte. –
Es dauerte nicht lange, bis allerhand nachtheilige Reden und Gerüchte über Francis Hargrave und sein Geschäft auftauchten; man wollte in Erfahrung gebracht haben, daß er in den kleinen Städten, welche sich damals am obern Mississippi entwickelten, zu viel Credit gegeben und dadurch bedeutende Summen verloren habe. Die Geschäftsnachbarn steckten die Köpfe zusammen und grüßten ihn nicht mehr so freundlich wie früher; ebenso verdrießlich war es für ihn, daß er gegen alle Erwartung durchfiel, als er sich zur Aufnahme in die Freimaurerloge gemeldet hatte. Hin und wieder gingen ihm anonyme Warnungen gegen seinen Buchhalter zu; indessen der Kaufmann, obgleich er im Geheimen eine gewisse instinctmäßige Abneigung gegen Mr. Cox hatte, dachte nicht daran, denselben zu verabschieden, weil er aus Grundsatz solche anonyme Briefe mißachtete. Außerdem, wie hätte er gerade jetzt, wo sich so viele unangenehme Verwickelungen einstellten, denselben entlassen können, da er ohne Cox’s Hülfe keinen klaren Ueberblick, der doch augenblicklich so nothwendig war, über seine Bücher haben konnte? Eines Tages kam ein alter Freund seiner Familie, der eben vom Osten zurückgekehrt war, zu ihm und sagte ihm im Vertrauen, daß man in New-York und Philadelphia ganz unerwarteter Weise über seine Solvenz ernstliche Zweifel hege. „Ich,“ sagte der alte Mann, „that mein Bestes diese zu bekämpfen. Sie wissen ja, Francis, ich habe es immer gut mit Ihnen gemeint, allein man zuckte die Achseln und meinte, Sie hätten in Wisconsin starke Verluste gehabt und schlechte Eisenbahnactien gekauft.“
Bei diesen Worten erblaßte Hargrave; wie konnte man dort wissen, daß er Milwaukie-Prairie du Chien-Actien gekauft und dabei bedeutend verloren habe? war doch das ganze Geschäft durch einen verschwiegenen Stockbroker (Börsenmäkler) geschlossen worden. Er hatte im Osten auf 3–6 Monate Zeit gekauft und hoffte, daß, da er vielleicht nicht im Stande sein würde, pünktlich auf den Termin die fälligen Noten einzulösen, bei seinem sonst so guten Credite seine Gläubiger keinen Anstand nehmen würden, ihm eine bedeutende Verlängerung der Frist zu gestatten, wie ja das bei sonst guten Häusern so häufig der Fall war. Jetzt sah er sich plötzlich von allen Seiten bedroht, indessen hoffte er durch Aufbietung aller Hülfsmittel und durch Einschränkung seines kostspieligen Haushalts noch den Sturm zu überstehen. Er dankte dem alten Freunde für die freilich sehr unwillkommene Nachricht, gab einige Aufträge im Laden und eilte nach Hause, um seiner Frau die Lage auseinanderzusetzen. Leider fand er dort schlechten Trost; die kokette egoistische Lucy, die wahrscheinlich schon früher von seiner gefährlichen Stellung unterrichtet war, erklärte ihm mit dürren Worten, wenn er nicht mehr im Stande sei, sie wie eine Lady zu erhalten, so werde sie lieber von ihm gehen, ein Scheidungsgrund müsse sich schon finden, und so wolle sie sich denn einstweilen unter den Schutz ihrer Freunde begeben. –
Diese Herzlosigkeit seines Weibes, das offenbar unter einem ihm feindlichen Einflusse stand, brachte bei Hargrave eine Gemüthsstimmung hervor, die ihn vollständig unfähig machte, seine Situation kaltblütig und richtig zu beurtheilen. Er nahm, wie es leider so häufig bei Amerikanern der Fall ist, zum Becher seine Zuflucht und befand sich in fortwährender Aufregung. Daß Mr. Cox diesen Umstand dazu benutzte, um das Geschäft seines Principals erst recht zu ruiniren und dasselbe, wie die Ratten das sinkende Schiff, im Angesicht der bevorstehenden Krisis zu verlassen, kann bei dem intriganten Charakter des Buchhalters nicht auffallen. – Hargrave war in seinem Kummer und bei seiner fast an Verzweiflung grenzenden Mißstimmung so weit gegangen, die Hilfe seiner Freunde zu verschmähen. Als diese sahen, daß Francis sich wirklich in großer Geldverlegenheit befand, daß er nicht im Stande war, Aufschub für seine Verbindlichkeiten im Osten zu erlangen, hatten sie ihm bereitwillig ihre Unterstützung zur Disposition gestellt. Die Amerikaner sind nämlich in dieser Beziehung viel aufopferungsfähiger, als die Deutschen, und dabei weit klüger und politischer. Wenn in Deutschland ein Geschäftsmann Unglück hat, so wird er erst recht untergepflügt und zu Boden getreten, so daß es ihm fast unmöglich gemacht wird, sich wieder hinaufzuarbeiten; in den Vereinigten Staaten ist dem nicht so, im Gegentheil suchen nicht allein die Freunde, sondern auch die Gläubiger dem augenblicklich Zahlungsunfähigen wieder aufzuhelfen. Man mag es Humanität oder Klugheit nennen, jedenfalls ist dem Schuldner dadurch die Gelegenheit gegeben, wieder emporzukommen und die alten Verbindlichkeiten zu erfüllen. So wäre das auch in diesem Falle geschehen, wenn Hargrave, der fast zu gleicher Zeit Frau, Kind und seine Stellung in der Geschäftswelt einbüßte, nicht den Kopf verloren und in seinem maßlosen Kummer oft mehr getrunken hätte, als er vertragen konnte.
[646] So sicher waren die Minen gelegt, welche Cox und Sharp mit Hülfe von Douglas und Co. gegen Hargrave gegraben hatten, daß er fast die Stunde berechnen konnte, in welcher der Sherif seine Thür schließen mußte. Hätten seine Gläubiger im Osten nicht jene für ihn so fatalen Karten von der geheimen Agentur erhalten, würden sie ihm gern Stundung gewährt haben, bis er seine Außenstände im fernen Westen hätte collectiren können, und nun kam noch dazu, daß ihn seine Frau mit dem einzigen Kinde in der Stunde der Gefahr verließ. Den innern Zusammenhang ahnte Niemand, keiner las in den bildschönen Zügen seiner Frau, welche schlechte Seele dahinter steckte, und als Hargrave in der Verzweiflung sich vollends mit Brandy zu betäuben suchte, da brachen ihm Viele den Stab. Nur Bridget, das irische Dienstmädchen in seiner Familie, vertheidigte ihn bei den Nachbarn, und als Hargrave ihr die letzten Dollars für ihren Lohn auszahlte, bat sie um eine längere Unterhaltung mit ihm. Was sie darin mittheilte, wissen wir nicht, nur so viel mögen wir mit Recht schließen, daß sie ihm Thatsachen berichtete, welche seiner Abneigung gegen Lucy und Cox einen doppelten Sporn, gaben. Von diesem Augenblicke an bemerken wir eine Veränderung in Francis’ Betragen; er hörte auf zu trinken, wurde ruhig und gefaßt, und als der Sherif wirklich kam, seinen Laden zu schließen, übergab er demselben mit der größten [647] Gelassenheit Alles das, was er früher als sein Eigenthum betrachtet hatte, mit Ausnahme des Wenigen, was ihm das Gesetz zu behalten erlaubte. Seine Freunde, als sie diese vortheilhafte Veränderung in seinem Charakter bemerkten, fingen nun wieder an, ihm ihre Unterstützung zu schenken, und machten ihm verschiedene Anerbietungen. Einer derselben, eben jener alte Herr, welcher ihm die ersten unangenehmen Nachrichten von New-York mitgebracht hatte, besaß an einer der Avenuen der Stadt ein bedeutendes Sägemühlen-Etablissement und überredete Hargrave, einstweilen die erste Clerkstelle daselbst zu übernehmen, bis sich etwas Besseres für ihn finden würde.
Hier entwickelte er wieder die alte Thätigkeit und arbeitete unermüdlich im Interesse seines Freundes, als wenn nie ein trüber Schatten seinen Lebensweg verfinstert hätte. In der gegen ihn eingeleiteten Scheidungsklage leistete er durchaus keinen Widerstand, obgleich er nach dem Gesetze gewichtige Einsprache hätte erheben können, denn willfull neglect of duty, worauf seine Frau klagte, war durchaus nicht nachzuweisen; im Gegentheil trug er dem ihn vertretenden Anwalt auf, seinen vollen Consens zu erklären. Bei der letzten Verhandlung, in der beide Parteien gegenwärtig sein mußten, betrug er sich außerordentlich kühl, seine Frau, die dicht verschleiert neben ihm saß, kaum eines Blickes würdigend, während er zuweilen den anwesenden Cox mit einer Verachtung anschaute, die diesen zwang, die Augen niederzuschlagen. Einige Tage später erfuhr er, daß das sündhafte Paar sich verheirathet hatte; auch darüber ließ er sich nicht aus, nur entfielen ihm die Worte: „Mein armer Knabe!“ Das Einzige, was ihn noch zu drücken schien, war der Befehl des Gerichts, daß Harry, weil er noch in einem zu zarten Alter sei, ausschließlich der Obhut der Mutter anzuvertrauen wäre, jedoch sollte der Vater die Befugniß haben, sein Kind wöchentlich einmal zu besuchen. Diese Erlaubniß schwand aber in Nichts zusammen, da Hargrave zu stolz und erbittert war, um Gebrauch davon zu machen. –
Wenn man die Gesichtszüge der Bevölkerung des Westens mit denen der eingeborenen Indianer vergleicht, so wird ein aufmerksamer Beobachter unwillkürlich die Bemerkung machen müssen, daß hin und wieder eine sprechende Aehnlichkeit zwischen beiden stattfindet. Mancher stattliche Grenzbewohner mit seinem langen, straffen Haar und sonnengebräunten Teint würde ein treffliches Modell zu einem Uncas abgeben, wenn er mit Mocassins und Jagdhemde bekleidet wäre, und der wildscheue Blick mancher westlichen Mädchen erinnert an die Augen der indianischen Squaws. Ob der Einfluß des Klima’s oder Mischung des Bluts diese Aehnlichkeit hervorgebracht hat, ist schwer zu entscheiden; möglicher Weise haben beide Factoren eingewirkt. Ebenso wenig läßt sich leugnen, daß man oft in dem Charakter der Bewohner des Westens Züge findet, die sich genau dem des Indianers anpassen. Dieselbe natürliche Gutmüthigkeit, derselbe naturwüchsige Leichtsinn, aber auch die größte Verschlossenheit und unvertilgbare Rachsucht spiegeln sich in den Gemüthern beider. Gleichwie die Rothhaut oder der Corse Jahre lang ihren Groll und Haß unter der Maske der Gleichgültigkeit verstecken können, bis endlich der günstige Augenblick erscheint, um den Feind zu vernichten, ebenso besitzt mancher westliche Mann bei sonst vorzüglichen Eigenschaften die Kunst, seine bittersten Rachegefühle in den dichtesten Schleier zu hüllen, bis endlich die Stunde der Vergeltung schlägt. Der Amerikaner unterscheidet sich eben dadurch von dem Deutschen, daß er eine unbedeutende Beleidigung nicht hoch anschlägt und nicht Jahre lang grollend nachträgt, aber wo es ihm an das Mark des Lebens geht, macht er keine Faust in der Tasche, sondern sucht den geeigneten Zeitpunkt zur Action.
Diese allgemeinen Bemerkungen müssen wir vorausschicken, um dem deutschen Leser einigermaßen ein psychologisches Bild Francis Hargrave’s zu verschaffen. Niemand konnte ihm ansehen, wie sehr es in seinem Innern kochte, hin und wieder zeigte er sogar eine krankhafte Heiterkeit, welche seine Freunde in Erstaunen setzte. Von Cox und dessen Frau durfte man ihm nicht sprechen; selbst als sein kleiner Knabe, den er doch über Alles liebte, starb, bat er um stille Theilnahme, weil er absolut von der Vergangenheit Nichts mehr wissen wollte. Man redete ihm zu, sich wieder auf eigene Hand zu etabliren und seine Clerksstelle aufzugeben, indem man ihm Geldmittel und neuen Credit anbot. Indessen alle diese gut gemeinten Vorschläge lehnte er höflich ab, da er, wie er sagte, doch später nach Californien gehen wollte, wenn es ihm erst gelungen wäre, noch einige alte Außenstände zu collectiren. Außerdem meinte er, daß die Stadt L. der frühern Vorgänge wegen doch kein angenehmer Aufenthalt für ihn sein könnte; sollte er sich einmal wieder etabliren, so würde das in Californien geschehen, wo Niemand ihn kennen und alte Erinnerungen wieder hervorsuchen werde.
Nichts konnte den Eifer übertreffen, mit welchem Hargrave den verborgenen Ursachen seines Mißgeschickes im Geheimen nachspürte. Wer den so anscheinend ruhigen Mann beobachtet hätte, wie er vor der Sägemühle stehend die einzelnen Blöcke des Mahagony- und Wallnußholzes, welche zu Fournieren verschnitten werden sollten, in seiner Brieftafel notirte, wäre gewiß nicht auf den Gedanken gekommen, daß hinter diesem gleichgültigen Gesichte ein böser Dämon lauerte. Leicht begreiflicher Weise sah Francis ein, daß man bei seinem so erschreckend schnell eingetretenen Falle ganz ungewöhnliche Hebel angesetzt hatte; diese bemühte er sich zu erforschen. Er wußte ja aus Erfahrung, daß viele Geschäftsleute, welche lange nicht so gut standen, als er, in viel größerer Bedrängniß den Sturm ausgewettert hatten, ohne dem Sherif anheimzufallen. Jedenfalls war ihm die plötzliche Creditentziehung im Osten, die Weigerung der New-Yorker und Philadelphiaer Kaufleute seine Noten zu verlängern, während er doch sonst immer ein prompter Zahler gewesen war, außerordentlich auffallend. Dieses Verfahren der Importeure, die sonst guten Kunden gern den Credit verlängern, war in seinem Falle so außergewöhnlich, daß es ihm vor allen Dingen nothwendig schien, in dieser Beziehung klar zu sehen. Da er aber Motive hatte, seine Nachforschungen vor aller Welt geheim zu halten, so war er lange Zeit über die Mittel unschlüssig, bis ihm der Zufall zu Hülfe kam.
Eines Tages, als er in die Stadt gefahren war, um die Bankgeschäfte für seine Firma zu besorgen, traf er an der ...straße, wo sich das ganze Geldgeschäft concentrirt, Sharp und Cox im eifrigen Gespräche stehend. Um mit den ihm so verhaßten Männern nicht zusammenzutreffen, trat er in ein benachbartes Kaffeehaus, ließ sich ein Glas Sodawasser geben und näherte sich dem Fenster, um seine Feinde besser beobachten zu können. Es dauerte nicht lange, so trennten sich Beide händeschüttelnd, und Cox trat in ein gegenüberliegendes Local, über welchem in großen goldenen Lettern die Worte: Douglas and Co., Agency, prangten. Ein Blitz des Verständnisses durchzuckte sein Gehirn; schnell schritt er in schräger Richtung über die Straße, kehrte um, ging dann langsam an den großen Spiegelfenstern der Agentur vorüber und warf einen scharfen, durchdringenden Blick in das Innere. Er hatte sich nicht getäuscht, da er Cox nicht außerhalb des Gitters, wo die gewöhnlichen anfragenden Kunden stehen, sondern innerhalb desselben an einem Schreibtisch beschäftigt sah, wo derselbe anscheinend einige Papiere ordnete. Bis dahin hatte er als Geschäftsmann wohl die Existenz der geheimen Agentur gekannt, sich ihrer aber aus einem gewissen Mißtrauen nie bedient, viel weniger hatte er je geahnt, daß Douglas und Co. einen so verderblichen Einfluß auf sein Schicksal haben würden. Jetzt hatte er die Spur gefunden, und wie ein Indianer, wenn er einmal des Feindes Fußstapfen entdeckt hat, diese Hunderte von Meilen weit verfolgt, so war er jetzt entschlossen, dieselbe wie ein Bluthund zu betreten. Die menschliche, civilisirte Natur trat nach und nach bei ihm zurück, und das wilde Thier kam zum Vorschein. Was bot ihm auch das Leben für Reize, nachdem er Frau, Kind, kaufmännischen Ruf und Alles, woran er früher hing, verloren hatte? Der einzige Gedanke, der ihn beseelte, war Rache, blutige Rache, aber er sah ein, daß, wenn er dieselbe erfolgreich durchführen wollte, er sie in das Geheimniß der Nacht verschließen mußte. –
Von da an sehen wir ihn unablässig bemüht, correcte Beweise über die Mittel, welche Cox zu seinem Sturze angewandt hatte, in seine Hände zu bekommen. Sharp’s Mitwirkung ahnte er wohl, indessen gab er es auf, diesen Landhaifisch[1] zu verfolgen, als er erfuhr, daß derselbe unheilbar an der Schwindsucht daniederliege, in Folge seiner heimlichen Libationen. Sharp nämlich, obgleich eines der hervorragenden Mitglieder der Temperanzgesellschaft, hatte sich dem stillen Trunke ergeben; so konnte es denn nicht fehlen, daß der kill me quick[2]-Whisky den Keim der schlummernden Krankheit rasch zur Blüthe trieb. Cox und seine Frau aber schienen in jeder Beziehung zu gedeihen und machten ein großes Haus, obgleich die Besserdenkenden sich von ihnen zurückzogen. Der frühere [648] gewandte Buchhalter trieb ein lucratives Commissionsgeschäft und hatte nebenbei durch die Dienste, welche er Douglas und Co. erwies, eine bedeutende Nebeneinnahme, außerdem aber einen gewissen Einfluß in der Geschäftswelt, weil Jedermann sich scheute, dem gefährlichen Agenten Opposition zu machen.
Einige Wochen später kündigte Francis Hargrave seine Clerkstelle in der Sägemühle, unter dem Vorwande, daß er L. ganz verlassen und nunmehr seinen längst gehegten Vorsatz, sich in Californien eine neue Existenz zu gründen, ausführen wolle. Wenige Tage darauf finden wir ihn in New-York wieder, wo er anscheinend eine Passage auf dem Dampfer „North-Star“ nach Aspinwall, Panama gegenüber, engagirte, indem er seinen Namen in der Liste der Passagiere eintragen ließ. Einen Tag vor der Abfahrt erschien er in der Office von Jones und Co., seinen alten Geschäftsfreunden, die ihn, weil sie mehr oder weniger sich an seinem Unglück schuldig fühlten, mit einem Gemisch von Freundlichkeit und Zurückhaltung empfingen.
„Ich bin nicht hergekommen,“ sagte er, „um Ihnen Vorwürfe zu machen, Mr. Jones, obgleich Sie mir sehr weh gethan haben, aber eine Gefälligkeit müssen Sie mir noch erweisen, darum muß ich bitten; dann soll auch Alles vergessen sein.“
„Und das wäre?“ sagte Jones, indem er ihm einen Stuhl hinschob und seine Verlegenheit zu verbergen suchte.
„Sie sehen, Mr. Jones, ich bin im Begriff nach St. Francisco zu reisen, um ein neues Leben anzufangen,“ antwortete Hargrave, indem er dem New-Yorker Kaufmann seinen Passageschein zeigte, „und ich habe mir fest vorgenommen, niemals wieder nach L. zurückzukehren, weil der Aufenthalt dort mir unausstehlich sein muß.
Ich möchte Sie nun dringend ersuchen, mir die Gründe anzuführen, auf welche Sie mir die Bitte abschlugen, meine Noten im Betrage von 9000 Dollars um sechs Monate zu verlängern. Sie wissen, die Creditverweigerung von Ihrer Seite war die erste Ursache meines Falles.“
„Ach, lieber Hargrave, geschehene Sachen sind nicht ungeschehen zu machen,“ klagte Jones, „beruhigen Sie sich doch. Wenn ich mich erinnere, so waren damals einige Gerüchte über Sie hier im Umlauf, welche von Ihrem damaligen Buchhalter ausgehen sollten.
Wir gaben wenig auf diese Gespräche, hielten uns aber als Geschäftsleute verpflichtet, bei der geheimen Agentur anzufragen, und empfingen dann einige Tage später eine Karte von Douglas und Co., deren Inhalt uns bewog, jene Schritte gegen Sie zu thun, welche wir jetzt so herzlich bedauern. Wenn Sie die Karte sehen wollen, so steht dieselbe Ihnen zu Diensten.“ Damit ging Mr. Jones nach der feuerfesten Geldspinde, öffnete eine Schublade und brachte ein kleines Couvert zum Vorschein, welches Hargrave hastig ergriff.
Seine Augen ruhten auf der verhängnißvollen Karte und sogen sich gleichsam daran fest. Er fand den Buchstaben E und die Zahlen 1 und 4 mit rother Tinte angestrichen, während auf der innern Seite des Converts sein Name zu lesen war. Ohne eine Miene zu verziehen, die den Zustand seiner Seele verrathen könnte, gab er die Papiere zurück, indem er sagte: „Mr. Jones, ich bin Ihnen dankbar für das Vertrauen, welches Sie mir soeben geschenkt haben; nach dem, was ich soeben gesehen, kann ich es Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie damals feindselige Schritte gegen mich thaten. Eines versichere ich Sie: diese Karte enthält Nichts als faule Lügen. Doch, wie Sie eben sagten, geschehene Dinge sind nicht ungeschehen zu machen, und so will ich ruhig meine neuen Pläne verfolgen; vielleicht wird mir Californien das ersetzen, was ich im Westen verloren habe.“ Dann schüttelte er Mr. Jones treuherzig die Hand und eilte schnellen Schrittes auf die Straße. –
Es war am Weihnachtsabend desselben Jahres, und die Straßen
von L. zeigten für diese Tageszeit eine ungewöhnliche Regsamkeit.
Aus allen Schaufenstern strahlte das helle Gaslicht. Die
Detailhändler machten vergnügte Gesichter, und eine Menge froher
Menschen strömte durch die Gassen, theils um noch Einkäufe zu
machen, theils um die festlich decorirten Läden zu bewundern. Das
Wetter war trübe und die grauen Nebelmassen, welche aus dem
großen Flusse aufstiegen, hingen wie ein dichter Schleier über den
Straßenlaternen. Dafür war es aber in dem Innern der Häuser
desto komfortabler, wo die flackernde Flamme des Kaminfeuers ihr
helles Licht über die Gesichter glücklicher Menschen und bunter
Teppiche warf. In dem eleganten Parlor eines hübschen Gebäudes
mit weißer Marmorfronte finden wir ein paar alte Bekannte wieder,
Mr. Cox und dessen cokette Ehefrau. Ersterer saß in einem
bequemen Lehnstuhl, eine Cigarre rauchend und in einem Album
blätternd, während Mrs. Cox am Centretable[3] stand und die verschiedenen
Geschenke ihres Gemahls prüfend musterte. Da ertönte
die Schelle des Hauses, und kurze Zeit nachher erschien das Dienstmädchen,
eine kleine, aber gut geschlossene Kiste tragend, welche es
auf den Tisch setzte.
Auf die Frage des Hausherrn, woher das Kistchen komme, antwortete die Magd, ein kleiner deutscher Knabe habe die Glocke gezogen und ihr an der Hausthür dasselbe mit der Bemerkung überreicht, es sicher in die Hände von Mr. und Mrs. Cox gelangen zu lassen. Nichts war natürlicher, als die Vermuthung, irgend ein Freund oder ein Verwandter habe sich das Vergnügen gemacht, dem Ehepaare am Weihnachtsabend eine angenehme Ueberraschung zu bereiten. Beide Gatten musterten das anonyme Geschenk mit sichtbarem Erstaunen, und die eitele Frau dachte vielleicht für sich, daß irgend einer ihrer stummen Verehrer ihr ein kostbares Cadeau übersandt habe. Neugierig prüfte sie die Schwere des Kistchens, welche ihr auffiel, dann erfaßte sie die Querleiste des Schiebedeckels und … da erschütterte eine gewaltige Explosion das ganze Haus, die Flamme im Kamine erlosch, Fensterrahmen und Laden flogen auf die Straße, und eine dicke Dampfwolke suchte sich aus den geborstenen Wänden den Ausweg. Die erschrockenen Nachbarn stürzten herbei, der Ruf „Feuer“ erscholl, und eine dichte Menschenmenge drängte sich vor dem Hause zusammen. Als der Rauch etwas abgezogen war, wagten sich die Muthigsten hinein, aber welcher Anblick bot sich ihnen dar, als man erst Licht angesteckt hatte und so das Unheil besser überblicken konnte! Cox und seine Frau waren dermaßen durch die Splitter einer Granate, deren Trümmer man in dem Zimmer fand, verletzt, daß sie nur noch wenige Stunden zu leben hatten. (Die nähere Beschreibung der fürchterlichen Wunden erspart uns wohl der mitleidige Leser.) Das arme Dienstmädchen, welches aus angeborener Neugierde in der Thür stehen geblieben war, um zu sehen, was etwa in der Kiste wäre, wurde hart dafür bestraft, indem es eine schwere, aber gottlob nicht tödtliche Wunde an der Schulter davon trug.
Nichts konnte die Schnelligkeit übertreffen, mit welcher die Behörden am Platze waren und die nöthigen Maßregeln trafen. Die neugierige Menge wurde rasch entfernt, Aerzte wurden herbeigerufen, die unglücklichen Verstümmelten in einem unversehrt gebliebenen Zimmer des Hauses gut gebettet und verbunden, und dann die sorgfältigsten Nachforschungen über die Ursache der Katastrophe angestellt. Außer den Trümmern und Fragmenten einer sogenannten Orsinibombe fand man ein verbogenes Pistolenrohr mit zerbrochenem Schloß. Es war also klar, daß das todbringende Wurfgeschoß vermittelst der Pistole, deren gespannter Hahn mit dem Schiebedeckel der Kiste durch irgend eine Vorrichtung in Verbindung gebracht war, abgefeuert wurde. Ein halb verbrannter und zerrissener Draht, der an einem kleinen aber starken Nagel hing und um den geknickten Drücker wahrscheinlich vorher befestigt war, gab weitere Aufklärung. Da die beiden unglücklichen Gatten im Todeskampfe lagen und somit keine Auskunft geben konnten, wurde das weniger verletzte Mädchen so schonend wie möglich befragt, und man erfuhr den Vorgang mit dem deutschen Knaben, eben wie er sich zugetragen hatte. Diesen auszuforschen war die Aufgabe der Polizei, und schon um zehn Uhr, zwei Stunden nach der Explosion, gelang es dem Citymarschall, denselben auf die Mayorsoffice zu bringen. Daselbst angelangt, gestand der übrigens unbefangene und unbescholtene Knabe, er sei, als er etwas vor acht Uhr habe nach Hause gehen wollen, in der Nachbarschaft der Cox’schen Wohnung von einem unbekannten Manne angeredet worden; derselbe sei in einen Mantel mit hinaufgezogenem Kragen gehüllt gewesen und habe ihn gefragt, ob er einen Quarter (1/4 Doll.) verdienen wolle; da seine Eltern sehr arm seien, habe er das Anerbieten angenommen, und der Fremde, der sich übrigens gehütet habe, den Gaslaternen zu nahe zu kommen, habe ihm dann das Kistchen übergeben mit der Weisung, es vorsichtig in das bezeichnete Haus zu tragen und bei der Ablieferung hinzuzufügen, dasselbe müsse direct in die Hände von Mr. und Mrs. Cox gelangen. Da er nichts Arges geahnt hätte, habe er keinen Anstand genommen, den Auftrag auszuführen, zumal da er für den erhaltenen Quarter seiner kranken Mutter etwas habe kaufen wollen.
[649] Da der Knabe keine nähere Beschreibung des Fremden liefern konnte, war es unmöglich, auf diesen in der Stadt zu fahnden, indessen die Worte der sterbenden Mrs. Cox, daß Francis Hargrave der Thäter sei, brachten die Polizisten bald auf die Spur. Da ziemlich sicher anzunehmen war, daß derselbe im Fall der Schuld unmittelbar nach der Katastrophe L. verlassen habe, so sandte man einen gewandten Beamten nach New-York, weil es bekannt war, daß er sich von dort hatte nach Californien einschiffen wollen, um daselbst die Spur aufzusuchen. Der Beamte erfuhr auch bald genug, daß Hargrave sich als Passagier habe auf dem North-Star einschreiben lassen, aber am Tage der Abfahrt ausgeblieben sei und somit die bezahlte Hälfte des Passagiergeldes verloren habe, ein Umstand, der deutlich bewies, daß die prätendirte Reise nach St. Francisco nur auf Täuschung berechnet war. Wohin er sich aber von New-York gewandt hatte, war unmöglich zu erfahren; jedenfalls mußte er in den vier Wochen, welche zwischen der simulirten Einschiffung und dem Doppelmorde lagen, in den Staaten verweilt haben. Da kam dem Spürsinn der Polizisten, als sie eben die Fährte zu verlieren fürchteten, eine neue Thatsache zu Hülfe. Aus einer westlichen Stadt am obern Mississippi meldete ein Schlosser, daß einige Zeit vor Weihnachten ein Fremder in der Tracht eines Grenzfarmers zu ihm gekommen sei, um eine solche Bombe zu bestellen; auf seine Frage, was er damit wolle, habe er geantwortet, nahe bei seiner Farm sei ein großes Raubthier, was ihm schon viel Schaden angerichtet habe, dieses wolle er damit tödten; auch die Einrichtung mit dem Pistolenlauf habe er ihm angegeben. Die Beschreibung der Person stimmte mit der Hargrave’s überein; nur die Kleidung paßte nicht, indessen letzterer Umstand war unwesentlich. Wie es aber dem Verbrecher gelungen war, unerkannt nach L. zu kommen, wo ihn doch Jedermann kannte, ist bis heute noch nicht aufgeklärt, da weder die Conducteure der Eisenbahnzüge noch die Clerks der Dampfer, welche an jenem Unglückstage in L. ankamen, ihn gesehen haben wollten. Endlich brachte man in Erfahrung, daß Hargrave hinten in Iowa am Des Moinesflusse nicht weit vom Spirit-Lake (Geistersee) weitläufige Verwandte habe, und so machte sich einer der gewandtesten Beamten auf den Weg, um ihn vielleicht dort zu finden. Unterwegs requirirte er die Begleitung des ebengenannten Schlossers, um, falls Hargrave wirklich der Besteller der Orsinibombe war, denselben zu identificiren. Beide Männer erreichten den Ort ihrer Bestimmung bei Einbruch der Nacht und trafen ihn in dem Blockhause seiner Verwandten am Kaminfeuer sitzend. Der Polizist, ein entschlossener Mann, ging auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Herr, Sie sind mein Gefangener.“ Hargrave, als er den ihm wohlbekannten Beamten und den Schlosser sah, streckte ruhig seine Hände aus, um sich die Schellen anlegen zu lassen, ohne ein Wort zu sagen. Als aber in diesem Augenblicke seine Vettern eintraten und Miene machten, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, denn mit diesen Grenzern ist nicht zu spaßen, sprach er kleinlaut: „Laßt gut sein, Jungens, mir geschieht schon recht; nichts gegen das Gesetz!“ Als die beiden stämmigen Hinterwäldler sahen, daß er sich schuldig fühlte, schüttelten sie ihm zum letzten Male die Hand und wandten sich thränenden Auges ab.
Acht Tage später finden wir Hargrave im Countygefängnisse zu L. wieder, seinem Urtheile entgegensehend. Da es nicht der Zweck dieser Zeilen ist, die amerikanische Criminaljustiz zu schildern, so wollen wir nur noch hinzufügen, daß er für den fast teuflisch ausgedachten Doppelmord seinen Lohn fand, indem er zum Strange verurtheilt wurde. Er ward von Vielen aufrichtig bedauert, und mit Recht ballte sich manche Faust gegen ein Institut, das, obwohl anscheinend geschaffen, Betrug und Schwindelei zu verhüten, erst recht jeder Schlechtigkeit Thür und Thor öffnete und dadurch die Existenz eines sonst braven Menschen zerschmetterte.
Wie groß die Macht der geheimen Agentur war, geht daraus hervor, daß die amerikanische Presse, welche doch Alles mehr als zu frei zu besprechen pflegt, ein absolutes Stillschweigen über Douglas und Co. beobachtete. Indessen sollen nach den letzten Nachrichten die Theilhaber der Firma, durch die öffentliche Meinung geängstigt, sich zurückgezogen und ihren Antheil an ebenso unternehmende als gewissenlose Leute verkauft haben. Hoffen wir aber, daß das amerikanische Volk, ebenso wie es jetzt ernstlich danach trachtet, die Sclaverei mit den größten Opfern abzuschaffen, auch diesen Schmutzfleck bald von sich abwaschen wird.