Die große Hochflut im Elbtale im Jahre 1845 oder die sächsische Sintflut
Peter Hebel sagt: „Hat eine Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer manchmal erfährt, was an anderen Orten geschieht, findet wohl Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat.“ –
Es war im Jahre 1845. Ein großes Unglück sollte über die friedlichen Bewohner des Elbtales hereinbrechen. Das genannte Jahr begann mit fast warmen Tagen. Während der Monate Januar und Februar schien es, als wollte der Winter ganz und gar ausbleiben. Doch man sollte sich getäuscht haben. Mit Ende Februar trat ein harter Nachwinter ein. Gewaltige Massen von Schnee stürzten herab und hemmten auf längere Zeit allen Verkehr. Bald stellte sich auch der Sturm ein, und viele Tage hindurch tobte ein [326] arges Unwetter. Straßen und Wege wurden unfahrbar gemacht. Manches Menschen- und Tierleben forderte dieser Schneefall zum Opfer. Zum Schnee gesellte sich auch noch die Kälte, und diese stieg im Elbtale bald bis auf 14 Grad. Die Elbe fror zu, so daß sich eine wundervolle Eisbrücke auf ihr bildete. Am 12. März kamen zu den alten Schneemassen noch neue hinzu, und die Kälte ließ nicht nach. Noch am 23. März oder am 1. Osterfeiertage des genannten Jahres fuhr man lustig auf Schlitten über die Elbe.
Freilich unter den Bewohnern an den Ufern der Elbe herrschte bange Sorge, je näher man dem Frühlinge kam. Die Furcht vor einem großen und gefährlichen Eisgange mehrte sich von Tag zu Tag und war wohl berechtigt, wenn plötzlich warme Witterung eintreten sollte. Von den hohen Staatsbehörden wurden überall die nötigsten Vorkehrungen getroffen und Personen angestellt, welche bei etwaiger Gefahr die nötigen Hilfeleistungen verrichten sollten. Die unmittelbar am Wasser Wohnenden wurden gewarnt und aufgefordert, ihr bewegliches Gut beizeiten in Sicherheit zu bringen. Diese Warnungen [327] waren nicht unnötig gewesen. Mit den Osterfeiertagen trat in der Witterung der gefürchtete plötzliche Umschlag ein. Am 1. Osterfeiertage raste ein schrecklicher Sturm. Derselbe brachte abwechselnd Regen und Schneegestöber. Das Thermometer stieg ganz bedenklich. Es wurde wärmer. Die Sonne war an diesem Tage unter Nebel und Sturm aufgegangen. Am 2. Osterfeiertage trat das befürchtete Tauwetter ein. Der Regen strömte unaufhörlich nieder. Die Macht des furchtbaren Nachwinters war auf einmal gebrochen. Die kleinen Bäche lösten ihre Eisrinde, und die größeren begannen sich zu heben. Auch von der Elbe erwartete man nun bald den gewaltsamen Aufbruch des Eises. Von Böhmen her kamen Nachrichten, daß derselbe in wenigen Stunden erfolgen werde. Nun rückten die Artilleriekommandos mit den Signalkanonen in ihre Stationen ein, und mit großer Bangigkeit blickte man in die Zukunft.
Am 27. März, Nachmittags gegen 3 Uhr, brach das Eis der Elbe, und Kanonendonner verkündete dieses Ereignis von Station zu Station. Die Eisschollen lösten sich und schwammen ruhig ab. Die Gefahr schien nicht groß zu werden, da das Eis sich nicht aufdämmte. Ein lebhafter Verkehr entwickelte sich auf der alten Augustusbrücke in Dresden. An dieser Elbbrücke befindet sich ein sogenannter „Elb-Wassermesser“. Dieser wurde jetzt der Gegenstand allgemeiner Beachtung. Tausende von Menschen standen an den Ufern, und Hunderte von Gästen füllten die schönen Räume des italienischen Dörfchens, welches, da es unmittelbar am Elbrande liegt, die schönste Aussicht auf den Strom eröffnet. Der Stand des Wassers betrug an diesem Tage noch nicht 2 Meter. Ohne Bangigkeit, aber mit Vorsicht, sah man der Nacht zum 28. März entgegen. Auf der Brücke waren die Rettungsnetze ausgeworfen, auch war der Befehl gegeben, niemand [328] am Geländer stehen zu lassen, damit jedes Gedränge vermieden werde. Am 28. März wuchs der Wasserstand nur um ein Geringes, doch trieben gewaltige Eisschollen auf dem Wasser. Das Schlimmste befürchtete man noch nicht. Als aber am 29. März die Wasserhöhe um 2 Meter wuchs und somit der Wasserstand 4 Meter betrug, vermehrten sich doch die ängstlichen Gesichter. Der 30. und 31. März sollten das Unglück bringen. Derselbe Strom, der vor wenigen Tagen noch eine Brücke bildete, die der Winter gebaut hatte, und sonst nur eine Freude und eine Wohlfahrtsquelle derer ist, die an seinen reizenden und fruchtbaren Ufern in zahlreichen Dörfern und Städten wohnten, ward plötzlich zu einer Flut, die hoch über die Ufer und sich weithin reißend verbreitete. Die eingetretene Hochflut erreichte nicht etwa nur die nahegelegenen Felder und Wiesen, sondern sie wälzte sich, wo es anging, weit in das Land hinein und reichte hoch hinauf in die sonst gänzlich gesichert scheinenden Wohnungen der Menschen, so daß viele kaum das Wertvollste ihres beweglichen Eigentums in Sicherheit bringen konnten und nur darauf bedacht sein mußten, sich selbst und die Ihrigen zu retten. Da mußte der Sonntag – es war der 30. März – zu einem Tage der Angst und der Erschöpfung werden. Auf ihn folgte auch noch eine stockfinstere Nacht, während welcher die Flut immer höher stieg, so daß das furchtbare Rauschen der Wassermassen um so unheimlicher und schrecklicher klang.
In Dresden stieg das Wasser bald von 4 Meter auf 5 Meter. Unter unheimlichem Brausen wälzten sich die Wellen durch die Bogen der Augustusbrücke. Sie führten fortgeschwemmte Stämme, Balken und gezimmertes Bauholz mit sich. Ganze Staketenzäune zerstörter Gärten schwammen [329] stromabwärts, und zusammengebundenes Bauholz drängte sich an die Brücke. Auch hölzerne Türschwellen, Haustüren, ja selbst einzelne Bettstellen kamen auf dem Wasser daher, ein Zeichen, daß im oberen Elbtale die Flut schon mancherlei Schaden und viel Verheerung angerichtet haben mußte. Im „italienischen Dörfchen“ am Theaterplatze in Dresden wurden die unteren Zimmer geräumt, in welchen nunmehr das Wasser seinen Einzug hielt. Gegen Mittag des 30. März betrug der Wasserstand der Elbe unter der Augustusbrücke beinahe 6 Meter. Die Elbe war bereits in die Stadt gedrungen. Es war schwer, vom Georgentore zur Brücke hinüberzukommen; denn schon drang das Wasser überall heran, und es war zu fürchten, daß der ganze Platz zwischen dem Schlosse und der katholischen Hofkirche beim weiteren Steigen des Wassers ein See werden mußte.
Der Zwinger begann bereits einem Teiche zu gleichen, mitten aus den Fluten erhob sich die Statue Friedrich August des Gerechten. Wer nach der Brücke und über dieselbe gehen mußte, konnte das nur mit der größten Vorsicht und Gefahr tun. Er hatte einen förmlichen See zu durchwaten. Es wurde nun dafür gesorgt, daß der Andrang auf der Brücke möglichst verhindert werde. Freilich, es war ein großartiges Schauspiel, das man von der Brücke aus genoß. Furchtbare Sturzwellen und Tausende von Eisschollen trieben stromabwärts und brachen sich an den steilen Pfeilern der Brücke, die infolge des heftigen Anpralles oft zu beben schienen. Dessenungeachtet fuhren noch immer Kutschen und andere Wagen über die bedrohte Brücke.
Der auf dem linken Elbufer liegende Stadteil „Friedrichstadt“ war vollständig unter Wasser gesetzt. Inselartig erhoben sich die Häuser aus den Fluten empor. Auch die am rechten Elbufer liegende „Antonstadt“ war zum Teil überschwemmt. In der „Neustadt“ war der damalige „Palaisplatz“ [330] (der jetzige Kaiser Wilhelm-Platz) noch wasserfrei. Der Hügel am Palaisgarten, dessen Terrasse auch schon zum Teil überschwemmt war, bot die schönste und weiteste Aussicht über die gesamte Hochflut dar. Von hier aus sah man erst, welche Gefahr der Augustusbrücke und der Stadt Dresden drohe. Der Blick hinüber nach dem Ostragehege, dessen Bäume wie Wasserpflanzen aus der Flut emporragten, war ein eigenartiger.
Die ganze Friedrichstadt sich wie eine Inselstadt aus dem Wasser erhob. Ein zweites Venedig schien man vor sich zu haben. Die Ueberschwemmung der Friedrichstadt hatte aber weniger die Elbe, als vielmehr die vereinigte Weißeritz verursacht, ein wilder Gebirgsbach, der oft aus seinen Ufern tritt und schon manches Unheil angerichtet hat. – Der Nachmittag des 30. März verging [331] unter banger Erwartung, und der einbrechende Abend des Sonntags ließ die drohende Gefahr noch nicht übersehen. Doch erkannte man aus allen Anzeichen sehr richtig, daß sie noch nicht vorüber sei, sondern mit jedem Augenblick noch wachse. Immer höher und höher stieg die Flut am Elbmesser. Das Wasser erreichte eine Höhe von 6 Meter und wälzte jetzt seine Fluten bis in das Innere der Stadt. Diejenigen Häuserreihen, welche der Elbe am nächsten standen, waren schon längst bis zum ersten Stockwerke unter Wasser gesetzt.
Das Holz der am Elbufer befindlichen Holzniederlagen wurde fortgeführt, Bretter, Bau- und Brennholz trieben im lustigen Spiele stromabwärts. Alles, was in den Erdgeschossen wohnte, suchte sich zu retten. Doch Gottes Auge wachte, niemand verunglückte. Noch immer stieg das Wasser. Das Thermometer zeigte 10 Grad Wärme an. Dresden durchlebte eine furchtbare Nacht. Ein großes Glück war es, daß bei der brausenden Flut kein Eis mehr ging. Allerlei Hausgeräte trieb jetzt auf dem Wasser [332] dahin. Da kamen Dächer, Schränke, Betten, Stühle, Tische, Fenster, Hundehütten, ja, man wollte auch die Ueberreste eines schwimmenden Hauses bemerkt haben, in welchem ein kleines Kind um Hilfe gejammert habe. Wie verheerend mußte doch die Flut im oberen Elbtale gewütet haben! –
Die meisten Straßen Dresdens standen nun unter Wasser. Es wurden Notbrücken geschlagen, und man konnte nur von diesen aus in die Häuser gelangen. Kähne ruderten in Gegenden der Stadt, wo noch nie solche gesehen worden waren. Ein ängstliches Hin- und Herrufen entstand. Der Mann rief nach der Gattin, die Kinder jammerten nach den Eltern. Groß war vor allen Dingen das Gedränge drüben in Neustadt an der Brücke. Dasselbe bot bei der Abendbeleuchtung der Laternen ein Bild dar, welches man großartig nennen konnte, wenn die Veranlassung nicht so verhängnisvoll und traurig gewesen wäre. Das Denkmal August des Starken wurde bereits in bedrohlicher Weise vom Wasser umspült. Von hier aus begannen [333] auch die Notbrücken und die Ueberfahrten. Der Verkehr wurde strengstens beaufsichtigt, damit kein Gedränge entstehe. Wie die Menschen herüber und hinüber rannten! Manchen trieb die Angst um die Seinen über die bedrohte Elbbrücke. Hier rief ein Ehemann nach seiner Gattin und suchte sie jenseits der Fluten, dort führte ein rüstiger Jüngling einen schwachen Greis, welcher nicht allein durch die unter seinen Füßen wachsende Flut zu gehen wagte. Die Kähne waren übervoll. Die strengste Aufsicht war nötig, damit die Fahrzeuge nicht zu stark besetzt wurden. Ueber die Brücke zu gehen und zu fahren, fand man nicht für gefahrvoll. Der Verkehr auf derselben ging die ganze Nacht hindurch. Droschken konnten nicht genug Leute befördern. Da wurden die Leiterwagen herzugeholt, welche die Menschen von einem Stadtteile in den anderen beförderten. Hierzu kam das furchtbare Rauschen des schäumenden Wassers, der Wellenschlag an den Pfeilern und Bogen der Brücke. Das Wasser spritzte wild auf.
Die Flut schien zu kochen; und in unruhigen Bewegungen spiegelten sich die Lichter der Laternen der Brücke und des Ufers in dem wütenden und schäumenden Wasser. Man befürchtete allgemein, daß der durch die Gebäude am linken Ufer eingeengte Strom sich seitwärts gewaltsam Bahn brechen werde, dann in die Schleusen dringen könne, diese heben und dadurch ein namenloses Unglück über die Stadt verhängen würde. In banger Furcht, doch im festen Vertrauen auf Gott, wurde die Nacht vom 30. zum 31. März durchwacht. Da brach endlich der ersehnte Morgen an. Im Nebel und unter Regen ging die Sonne auf. Der gefahrvollste Tag für die Bewohner Dresdens sollte kommen. Die überschwemmten Straßen und Plätze zeigten ein trauriges Bild. Die Not der Bewohner der unter Wasser gesetzten Stadtteile stieg noch dadurch, daß kein Trinkwasser mehr zu haben war. Die Pumpen und Röhrfahrten waren überschwemmt und unzugänglich geworden. Da das Wasser in alle Grundstockwerke eingedrungen war und dadurch die Backstuben der Bäcker überschwemmt hatte, konnten die Bäcker kein Brot liefern. Dazu waren auch die Backöfen mit Wasser gefüllt. Auch die im Erdgeschosse befindlichen Kaufmannsgewölbe, Fleischerläden und Schankwirtschaften waren unter Wasser gesetzt und für den Verkehr geschlossen. Auf dem Schloß- und Theaterplatze wogte die Flut am bedenklichsten. Die katholische Hofkirche war rings vom Wasser umgeben. Der erste Brückenbogen vom Schlosse aus vermochte kaum mehr das [334] durchflutende Wasser zu fassen. In früheren Jahren wäre das wohl nicht so weit gekommen. Da hatte die Brücke nach dem Schlosse zu noch zwei Bogen mehr und der Strom daher einen freieren Lauf. Allein der Bau der katholischen Hofkirche bedingte die Verschüttung dieser zwei Bogen, damit der Platz zwischen der Brücke und der genannten Kirche größer werde.
Vormittags gegen 9 Uhr war die Flut am stärksten, und von einem Elbmesser war nichts mehr zu sehen. Die Brücke selbst wurde nun von der großen Gefahr bedroht. Die Bewohner von Alt- und Neustadt befürchteten einen Zusammenbruch der Brücke, und jedermann suchte daher seine Behausung so schnell wie möglich auf, da eine Trennung der beiden Stadtteile nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich war. – Man schrieb den 31. März und es war gerade Markttag. Der Verkehr war deshalb ein erhöhter. Er wäre freilich noch viel bedeutender gewesen, wenn die Bewohner der an der Elbe liegenden Dörfer hätten herbeikommen können. Zum Glück war zwischen 9 und 10 Uhr die Augustusbrücke nicht sehr begangen; denn um 10 Uhr vermochte die felsenfeste Brücke den sie erschütternden und bedrängenden Wogen nicht länger mehr Widerstand zu leisten. Der höchste, etwas vorstehende Pfeiler, der sonst die Mitte der Brücke bildete, trug ein hohes metallenes Kreuz mit dem Bildnis des Erlösers. Dasselbe war stark mit Gold überkleidet und war eine Zierde der Brücke. Die an seinem Fuße angebrachten Inschriften erinnerten an verhängnisvolle Tage der Stadt Dresden. An diesen Pfeiler war vor Jahren ein Vorsprung angebaut worden. In demselben befand sich eine kellerartige Vertiefung zur Aufbewahrung des Sandes. Wahrscheinlich war das Wasser in diese Vertiefung eingedrungen und hatte dadurch den erwähnten Brückenpfeiler unterwaschen. Nun konnte dieser den wütenden Wogen nicht länger Widerstand leisten. Gegen 10 Uhr wankte und zitterte er, und es zeigte sich plötzlich ein bedeutender Riß an ihm. Da wankte plötzlich das hohe, strahlende Kreuz, stürzte um und versank in der brandenden Flut auf Nimmerwiedersehen. Nur die hohle Metallkugel, die sich am Fuße des Kreuzes befand, schwamm auf der Wasserfläche und wurde bei Uebigau aufgefangen. Von dem hohen Pfeiler lösten sich gewaltige Quadersteine ab und versanken ebenfalls. Zur Hälfte stürzten Pfeiler und Bogen zusammen. Das Entsetzen war groß. Man befürchtete, der Strom werde nun weiterreißen und vielleicht die ganze Brücke vernichten. Doch diese Befürchtung erfüllte sich nicht. Ja, man nahm ein Wunder wahr! In der Nähe des erwähnten Kreuzes stand ein Schilderhaus und daneben der wachthabende Soldat, Schmeitzner mit Namen, auf seinem Posten. Da sah man das Schilderhaus hinab in die Flut sinken. Der Soldat aber, der seinen Posten pflichttreu nicht verließ, wurde von höherer Hand geschützt und blieb erhalten. Es wäre um ihn geschehen gewesen, wenn der Stein, auf dem er stand, auch mit in die Flut hinabrollte.
Nach wenigen Stunden bemerkte man endlich ein Fallen der Flut, und alle atmeten erleichtert auf. Der Wendepunkt in der Gefahr war eingetreten. Das Begehen der Brücke war gerade nicht unmöglich, freilich es mußte dies mit der größten Vorsicht geschehen. Obrigkeitliche Vorsicht untersagte jedoch strengstens das Beschreiten der Augustusbrücke. Erst im Verlauf des späteren Nachmittags wurde es gestattet, dieselbe wieder zu betreten, nachdem man sie einer genauen Prüfung unterzogen hatte. Die Flut sank von Stunde zu Stunde. Am Morgen des 1. April grüßte die Sonne freundlich über die Berge herein und erfüllte die so sehr geängsteten Herzen mit neuer Hoffnung. Nach einigen Tagen war die Elbe wieder in [335] ihre Ufer zurückgetreten. Freilich, wie traurig sah es nun aber ober- und unterhalb Dresdens aus!
Bei dem freundlichen Städtchen Schandau stieg das Wasser 7 Meter über seinen gewöhnlichen Stand. Die Flut setzte fast die ganze Stadt unter Wasser. Am Marktplatze konnten nur noch drei Häuser im ersten Stock bewohnt werden. In der Kirche reichte das Wasser bis an die Kanzelbrüstung. Im Kirnitzschgrunde war das Wasser gegen 3000 Meter aufwärts vorgedrungen. Von den Kaufleuten, Bäckern, Fleischern konnte nur je einer das Geschäft ungehindert fortsetzen. Vielerlei Gegenstände hatte die Flut hier mit fortgerissen. Gärten und Wiesen waren vollständig verwüstet.
In Königstein blieben nur 16 Häuser verschont. Von den übrigen standen manche bis zum Bodenraume unter Wasser. Zwei Häuser und zwei Ziegeleien wurden von der Flut fortgetrieben. –
Das reizend gelegene Dörfchen Rathen am Fuße der Bastei war bis [336] an die Dächer der Häuser überschwemmt. Am traurigsten sah es aber in dem Städtchen Wehlen aus. Hier dauerte das Wachsen des Wasserstandes gegen 60 Stunden an. Nur noch drei Häuser waren von der Hochflut verschontgeblieben, außerdem noch das Schulgebäude und die alte Burg droben auf dem Berge. Selbst ein Teil des hochgelegenen Gottesackers war mit Wasser bedeckt. Viele von denen, welche die tiefgelegenen Häuser bewohnten, mußten sich bis in die Bodenräume flüchten, oder sie waren genötigt, die Häuser ganz zu verlassen. 84 Familien mußten auch die Oberstuben verlassen und unter das Dach sich retten. Die ganze Stadt war gefährdet, da der reißende Elbstrom mit aller Gewalt auf Wehlen sich ergoß. Mit großer Kühnheit wurde den Bedrohten Hilfe gebracht. Man fuhr in finsterer Nacht, das Schiff an einem Tau befestigt, mitten durch den wütenden Strom bis zur Mühle hinüber, um die in der Oberstube bereits auf den Tischen stehenden Bewohner abzuholen. Natürlich waren die vom Wasser nicht berührten Häuser mit Menschen, Vieh und allerlei Geräten überfüllt. So hielten sich z. B. in dem auf der alten Burg Wehlen erbauten Häuschen nicht weniger als 53 Menschen auf. Eine Hauptursache des großen Schadens, den das Wasser in Wehlen anrichtete, waren die vor den gegenüberliegenden „Gansbrüchen“ aufgehäuften Schuttmassen, die den Strom und tausende von Holzstämmen derart auf das Städtchen lenkten, daß fast sämtliche Hintergebäude der am Wasser liegenden Häuser und außerdem noch zwei andere Gebäude vollständig zerstört wurden. Von einem höhergelegenen Orte aus sah man ein Haus aus Halbestadt bei Königstein in aufrechter Stellung vorübertreiben. Der Besitzer dieses Hauses fuhr seiner schwimmenden Wohnung auf einem Kahne nach, um wenigstens die Betten aus dem Hause, in das er vom Kahne aus stieg, zu retten. Es war dies ein kühnes Unternehmen, doch es glückte. Der Mann bekam seine Betten wieder. Das schwimmende Haus schob in einem unterhalb Wehlens gelegenen Dorfe einen Holzschuppen weg und nahm dessen Stelle ein. Die im oberen Teile dieses Hauses sich befindlichen Gerätschaften waren unverletzt und trocken geblieben.
Die nördlich von Wehlen gelegenen Dörfer Zeichen, Vogelsang und Posta hatten ebenfalls viel zu leiden. In Pirna war der größte Teil der Häuser unter Wasser gesetzt. Die Lange Gasse und die Dohnaische Gasse waren zu reißenden Kanälen geworden. Frei vom Wasser blieben in der Stadt nur ein kleiner Teil des Obermarktes, das Kirchgäßchen, die obere Burgstraße, die obere Tuchmachergasse und die Schloßgasse. Der Sonnenstein, von dem aus man sonst einen so lieblichen Blick in das schöne Elbtal genießt, bot in diesen Tagen einen Fernblick auf eine unabsehbare Wasserfläche, aus welcher Dächer und Giebel der umfluteten Dörfer trostlos emporragten. Von hier oben aus hatte man auch den besten Ueberblick über das, was die Wogen an Häusern, Holz und Geräten vorüberführten. Da sah man auch eine Hundehütte. Auf ihr saß der angekettete Hund und heulte laut. –
Unterhalb Pirnas, wo das Elbtal bedeutend sich erweitert, bildete die Flut eine stundenbreite Wasserfläche. Viele Dörfer, die sonst weit von den Ufern des Elbstromes liegen, waren unter Wasser gesetzt. Nördlich von Dresden dehnte sich die Wasserfläche wiederum bedeutend in die Breite aus. Die Eisenbahnlinie Dresden–Leipzig stand vollständig unter Wasser, so daß die von Leipzig kommenden Eisenbahnzüge zur Umkehr genötigt waren. In Meißen vermochten die Oeffnungen der Brücke die wogende Flut nicht mehr zu fassen und deshalb wurde das Wasser als reißender Strom in die [337] Stadt gedrängt. Von 821 Häusern wurden infolgedessen 526 unter Wasser gesetzt. Schlimm sah es auch in den nördlich[WS 1] von Meißen gelegenen Ortschaften aus.
Es war die Wasserflut von 1845 die bisher größte, im Elbtale. Hunderte von Häusern waren zerstört, zahlreiche Gärten, Wiesen und Felder mit Geröll überschüttet worden, viel Hab und Gut verloren gegangen, doch man hatte kein einziges Menschenleben zu beklagen. Reichlich strömten für die vom Unglück Betroffenen Gaben aus allen Ländern herbei. Allerorten taten mildtätige und opferwillige Hände sich auf. Bald ließ auch Gott die warme Frühlingssonne wieder scheinen, die das Land alsbald trocknete. Da überkleidete sich die Erde kurze Zeit darauf mit frischem und belebendem Grün, und die Herzen der Geängsteten wurden mit neuer Hoffnung und mit neuem Mute erfüllt. An jene große Sintflut im Elbtale erinnern an den Häusern der einzelnen Ortschaften Striche und Zahlen, die den Wasserstand in jenen Tagen angeben. – Eine ähnliche Hochflut durchbrauste das Elbtal in den ersten Septembertagen des Jahres 1890, die der großen Flut vom Jahre 1845 inbezug auf die Höhe des Wasserstandes nur um 22 Zentimeter nachstand.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: nörlich