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Die hydraulische Presse bei den Thieren

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Textdaten
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Autor: L. Häschert
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Titel: Die hydraulische Presse bei den Thieren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 66, 67
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[66] Die hydraulische Presse bei Thieren. Durch die rastlosen Untersuchungen der Zoologen ist uns heute ein tieferer Einblick in das geheimnißvolle Walten der uns umgebenden Welt der kleineren Thiere und namentlich das der Insekten gestattet, als dies jemals der Fall war. Viele wechselseitige Beziehungen dieser kleinen Lebewesen sowohl unter sich wie auch zu der ihrer harrenden Pflanzenwelt wurden der sorgfältigsten Beobachtung unterworfen, und je mehr der Schleier sich lüftete, der seither alle diese wunderbaren Rätsel vor unseren Augen verbarg, um so mehr wuchs auch das Interesse des größeren gebildeten Publikums an den Fortschritten dieser Wissenschaft. Wir berichten heute über eine neue Erforschung auf diesem Gebiet, die sicher die Bewunderung der Naturfreunde verdient.

Es ist bekannt, daß Algier vor einigen Jahren von einer Heuschreckenüberschwemmung heimgesucht wurde, der zufolge sich fast die ganze Provinz der Gefahr einer Hungersnoth ausgesetzt sah. Die französische [67] Regierung beauftragte deshalb einen jungen Zoologen, Kunkel d’Herenlais, vom zoologischen Museum, den Schaden an Ort und Stelle zu studieren und die geeigneten Mittel zu dessen Beseitigung vorzuschlagen. Seitdem hat sich derselbe das Studium der Heuschrecke zu seiner vornehmsten Aufgabe gemacht, den Entwicklungsprozeß derselben Schritt für Schritt verfolgt und dabei ganz seltsame Eigenthümlichkeiten entdeckt.

Aus einem Bericht, den Kunkel an die „Akademie der Wissenschaften“ in Paris eingereicht hat, erfahren wir die besonderen Umstände, von denen das Ausschlüpfen der jungen Heuschrecken aus dem gemeinsamen Gehäuse, in welches die Eier von dem Weibchen abgelegt wurden, begleitet ist. Diese eiförmigen Hüllen sind stets in die Erde eingegraben. Kunkel nahm einige davon und barg sie in Glasröhren, so daß er alle Vorgänge darin bequem verfolgen konnte. Die Befreiung der im Innern des Gehäuses schon den Eiern entschlüpften Heuschrecken findet regelmäßig in den ersten Stunden des Tages statt. Jede Umhüllung aber ist durch einen wunderbar genau schließenden Deckel verschlossen, der von den jungen Thieren im Innern erst emporgehoben werden muß. Zu diesem Zweck vereinigen wohl sechs oder noch mehr von ihnen ihre Kräfte und lassen den Deckel emporspringen, so daß er bisweilen centimeterweit davonfliegt.

Wie ist das möglich? wird der Leser fragen; wie fangen sie das an? – Nun sie verwandeln sich – in wirkliche kleine hydraulische Pressen. Man sieht nämlich, wie sie aus ihrem Körper hinten am Kopfe ein mit Blut gefülltes Bläschen hervortreten lassen, das sie ganz willkürlich anschwellen und wieder zusammenziehen können. Mittels dieser Bläschen vermögen sie ohne große physische Anstrengung einen recht ansehnlichen Druck auszuüben und so mit diesem vorzüglichen Apparat die Pforte des Gefängnisses zu sprengen, in welchem sie geboren wurden. Stellt sich dem jungen Insekt ein neues Hinderniß entgegen, so nimmt es seine Zuflucht zu seiner kleinen Presse und drängt das Hinderniß damit zurück, indem es das im Körper noch zurückgehaltene Blut durch Zusammenziehung des ersteren dem Bläschen zuführt.

Durch dieses willkürliche Aufblähen und Zusammenziehen ist es dem Insekt möglich, durch die engen Spalten des Bodens nach der Oberfläche heraufzugelangen und bisweilen sogar durch die kleinen Oeffnungen der Schachtel hindurch zu entweichen, welche der Sammler für undurchdringlich hielt.

Diese Eigenthümlichkeit der afrikanischen Heuschrecke, in der Jugend ihren Nacken höckerartig aufblähen zu können, dient ihr auch beim Wechsel ihres Gewandes. Denn ist der Augenblick der Häutung gekommen, macht sich auch sofort die kleine Presse bemerkbar, sprengt die zu eng gewordene Hülle auseinander und gestattet so dem Thiere, durch den entstandenen Riß hindurchzuschlüpfen und die alte Haut abzustreifen.

In dem Felsengebirge Nordamerikas giebt es eine andere Heuschreckenart, die ähnliche Verwüstungen anrichtet wie die in Algier; aber die Naturforscher der Vereinigten Staaten haben an derselben bis jetzt nicht die merkwürdigen Manöver beobachtet, von denen uns heute Kunkel zum ersten Male berichtet. Sicher würden die Entdeckungen Kunkels auch mit einer gewissen Ungläubigkeit, wenigstens mit großer Vorsicht aufgenommen werden, wenn uns das Reich der Insekten, so weit uns dasselbe bereits bekannt ist, nicht schon Aehnliches darböte. Man findet nämlich denselben hydraulischen Mechanismus bei einer Fliegenart wieder, deren Larve oder Made jeder Angler kennt, weil er sie als einen vortrefflichen Köder zu benutzen weiß. Wer jedoch die Entwicklung dieses Thieres schon beobachtet hat, dem ist gewiß auch aufgefallen, daß an der eiförmigen braunen Puppe die früheren Ringe der Larve noch deutlich sichtbar sind.

Diese Puppe hat in der That keine andere Umhüllung als dieselbe Haut, welche bereits der Larve zur Bedeckung diente, und aus dieser Hülle geht elf Tage nach der Verpuppung das vollkommene Insekt wie aus einem Gespinst hervor. Es ist nicht schwierig, den Vorgang genau zu beobachten; dann wohnt man aber auch einem Schauspiel bei, wie man es sich merkwürdiger kaum zu denken vermag. Sogleich beim ersten Versuch bemerkt man, wie unter den angestrengten Bewegungen des Insekts, das aus dem Innern hervorzugehen wünscht, das Ende der braunen Hülle an der Seite, wo sich der Kopf der Larve befand, sich wie ein Deckel ablöst. Schaut man nun mit größerer Aufmerksamkeit hin, so sieht man den Kopf des Thieres bald sich aufblähen, bald wieder einschrumpfen, um die alte Haut, worin es ihm jetzt zu eng und unbehaglich wird, bersten zu machen. Und das Aufblähen und Entleeren des Apparates geht abwechselnd wie bei einem Ballon so lange vor sich, bis das Thier sich endlich losgelöst hat und wie ein Phönix aus seinem Futteral hervorschlüpft. Nach Verlauf von wenigen Minuten, während welcher Zeit das erlöste Insekt in seinem noch erdfarbigen Gewand ganz unbeweglich bleibt, nimmt es seine kupferige Färbung und sein sonstiges straffes Aussehen an.

Diese merkwürdige Eigenthümlichkeit gewisser Insekten, bestimmte Theile ihres Körpers aufzublähen und gleichsam als hydraulische Presse zu benutzen, war demnach den Forschern bereits vor den anziehenden Beobachtungen Kunkels kein Geheimniß mehr. Dennoch finden wir in denselben einen neuen Punkt, der nicht weniger beachtenswerth ist, nämlich die gemeinsame Anstrengung mehrerer junger Heuschrecken, sich miteinander zu verbinden, um den Deckel ihres Gefängnisses zu sprengen, den zu beseitigen einer einzigen nicht möglich wäre. L. Haschert.