Die kleinen italienischen Straßenmusikanten in Paris

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Titel: Die kleinen italienischen Straßenmusikanten in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[176] Die kleinen italienischen Straßenmusikanten in Paris. Man sieht in Paris eine Menge italienischer Kinder, Knaben und Mädchen, mit elenden Geigen und Harfen versehen, alle Straßen durchbetteln. Während der jüngsten Ausstellung sollen über sechstausend dieser Kinder ihr trauriges Gewerbe in Paris betrieben haben. Nun hat sich zwar seit jener Zeit die Zahl derselben sehr vermindert, indessen treiben sich ihrer doch noch so viele herum, daß man ihnen auf jedem Schritt und Tritt begegnet. Sie kommen aus Piemont, aus dem Kirchenstaat, aus den Abruzzen. Auf welche Weise haben sie den weiten Weg von ihrer Heimath nach Paris zurückgelegt? Wer hat ihnen den freilich sehr dürftigen musikalischen Unterricht ertheilt? Wie viel wirft lhnen ihr Gewerbe ab und wer theilt mit ihnen den Gewinn? Diese Fragen lassen sich sehr erschöpfend beantworten.

Ein Impresario, auf Französisch „Patron“ genannt, durchstreift von Zeit zu Zeit die italienische Halbinsel, und wo er auf eine arme Familie stößt, wirbt er die Kinder, deren die Eltern gern los sein möchten. Er unterhandelt mit diesen, und ist man Handels einig, so läßt der Patron den Kindern die nöthige musikalische Bildung geben, wenn sie nicht schon, wie es meistens der Fall ist, bereits auf der Geige und Harfe einige Melodien kratzen und kneifen können. Hat er einen Trupp von zehn bis zwölf Kindern beisammen, so macht man sich auf den Weg. Der Patron schreibt die Marschroute vor, zahlt die ersten Kosten und streicht täglich die Einnahme ein. Diese vertheilt er zu gleichen Theilen unter die jungen Künstler, nachdem er für sich zwei Theile eingesteckt. Damit aber die Kleinen nicht faulenzen, sind sie genöthigt, jeden Abend mindestens dreißig Sous heimzubringen. Sie wohnen, oder vielmehr sie schlafen im Quartier Moufetard und zahlen für ihre Schlafstätte drei Sous die Nacht. Das ist aber auch ungefähr die einzige Ausgabe, die sie zu bestreiten haben, denn Kost und Kleidung wissen sie sich zu erbetteln, und Wäsche brauchen sie leider nicht. Sobald der Morgen graut, verlassen sie ihr Lager und zerstreuen sich in alle Theile der Hauptstadt. Die Polizei hat zwar ein Auge auf sie, sie haben aber auch ein Auge auf die Polizei, und sobald sie einen Sergeant de Ville wittern, nehmen sie schnell Reißaus.

Ist die Zeit ihres Engagements zu Ende, so wird dasselbe entweder erneuert, oder sie kehren mit der gewonnenen Summe nach der Heimath zurück, wenn sie es nicht vorziehen, auf eigene Rechnung andere Städte heimzusuchen. Man ist oft und sehr heftig gegen die Werber aufgetreten, welche ein solch’ absonderliches Geschäft mit diesen Kindern treiben, allein diese Patrone sind doch noch weniger verdammungswerth als die Eltern, die ihre Kinder auf die eben erzählte Weise verschachern und dieselben in die Welt hinausschicken, um sie allen Lastern preiszugeben. Die Kleinen gewöhnen sich nicht nur bald an die Bettelei mit Musikbegleitung, sie wissen auch schnell durch Lug und Trug das Mitleid des Publicums zu erregen, und nur wenige von ihnen suchen im reiferen Alter den redlichen Gewinn. Gar manche werden auch durch den Tod hinweggerafft, den sie sich durch die schlechte Nahrung, mangelhafte Bekleidung, Unreinlichkeit und üble Gewohnheiten zuziehen. Es ist entsetzlich, zu denken, wie viel Arbeitskräfte, wie viel Talente, ja wie manches Genie in diesen Kindern erstickt wird! So lange indessen den Eltern das Recht zusteht, über ihre Kinder wie über eine Waare zu verfügen, wird die Presse vergebens gegen den furchtbaren Mißbrauch ankämpfen.