Zum Inhalt springen

Die kluge Bauerntochter (1815)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Brüder Grimm
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die kluge Bauerntochter
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 2, Große Ausgabe.
S. 62-68
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1815
Verlag: Realschulbuchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: old.grimms.de = Commons
Kurzbeschreibung: seit 1815: KHM 94
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Die kluge Bauerntochter.


[62]
8.
Die kluge Bauerntochter.

Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine alleinige Tochter, da sprach die Tochter: „wir sollten den Herrn König um ein Stückchen Rottland bitten.“ Da der König ihre Armuth hörte, [63] schenkte er ihnen auch ein Eckchen Rasen, den hackte sie und ihr Vater um, und wollten ein wenig Korn und der Art Frucht darauf säen; und als sie ihn beinah herum hatten, da fanden sie in der Erde einen Mörsel von purem Gold. „Hör’, sagte der Vater zu dem Mädchen, weil unser Herr König so gnädig ist gewesen und hat uns diesen Acker geschenkt, so müssen wir ihm den Mörsel wiedergeben.“ Die Tochter aber wollt’ es nicht bewilligen und sagte: „Vater, wenn wir den Mörsel haben und haben den Stößer nicht, dann müssen wir auch den Stößer schaffen, darum schweigt lieber still.“ Er wollt’ ihr aber nicht gehorchen, nahm den Mörsel und trug ihn zum Herrn König und sagte, den hätt’ er gefunden in der Heide. Der König nahm den Mörser und fragte, ob er nichts mehr gefunden? nein, sprach der Bauer, da sagte der König: er sollte nun auch den Stößer herbeischaffen. Der Bauer sprach, den hätten sie nicht gefunden; aber das half ihm soviel, als hätt’ er’s in den Wind gesagt, er ward in’s Gefängniß gesetzt und sollte so lange da sitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser und Brot bringen, was man so in dem Gefängniß kriegt, da hörten sie, wie der Mann als fort schrie: „ach! hätt’ ich meiner Tochter gehört! ach! ach! hätt’ ich meiner Tochter gehört!“ Da gingen die Bedienten zum König und sprachen das, wie [64] der Gefangene als fort schrie: „ach! hätt’ ich doch meiner Tochter gehört!“ und wollte nicht essen und nicht trinken. Da befahl er den Bedienten, sie sollten ihn vor ihn bringen und da fragte der Herr König, warum er also fort schreie: ach! hätt’ ich meiner Tochter gehört! „Was hat eure Tochter denn gesagt?“ – „Ja, sie hat gesprochen, ich sollt’ den Mörsel nicht bringen, sonst müßt’ ich auch den Stößer schaffen.“ „Habt ihr dann so eine kluge Tochter so laßt sie einmal herkommen.“ Also mußte sie vor den König kommen; der fragte sie, ob sie dann so klug wäre, und sagte, er wollt’ ihr ein Räthsel aufgeben, wann sie das treffen könnte, dann wollt’ er sie heirathen. Da sprach sie ja, sie wollt’s errathen. Da sagte der König: „komm zu mir nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wann du das kannst, will ich dich heirathen.“ Da ging sie hin, und zog sich aus splinter nackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte sich hinein, da war sie nicht nackend, und borgte einen Esel für’s Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren, und mußte sie der Esel in der Fahrgleiße schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und [65] nicht außer dem Weg. Und wie sie so daher kam, sagte der König, sie hätte das Räthsel getroffen und sey alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängniß und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.

Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft, etliche mit Ochsen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich an einen Wagen, wo zwei Ochsen davor waren, mittendrein. Als nun die Bauern zusammen kamen, fingen sie an sich zu zanken, schmeißen und lärmen und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen hätten’s gehabt, und der andere sagte, nein, seine Pferde hätten’s gehabt und es wär’ sein. Der Zank kam vor den König und der that den Ausspruch: wo das Füllen gelegen hätte, da sollt’ es bleiben und also bekam’s der Ochsenbauer, dem’s doch nicht gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentirte über sein Füllchen; nun so hatte er gehört, wie daß die Frau Königin so gnädig sey, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen wäre, ging zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte, [66] daß er sein Füllchen wieder bekäme. Sagte sie, „ja,“ wenn ihr mir versprecht, daß ihr mich nicht verrathen wollt’, will ich’s euch sagen: morgen früh, wenn der König auf der Wachtparade ist, so stellt euch hin mitten in die Straße, wo er vorbeikommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und thut als fischtet ihr, und fischt also fort und schüttet es aus, als wenn ihr’s voll hättet, und sagte ihm auch, was er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde. Also stand der Bauer am andern Tag da, und fischte auf einem trockenen Platz; wie der König vorbeikam und das sah, schickte er seinen Laufer hin, der sollte fragen, was der närrische Mann vorhabe. Da gab er zur Antwort: „ich fische.“ Fragte der Laufer, wie er fischen könnte, es wär’ ja kein Wasser da. Sagte der Bauer: „so gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz fischen.“ Da ging der Laufer hin und brachte dem König die Antwort, da ließ er den Bauer vor sich kommen und sagte ihm, das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte? und sollt’s gleich bekennen. Der Bauer aber wollt’s nicht thun und sagte immer, Gottbewahr! er hätt’ es von sich. Sie banden ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen und drangsalten ihn so lange, bis er’s bekannte, daß er’s von der Frau Königin hätte. Als der König nach Haus kam, sagte er zu seiner Frau: „warum bist [67] du so falsch mit mir, ich will dich nicht mehr zur Gemahlin, deine Zeit ist rum, geh wieder hin, woher du kommen bist in dein Bauernhäuschen.“ Doch erlaubte er ihr eins: sie sollte sich das Liebste und Beste mitnehmen, was sie wüßte und das sollte ihr Abschied seyn. Sie sagte, „ja, lieber Mann, wenn du’s so befiehlst, will ich es auch thun,“ und fiel über ihn her und küßte ihn und sprach, sie wollte Abschied von ihm nehmen. Dann ließ sie einen starken Schlaftrunk kommen, Abschied mit ihm zu trinken, der König that einen großen Zug, sie aber trank nur ein wenig, da gerieth er bald in einen tiefen Schlaf. Und als sie das sah, rief sie einen Bedienten und nahm ein schönes weißes Linnentuch und schlug ihn da hinein, und die Bedienten mußten ihn in einen Wagen vor der Thüre tragen und fuhr sie ihn heim in ihr Häuschen. Da legte sie ihn auf ihr Bettchen, und er schlief Tag und Nacht in einem fort und als er aufwachte, sah er sich um und sagte: „ach Gott! wo bin ich denn?“ rief seinen Bedienten, aber es war keiner da. Endlich kam seine Frau vor’s Bett und sagte: „lieber Herr König, ihr habt mir befohlen, ich sollte das Liebste und Beste aus dem Schloß mitnehmen, nun hab’ ich nichts besseres und lieberes als dich, da hab’ ich dich mitgenommen.“ Der König sagte: „liebe Frau, du sollst mein seyn und ich dein,“ und nahm sie wieder mit ins königliche Schloß und ließ sich auf’s [68] neue mit ihr vermählen und werden sie ja wohl noch auf heutigen Tag leben.

Anhang

[XIV]
8.
Die kluge Bauerntochter.

(Aus Zwehrn.) Hier hat sich deutliche Spur der alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und Sigurds erhalten. Wiewohl eine königlich geborene, die durch Unglück in die Hände von Bauern gerathen ist, nicht ausdrücklich genannt, zeigt sich doch klar dasselbe Verhältniß. Sie ist über ihren Stand und ihre Eltern weise und der König wird wie Ragnar auf Kraka (so heißt Aslaug als Bäuerin) durch ihre Klugheit aufmerksam gemacht. Um sie zu prüfen, legt er ihr gleichfalls ein Räthsel vor, das sie durch ihren Scharfsinn glücklich und rasch löst. Der Inhalt des Räthsels selber stimmt nah zusammen und es sind nur verschiedene Aeußerungen desselben Gedankens. Der nord. König verlangt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), sie [XV] solle kommen: „gekleidet und ungekleidet, gegessen und ungegessen, nicht einsam und doch ohne jemands Begleitung.“ Sie wickelt sich, wie hier, nackt in ein Fischgarn, darüber her ihr schönes Haar, beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) so daß man den Geruch davon empfindet und läßt ihren Hund mitlaufen. Zu vergleichen ist auch ein ähnliches Räthsel in andern Erzählungen[1], so daß es überhaupt als ein altes Volksräthsel erscheint.

Auch in der fortwährenden Klugheit und wie sie sich des Königs Liebe wieder zuwendet, der die Bäuerin zurückschicken will, gleicht die der Aslaug. Ragnar war in Schweden beim König Eistein, dessen schöne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch [XVI] seine Leute rathen ihm eines Bauerntochter nicht länger bei sich zu haben. Als er aber nach Haus gekommen ist, und beide zu Bett gegangen, weiß durch ihre Vögel (Raben: Geist) Aslaug schon sein Vorhaben, entdeckt ihm ihre königliche Abkunft und gewinnt dadurch wieder seine Neigung. Cap. 8.


  1. Nämlich Pauli's Schimpf und Ernst enthält einen Schwank, wornach einem die Strafe erlassen werden soll, wenn er kommt: „halb geritten und halb gegangen, mit seinem größten Feind und größten Freund.“ Der Schuldige kommt mit seinem Pferd, indem er den rechten Fuß in den Steigbügel setzt, mit dem andern auf der Erde fortstelzt; mit seiner Frau, die ihn auf eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr fälschlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und sich so als sein größter Feind ausweist; und mit seinem Hund, der sein größter Freund ist, weil er, nachdem er ihn geschlagen, auf sein Locken, wedelnd zurück kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geschichte sehe gut in der Sache übereinstimmend, ed. 1560. fol. 78. Eine abweichende Recension, welche die Gesta Romanor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutsche, Cap. 24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schuldige bringt nämlich kein Pferd, sondern legt das rechte Bein auf den Hund, und weil er noch ferner seinen besten Spielmann sollte mitbringen, hat er sein Kind mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm spiele, die größte Kurzweil mache. – Endlich kommt dasselbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche (Torino 1802.) S. 163. vor. Wer zu einem bestimmten Tag „seinen Freund, Feind und Spielmann mitbringt“ soll die Gnade des Königs und große Schätze haben, das wird wie dort aufgelöst; nur, daß er halb geritten und halb gegangen kommen soll, fehlt.