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Die kranke Frau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
S. 113
S. 114-115
S. 116-117
Textdaten
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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Die kranke Frau
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 113-117
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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[113] Die kranke Frau

Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen,
Die uns um die Gesundheit bringen!
Doch nöthig ists, daß man sie kennen lernt.
Je mehr wir solcher Quellen wissen,

5
Woraus Gefahr und Unheil fliessen;

Um desto leichter wird das Uebel selbst entfernt.

______________


Des Mannes theurer Zeitvertreib,
Sulpitia, ein junges schönes Weib,
Gieng munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder,

10
Und fiel halb todt aufs Ruhebette nieder.

Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf?
Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf!
Geschwind! doch läßt sich dieß erzwingen?
Sechs Hände waren zwar bereit;

15
Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen,

Wieviel erfordert dieß nicht Zeit!

Der arme Mann schwimmt ganz in Thränen;
Mit Recht bestürzt ihn diese Noth.
Zu früh ists, nach der Gattinn Tod

20
Im ersten Jahre sich zu sehnen.

Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Aeskulap
Erscheint sogleich in vollem Trab,
[114] Und setzt sich vor das Krankenbette,
Vor dem er sich so eine Miene gab,

25
Als ob er für den Tod ein sichres Mittel hätte.

Er fragt den Puls; und da er ihn gefragt,
Schlägt er im Geiste nach, was sein Receptbuch sagt,
Und läßt, die Krankheit zu verdringen,
Sich eilends Dint und Feder bringen.

30
Er schreibt. Der Diener läuft. Indessen ruft der Mann

Den so erfahrnen Arzt bey Seite,
Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute?
Der Doktor sieht ihn lächelnd an:
„Sie fragen mich, was es bedeuten kann?

35
„Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen;

„Sie wissen schon, es zeigt viel gutes an,
„Wenn sich die jungen Weiber klagen.“

Den Mann erfreut ein solcher Unterricht.
Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen;

40
Allein der theure Trank hilft nicht.

Drum muß der zweyte Doctor kommen.

Er kömmt. Gedult! Nun werden wirs erfahren.
Was ists? was fehlt der schönen Frau?
Der Doctor sieht es ganz genau,

45
Daß sich die Blattern offenbaren.


Sulpitia! Erst sollst du schwanger seyn?
Nun sollst du gar die Blattern kriegen?
Ihr Aerzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein,
Denn einer muß sich doch betrügen.

50
[115] Nein, überlaßt sie der Natur,

Und dem ihr so getreuen Bette;
Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte:
So ist sie nicht so schlimm, als eure Cur.

Gedult! Vielleicht genest sie heute.

55
Der Mann kömmt nicht von ihrer Seite,

Und eh die Stunde halb verfließt,
Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist?
Ach! ungestümer Mann, du nöthigst sie zum Sprechen!
Wie? wird sie nicht das Reden schwächen?

60
Sie spricht ja mit gebrochnem Ton,

Und an der Sprache hörst du schon,
Daß sich die Schmerzen stets vergrößern.
Bald wird es sich mit deiner Gattinn bessern!
Der Tod, der Tod dringt schon herein,

65
Sie von der Marter zu befreyn!


Wer pocht? Es wird der Doctor sein;
Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen.
Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen.
Er kömmt, so stammelt sie, er kömmt zu rechter Zeit;

70
Ist dieß vielleicht mein Sterbekleid?

Ja, wie er sieht, so werd ich bald erblassen;
Doch hätte mich der Himmel leben lassen:
So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt,
Von solchem Stoff, als er, er wirds schon wissen,

75
Für meine Freundinn machen müssen;

Es ist nichts Schöners auf der Welt.
[116] Als ich zuletzt Besuch gegeben:
So trug sie dieses neue Kleid;
Doch geh er nur. O kurzes Leben!

80
Es ist doch alles Eitelkeit!


O fasse dich, betrübter Mann!
Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann.
O laß die Hoffnung nicht verschwinden!
Der Athem wird sich wieder finden.

85
Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn,

Sie reden heimlich vor der Thüre.
Der Schneider thut die größten Schwüre,
Und eilt, die Sache zu vollziehn.

Noch vor dem Abend kömmt er wieder.

90
Sulpitia liegt noch darnieder,

Und dankt ihm seufzend für den Gruß.
Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß?
Er hat es in ein Tuch geschlagen,
Er wickelts aus. O welche Seltenheit!

95
Dieß ist der Stoff, dieß ist das reiche Kleid.

Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen.

Ach Engel, spricht der Mann bei sanftem Händedrücken,
Mein ganz Vermögen gäb ich hin,
Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken.

100
O! fängt sie an, so krank ich bin:

[117] So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen.
Ich will mich aus dem Bette wagen;
So können Sie noch heute sehn,
Wie mir das neue Kleid wird stehn.

105
Man bringt den Schirm, und sie verläßt das Bette,

So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte.
Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Caffee.
Kein Finger thut ihr weiter weh.
Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen,

110
Und durch das Kleid muß sie genesen.

So heilt des Schneiders kluge Hand
Ein Uebel, das kein Arzt gekannt.