Die letzte Nacht im Elternhause

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Bernhard Bettmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die letzte Nacht im Elternhause
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 210
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[210]
Die letzte Nacht im Elternhause.


Das griff an’s Herz, und ich vergeß’ es nimmer:
Es war die letzte Nacht im Vaterhaus;
Zieh’n sollt’ ich mit dem ersten Frührothschimmer,
Vielleicht auf ewig, in die Welt hinaus.

5
Noch lag ich schlaflos auf dem weichen Pfühle;

Denn viel bewegte mir die junge Brust:
Des Heimwehs Vorgefühl, des Scheidens Schwüle
Und Hoffnung doch und rege Wanderlust.

Da schlug es zwölf. Die Lampe brannte trübe,

10
Und leise schritt es durch die Kammerthür –

Ein Geist erschien mir, doch ein Geist der Liebe;
Denn meiner Mutter gleich erschien er mir.

Sie nahte still, als wollte sie nicht stören
Des Sohnes, wie sie meinte, tiefe Ruh’.

15
Ich hört’ sie, doch ich schien sie nicht zu hören;

Ich sah sie, doch ich schloß die Augen zu.

Wie nah’ ihr Odem! Ihre Hände lagen
Auf meinem Haupte, wie schon oft zuvor –
Erlauscht ich auch nicht ihrer Lippen Klagen,

20
Mein Herz vernahm, was nicht vernahm mein Ohr.


Dann fühlt’ ich ihre Wange auf der meinen –
Warum umschlang ich liebevoll sie nicht,
Als ich sie weinen hörte, schmerzlich weinen
Und eine Thräne fiel auf mein Gesicht?

25
Und nochmals neigte sie den Mund, den frommen,

Und küßte leise diese Thräne fort.
Drauf ging sie wieder – still, wie sie gekommen.
Ich ließ sie geh’n und sprach dazu kein Wort.

– Am Morgen schied ich, ohne ihr zu sagen,

30
Was ich geseh’n, doch wie ein heilig Gut

Treu hab’ ich die Erinnerung getragen
Im Herzen, wo des Menschen Bestes ruht.

Und dann, als ich nach wechselvollen Jahren
Am off’nen Grabe meiner Kinder stand,

35
Da hab’ ich, tief erbebend, erst erfahren,

Was jene Nacht mein Mütterlein empfand.

Und Lieb’ und Reue, Dank und heißes Sehnen,
Ich kost’ sie täglich, koste sie nicht aus.
Wohl bin ich glücklich – aber oft in Thränen

40
Denk’ ich der letzten Nacht im Vaterhaus.

     Cincinnati, O.

B. Bettmann.