Die letzten Lebensstunden der Friederike Bremer
[551] Die letzten Lebensstunden von Friederike Bremer. Wenden wir unsere Blicke für einige Minuten von dem blutigen Getümmel der Schlachtfelder und der Kriegsereignisse, die noch immer das Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmen, zu einem Bild des tiefsten Friedens und hören wir, wie eine Freundin der gegen Beginn dieses Jahres verstorbenen schwedischen Schriftstellerin uns deren letzte Stunden schildert.
„In der Christnacht träumte sie, wie sie uns am nächsten Morgen erzählte, sie höre die herrlichste Musik, so himmlisch, wie sie noch nie vernommen habe. Tante Bremer und ich fuhren sehr zeitig zur Kirche, um die Christmetten mit anzuhören; sie sang die Hymnen und das Halleluja mit volltönender Stimme und erfreute sich kindlich an der hellerleuchteten Kirche, aber beim Nachhausegehen wurde sie von heftigem Frost geschüttelt und war ungewöhnlich still. Am zweiten Weihnachtsfeiertage war sie recht unwohl an einem heftigen Husten und Brustschmerzen, aber sie machte nicht viel Aufhebens davon und lachte über unsere Besorgnisse.
Am folgenden Tage schien es ihr besser zu gehen; ich trank Thee bei ihr und sie führte die Unterhaltung mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit, Beredsamkeit und Liebenswürdigkeit. Den nächsten Morgen war sie jedoch viel kränker und mußte sich’s gefallen lassen, daß wir nach einem Arzt schickten, der ihr Unwohlsein für eine Lungenentzündung erklärte und ihr zuredete, sich zu Bett zu legen, wozu sie aber nicht zu bewegen war. Mancherlei Mittel wurden angewendet, doch ohne allen Erfolg; sie schien nicht viel Schmerzen zu leiden, allein ihre Kräfte waren bald erschöpft, so daß alle Hoffnung aufgegeben werden mußte. Sie klagte jedoch nie und unterhielt sich auf das Freundlichste mit ihren Umgebungen, nur schien sie eine gewisse Unruhe zu empfinden, die uns sehr betrübte und die wir mit allen Kräften zu beseitigen strebten.
‚Ihr macht mir’s so bequem, meine lieben Kinder, Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich mich Eure liebevolle Sorgfalt macht!‘ sagte sie. Am fünften Morgen führte ich sie mehrmals im Zimmer auf und ab und sie blickte mit friedlicher Heiterkeit durch’s Fenster auf die fröhlich unten spielenden Kindergruppen. Ich werde das sinnende, liebe Antlitz nie vergessen können; so viel Herzensgüte und Verstand sind wohl selten auf einem menschlichen Gesicht ausgeprägt!
Bald darauf begann sie von ihrem Tode zu sprechen und sagte, sie wäre gern noch ein bischen länger am Leben geblieben, um ihr kürzlich begonnenes Werk vollenden zu können. ‚Aber,‘ meinte sie später, ‚ich bin doch so unendlich müde, daß ich zufrieden wäre, wenn Gott mich jetzt riefe.‘ Sie versank wieder in Nachdenken und sprach von Zeit zu Zeit abgerissene Sätze, welche mir ihren Gedankengang verriethen, wie z. B.: ‚Es liegt etwas Großes in der Stimme der Natur. Ich habe einen Begriff von der göttlichen Vollkommenheit, es ist Alles so wunderbar schön!‘
Dann verlangte sie zu Bett, die Schwäche und Schmerzen nahmen bedeutend zu, aber bei alledem blickte sie uns fortwährend freundlich an, nannte uns mit den zärtlichsten Namen und drückte uns die Hände. Um acht Uhr Abends kamen ihre Schwester und deren Mann; sie erkannte sie noch und sagte, auf uns zeigend: ‚Ihr glaubt gar nicht, wie gut und sorgsam hier Alle um mich sind!‘ Es war ein unbeschreiblich feierlicher Augenblick für uns, denn wir fühlten, daß der Tod immer näher kam. Eine Stunde später kannte sie uns nicht mehr, ihr Geist irrte in rastlosem Phantasiren von einem Gegenstand zum andern und nur einzelne abgebrochene Worte wurden uns verständlich.
Dann begann das letzte Ringen zwischen Tod und Leben. Um elf Uhr nahm sie noch etwas Arznei, aber bald vermochte sie nicht mehr, dieselbe hinunterzuschlucken. Gewiß litt sie noch zeitweise, doch das Ende war leicht. Zwei röchelnde Seufzer waren die letzten Laute von Tante Bremer’s theuren Lippen, dann hörte sie auf zu athmen. Der Mond, welcher bis dahin hinter dunklen Wolken verborgen gewesen, kam jetzt zum Vorschein und goß sein Licht auf den Leichnam einer der besten Frauen, welche die Erde getragen, aber in unsern Herzen war es Nacht, tiefe Nacht! Jetzt ist es wieder licht geworden in uns, sonst müßten wir kein Verständniß für die Lehren ihres schönen Lebens besitzen.
Anfangs hatten die Schmerzen des Todes ihren Eindruck auf dem lieben Gesicht hinterlassen, aber dann im Sarge sah es wieder ganz friedvoll aus; sie lag in ihrem eigenen Zimmer, welches Therese und ich mit Blumen und Tannenreisig schmückten. Es lag noch kein Schnee und wir wanden unzählige Kränze von grünen Blättern und weißen Immortellen, die wir auf den schwarzen Sarg legten, an dessen Fußende eine Platte angebracht war mit den eingravirten Worten: ‚Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!‘“