Die letzten Tage eines Tapferen
Königinhof, die deutsch-böhmische Stadt, in welcher eines jener wunderlichen Spiele, die sich bisweilen in den Entwickelungsgang der Völker mischen, die berühmte sogenannte „Königinhofer Handschrift“ auffinden ließ, die älteste czechische Gedichtsammlung, von deren Veröffentlichung man den jetzt so erbittert geführten Czechenkampf gegen das Deutschthum datiren kann, gehörte im letzten deutschen Krieg zu den Hauptlazarethplätzen. Die Stadt liegt in einem reizenden Thale, das von den südlichsten Ausläufern des Riesengebirgs gebildet und von der noch jugendlich rinnenden Elbe bewässert wird. Diese Vorzüge der Natur scheinen sich auch der Bevölkerung der Stadt (etwa fünftausend Seelen) mitgetheilt zu haben, denn sie zeichnet sich durch Fleiß, Bildung und Sauberkeit bedeutend vor ihrer czechischen Umgebung aus. Wir betraten sie in den ersten Augusttagen des vorigen Jahres. Noch wenige Wochen früher lagen hier auf dem Marktplatze viele Hundert Wimmernde, für die kein Obdach mehr zu finden war, und auf den Steinen des Pflasters hauchte mancher Verwundete seinen Geist aus. Heute war dies freilich Alles anders geworden. Die armen Opfer der böhmischen Schlachtfelder lagen nun auf reinlicher Matratze, wohl gepflegt von den milden Händen barmherziger Schwestern, und schon erschallte mitunter fröhliches Lachen aus den Stuben und Krankenzelten. – Wohl waren auch Viele heimgegangen zur ewigen Ruhe und noch immer forderte auch hier der Tod seinen Tribut. Auch unser Weg führte uns an ein Todtenbett.
Ganz in der Nähe der Stadt umgiebt ein Kranz von Linden eine Mühle, ein stattliches Gebäude, denn es bietet Raum für eine Mahlmühle und eine Spinnerei. Jetzt rauschte jedoch der Bach unbeschäftigt an den großen Rädern vorbei, ringsum herrschte die Stille, mit welcher man Sterbende umgiebt. Der im Heldenkampf zum Tode Verwundete, der hier seinen Leiden erlag, ist der Prinz Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. Der Weg zu dem Sterbebette führte durch den Flur und die breite Treppe hinauf rechts in ein kleines Zimmer. Ein barmherziger Bruder und ein fürstlicher Lakai hielten die Wacht. Der schöne todte Jüngling lag da wie in einem langersehnten sanften Schlummer. In den gefalteten Händen hielt er einen Lorbeerkranz, das letzte Geschenk seines königlichen Ohms. Zu seinen Häupten stand ein kleines Tischchen mit Crucifix und Leuchtern, Blumen, die lichten Kinder des Sommers, schmückten die Decke. An dem halb offenen Fenster lehnte eine stolze, hohe Gestalt, die Augen durch die eine Hand beschattet. Ein blonder Bart umfloß das Antlitz. Es ist der Erbprinz Leopold, der herbeigeeilt war, um dem gesundenden Bruder vom König als Belohnung seiner Tapferkeit den Orden pour le mérite zu überbringen, und nun ankam, um noch einmal die brüderliche Hand dem Sterbenden zu drücken und dann auf ewig von ihm Abschied zu nehmen.
Der Leibarzt trat ein und meldete, daß der Sarg seiner Bestimmung harre. Stumm schüttelte der Fürst die Hand dem braven Manne, der unermüdet dem Bruder in seiner Leidenszeit beigestanden, der gearbeitet und gewacht, bis er sich endlich eingestehen mußte, daß hier auch seine Kunst ihr Endziel erreicht habe. Während man mit der Einsargung beschäftigt war, weilte der Prinz im Nebengemach bei der Mutter, die im stillen Harme für jeden Trost unzugänglich schien. Es wurde Abend; matt erleuchteten Kerzen das Todtengemach, in dessen Mitte der geöffnete Sarg stand. An seiner Seite durchlebten Mutter und Sohn, Hand in Hand nahend, im Geist die kurze Spanne Leben, die diesem Erdensohne geschenkt war.
Schon als Knabe eine frische Gestalt mit regem, lebendigem [28] Geist, für alles Edle und Hohe leicht empfänglich, wußte der Jüngling alle Hoffnungen zu erfüllen, die das Elternherz auf ihn gesetzt. Wie alle Zollern, trat er zur Militärcarriere und wußte
durch sein liebreiches Benehmen sich bald das Herz seiner Cameraden und Untergebenen zu gewinnen. Wissensdurst hatte ihn kurz vor diesem letzten Sommer zu einer Reise nach dem Westen gedrängt, von der er aber sofort zurückeilte, als sich die Wolken des politischen Horizonts finster zusammenzogen. Mit seiner Truppe, dem preußischen ersten Garde-Regiment zu Fuß, war er, trotzdem ihm andere Anerbietungen einen leichteren Dienst verschafft hätten, als einfacher Seconde-Lieutenant ohne jede andere Bequemlichkeit, wie sie ihm wohl zu Gebote gestanden, mit ausmarschirt. Ein leuchtendes Beispiel seinem untergebenen Zuge, hatte er bei Trautenau und Königinhof gekämpft. Nach kurzer Rast war das Regiment am 3. Juli Morgens wieder aus seinem Bivouac aufgebrochen, um das Wort einzulösen, das der Kronprinz seinem König und Vater gelobt, rechtzeitig in den Entscheidungskampf einzugreifen. Wie er es erfüllt trotz der scheinbaren Unmöglichkeit, wird noch die späteste Geschichte berichten. Chlum und Rosberitz, die Blutfelder, von denen jeder Zoll breit Menschenleben forderte, waren schließlich die Entscheidungspunkte geworden. Der österreichische Oberbefehlshaber hatte dorthin Alles geworfen, was er an Kerntruppen entbehren konnte. Die preußische Füsilierbrigade sollte Rosberitz nehmen. Wild wogte der Kampf, dreimal stürmten die Preußen, dreimal nahmen sie es, dreimal wurden sie wieder zurückgedrängt. Noch einmal ging es vor im wilden Grimm über das Mißlingen – und siehe, es gelang, sich wieder festzusetzen.
Von Gehöft zu Gehöft drang man weiter, Allen voran Prinz Anton mit seinem Zuge – so heftig und hartnäckig, daß sogar einige seiner Leute gefangen genommen wurden. Doch auch die Oesterreicher waren tapfer und wußten sich zu vertheidigen; ihre geübten Schützen schossen mit großer Sicherheit. Hier war es, wo auch den tapfern Fürstensohn die Kugel erreichte. Einer ersten Fleischwunde achtete er nicht, bis ein Schuß durch das Knie ihn zu Boden sinken machte. Man trug ihn zurück. Hätte er damals die Blicke gesehen, die ihm jeder der Seinigen nachsandte, dann würde er erst recht erkannt haben, wie er von den Leuten verehrt wurde. Nach dem ersten Verbande brachte ein Johanniterwagen ihn nach Königinhof in diese Mühle, die sein Todeshaus werden sollte. Allgemein waren die Aerzte darüber einig, daß vorläufig eine Operation nicht räthlich sei, da die Fleischwunde theils daran hinderlich war, theils aber auch [29] eine Heilung ohne Operation zu erwarten stand. Wirklich schienen die ersten Tage alle Hoffnungen zu erfüllen. Doch nur allzubald zeigten sich andere Symptome, die das Schlimmste befürchten ließen. Der Kräfteverlust des Kranken nahm zu und die allmählich sich loslösenden Knochensplitter fingen an die Nerven zu bedrücken. Immer heftiger wurde das Fieber und kaum konnte man noch irgend welche Hoffnung hegen. Das waren traurige Tage für die arme Mutter, die in Reichenberg weilte, um dem Vielgeliebten näher zu sein, da das Verbot der Aerzte sie von der Pflege ausschloß und ihr auch nicht den Aufenthalt in Königinhof selbst gestattete. Immer bedrohlicher wurden die Anzeichen, kein Schlummer kam dem Aermsten in die Augen; alle Schlaf- und Linderungsmittel hatten einen kaum merklichen Erfolg und wilde Nervenzuckungen bekundeten die Leiden des Fürsten. Trotz all’ dieser Qualen kam nicht ein Laut der Klage über seine Lippen.
So mußte man endlich befürchten, daß der durch die intensiven Schmerzen hervorgerufene Kraftverlust den Tod herbeiführen könnte, und man beschloß daher zuerst die Entfernung der Knochensplitter zu versuchen oder, wenn dies mißlänge, noch jetzt die Amputation zu wagen. Zum Entzücken Aller gelang die erstere Operation vollständig. Die Zuckungen, ja sogar schon die Erscheinung des Kinnbackenkrampfs, die sich zu zeigen begann, wurden milder, Schlaf senkte sich wieder in seine Augen und immer günstiger lauteten die Bulletins, die täglich der Telegraph in alle Richtungen sandte. Nach und nach nahm auch die Kraft wieder zu und bald war ein jeder der behandelnden Aerzte der Ueberzeugung, daß in kurzer Zeit alle Gefahr geschwunden sein würde. Auch der armen Mutter wurde nun gestattet, nach Königinhof überzusiedeln, wenngleich sie den Sohn noch nicht sehen durfte. Als aber endlich fast jede unmittelbare Gefahr verschwunden war, durchbrach die Mutterliebe auch diese Schranke; sie eilte nun selbst den Sohn zu pflegen. Auch der Erbprinz Leopold traf jetzt ein, um dem Bruder, der, wie sein König von ihm berichtete, so „enorm brav“ gekämpft hatte, den Orden pour le mérite zu überbringen. Das waren aber auch die letzten Sonnenblicke für die Familie, diese wenigen Tage in der ersten Woche des Augustmonats, wo sie in wechselndem Gesprächsaustausch einer fröhlichen Genesung entgegensahen. Wo aber Niemand etwas geahnt, da schlich der todbringende Feind heran. Noch heute ist die Ansicht darüber getheilt, ob die Krankheit, welcher der Prinz endlich erlag, die Diphtheritis, im Volksmund schwarze Bräune genannt, sich in Folge einer langen Eiterung entwickeln konnte, oder ob blos [30] miasmatischer oder gar anderer Einfluß sie hervorzurufen im Stande sei. Trotzdem die Eiterung eine ganz gute zu sein schien, trotzdem auch kaum ein anderer Fall dieser Krankheit sich im Städtchen gezeigt, trotzdem endlich der Patient so isolirt von jedem andern Krankheitsstoff war, so entwickelte sich die böse Krankheit bei ihm in so rascher und rapider Weise, daß bald alle Hoffnungen, die so lange genährt waren, unwiderruflich verloren gingen. Alle gemachten Anstrengungen waren erfolglos und dem Erbprinzen durfte nunmehr der Zustand des Kranken nicht mehr verheimlicht werden. Der Verwundete fühlte wohl selbst sein nahes Ende und bereitete sich mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit darauf vor.
Er ordnete an, was Weltliches von ihm noch zu ordnen war; mit peinlichster Sorgfalt wußte er sich jedes kleinsten Liebesdienstes zu erinnern. Wer überhaupt ihn in diesen Stunden gesehen hat, mußte ihn lieben und hochachten lernen.
„Ich preise die Vorsehung,“ sprach er langsam und begeistert, „welche wiederum den Sieg mit dem Blut eines Hohenzollern besiegelt hat, und mein Geschick, dem die Ehre vergönnt ist, für die Sache des Vaterlandes zu fallen.“
Bald mehrten sich die bedrohenden Anfälle und sanft entschlief er dort an jenem Fenster, wo traulich die Linde durch die Scheiben hineinnickt – am sechsten August. Ein neuer Tag brach an, in morgendlicher Schöne Alles vergoldend. Im Beisein Aller, die ihm im Leben nahe gestanden, wurde die Leiche in einen Johanniterwagen gelegt, um nach dem Bahnhofe und von da nebst der Familie mit einem Extrazug zur Beisetzung nach Sigmaringen übergeführt zu werden. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung, gefolgt von den Leidtragenden. Am Bahnhofe, ebenfalls einer Lazarethstation, wurde der Sarg von dem in Königinhof stehenden Bataillon empfangen und durch die sinnig geschmückte Einfahrt und künstlich aus Eichengrün gebildete Ehrenpforte auf das Perron getragen, wo eine Feierlichkeit vor der Abfahrt abgehalten wurde. Der Waggon, der den Todten aufnehmen sollte, war mit Eichenlaub, innen wie außen, dicht behangen und Fahnen und Guirlanden in den Hausfarben liehen dem Ganzen einen wohlthuenden Eindruck. Eine Estrade in der Mitte des Wagen nahm den Sarg auf, während im Hintergrund ein kleiner Altar sich erhob. Der Erbprinz erschien, das Militär salutirte, dumpf rasselte die Trommel in gedämpftem Ton und der Priester hielt das Gebet, einfach und herzlich, nur dem Todten Gerechtigkeit widerfahren lassend. Allen Anwesenden traten die Thränen in die Augen, in tiefen Schmerz versunken bedeckte der Fürst seine Augen. Der Priester schloß die feierliche Handlung und der Sarg wurde seinem Platz übergeben. Stumm schüttelte der Prinz Allen, die ihm während der Leidenszeit nahe gestanden, die Hand und der Zug setzte sich in Bewegung, um den Todten zu seinen Ahnen zu führen.
In der Schloßcapelle zu Sigmaringen ruht der junge Held im ewigen Schlummer. Auch er hat das Höchste, was er besaß, für das Vaterland zum Opfer gebracht. Möge über den Gebeinen dieses zweiten Louis Ferdinand eine lichtere Zukunft erblühen zur Ehre und Festigung Deutschlands! – Sind wir recht berichtet, so ist der Düsseldorfer Künstler, welcher das beigegebene Bild gezeichnet hat, von dem Vater des gefallenen Prinzen nach Böhmen gesandt worden, um die verschiedenen Stätten aufzunehmen, wo der Tapfere mit gekämpft hat.