Die neue Berliner „Urania“

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Bendt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die neue Berliner „Urania“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 632–637
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[632]

Die neue Berliner „Urania“.

Von Franz Bendt. Mit Abbildungen von A. Kiekebusch.

In der Taubenstraße, welche in die große Verkehrsader der Reichshauptstadt, die Friedrichstraße, einmündet, erhebt sich ein mächtiges Gebäude, dessen Aeußeres auf eine eigenartige Verwendung deutet. Von doppelter Etagenhöhe schauen die Kolossalbüsten von Copernikus und Kepler, von Helmholtz und Werner Siemens herab. Sie verraten, daß man sich vor einem den Naturwissenschaften geweihten Hause befindet. Es ist das Gebäude der neuen „Urania“, die vor kurzem eröffnet wurde.

Schon am Schlusse der achtziger Jahre gründete zu Moabit bei Berlin die Privatgesellschaft „Urania“ auf Veranlassung des bekannten Astronomen Wilhelm Meyer ein der volkstümlichen Naturwissenschaft gewidmetes Institut. Wie es damals der Prospekt aussprach, beabsichtigte sie damit, die Freude an den Naturwissenschaften in weiteren Kreisen zu verbreiten und zu erhöhen.

Das neue Gebäude der „Urania“ soll durch ihre bequemere Lage dies Bestreben noch erleichtern.

Man hat unser Jahrhundert als das naturwissenschaftliche bezeichnet. Die Bezeichnung ist unzweifelhaft berechtigt, wenn man sich die erfolgreiche Thätigkeit unserer wissenschaftlichen Zeitgenossen auf diesem Gebiete vergegenwärtigt und des Interesses gedenkt, das alle Welt diesen Erfolgen zuwendet. Allein wirkliche naturwissenschaftliche Kenntnisse sind in weiteren Kreisen noch sehr wenig verbreitet. Kein Wunder, da sie aus Büchern und Zeitungen allein nicht geschöpft werden können, sondern vielfach erst durch unmittelbare Anschauung zu erwerben sind. Die letztere wird aber dem Laien

[634]

nur selten und ausnahmsweise geboten. Die überaus wichtige Aufgabe, die sich die Berliner „Urania“ gestellt hat, besteht nun in dem Bestreben, diesem Uebelstand abzuhelfen und die Ergebnisse der modernen naturwissenschaftlichen Forschung durch Experiment, Vortrag und scenische Darstellung lebhaft und sinnfällig dem Publikum vor die Augen zu führen. In diesem Sinne war es ein geradezu genialer Griff des Direktors der „Urania“, Wilhelm Meyer, die Bühne auch für die Ausbreitung naturwissenschaftlicher Bildung nutzbar zu machen. Wir verdanken ihm, wenn der Ausdruck erlaubt ist, die Erfindung des naturwissenschaftlichen Theaters.

Die neue Berliner „Urania“ enthält ein höchst geschmackvoll eingerichtetes Theater, das über 760 Plätze verfügt und mit allem Komfort ausgestattet ist, den der verwöhnte Bewohner der Reichshauptstadt verlangt; Foyer, Wandelgang – alles ist hier vorhanden. Auf der verhältnismäßig sehr geräumigen Bühne werden dem Zuschauer unter Verwendung der vollendetsten Mittel moderner Bühnentechnik die großen sich ewig wiederholenden Schauspiele vorgeführt, welche die Körper im Weltenraum und auf unserer Erde vollbringen. Was einst Jules Verne in Form des Romanes gab, giebt die „Urania“ in dramatischer Form. Die Phantasie wird also aufs lebhafteste durch die Dekoration, durch Wandelbilder und durch Beleuchtungsesfekte unterstützt. Der Zuschauer folgt einer Reise durch den Sternenraum; man zeigt ihm die interessantesten Gegenden unseres vielzerklüfteten Nachbars, des Mondes; oder man läßt vor seinem Auge sich die wechselvollen Vorgänge abrollen, die sich während einer Sonnenfinsternis vollziehen. In dem neuesten naturwissenschaftlichen Schauspiel, mit dem das Institut eröffnet wurde, führte man eine große Reihe prächtiger Ansichten von den herrlichen Gegenden vor, durch welche die neue St. Gotthardbahn jetzt ihren Weg nimmt (vergl. die obige Abbildung).

Bei naturwissenschaftlichen Vorträgen war man bisher gewohnt, den Vortragenden in mehr oder minder lehrhaftem Ton seinen Stoff entwickeln zu hören. In der „Urania“ spricht ein Bühnenkünstler den vom Direktor, oder einem anderen in volkstümlicher Darstellungsweise erfahrenen Schriftsteller verfaßten Text, der sich fast immer in anmutigen, gewandten, ja zuweilen poetischen Formen bewegt. Die Vorgänge auf der Bühne geben dazu die Illustration.

Um die seltsame Beleuchtung während einer Sonnenfinsternis, um den drohenden Anblick einer vom Gewitter überzogenen Landschaft natnrwahr hervorrufen zu können, bedarf man besonderer Einrichtungen. Noch der alte Werner Siemens hat bei der Begründung der alten „Urania“ durch Rat und That hier mitgewirkt. Durch 900 Glühlampen von blauer, roter und weißer Färbung, die durch ein höchst geistvoll erdachtes Schaltungssystem in alle möglichen Zusammenstellungen gebracht werden und auch in beliebigen Helligkeitsgraden wirken können, ist es möglich geworden, jede natürliche Farbenabstufung wiederzugeben.

Die naturwissenschaftlichen Schauspiele wechseln in der „Urania“ mit Experimentalvorträgen ab, die von den besten Demonstrationsapparaten unterstützt werden und zumeist in ganz volkstümlicher Weise die Zuhörer über die neuesten Fortschritte der Wissenschaft unterrichten. Die Vorträge über die Roentgen-Strahlen und über die Hertzschen und Teslaschen Versuche haben z.B. auf das Publikum der Reichshauptstadt wie die Premiere eines berühmten Dramatikers oder das erste Auftreten einer Diva gewirkt. Man fühlt aus diesem Interesse in der That den Herzschlag einer neuen Zeit heraus.

Das „Theater“ bildet aber nur eins der vielfachen Mittel, dem Publikum durch Anschauung naturwissenschaftlichen Unterricht zu erteilen. In sieben geräumigen Sälen sind interessante, zum Versuche fertige Apparate, Sammlungen, Modelle, Zeichnungen u. dergl. ausgestellt. Jede Versuchszusammenstellung ist aufs genaueste vorbereitet, und der Besucher vermag durch einen Druck auf einen Knopf das Naturschauspiel selbständig hervorzurufen. Eine kurze, klargefaßte Beschreibung klärt zudem über die Bedeutung des Vorganges aus.

Unser Künstler hat in seinen Bildern aus den verschiedenen Sälen eine Reihe solcher Selbstversuche festgehalten. Man erhält durch sie Augenblicksbilder, die direkt dem Leben abgelauscht sind.

Man betrachte z.B. die Scene aus dem Saal für Astronomie und Geophysik auf S. 635. Es wölbt sich über den Raum die mehrere Meter im Durchmesser umfassende Halbkugel des nördlichen Sternhimmels. Genau der „Sterngröße“ entsprechend leuchten gold auf blau in naturgetreuer Form die bekannten [635] Sterngruppen. Planetarien, Stern- und Erdgloben, Eisenmeteore, Vulkanbomben etc. verraten die Bedeutung dieses Saales. Sehr interessant ist der Apparat, den der Knabe auf unserem Bilde in Bewegung versetzt. Man vermag mit ihm mathematisch genau die abweichende Bewegung des Foucaultschen Pendels – mit dem die Drehung der Erde erwiesen wird – für jeden Breitengrad zu zeigen. Er gehört zu der Gruppe der Instrumente, mit welchen sich die „Urania“ an die mehr unterrichteten Besucher wendet. Für jedermann soll das Institut Besonderes bieten.

Im gleichen Saale befindet sich auch der künstliche Geysir, den unsere Abbildung S. 636 darstellt. Der in Thätigkeit gesetzte Apparat giebt eine lebendige Vorstellung von den Vorgängen, die sich während eines Geysirausbruches vollziehen, und zugleich eine Erklärung der merkwürdigen Erscheinung. Geysire sind Quellen, die in bestimmten Zeitabschnitten Strahlen kochenden Wassers in die Luft senden. Island und der Nationalpark in den Vereinigten Staaten von Amerika sind reich an ihnen. Der künstliche Geysir in der „Urania“ läßt uns den Vorgang leicht überblicken. Das Bild zeigt eine bauchige Glasflasche, an die sich eine lange, spitz zulaufende Glasröhre anschließt, welche, oben ein breites Becken zum Auffangen des Wassers trägt. Durch einen Gasbrenner wird das die Flasche zum Teil füllende Wasser zum Kochen gebracht. Die Wassergase, welche dem Gefäße nicht frei entfliehen können, nehmen in der Vorrichtung eine verhältnismäßig hohe Temperatur an und stehen unter starkem Druck. Es muß sich daher der Wasserdampf, der in die Röhre eindringt, verdichten und zu kleinen Wassersäulchen ansammeln, die vom hochgespannten Dampfe gehoben und gesenkt werden und einen eigentümlichen Tanz aufführen. Hat ein solches Wassersäulchen eine bestimmte Größe und Schwere erreicht, dann drückt es die Gase in der Weise zusammen, daß die dem hochgespannten Dampfe innewohnenden Kräfte sich entfesseln und die Wassersäule wie eine Kugel aus einem Geschütze hinausschleudern. Da der Vorgang in der Natur wie beim künstlichen Geysir sich immer in der gleichen Weise vollzieht, so erfolgen die Ausbrüche auch innerhalb der gleichen Zeit.

In der astronomischen Abteilung

Unmittelbar über dem der Astronomie gewidmeten Saale befinden sich die Apparate für Akustik und Optik. Die junge Dame, welche wir auf der Anfangsvignette erblicken, schaut dort durch einen Polarisationsapparat, dessen theoretisches Verständnis sich allerdings einer volkstümlichen Beschreibung entzieht. Wohl findet jedoch in der Praxis der Apparat vielfache Verwendung. So braucht ihn z. B. der Zuckersieder zur Prüfung der Güte feines Fabrikates; er führt dann den gelehrten Namen Saccharimeter.

Sehr leicht verständlich ist dagegen die Versuchsanordnung in dem Bilde S. 636. Sie soll die Reflexion des Schalles erläutern. Unter dem an der Decke befestigten metallenen Hohlspiegel ist eine Taschenuhr beweglich aufgehängt. Hält man sodann in der Weise wie der Herr auf unserem Bilde das Ohr in den unteren Spiegel hinein, dann hört man an einer bestimmten Stelle das laute Ticken der Uhr.

In der „Urania“ sind übrigens unmittelbar neben dein Schallspiegel auch Vorrichtungen aufgestellt, die die Reflexion des Lichtes, der Wärme und der elektrischen Strahlen nachweisen. Daß die Elektrizität ebenfalls eine Wellenbewegung ist und die gleichen Erscheinungen zeigt wie beispielsweise das Licht, wurde erst vor einigen Jahren von Heinrich Hertz nachgewiesen, dem es zuerst gelang, das Rätsel der Elektrizität zu enthüllen. Die vier Reflexionsversuche, welche die „Urania“ uns vorführt, geben einen direkten Beweis für die theoretische Ansicht der modernen Physik, daß alle Erscheinungen dieser Welt auf Wellenbewegungen zurückzuführen seien.

Neben dein Schallspiegel sehen wir auf unserem Bilde noch eine chemische Harmonika. Sie besteht aus vier sehr kleinen und empfindlichen Flämmchen, über welche je ein mehr oder minder langes Glasrohr gestülpt ist. Bei einer bestimmten Stellung der Röhren beginnen sich plötzlich die Flämmchen wie kleine Grenadiere zu recken und in vollen, aber eigentümlich schwellenden Accorden dem Hörer entgegen zu singen. Der Rotationsspiegel gestattet dann, die Bewegung der Flammen zu untersuchen.

Die Elektrizität als modernster Teil der Physik steht fraglos beim Publikum im Vordergrund des Interesses. Für die Elektrizitätslehre hat denn auch die „Urania“ einen besonderen Saal eingerichtet, in dem man über das theoretische und praktische Wissen der merkwürdigen Disciplin Aufklärung findet. Das neueste ist auch hier gleich in den Vordergrund gestellt. So werden z. B. in einem vortrefflichen Apparate die viel besprochenen Roentgen-Strahlen dem Auge sichtbar gemacht. Im übrigen sind sämtliche für die genauere Kenntnis der Elektrizität erforderlichen Instrumente in übersichtlicher Folge hier nebeneinander aufgebaut. Etwa innerhalb einer Stunde ist der Besucher des Saales imstande, sich die wichtigsten Kenntnisse mühelos zu erwerben, auf denen sich der erfolgreichste Teil der modernen Technik, die Elektrotechnik, stützt. Man überschaut ohne weiteres die innere Einrichtung einer Gleichstrom- oder Wechselstrommaschine und den verwickelten Aufbau, den der Drehstrom erfordert.

Auch die dem Nachrichtendienste gewidmeten Instrumente, also das Telephon und den Telegraphen, kann man in ihren einzelnen Entwicklungsstufen studieren. Der alte Morseapparat und der moderne Typendrucker, der die Depesche selbst druckt, sie sind beide nebst vielen Uebergangsstufen ausgestellt und dürfen von jedermann geprüft werden.

Von hervorragendem Interesse ist die hier gleichfalls aufgestellte, neueste Errungenschaft auf diesem Gebiete. Es gelang kürzlich dem Chef der englischen Telegraphen, Preece, und unabhängig von diesem dem Ingenieur Erich Rathenau in Berlin, mehrere Kilometer weit durch das Wasser hindurch ohne verbindenden Draht, also ohne Kabel zu telegraphieren. Die prächtigen Versuche Rathenaus, die im Wannsee bei Berlin ausgeführt wurden, werden im elektrischen Saal der „Urania“ ganz naturgetreu in einem verhältnismäßig kleinen Teiche demonstriert. Der Beobachter [636] gelangt zu der Einsicht, daß es in absehbarer Zeit möglich sein dürfte, in dieser Weise um die ganze Erde herumzusprechen.

Die großen elektrischen Maschinen selbst, die in der Praxis gebraucht werden, haben aus guten Gründen ihre Aufstellung in einem besonderen Maschinensaale gefunden. Unser oberes Bild auf S. 637 zeigt z. B. die gegenwärtig so viel verwendete Wechselstrommaschine. Eine schon recht bedeutende Gleichstrommaschine befindet sich im Maschinensaale fast fortwährend in Thätigkeit; sie ladet eine umfangreiche Accumulatorenbatterie, die wiederum des Abends die elektrischen Glühlampen in den Ausstellungssälen speist. Natürlich ist auch eine Drehstrommaschine als Dritte im Bunde hier vorhanden.

Von allen Errungenschaften der neueren Technik erfreuen sich augenblicklich die elektrischen Bahnen zumeist der Gunst weiterer Kreise. Im Maschinensaale finden wir ein neues System in voller Thätigkeit vorgeführt. Der kleine Wagen, der seinen Betriebsstrom von der Gleichstrommaschine empfängt, erleuchtet sich bei der Einschaltung und umfährt mit ziemlicher Geschwindigkeit einen etwa 30 Meter langen Schienenweg. Man hat es hier mit einer sehr gelungenen Wiedergabe der Langenschen Schwebebahn zu thun, die sich vorzüglich zur Entlastung sehr verkehrsreicher Straßen eignet und die neuerdings auch für Kolonialzwecke in Vorschlag gebracht wurde. Wie das Bild zeigt, rollt der Wagen nicht mittels seiner Räder auf den Schienen, sondern er hängt an den Radachsen. Hierdurch können die Geleise und der gesamte Oberbau verhältnismäßig leicht gebaut werden, und den Straßen wird nur wenig Licht entzogen. Die Maschinenhalle verdient ihren Namen durchaus; denn es wirken in ihr fast alle Kräfte. Man kann Nähmaschinen beobachten, die durch das Druckwasser der Wasserleitung in Thätigkeit versetzt werden, und Benzin-, Petroleum- und Heißluftmaschinen wirbeln hier ihre gewaltigen Schwungräder mit großer Geschwindigkeit. Thätige Dampfmaschinen dem Ganzen einzufügen, war nicht gut möglich, man hat sich daher mit Modellen begnügt, die durch Druckluft oder durch eine Kurbel mit der Hand in Bewegung zu versetzen sind. Der Maschinensaal in der „Urania“ könnte in der That einem Polytechnikum mittleren Grades als Ausstattung dienen.

Auch der Chemie ist ein eigener Saal im Berliner Institute gewidmet. Wenn diese Wissenschaft dem Laien bisher trocken und schwer zugänglich erschien, so kann er sich in diesen Räumen leicht davon überzeugen, daß seine Meinung irrig war. Gleich beim Eintritt erblickt er beispielsweise eine große Zahl von Lampen; von der ältesten Oellampe bis zur modernsten Gasglühlampe mit Strumpf. Es verkörpert sich hier gleichsam ein Kapitel aus der Kulturgeschichte.

Zweifellos sind diejenigen chemischen Prozesse am interessantesten, bei denen der elektrische Strom in seiner eigentümlichen, geheimnisvollen Weise eine Rolle spielt. Diesen Vorgängen ist denn auch ein sehr weiter Raum zugebilligt. Das gleiche gilt für die spektralanalytischen Untersuchungen. Es kommt hier auch dem Nichtfachmanne zum Bewußtsein, wie einfach und bewundernswert diese Forschungsmethode ist, die es ermöglicht, den chemischen Aufbau der Sonne und der fernsten Fixsterne zu ermitteln.

An einem recht drastischen Beispiele mag noch klargelegt werden, mit welchem pädagogischen Geschick man in der „Urania“ Naturwissenschaft treibt. Ein Erwachsener atmet 500 Liter Kohlensäure in 24 Stunden aus. Das entspricht genau 280 Gramm reiner Kohle. Um die Thatsache recht deutlich zu machen, hat man hier ein Tellerchen mit 280 Gramm reiner Holzkohle aufgestellt und daneben ein Zettelchen gelegt, welches besagt, daß das die tägliche Kohlenproduktion eines Menschen sei!

Auch die organischen Naturwissenschaften haben in der neuen „Urania“ eine Stelle gefunden. So ist z. B. dafür gesorgt, und zwar zumeist durch bewegliche und geschickt beleuchtete Modelle, daß der Besucher eine Vorstellung von den Funktionen der Sinnesorgane empfängt. Das Nah- und Fernsehen durch die Veränderung der Linse im Auge, die Lage und Thätigkeit der Gehörknöchelchen in der Paukenhöhle des Ohres kann leicht verfolgt werden.

Das Glanzstück im „organischen“ Saal bildet ein künstlicher, auf S. 637 [637] abgebildeter Brutapparat. Daß er vortrefflich funktioniert, dafür kann allein schon die Thatsache sprechen, daß der Raum fast einem Hühnerhofe gleicht, auf dem nur die Alten fehlen, und daß die kleinen, sehr zutraulichen Kücken, die hier aus dem Ei kriechen, gut geraten und frisch und gesund erscheinen, Nach den dem Berichterstatter gemachten Angaben soll das Brutergebnis mehr als fünfzig Prozent betragen.

In der Maschinenhalle.

Die Eier liegen in langen zum Teil mit Glas verschlossenen Kästen, in denen fortdauernd eine Temperatur von 40 Graden der hundertteiligen Skala herrscht. Die Wärme wird durch ein Wasserbad erzielt und durch Reguliervorrichtungen in der genannten Gradhöhe erhalten. Nach einer Periode von 19 Tagen schlüpfen die Kleinen aus. Auch sonst enthält der „organische“ Saal noch viel Sehenswertes. Sehr übersichtlich und verständlich ist z. B. die Thätigkeit der Seidenraupe vorgeführt; man kann sie und ihr kostbares Produkt in allen Entwicklungsstadien beobachten und sich der schönen glänzenden und fast metallisch leuchtenden Fäden freuen. Nicht minder werden die prächtigen Schmetterlings- und Käfersammlungen, die allerorten die Wände bedecken, sowie die seltsam gestalteten Wesen aus der Gruppe der Tausendfüßer, der Fische und Krebse die Herzen aller Sammler höher schlagen lassen und zugleich auch das Interesse des Städters für die kleine Welt, die außerhalb der Thore sich tummelt, erwerben und vertiefen.

Klimmt der Besucher der „Urania“ zu den höchsten Räumen des umfangreichen Gebäudes empor, dann kann er noch Aquarien und Terrarien und eine große Anzahl von Mikroskopen in Augenschein nehmen. Daneben giebt eine ziemlich umfangreiche Sammlung heimischer Giftschlangen Gelegenheit, diese gefährlichen Feinde kennenzulernen und zugleich die unheimliche Art zu studieren, in der das Gift auf das verletzte Tier wirkt. Auch eine Telephonanlage befindet sich in diesem Saale, durch welche man den musikalischen Aufführungen im Opernhause zu folgen vermag.

Wir bemerkten im Eingange, daß augenblicklich auf dem Uraniatheater eine Reise durch den St. Gotthard vorgeführt wird. Im kleinen Oberlichtsaale des Institutes ist der mächtige Gebirgsstock plastisch zur Darstellung gebracht, und eine kleine, durch einen elektrischen Motor betriebene Eisenbahn beschreibt in lebendigster Anschaulichkeit die Kurven, in denen sich die Züge der Gotthardbahn bewegen.

Brutofen.

Schon seit geraumer Zeit ist kein Sterblicher mehr fähig, die Menge der Fortschritte, die auf naturwissenschaftlichem Gebiete täglich errungen werden, zu überblicken oder sie gar verständnisvoll in sich zu verarbeiten. Er muß sich, auch wenn er seine ganze Zeit der Wissenschaft widmen kann, mit einem nur sehr eng umgrenzten Gebiet begnügen. Dennoch ist es durchaus für den Forscher geboten, mit allen wichtigen Neuerungen und Erweiterungen vertraut zu bleiben, um nicht den befruchtenden Zusammenhang mit der Gesamtheit zu verlieren, dazu dienen die wissenschaftlichen Zeitschriften. Auch nach dieser Richtung hat die Direktion der „Urania“ dem Bildungstriebe des Publikums Rechnung getragen. Ein geräumiger heller Saal hinter dem Theater wurde von ihr mit einer gewählten Bibliothek ausgestattet, die zugleich die wichtigsten naturwissenschaftlichen Zeitschriften enthält.

Daß die Direktion es verstanden hat, aus der Ueberfülle des Gebotenen das für volkstümliche Zwecke Brauchbare auszuwählen, daran wird man nicht zweifeln, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die „Urania“ selbst die Herausgeberin der angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschrift „Himmel und Erde“ ist.

Mit solchen Mitteln ausgestattet, erweist sich die Berliner „Urania“ in der That als ein wichtiges Institut zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Bildung. Wir wünschen ihm weitere Blüte; hoffentlich aber wird sein Beispiel über kurz oder lang nicht vereinzelt dastehen, sondern auch andere deutsche Großstädte zur Gründung ähnlicher Bildungsanstalten veranlassen.