Fritz Reuters Briefe an seine Braut

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Johannes Proelß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Fritz Reuters Briefe an seine Braut
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35–38, S. 587–592, 600–604, 618–622, 638–643
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[587]

Fritz Reuters Briefe an seine Braut.

Nach den Originalen im Nachlaß der Witwe.
Erläutert von Johannes Proelß.


Als Fritz Reuter in der schönen stillen Villa bei Eisenach, die er sich 1863 vom Ertrag seiner Werke am Fuße der Wartburg erbaut hatte, gemeinsam mit seiner geliebten Frau die schwer errungene Muße seines Lebensabends genoß, überraschte ihn eines Tages ein prächtiges Geschenk von der Hand ihm unbekannter Verehrerinnen. Es war ein besonders reich und kunstvoll gestickter Teppich mit Emblemen, die auf die Dichtkunst Bezug hatten. Bei aller Freude, die der Dichter über die liebenswürdige Gabe empfand, konnte sich sein Humor doch nicht versagen, in seinem Dankschreiben die kostbare Stickerei als „gar zu schön für ihn“ zu bezeichnen; „die Damen jedoch,“ fügte er hinzu, „sind vollständig entschuldigt, weil dieselben meine etwas derbe, plattdeutsche Person nicht kennen und sich in mir etwa einen amaranthnen Oskar von Redwitz oder einen veilchenblauen Novalis gedacht haben.“

Die „etwas derbe plattdeutsche Person“, die als des Dichters Abbild in den selbstbiographischen Romanen „Ut mine Festungstid“ und „Ut mine Stromtid“, vom heiteren Glanze seines Humors verklärt, unsterblich weiterlebt, hat denn auch wahrlich nicht das mindeste mit der Figur eines romantisch gestimmten modernen Minnesängers gemein! Und die Forscher, welche wie Adolf Wilbrandt Reuters thatsächlichem Lebensgang hingebend gefolgt sind und uns sein Charakterbild nach der Wirklichkeit gezeichnet haben, konnten uns nur bestätigen, wie sehr dies poetische Abbild dem persönlichen Wesen des Dichters entsprach. Tiefeingewurzelt in dem heimatlichen Boden des mecklenburgischen Plattlands, dessen Volkstum er uns ohne Schminke und Firnis in all seiner herben Frische und derben Fröhlichkeit geschildert hat, war und blieb allezeit auch sein Wesen. Und wie er seinen Inspektor Bräsig, seinen Karl Hawermann, wenn’s die Gelegenheit fordert, vor uns hintreten läßt mit den Spuren der Feldarbeit an den hohen Stulpstiefeln, gleichviel, ob’s Erntezeit oder Zeit fürs Mistfahren ist –, wie er seine mecklenburgischen Bauern, Küster und Stadtphilister daherreden läßt, wie ihnen der plattdeutsche Schnabel gewachsen ist, so war’s dem Stavenhagener Bürgermeisterssohn auch für seine Person ein Bedürfnis, sich in Reden und Thun als echtes mecklenburgisches Landkind zu geben und auch die Regungen des tieferen Gefühls gern hinter Scherz und Ironie zu verbergen.

Aber freilich, wie Reuters urkräftiger Humor die launige Darstellung menschlicher Beschränktheit und Thorheit stets mit dem freundlichen Sonnenlicht warmherziger Menschenliebe durchleuchtet hat, so hatte all sein Schauen und Schaffen ein gar liebreiches Herz zum Urquell. Die „Treuherzigkeit“, wie er sie aus sich heraus so vielen seiner komischen Gestalten verliehen, war die Grundeigenschaft seines echt naiven Gemütes, und wo er in seinen Werken die Liebe von Herz zu Herzen zu schildern unternahm, ob in ihrer ersten noch kindlichen Regung, wie in der Liening- und Miening-Idylle, oder im Ausbruch heftiger Leidenschaft, wie in „Kein Hüsung“, ob als festgegründetes Eheglück, wie an dem Gürlitzer Pastorspaar, da offenbarte er einen tiefen, keuschen Respekt vor der Heiligkeit ihres Waltens. Was er selbst als Liebender erlebte, hat er – so gern er sonst sein Erleben zum Vorbild seines Dichtens machte – zwar nirgends direkt erzählt, aber der Duft reinster Auffassung überhaucht die Kapitel, die in seinen Dichtungen von treuer Herzensneigung und ehrlicher Liebeswerbung handeln. Auch die scherzhafte Erzählung „Woans ich tau ’ne Fru kamm“ giebt kein direktes Bild von seiner eigenen Verlobung, aber im Preise der Ehe, wie sie, klingt auch die erste seiner größeren Dichtungen, die „Reis’ nach Belligen“, aus, in der es am Schluß heißt:

„Mit den uns’ Herrgott meint dat tru,
Den giwwt hei eine gaude Fru!“

So konnte denn auch das anziehende Bild von der Ehe des Dichters nicht überraschen, als nach seinem Tode Freunde von ihm sein häusliches Glück zum Gegenstand öffentlicher Schilderung machten. Dies geschah zum erstenmal und sogleich nach der besten Quelle durch den Romanschriftsteller Friedrich Friedrich, der sich, dem Beispiel des Reuterschen Ehepaars folgend, anfangs der siebziger Jahre in Eisenach angesiedelt und mit jenem seitdem in freundnachbarlichem Verkehr gestanden hatte. Sein Aufsatz „Fritz Reuters Louising“, der, durch eine Niederschrift von dieser selbst ergänzt, im Jahrgang 1874 der „Gartenlaube“ erschien, ist für alle späteren Biographen Reuters eine wichtige Quelle geworden. Er schrieb denselben, wie schon Frau Reuters Mitarbeit beweist, welche sich auf ihres Gatten litterarische Anfänge bezog, in Uebereinstimmung mit dieser, die in ihrer schlichten Art dabei gewiß nicht auf Anerkennung und Lob ihrer eigenen Verdienste ausging, dagegen überzeugt war, daß zur vollen Wertschätzung und richtigen Beurteilung gerade ihres Mannes diese Ergänzung nicht fehlen dürfe. Es gewährte da einen besonderen Reiz, zu erfahren, wie Reuter, der erst im 43. Lebensjahr, dem zweiten seiner Ehe, dazu kam, sein erstes Buch, die „Läuschen un Rimels“, herauszugeben, überhaupt erst in der Umfriedung seiner Ehe das Zutrauen zu seinem Talente gefunden hatte, um öffentlich als Dichter aufzutreten. Und als dann später dem Biographen Reuters, Adolf Wilbrandt, es durch das Vertrauen von Frau Luise Reuter gestattet war, den Schleier diskret zu lüften, der bis dahin die langwierigen inneren Kämpfe, die dem Ehebunde vorausgegangen waren, verhüllt hatte, da war dieser Einblick um so ergreifender, als man sich die Vorgeschichte des letzteren nicht idyllisch genug hatte ausmalen können. Wohl war diese Werbe- und Wartezeit von sechs Jahren den sozialen und lokalen Verhältnissen nach, unter denen sie sich abspann, idyllisch genug, idyllisch wie die von fruchtbarem Acker- und Wiesenland umrahmten Rittergüter, Landstädtchen und Landpfarreien, welche in „Ut mine Stromtid“ den Schauplatz bilden, und wie die benachbarten Güter Demzin und Rittermannshagen gelegen sind, auf denen der schon in den Dreißigen stehende Oekonomievolontär Fritz Reuter und die um zehn Jahre jüngere Pastorstochter Luise Kunze sich kennenlernten. Aber sie war überschattet von den tragischen Nachwirkungen, welche die lange Gefängnis- und Festungshaft, mit der er sein patriotisches Schwärmen als Burschenschafter zu büßen gehabt, über das ganze Leben dieses grundedlen Mannes, namentlich aber über das dieser schweren Leidenszeit folgende Jahrzehnt, gebracht hat.

Nun ist auch vor zwei Jahren Reuters Frau ins Jenseits hinübergeschlummert, sie, die seine Muse zwar nicht in dem Sinne war, daß sie selbst und die Liebe zu ihr den Gegenstand seiner Poesie gebildet hätten, aber doch insofern, daß sie die Retterin und Hüterin des goldnen Schatzes wurde, der in Fritz Reuter bis zu seiner Ehe so gut wie ungehoben schlummerte und den er erst unter dem Segen derselben umzumünzen lernte in die poetischen Gaben seines schöpferischen Humors.

Aus ihrem Nachlaß treten jetzt die Briefe, die er in jener Prüfungszeit an sein „Louising“ geschrieben, in der „Gartenlaube“ zum erstenmal, soweit sie vorliegen, vollständig ans Licht; in [588] demselben Blatte, das vor 22 Jahren zuerst der Nation bekannt gab, was diese edle deutsche Dichtersfrau ihrem Manne gewesen ist. Und wer nun diese Liebesbriefe Reuters, von denen bisher durch Wilbrandt nur einige wenige teilweis veröffentlicht wurden, im Zusammenhange liest, der wird mit Erstaunen und gewiß auch inniger Sympathie erkennen, wie zart und glühend seine „etwas derbe plattdeutsche Person“ in der Zeit, da er mit heißer Inbrunst um Liebe warb, seine Gefühle zu äußern wußte.

Er wird mit uns fühlen, wie der urwüchsige, kernhafte Poet, der in unserer Litteratur als der größte Humorist des Jahrhunderts dasteht, die heilige Glut der Liebe noch inniger empfunden hat als so mancher andere Dichter, der nach Minnesängerart seine Leier zeitlebens zum Preise der Liebe gerührt hat. Und nicht ohne ein leises Lächeln wird er daneben wahrnehmen, wie die spätere „derbe plattdeutsche“ Art des Dichters seinen damaligen Antrieben doch nicht entsprach, sondern diese letzteren, wie die dem ersten unserer Briefe eingeflochtene Parabel und andere Gedichte an seine Braut, die erst kürzlich veröffentlicht wurden, beweisen, fein hochdeutsch bethätigte – wenn auch nicht gerade in „amaranthener“ oder „veilchenblauer“ Farbenstimmung.

Drei Werke sind im letzten Jahre hervorgetreten, welche über die Jahre Reuters, aus denen seine Briefe an die Braut stammen, nähere Auskunft geben und daher zur Erläuterung derselben wertvolles Material bieten. Es sind die Bände: „Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen“ von Karl Theodor Gaedertz, der sich schon durch seine „Reuter-Reliquien“ und „Reuter-Studien“ ähnliche Verdienste erwarb, „Fritz Reuter in seinem Leben und Schaffen“ von A. Römer und „Wahrheit und Dichtung in Fritz Reuters Werken“ von Gustav Raatz. Alle drei Bücher sind mit Porträts und Ansichten geschmückt, die uns den Dichter, seine Angehörigen und Freunde und seine mecklenburgische Heimat vergegenwärtigen, zum Teil nach Originalen von Reuters Hand. Es soll unsere Aufgabe sein, auf Grund dieser Feststellungen den Inhalt der Briefe an seine Braut dem Verständnis der Leser noch näher zu bringen.


Die tragischen Nachwirkungen seiner „Festungszeit“, welche dem Dichter die Gründung eines eigenen Herdes so schwer machten, wurden ebensosehr von der Unsicherheit seiner Existenz wie von dem Leiden verursacht, das er als Folge des ungesunden Lebens in Gefängniszellen und Festungskasematten ins bürgerliche Leben mit hinüber genommen hatte. Durch die langjährige Haft, die das juristische Studium des Burschenschafters unterbrach, war er demselben entfremdet worden, und es bedurfte wiederum vieler Jahre, bis er zur Erkenntnis seines eigentlichen Berufs kam und es wagen konnte, auf diesen seine Existenz zu gründen. Erschwert aber wurde ihm der Gewinn bürgerlicher Selbständigkeit weiter durch die traurige Krankheit, die ihm sein gesunder Studentendurst und das Bedürfnis nach schlafbringenden Getränken im Gefängnis zugezogen hatte, wo die unzureichende Kost und der Mangel an Bewegung seine einst so kräftige Konstitution von Jahr zu Jahr mehr untergruben – jene Neurose des Magens, die, wie Wilbrandt in seiner Reuter-Biographie des näheren auseinandergesetzt hat, den von ihr Befallenen zu periodisch wiederkehrenden Excessen im Trinken zwingt, welche die Naturheilkraft als befreiende Krisen fordert und gegen die der moralische Wille nicht anzukämpfen vermag. Und doch hielt Fritz Reuter selbst, hielt sein Vater und dann auch für längere Zeit das geliebte Mädchen diese häßlichen Anfälle einer Krankheit für Ausschreitungen moralischer Schwäche!

Wie der Dichter wiederholt hervorgehoben hat, bietet sein Buch „Ut mine Festungstid“ ein vom Humor sehr verklärtes Bild des furchtbaren Elends, das er sieben Jahre lang – erst im letzten, auf Dömitz, fand er bessere Behandlung – hinter Kerkergittern hatte ertragen müssen. Als ein blühender kraftstrotzender Jüngling voller Lebenslust und von heiterster Sinnesart war er von den Häschern der damaligen preußischen Polizeijustiz mitten aus dem freien frischen Studentenleben und dem des Zieles sicheren Bildungsgang als Jurist herausgerissen worden; gebrochen an Leib und Seele verließ er – ein Dreißigjähriger – im Herbst 1840 die letzte seiner Gefängnisstationen, um in das väterliche Haus zurückzukehren. – „Sieben verlorene Jahre!“ – Der Gedanke verbitterte ihm unsäglich die Freude an der endlich gewonnenen Freiheit und die Frage: „Was nun?“ legte sich gleich Bleigewichten auf des Heimkehrenden Seele. Beim Zurückerinnern an seine Gefängnisleiden konnte sein Humor in den späteren Jahren voll glücklichem Lebensbehagen „Feigen von den Disteln pflücken“; an jene Tage der Rückkehr ins Leben gedenkend, läßt er im Schlusse seines „Festungs“-Buchs die Verzweiflung zum Wort: er erzählt, wie die Frage, was nun aus ihm werden solle, sich zwischen ihn und seinen Vater gedrängt, wie sie ihm das Leben vergällt habe – lange Jahre hindurch. „Ick grep hir hen, ick grep dor hen, nicks wull mi glücken … ick was sihr unglücklich, vel unglücklicher as up der Festung!“

Die Verhältnisse im Vaterhaus erschwerten es ihm, den rechten Weg zum Vorwärtskommen zu finden. Die zärtlich geliebte Mutter war tot. Der Bürgermeister von Stavenhagen, ein strenger ernster Mann, bereits hoch in den Sechzigern stehend, hatte sich allmählich daran gewöhnt, den einzigen Sohn als einen „verlornen“ zu betrachten; er machte jetzt mit Nachdruck seinen Willen geltend, daß Fritz das juristische Studium neu aufnehme und beende. Diesem jedoch war die ganze Jurisprudenz verleidet nach all der Unbill, die ihm von den berufenen Hütern des Rechts widerfahren war. Auf der Festung hatte er sein hübsches Zeichentalent bedeutend vervollkommnet; so war z. B. auf Dömitz die ganze kinderreiche Familie des Kommandanten von Bülow von ihm porträtiert worden; wie schon als Gymnasiast empfand er auch jetzt den Wunsch, Maler zu werden. Aber sein Vertrauen in die Stärke seines Talents war doch nicht groß genug, um diesen Wunsch dem Vater gegenüber, der von demselben nichts hören wollte, mit Nachdruck zu vertreten. Dagegen bat er den Vater, ihn Landwirt werden zu lassen; die Neigung dazu war in ihm gleichfalls schon früher vorhanden gewesen und hatte im Gefängnis an Stärke zugenommen, ihn auch zum Studium landwirtschaftlicher Werke veranlaßt. Hatten doch das Vorbild und die Oekonomie des Vaters, der ganze Charakter seiner im wesentlichen vom Landbau lebenden Vaterstadt schon in dem Knaben das Interesse dafür erregt! Auch war es früher der Wunsch des Vaters gewesen, sich in seinem einzigen Sohn einen Nachfolger sowohl in der Bürgermeisterei wie in der Verwaltung seiner landwirtschaftlichen Anlagen heranzuziehen. Jetzt aber lagen die Dinge anders! Die beiden Halbschwestern Reuters, Lisette und Sophie, waren während der Jahre seiner Kerkerhaft herangewachsen und hatten sich verheiratet. Die ältere, Lisette, führte dem Vater zu dessen größter Zufriedenheit die Wirtschaft und that dies auch weiter als die Gattin eines städtischen Beamten; der Mann der zweiten Schwester stand als technischer Leiter an der Spitze der Bierbrauerei, welche der Bürgermeister nach bayrischem Muster angelegt hatte. Bei der Verheiratung der Töchter hatte er diese zu Erbinnen seiner Oekonomie eingesetzt, während dem Sohn, der ja Richter oder Advokat werden konnte, nur der entsprechende Zinsgenuß zugedacht wurde. Raatz berichtet, daß diese Verfügungen zwar unter Zustimmung des Sohnes, während er auf Dömitz saß, erfolgt seien, daß aber das Verhalten des Vaters in dieser Angelegenheit in dem Gefangenen eine tiefe Verbitterung hervorgerufen habe, die er die Schwestern freilich nicht entgelten ließ. In den neuerdings von Franz Engel herausgegebenen „Briefen Fritz Reuters an seinen Vater aus der Schüler-, Studenten- und Festungszeit“ findet sich ein Brief des Bürgermeisters an den nach Heidelberg zur Fortsetzung des juristischen Studiums gegangenen Sohn, in welchem er ihn nochmals vor der „Landmann-Carriere“ warnt und in ernsten Worten wiederholt, daß er über den eigenen landwirtschaftlichen Besitz zu gunsten der Schwestern verfügt habe.

Dennoch setzte Fritz seinen Willen durch. Sein Versuch, sich in Heidelberg nochmals mit dem Studium der Pandekten zu befreunden, mißlang vollständig. Die in ihm so lange unterdrückte, hier endlich wieder erwachende Lebenslust atmete anfangs auf, als er sich in der Studentenwelt als Märtyrer des Burschentums geehrt und gefeiert fand, sie drängte ihn bald aus den Hörsälen, auf deren Bänken er sich inmitten der viel jüngeren Scholaren alt und einsam vorkam, zum Genuß der endlich – endlich wiedergewonnenen Freiheit. Aber unter dem Druck der beständigen väterlichen Mahnungen zu Fleiß und Solidität, der Einsicht, daß er zum Juristen nicht mehr tauge, der üblen Folgen, welche ein sorgloses Kommersieren nach alter Studentenart seiner Gesundheit zuzog, wich das verspätete Aufflackern der Burschenlust einer [590] lastenden Schwermut. Die Thäler und Höhen der schönen Umgebung Altheidelbergs sahen ihn jetzt viel als einsamen Wanderer, düsteren Grübeleien über sein verfehltes Leben verfallen; unter dem Eindruck der fruchtbaren Landschaft reifte in ihm dabei der Entschluß, trotz der Ungunst seiner Aussichten und der Widerrede des Vaters doch noch Landwirt zu werden. Er kehrte heim, freilich nicht ohne daß es vorher zwischen der starren väterlichen Gewalt und seiner Willensschwäche zu einem schweren Konflikt gekommen wäre. Wenn auch widerstrebend, willigte jetzt der Vater in die neue Berufswahl. Fritz wurde „Strom,“ d. h. Volontär auf einem Gut; seine von ihm nachmals so köstlich geschilderte und poetisch verherrlichte „Stromtid“ begann. An Alter und Erfahrung ein Mann, war er nach Amt und Beschäftigung wieder ein Anfänger. Erst gab ihm ein Aufenthalt bei seinem Onkel Pastor in Jabel, einem gemütlichen Manne, dann die Oekonomie des Vaters Gelegenheit, sich mit der Landwirtschaft praktisch vertraut zu machen; im nächsten Jahr kam er nach Demzin, einem Gut, das zur gräflich Hahnschen Herrschaft gehörte, in der Nachbarschaft Stavenhagens. Mit dem Schwager seines Lehrherrn, Fritz Peters, der auf Thalberg bei Treptow an der Tollense Pächter war, schloß er innige Freundschaft, und nach Beendigung der Lehrzeit folgte er dessen Einladung, zu ihm zu ziehen, um sich in den angenehmen Verhältnissen auf Thalberg an der Seite dieses lebensfrohen, geistig regen, fortschrittlich gestimmten Landwirts, der sich kurz vorher verheiratet hatte, weiter für die spätere Uebernahme eines Guts auszubilden.

Unter dem frischen Anhauch dieses Lebens in der freien Natur erholte sich Reuters Wesen zu neuer Blüte. All die reichen, in der Gefangenschaft verkümmerten Gaben seines Geistes und Gemütes kamen bei der gesunden Thätigkeit auf Feld und Wiese, im Verkehr mit anregenden Persönlichkeiten, die an seiner liebenswürdigen Unterhaltsamkeit Gefallen fanden, in der Berührung mit den verschiedensten Vertretern des heimatlichen Volksschlags, die sich – zunächst ihm unbewußt – in seinem Innern zu Modellen für seine spätere humoristische Dichtung auswuchsen, zu kräftiger Entfaltung. Während er mit Fleiß den Obliegenheiten eines Fritz Triddelfitz nachging, reifte in ihm die humordurchtränkte, dem Ackerboden der Heimat entsprossene Weltweisheit seines Bräsig. Seine litterarischen Neigungen, schon in der Schule gehegt, erwachten wieder; sein immer reges poetisches Jmprovisationstalent fand in dem geselligen Leben vielfältige Gelegenheit, sich zu bewähren; aus seinen Lieblingsdichtern Scott und Dickens las er dem jungen Petersschen Ehepaar begeistert vor; seine naive Lust an humoristischem Geplauder und Anekdotenerzählen machte ihn zum Mittelpunkt der Unterhaltung in allen Freundeskreisen, in der Familie ebenso wie am Wirtstisch. „Landluft und Landbrot,“ schrieb er später im dankbaren Gedenken an diese Zeit, „und Gottes Herrlichkeit ringsherum, bloß zum Zulangen, und immer was zu thun, heut’ dies und morgen das; aber alles in der besten Regelmäßigkeit und im Einklang mit der Mutter Natur, das macht die Backen rot und den Sinn frisch, das ist ein Bad für Leib und Seele, und wenn die Knochen und Sehnen auch einmal müde werden und auf den Grund sinken wollen, die Seele schwimmt immer lustig oben! Ich segne die Landwirtschaft, sie hat mich gesund gemacht und mir frischen Mut in die Adern gegossen.“

Nur in einer Beziehung gesundete er nicht; jene tückische Krankheit, deren Auftreten sich ganz unabhängig von dem keineswegs übertriebenen Maße vollzog, in dem er unter Freunden bei heiteren Gesprächen den herzstärkenden und den Sinn fröhlich stimmenden Gaben des Bacchus zusprach, überfiel ihn wieder und wieder, wenn auch oft nur in langen Zwischenräumen. Und der grämliche Vater, der von einem „ordentlichen“ Landwirt mit Recht einen anderen Begriff hatte als dem lustigen Treiben seines Sohnes auf Thalberg entsprach, beurteilte jene Anfälle mit herber Strenge als abschreckende Symptome eines ihm nur „liederlich“ erscheinenden Lebenswandels. Er machte dem Sohne darob die bittersten Vorhaltungen und der verächtliche Ausruf „Ut em ward nix!“ wurde zum Kehrreim seiner absprechenden Aeußerungen über den „Ungeratnen“. Ja, noch mehr – als er am 22. März 1845 an der Schwelle des 70. Lebensjahrs gestorben war und der aufs tiefste erschütterte Sohn ihm pietätvoll die letzten Ehren erwiesen hatte, mußte dieser zu seinem Entsetzen und seiner tiefsten Demütigung erfahren, daß die Abneigung und die falsche Beurteilung des alten Mannes ihn auch noch übers Grab hinaus zu strafen bemüht war. In seinem letzten Willen hatte Bürgermeister Reuter, wie A. Römer berichtet, sein Vermögen auf rund 15 000 Thaler veranschlagt und unter seine drei Kinder verteilt. Der Sohn sollte das Kapital jedoch erst bekommen, wenn er vier Jahre hintereinander sich von dem „Laster der Trunksucht“ freigehalten hätte. Bis dahin sollten ihm nur die Zinsen zufließen, und auch diese sollte er zu gunsten der Schwestern verlieren, wenn er – heiraten würde. Die Schwestern, mit denen übrigens Fritz Reuter sein Leben lang auf gutem Fuß blieb, haben später auf dieses Recht verzichtet und dem Bruder auch weiter den Zinsgenuß überlassen; aber unter dem Eindruck des Testaments mußte der so Getroffene alle Pläne, die sein wieder hoffnungsfrohes Gemüt ins Blau der Zukunft gebaut hatte, als meuchlings vernichtet ansehen!

Und zu diesen Plänen gehörte die Absicht, als Pächter eines Landguts, sobald als möglich ein eigen Heim zu begründen, an dessen Herd ein geliebtes Weib walten sollte! Das Eheglück, das er an dem Freundespaar Peters auf Thalberg täglich vor Augen sah, hatte diese Sehnsuchtsträume geweckt: sein einziger Verwandter, der ihm als vertrauter Freund zur Seite stand, der Pastor Reuter in Jabel, hatte ihm oft zugeredet, dies Ziel ins Auge zu fassen, und gerade in der Zeit vor dem erneuten Schiffbruch seiner Lebenshoffnungen hatte er auch das Mädchen näher kennengelernt, dem er in seinen Träumen die Rolle der Hausfrau am eigenen Herde zuwies, die Predigerstochter Luise Kunze aus Roggensdorf bei Lübeck, die in dem Dorf Rittermannshagen als Erzieherin in der Familie des Pastors Augustin lebte. Anmutig von Gestalt und Wesen, von Natur heiter und für Humor empfänglich, der ihre braunen klugen Augen lustig aufblitzen ließ, hatte sie gleich beim ersten Begegnen einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, der noch verstärkt wurde, als ihm Gelegenheit ward, sie als Sängerin zu bewundern. Der Wunsch „sie oder keine!“ war mächtig in ihm geworden. Und jetzt sah er sich für den Fall der Verheiratung völlig enterbt! Den Fluch, den er später in „Kein Hüsung“ in ergreifender Tragik geschildert hat: bei treuer Liebe im Herzen kein Heim – kein Hüsung – zu haben, in das die Geliebte als Gattin einziehen darf, und keines erhoffen zu können, hat damals der Dichter im eigenen Herzen erlebt! Die Qual jener Tage, in denen ihm die unveränderte Freundschaft des Petersschen Ehepaares Trost und Halt gewährte, tönt zitternd in den ersten Briefen nach, die Reuter an die im nächsten Jahre dann doch zur Braut Gewonnene schrieb.

Aber dieses erschütternde Erlebnis mit seiner Demütigung, mit seinem quälenden Stachel, wirkte, nachdem der unverwüstliche Lebensmut Reuters sich auch mit ihm abgefunden, als ein mächtiger Sporn auf all die guten Kräfte seines Wesens. Nicht nur, daß er den Kampf gegen jenes Leiden, das er selbst als Schwäche empfand, mit einer Energie aufnahm, die ebenso rührend wie bewundernswert ist, daß er als Oekonom den Pflichtenkreis, den ihm die Freundschaft auf Thalberg bot, mit größerem Ernst als je zuvor und mit vollem Einsatz seines Könnens auszufüllen bestrebt war, er begann auch, seinem litterarischen und poetischen Talente, das er bisher fast nur zum Ausschmuck geselliger Feste verwendet hatte, ernstere Beachtung zu widmen und in seinen Entwürfen, wie er trotz alledem doch noch auf einen grünen Zweig gelangen könne, als Faktor in Betracht zu ziehen. Von Liebigs geistvollen Reformideen für die Anwendung der Chemie auf die Landwirtschaft angeregt, dachte er unter Zustimmung seines Freundes Peters und anderer Gesinnungsgenossen daran, sein Wissen und Können als Schriftsteller in den Dienst derselben zu stellen. Er studierte eifrig die Werke auch anderer landwirtschaftlicher Reformer, wie Thaer, und bereitete sich vor, Mitarbeiter oder Redakteur einer landwirtschaftlichen Zeitschrift zu werden. In der Poesie fand sein Herz jetzt ein Mittel der Selbstbefreiung und Wiederaufrichtung; sein Humor, den er bis dahin litterarisch nur zu Polterabendscherzen und Julklappversen verwertet hatte, bemächtigte sich der Formen der sozialen Satire, und in seinem Geiste begannen die Gestalten seiner späteren Dichtungen – nun für ihn bewußt – ihren poetischen Werdeprozeß.

An diesem für den Dichter Reuter, den wir alle kennen und lieben, entscheidenden Aufschwung war die Liebe zu dem Mädchen seiner Wahl aufs innigste beteiligt. Sein Ehrgeiz fühlte sich herausgefordert, der Geliebten zu zeigen, daß er wahrhaftig nicht der verlorene Sohn sei, für den ihn sein Vater gehalten, und das ihn jetzt überkommende Vorgefühl der in ihm schlummernden [591] Dichterkraft und Poetenbestimmung gab seinem Werben hinreißende Macht. Während er daran ist, seine erste, noch hochdeutsche, humoristische Schilderung aus dem heimatlichen Volksleben für den Druck fertigzustellen, die geistreich heitere Satire „Ein gräflicher Geburtstag“, die 1846 in dem von W. Raabe herausgegebenen Jahrbuch „Mecklenburg“ erschien, findet er den Mut, der Geliebten sein Herz zu enthüllen und sie einzuweihen in seine Hoffnungen für die Zukunft und die Hoffnungslosigkeit seiner gegenwärtigen Lage. Ein Fest in Demzin bei seinem früheren Lehrherrn, zu welchem sie beide eingeladen waren, bot die Gelegenheit. Eine leidenschaftliche Aussprache erfolgte; er rief ihre Liebe an als die ihm von Gott bestimmte Retterin aus all seiner seelischen Bedrängnis. Wohl fühlte sich Luise zu dem stürmischen Bewerber hingezogen, tiefe Teilnahme erfüllte sie für sein Schicksal, das ihn so schwere Prüfungen schon hatte ertragen lassen, aber mächtig waren auch die Bedenken, die sich in ihr gegen ein übereiltes Verlöbnis mit dem so liebenswürdigen und doch auch so abenteuerlichen Manne auflehnten. Vergeblich bemühte er sich, dieselben schon jetzt zu beseitigen; aber dem halb „erzwungenen Kusse des Mitleids“ folgte doch schon jetzt die Erlaubnis, ihr schreiben zu dürfen, und die Zusage, ihm antworten zu wollen. Die ihm wohlgesinnte, schöngeistig veranlagte Frau seines Arztes in Stavenhagen, Dr. Liebmann, hatte er ausersehen, die Vermittelung des heimlichen Briefwechsels zu übernehmen.

Die Begegnung hatte am Tage vor seinem sechsunddreißigsten Geburtstag, am 6. November 1846, stattgefunden. Noch am Abend desselben Tages setzte er sich hin, ihr zu schreiben. Dieser erste Brief ist in drei verschiedenen Abschnitten teils in Thalberg, teils in Stavenhagen, wo seine Schwester Lisette ihm eine Stube bereit hielt, am 6., 7. und 9. November geschrieben. Er ward von einer kräftigen Reaktion seines Selbstgefühls auf die Bedenklichkeit der Geliebten diktiert. Mündlich hatte er ihr seine Fehler, seine Schwächen, seine unglückliche Lage gestanden; jetzt hat er das Bedürfnis, ihr zu sagen, daß er sich dennoch ihrer Liebe wert hält. Leider fehlt der Anfang des Briefes; doch geht aus einer späteren Stelle hervor, daß er poetischen Inhalts war; die erste Seite des uns Erhaltenen hebt an mit dem Schluß eines Satzes, der auf seinen Beitrag in Raabes Mecklenburger Jahrbuch hinweist. Noch giebt er sich ganz als Landmann, der das Glück, das er für sich und die Geliebte erhofft, an die Bewirtschaftung eines Gutes gebunden glaubt; aber dieser Landwirt ist ein Reformgeist, der zur Zeit, statt seinen eigenen Acker zu bestellen, seine Kräfte den allgemeinen Interessen der Landwirtschaft widmet, er ist ein Poet, welcher der ländlichen Welt die Bilder zu dem Bekenntnis entnimmt, daß sein Herz einem wohl guten, aber verwilderten Acker gleiche, den von allem Unkraut zu befreien, die Bestimmung der Geliebten sei. Und dieser Poet wird zum Propheten: das ganze Schicksal seiner Ehe, wie sie sich später nach fünf Jahren des Langens und Bangens zu gestalten begann, findet sich in dem Schluß dieses Gedichtes vorgezeichnet: wenn sie erst den Acker gejätet haben werde, dürfte er einst ihr reiche Ernte tragen – tausendfältig! Doch hören wir den Dichter nun selbst:


„…. Die Richtung, die ich einschlage, und mit mir eine gewisse Anzahl anderer, ich kann dreist sagen, intelligenter Landleute, wird von den Anhängern der alten Schule bespöttelt und als Bücherwissen lächerlich gemacht; aber glauben Sie mir, das ist nichts anders, als das Gefühl der Unlust dieser alten Schiendrianisten, das in ihnen durch die Betrachtung hervorgerufen wird, ihre Art zu wirthschaften habe sich überlebt und sie selbst seien zu alt, zu bequem oder zu reich, um den neuen Weg einzuschlagen. – Sehen Sie, da haben Sie sogar eine Art landwirthschaftlichen Glaubensbekenntnisses. Nicht wahr? ich erschöpfe Ihre Geduld, erst mit Poesie und nun mit Landwirthschaft. –

Gute Nacht, süße Luise, ich werde diese Nacht gewiß träumen von 6–8 Last culturfähigen Bodens und dreischüriger Wiesen und von mir als Herrn darauf und von Ihnen als meiner Herrin. Und über Jahr und Tag soll’s kein Traum mehr sein, sondern die handgreifliche Wirklichkeit, wenn Sie es so wollen. Darum gute Nacht! schöne Herrin der 6 Last culturfähigen Ackers und der dreischürigen Wiesen und möge der lustige Gott der Träume mich Ihnen vor die Augen führen in landwirthschaftlichen Stulpenstiefeln und Sporen und grünem goldbeknopften Jagdschniepel, die Reitpeitsche in der Hand und den Mund voll Sport, damit Sie morgen lachen können und meinen Geburtstag heiter begehen; – ach! wie gerne hörte ich Sie lachen! Gute Nacht!


      d. 7ten Nov.

Mädchen! rief der Vater seinen Kindern,
Will euch geben den verheißnen Acker,
Daß ihr reiche Erndten drauf gewinnet,
Reich an Garben und an weichem Flachse,
Weiße Brodte euch daraus zu backen,
Weiße Linnen euch daraus zu weben. –
Und die Mädchen folgten froh dem Vater,
Der sie führte auf die weiten Felder
Und aus seinem Reichthum jeder theilte.
Jeder ward ein Acker angewiesen,
Frei von Unkraut und von Dorn und Diesteln,
Reinlich, schimmernd lag er ausgebreitet,
Reiche Erndten ohne Müh’ verheißend.

Und nur noch die Lieblingstochter harrte,
Ihres Looses auf dem Feld gewärtig.

Und der Vater nahm die liebe Tochter,
Führte sie durch Dornen und Gestrüppe
Hin zu dem ihr längst bestimmten Acker.
Zweifelnd blickt die Tochter auf zum Vater,
Ob wohl richtig sie sein Wort verstanden,
Zitternd fragt sie, zagend, seine Augen,
Ob wohl Strafe ihr entgegen drohe;
Denn so einsam lag der wüste Acker,
Ganz von Dorn und Diesteln überwildert,
Sorge viel und wenig Frucht verheißend.
,Hab’ ich darum auf das Glück gehoffet,
Hab’ ich darum Dir so treu gehorchet,
Hab’ ich darum Dich so reich geliebet,
Daß mein Loos so hart Du mir bestimmest?
Meine Schwestern hast Du hoch beglücket,
Hör’ ihr frohes Jauchzen in der Ferne,
Jubelnd haben sie die goldnen Saaten
In die offnen Furchen eingestreuet,
Und mit Blumen ist ihr Haupt umkränzet.
Warum hast Du mich also gestrafet,
Warum hast Du mich so tief betrübet,
Die Dich doch so innig hat geliebet?‘
Und der Vater sah der lieben Tochter
Lange, tröstend mild ins bange Auge.
‚Jäte!‘ sprach er, ‚diesen wilden Acker;
Wo das Unkraut also üppig sprießet,
Wird die goldne Saat sich üppig breiten;
Nicht die Fläche giebt der Pflanze Leben,
In der Tiefe sucht sie ihre Säfte,
In der Tiefe wirken alle Kräfte,
Nicht die Fläche wird die Erndte geben;
Wo die Wirkung trozig überfließet,
Da wird Armuth nicht im Boden sein,
Kraft ist nöthig, daß das Unkraut sprießet,
Kraft ist nöthig zu der Saat Gedeih’n!

Darum jäte, liebes gutes Mädchen,
Jät’ den wilden Acker meines Herzens,
Daß er reiche Erndten Dir einst trage,
  Tausendfältig!

Haben Sie heute meine Bitte erfüllt und das Lied gesungen, um das ich bat und auch zur Zeit der Dämmerung, dann haben sich unsere Gedanken begegnet.


      Stav., d. 9ten Nov.
Da bin ich nun wieder, geliebte Luise, auf meiner stillen Stube und bin eingezogen mit sehr viel Lust zum Guten und vielem Dank für das Gute; und in mich ist eingezogen eine große, zufriedene Ruhe, eine Behaglichkeit des innern Menschen, eine Liebe zu stiller Betrachtuug der eigenen Seele, von der der große Dichter singt:

Verlassen hab ich Feld und Auen,
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
Mit ahnungsvollem, heil’gem Grauen
In uns die beß’re Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe
Und jedes ungestüme Thun;
Es reget sich die Menschenliebe,
Die Liebe Gottes regt sich nun.
Und wenn in unsrer engen Zelle
Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann ist’s in unserm Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blüh’n,
Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach des Lebens Quellen hin!

[592] Ja, nach meines Lebens Quell sehne ich mich, dessen Gemurmel ewig gültige Worte, dessen Echo die Liebe und dessen Najade Sie sind. Gießen Sie ihn aus, diesen Quell, rein und klar und voll, und beugen Sie sich freundlich über seinen Rand, damit Ihr liebes Bild sich darin spiegle und ein Gruß für ihn sei, der ihn begleitet durch freundliche Wiesengründe und hallende Wälder und hemmende Klippen, bis er still verrauschend sich senkt ins Meer der Ewigkeit.

Mein erster Gang war heute zu Dr. Liebmann, und zu meiner größten Freude wurde mir die Nachricht, daß die Doctorin wieder hergestellt sei und sich mit Schreiben und Dichten im Bette beschäftige; so daß also auch für mich und meine Hoffnung nichts im Wege steht, da sie sich zur Besorgerin und Empfängerin gewisser Briefe gütigst erboten hat. Diesen Brief werden Sie durch die dritte Hand, durch den Dr. Timm in Parchim erhalten, der so überaus gütig gewesen ist, mir eine schöne Arbeit auf den Hals zu laden, ich soll für ihn Notizen über Turnen und eine Geschichte des Friedländer Turnplazes schreiben, dafür aber drehe ich ihm eine Nase und mache ihn, ohne daß er es ahnt, zum postillon d’amour, zu dem er sich schickt (verzeihen Sie den Ausdruck) wie der Esel zum Geigenspielen.

Liebe Luise, erhalten Sie sich gesund, spazieren Sie fleißig, ich bitte darum und denken Sie öfter einst an mich und wenn ich nicht zu viel bitte, so schreiben Sie mir bald, damit ich nur das Vergnügen habe, zum erstenmale Ihre Handschrift zu sehen. Leben Sie wohl!
Ihr F. Reuter.“ 
[600] Von der Antwort, die der Dichter auf den ersten Brief an das Mädchen seiner Liebe von diesem empfing, ist uns leider ebensowenig erhalten geblieben wie von all den anderen Herzensbekenntnissen, durch welche Luise als Braut ihren Erwählten erschütterte und beglückte. Aber aus des Empfängers nächstem uns erhaltenen Briefe läßt sich erkennen, daß sein treues Werben auf keinen hartnäckigen Widerstand stieß, und daß, als sie beide im nächsten Frühjahr sich wiedersahen, die Zweifel und Bedenken soweit überwunden waren, um dem natürlichen Drange inniger Herzensneigung zu weichen. Rittermannshagen liegt Thalberg und Stavenhagen nahe genug und Reuter genoß genug persönliche Freiheit, um ein öfteres Zusammentreffen mit der Geliebten zu ermöglichen. Und alle Lust und Wonne, welche der Wiederschein und Wiederhall des jungen Lenzes in glücklich liebenden Herzen weckt, alle Poesie, die in blühenden Geißblattlauben und im Schatten frischgrünender Linden bei Küssen und Kosen ein frohes Liebespaar überkommt, ist in jenem Frühjahr 1847, trotz aller gemeinsamen Sorgen, unserem seligaufatmenden Freund und seiner Braut zu teil geworden.

[602] Unser nächster Brief trägt das Datum des 10. Mai dieses für Reuter reichgesegneten Jahres. Luise hat sich inzwischen mit ihm verlobt, wenn auch zunächst nur heimlich; an die Stelle des zaghaften „Sie“ ist das trauliche „Du“ getreten; der Sonnenschein froher Zuversicht auf eine gemeinsam zu erringende glückliche Zukunft leuchtet ungebrochen aus diesen Zeilen. Und zugleich tritt in ihnen eine andere Zuversicht hervor – die Ueberzeugung, dass die Ideale, für welche Reuter die lange, trübe Kerkerhaft erlitten, sich im Vaterland zu verwirklichen beginnen. Die Nähe des Jahres 1848, welches das erste Parlament Alldeutschlands ins Leben treten sah, kündet sich in diesem Briefe bei allem Bewußtsein der noch herrschenden Uebelstände in hoffnungsfrohen Lerchentönen an, und das Schlagwort seines demokratischen Fortschrittsglaubens „Alles für – alles durch das Volk“ überträgt er auf sein Herzensleben: „Alles für – alles durch meine Luise!“

  „Liebe, süße Luise,
Was soll ich Dir schreiben, was Dir sagen, um Dir den ganzen heißen Dank eines glücklichen Herzens abzustatten? wie können diese todten Zeilen wohl jenen Weg zu Deinem Herzen finden, den das lebendige Wort fand? Oh, Luise, hättest Du damals in meine Brust blicken können, Du hättest einen Abgrund von Seeligkeit geschaut, Du würdest stolzer Dein schönes Haupt erheben, weil Du die Schöpferin solcher Wonnen warst. Wie lieb’ ich Dich! wie denk’ ich an Dich, wie denk’ ich für Dich! Tausend Pläne für Dein Glück tauchen in mir auf, mit dem gläubigsten muthigsten Herzen verfolge ich sie, zu tausend Mühen und Entsagungen bin ich bereit, wenn es Dich, einen so herrlichen Preis, gilt. Oh fürchte Dich nicht, süßes, geliebtes Mädchen, Den nur erwarten Täuschungen auf dieser Erde, der das Glück außer sich selbst sucht, der den Gütern des Lebens einen so hohen Preis setzt, daß er sie auf Kosten seiner Ruhe zu erringen sucht; wir beide werden nicht getäuscht werden, wenn wir das Glück in uns selbst und Eins in dem Andern suchen. Unser Loos, was wir uns gar noch erst zwei Jahre hindurch zu erkämpfen haben, wird und kann nur ein sehr bescheidenes sein; aber es ist doch keine Niete, und am Schlusse unsers Lebens werden wir auch dankbar für das kleine Glück sein, was uns gefallen.

Liebe Luise, Gott hat die Zukunft unsers Glücks in eine schwere, hartbedrängte Zeit gelegt. Die Noth, die auf allen Klassen der Gesellschaft lastet, drückt uns freilich nicht unmittelbar, aber die Folgen können und werden sich gewiß auch auf uns erstrecken, die Erwerbung einer Brodtstelle, eines noch so kleinen Besitzes wird sicherlich sehr dadurch erschwert werden; aber so schwer wie augenblicklich, glaube ich, wird es gewiß nicht bleiben und darum vertraue auf mich, ich bin aus den Jahren des Unbedachts hinaus und die mannigfachen Erfahrungen meines Lebens können für Dich, was sie mich auch gekostet haben, nur seegensreich sein und wenn ich ins tiefste Innere meiner Seele blicke, so sehe ich dort den Entschluß und den festen Willen, Dich glücklich zu machen. Doch Du hast mir selbst gestanden, daß Du an meine aufrichtige Liebe glaubest, und dafür seegne Dich Gott!

Blicke um Dich, liebe Luise, es ist eine inhaltschwere Zeit, worin es dem Weibe wohl Noth thut, sich an den Mann anzuschließen, um nicht niedergetreten zu werden in dem rastlosen Treiben; es ist eine Zeit der Partheiung, ein Ringen nach einem neuen Werden nicht etwa auf der Oberfläche der Welt, nein in deren tiefstem Grunde, in die bescheidensten und verborgensten Verhältnisse dringend, zugleich hoffnungsreich und furchterregend. Diese Zeit ist für jeden denkenden Menschen verderbenschwangerer, als das brausende Meer, als der tückische Vulkan; darum, liebes Mädchen, schließe Dich an an einen Mann, der den Willen und will’s Gott, auch die Kraft hat, Dich zu schützen gegen die Stürme der Zeit. Die Könige und die Gewaltigen dieser Erde schwingen ihre modernden Paniere mit dem Rufe „Alles für das Volk“; aber man glaubt ihnen nicht mehr. Das selbstständig gewordene Bürgerthum schaart sich um die Vertreter der Intelligenz mit dem Rufe „Alles durch das Volk“. Das sind die Stichworte der beiden Partheien und nie haben sich feindlichere gegen einander über gestanden. Wo ist hier eine Versöhnung möglich, Partheien haben nie den Geist der Liebe gekannt, durch den allein die Versöhnung möglich wird. Aber was hat dieser Brief, was mein jetziges Leben und Sein mit der Politik zu thun? Ich habe nur ein Ziel, für das ich streite, nur ein Gegenstand erfüllt mich ganz und das ist Deine Liebe; dort herrscht keine Parthei, dort geht Eins in das Andere auf, nur für meine Luise denke, fühle und bin ich, nur Dein Glück ist mein Zweck und nur durch Dich will ich selber glücklich werden. Also: „Alles für meine Luise“ und „Alles durch meine Luise“!

Holdes, süßes Mädchen, es giebt gewiß in dem Leben jedes Menschen Momente, in die sich die ganze Zukunft zusammendrängt, in denen sich der Keim zukünftigen Glücks und Unglücks entwickelt. Heil dem Menschen! den Gott befähigt, solche Stunden zu erkennen, heil mir! daß ich einer dieser Auserwählten geworden bin und daß ich fort und fort an diese Wahrheit geglaubt habe. Der Augenblick, in dem ich Dich zum erstenmale in R: sah, war ein solcher; mit welcher Ueberraschung, ich kann wohl sagen Staunen, erblickte ich Deine hohe schlanke Gestalt, mit welcher Ahnung zukünftiger Wonne sog ich den reizenden Ausdruck Deiner lieblichen Züge in mich, lauschte ich dem Wohllaute Deiner Stimme, Deines Gesanges und wie durchfuhr mich der Gedanke an Liebe zu Dir. Und Du hast geglaubt ich sei kalt? und Du hast geglaubt, es sei diese Liebe nichts anders als eine grundlose Hartnäckigkeit des Vorsatzes? Was Du für Kälte hieltst war der Ernst und die Wahrheit meiner Liebe, war das Gefühl der Ehrerbietung, das in meiner Brust durch die Ueberzeugung reiner Liebe erweckt werden mußte, was Du für Caprice hieltst war die Stärke dieser Ueberzeugung und der Glaube daran und der Entschluß, doch fest zu halten, sei’s an dem Glück, sei’s an dem Unglück, wenn’s nur von Dir herrührte. Ich liebe Dich mit einer Gluth, von der Du keine Ahnung hast, Du bist bei mir des Tags unter den Menschen, Du bist bei mir in der Stille der Nacht, in meinen Träumen. Mein Leben ist in zwei Hälften getheilt, in die Erinnerung an Dich, an die Stunden, in denen ich mit Dir allein war und in die Hoffnung auf Dich, auf die Stunden, in denen ich mit Dir allein sein werde. Die Gegenwart geht spurlos an mir vorüber, sie berührt mich aber deswegen auch nicht unangenehm, ich bin heiter und fröhlich, denn ich glaube an eine noch schönere Gegenwart, und der einzige Kummer, den ich habe, ist der Gedanke, daß Du, mein Leben, meine Liebe, daß Du leidest, daß für Dich die Gegenwart drückend und verletzend sei, daß der Trübsinn Dich beschleichen und Deine Gesundheit untergraben kann.

Entschuldige mich bei Herr und Madame Schweer, daß ich heute nicht an sie geschrieben habe, ich habe es wirklich sehr eilig und überhaupt jetzt viel zu thun. Die Doctorin Liepmann habe ich in Stav. gesprochen, muß aber leider gestehen, daß ich sie sehr schwach und sehr verändert gefunden habe. Die allgemeine Stimme hat sie aufgegeben; ihren Mann habe ich nicht darnach fragen mögen. Sie war zwar auf und schien sehr heiter; aber man sah ihr Leiden deutlich.

Nun lebe wohl, mein holdes Mädchen, gedenke meiner, wie ich Deiner gedenken will und schreibe bald, ob Du noch so freundlich gegen mich gesonnen bist, wie Du es warst; was Du denkst, was Du hoffst, was Du fürchtest; Du weißt, daß es eine Brust giebt, die mit Dir alles fühlt. Luise, ich bin Dir auch gar zu gut! Lebewohl! Auf immer
Dein F. Reuter. 

Thalberg d. 10ten May 1847.

Den Ring meiner Mutter schicke ich Dir lieber nicht, ich bringe ihn Dir selbst, hoffentlich Michaelis, wenn ich bei Deinen Eltern gewesen bin. Liebes, liebes Mädchen!“


Wir sehen, ein Schatten trübt doch auch jetzt das selige Liebesglück, das Reuter dem Jawort seiner Luise verdankt: sie ist leidend. Die Sorge, daß für sie die Gegenwart drückend und verletzend sein, daß der Trübsinn sie beschleichen und ihre Gesundheit untergraben könne, ist aber nicht etwa in ihrer Liebe zu Reuter, sondern in ihrer eigenen Lage begründet. Sie hat um diese Zeit ihre Stellung bei Augustins in Rittermannshagen aufgegeben und inzwischen Unterkunft oder eine neue Stelle bei den obengenannten Schweers gefunden, die wie dem nächsten Briefe zu entnehmen ist – in Ludwigslust wohnten. Diese Sorge um ihr Wohlergehen verbündete sich in seinem Herzen mit der Sehnsucht, sie in seiner Nähe zu haben. Die treue, vielbewährte Freundschaft seines allzeit hilfsbereiten Peters und seiner Frau, mit der sich Reuter nicht weniger gut stand, fand auch hierfür die richtige Lösung. Sie luden die Braut ihres getreuen „Statthalters“ ein, bis zu ihrer [603] Verheiratung zu ihnen zu kommen, um an der Seite der Gutsherrin die ländliche Hauswirtschaft zu erlernen. Wir dürfen dies aus dem Anfang unseres nächsten Briefes und der Thatsache schließen, daß im nächsten Jahr Luise wirklich einer solchen Einladung Folge leistete; auch der weitere Schluß ist gestattet, daß die Eltern des Mädchens, wie sie selbst, Bedenken trugen, in ein so nahes Zusammenleben der Verlobten zu willigen, ehe ihr Bund nicht den Segen der ersteren erhalten hatte. Dafür aber erfolgte eine Einladung an Reuter zu einem längeren Besuche im Pfarrhaus zu Roggensdorf, wo das Pastorspaar Kunze mit nicht geringer Spannung der Gelegenheit entgegen sah, den Mann, den ihre Aelteste sich zum Gatten erwählt, persönlich kennenzulernen. Roggensdorf, zwischen Lübeck und Wismar, nahe der nordwestlichen Grenze von Mecklenburg-Schwerin gelegen, während Thalberg bereits jenseit der östlichen Grenze auf pommerschem Boden liegt, war für die damaligen Verkehrsverhältnisse schon ein recht entferntes Reiseziel. So erklärt sich der Ton der Enttäuschung, in welchem der nachfolgende Brief anhebt.

„Thalberg d. 1sten August 1847.     
Das ist eine sehr traurige Nachricht, die Dein letzter Brief enthält, sie ist nicht allein betrübend dadurch, daß sie uns vieler Freuden, vieler Annehmlichkeiten beraubt, ich halte sie vielmehr deßhalb für sehr schlimm, weil sie uns der Möglichkeit beraubt, uns bis in’s kleinste kennen zu lernen; es wäre dies von unaussprechlichem Nutzen und sehr bildendem Einflusse für uns gewesen.

Du hast Dich darüber getröstet, das ist gut, aber ich kann nicht anders, als es tief bedauern, daß Du hierdurch die Gelegenheit verlierst, Deine Gesundheit zu kräftigen. Wirst Du es auch wohl bei Sch. ertragen können? Doch hievon wollen wir mündlich sprechen; denn ich habe mich entschlossen Deiner Aufforderung nach Roggensdorf zu kommen, Genüge zu leisten. – Es ist dies ein Ersatz – aber ein sehr geringer im Vergleich mit dem Glücke, das uns im andern Fall bevorstand. Ob ich Recht thue, Deiner Einladung nach Rogg. zu folgen? Ich hoffe es; aber wenn es Unrecht sein sollte, so wäre es das erste Unrecht, was ich gegen Dich beginge, indem ich meiner Freude Dein Wohl nachsetzte, denn ich glaube, daß ich alle Ursache habe, für Dich sparsam zu sein, und solche Reise geht nicht ohne Kosten ab. Bedenke aber auch: ob Du Deinen Eltern nicht eine Last aufbürdest, die ihnen bei dem andern Besuch, den sie schon dort haben, drückend werden könnte; dies ist natürlich keine Ziererei von meiner Seite, sondern wirkliche Besorgniß. Und doch will ich wünschen, daß Du beide Puncte schon zu meinen Gunsten entschieden hast und daß ich Dich auf diese Weise wiedersehe. Unsere Erndte geht, bei dieser günstigen Witterung so rasch, daß ich recht wohl abkommen kann. Daher schreibe ich Dir zu, daß ich Dich treffen will in Roggensdorf, wenn Gott nicht unübersteiglichc Hindernisse in den Weg legt. Ich werde um den 14ten August herum in Roggensdorf eintreffen, und Dich dort, oder, wer kann’s wissen, Dich schon zufällig in Grewismichlen vorfinden.….. Diese seeligen 14 Tage müssen wir recht ausbeuten, um Kraft zu gewinnen für eine lange Trennung. Wie werde ich so glücklich sein! wie will ich Dich küssen, wie Dir so ganz angehören, Du sollst die Ueberzeugung noch mehr gewinnen, wie sehr ich Dich liebe. Du sollst mich fest an Dein liebes Herz drücken, und die schattige Laube soll Deinen lieben Worten lauschen, die meinen trunkenen Ohren wie süße Lieder erklingen. Ich fürchte keine Kälte von Deiner Seite, ich weiß es jetzt, daß Du mich liebst, ich fürchte nur die Störungen von Außen und diese müssen wir so viel, wie möglich beseitigen. Sei nur ja recht wohl! Bringe ja recht viele Noten mit, meinen Zeichenapparat bringe ich ebenfalls mit.

Ach! liebe Luise, das wird eine glückliche Zeit, Dich 14 Tage hindurch zu hören, Dich täglich zu sehen, mit Dir unter einem Dache zu schlafen, Dich fort und fort zu küssen und Dir zu jeder Stunde sagen zu können, wie sehr ich Dich liebe! Wie werde ich mein Glück ertragen, wie die Zeit bis dahin aushalten? Wenn Du diesen Brief erhalten hast, setze Dich gleich hin und schreibe mir ein paar Worte; aber sogleich, und schicke den Brief direct an mich, nicht durch Wilhelm[1], denn ich fürchte, daß er ihn aufhalten könnte, dann werde ich ihn zeitig genug erhalten, um zu rechter Zeit eintreffen zu können. Thue dies ja mein liebes Kind, Du sollst auch 100 Küsse extra dafür erhalten.“

Und so kam denn der Tag, an welchem Fritz Reuter in das Roggensdorfer Pfarrhaus einzog. Die Augustsonne lag leuchtend über den erntereifen Getreidefeldern, ein Hauch von Erntesegen umspielte die alten Linden, die vor dem langgestreckten einstöckigen Wohnhaus neben der Kirche stehen, und das Vorgefühl des Elternsegens, den er sich für seine Ehe mit Luise zu holen kam, die auch seinem bisher so unruhevollen Leben eine Zeit der Ernte sichern sollte, beseligte ihn beim Betreten des Hauses. Er freute sich unsäglich auf das Wiedersehen mit Luising, aber das ihm hier zur Pflicht werdende Sicheinbiedern in eine ihm doch fremde Familie schuf ihm auch einiges Unbehagen. Ein Pastor – eine Frau Pastorin – die haben gewiß strenge Grundsätze! Wird man mich verirrtes, vielverfemtes Weltkind denn hier verstehen? So ging’s ihm durch den Sinn. Er ahnte nicht, daß ihn in den vier Wänden des Heims seiner Braut ein Glück erwarte, das für die geheimsten Wunden seiner Seele heilenden Balsam bereit hatte – der Ersatz für das unter so demütigenden Umständen verlorene Vaterhaus! Er ahnte nicht, welche Bedeutung die Bekanntschaft mit Luisens Eltern für die Erntezeit seines Lebens erhalten sollte – in ihnen lernte der Dichter von „Ut mine Stromtid“ die Originale für die Frau Pastorin Behrens und „ihren Pastor“ kennen!

Von einer ähnlichen Poesie verklärt, wie sie die Eltern Friederikens in Goethes „Sesenheimer Idylle“ und die dort gerühmten Pfarrersleute in Goldsmiths „Vicar of Wakefield“ umspielt, so leben die Eltern von Reuters Braut in den ergreifendsten Kapiteln seines bedeutendsten Romans über ihren Tod hinaus weiter. Alles Gute und Tüchtige, was ihren poetischen Abbildern dort nachgerühmt wird, muß nach den Versicherungen Solcher, welche Poesie und Wirklichkeit vergleichen konnten, ihnen eigen gewesen sein. Aber zur Kinderlosigkeit wie das Gürlitzer Pastorspaar im Roman war das Roggensdorfer nicht verurteilt, und ein fremdes Töchterchen an Kindesstatt anzunehmen, wie es jene in „Ut mine Stromtid“ an Karl Hawermanns kleinem Luising thun, mußte ihnen fernliegen. Neben dem eigenen großen Luising, das sie in die Fremde hinausgegeben hatten, um Selbständigkeit zu erlernen und sein Wissen und Können in einem Beruf zu bethätigen, hatten sie an Kindern eine so reiche Zahl, daß ihnen die Aufgabe, alle zu tüchtigen Menschen heranzuziehen und sie in der Welt vorwärts zu bringen, nicht wenig Sorge gemacht haben mag. Doch für den neuen Familienzuwachs, den Sohn, der da zu ihnen aus der Fremde herankam, um sie um die Hand ihrer Aeltesten zu bitten, hatten sie offene Herzen und offene Arme, wie die Gürlitzer Pastorsleute es hatten für das kleine mutterlose Luising des braven Karl Hawermann.

„. . . Nun kommen sie und drängen sich zum Gast
Mit hast’ger Lieb’, mit liebevoller Hast;
Sie schütteln ihm die Hand so treu und bieder,
Daß die Besinnung ihm kehrt augenblicklich wieder.
     Ihm ist, als wär’ er aus Schlaf erwacht,
     Als wäre verschwunden des Traumes Nacht,
     Als wäre versunken in Dunkelheit
     Eine lange, eine schwere, eine finstere Zeit;
     Als tauchten die ersten Morgensäume
     Der Kindheit auf und die Jugendträume,
     Als säh’ er die ersten Plätze wieder,
     Wo ihm gesungen die Wiegenlieder,
     Als ging’ er hier lange schon ein und aus,
     Als wär’s das verlorne Vaterhaus,
     Wo ihn begrüßet der Mutterblick –
     Als kehrte dies alles mit eins zurück!
     Die alten Möbel, sie nickten ihm zu,
     Das Sofa lud zur gewohnten Ruh,
     Die Linde sie deckte mit Schattenkühle
     Den Tummelplatz der Knabenspiele.
     Der Garten mit seinen Blumen all,
     Der Vögel Gesang, der Glocken Schall,
     Ein jegliches Aug’ und jeglicher Mund
     Und jegliches Antlitz war ihm kund,
     Es spiegelte wieder einen Zug
     Des Bildes, das er im Herzen trug:
     Ach! Alles schien ihm so längst bekannt,
     Vor allem – der Druck der Mutterhand.“

So schilderte er nach seiner Heimkehr von dem Besuch den Eindruck, den er im Roggensdorfer Pfarrhaus empfangen, und der ihm nicht weniger wohlgethan hatte als das Wiedersehen mit Luise. Es geschah in einer humoristischen poetischen Epistel, die er an deren jüngere Schwester Liening richtete, mit der Weisung am Schluß, daß das Schreiben im Grunde doch für die ältere [604] Schwester bestimmt sei. Und in dem Brief an die Braut, den wir nun folgen lassen, nannte er die in Roggensdorf verbrachte Zeit die glücklichste seines Lebens.

„Thalberg d. 6. October 1847.     
  Meine geliebte Luise,
Es ist jetzt ein Jahr, als ich Dich nach langer Trennung wiedersah, als ich mit der letzten verzweifelten Hoffnung der lauten Stimme meines Herzens folgte und die Zukunft meines ganzen Lebens Dir entgegentrug, damit Du darüber entscheiden möchtest … Diesem Jahr verdanke ich viel; wie die Stunden in Rogg. die glücklichsten meines Lebens waren, so war dies Jahr das glücklichste; es ließ mich hoffen auf die Zukunft, es ließ mich siegreich gegen einen alten Feind kämpfen, es ließ mich die Gegenwart mit Muth und Zuversicht ertragen und Du warst der Engel des Lichts, der mit dem sanften Fittig der Liebe und der Hoffnung mich umflog im Wachen und im Traum, Du warst mir der sichtbare Bote von oben, der Träger himmlischer Verzeihung und einer neuen Weihe. Mein Herz fordert mich laut auf, Gott zu danken und Dir. Es ist ein überschwengliches Glück, daß gerade Du es sein mußtest, Du, die ich erwählt von allen andern Menschenkindern, die auch der Herr erwählte, daß sie mir beistände, mich tröstete, mich leitete, mich führte auf die Bahn des Guten und Wahren. Wie so trostlos verließ ich Dich vor einem Jahr; Deine jetzige trübe Stimmung kann nicht so vernichtend sein, als die meinige; es war das Grab meiner letzten Hoffnung, das sich über das unruhige Herz geschlossen hatte und nur in der Erlaubniß, an Dich zu schreiben, dämmerte mir ein entfernter Schein von unbestimmter Aussicht, Dir wenigstens zeigen zu können, daß ich Dich liebte, wenn auch hoffnungslos, und wie ich Dich liebte. Und hat sich für mich nicht alles zu der höchsten edelsten Freude verklärt, sind dem erzwungenen Kusse des Mitleids nicht die freundlichen, vertrauenden, hingebenden Küsse der Liebe gefolgt? …

Meine angebetete Luise, ich beschwöre Dich auf meinen Knieen, laß nicht die Hoffnung auf eine Zukunft voll Glück und Liebe fahren; sie wird kommen. Einem jeden Menschen ist sein Maaß und Ziel gesetzt; ich verstehe dies nicht blos von der Zeit seines Lebens, sondern auch von den Erscheinungen im Leben, von Freude und Kummer; je mehr Kummer Du jetzt erduldest, desto weniger hast Du vor Dir … Du weißt, daß unser Loos kein glänzendes sein wird, d. h. im Sinne der Welt; aber in meinem Sinne, im Sinne einer Seele, die aufrichtig an wahres Glück denkt, wird es ein glänzendes, ein aus Liebe, Heiterkeit, Hingebung und Achtung erbautes sein.“ …

Der Schluß dieses Briefes fehlt. Aber wir können nicht zweifeln, daß auch in ihm das im Kampf mit dem Mißgeschick erstarkte hoffnungsvolle Herz des Dichters die Braut an ein künftiges Glück zu glauben beschwor, zu dessen Verwirklichung freilich noch beinahe vier Jahre nötig waren.

Nach der Verwandtschaft der Stimmung zu urteilen, dürfte um diese Zeit auch das Gedicht an Luise entstanden sein, welches Gaedertz gleich der oben citierten poetischen Epistel in seinem jüngsten Reuterbuch mitgeteilt hat:

„Ich denke Dein, wie eines schönen Bildes,
Geschaffen einst in Gott geweihter Stunde;
In Deinem Auge nichts als Holdes, Mildes,
Und ewige Verzeihung in dem Munde.
Und was in meinem Herzen Trotz’ges, Wildes
Mich selbst gestört, entflieht im Hauch; die Wunde,
Sie schließt sich, und ich eil’ mit scheuem Beben
An Deiner Hand hinauf zu neuem Leben.

Ich denke Dein, wie eines frohen Sanges,
Der wie ein Trost zu mir herüberklingt,
Unwiderstehlich, wie die Lieb’ ein banges,
Gequältes Herz zu neuem Hoffen zwingt,
Wenn bei dem Glockenton voll süßen Klanges
Der Sehnsucht Thrän’ ins feuchte Auge dringt,
Das Herz mit seliger Vergessenheit umhüllet
Und jede Rache ruht und alle Schmerzen stillet.

Ich denk’ an Dich, wie an ein hohes Wort,
Das Gott einst einem Genius versprach,
Als in des Chaos finstren Armen dort
Noch als ein unerschaffner Geist ich lag;
Du solltest sein in meiner Brust der Hort,
Du solltest lösen meines Lebens Frag’,
Dich sollte ich auf Erden wiederfinden
Und Deine Liebe mich vom Fehl entsünden.“

[618] Das Jahr 1848 brachte dem Verlobten die Erfüllung zweier Herzenswünsche: Luise folgte der Einladung des Petersschen Ehepaares, bei ihnen auf Thalberg sich für die Aufgaben und Pflichten einer Pächtersfrau vorzubereiten, und die große freiheitliche Bewegung, die jetzt in ganz Deutschland zum Sieg gelangte, rief auch in Mecklenburg einen hoffnungsreichen Aufschwung des politischen Lebens hervor.

Aber leider verkümmerte die beglückende Wirkung dessen, was Reuter nun als Patriot und Politiker erlebte, den Segen, den er für sein Liebesglück von jener anderen Errungenschaft erwartet hatte. Das innige Zusammenleben mit der Braut, über dessen Bedeutung für die gemeinsame Zukunft er im Jahre vorher so hohe Meinung geäußert, ward vereitelt durch seine Teilnahme an der Volkserhebung, die jetzt auch im konservativsten aller deutschen Staaten eine liberale Verfassungsreform und ein volkstümliches Wahlgesetz für die Volksvertretung des Landes durchsetzte.

Mit Begeisterung ergriff ihn das erhebende Schauspiel, wie der Verlauf der Geschicke des Vaterlandes schon jetzt die patriotischen Ideale zu verwirklichen schien, für deren Vertretung er die schönsten Jahre seiner Mannesjugend im Kerker hatte vertrauern müssen. Mit freudiger Genugthuung erlebte er, wie jetzt die besten Männer seines mecklenburgischen Heimatlandes für dieselben politischen Gedanken eintraten, die für sein burschenschaftliches Jugendschwärmen die maßgebenden gewesen waren und um derentwillen er verfolgt, geknechtet, gequält, zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglicher Haft begnadigt worden war, bis man ihn dank einer Amnestie in die Heimat entlassen hatte, entfremdet dem gewählten Beruf, anrüchig für alle, welche den herkömmlichen Anschauungen huldigten. Und da hätte er jetzt teilnahmlos beiseite stehen sollen – diesen Aufschwung miterleben, ohne, nun alles zur That rief, thatkräftig einzugreifen?

Er konnte nicht anders – er folgte dem Rufe der inneren Stimme und dem Zuspruch gesinnnngsverwandter Freunde in seiner Vaterstadt Stavenhagen; er ward dort ein Führer der auch hier frisch in Fluß geratenden Bewegung. Er wurde ein Sprecher im „Reformverein“, hielt Wahlreden, setzte Programme und Petitionen auf, war gewiß auch journalistisch thätig – und die braven „Stavenhäger“ bereiteten dem lange Verkannten die Genugthuung und wählten ihn zu ihrem Deputierten zum Güstrower Städtetag und dann zu ihrem Abgeordneten in den Landtag. „Dei kann reden,“ sagten sie, „un dei ward för uns reden!“ Und als er im bekränzten Wagen mit anderen Volksvertretern nach Schwerin, der Landeshauptstadt, abfuhr, da mag ein frohes Gefühl berechtigten Stolzes seine Brust geschwellt haben, und der Wahlspruch, den er bei seiner Verlobung der Losung „Alles für das Volk – alles durch das Volk“ nachgebildet hatte: „Alles für – alles durch meine Luise“, mag dabei eine neue Form angenommen haben: Alles durch das Volk – für meine Luise! Gar manchen, der wie er ein Märtyrer für Deutschlands Einheit und Freiheit gewesen war, brachten ja jetzt die Ereignisse in eine Laufbahn, auf welcher die politische Wirksamkeit zu Amt und Einkommen führte. Auch Wilbrandt bemerkt in seiner Biographie: neben den Hoffnungen für Land und Volk mochte er auch Hoffnungen für sich selber hegen.

Thatsächlich aber verlief die Bewegung, welche im ersten Ansturm zur Annahme der in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. beschlossenen deutschen Grundrechte führte, im nächsten Jahre zur allgemeinen Enttäuschung der Patrioten. Wie Reuters Humor sich später mit der ernüchternden Wirkung dieses Verlaufs abfand, wissen wir alle aus den Kapiteln der „Stromtid“, die sich so ergötzlich mit den Vorgängen im „Rahnstädter Reformverein“ beschäftigen. Der Braut aber, die mit Sehnsucht dem Glück entgegensah, das sie sich von der Ehe mit Reuter erhoffte, können wir es nicht verdenken, daß sie dieser neuen Verzögerung gegenüber keinen Humor zur Verfügung hatte. Wohl empfand sie mit warmer Sympathie die Beweggründe, welche den Dichter veranlaßten, sich in den Strudel des politischen Lebens zu stürzen, aber ein tiefer Gram bemächtigte sich ihrer über die scheinbare Plan- und Ziellosigkeit des von ihr so innig geliebten, so reichbegabten Mannes, der es doch selbst ihr zur Pflicht gemacht hatte, den Dämonen seines warmblütigen Naturells gegenüber als guter, wenn auch strenger Engel zu walten. War die von ihr gewiß nicht leicht durchgeführte Uebersiedlung auf das Peters’sche Gut, zu welcher er sie überredet, in ihren Augen doch nur durch den Zweck gerechtfertigt, daß sie sich hier unter freundschaftlicher Anleitung vorbereiten wollte, dem Landwirt Reuter eine sachverständige Lebensgenossin zu werden! Und mußte sie nicht fürchten, daß das aufregende Leben, dem der Geliebte sich jetzt ergab, mit seinen vielen Verlockungen zu langem Aufsitzen in erregter Männerrunde, mit seinen unvermeidlichen Veranlassungen zu Festkommersen und freundschaftlichen Trinkgelagen, das gesellige Naturell ihres Verlobten wieder in Zwiespalt bringen müsse mit der ernsten Bekämpfung jenes Leidens, für die er ihren Beistand gleich beim Beginn ihres Herzensbundes angerufen hatte?

So ist denn der einzige Brief Reuters, der uns als Zeugnis ihres Verkehrs aus jener Zeit übrig geblieben ist, von dem innigen Wunsche des in Schwerin am Landtag Weilenden diktiert, der Geliebten Trost und Mut einzusprechen. Er fühlt, daß sie Grund hat, mit ihm unzufrieden zu sein, aber er fühlt zugleich auch, daß er nicht anders handeln kann und trotz aller Bedenken Luisens sich des rechten Weges bewußt ist.

 „Meine gute, theure Luise,
Ich habe eben in einem guten Buche folgende Stelle gelesen, die ich Dir mittheile, die mich sehr getröstet hat und ihren Einfluß auch auf Dich nicht verfehlen wird: „Nachdem sie aber lange zusammen gegrübelt und überlegt hatten, kamen sie überein, daß man [619] sich das Unglück zwar oft selbst zuziehe; oft aber auch das allervorsichtigste, schuldloseste Betragen nicht vor ihm sichere, und wenn es einmal, es sei verschuldet oder unverschuldet, da sei, Gottvertrauen es versüße und fruchtbringend mache für ein besseres Leben.“ – Bist Du krank; ach, ich fürchte es und Gott hat meine Gebete nicht erhört, wenn ich unter Schmerzen in schlaflosen Nächten ihn anflehete, mir Deine Lasten noch aufzubürden und sie Dir zu nehmen. Zürnst Du mir? oh, dann will ich nichts weiter sagen, als „Vergieb mir“ und will dies Wort wiederholen, bis es eine freundliche Antwort der innersten Stimme Deines Herzens entlockt. – Uebermorgen am Dienstag Mittag um 3 Uhr reise ich hier ab und bis dahin kann ich Antwort von Dir erhalten; es wird mir dies ein Zeichen sein, ob Du wirklich krank bist, erhalte ich keine auch noch so kurze Zeile, von Deiner Hand, so nehme ich an, daß Du nicht im Stande bist zu schreiben. Ach, ich fürchte, dies ist nicht gut von mir, ich fürchte, dies ist rauh und hart gegen Dich; thue, was Du kannst und willst; ich werde Dich doch ewig lieben. Ach, wenn ich Dich nicht hätte und meine Schwester, dann wäre ich wohl verloren und mein Herz würde untergehen an der Kälte der Welt; ich klammere mich mit aller Kraft an Euch beide, und doch ist mein Gefühl für Euch beide so verschieden. Von Stav. aus werde ich Dir mehr schreiben, schicke mir nur ein paar Zeilen oder schicke sie an meine Schwester, so daß ich sie dort vorfinde. – Gott erhalte Dich und tröste Dich! Nimm diese wenigen Zeilen freundlich auf und denke mit Vertrauen an eine bessere Zeit.

Ich bin für Dich immer derselbe; ach, denke nicht hart über mich. Lebe Wohl
Dein F. Reuter. 
 Schwerin d. 28ten May 1848.“

Daß schließlich Reuter „den Schaulmeister sinen Rock“ anzog, um zu regelmäßigen Einkünften zu gelangen, auf die hin er heiraten könnte, war nicht in dem Grade ein Verzweiflungsschritt, wie meistens angenommen wird. Als die hoffnungsreiche politische Erhebung in Mecklenburg von der Reaktion, wie anderwärts auch, erstickt wurde, als er mit Trauer erkannte, daß das Volk den hohen Anfordernngen der Zeit nicht gewachsen gewesen war, wurden die Lehren eines Arndt, eines Jahn, die er als Burschenschafter mit Begeisterung in sich aufgenommen hatte, wieder in ihm lebendig. Der Kampf für die Freiheit, die Wiedergeburt des Vaterlandes heische ein anderes tüchtigeres Geschlecht, Sache der Volksbildung sei es, ein solches heranzuziehen – unter diesem Gesichtspunkt hatten die Patrioten einer früheren Zeit das deutsche Turnwesen ins Leben gerufen. Und Reuter, der schon als Gymnasiast in Friedland auf dem dort bereits bestehenden Turnplatz sich hervorgethan, der als Burschenschafter in Jena fleißig geturnt und neuerdings zur Stählung seiner Gesundheit zu den bewährten Uebungen zurückgegriffen hatte, ließ es sich jetzt angelegen sein, die Gemeindevorstände seiner Vaterstadt wie der Thalberg benachbarten pommerschen Landstadt Treptow an der Tollense für die Herstellung eines Turnplatzes und die Anstellung eines städtischen Turnlehrers zu gewinnen. Ersteres gelang ihm in beiden Städten und in Treptow ward er im Frühjahr 1850 auch als Turnlehrer angestellt – das war der Anfang seiner „Schaulmeistertid“.

In den eingangs genannten Büchern von Gaedertz und Römer ist der Aufruf mitgeteilt worden, den er im Treptower Wochenblatt vom 27. April 1850 erscheinen ließ, um die Bürgerschaft für seinen Plan zu gewinnen. Er nennt darin das Turnen „ein fröhliches Spiel, ein rüstiges Ringen, die gebundenen Kräfte frei zu machen von den Fesseln einer erdrückenden und entnervenden Civilisation, eine Vorübung von Gefahren und Entbehrungen“, mitten unter Sätzen, die rein pädagogischer Natur sind. Er führt weiter aus: „Wo der Leib siech ist, verliert der Geist seine Spannkraft, wo der Leib verweichlicht ist, wird der Geist matt, und wo dem Leibe die Rüstigkeit und Frische fehlt, strebt der Geist vergebens vorwärts und aufwärts, er klebt an körperlichen Kümmernissen und Beschwerden wie der Schmetterling an der Nadel.“ Deutlicher aber und völlig unverblümt gelangte der Zusammenhang dieser neuen Lebenswendung mit seinen politischen Idealen in dem Prolog zum Ausdruck, den er einige Jahre später, als die Frauen und Jungfrauen Treptows dem Männerturnverein eine Fahne gestiftet hatten, für die Weihe derselben dichtete und der in folgenden Versen ausklang:

„Doch wenn Ihr glaubt, daß nur zur Lust
Die Fahne Euch von uns gespendet,
Dann irrt Ihr sehr: in unsrer Brust
Fing Scherz sie an, doch Ernst hat sie vollendet.
Ihr sollt sie tragen, auch wenn Stürme dräuen,
Wenn Wetterwolken auf zum Himmel ragen,
Das beste sollt Ihr für sie wagen
Und selbst den Tod sollt Ihr nicht scheuen!
Die Freiheit ist ein wundersames Bild:
Wer einst gekniet zu seinen Füßen,
Der trotzt den Schwertern und den Spießen,
Ist er nicht Sieger, legt ihn auf den Schild. –
Und faßt darob Euch banges Grauen,
Dann gebt uns nur zurück das Zeichen,
Wir wollen’s dann als gute Frauen
Dereinstens Euren Kindern reichen,
Die machen dann, wie spät ’s auch sei,
Die deutschen Lande siegreich, einig, frei.“

Und wie den Turnunterricht, den er erst in Stavenhagen, dann in Treptow erteilte, so faßte er auch seine sich daran knüpfende übrige Lehrthätigkeit unter dem höheren Gesichtspunkte der Ideale einer fortschrittlichen Volkserziehung auf. In Stavenhagen hatte es ihm nicht glücken wollen, auch für den Unterricht in humanistischen Fächern Schüler zu finden. In Treptow, wo er durch die gegenseitigen Beziehungen zu Peters bei den angesehensten Persönlichkeiten aufs beste eingeführt war, gelang es ihm wider Erwarten. Einer seiner ersten Schüler hat Gaedertz ein lebensvolles Bild seines Einzugs in Treptow gegeben. Herr Reuter, erzählt dieser Zeuge, ein breitschulteriger Mann, der wirklich sehr studiert aussah, mit goldener Brille auf der Nase, einen starken Stock in der Hand, kam von Thalberg und mietete beim Rendant Flos. Nach dreitägiger Abwesenheit kehrte er, abermals von Thalberg, zurück und ging sofort zum Justizrat Schröder; bald wußte man, daß er dessen Sohn Richard unterrichten werde. Schritt man an dem kleinen zweistöckigen Flos’schen Hause vorbei und sah dort oben an den Fenstern Blumentöpfe mit Geschmack aufgestellt und hinter ihnen ein echt germanisches Gesicht mit hellblondem Vollbart, breiter freier Stirn und blauen Augen mildlächelnd hervorgucken, so erkannte man, daß es einem Naturfreunde gehören müsse. Reuter war schnell eingeführt, eine Art Zuneigung und Ehrfurcht wurde ihm entgegengebracht .... Binnen kurzem hatte er etwa ein Dutzend „Honoratiorenkinder“ zu unterrichten. Als Schullokal benutzte er seine Wohnung: in der einen Stube saßen die Knaben, in der anderen die Mädchen. Er hielt auf Ordnung und Anstand, beobachtete dabei jedoch nicht die gewöhnliche Schulpedanterie; im Gegenteil, selbst immer heiter und froher Laune, munterte er diejenigen, welche trübseliger Natur oder langsamen Geistes waren, auf und schien es jedenfalls lieber zu sehen, wenn einer etwas toll sich ausließ, als wenn er zu wenig Leben zeigte … Er lehrte Französisch, Lateinisch, Naturwissenschaften, Rechnen, sowie Zeichnen … Auch über sein Auftreten als Turn- und als Schwimmlehrer – er setzte in Treptow auch die Anlage einer städtischen Schwimmanstalt durch – fehlt es uns nicht mehr an anschaulichen Berichten. Bei den Uebungen, so berichtet auf Grund eines solchen A. Römer, erschien er in grauleinener Jacke mit Gurt und schwarzem Schlapphut. Trotz seiner Muskelkraft turnte er in der Regel nicht selbst vor, höchstens öfter am Barren. Mit Vorliebe trieb er Turnspiele, Boxlauf und Wettrennen. Großer Jubel herrschte in der jungen Schar – er hatte gleich im ersten Jahr vierzig Schüler – wenn Reuter mit ihr nach Jahnschem Vorbild seine Turnfahrten unternahm. Frühmorgens zog man aus in Reih’ und Glied, und mit hellem Gesang ging es meilenweit durch Dorf und Stadt. Die Unterhaltung auf dem Marsch war köstlich; da gab es Scherzspiele, Rätsel und fesselnde Anekdoten in Hülle und Fülle. Wohin die Turnerschar kam, ward sie mit offenen Armen empfangen – „Fritzing ist da!“ rief man ihm freudig entgegen. Auch er war, wie’s im alten Burschenwanderlied heißt, „überall zu Hause, überall bekannt.“ Die „Stemhäger,“ Jvenacker und andere Freunde nahmen die Zöglinge auf und bewirteten sie reichlich. Reuter war ein wackerer Fußgänger und erzog seine Schüler zu rüstiger Ausdauer, aber auch zu herzhaftem Mut. Zuweilen unternahm er mit ihnen nächtliche Ausflüge, bei denen die Knaben als Patrouillen entsandt wurden … Gaedertz erzählt nach der Schilderung eines Teilnehmers gar anschaulich von einer solchen Nachtfahrt ins Stadtholz, bei welcher mitten im Wald beim Rauschen und Knistern der Bäume übernachtet wnrde. Auf einer [620] Lichtung war mit Erlaubnis des Stadtförsters, der sich auch einfand, Reisig für Wachtfeuer und Stroh zum Nachtlager aufgeschichtet. Während die Feuer brannten und die darum gelagerten Jungen daran in Blechkannen Kaffee kochten, Reuter auch einzelne aussandte, um die Gegend zu rekognoscieren, sorgten er und der Förster für die Unterhaltung durch Geschichtenerzählen. Dann ward das Stroh ausgebreitet – o, wie gut schlief sick’s in der warmen Augustnacht im Freien! – und früh am Morgen unter den Strahlen der aufgehenden Sonne und dem Scheidegruß der erwachenden Vögel ging’s aus dem Wald wieder heim.

Wenn aber Reuter mit seinen fröhlichen Turnknaben zwischen den nur eine halbe Stunde vor Treptow gelegenen Nachbargütern Thalberg und Kleintetzleben vorüberzog, so ward der helle Wandergesang der Jugend zum Ständchen – bald für die liebsten Freunde, bald für die – Liebste. Wohl hatte seine Luise auf Thalberg mit Trauern die Hoffnung sich zerschlagen sehen, von hier aus etwa „als Herrin von 6 Last kulturfähigen Ackers und dreischüriger Wiesen“ an der Seite ihres Fritz ein eigen Heim zu beziehen, aber die resolute Art, wie dieser jetzt drauf und dran war, in Treptow als Lehrer dem gemeinsamen Glück ein „Hüsung“ zu gewinnen, war ihr, der Lehrerin, durchaus sympathisch. Mit Klavier- und Singunterricht konnte sie ihm dann helfen, das Nötige für den Haushalt zu verdienen. Und wenn sie es auch nicht über sich vermocht hatte, die Gastfreundschaft der Freunde ihres Manns, die nun die ihren auch geworden waren, über Jahresfrist hinaus in Anspruch zu nehmen, so hatte es sich doch gefügt, daß sie auf dem benachbarten Kleintetzleben beim Rittergutsbesitzer Hilgendorf, einem Schulfreunde Reuters, als Erzieherin Stellung fand. In dieser verblieb sie, bis sie einige Zeit vor der auf den 16. Juni 1851 anberaumten Hochzeit noch einmal ins Vaterhaus, wo auch diese stattfinden sollte, zurückkehrte. Die Nähe der Geliebten trug nicht wenig dazu bei, Reuter zu vollster Energie beim Einleben in den neuen Beruf anzuspornen. Wenn er des Sonntags als Gast auf Thalberg erschien, so war dafür gesorgt, daß er auch ein vertrauliches Plauderstündchen mit der geliebten Braut fand. Das innige Zusammenleben, das für ein späteres Eheglück für Verlobte so wichtige Sichverstehenlernen erfolgte nnn doch, und die große Beliebtheit, deren sich „Onkel Reuting“ bei alt und jung in der ganzen Gegend erfreute, ward ihr zu einem auch seine Schwächen verklärenden Spiegelbild seines Wesens. In ihrer Liebe für die Welt der Kleinen, ihrer Fähigkeit, den Humor der Kinderstube zu entfesseln und zu genießen, begegneten sich Beider Gemüter. „Kinderlieb“ waren sie beide in hohem Grade. Obgleich Reuter mit seiner „Stromzeit“ nun definitiv abgeschlossen hatte, übernahm er doch auch in diesem Jahr noch einmal die Verwaltung des Peters’schen Guts als Stellvertreter seines Herzensfreunds, als dieser zum Heer einberufen wurde.

Aus dieser Zeit stammen die folgenden Zeilen, die, so kurz sie sind, uns einen unmittelbaren Einblick in den Verkehr der Verlobten gewähren. Eine epidemische Kinderkrankheit ist in Thalberg eingezogen, während die Eltern fort sind; der gute „Unkel Eute“ übernimmt selbst die Pflege bei den vier Kleinen, die an ihm wie einem leiblichen Onkel hängen. Luise aus Tetzleben, die er mündlich vom Ausbruch der Krankheit unterrichtet hat, harrt bange der Nachrichten über den Verlauf, und mitten aus dem Krankentrubel heraus schreibt er ihr mit fliegender Feder:

 „Liebe Louise,
Ich schreibe also meinem Versprechen gemäß sogleich an Dich und zwar kann ich zu meiner Freude Dir beruhigende Nachricht geben. Diese letzte Nacht ist zwar unruhiger, wie die vorige gewesen, indessen sind alle Symptome der Art, daß beide Aerzte sich erklärt haben, wie dieselben zu dem nothwendigen regelrechten Verlauf der Krankheit gehörten. Fritz hat viel über Brennen geklagt und deßwegen wenig geschlafen; der arme Junge weinte bitterlich vor Schmerz; Hans ist recht schön ruhig gewesen und augenscheinlich in Besserung; Elise hat wirklich auch die Frieseln, es hat mit ihr jedoch einen ziemlich gefahrlosen Verlauf; Anna entschieden damit durch. Die Nachrichten sind also nicht trüber. – 0000000000000000000000– Soweit war ich, als ich gestört wurde. Diese Nacht habe ich theilweise gewacht und heute Morgen zu meiner Freude gehört, daß Alles weit besser steht. Alles ist auf dem Wege der Besserung.

Indem ich Dir dies in aller Eile melde, bitte ich Dich inständigst, Dich zu schonen und bei der geringsten Erkrankung mich davon in Kenntniß zu setzen.

Ich bin sehr wohl. Mit der herzlichsten Liebe
Dein Fritz.“ 

Erst als die so lang hinausgedehnte Brautschaft zu Ende ging und Luise ein letztes Mal vor der Hochzeit zu Hause weilte, um mit der Mutter die Aussteuer zu ordnen und die einfache Hochzeit vorzubereiten, sah sich das Paar wieder darauf angewiesen, die Herzen gegeneinander schriftlich auszusprechen. Und leider wurden gerade die Briefe, welche der Dichter so nahe dem Ziel an die Entfernte schrieb, zu Zeugnissen eines schweren inneren Konflikts, der die Wolkenschatten, die schon die Verlobung bedroht, über die Liebenden in einer Stärke heraufbeschwor, welche noch einmal ihre Vereinigung für immer in Frage stellte. Die unheimliche Krankheit, gegen deren Tücke er mit bewundernswerter sittlicher Kraft die Jahre daher angekämpft hatte, die denn auch unter dem Segen seiner vernünftigen Lebensweise, unter dem Einfluß von Kaltwasserkuren, deren er sich in Stuer unterzog, an Macht eingebüßt hatte, überfiel ihn gerade jetzt wieder einmal mit ihrer demütigenden Wirkung. Und er hielt es für seine Pflicht, der Braut davon Mitteilung zu machen. Schon Wilbrandt hat in seiner Biographie und bei Herausgabe der Nachlaßschriften des Dichters Bezug auf diese Wendung genommen, schon er hat hervorgehoben, wie sich gerade in diesem Vertrauen zu der Einen, die er zu seinem Weibe erkoren, die Idealität seiner Seele offenbart hat: seine Wahrheitsliebe duldete nicht, Luise im Unklaren über das Fortbestehen des Leidens zu lassen, vor dem sie ein Grauen empfand, und von dem sie mit ihm vermeinte, daß es durch sittliche Willenskraft sich unterdrücken ließe, während es doch nach dem Ausspruch des ihn behandelnden Arztes ein körperliches Siechtum war.

 „Meine liebe, einziggeliebte Luise
Ich weiß, Du hast die Gewohnheit, meine Briefe für Dich in Einsamkeit zu lesen. – So thue es denn auch dieses mal. –

Mein Schreiben ist traurigen Inhalts und nur Deine Liebe und die Gewißheit, ohne Dich nicht leben zu können, giebt mir den Muth zu der Nachricht, daß ich wieder gefallen bin. Ach das ist schlimm, so lange habe ich mich gut gehalten, so lange bin ich muthig geblieben und nun so kurz vor dem Ziele, so kurz vor dem Jahre lang ersehnten Ziele! – Es ist wahr, der Anfall war kurz und ist leicht überstanden, nur 2 Tage setzte ich meine Stunden aus; aber ich fühle es, in der Sache selbst ist dadurch nichts geändert.

Luise, meine engelgleiche Luise, laß noch einmal Deine Liebe zur verzeihenden werden, glaube mir, so kann es nicht wieder werden bei Deinem Hiersein, bei einer noch so engen beschränkten Häuslichkeit. Ich habe ja seit meinem 14ten Jahre nicht gewußt, was Häuslichkeit ist; bedenke, daß ich unmöglich so plötzlich mit einem Schlage einen Fehler ablegen kann, der sich so allmählig eingeschlichen, bedenke, daß keine große That ausgeführt ist, wo nicht besondere Umstände helfen, – und ist nicht die Entwöhnung von einem so alle Sinne in Anspruch nehmenden und alle freien Entschlüsse lähmenden Laster ein Großes und wo sind bisher die besonderen Umstände? – Was hilft mir dazu? Die Idee Deiner Liebe? – Ach Ideen kämpfen vergebens gegen die kleinen oder großen Schwächen des täglichen Lebens. Bedenke, daß alle meine Unterhaltung bisher in einem Wirthshausleben bestanden hat, daß mich sogar das tägliche Bedürfniß dorthin gerufen hat. – Aber laß Deine holde Gegenwart erst zur Wirklichkeit werden und Deine Liebe zur versöhnenden That, dann wird es anders. Gestern Abend saß ich so einsam hier im Zwielicht und dachte daran, ob Du es mir vergeben könntest, ob Du mir die alte theure Liebe bewahren könntest, und da wurde mir so vertrauend zu Sinn, ich dachte wenn Du hier wärst, dann würde Alles gut sein, dann müßtest Du mir vergeben … Gott wird in meiner Brust durch Deine Liebe jede gute Stimme wecken, damit ihm dieselben Lieder singen, Du wirst mein liebes, liebes Wiesing sein und bleiben.

So könnte ich fort und fort fahren, denn das Herz ist mir sehr voll. – Wenn das wahr ist, daß dieser Zustand ein körperlicher ist, so ist es gewiß schlimm, daß er noch einmal wiedergekehrt ist; aber nicht so schlimm, als wenn er früher wiedergekehrt wäre und lange nicht schlimm, als hätte er noch länger auf sich warten lassen. Vielleicht würde er grade durch die Ehe, als Ehe geheilt, gewiß ist es aber, daß er im Abnehmen ist und daß er aufhören wird.

[622] Meine liebe, theure Luise, denke an mich freundlich, zeige mir diesen Brief, wenn Du einst fürchtest, daß ich auf Abwege gerathen könnte, und denke Dir mich so, als wenn Du nur mein Haar streicheltest und sagtest, Du siehst heute so gut aus. Unter meinem Fenster ist Hornmusik, sie zaubert mir die Hoffnung auf manchen Liederabend in’s Herz. Wenn mir dies Leben wirklich so ans Herz gewachsen wäre und nicht Deine Liebe, so könnte ich ja nur die Schande wählen, statt der Tugend, bedenke dies Alles, bedenke auch, daß ich schon vorige Woche das Aufgebot bestellt habe, daß Einrichtungen und Bestimmungen getroffen sind, die jedenfalls schwierig zu redressiren sind. –

Aber alle Deine Bestimmungen sind mir unmöglich gewesen zu erfüllen, doch hat es mit einigen auch Zeit, z. B. mit der Fracht, die kann ich noch immer bestellen. Deinen oder besser Vaters Wunsch um Uebersendung des Naturalisations-Attestes erfülle ich heute; da ich wirklich diesen Gegenstand übersehen habe, weil er am Rand des Couverts stand. Ach, mein süßes Kind, ich möchte noch allerlei schreiben; aber wenn Du Dich nun besännest oder es Dir gar so zu Herzen nähmest, daß Du mir wieder krank würdest. Fasse Dich jetzt nur, gehe in den Garten, weine Dich aus, denke, daß ich Dir viel Trübsal gemacht habe, daß ich Dir doch auch wieder viel Freude machen kann und werde; oh Du liebes, liebes Mädchen; denke doch daran, wie süß Du es mir einst vergabst, wie wir beide so seelig gerührt waren, wie die Versöhnung so schön und die Verzeihung die Liebe so reich macht!

Was die Weste betrifft, so bitte ich Dich recht dringend, arbeite keine für mich, laß es bis zur Zeit, wo Du selbst mir Maaß nehmen kannst, ich habe schöne Westen genug und sollst Du nicht sitzen, wenigstens jetzt nicht. Einen Brief von Schmiedekampf lege ich Dir hier bei, damit Du seinen Vorschlag daraus ersiehst; ich rathe jedoch nicht dazu, wenn es nicht möglich ist, daß sich das durch Ratenzahlung kaufen läßt, wird es uns zu drückend sein. – Wir kaufen es bei Roloff, schicken das meiste Leinzeug und die neuen Betten mit Fracht nach N. Brandenburg und lassen dies als Aussteuergut von dort einfahren; meinen Klapperkram führen wir über den andern Zoll und bitten Ernst, daß er es uns fährt, dann kostets uns nicht viel.

Victualien aller Art, so wie ungemachtes Leinenzeug sind durchaus nicht frei, müssen also versteuert werden, was denn zuweilen recht hoch ist.

Und nun will ich mich denn noch einmal hinsetzen, um mit Dir zu plaudern, als wäre nichts vorgefallen, oder besser, als hättest Du schon Alles vergeben; aber ich glaube es wird nicht gehn, ich glaube ich bin zu traurig, um des frohen Tages so zu gedenken, wie Du ihn Dir gedacht hast, als Du den letzten Brief schriebst. Wie seelig sind damals Deine Gefühle gewesen, wie freudig in ihrer Hoffnung, wie innig mit mir beschäftigt! Oh laß es so, laß den Ring fest, fest sitzen, denke, daß er mit Dir verwachsen ist, wie meine Seele mit der Deinen … Willst Du den traurigen Inhalt des Briefes mittheilen, so sage ihn Mutter allein und mache mir nicht die Beschämung bei den übrigen Geschwistern; Vater vergiebt ihn mir, glaube ich, auch zu Mutter habe ich eben so ein Vertrauen.

Mein Wiesing, mein liebes, holdes Kind, Du sollst es gewiß gut bei mir haben, wir wollen Ein Herze sein, wir wollen die kleinen Unannehmlichkeiten mit Freuden ertragen und wollen Gott bitten um zufriedne, liebende Herzen; unsre kleine Häuslichkeit ist wirklich geschaffen für uns und läßt sich durch Liebe und gegenseitige Güte und Dankbarkeit für das, was wir haben, zu einem Paradies umschaffen.“
(Unterschrift fehlt.) 

[638] Wenige Tage nach der mitgeteilten erschütternden Seelenbeichte griff Reuter schon wieder znr Feder.

  „Meine innig geliebte Luise,
Nicht wahr? Du hast verziehen, hast den letzten Schmerz überwunden? Mir ist wohl angst zu Sinne; aber doch hat die Hoffnung auf Deine Liebe den Sieg in meinem Herzen davon getragen, ich kann mir nicht denken, daß Du jetzt grade, mir strenger gegenüber treten solltest, wie sonst. Darum habe ich auch das Aufgebot nicht abbestellt und heute werden wir zum erstenmale aufgeboten, heute über 3 Wochen treffe ich in Roggenstorf ein, um dort erst Deine Verzeihung und dann Deine Liebe in Empfang zu nehmen. – Gott gebe, daß dies keine Täuschungen von meiner Seite sind; würde ich jetzt durch Dich bestraft, dann wär es für mich zu hart; aber ich glaube nicht daran, ich vertraue fest auf Dich, die Du so gut und liebend bist und die Du nur allein weißt, daß die innigste Liebe für mich von Deiner Seite mich trägt und hält. Wärst Du jetzt hier gewesen, es wäre nicht geschehen. Ich sitze nun wieder in dieser hoffnungsreichen Zeit auf mein Zimmer gebannt, gebe Stunden, so viel ich kann, um die paar versäumten nachzuholen und die zur Hochzeit zu versäumenden vorweg zu geben, wo es nur immer angeht; ich gebe also, ohne die Zeichenstunde, täglich von 6–10 Uhr Stunden, auch des Sonntags. Wie Du Dir denken kannst, sitze ich wieder trostlos allein und will auch nicht früher in die Welt, ohne daß Deine Liebe mir zur Seite stehe und mich schütze. Wie ich mich sehne nach der ruhigen Häuslichkeit! Nur darin wird mir ein Heil erblühen, darin nur mir Frieden werden und Du, Du, meine Luise, bist die gütige Fee, die Alles dies mir spenden soll. – Oh! ich denke wohl mit sehnsüchtigem Verlangen an den Tag, der mir das Recht giebt Dich zu besitzen, Dich ganz mein zu nennen; aber wahrlich mehr noch denke ich an den Tag, weil er mir das Recht giebt, Dir Dein Leben zu kränzen mit Vertrauen, Treue und Liebe und mit jenen tausend kleinen theuren Beziehungen, die wir Deutschen mit dem uns nur eigenthümlichen Worte Gemüthlichkeit benennen. – Sieh! nicht in den ersten Zeiten unserer Liebe ist mir das Herz so voll von Dir gewesen, wie jetzt; und wie mag es dann erst sein, wenn Du mit liebender Geschäftigkeit, Dich hier um mich drehst, wenn Du mir Gelegenheit giebst, Dir den glühendsten Dank dafür zu spenden, den mir eine zu allen Opfern bereite Liebe auferlegt. – Laß mich zu Dir kommen, geliebte Luise, tadle mich, lege mir harte, zweckmäßige Bedingungen auf, aber stoße mich nicht zurück! – Ich fühle es, in aller dieser Liebe, die meine Feder äußert, zeigt sich Selbstsucht, ich hätte zuerst an Dich denken sollen, Dich fragen und zittern sollen, wie Du die böse Nachricht aufgenommen habest; aber ich kann nicht glauben, oder besser ich will’s nicht, daß der Eindruck ein so heftiger gewesen ist, daß Du sehr gelitten; ich habe mich getröstet mit der Hoffnung, daß Du gesunder und wohler seiest, als sonst, daß Dein eigner Wunsch mit mir verbunden zu sein, wie er sich in Deinen letzten lieben Briefen ausspricht, ein Gegengewicht gegen Deinen übergroßen Schmerz bilden würde; habe ich mich getäuscht? Sei gut! sei wieder freundlich! und schreibe mir bald, denke nicht daran, daß ich träger im Schreiben gewesen bin, als Du, als ich sein sollte, denke daran, daß ich ja noch den Weg zu Deinem lieben, treuen Herzen weiß und daß ich ihn einschlage, indem ich so an Dich schreibe, daß ich ihn verfolgen werde, indem ich Dir lebe und daß ich das Ziel erreichen werde, durch die Aufopferung aller Eigensucht.

Nach Stettin zur Erlangung der Erlaubniß Deine Aussteuersachen (einzuführen), worunter das Fortepiano, habe ich geschrieben, habe aber noch keine Nachricht zurück. Die Frachtangelegenheit besorge ich am besten zu Pfingsten, wenn ich durch Stav. komme und warte blos auf die Verzeihung in Deinem nächsten Briefe, um mir einen schwarzen Anzug dort zu bestellen und ihn auf der Durchreise dort abzuholen. Dann gedenke ich zuerst nach Lisetten zu reisen, erstens um dieselbe zu bewegen, daß sie mich nach Rogg. begleite, zweitens, um die Angelegenheit der Entsagungsacte dort noch durch einen Notar beglaubigen zu lassen, was ich am besten selbst betreiben zu müssen glaube. Dasselbe will ich, der größern Sicherheit wegen hernach in Stav. bei Sophie besorgen. –

So sehr ich die Gründe einsehe, die Dich bestimmt haben, das Leinzeug auf Deinen Namen zeichnen zu lassen, so sehr bedaure ich dies doch im Ganzen, weil ich voraussehe, daß die Einführung jetzt am Ende noch mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, als sonst; indessen Umstände werden wir doch genug haben und so mag’s denn auf ein Paar mehr oder weniger nicht ankommen. Hast Du das Verzeichniß der einzelnen Stücke dort? so hebe es auf und schicke es mir, wenn ich es verlange. Auch rathe ich, alle Sachen, die Du mitbringst in ein Verzeichniß zu stellen und mir dasselbe auf desfallsiges Verlangen zu zu schicken.

Der Garten, der mir mit Beschaffung der Bohnenstangen und der Pfähle, mit Grabelohn und anderm Tagelohn, Ankauf von Pflanzen doch mindestens 10 Thlr. kostet, ist jetzt ganz bestellt und das meiste ist aufgelaufen. Alles steht jedoch nur kümmerlich und kann es am Ende bei dieser kalten Witterung nicht gut anders. Er enthält 4 Beete mit Stangenbohnen, 4 mit dito kleinen, 2 Beete mit Zwiebeln, 2 mit Mohrrüben, 3 mit Erbsen, 1 mit Petersilie, 2 mit Sellerie, 1/2 mit Porro, 2 mit Gurke, 1/2 Schock Blumenkohl, 1/2 Schock Kohlrabi, 1/2 Schock Wirsing, 1/2 Schock Spitzkohl, 1/2 Schock Winterkohl, 1 Beet großer Bohnen, außerdem sind Rabatten mit Blumen, Georginen und Levcoyenbeete, eine Laube im Entstehen und viel Rosen darin. – Auf dem Felde sind 2 Scheffel frühe Kartoffeln gepflanzt. Unsern Herbstbedarf denke ich zu kaufen, falls nicht Ernst mir den Bedarf auf den Winter zum Hochzeitsgeschenk macht, da dieselben zollfrei sind. Holz 11/2 Faden, sind bestellt, sowie auch 20,000 Torf; womit wir aber wohl nicht auskommen werden.

Ich setze mich heute gegen Abend noch einmal wieder hin um noch einige Worte hinzu zu fügen, und es nicht so zu machen, wie mit dem vorigen Briefe, den ich ohne Unterschrift und Datum abgeschickt habe und es dabei belassen mußte, weil es zu spät mir einfiel, daß ich es vergessen. Du mußt nach meiner Berechnung diesen Brief jetzt haben und hast mir also schon verziehen. – Ich weiß es! mein süßes, liebes Kind! Oh wie sehne ich mich, Dich an mein dankbar Herz zu drücken, wie denke ich daran, Dich zu küssen für all Dein liebes Thun, wie gedenke ich, es Dir zu vergelten durch unausgesetzte Liebe und jede Tugend, die Dich heimischer machen kann in meinem Herzen und mich in dem Deinen. Wie sehne ich mich, Deinen süßen Leib zu umfangen, den irdischen Tempel Deiner innern Lieblichkeit, wie drängt es mich zu Dir, den schönsten Tag des Erdenlebens an dieser treuen Brust zu feiern, ihn mit dieser liebenden Seele in Gemeinschaft zu genießen … Wie thöricht kommt es mir vor, wenn ich an Rogg. und seine Stille, wenn ich an das Vaterhaus und seine Bewohner denke und an seine Idylle, wie thöricht kommt es mir vor, so ein Fest nach einem Balle zu feiern, ein Gejubel von Hunderten um sich nöthig zu haben, wo jede Regung der Seele, jede Fiber des Körpers in Jubelgesang aufgelöst ist, wo man jubelt und doch stumm ist, wo man in Entzücken schwelgt und doch weinen mögte, wo man größern Sorgen, ernsteren Pflichten entgegen tritt, und doch so glücklich ist!

Und dessen wolltest Du mich berauben durch die Versagung Deiner Verzeihung? Luise! warum denn hast Du so oft verziehen? Luise, meine Luise! bald für immer meine Luise!

Nun scheide ich für heute, laß mich nicht lange in der peinlichsten Erwartung meines Lebens und denke daran, was ich Dir sein werde, wenn Deine Liebe fort fährt, die Dämonen meines Herzens zu verscheuchen. Und denke daran, daß es Dir doch nichts hälfe, daß ich doch nicht aufhören würde zu sein und zu bleiben
Dein Fritz. 

Treptow d. 25sten May 1851.“


  „Liebe, theure Luise,
Ich sitze schon wieder an meinem Schreibtische und denke an Dich, ich weiß nichts anders und kann nichts anders. Eine Antwort von Dir kann ich heute füglich noch nicht haben und so muß [639] ich denn wieder in der schrecklichsten Ungewißheit es versuchen mit Dir zu verkehren. Wie hast Du entschieden? oder hast Du noch nicht entschieden? Oh, dann laß Dich noch einmal beschwören bei Allem, was uns beide angeht, bei bösen und guten Erinnerungen, laß die Entscheidung so ausfallen, daß wir nicht getrennt werden. – Du siehst, ich habe Wort gehalten und Dir sogleich mein eigen Verderben gemeldet, Dich zur Richterin gemacht, nun sei auch gnädig und laß Dich durch die Betrachtung der Umstände rühren. Bedenke, daß bei allem Eigensüchtigen, das in meiner Bitte unzweifelhaft liegt, doch gewiß die Angst um Dich und Deine Zukunft einen großen Theil an meinem Flehen hat. –

Ich fahre heute den 27sten Abends fort. Ich komme vom Turnplatz, auf welchem ich heute zum erstenmale begonnen habe. Ich bin nicht müde; aber mir ist so weh, so krank zu Sinn, als stände mir ein großes Unglück bevor; es scheint sich Alles zu vereinen, um mich herabzudrücken und dabei soll ich heitere Polterabendgedichte schaffen! Du lieber Gott! ich bin nicht im Stande mit einem gleichgültigen Menschen ein gleichgültiges Gespräch zu führen … Ich fühle es, hier stehe ich an einem Hauptwendepunct meines Geschicks und die Entscheidung steht bei Dir; ich sehe Alles schwarz, vielleicht täusche ich mich und der Morgen läßt es mir schon in anderem Lichte erscheinen; mir ist als wenn Du entscheiden solltest, ob ich ferner einsam, von Keinem geliebt, von Vielen verkannt, kalt und herzlos, ohne besondere Sorge durch die Welt wandern sollte, um zuletzt mit der ReUe um ein verlorenes Leben aus dem LebeN zu gehen, oder ob ich mein Leben in Sorge und Bedrängniß hinbringen soll, getröstet von der Liebe, gehalten durch Vertrauen zu den Menschen, getragen durch Vertrauen auf Gott, um endlich eine ersehnte Ruhe zu finden. Ich will erwarten, wie Du entscheidest, ich will annehmen, was Du bestimmst, und gewiß ohne Murren, ohne später in meinem Herzen Dir lügnerische, selbsttäuschende Vorwürfe zu machen …

Ich habe geschlafen, habe heute morgen schon 3 Stunden gegeben, mein Sinn ist nicht klarer, mein Herz ist nicht gefaßter geworden. Ich scheue mich, mich zu erkundigen, ob ich am Sonntage aufgeboten bin, ich weiß nicht, ob dies Aufgebot mit einem großen öffentlichen Schimpf endigt oder nicht; sollte dies erste der Fall sein, bleibe ich nicht hier, ich gehe, sobald als möglich, fort von hier. Aber wohin? Mecklenburg habe ich in Folge dieser Aussichten verlassen und Preußen zum Vaterlande gewählt und in demselben kenne ich fast keine Stadt als Treptow; es wird dann wohl nicht leicht sein fortzukommen. – Aber was sind alle diese kleinen Unbequemlichkeiten gegen das Gefühl, Dich unendlich leidend zu wissen, ohne helfen zu können, Dich leidend zu wissen und mich selbst als den Urheber Deines Leidens zu wissen. Wie soll ich jemals Ruhe finden, etwas zu beginnen, zu betreiben, wie soll ich, wieder in die Welt gestoßen, den Fehler besiegen, der Dich von mir gerissen? Ich weiß es nicht, wie dies werden soll …

Liebe, liebe Luise, Du kannst nicht glauben, was ich von Dir halte, Du kannst nicht glauben, wie mir’s um’s Herz ist, ach! und ich kann’s gar nicht glauben, daß Du mich aufgiebst, ich kann garnicht den Gedanken fassen, wie mir dann sein wird! Ich bitte und flehe, wenn es in Deine Macht gegeben, laß mich nicht, vertraue auf mich, daß Deine Gegenwart und die Häuslichkeit alles anders machen werden, daß es besser mit mir geworden ist und daß es ganz besser werden wird!

Nun kann ich nicht mehr bitten, der Vorrath von Worten ist erschöpft und nur meine Seele mag noch ferner in Angst und Zagen zu Gott beten, daß er Dir den Weg zeige, der für Dich der Beste ist.

Lebe wohl, lebe wohl, sei so gesund, als Du es kannst und verklage mich nicht zu sehr in Deinem Herzen.

Auf immer und ewig
Dein F. Reuter. 

Treptow d. 28sten May 1851.“


Wie Wolken und Sonnenschein, wenn sie mit gleicher Stärke um die Herrschaft kämpfen, lösen in diesen Briefen Verzweiflung und Hoffnung einander ab, ja oft treten diese Gegensätze so unvermittelt nebeneinander, wie wenn bei solchem Naturvorgang in noch sich ergießenden Regen die Sonne ihre Strahlen schickt. Und die Hoffnung siegt. Während die realen Pflichten und Sorgen den vielbeschäftigten Bräutigam, der die Einrichtung des neuen Heims selbst zu besorgen hat, ablenken von seinen dunklen Furchtgedanken, lichtet sich die Zukunft vor seinem Blick, wächst die Zuversicht, daß der langjährige Kampf um den Besitz der Geliebten nicht sieglos enden kann. Aber er hat auch einen treuen, beredten Anwalt im Herzen der Braut – das Bild seines innersten Wesens, das dort sich in dieser langen Zeit so tief eingeprägt hat, daß es nun durch nichts mehr getrübt werden kann, das Bild seines urgesunden, warmherzigen, tüchtigen, ehrlichen, rührigen, von hohen Idealen getragenen, von tröstlichem Herzenshumor durchleuchteten Wesens, wie sie es kennengelernt hatte in all den Prüfungen, die ihre Liebe seither gemeinsam bestanden! Und sie vergiebt ihm, läßt sich nicht zurückschrecken und wagt’s mit ihm, beseligt von dem Glauben, daß in der sicheren Hut der Ehe und ihrer Liebe der Geliebte nun zur vollen Entfaltung seiner Kräfte gelangen wird, daß der von ihr so wacker „gejätete Acker seines Herzens“ nun bereit ist, die reiche Saat, die in ihm ruht, zu „tausendfältiger Frucht“ zu bringen. Sie kennt seine poetischen Pläne und Entwürfe, welche weit über die Gelegenheitsgedichte hinauslagen, die ihm die Liebe zu ihr oder das Verlangen nach Julklappversen und Polterabendscherzen bei Freunden und Fremden seither eingegeben; sie glaubt an seinen Dichterberuf und hat das Zutrauen, ihm ein Heim schaffen zu können, in dessen Schutz und Schirm er zur Ausführung dieser ernstgemeinten poetischen Arbeiten gelangen werde.

Der letzte Brief, den Reuter an seine Luise als Braut richtete, ist unmittelbar vor seiner Abreise nach Roggensdorf und mitten im Trubel der letzten Besorgungen für den neuen Haushalt – auch ein Mädchen hatte er zu mieten – geschrieben. So klingt der Dank für Luisens liebreiches Vergeben – übrigens kleinlaut genug – zwischen den geschäftlichen Mitteilungen und dem Ausbruch der Vorfreude hindurch auf das Wiedersehen, die endliche Vereinigung für immer.


 „Liebe Luise.
Diesen Brief schreibe ich sehr rasch und durch die Nothwendigkeit dazu gezwungen. Heute Dienstag d. 3ten Juni über 8 Tage also am 10t d. M. denke ich von hier abzureisen, ich muß also die verlangten Verzeichnisse, so wie das Attest Deiner Ortsobrigkeit spätestens bis dahin haben, um es hier einreichen zu können, d. h. ich muß es am 2. Festtage haben; ich bitte Dich nun dies ja und ja nicht zu versäumen, sonst giebt es Verwirrung über Verwirrung. Heute erwartete ich mit Bestimmtheit einen Brief von Dir; er ist ja doch nicht gekommen und so mag derselbe denn wohl morgen eintreffen. Vergiß nichts von Deinen Sachen bis zum Schuhzeug herunter, sonst sind Unannehmlichkeiten die Folge. Der Küchenschrank, der Tisch und die Bank in der Küche sind bestellt; Madame Peters sagte auch von Böttchergeschirr. Ach, wenn doch diese Geschichten erst in Ordnung wären! ich weiß mich schlecht mit solchen Dingen zu behaben. Zu Pfingsten wird Kardorff und Ernst Peters mit Frau in Thalberg erwartet und mit dieser Gelegenheit denke ich nach Stav. zu reisen. – Morgen will ich mich in Th. nach Rieke Dühn erkundigen. Mein Dienstmädchen ist krank und ich kann nichts besorgt erhalten, dazu habe ich mehr Stunden, als sonst, weil ich die später ausfallenden zum Theil vorweg gebe und dann soll ich die verdammten Polterabendgedichte machen und mir fehlt die Ruhe und die Gedanken dazu. –

Wie geht es Dir, meine liebe, liebe Luise, bist Du noch sehr traurig, oder hast Du neuen Muth gefaßt? Laß es gut sein, es wird Dir nie leid werden, daß Du so lieb und gut gewesen bist, mir wird dies ewig vor Augen stehen, so wie es in mein Herz mit unauslöschlichen Zeichen gegraben ist. Ich bin nur bekümmert, daß ich noch keinen Brief habe, ich fürchte grade nichts Uebles; aber mir gehts wie den Uebelthätern, die durch jedes Ungewöhnliche in Furcht versetzt werden, sei sie auch nur eine unbestimmte. –

Mir fällt ein, daß die Antwort auf diesen Brief mich am Ende nicht mehr hier treffen könnte, solltest Du dies voraus sehen, so addressire dieselbe nach Stav., ich kann von dort noch manches besorgen. Den Proclamationsschein werde ich am letzten Festtage ausgestellt erhalten, wie Maskow mir sagt.

Heute über 14 Tage, meine süße Luise, heute über 14 Tage ist der Tag, an welchem wir endlich verbunden werden; wie unendlich ersehnt ist für mich dies Ziel, wie glücklich bin ich in dem Gedanken, daß Du mein wirst und daß ich Dir gehören soll. Glaube nicht, daß es bei mir die Freude allein ist, die darüber in meinem Herzen laut geworden ist, auch der Ernst und der feste Vorsatz, Dir alle Deine Liebe reichlich zu vergelten, haben darin ihre [642] Stimmen erhoben, und Du wirst gewahr werden, daß, wie groß auch meine Leidenschaft für Dich ist, meine Liebe doch noch größer ist. Laß uns den Tag in Voraus feiern und nimm mein Gelöbniß an, daß ich Dich ernstlich lieben will und Dich für Dein Leid durch alles Gute belohnen will. Meine süße, liebe, kleine Luise! Heute über 14 Tage! Schreibe mir jetzt nur bald, stärke meine Hoffnung durch fernere Güte und laß dieselbe auch in Dein Herz ohne Hemmniß einziehen. Du bist doch wohl? Nicht wahr, Du bist wohl! Nur jetzt werde mir nicht krank.

Wie ich mich sehne nach Deinen Zeilen, die Sehnsucht kann nur durch die nach Dir selbst übertroffen werden; wie ich sinne, Dir Deinen Aufenthalt hier lieb und angenehm zu machen! Du wirst jetzt mein liebes, süßes Weib und Alles will ich Dir zu Liebe thun, was in meinen Kräften steht; gewiß soll mich keine falsche Schaam abhalten, Dir zu folgen, denn ich weiß, Du wirst Deine Gewalt über mich nicht mißbrauchen.

Jetzt muß ich zum Turnen und morgen erst geht mein Brief ab, Du wirst ihn nach meiner Rechnung am Sonnabend haben, wenn Du dann am Sonntage schreibst, erhalte ich Deine Antwort hier nicht mehr, wohl aber in Stav., worauf ich mit Bestimmtheit rechne, sonst wird die Verwirrung arg; aber vielleicht hast Du schon geschrieben, wenn dieser Brief ankommt und hast alles besorgt, dann erhalte ich das Geforderte hier und dann ist’s so viel besser.

Lebe wohl, Du meine einzige Luise, lebe wohl bis wir uns wiedersehn, um uns nicht mehr zu trennen und küsse mich in Gedanken, wie ich es thue
  Auf immer Dein
(Fritz.) 

Treptow d. 3t Juni 1851.“


Am 16. Juni segnete wirklich der wackere Pastor Kunze in Roggensdorf den Bund seiner Luise und ihres Erwählten ein. Die junge Ehe, die diese dann in Treptow führten, brachte den Hoffnungen beider herrlichste Erfüllung. Er that ihr, wie er versprochen, alles zuliebe, und sie entsprach seinem Vertrauen und mißbrauchte die ihr eingeräumte Gewalt nie. Und es dauerte nicht lange, da regte sich die Lust zum litterarischen Schaffen mächtig in ihm. Wie bereits im ersten Jahre der Ehe sein erstes Buch, „Läuschen und Rimels“, zu entstehen begann, wissen wir von ihr selbst – sie hat es, als ihre von seltenem Glück gesegnete Ehe nach dreiundzwanzigjährigem Bestande durch Reuters Tod ein schmerzliches Ende nahm, der Nation selbst erzählt in jener Niederschrift für die „Gartenlaube“, die im Jahrgang 1874 zu lesen ist: „,Jch kann ja auch mal ein Buch schreiben’, hatte er bei seiner treuen Liebeswerbung gesagt, und wenngleich das zu jener Zeit etwas ungeheuerlich klang und mir dieser Wechsel auf Hoffnung gar nicht allzu sicher schien, dachte ich doch: ,J, im Stande wärst Du schon dazu.‘ Und er war’s, der liebe, beste Mann! Fast allabendlich, nach Beendigung von sechs bis sieben Privatstunden, wurden von acht bis zehn Uhr „Läuschen“ geschrieben, harmlose, teils selbsterlebte, teils allbekannte kleine Anekdoten, die er oft schon in heiteren Freundeskreisen ergötzlich erzählt hatte … Welch reines, ungetrübtes Glück umschloß diese stillen Arbeitsstunden! Ich glaube, man konnte nicht glücklicher sein als wir zwei Menschen.“

Einen Verleger fand Reuter freilich nicht für sein erstes Bnch, und nur mit geliehenem Gelde, das ihm einer seiner Treptower Freunde, der Justizrat Schröder, vorschoß, konnte er es auf eigene Kosten drucken lassen. Aber als es dann erschien, fand es bei seinen engeren Landsleuten in Mecklenburg und Pommern schnell warme Aufnahme und guten Absatz. Das lustige Volk, das der Dichter da vor ihnen aufmarschieren ließ, das war Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. Wohl waren die komischen Pointen durch die Kunst des Poeten gesteigert und verfeinert, aber auf dem Wege durch Vers und Reimzeilen war der derbgemütlichen Eigenart des heimischen Lebens und der plattdeutschen Mundart nichts von ihrer Frische und Kraft verloren gegangen. Der Erfolg ermutigte Reuter, die Sammlung seiner plattdeutschen Polterabend- und Julklappdichtungen, welche er während seiner „Stromtid“ für Freunde und dann auch auf Bestellung gemacht hatte, durch einige weitere zu ergänzen und zum Inhalt eines zweiten Buches, das den Titel „Julklapp“ erhielt, zu machen, dem bald die erste größere erzählende Dichtung „Die Reis’ nach Belligen“ folgte. Ehe er dann in Hinstorff in Neubrandenburg einen Verleger fand, der sich in der Folge um die Verbreitung der Schöpfungen Reuters, weit über die Grenzen Norddeutschlands hinaus, hohe Verdienste erwarb, ließ sich dieser den Vertrieb seiner Erstlingswerke selber angelegen sein, und zwar mit gutem Erfolg. Aus der frohen Stimmung heraus, mit welcher ihn diese Anfänge seiner dann schnell zu Ruhm und Wohlstand führenden Dichterlaufbahn erfüllten, ist der folgende Brief geschrieben, der an die zu Besuch bei den Eltern weilende geliebte Frau gerichtet ist, um die er hatte so lange werben müssen.


  „Meine liebe, kleine Frau,
Es ist schon wieder halb zwölf Uhr; ich hole Deinen Brief herfür, lese Deine herzlichen Zeilen noch einmal in dankbarer Erinnerung allen Glücks, das ich Dir verdanke und beginne Dir zu schreiben, wie ich mich ganz grausam sehne, Dich wieder zu begrüßen und – zu küssen. . . . Wie gerne wäre ich eine halbe Stunde bei Dir, um Dir recht sehr, sehr viel Gutes und Freundliches zu sagen, und Dir für Deine innige Liebe zu danken; doch bald wird dies der Fall sein. Ich denke so gegen den 25st. d. M. mich auf die Reise zu begeben, die aber, da sie den Character einer Fußreise tragen wird, nicht besonders rasch von Statten gehen dürfte. Erste Station ist Stavenh.; darauf Varchentin, Wahren, Jabel, Parchim, Grabow, Dömitz (diese beiden dürften indessen ausfallen) Lübtheen, Jeßnitz (wo Müller und Reinhardt) dann Schwerin, dann wohl gleich Roggenstorf und die letzte Station? Wo sollte die wohl sein, meine kleine Luise? Ich vermuthe sie wird Dir nahe genug sein, um mich zu überzeugen, daß Du mein kleines liebes Weib bist. Gelder sind eingegangen; aber sehr mangelhaft. Lübeck und Stettin und Güstrow haben kaum die Hälfte gesandt. Kaibel in Wahren das Meiste. Barnewitz, Richter-Friedland und Herwig-Greifswald gar nichts; ich habe indessen doch 50 [rth] an Krüger in Malchin auszahlen können, habe jetzt noch circa 27 [rth] in Cassa; werde in Wahren 9 [rth] in Lübtheen 5 [rth] einnehmen und denke dann so viel zu haben, daß Du Deinen Lübecker Gelüsten nachkommen kannst. Mußt aber auch recht gut sein! und recht gesund! Heute habe ich einen Einladungsbrief von Lisette erhalten, die alte gute Seele will uns auf dem Pritzierer Bahnhof abholen. Diesmal muß sie mit einem reisenden Handwerksburschen in der liebenswürdigen Gestalt ihres Bruders vorlieb nehmen. –

Mit meiner Arbeit geht es frisch vorwärts, ich habe heute ausgerechnet, um Dir eine Freude zu machen; ich habe 840 Verse geschrieben, 1/7 des vorigen Buches, gut 21/2 Bogen, den Bogen zu 3 Louisd’or gerechnet (ich krieg aber mehr) macht 371/3 Thlr. Gold; ein ernsthaft, sentimentales, auf romantische Art angefertigtes Gedicht für eine Zigeunerin; ein burleskes, berlinisches Jargon enthaltendes Drehorgelgedicht mit Einleitung und ernsthafter Schlußbemerkung; ein plattdeutscher Liebeszwist zwischen Carl und Marieken mit Nutzanwendung über die Vorzüge der Dämlichkeit, und ein Lumpacivagabundengedicht vom Schneider Zwirn, Schuster Pech und Tischler Leim, welches noch seiner endlichen Vollendung harrt; letzteres ist mit Prügel und Rausschmeisen, wovon ich mich jroßen Effect verspreche.

Morgen muß ich nun leider wieder Diltzische Correcturen besorgen und störende Briefe schreiben. – Die Laube ist aber schön, prächtig, wie gemacht, schlechte Gedichte zu machen. Heute Nachmittag hat die Möllhausen, die Adam und Fräulein Hagen, die Ruskow und was weiß ich, darin Caffe geklatscht; ich konnte nicht, weil’s Mittwoch war. Lippold ist hier gewesen und hat die Damen der Umgegend wieder scharf gemacht. Flos und er haben heute Abend bei mir junge Kartoffeln und Hering gegessen. Oh! wir leben hier nicht schlecht! Darauf sind wir auf 10 Minuten (nicht mehr) zum Klosterberg gegangen, wo Peters et Frau, Superintendent et Frau, Schmidt et Frau und Blümke et Frau und Frau Hilgendorf ohne den Ritter, welcher leidend ist, sich antreffen ließen.

. . . Nun, mein kleines Weib, gute Nacht! ich wollte ich wäre jetzt bei Dir, Du solltest sehn, wie lieb ich Dich hätte, ich wollte, ich hätte Dich hier auf meinen Knien, wie wollt ich Dich küssen und Dir tausendmal sagen, daß ich doch bin
 Dein
alter bester Freund  
Fritz Reuter. 

Treptow, d. 12t Julii 1854.“


[643] Zehn Jahre später bewohnte der Dichter die nach seinem Geschmack eingerichtete gartenumhegte Villa am Fuße der Wartburg, die er sich vom Ertrag seiner Schriften hatte erbauen können. Die besten seiner poetischen Werke, die „Ollen Kamellen“ bis auf den letzten Band von „Ut mine Stromtid“, waren in diesem Jahrzehnt unter seiner fleißigen Hand hervorgegangen, und in ihnen hatten all die scheinbar „verlorenen“ Jahre seiner Festungs- und „Strom-“ und Schulmeisterszeit sich als unerschöpflicher Gewinn für seine Kunst erwiesen, das Volk seiner Heimat und sein eigenes Erleben dichterisch darzustellen im verklärenden Elemente seines herzerfreuenden und herzbewegenden Humors. Und seine Lust, auf die Schnurren und Schwänke zu lauschen, die sich das plattdeutsche Volk der Heimat des Abends im „Kruge“ erzählt, seine Neigung, über dem geselligen Verkehr mit Leuten jeden Standes seine Zeit zu „verlieren“, und der seinem vorherigen Geschick so verhängnisvolle Hang, in froher Männer Runde bei heiterem Gespräche hinterm Becher aufzusitzen – ein Meister lustiger Unterhaltung, sie traten nunmehr für alle Welt in eine andere Beleuchtung. Sie waren die naiven Aeußerungen desselben Triebes, der ihn jetzt zum weltberühmten Meister in der Kunst werden ließ, als Dichter wahrhaft volkstümlich und mit einem Humor zu erzählen, der, von der Liebe zum Volk erzeugt, des Wegs zum Herzen des Volkes sicher war und immerdar auch bleiben wird!


  1. Der älteste Bruder Luisens, der Postbeamter war.