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Die praktische Seite der Amerikaner

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die praktische Seite der Amerikaner
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 356
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[356] Die praktische Seite der Amerikaner. Es giebt wohl keinen praktischeren Menschen auf der weiten Gotteswelt, als den Nordamerikaner, und unser sächsischer Stamm hat Ursache, auf diesen Sprößling besonders in dieser Hinsicht stolz zu sein. Wir dürfen aber auch darin eben nichts Ungewöhnliches oder selbst Unerwartetes finden, denn aus der Mischung aller Racen hervorgegangen, mit einem Lande zur Entwickelung, das seinen Kräften vollen und freien Spielraum ließ, und eigentlich gar keine Grenzen für ihn hatte, weder für die Strebsamkeit seines Geistes, noch die, dem Amerikaner eigene Wanderlust, waren und sind gerade ihm alle jene Vortheile gegönnt, die wir zum großen Theil im alten Vaterland entbehren. Mit der vollen Freiheit seiner Bewegungen und in einem noch wilden, kaum begonnenen Lande zwang ihn die Noth zuerst zu manchem Schritt, und der Ehrgeiz dabei, es dem Mutterland zuerst gleich-, dann zuvorzuthun, wie eine rasch aufwachsende Opposition im eigenen Vaterland, die drängte und trieb, den Nachbar zu überflügeln, und der wachsende Reichthum mit dem Verlangen nach mehr, half nach.

Keine Gesetze, nur scheinbar geschaffen, eine zahllose Beamtenwelt in Brot zu halten, beengen dort sein Streben; kein Zunftzwang, keine alten, hartnäckig aufrecht erhaltenen Gerechtsame und Monopole Einzelner oder ganzer Regierungen warfen ihm Hindernisse in den Weg, deren Beseitigung bei uns Rebellion genannt werden würde. Regierung und Natur erlauben ihm dort, praktisch zu sein – oder er erlaubt es sich vielmehr selbst, und das Resultat stellt sich heraus, daß er es ist.

Der Geist dazu liegt aber schon in dem Volke selber, und aus tausenden von Beispielen will ich hier ein einzelnes anführen. Ich stand einst vor einem Laden in Cincinnati, vor dessen Thüre sich ein junger Bursch müßig herumtrieb. Der Eigenthümer verwies es ihm und der Knabe antwortete erst trotzig, war dann still, ging fort und kehrte nach etwa zehn Minuten zurück.

„Sir“, wandte er sich dann an Jenen, nachdem er uns Beide erst einen Augenblick betrachtet hatte, „Ihr wollt, ich soll nicht müßig sein, so gebt mir Gelegenheit, etwas zu verdienen.“ – „Ich habe nichts für Dich zu thun“, lautete die Antwort. – „Das ist auch gar nicht nöthig“, sagte der Knabe ruhig, „ich will schon selber Beschäftigung finden, aber ich brauche ein Capital.“ Der Kaufmann lachte und frug wie viel. „Ich brauche einen halben Dollar“, sagte der Knabe ernsthaft, und das Glühen seines Gesichts und das Blitzen seines Auges verriethen, daß es ihm Ernst sei mit dem neuen Gedanken. „Und wenn ich Dir den nun gebe, wann wirst Du ihn mir zurückzahlen können?“ – „In spätestens vier Wochen.“ Der Knabe bekam dan Geld und vierzehn Tage später zahlte er es ehrlich nicht allein zurück, sondern hatte in der Zeit auch schon einen kleinen Handel mit allen möglichen billigen Gegenständen begonnen, in dem selbst Zeitungen und Bücher nicht fehlten, und der allerdings noch in einem sehr kleinen Korbe Raum hatte, aber mit der Zeit wuchs und dem jungen Burschen einen „Anfang in der Welt“ sicherte.

Mit den geringsten Mitteln und dem größten Selbstvertrauen beginnt der Amerikaner, wenn er sich einer Sache einmal ernst zuwendet, seine Laufbahn; kein Hinderniß schreckt ihn dabei ab, zehn Mal zurückgeworfen, fängt er zum elften Mal eben so guten Muths von Neuem an, und sollt’ es ihm gar nicht glücken, stirbt er zuletzt darüber, so geschieht das mit der festen Ueberzeugung, daß er doch noch in kurzer Zeit ein reicher Mann geworden.

Der Hinterwäldler z. B. und ich kenne da tausende von Beispielen, zieht mit der Axt in den Wald – er hat keinen Vierteldollar baar Geld in der Tasche, kein drittes Hemd, kein zweites Paar Schuhe und beginnt den Grund zu der großartigsten Farm. Die Axt aber ist ihm auch Alles, mit ihr baut er sich sein Haus, stellt seine Fenz oder Umzäunung her, ja arbeitet sich sein ganzen Ackergeräth selber damit, Pflug und Ochsenjoch und selbst den einfachen Wagen, den er im Walde braucht.

Eben so praktisch ist der Handwerker – sein Handwerkszeug ist das vortrefflichste der Welt, sei es ein Zimmermann oder Tischler, Bäcker, Schuster, Sattler oder wie er heißen mag, und so hartnäckig der Deutsche besonders im Anfang an dem selber mitgebrachten Handwerkszeuge hängt, weil er sich nun einmal eingeredet hat, daß es wirklich das beste sei, wirft er es doch zuletzt in die Ecke, weil er sonst mit dem Amerikaner nicht concurriren kann.

Dabei weiß sich der Amerikaner, wozu ihn aber das wilde, früher von allen Hülfsmitteln entblößte Land des Westens gebracht, in Allem zu helfen; er macht Alles selber und mit den einfachsten Instrumenten, während der im alten Vaterland Auferzogene auch für jede verschiedene Beschäftigung nicht allein einen verschiedenen Handwerker oder Arbeiter, sondern auch verschiedenes Werkzeug verlangt. Eine charakteristische Anekdote hat der Amerikaner darüber selber.

Ein Farmer stellte zwei Arbeiter an, den einen, einen Amerikaner, ein paar Bäume zu fällen, später einen Steg über einen steilen Bach zu bauen und einen Irländer, einen Graben auszuwerfen und den dabei liegenden Weg von Erde frei zu schaufeln. Als er nach einiger Zeit zurückkommt, hat der Amerikaner die Stämme gefällt, sich selber dann einen Flaschenzug hergerichtet und sie allein über den Bach gezogen, dann Breter mit seiner Axt ausgespalten und den Steg fertig gemacht; der Ire dagegen seinen Graben ausgeworfen, die Erde aber auf dem Weg liegen gelassen. „Aber ich habe Dir doch gesagt, daß Du den Weg frei schaufeln solltest“, sagte ihm der Farmer.

„Frei schaufeln, Sirrah“, erwiedert ihm der Irländer, „ja wohl, aber wie sollt’ ich das machen? – Ich hatte ja nur einen Spaten.“

Die Yankees, d. h. die Bewohner der nordöstlichen Staaten der Union gelten dabei, selbst unter den Amerikanern, als die meist praktischen Menschen der Nation und sie sagen mit einem eigenthümlichen Stolz auf diese bevorzugten Kinder ihres Landes: „Setzt einen Yankee auf eine Insel mitten in’s Weltmeer und gebt ihm nur ein Federmesser und einen Haufen Schindeln, und er arbeitet sich an’s feste Land hinüber.“

Daß dieser sehr praktische Sinn, besonders der Yankees, aber auch ausarten kann, beweisen z. B. die aus Holz gedrehten Muskatnüsse, die hölzernen Schinken und die mit rohen Kartoffeln, rothem Flanell und Löschpapier gestopften „geräucherten Würste“ eben derselben.