Die schweizer Lieblingsplätze der Kaiserin Elisabeth
Nachdem ich die arme Kaiserin Elisabeth im Hotel Beaurivage
in Genf aufgebahrt gesehen hatte, ein Anblick, der jedem
Fühlenden das Herz zusammenpreßte, nachdem ich tieferschüttert
meine Pflicht als Berichterstatter erfüllt, fuhr ich über die blaue
Flut des Genfersees wieder der Heimat zu.
Es war mir ein Bedürfnis, vor meiner Rückkehr nach Wien auch jenen Stätten am glücklichen waadtländischen Ufer, an denen unsere Kaiserin so gerne geweilt, einen Abschiedsbesuch abzustatten.
Ueber den stillschönen Genfersee trug mich der Dampfer in die östliche Bucht, an das Gestade der vielgerühmten Landschaft Montreux. Man glaubt sich hier in den herrlichsten Garten versetzt, in dem, wie der Dichter singt, „die Rosen mit den schönsten Veilchen sich vermählen“; an die zwanzig Dörfer liegen auf Hügeln und Bergen zerstreut und zwischen ihnen ragen die Türme zweier mittelalterlichen Burgen empor; frischgrüne Weiden und dunkle Wälder schmücken in der Höhe die Berge, und näher dem Ufer grünen neben Nußbäumen und Kastanien die Myrte, Granate und der Lorbeer. Dazwischen liegen übereinander prächtige Weinberge, aus denen die köstlichsten Weine der Schweiz hervorgehen. Hier ist die Rebe wohlgeborgen, denn der weite Spiegel des Sees, der die Luft mildert, schützt sie vor Winter- und Frühlingsfrösten, und die Bergzüge, die sich hinter dem Gestade auftürmen, lassen die kalten Nord- und Ostwinde nicht aufkommen. Mit Recht hat Vuillemin, der Geschichtschreiber des Waadtlandes, von Montreux gerühmt, daß es im Besitz einer „privilegierten Natur“ sei. Und in dieser herrlichen, an malerischen Ausblicken so überaus reichen Landschaft wohnt und gedeiht ein prächtiger Volksschlag; hochgewachsen und sehnig sind die Männer, schlank und anmutig die Frauen. Kein Wunder, daß dieser von Gott gesegnete Landstrich schon in früheren Zeiten von Touristen gern aufgesucht wurde; bald lernte man aber auch die Vorzüge dieses Klimas für Kranke würdigen. Hier ist der Winter so mild, daß schon im Februar Levkojen und Krokus blühen, und darum ist Montreux seit lange eine vielbesuchte Winterstation für Brustkranke. Herrlich sind in dieser Gegend die Herbsttage und im September strömen Tausende herbei, um an den Gestaden des blauen Sees die Traubenkur durchzumachen. So sind im Laufe der von Jahre in der Gegend von Montreux, in Vevey, Clarens, Montreux-Vernex, Territet und Veytaux am Ufer des Sees und höher hinauf in Glion und Caux zahlreiche Hotels und Pensionen entstanden, von denen aus die Kurgäste die herrlichsten Fahrten auf dem See oder Ausflüge in die prächtige Bergwelt unternehmen können.
Wie unendlich schön ich Territet gefunden, als ich vor Jahren zum erstenmal mit dem Kaiser und der Kaiserin von Oesterreich [660] dorthin kam, so traurig berührte es mich an diesem 14. September, als ich seinen blumengeschmückten Boden wieder betrat. Von Ferne winkte das katholische Kirchlein von Montreux, in dem Kaiserin Elisabeth, wenn sie hier weilte, an keinem Feiertag fehlte.
Immer schwarzgekleidet, seit das Schicksal ihr grausam den hoffnungsvollen Sohn entrissen hatte, stieg sie mit Schleier und Fächer die Stufen zu dem freundlichen Gotteshause empor. Und von Territet mich abwendend, das wohl auch der Kaiserin in den letzten Jahren zu geräuschvoll, zu unruhig geworden war, lenkte ich meine Schritte nach dem sagenumsponnenen, poesieumwobenen Schloß Chillon, das auf mich diesmal einen besonders tiefen Eindruck machte, nach dem Grauenhaften, das ich in Genf erlebt hatte.
Bis an den Wasserspiegel reicht der Felsen, auf dem das mächtige Schloß steht. Ueber seine doppelte Zinnenmauer ragen drei Rundtürme und der starke viereckige Hauptturm hervor. Als die Herzöge von Savoyen an den Ufern des Genfersees noch herrschten, diente das Schloß als Staatsgefängnis, und in seinen tiefen Verließen mußten viele Genfer ihre Freiheitsträume büßen. Hier wurde auch der Verfechter der guten Rechte der Stadt Genf, der Prior Bonivard, gefangen gehalten. Im Jahre 1530 ließ ihn der Herzog in den tiefsten Kerker von Chillon werfen. In der gewölbten Halle, die tiefer als der See liegt, hatte er nach seinem eigenen Ausspruche Zeit genug gehabt, hin und her zu gehen, um auf dem Stein die Spuren seiner Schritte zu hinterlassen, als hätte dieselben ein Hammer ausgeschlagen. Erst im Jahre 1536 kam für den Gefangenen die Stunde der Befreiung, als die vereinigten Streitkräfte der Berner und der Genfer die Zwingburg stürmten. Noch heute ist das Gefängnis erhalten; man sieht noch den eisernen Ring, mit dem Bonivard an den Pfeiler geschmiedet wurde, und kann die abgetretenen Stellen auf den Steinplatten erkennen. Nur durch schmale Oeffnungen dringt hier das Licht ein und nur bei ihrem Untergang wirft die Sonne schmale Lichtstrahlen in die tiefen düsteren Gewölbehallen. Das ergreifende Los Bonivards hat Byron Anregung zu seinem „Gefangenen von Chillon“ gegeben, den er im Jahre 1817 im „Anker“ zu Ouchy bei Lausanne gedichtet hat.
„Mein Haupt ist grau – doch nicht die Jahre,
Nicht eine Nacht,
In Angst durchwacht,
Hat weiß gefärbt die dunklen Haare“
– was Byron seinen Gefangenen von Chillon sagen läßt, wie verstand ich es nun in seiner vollen Schmerzlichkeit! Oft war Kaiserin Elisabeth nach Schloß Chillon gewandelt, sie, die Freundin der Romantik, die Heinrich Heine in ihrem Schlosse Achilleion auf Korfu das schöne Denkmal setzen ließ.
Und oberhalb von Territet, diese lauschigen weithin ausschauenden Plätzchen alle, die die Kaiserin so sehr liebte, Montfleury zumal mit seinen duftigen, urwüchsigen Blumenteppichen, dann weiter oben Les Avants, so rüstigen und unermüdlichen Bergsteigerinnen, wie Kaiserin Elisabeth eine war, leicht erreichbar, dann Glion, zu dem man auch mit der Drahtseilbahn hinauffahren kann, und Caux, in mehr als 1000 m Höhe, wo die von Glion bis Rochers de Naye reichende Zahnradbahn vorbeikommt, diese von Kaiserin Elisabeth mit solcher Sehnsucht aufgesuchten Plätze und Plätzchen, wie wirkten sie nun auf mich ein! Ich hatte die Fassung nicht, da oder dort länger zu verweilen. Nur im Grand Hôtel von Caux hielt ich mich auf, wo die unglückliche Kaiserin zuletzt gewohnt hatte, von dem aus sie Freitag am 9. September die Fahrt nach Genf angetreten hatte, zum Besuche der Baronin Julie Rothschild in Pregny. Als die Kaiserin im vorigen Frühling den herrlichen Besitz besichtigte, versprach sie, wiederzukommen. Aus Caux kam wenige Tage vor dem kritischen Samstag die Nachricht, die Kaiserin werde Freitag in Pregny erscheinen und daselbst gerne das Frühstück nehmen. Hocherfreut trug Baronin Rothschild der Kaiserin ihre Jacht an, die von Territet direkt nach Bellevue gefahren wäre, ohne daß die Kaiserin Genf hätte berühren müssen. Die Kaiserin lehnte ab. Freitag kam sie mit der Hofdame Gräfin Sztaray in einer Mietdroschke nach Pregny. Sie war in bester Laune. Nach dem Frühstück wurde ein Rundgang durch den prachtvollen Park angetreten. Auf dem Wege bewunderte die Kaiserin die Kaskaden und das idyllische Bauernhäuschen. Von Bellevue kehrte sie nach Genf zurück. Dieselben prächtigen Orchideen, die sie in Pregny besichtigt hatte und derentwegen sie den Gärtner belobt hatte, sollten wenige Tage später die Bahre der toten Kaiserin schmücken.
Caux mit der entzückenden Bergherrlichkeit im Hintergrunde, dem einzigartigen Anblick des in der Ferne sanft verschwimmenden Seespiegels, hat ein großes (auf der untenstehenden Abbildung links sichtbares) Hotel, in dessen erstem Stocke für Kaiserin und Gefolge eine Flucht von 16 Zimmern eingeräumt war. Wie auch sonst auf Reisen, bewohnte die Kaiserin drei Gemächer. Vom Gang aus trat man in einen mit vornehmer Einfachheit ausgestatteten Salon, an diesen schloß sich einerseits ein Toilettezimmer mit Badewanne, anderseits das Schlafzimmer mit einem großen englischen Bett, in welchem die Kaiserin der Nachtruhe pflegte. Vom Salon und Schlafzimmer öffnen sich auch Thüren auf die breite, gegen die Sonne durch zeltartige Ueberdachung geschützte Terrasse, auf der Kaiserin Elisabeth so unendlich gerne saß und sann. Die freundlichen Augen waren auf den Genfersee mit dem ihm umgebenden Bergkranz gerichtet, auf das rebenbesetzte Waadtland mit seinen Villen und Hotelpalästen, auf die schimmernde Gletscherwelt Savoyens. Die Kaiserin sah den Dampfern und Seglern nach, die, Schwänen gleich, den See durchfurchten, und freute sich der wunderbaren Schöpfung ringsum …
Es ist ein tragisches Zusammentreffen, daß das Schicksal der Fürstin, die gut und menschlich war bis ins Innerste ihres Herzens, die niemand was zuleide gethan und sich in die Politik nie eingemengt hat, sich an dem herrlichen See erfüllte, an dem sie so gern zur Erholung weilte. Dr. M. Kronfeld.