Die unbarmherzigen Barmherzigen
Seit einigen Jahren hat das Mainzer Invalidenhaus durch außergewöhnliche Ereignisse eine fast allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vieles ist über diese Anstalt und über ihre Geheimnisse in’s Publicum gedrungen, mit besonderer Mühe hat Warburg, ein früherer Insasse dieser Anstalt, sie beschrieben. Allein auch andererseits hat man nicht geschwiegen. Auf jede öffentliche Anklage folgte sofort eine kecke Vertheidigung von Seiten der ultramontanen Partei, und der „Nürnberger Anzeiger“, der sich des Invalidenhauses mit besonderer Vorliebe angenommen hatte, wurde in mehreren Preßprocessen verurtheilt und schließlich im Großherzogthum Hessen [110] verboten. Auch die Mainzer Lokalpresse wurde deshalb gerichtlich verfolgt und, wenn auch wider Willen, zum Schweigen gebracht; Warburg endlich büßte gerade ein Jahr lang in Untersuchungshaft hinter Schloß und Riegel wegen seiner Enthüllungen über die genannte Anstalt. Als er aus dem Gefängniß heraus zu seiner Vertheidigung eine Ansprache an seine Mitbürger veröffentlichte, wurde er, noch bevor sein Hauptproceß verhandelt war, zu vier Monaten Correctionshaus nebst entsprechender Geldstrafe verurtheilt. Am 4. Januar d. J. kam endlich der Proceß wegen der Warburg’schen Broschüre zur Verhandlung. An 130 Zeugen waren geladen. Gerade am Jahrestage seiner Verhaftung hielt Warburg seine Vertheidigungsrede vor den Schranken des Mainzer Bezirksgerichtes, und am 27. Januar wurde das Urtheil publicirt. Es lautete auf 6 Monate Correctionshaus, von denen von seiner 12 Monate dauernden Haft ihm 2 Monate als unverschuldet abgerechnet wurden. Allein durch diese Verurtheilung ist das öffentliche Urtheil über Schwester Adolphe, über das Invalidenhaus und über die ultramontanen Mainzer Jesuitenumtriebe nicht um einen Deut geändert werden. Oeffentlich sammelt man in Mainz und in der Umgegend zu Gunsten Warburgs, damit er nach überstandener Haft eine einigermaßen sichere Existenz finde; denn man weiß in Mainz nur zu gut, daß Manches, was Warburg in seiner Broschüre behauptet, wenn auch nicht durch Zeugenaussage zu erweisen, so doch wahr ist, indem in der langen Zwischenzeit seiner Untersuchungshaft manche seiner Hauptentlastungszeugen gestorben sind, besonders der bekannte Dr. Mertens, Assistenzarzt in jenen Anstalten, der sich unter Verhältnissen erhängte, daß in Folge der deshalb auftauchenden Gerüchte gegen mehrere Zeitungen in und um Mainz mit Untersuchungen wegen Preßvergehen vorangegangen wurde. Man weiß, daß die Mainzer Ultramontanen in den 12 Monaten von Warburgs Untersuchungshaft freie Hand hatten, ihre Angelegenheiten bezüglich jenes Processes in Ordnung zu bringen, währenddem Warburg die nothwendigen Mittel zu seiner Vertheidigung, vor Allem der freie Verkehr mit den von den Ultramontanen umstrickten Invaliden, fehlten. Man weiß endlich nur zu gut, daß auch für den Fall, daß Warburg in dem einen oder andern Punkte sich geirrt, er durch sein Auftreten in dieser Angelegenheit an den armen Invaliden ein gutes Werk gethan und durch seinen Kampf gegen das Mainzer Jesuitenthum sich um die gute Sache verdient gemacht hat.
Tief eingeweiht in die Verhältnisse des Mainzer Invalidenhauses und bekannt mit den Plänen der Mainzer Ultramontanen, werde ich ohne alle Parteilichkeit wie sonder Leidenschaftlichkeit den Lesern der Gartenlaube ein Bild jener Anstalt entwerfen, welches, auf der strengsten Wahrheit beruhend, um so geeigneter sein wird, das Urtheil des deutschen Volkes über jene Vorgänge wirklich aufzuklären. Es bedarf keiner Uebertreibungen, um ein schlechtes System bloßzustellen und es in den Augen der Welt zu kennzeichnen.
Das Mainzer Invalidenhaus ist eine rein bürgerliche Anstalt, die erst im Jahre 1848 eröffnet wurde. Der Mainzer Jesuitismus suchte sich aber dieser mit Millionen dotirten Anstalt zu bemächtigen, um dadurch einen entscheidenden Einfluß auf die socialen Verhältnisse in Mainz zu gewinnen. Diesem Plane stand die Mainzer Bürgerschaft, der Gemeinderath an der Spitze, entgegen. Die Jesuiten waren deshalb bestrebt, einerseits jenem Invalidenhaus einen kirchlichen Charakter aufzudrücken, andererseits durch große Ersparnisse in der Oekonomie der Anstalt selbst es dahin zu bringen, daß der s. g. Hospizienfonds, der zur Zeit der französischen Occupation Anfangs dieses Jahrhunderts aus den damals aufgehobenen Wohlthätigkeitsanstalten gebildet wurde, keines Zuschusses aus der Gemeindecasse bedürfe, um somit dem Gemeinderath jede Gelegenheit zu entziehen, sich mit den Verhältnissen der Anstalt zu befassen. Behält man diese beiden Punkte im Auge, so hat man eine Erklärung der ganzen unbarmherzigen Barmherzigen-Schwester-Wirthschaft im Mainzer Invalidenhaus.
Nachdem im Jahr 1855 die innere Verwaltung und Leitung des Invalidenhauses den barmherzigen Schwestern übertragen war, sorgten diese Nonnen, an deren Spitze Schwester Adolphe steht, dafür, daß beide Punkte realisirt wurden. In Wirklichkeit wurde die Anstalt dem äußern Anschein nach in kürzester Zeit unter den sorgsamen und „zarten“ Händen der Nonnen in ein vollständig klösterliches Institut verwandelt und dabei, d. h. trotz der enormen Mittel, die man zur Herrichtung dieses klösterlichen „Anstriches“ bedurfte, jährlich eine Summe von vielen tausend Gulden gegen früher erspart. Mochten auch die Invaliden darüber in die äußerste Unzufriedenheit versetzt, mochte auch von wohlmeinender Seite entschieden von einem solchem System abgerathen werden, – die Jesuiten fragten nichts darnach; denn schon waren sie näher dem Ziele ihrer Pläne angelangt und bedurfte es nur ihrer fortgesetzten eisernen Zähigkeit, um in kürzester Zeit den entscheidenden Sieg in ihrer Hand zu haben.
Da, in der Zeit der äußersten Noth und der äußersten Unzufriedenheit der Hospitaliten, trat Warburg mit seiner Broschüre auf den Kampfplatz und machte den Ultramontanen zu ihrem größten Zorn und Aerger den Sieg streitig, den sie schon errungen glaubten.
Werfen wir nun unsere Blicke zunächst auf die fromme Schaar dieser barmherzigen Schwestern! Ihre Vorsteherin ist die so weithin berüchtigt gewordene „Schwester Adolphe“. Sie ist geboren im Juni 1815 in Aschaffenburg, wo ihr Bruder Pfarrer an der Stiftskirche ist. Josepha Faust, so heißt Schwester Adolphe, war an 30 Jahre alt, als sie (im September 1844) den Schleier nahm. Mancherlei Gerüchte über ihre früheren Lebensjahre sind in das Publicum gedrungen, ohne daß sich bis jetzt irgend Jemand die Mühe genommen hätte, deren Wahrheit oder Falschheit darzulegen. Ich selbst habe einen mit Namensunterschrift versehenen Brief von der Hand einer Person gelesen, die längere Zeit im Rochusspital in Mainz die barmherzigen Schwestern beobachtet hatte und gegen diese Nonnen die wunderlichsten Dinge aussagte. Schwester Adolphe ist von untersetzter Statur, ziemlich corpulent, festen Blickes, barschen Auftretens, mannhaft in ihrem ganzen Wesen. In ihrem Umgang mit Personen höheren Standes, namentlich mit Geistlichen, benimmt sie sich überaus würdevoll, fein, einschmeichelnd, ja ich möchte sagen liebenswürdig.
Die übrigen Schwestern des Invalidenhauses sind meistens noch junge Mädchen in den zwanziger Jahren, denen man es jedoch auf den ersten Blick ansieht, daß sie als Schönheiten in der Welt keineswegs réussirt hätten. Einem alten Manne, einem Veteranen, der ein Selbstbewußtsein und Gefühl für Ehre hat, muß es empörend sein, sich von einem solchen jungen Dämchen nach Willkür und Laune commandiren lassen zu sollen. Nur zwei der Nonnen, Schwester Sylveria und Schwester Lina, die freundlich und gutherzig, waren bei den Invaliden beliebt, und Warburg hat sie auch in seiner Broschüre gelobt, weshalb sie wohl, kurz nach dem Erscheinen der Flugschrift, nach Frankreich versetzt und erst in Folge des sich an diese Versetzung knüpfenden Aufsehens nach Mainz zurückgeschickt wurden. Beide Schwestern benahmen sich mit einzelnen Hospitalbeamten von Zeit zu Zeit über das Regiment der Schwester Adolphe vertraulicher, als man dies sonst bei einer Nonne gewohnt ist. Manchmal scheint sich diese Vertraulichkeit freilich etwas weite Grenzen gesteckt zu haben. Von der Schwester Lina besonders bezeugte der frühere Invalide Hohl, daß er sie mit dem Hausknecht Fisch, einem hübschen jungen Manne, mit umschlungenen Armen einen verschlossenen Corridor habe auf- und abgehen sehen. Als er davon andern Invaliden Mittheilung gemacht, sei er von diesem Hausknechte blutig geschlagen, von der Schwester Adolphe thatsächlich mißhandelt und in einen schrecklichen Hauskerker, den man in Mainz „Blockkammer“ nennt, bei Wasser und Brod so lange eingesperrt worden, bis er, auf das Aeußerste entkräftet, bei der Schwester Adolphe und dem damaligen Hospitalpfarrer Steindecker nothgedrungen seine Aussage widerrufen habe. Der genannten „Blockkammern“ giebt oder gab es im Mainzer Invalidenhaus mehrere. Die „barmherzigen“ Schwestern schämten sich nicht, bei all’ ihrer Barmherzigkeit, den Invaliden gegenüber diese Zwangszellen in Anwendung zu bringen und davon reichlichen Gebrauch zu machen.
Das Innere des Invalidenhauses ist dem äußern Anschein nach gar gemüthlich, Alles ist für das Auge hübsch und geschmackvoll hergerichtet. Aber das „Kloster“ schaut aus allen Ecken und Enden hervor. Statuen und Bilder von Heiligen gewahrt man allerwärts, nicht nur in der Kapelle, sondern auch im Speisesaale, auf den Gängen, in den einzelnen Zimmern. Was der ganzen Mainzer Klerisei nicht erreichbar gewesen wäre, wurde möglich unter den Händen der Nonnen. Die Zimmer der eingepfründeten Personen sind elegant, oftmals sogar luxuriös eingerichtet; in sie werden denn auch Besucher der Anstalt mit Vorliebe eingeführt. Die Säle der Invaliden aber bieten den Anblick großer Dürftigkeit.
[111] Der Brenn- und Glanzpunkt des Invalidenhauses dagegen ist seine Kapelle, geweiht dem heiligen Joseph, den die barmherzigen Schwestern absonderlich verehren, und zu welchem sie ein sogenanntes „ewiges Gebet“ unterhalten. Diese Kapelle ist zur Zeit eine der schönsten und prächtigsten Kirchen, die man weit und breit finden kann. Wieviel Tausende müssen für sie verschwendet worden sein! Allenthalben ist sie auf das Eleganteste ornamentirt, vergoldet, mit Teppichen, feinen Linnen und Spitzen, mit goldenen, silbernen und seidenen Paramenten, mit Fahnen und Guirlanden, mit Heiligenbildern und prächtigen Altären ausstaffirt. Und doch hat der Hospizienfonds nicht die geringste Pflicht, jene Kapelle zu unterhalten und einen Geistlichen dafür besonders zu besolden, und er giebt dem Wortlaut der Anweise-Register nach auch jährlich nur 75 fl. für den Bedarf der Kapelle her! Betrachtet man indeß den überaus zahlreichen Gottesdienst, der täglich mit Aufwendung einer Menge von Wachskerzen stattfindet, so lehrt ein Blick, daß jene 75 fl. nicht hinreichen, nur das Wachs zu bezahlen, das auf den Altären verschwendet wird. Schwester Adolphe weiß die Unterhaltungskosten dieser Kirche, die jährlich eine enorme Summe erfordern, anderswoher zu beziehen.
Doch nicht allein das blos Aeußerliche der Anstalt zeigt den vollständigen Klosteranstrich, auch in der inneren Organisation des Hauses herrscht ein klösterliches Leben und Treiben. In der alten Hausordnung stand kein Wörtlein von einer Verpflichtung der Insassen zur Theilnahme an gottesdienstlichen Verrichtungen. Die „Schwestern“ aber haben diese Hausordnung entfernt und nach und nach mit der größten Strenge eine rein klösterliche Hausordnung eingeführt. Katholische Gebete wurden öffentlich, wenigstens sechs Mal des Tages, in allen Sälen verrichtet und Protestanten und andere Confessionsangehörige mußten daran Theil nehmen. Zwei Mal mindestens im Tage, Morgens und Abends, mußten die Invaliden in der Kapelle dem Gottesdienste beiwohnen. Wer ihn versäumte, wurde bestraft; alten Männern ward von blutjungen Fanatikerinnen, die sich „barmherzig“ nennen, Hausarrest u. s. w. dictirt, wenn sie beim „Rosenkranz“, bei der „Messe“ fehlten oder zu spät kamen. Schwester Adolphe ließ einen armen, krüppelhaften Invaliden, Namens Damian Müller, sogar in den Schweinestall einsperren, weil er nicht in die Kirche gehen wollte! „In die Kirche wurden wir,“ sagten die Invaliden eidlich, „wie Postpferde getrieben.“ Zum Beichten, zum Empfang der Sacramente wurden jene unglücklichen Menschen moralisch genöthigt. Und das Alles geschah aus „Barmherzigkeit“, d. h. in der den „Barmherzigen“ entweder bekannten oder unbekannten Absicht, das Invalidenhaus der Bürgerschaft gegenüber als eine rein katholisch-kirchliche Anstalt erscheinen zu lassen.
Daß es aber den „Barmherzigen“ überhaupt wenig um „Barmherzigkeit“ zu thun war, zeigt die ganze Behandlung, die sie den Invaliden angedeihen ließen, welche nichts weniger als Barmherzigkeit verräth. Den Statuten nach, wird nur Der in die Anstalt aufgenommen, welcher sich, sei es aus anhaltender Kränklichkeit, aus Altersschwäche oder aus Krüppelhaftigkeit, nicht mehr durch die Arbeit seiner Hände ernähren kann; er sucht also eine Zuflucht in seinem körperlichen Elend und soll, nach der Absicht, welche der Gründung jener Anstalt unterlag, in dieser ein ruhiges Asyl für seine alten Tage finden. Aber wie sieht es mit diesen Veranstaltungen aus? Die „Barmherzigen“ müssen doch sparen, sparen, damit die Unterhaltung des Gottesdienstes und der Invaliden nicht so große Summen verschlingt und der Fonds von dem Einfluß des Gemeinderathes „emancipirt“ werden kann. Und so sieht man im Invalidenhaus Alles arbeiten, was noch die Hand regen kann. Morgens sechs Uhr müssen, Sommer und Winter, die alten Leute aufstehen, selbst ihre Betten machen und Ordnung und Reinlichkeit in ihren Sälen selbst aufrecht halten. Zum Kehren, Reinigen, zum Arbeiten für die Invaliden überhaupt, haben die Nonnen keine Zeit und keine Kraft, indem sie oftmals, sogar in der Nacht, und mit Aufopferung des nothwendigen Schlafes, mit ihren Lieblingsspielereien für die Kirche, d. h. mit Nähen, Stricken, Häkeln, Kränzewinden, Guirlandenbinden, Rosenkranzandachten, St. Josephsgebeten, Besuchungen des heiligen Altarsacramentes, mit Vorbereiten auf Beichte und Communion, mit Ausschmückung der Kirche und der Heiligenbilder, mit Blumenmachen und Blumenzucht (für die Kapelle), mit Theilnahme an dem Gottesdienste etc. etc. endlos beschäftigt sind.
Allein auch die Invaliden, männlichen und weiblichen Geschlechts, sieht man in allen Abtheilungen der Anstalt für die Kapelle in Anspruch genommen, besonders an den Tagen, welche einzelnen großen Nonnenfeierlichkeiten vorausgehen. Wer aber nur irgendwie noch geeignet ist, etwas für den Bedarf der Anstalt selbst zu arbeiten, wird, um zu „sparen“, von den Schwestern ausgedeutet. Alte Weibchen, die kaum noch gehen können, die am ganzen Körper zittern, müssen auf der Nähstube spinnen oder nähen, stricken und flicken, Garn haspeln und Wolle zupfen. Das Geld für die Waschweiber sparen die Nonnen, indem sie – selbst etwa sich an die Bütten stellen? Nein, sondern dadurch, daß sie die Invaliden dazu anhalten, denen sie noch überdies, damit dieselben ihrem Widerwillen keinen Ausdruck geben möchten, während der sauren Arbeit den Rosenkranz vorbeten. Ja sogar der elende Tisch der Invaliden wird, soweit dessen Zubereitung Anstrengung erfordert, von den Invaliden selbst bereitet. Sie müssen die Kartoffeln schälen, die Gemüse putzen, Wasser und Brennmaterialien herbeischaffen, das Holz sägen und kleinmachen. Auch hat die Anstalt ihre eignen Werkstätten, z. B. Schreinerei, Schuhmacherei, Schneiderei, Küferei, Schlosserei etc., worin für die Anstalt und für die Kirche die Hände der Invaliden unablässig schaffen müssen.
Gewiß wird kein vernünftiger Mensch etwas dagegen einwenden, daß man den Hospitaliten die ihnen sonst unerträglich werdende Langeweile durch ihren schwachen Kräften angemessene Beschäftigungen zu kürzen sucht. Das geschieht ja in allen ähnlichen Anstalten, deren Unterhaltungskosten dadurch gleichzeitig vermindert werden. Wenn aber, wie es im Mainzer Invalidenhause der Fall, die den altersschwachen Männern und Weibern angemuthete Arbeit zur härtesten Grausamkeit und wahren Tortur wird, – alsdann verdient das System öffentliche Brandmarkung.
Kein Wunder, wenn mit einer solchen Quälerei die „barmherzigen“ Schwestern, trotz der Verschwendung in der Kapelle, noch verschiedene tausend Gulden gegen früher, wo keine Nonnen in der Anstalt waren, ersparen; kein Wunder, besonders im Hinblick auf die Aermlichkeit und Dürftigkeit des Invalidentisches. Statt acht Loth Fleisch erhielten die armen Alten nur vier oder fünf Loth, wie übereinstimmend viele Zeugen aussagten. Suppe und Gemüse waren so schlecht, daß die Hospitaliten dieselben nicht genießen konnten. Beklagte sich Jemand darüber, so hieß es: „Wenn das Euch nicht schmeckt, so lasset es nur stehen!“ Was Menschen genießen sollten, aber nicht konnten, damit wurde ein ansehnliches Contingent von Schweinen und Federvieh gefüttert, und hierdurch also nicht nur wiederum „gespart“, sondern ein reicher Erwerbsquell für die „Barmherzigen“ eröffnet, welche einen großartigen Federviehhandel auf eigene Rechnung etablirten. Die barmherzigen Schwestern selbst aber führten, ihre Beschäftigungen für die Kapelle ausgenommen, ein überaus behagliches Leben, einen guten Tisch, und wenn ihnen Jemand in ihrer beschaulichen Ruhe lästig entgegentrat, so hatten sie ja die „Blockkammern“, die Irrenabtheilungen, die Absonderungslocale, wo gegen alles Recht und Gesetz einzelne Invaliden, unter dem Vorwand, daß sie dem Trunk ergeben seien, wie in einer staatlichen Strafanstalt hinter Schloß und Riegel gehalten wurden. Kurz, die Insassen der Anstalt wurden ähnlich wie in einer Zwangsstrafanstalt behandelt; denn unter der Barmherzigkeit der Schwester Adolphe ward ihnen sogar der sonst übliche freie Ausgang nach dem Feierabend verwehrt; die frommen „Barmherzigen“ benahmen sich nicht anders, als wie hochmütige Gebieterinnen, die nicht einmal die Grüße der Armen erwiderten, die nicht Zwei oder Drei ungestört zusammen sprechen ließen, den alten Veteranen die unschuldigsten Spiele untersagten, die in ihrer grausamen Barmherzigkeit sogar so weit gingen, daß sie altersschwachen Eheleuten nicht einmal zusammenzusitzen erlaubten.
Der Warburg’sche Proceß hat diese und ähnliche moralische Schändlichkeiten an’s Tageslicht gebracht, und Warburg hat, wie die meisten Invaliden aussagten, wenigstens bewirkt, daß es den armen Leuten jetzt etwas erträglicher geht. Das ist für Warburg, wie er bei seiner Vertheidigung in rührender Weise aussprach, ein großer Trost und eine innere Genugthuung dafür, daß er um der Wahrheit willen im Kerker schmachten muß.
Das also ist die Barmherzigkeit der barmherzigen Schwestern in Mainz! Oder besser gesagt: so hat man zur Schande der Menschheit das heilige Wort „Barmherzigkeit“ als eine Maske gebraucht, hinter welcher man die eigennützigsten und selbstsüchtigsten Zwecke zu verhüllen suchte. Wahre Barmherzigkeit ist ein herrliches [112] Ding; gegen eine After-Barmherzigkeit ist mit Recht die Menschheit mit Entrüstung erfüllt. Mag auch Marburg in seinem Processe verurtheilt worden sein, die Oeffentlichkeit hat doch zugleich ihr Verwerfungsurtheil über jenes System der Heuchelei und der Scheinheiligkeit gesprochen, und kein Hirtenbrief des Mainzer Bischofs wird das schwarze Mal hinwegwaschen können, das der ultramontanen Partei durch Marburg unauslöschlich auf die Stirn gedrückt wurde.[1]
- ↑ Als kurzes Nachwort wollen wir dem vorstehenden Artikel nur die Bemerkung anfügen, daß wir von verschiedenen Seiten, namentlich aber aus den Rheingegenden, dringend aufgefordert worden sind, in unserem Blatte eine wahrheitsgetreue, objectiv unparteiische Darstellung der vielbesprochenen Vorkommnisse im Mainzer Invalidenhospitale und des Aufsehen erregenden Warburg’schen Processen zu veröffentlichen.
Wir haben uns solchem Ansinnen nicht entziehen zu dürfen und wegen der gewünschten Mittheilungen uns an die zuverlässigste Quelle, den ehemaligen Mainzer Hospital- und Invalidenhauspfarrer, Herrn Biron, als einen Mann wenden zu müssen geglaubt, der, zu den betreffenden Verhältnissen in engster Beziehung stehend, mit der Sachlage gründlich vertraut ist.
Indem wir diese Mittheilungen aufnehmen, wie sie uns gegeben worden sind, erklären wir uns jedoch ausdrücklich bereit, auch etwaigen Modifikationen dieser oder jener erzählten Einzelheit von anderer Seite die Spalten der Gartenlaube nicht verschließen zu wollen. D. Red.