Die ungleichen Brüder
Die ungleichen Brüder.
Es lebten einmal zwei Brüder, Rosimond und Bramint, die sich aber sehr ungleich waren. Rosimond, der jüngere, hatte ein gutes Herz, liebte seine Aeltern und Geschwister, bewies sich gegen Jedermann gefällig und dienstfertig, und that keinem Menschen etwas zu Leide. Dabei war er sehr klug und verständig, und von Allen geliebt und geachtet, die ihn kannten. Ganz das Gegentheil war sein älterer Bruder Bramint. Der hatte ein sehr häßliches und boshaftes Gemüth, und lebte mit keinem Menschen in Friede: denn er war hart und lieblos, und machte seinen Aeltern nichts als Kummer und Herzeleid. Die Mutter gab sich zwar alle Mühe, ihn zu bessern, aber er blieb, wie er war. Darüber grämte sie sich sehr, und entzog ihm ihre Liebe, weil er sie nicht verdiente.
Da nun Rosimond wegen seiner guten Aufführung und Folgsamkeit von der Mutter sehr geliebt wurde, so haßte [185] ihn sein Bruder Bramint nur noch mehr, und ersann eine schändliche Lüge, um ihn unglücklich zu machen.
Rosimond hatte nämlich einen guten Freund, den Sohn des Nachbars, der ein großer Feind seines Vaters war. Beide Freunde kamen oft zusammen, denn sie waren einander sehr zugethan und ergeben. Bramint nahm daher Gelegenheit, seinen Bruder Rosimond bei dem Vater zu verleumden und anzuschwärzen. Er erzählte ihm, daß Rosimond nur deswegen so oft in des Nachbars Haus ginge, um ihm alles zu hinterbringen, was in ihrem Hause vorgehe. Das verdroß den Vater, und er verbot daher Rosimond, mit seinem Freunde umzugehen und zu sprechen. Darüber freute sich Bramint, und ersann nun eine noch schändlichere Lüge. Er sagte zu seinem Vater, Rosimond sey wieder in des Nachbars Haus gewesen, und da sey er ihm heimlich nachgeschlichen, und habe gehört, wie Rosimond dem Nachbar versprochen habe, daß er ihn, den Vater, bei einer guten Gelegenheit vergiften wolle.
Als der Vater dies hörte, ward er sehr zornig, und mißhandelte den armen unschuldigen Rosimond auf das grausamste, sperrte ihn darauf drei Tage lang in eine finstere Kammer, und jagte ihn dann aus dem Hause, mit der Drohung, ihn ums Leben zu bringen, wenn er sich unterstände, ihm jemals wieder vor die Augen zu kommen.
Rosimond ging nun, von seiner Mutter betrauert, weinend fort, ohne zu wissen, wohin. Nach langem Umherirren kam er gegen Abend in einen großen Wald. Hier überfiel ihn die Nacht; er legte sich im Eingange einer dunkeln Höhle auf weiches Moos, am Ufer eines klaren Baches, der aus der Höhle floß, und schlief vor Müdigkeit bald ein.
Als er mit Anbruch des Tages erwachte, erblickte er eine schöne Frau in Jagdkleidern, die auf einem weißen [186] Pferde, mit einer prächtigen, goldgestickten Schabracke geschmückt, daher geritten kam. Sie redete Rosimond an, und fragte ihn, ob er nicht einen Hirsch und Hunde habe vorbeilaufen sehen. Er antwortete: „Nein!“ und sah dabei betrübt vor sich hin. „Du scheinst sehr bekümmert und niedergeschlagen zu seyn,“ sagte die schöne Reiterinn; „was fehlt dir?“ Nun erzählte ihr Rosimond, wie es ihm ergangen sey, und daß er nun nicht wisse, was aus ihm werden solle. „Gräme dich nicht,“ sprach darauf die Fremde, „ich will dir in deiner Noth hülfreich seyn. Sieh, da hast du einen Ring, der dich zum glücklichsten und mächtigsten Menschen auf Erden machen wird, wenn du ihn immer nur zum Guten, und niemals zum Bösen gebrauchst. Steck’ ihn an deinen Finger, und verwahre ihn ja sorgfältig. Sobald du den Demant einwärts kehrst, wirst du unsichtbar seyn; drehest du ihn aber auswärts, so wird man dich sehen. Wenn du ihn an deinen kleinen Finger steckst, so erscheinst du als der königliche Prinz mit einem großen Gefolge von Bedienten; steckst du ihn aber an den Goldfinger, so wirst du deine natürliche Gestalt wieder bekommen.“
Bei diesen Worten jagte die Reiterinn eiligst davon, und Rosimond merkte nun wohl, daß es eine Fee war. Voll Ungeduld, mit seinem wunderbaren Ringe eine Probe zu machen, ging er sogleich nach dem Hause seines Vaters. Als er hier ankam, drehete er den Stein einwärts, und sah und hörte Alles, was darin vorging, ohne daß man ihn gewahr wurde. Er hätte sich nun ohne alle Gefahr an seinem bösen Bruder rächen können; aber das that er nicht, denn dazu war er zu gut; er zeigte sich blos seiner Mutter, die sich herzlich freute, ihn wieder zu sehen, und noch froher ward, als sie hörte, daß sich eine wohlwollende Fee seiner so liebreich angenommen habe.
Hierauf steckte er den Ring an seinen kleinen Finger, [187] und erschien alsbald als der königliche Prinz, von einer Menge prächtig gekleideter Bedienten umgeben, vor seinem Vater.
Dieser erschrak nicht wenig, den königlichen Prinzen in seinem Hause zu sehen, und wußte vor Verlegenheit nicht, was er angeben sollte. Rosimond aber that ganz freundlich, und fragte ihn, wie viel Söhne er hätte. Und als er antwortete, daß er deren zwei habe, so verlangte Rosimond, daß er sie sogleich herbeikommen lassen solle, weil er Willens sey, sie mit an den Hof zu nehmen, um ihr Glück zu machen.
Der Vater gerieth dadurch in neue Verlegenheit, und sagte, als Bramint hereintrat: „Hier, gnädigster Prinz, ist mein älterer Sohn, welchen ich Ihnen vorzustellen die Ehre habe.“ – „Aber wo ist denn der jüngere? ich will ihn auch sehen!“ fuhr Rosimond fort. „Der ist nicht mehr in meinem Hause,“ erwiederte ängstlich der Vater; „er hatte sich gegen mich vergangen, und als ich ihn deshalb züchtigen wollte, lief er davon.“ – „So?“ sagte Prinz Rosimond; „das habt Ihr nicht gut gemacht; Ihr hättet ihn mit Güte belehren und zurecht weisen, aber nicht fortjagen sollen. Indeß gebt mir nur den älteren mit; Ihr aber folgt zweien von meinen Leuten, die Euch an einen Ort führen werden, den ich ihnen anzeigen will.“
Sogleich führten zwei Leute von der Wache den Vater weg, und brachten ihn in einen Wald. Hier erschien auch die Fee; sie berührte ihn mit ihrer goldenen Zauberruthe, und zwang ihn, in eine finstere Höhle zu gehen. „Hier sollt Ihr so lange bleiben,“ sagte sie, „bis Euer jüngerer Sohn Rosimond kommt, und Euch wieder herausholt.“
Um diese Zeit war der Sohn des Königs auf seiner Fahrt nach einer entlegenen Insel, wo er Krieg führen wollte, an unbekannte Küsten verschlagen, und von einem [188] wilden Volke gefangen genommen worden. Darüber betrübte sich der König sehr, denn er glaubte, ihn niemals wieder zu sehen, und alle Unterthanen weinten mit ihm um seinen Verlust.
Rosimond steckte nun seinen Ring an den kleinen Finger, und begab sich in der Gestalt des Prinzen, den man für verloren hielt, an den Hof des Königs. Diese unerwartete Erscheinung des Prinzen setzte Alles in frohes Staunen. Er erzählte nun, wie einige Kaufleute an der Insel, wo er gefangen gehalten wurde, gelandet, ihn mit in ihr Schiff genommen, und glücklich zurückgebracht hätten; ohne ihren hülfreichen Beistand würde er aber gewiß umgekommen seyn. Der König konnte vor Freude, seinen geliebten Sohn wieder zu haben, kein Wort sprechen, und die Königinn umarmte ihn, und weinte vor Rührung. Durch das ganze Reich wurden wegen der Rückkehr des Prinzen große Freudenfeste und Lustbarkeiten angestellt.
Als die Festlichkeiten zu Ende waren, sagte Rosimond, der immer für den wirklichen Prinzen gehalten wurde, zu seinem Bruder Bramint, den er mit an den Hof genommen hatte: „Bramint, du weißt, daß ich dich aus deinem Dorfe hieher gebracht habe, um dein Glück zu machen; aber ich weiß, daß du ein böser Lügner bist, und daß du durch deine Betrügereien deinen Bruder Rosimond unglücklich gemacht hast. Dein Bruder ist jetzt hier versteckt; du sollst mit ihm reden, und er soll dir deine Betrügerei vorhalten.“
Bramint warf sich ihm zitternd zu Füßen, und gestand sein Vergehen. „Gut,“ sagte Prinz Rosimond, „du sollst mit deinem Bruder sprechen, und ihn um Vergebung bitten. Er wird sehr großmüthig seyn, wenn er dir verzeiht, denn du verdienst es nicht. Er ist in meinem Kabinett, wo ich ihn dir gleich zeigen will; ich selbst aber werde
[188a][189] in ein Nebenzimmer gehen, damit du ganz ungestört mit ihm reden kannst.“
Bei diesen Worten ging Rosimond fort, steckte seinen Ring schnell auf den Goldfinger, und begab sich darauf, in seiner natürlichen Gestalt, durch eine andere Thür in das Kabinett. Als ihn Bramint hier erblickte, schämte er sich so sehr, daß er ihm nicht in die Augen zu sehen wagte; er bat ihn um Vergebung alles Unrechts, was er an ihm begangen habe, und versprach, seine Fehler wieder gut zu machen. Rosimond umarmte ihn mit Thränen, verzieh ihm, und sagte: „Ich bin der größte Liebling des Prinzen, und es kommt blos auf mich an, dich auf Lebenslang in ein Gefängniß werfen, oder gar hinrichten zu lassen; aber ich will nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern gegen dich so gut seyn, als du boshaft gegen mich gewesen bist.“ Bramint war ganz verwirrt und beschämt durch die Großmuth seines Bruders, und wagte es nicht, ihn seinen Bruder zu nennen.
Hierauf besuchte Rosimond seine Mutter, die schon lange sehnlichst gewünscht hatte, ihren geliebten Sohn einmal wieder zu sehen. Sie empfing ihn mit herzinniger Freude, und Rosimond erzählte ihr alles, was zwischen ihm und seinem Bruder am Hofe vorgegangen war, worüber sie sich nicht wenig verwunderte. Einen ganzen Tag blieb er bei ihr, und gab ihr, als er wieder abreiste, so viel Geld, als sie nöthig hatte: denn der König schenkte ihm oft große Summen, womit er viel Gutes that.
Nun begab es sich, daß der König sich zu einem Kriege gegen einen andern benachbarten König, welcher ungerecht und treulos war, rüsten mußte. Rosimond eilte sogleich an den Hof des feindlichen Königs, machte sich durch seinen Ring unsichtbar, und erfuhr nun alle Geheimnisse der Feinde. Dadurch wurde es ihm leicht, alle ihre Anschläge [190] zu vereiteln, und den Krieg zu seinem Vortheil zu führen. Er selbst stellte sich an die Spitze der Armee, und kommandirte sie so geschickt, daß er den Feind in einem Haupttreffen völlig vernichtete, und bald darauf einen ehrenvollen Frieden schloß.
Diese rühmliche That machte den König überaus glücklich, und er beschloß, Rosimond, den er noch immer für seinen rechten Sohn hielt, mit einer Prinzessinn zu verheirathen, welche die Erbinn eines benachbarten Königreichs war, und an Schönheit und Liebenswürdigkeit ihres Gleichen nicht hatte.
Rosimond war in Verlegenheit, was er hierbei thun sollte, denn er wollte nicht unrecht handeln. Zu seinem Glücke aber erschien ihm die Fee, als er eben auf der Jagd war, in dem Walde, wo er sie das erste Mal gesehen hatte. Er erzählte ihr sogleich das Vorhaben des Königs, und bat sich ihren Rath aus. „Hüte dich, Rosimond,“ sagte sie, „dich mit einer Prinzessinn zu vermählen, als ob du der wahre Prinz wärest. Man muß keinen Menschen betrügen, und es ist billig, daß der Prinz, für welchen man dich hält, wiederkomme, und seinem Vater in der Regierung folge. Geh’ also, und hol’ ihn zurück; die Winde, die ich abschicken werde, sollen dein Schiff nach der Insel führen, wo er sich aufhält. Eile, deinem Herrn diesen Dienst zu thun, und vergiß nicht, als ein ehrlicher Mann, in deinen natürlichen Stand wieder zurückzukehren.“
Rosimond befolgte gern einen so weisen Rath. Er bat sich von dem Könige die Erlaubniß aus, eine Reise, zur Vermehrung seiner Kenntnisse, machen zu dürfen, und begab sich dann zu Schiffe. Die Winde führten ihn bald nach der Insel, wo der wahre Sohn des Königs sich aufhielt, und das Vieh hüten mußte. Rosimond machte sich unsichtbar, und nahm ihn aus der Weide von seiner Heerde [191] weg. Er bedeckte ihn mit seinem Mantel, der eben so unsichtbar war, als er selbst, und befreiete ihn so aus den Händen der grausamen Wilden. Sie stiegen zusammen in das Schiff; andere Winde, welche die Fee wehen ließ, brachten sie bald nach Hause zurück.
Nun begab sich Rosimond in seiner natürlichen Gestalt mit dem Prinzen in das Zimmer des Königs, und sagte; „Allergnädigster König und Herr, Ihr habt mich bisher für Euern Sohn gehalten; ich bin’s aber nicht; dies hier ist Euer wahrer Sohn, den ich Euch jetzt wieder gebe.“
Der König, ganz erstaunt, wandte sich an seinen Sohn und sagte: „Wie, mein Sohn, bist du es denn nicht, der meine Feinde überwunden, und einen so rühmlichen Frieden geschlossen hat? Oder ist es wahr, daß Du Schiffbruch gelitten, und in Gefangenschaft gerathen bist, woraus Dich Rosimond befreit hat?“
„Ja, mein Vater,“ erwiederte der Prinz; „ungünstige Winde verschlugen mich auf eine Insel, wo ich in die Gewalt der Wilden gerieth, und von ihnen gefangen und zu Hirtendiensten gebraucht wurde. Dieser Rosimond hat mich auf eine wunderbare Weise aus dieser entehrenden Gefangenschaft befreit, und ihm allein verdanke ich das Glück, Euch und mein liebes Vaterland wieder zu sehen; ihm, und nicht mir, habt Ihr den Sieg über Eure Feinde zu danken.“
Der König wußte nicht, was er hierzu sagen sollte, und es kam ihm Alles unglaublich vor. Da steckte Rosimond seinen Ring auf den kleinen Finger, und zeigte sich in der Gestalt des wahren Prinzen. Nun sah der König zwei Menschen vor sich, die er gar nicht unterscheiden konnte: denn der eine war dem andern ganz ähnlich.
Jetzt war der König überzeugt, daß sich Alles so verhalte, wie er eben gehört hatte, und bot dem Rosimond für die ihm geleisteten großen Dienste eine unermeßliche [192] Summe Geldes an. Rosimond aber wollte sie nicht annehmen, und bat den König nur um die Gnade, seinem Bruder Bramint die Bedienung am Hofe zu lassen, die er ihm geschenkt hatte. Er selbst fürchtete sich vor der Unbeständigkeit des Glücks, vor dem Neide böser Menschen, und seiner eigenen Schwachheit. Darum zog er sich vom Hofe zurück, und begab sich wieder in sein kleines Dorf zu seiner Mutter, wo er sich in ruhiger Stille mit dem Landbau beschäftigte.
Auf dem Wege dorthin erschien ihm die Fee im Walde. Sie zeigte ihm die Höhle, worin sein Vater war, und sagte ihm zugleich auch die Worte, die er aussprechen müsse, um ihn in Freiheit zu setzen. Das war für Rosimond eine große Freude: denn er hatte schon längst gewünscht, seinen Vater aus dem finstern Loche zu erlösen, nur hatte es bisher die Fee nicht erlauben wollen. Er trat sogleich an die Höhle, setzte den Vater in Freiheit, und nahm ihn mit sich nach Hause. Hier pflegte er sein, und bereitete ihm ein ruhiges und frohes Alter.
So wurde Rosimond der Wohlthäter seiner ganzen Familie, und genoß das süße Vergnügen, allen denen Gutes zu thun, die ihm hatten Böses thun wollen.
Da er sich nun in seinem stillen Dorfe, bei seiner ländlichen Arbeit, recht glücklich fühlte, und dasselbe nie wieder verlassen wollte, so mochte er auch den Wunderring nicht länger behalten. Er ging daher oftmals in den Wald, wo ihm die Fee schon einige Male so gnädig erschienen war, in der Hoffnung, sie wieder dort anzutreffen. Als er eines Tages sich vor der Höhle niedergesetzt hatte, war er so glücklich, sie plötzlich vor sich stehen zu sehen. Er stand sogleich auf, und überreichte ihr den Ring, indem er sagte: „Hier gebe ich Euch mit vielem Danke den Ring zurück, dessen längerer Besitz mich nur beunruhigen würde: denn er könnte [193] mich leicht in Versuchung führen, meine Einsamkeit zu verlassen, und Dinge zu unternehmen, die mich nur unglücklich machten.“
Die Fee hörte Rosimond mit Wohlgefallen an, und sagte: „Nun gut, wenn du den Ring nicht behalten willst, so will ich ihn deinem Bruder Bramint geben; wir wollen sehen, was für einen Gebrauch der davon machen wird.“
Hierauf begab sie sich in den königlichen Palast, und erschien dem Bramint in der Gestalt einer alten häßlichen Frau, in zerlumpter Kleidung, und sagte: „Ich habe deinem Bruder den Ring, welchen ich ihm gegeben, und wodurch er sich so beliebt und berühmt gemacht hat, weggenommen, und übergebe ihn dir hiemit. Bedenke dich nun wohl, welchen Gebrauch du von demselben machen willst; dem Guten ist er nützlich, aber dem Bösen zum Verderben.“
Bramint hüpfte vor Freuden, und antwortete lachend: „Nur her damit, Mütterchen! ich werde wahrhaftig nicht so ein Narr seyn, wie mein Bruder, der den Prinzen zurückholte, da er hätte an seiner Stelle König werden, und dies große Reich beherrschen können.“ – Die Fee sagte kein Wort, und verschwand.
Bramint war nun auf nichts bedacht, als sich durch seinen Zauberring immer mehr Reichthum und Macht zu verschaffen, und alle seine boshaften Begierden zu befriedigen. Er schlich sich ungesehen in die Häuser, verrieth seine vertrautesten Freunde, entwendete Gelder und die kostbarsten Sachen, und offenbarte selbst die wichtigsten Geheimnisse des Königs. Seine unsichtbaren Verbrechen setzten jedermann in Erstaunen.
Der König, welcher seine Unterthanen sehr liebte, und sogar sich selbst verrathen sah, wußte anfangs nicht, was er von allen diesen geheimen Uebeln und Schandthaten denken [194] sollte; aber die unverschämte Frechheit und der Uebermuth des Bramint, und seine täglich wachsenden Reichthümer brachten ihn endlich auf den Verdacht, daß er den wunderbaren Ring seines Bruders haben müßte.
Um dies zu erfahren, mußte sich ein unbekannter Mensch für den Abgesandten eines benachbarten feindlichen Königs ausgeben, und den Bramint heimlich ausforschen. Er ging zu diesem in der Nacht, und bot ihm im Namen des feindlichen Königs große Reichthümer und Ehrenstellen an, wenn er ihm die Geheimnisse des Königs verrathen, und ihm behülflich seyn wolle, daß man diesem Thron und Reich nehmen könne.
Bramint willigte in Alles, und prahlte, daß ihm nichts unmöglich sey. Als der Abgeordnete hierüber seine Verwunderung zu erkennen gab, war Bramint so unbesonnen, sich selbst zu verrathen, indem er erzählte, daß er einen Ring habe, durch den er sich unsichtbar machen könne. „Schön,“ sagte der Abgeordnete, „da seyd Ihr der rechte Mann, den mein König gebrauchen kann; er wird Euch Eure Dienste glänzend belohnen.“
Der Abgesandte hinterbrachte nun dem König Alles, was er von Bramint erfahren hatte. Dieser aber wurde von der königlichen Wache sogleich ergriffen, und in ein finsteres Gefängniß geworfen. Man fand bei ihm viele Schriften, die seine Verbrechen bewiesen, und auch den Ring, der ihn dazu verleitet hatte.
Rosimond, welcher dies sogleich erfuhr, begab sich an den Hof, um für seinen Bruder um Gnade zu bitten, aber er fand kein Gehör. Bramint wurde öffentlich hingerichtet, und so war der Ring ihm schädlicher, als er seinem Bruder nützlich gewesen war.
Der König gab dem Rosimond, um ihn wegen der Strafe seines Bruders zu trösten, den Ring zurück, als [195] den größten Schatz, den er ihm nur geben könnte. Der betrübte Rosimond dachte aber ganz anders von diesem Geschenk. Er eilte sogleich in den Wald, um die Fee aufzusuchen, und als sie zu ihm trat, übergab er ihr zum zweiten Male den Ring, indem er sagte: „Hier habt Ihr das unglückliche Geschenk zurück, das meinen Bruder in’s Verderben gebracht hat. Wehe dem Menschen, der ihn erhält, und ihn nicht recht zu gebrauchen weiß. Das Einzige, warum ich Euch bitte, ist: Diesen Ring keinem von denen zu geben, die mir lieb sind.“