Dramatische Literatur der Hindus
Dramatische Literatur der Hindus.
[1]Wenn unsere Bekanntschaft mit der Literatur sowohl als mit der Geschichte von Indien noch immer, ungeachtet der vereinten Bemühungen einer nicht geringen Anzahl von Gelehrten in England, Frankreich, Deutschland und Dänemark, äußerst unvollständig ist, so dürfen wir den Grund ohne Zweifel nur in der argwöhnischen Politik der Handelsgesellschaft suchen, welche so lange alles, was nur in der entferntesten Beziehung auf ihr Monopol und ihre Herrschaft in Indien gedacht werden konnte, mit eifersüchtiger Strenge bewachte und den Blicken des Profanen entzog. William Jones Uebersetzung der Sakontala, die bald in alle europäische Sprachen überging, gab uns zuerst eine Ahnung davon, wie wunderbare herrliche Blüthen der vor uns verschlossene Garten hege; durch die reiche Lese aus dem Gebiete der dramatischen Literatur, welche das vorliegende, erst im verwichenen Jahre zu Calcutta erschienene Werk von Hayman Wilson, über das Theater der Hindus darbietet, erhalten wir endlich eine klarere Vorstellung von Dingen, die man sich bisher vergebens zu enträthseln gestrebt hatte.
Der Verfasser gibt uns ein Verzeichniß von nicht weniger als sechzig dramatischen Stücken, von denen freilich viele gegenwärtig nur erst dem Namen nach bekannt sind; von diesen sind, außer der Sakontala, noch sechs andere vollständig übersetzt: „Mritschschakati,“ oder der Spielwagen, „Vikrama und Urvasi,“ oder der Held und die Nymphe, „Malati und Madhava,“ oder die heimliche Vermählung, „Uttara Rama Tscheritra,“ oder die Fortsetzung der Geschichte von Rama, „Retnavali“ oder das Halsband und Madra Rakschasa. Von mehreren andern Dramen werden kurze Nachrichten gegeben.
Die Erfindung des Dramas wird durch die Sage einem begeisterten Weisen, Namens Bharata, zugeschrieben; zu einer Zeit, wo das neuere europäische Drama noch in seiner ersten Kindheit war, im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderte, finden wir das von Indien bereits in seinem Verfall begriffen. Der Character desselben ist so romantisch, wie das Land, auf dessen Boden es erblühte; doch ist die Theorie der dramatischen Composition, – was die unbedingten Verehrer des classischen Alterthums sehr überraschen wird, – nichts weniger als vernachlässigt.
Die Schauspiele der Indier scheinen meist, gleich denen des alten Athens, nur für eine einzige Vorstellung geschrieben zu seyn; sie müssen bei ihrer Aufführung wenigstens fünf bis sechs Stunden eingenommen haben; einige von ihnen haben einen Umfang von zehn vollen Acten. Der Dialog ist gewöhnlich in Prosa, während die lyrischen Flüge des Dichters in regelmäßigen Versen sind. In diesen poetischen Stellen werden alle Versmaaße, welche die Sprache kennt – von Anuschtubh, oder der Strophe von vier Zeilen zu acht Sylben, zum Dandaka, welches 25 bis 199 Zeilen hat, angewendet. Eigenthümlich ist, daß die Helden und Heldinnen, Diener, Kaufleute, Spitzbuben etc. in verschiedenen Dialecten sprechen, von denen indessen gewöhnlich nur drei gebraucht werden. – Eigentliche Theater scheinen in Indien niemals errichtet worden zu seyn. Ein Saal in den Häusern der Großen, Sangita Sala genannt, worin Musik gemacht und getanzt wurde, war wahrscheinlich der Platz, dessen man sich bediente; vielleicht auch, bei dem schönen Clima, die offenen Höfe. Doch hatte man eine Bühne mit einem Schirm oder Vorhang. Die Schauspieler wurden nie als Leute von üblem Ruf, oder als Vagabunden betrachtet, wie früher in Europa. Sie werden als persönliche Freunde der Dichter, wie die letzten als Freunde und Gesellschafter von Weisen und Königen genannt. Das Schauspiel diente überdieß nicht blos zum Vergnügen oder zur Unterhaltung der Zuschauer, sondern bildete einen wesentlichen Theil der religiösen Feste.
Wir wollen von einem der von Wilson übersetzten indischen Dramen, Retnavali, das weniger mythologische und andere gelehrte Vorkenntnisse erfordert, um von Fremden verstanden zu werden, aber freilich auch weniger Originalität besitzt als die übrigen, unsern Lesern einen Auszug mittheilen. Als Verfasser wird genannt Sri Herscha Deva, ein König von Kaschmir zwischen 1113 und 1125 nach Christi Geburt; seine Sprache ist elegant und deutet auf eine Zeit hin, in welcher die Ausbildung und Feinheit der Kunst das natürliche Feuer des Genies zu verdrängen begann.
Wie gewöhnlich eröffnet das Stück eine Art Weihe, statt des Prologs; dann tritt der Schauspieldirector vor, nennt den Fürsten als den Verfasser und gibt der Versammlung [314] an, woher der Stoff entlehnt sey. Eine Schauspielerin tritt auf, und nach einem kurzen Dialog fängt der erste Act an, indem sich uns der Palast Vatsa’s zeigt, einer Lieblingsperson der Hindus, die immer von derselben Gesellschaft begleitet erscheint: Vasayadatta, seiner Gemahlin, Yangandharayana, seinem Minister, Vasantaka, seinem Hofnarren, und Rumanwan, seinem General. Ein Monolog des Ministers, in welchem er sich über den gegenwärtigen Stand der öffentlichen Angelegenheiten ausspricht, eröffnet das Stück; nachdem er denselben recitirt hat, zieht er sich in seine Wohnung zurück. Darauf sieht man Vatsa Raja mit Vasantaka, zum Frühlingsfeste geschmückt. Während sie sich unterhalten, nähern sich Madenika und Chutalatika, indem sie durch Tanz und Gesang die Macht der Gottheit der Jahreszeit ausdrücken. Der König bemerkt, als sie sich wieder entfernt haben: „Ich sehe in der That den Einfluß der Jahreszeit in ihrer Erscheinung ausgedrückt; das Haarband der einen ist gelöst und ihre langen Locken fliegen entbunden in der Luft; das Halsband der andern scheint zu schwer für ihre schmachtende Gestalt, obwohl sie ihre tönenden Knöchel mit mehr als gewöhnlicher Schnelligkeit bewegt.“
Der König und Vasantaka gehen darauf in den Garten, um der Königin darin zu begegnen. Wir hören, daß die Bäume den Genuß der entzückenden Jahreszeit theilen; „ihre neuen Blätter glühen gleich Corallen, ihre Zweige schwanken voll Leben im Winde und ihr Laub ertönt von dem fröhlichen Murmeln der Bienen.“ Die Königin, ihre Dienerin Katschanamala, und Sagarika kommen jetzt in den Garten. Die Opfer werden angeordnet und der König und seine Freunde gesellen sich zu den Damen. Die Königin macht gegen den König ihre Verbeugung und man welchselt gegenseitig Geschenke.
Der nächste Act beginnt in dem Garten des Palastes. Man sieht Sagarika darin sitzen mit einem Gemälde, das sie zärtlich betrachtet, als sie von ihrer Freundin Susangata unterbrochen wird. Diese hält Lotosblätter auf Sangarikas Busen, um das Fieber ihrer Leidenschaft zu kühlen. In diesem Augenblicke entkommt ein Affe aus seinem Behältniß, und die Damen fliehen und lassen das Gemälde zurück, welches Vatsa und Sagarika selbst darstellt. In einem andern Theile des Gartens erscheint Vasantaka und bald darauf der König. Sie hören auf Sagarika’s Staar, der ihnen die Unterhaltung zwischen der Jungfrau und ihrer Freundin wiederholt. Sie entdecken das Gemälde und der Staar beginnt aufs neue von der natürlichen Neigung und vom hohen Werth erhabener Auszeichnung zu sprechen, indem er die Worte Susangatas zu ihrer Freundin nachschwatzt. In der Pisanglaube findet man den Käfig des Staars durch den Affen zerbrochen. Der Staar hat von einem Baume in der Nähe das Geheimniß der Liebe der Jungfrau entdeckt. Indessen halten sich beide Damen hinter den Pisangs verborgen. Sie werden entdeckt und Vatsa will den zärtlichen Liebhaber spielen, wird aber von Sagarika zurückgewiesen. Vasantaka erinnert den König, Susangata durch das Geschenk eines Armbandes zum Stillschweigen zu vermögen. Die verstohlene Zusammenkunft dauert so lange, bis die Königin erscheint und sie sich zurückziehen. In der Verwirrung, die erfolgt, sucht der König das Gemälde zu verbergen, läßt es aber fallen und die Königin entdeckt es. Der Freund des Königs, Vasantaka, bemüht sich die Sache zu erklären, jedoch für die Eifersucht eines Weibes auf keine Weise befriedigend.
Die folgende Scene ist ein Gemach im Palaste, worin Weiber intriguiren. Vatsa ist in Liebe entbrannt gegen Sagarika. Die Königin verkleidet sich und wird von Vasantaka für Sagarika gehalten. Sie geht und besucht ihren Gemahl in dieser Verkleidung, und nachdem die Täuschung gelungen ist und sie von ihrem Gemahl das Bekenntniß seiner Liebe zu Sagarika erhalten hat, gibt sie sich zu erkennen. Inzwischen spielt Sagarika dasselbe Spiel in der Verkleidung der Königin und stellt sich, als wolle sie sich aus Eifersucht ermorden, wird aber vom König gerettet, der in der vermeinten Königin seine Sagarika entdeckt. Die Königin kommt dazu, läßt in der Gegenwart des Königs Sagarika gefangen nehmen und abführen – Niemand weiß wohin – während der König traurig zurückbleibt und zum Andenken von seiner Geliebten nichts als ein Halsband behält.
Darauf erscheint ein Zauberer, der seine Kunst vor dem König und der Königin zu zeigen begehrt. Er winkt mit seinem Federbusch und man sieht Brama und andere Gottheiten im Himmel, vor denen himmlische Nymphen einen heiteren Tanz aufführen. Dieß Schauspiel wird durch eine Gesandtschaft unterbrochen, die von dem Hofe des Fürsten Avouti kommt. Einer der Gesandten erblickt das Halsband, welches Sagarika dem König zurückgelassen hat und erklärt, daß dasselbe der Tochter seines Herrn gehöre, von welcher eine Prophezeihung sagte, daß ihr Gemahl der Herr der Welt werden würde. In diesem Augenblick wird gemeldet, der Palast stehe in Flammen. Der König ist besorgt um die Königin, die sich indessen in Sicherheit in seiner Nähe befindet, aber ihrerseits Besorgniß für Sagarika, ihre Gefangene, ausdrückt.
Der König stürzt durch die Flammen, seine Geliebte zu retten, die er in Ketten findet und der Gefahr entreißt. Zugleich ist aber auch das Feuer verschwunden, und Vatsa reibt sich die Augen, um zu sehen, ob dieß alles wirklich wahr sey. Das Feuer war aber in der That nur Täuschung – das Werk der Zauberei. Der König umarmt die Tochter des Königs Avouti, die als Sagarika bisher unbekannt war, und bringt sie zu der Königin, die versöhnt wird. Yagandharayana, der Minister, kommt nun und erklärt das scheinbare Geheimniß. Sagarika, jetzt Retnavali, wird für die Schwester der Königin erkannt und Vatsa erhält die Hand der Jungfrau, welche die Götter selbst zur Quelle des Sieges bestimmt haben.
Dieß ist der flüchtige Umriß eines Schauspiels, welches als das treueste Gemälde der Sitten und Lebensart der [315] Hindus zu einer Periode betrachtet werden kann, über die wir nur sehr unvollkommene Nachrichten besitzen. Weder erhabene Grundsätze, noch tiefe Reflexion zeichnen dieß reizende Bild aus, dagegen bezaubern uns Züge der reinsten Zärtlichkeit, Milde und Eleganz, die wir in den Harems der übrigen orientalischen Nationen vergebens suchen würden.
[320] Die Beschränktheit des Raumes erlaubt uns nur wenige kurze Stellen, als Proben der schönen poetischen Sprache dieser Dramen, auszuheben; wir hoffen, daß bald das Ganze, von dem hundert schönere Stellen doch nur einen schwachen Vorschmack geben könnten, durch einen geistreichen Uebersetzer in die Hände unserer Leser kommen wird.
Ein Garten, der den Frühling verkündet.
Im Kuruvaka sieh
Der Schönen bunt gemalte Finger, roth
Gefärbt die Mitt’, in Ebenholz gefaßt;
Hier treibt Asoka ihre jungen Knospen,
In Blüthen ausgebrochen, hier umschlingt
Des braunen Mango’s dicht gedrängte Blumen
Die Ranke, welche seine Gluth verbirgt:
Ich seh die Göttin,[2] und zu jeder Hand
Die knospende Kindheit und die blühende Jugend.
Ein Hindu-Mittag.
S’ist Mittag, durch die Gluth erschöpft
Stürzt sich der Pfau in den sparsamen Pfuhl,
Der des erhabnen Baumes Wurzel nährt.
Die Biene schlummert in der dunkeln Kammer,
die dort des Lotus Blumenblatt umschließt;
An dem Gestad’ des warmen Sees verbirgt
Die Ente sich im Rohr und sehnend klagt
Der Papagei in seinem Gitterkäfig
Und ruft um Wasser, seinen Durst zu stillen.
Schöne Augen.
Die Augen, die, dem braunen Lotus gleich,
Wenn er vom West gewiegt ist, zitternd glüh’n,
Indem sie furchtsam durch den Vorwand sich
Entschuldigen, daß sie die Kränze winden,
Die Strahlen des Entzückens auf dich heften,
Wie Pfeile von der Brauen schönem Bogen,
Der sich gleich Kama’s[3] Bogen lieblich krümmt.
Ein verliebtes Mädchen.
Ich sehe sie mit Lust und mit Entzücken,
Schlank die Gestalt und zart, das Antlitz blaß,
Dem jungen Pisang, dem vergeh’nden Monde gleich.
Süß ist sie, anmuthsvoll ist sie dem Aug’,
Ob auch die Wange schmal; – denn alles zeigt,
Daß hier der Liebe Gluth den Sieg errang,
wie in des Jünglings gleich entflammter Brust.
Nur Ein Gedanke lebt in ihr und sie
Lebt nur für Ein Gefühl; das Kleid ist los,
Die sanfte Lippe bebt, die zarte Wange
Benetzen Thränen, und der Busen wallt;
Das dunkle Aug’ in süßem Selbstvergessen
Schwimmt feucht und flüssig; und aus jedem Blick,
Jeder Geberde spricht der Liebe Sehnen.
Die einäugige Gemahlin des Gottes Siva.
Rollt dein furchtbares Haupt,
So zieht das düstre Aug, das mitten glüht
Auf deiner Stirn, von Flammen einen Kreis,
Deß grauser Schwung die Sphären wild umfängt,
Indeß das Banner deines Schreckensstab’s
Des Himmels Sterne aus den Bahnen wirft.
Zwielicht.
Und nun an’s Werk; denn sieh!
Die Dämm’rungsstunde hängt im Westen schon,
Und, gleich der schwarzen Blüthe der Tamala,
Schleicht an dem Saum des Horizont’s das Dunkel;
Der Erde Grenzen haben sich verloren,
Als hätten sie sich in die Fluth getaucht;
Und ihren milden Schatten leiht dem Wald
Die junge Nacht, als stiege Rauch empor,
Der vor dem Winde sich in Nebel theilte.
Eine Beschwörungsscene.
Die Schrecken dieses Orts erwachen nun,
Von bösen Geistern dicht umdrängt; die Flammen
Der Scheiterhaufen leih’n ihr düstres Licht,
Gehemmt von ihrer Speise, spärlich nur,
Das finstre Graus, das sie umgibt, zu theilen.
Gespenster spielen bleich mit Kobolden,
Und ihre Lust ächzt rings das Echo wieder!
Wohl, sey es so! ich will und muß sie fragen.
Ihr körperlichen Geister, ihr Dämonen,
Die diesen Ort besucht! ich bring euch Fleisch –
Fleisch eines Menschen, unberührt vom Stahl
Und euer werth. (Getöse.) Wie das Gezischel wild,
Verwirrt und schrillend, jetzt den Beinhof füllt!
Seltsame Bilder fliehen durch die Wolken,
Sie gleichen Füchsen, und vom rothen Haar
Der magern Leibern glüht ein Feuerschein;
Die Rachen, die von Ohr zu Ohr sich ziehn,
Sind mit zahlreichen Zähnen dicht besetzt;
Aus Aug und Bart und Brauen strömt die Gluth.
Und nun das Geisterheer! Ein jeder schreitet
Auf Beinen, Palmen gleich, ein dürr Skelett,
Deß Knochen, fleischlos, Sehnen nur verbinden,
In eingeschrumpfte, schwarze Haut gehüllt.
gleich hohen Bäumen, welk, vom Blitz getroffen,
So nah’n sie; und, wie um verdorrte Stämme
Sich die gewalt’ge Schlange windet, so
So rollt in jedem Schlund, weit aufgesperrt,
Die schwere Zunge, die von Blute trieft.
Jetzt nehmen sie mich wahr, und halb gekaut
Fällt dort dem Wolf dem grimmig heulenden
Der Bissen zu; – und jetzo flieh’n sie!
(Pause, um sich sehend).
Scheußliches Geschlecht!
So feig, als scheußlich! Alles ist umher
In tiefe Nacht versenkt. – Und vor mir fließt ein Strom,
Der diesen Leichengrund begrenzt und sich
Durch moderndes Gebein, oft unterbrochen, windet.
Wild tobt der Strom, wie er vorüberrauscht,
Und bricht die Uferwand, die er durchwühlt.
Die Eule heult im Wald, der ihn umsäumt,
Ihr Klaggeschrei und Antwort gellt darauf
Des Jakals lautes langes Trauerwinseln.
Tausend Jahre sind vergangen, seit die Blüthezeit der dramatischen Literatur der Hindus vorüber ist; und man kann kaum sagen, daß das armselige Puppenspiel der auf den Märkten herumziehenden Gaukler in unsern Tagen auch nur eine Spur des Andenkens an dieselbe bewahre. Aber die Meisterwerke derselben leben noch in dem geheimnißvollen Samskrit und sind in den Büchersammlungen der Brahmanen so frisch und schön erhalten, als sie aus den Händen ihrer Schöpfer hervorgingen.