Drei Blumen am Wege eines Hagestolzen

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Textdaten
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Autor: Helene von Düring-Oetken unter dem Pseudonym Arthur von Loy
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Titel: Drei Blumen am Wege eines Hagestolzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 209-214
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Drei Blumen am Wege eines Hagestolzen.

Von Arthur von Loy.

„Könnten Sie sich entschließen, mein lieber Herr Präsident von Mebes, an einem Damenkaffee Theil zu nehmen?“ fragte mich Frau von K., als ich ihr heute Morgen in der Friedrichsstraße begegnete.

„Meine Gnädigste!“ stammelte ich erschrocken und besann mich auf einen passenden Vorwand, um absagen zu können.

„Nun, Sie werden noch einige Herren bei mir finden,“ fuhr Frau von K. ermuthigend fort, „allein die Hauptsache besteht darin, daß ich Sie mit drei einstigen Flammen, die Ihr Herz in früherer Zeit so heiß durchlodert haben, nach fünfzehnjähriger Trennung wieder zusammenbringen will. Sie ahnen wohl schon, von wem ich rede: Frau von Rüdel, ehemals unsere schöne Ada Schwanfeld, die Regierungsräthin Reich, früher Ihnen als Gretchen Hein bekannt, und Frau von Arnim, geborene Gräfin Gansberg, meine Nichte. Diese drei jungen Frauen sind augenblicklich in Berlin anwesend, ich habe sie mit ihren Männern und Kindern heute Nachmittag zum Kaffee eingeladen und möchte mir nun gern die kleine Genugthuung verschaffen, diese einst von Ihnen mit junggesellenhaftem Egoismus verschmähten Mädchenblumen Ihnen jetzt als glückliche, zufriedene Frauen vorführen zu können. Herr Präsident, ich rechne auf Ihr Erscheinen!“

„Mit Dank nehme ich Ihre gütige Einladung an,“ erwiderte ich schmunzelnd, „doch Sie haben mir da die Rolle des Esels zwischen zwei Bündeln Heu zuerkannt, während ich leider die des Fuchses spielen mußte, dem die Trauben zu hoch hingen.“

„Ach, liebster Präsident, leere Ausflüchte!“ rief Frau von K. lachend aus. „Eine von den Dreien hätten Sie damals durchaus heirathen müssen. Man denke nur, vor fünfzehn Jahren waren Sie ein leidlich hübscher, noch jugendlicher Ober-Regierungsrath, in einer kleinen Stadt unverheirathet lebend. Ist ein solcher Mann mit zweitausendfünfhundert Thalern jährlichen Gehalts nicht moralisch verpflichtet, ein armes hübsches Mädchen zu nehmen? Ganz Y. war damals Ihretwegen in Aufruhr, die Mütter zerrissen sich, die Väter ließen es sich Geld kosten, arrangirten Bälle und Landpartien, schenkten ihren Töchtern schöne neue Kleider – doch Sie blieben kalt und hart wie ein Kieselstein und gingen wieder fort, wie Sie gekommen waren – unbeweibt, – mit der Rangerhöhung als Präsident.“

„Meine Gnädigste, ich weiß, ich lohnte Ihre wohlmeinenden Heirathspläne stets mit Undank, aber ich küsse Ihnen die Hand für die süße Strafe, das eheliche Glück meiner einstigen Herzensköniginnen diesen Nachmittag mit eigenen Augen schauen zu dürfen.“

Damit zog ich den Hut und empfahl mich meiner Gönnerin. Langsam und gedankenvoll schlenderte ich die Straße hinunter. Mit Frau von K.’s Worten war ein Stück grünes Jugendland, sonnig hell, aus den Erinnerungsnebeln meiner Vergangenheit emporgetaucht. Ada Schwanfeld, – Gretchen Hein, – Gräfin Agnes Gansberg, diese Namen hatten heute so wunderbar an mein Ohr geschlagen, sie, die mich einst täglich wie freundliche Gedanken und neckende Falter umschwirrten und die dann jahrelang stumm waren. Die Namen, bei denen mein vierzigjähriges Herz gepocht wie ein banges Schülerherz, die letzten frischen Blumen an meinem Junggesellenwege, die holden Mädchengestalten wurden mir wieder lebendig, als hätte ich sie erst gestern gesehen.

Vor zwanzig Jahren kam ich als Ober-Regierungsrath nach Y., einer kleinen finstern Festung in Pr. Dort verkehrte ich viel in dem gastfreien Hause von Frau von K., deren Mann Commandant der Festung war. Frau von K., eine kinderlose Dame, hatte eine große Vorliebe für hübsche junge Mädchen, die sie gern zu sich einlud und noch lieber unter die Haube brachte. Gerade damals hatte sie sich drei besonders hübsche Edelsteine als Lieblinge auserkoren, damit diese in der goldenen Fassung ihres Schutzes und ihrer Gesellschaften glänzten: die einzige Tochter des Platzmajors, die sechszehnjährige Ada Schwanfeld, Gretchen Hein und ihre eigene Nichte, Gräfin Gansberg, oder, wie wir Junggesellen diese Drei in unserem Mittwochsclub bezeichneten: die Purpurnelke, der Sturmwind und – der rothe Titian.

Die interessanteste und bedeutendste dieser drei Grazien war unstreitig Ada, die Purpurnelke; noch besser hätte man sie vergleichen können mit einer traumhaft schönen wilden Blume des Südens, einsam im Geranke wehend. Sie wohnte mit ihrem Vater in einer ehemaligen Curie, einem alten finstern Gebäude [210] mit riesigen Sälen darin; dicht daneben stand, ein Monument kräftigerer schöpferischerer Zeiten, der prachtvolle gothische Dom, die Zierde der Stadt. Ein großer Garten lag dahinter mit schattigen Nuß- und Kastanienbäumen, durch eine Klostermauer von der übrigen Welt abgeschieden.

Dieses von der nivellirenden Neuzeit vergessene Stückchen Mittelalter war Ada’s Tummelplatz. An den Feiertagen brausten die Orgelklänge durch das mächtige Gebäude und tönten durch den blühenden Garten, rauschten durch die Baumwipfel. Zwischen mit Epheu umwachsenen Pfeilern sahen die gothischen Fenster des Domes wie ernste Augen auf das träumende Weltkind, welches oft stundenlang in der grünen krausköpfigen Laube saß, von Kletterrosen umrankt, wie Dornröschen, oder als habe sie eine Ahnung, daß sie noch einmal einem Hamlet begegnen würde, der ihr zuriefe: „Geh’ in ein Kloster!“

Ada’s Wesen war nicht leicht zu entziffern. Manche hielten sie für launenhaft und kalt, Viele für exaltirt, noch Andere proclamirten sie als „geistreiches Mädchen“, ein Begriff, welcher in einer kleinen Stadt ungefähr Folgendes einschließt: unordentlich, überspannt, etwas verrückt sein und weder nähen noch kochen können.

Die Purpurnelke war sehr schön, sie besaß positive Schönheit, doch sah sie selten recht eigentlich hübsch aus. Sie hatte gekräuseltes kohlschwarzes Haar, zusammengewachsene Brauen und prachtvolle schwarze Feueraugen, ein griechisches Profil, Perlenzähne, kleine weiße Händchen und – eine hübsche dicke Taille.

Ich spreche ernstlich, die starke Taille von Fräulein Ada habe ich stets zu deren Vorzügen gezählt, denn sie schien mir ein Beweis von Gesundheit und Mangel an Eitelkeit.

Im Ganzen war Ada Schwanfeld der Typus eines Mädchens, vor dem sich die meisten heirathsfähigen Männer fürchten. Weshalb eine stark ausgeprägte Individualität beim Weibe abschreckt, begriff ich zwar nie und glaube auch gern, daß dieser Geschmack uns zum Nachtheil gereicht; allein ich theilte damals die Schwäche meines starken Geschlechtes: zu sehr darauf zu hören, „was die Leute redeten“. Die Frauen machen nun einmal die Fama, und bei ihnen war Ada sehr unbeliebt. Wir Männer glauben der Fama stets auf’s Wort und untersuchen selten die Beweggründe der mit ihr befreundeten Damen, welche gar oft der Neid, die Bosheit und die eigene Unreinheit sind. Doch ist es nicht fortzuleugnen, Tadel schadet immer. Der Zauber von Ada’s Persönlichkeit wurde dadurch abgeschwächt, der warme Enthusiasmus zur ruhigen Beobachtung zurückgeführt. Ich stählte mich gewaltsam gegen mein eigenes Herz und beschloß zu warten, um die Vorzüge und Fehler meines Ideals genauer abwägen zu können und um nicht mit sehenden Augen dem Abgrunde zuzueilen.

„Wie sieht sie wieder aus!“ sagte eines Abends auf einem Balle Herr von Rüdel, ein reicher Gutsbesitzer aus der nahen Umgegend, als in der That die „Purpurnelke“ ihre Embleme ungewöhnlich kühn und schief in die schwarzen Locken gesteckt hatte. „Sagen Sie mir, Herr Ober-Regierungsrath, macht sie auch ganz gewiß keine Gedichte?“

„Ich vermuthe es stark,“ erwiderte ich, „jedoch Fräulein Schwanfeld ist noch sehr jung; sie überwindet vielleicht diese Neigung wieder.“ „Sie meinen, dergleichen sei nicht unheilbar?“ murmelte er nachdenklich.

Vier Wochen darauf wurden die Verlobungskarten von Fräulein Schwanfeld mit Herrn von Rüdel im Städtchen vertheilt. Bald darauf erfolgte meine Versetzung, und ich hatte bis heute die schöne Ada noch nicht wiedergesehen.

Und nun zu Gretchen Hein, – daß ich’s nur gestehe: sie hatte es mir am meisten angethan. Wie eine Knospe, wie ein junger Frühling war Gretchen anzuschauen. Silberhell tönte ihr fröhliches Lachen, die rosigen Lippen lieblich über zwei Reihen kleiner Perlenzähne geöffnet, ihre ganze Erscheinung, ihr kleines schelmisches Gesicht mit den blonden Wellenscheiteln, ihre schlanke Gestalt, ihr flinker Gang: Alles brachte Licht und Leben hervor!

Sie war die Tochter einer Officierswittwe, welche sich sehr einschränken mußte. Gretchens dürftige Toilette gab ihr nur einen Reiz mehr. Im knappen weißen Kleidchen, von einer verblichenen rosa Schärpe umflattert, triumphirte sie in ihrer frischen holden Anmuth über die meisten ihrer geputzteren Freundinnen. Am lebhaftesten schwebt sie mir vor im dunklen braunen Ueberrock, eine weiße gefältelte Halskrause, wie man sie wohl auf alten holländischen Bildern sieht, ihren Hals umgebend. Diese große Halskrause war Gretchens Venusgürtel und stand ihr entzückend; der Mittwochsclub nannte dies scherzenswerthe Institut „die Kaffeemühle“, wahrscheinlich weil es in der Form an den messingenen Kelch eines solchen Apparates erinnerte.

Gretchen selbst hieß bei uns Clubmitgliedern „der Sturmwind“, eine Bezeichnung, in der wir ihre unendliche Frische und rasche Gewandtheit zusammengefaßt hatten.

Nach dieser Beschreibung könnte man denken, Gretchen habe durchaus keine Fehler gehabt. Leider doch, einen! so sagte Fama. Sie war kokett! Eine kokette Frau zu bekommen, ist ein Schreckbild selbst für den leichtsinnigsten Mann. Ein wirksameres Geschütz hätte Fama nicht auf das arme Gretchen richten können.

Wir Männer konnten diesen Vorwurf nicht genügend entkräften; wir wissen nämlich niemals genau, ob ein Mädchen kokett ist oder nicht. Halten wir Eine für gefallsüchtig, so ist sie es manchmal gar nicht; glauben wir eine Andere ganz frei von dieser lieblichen Untugend, so übt diese sie oft im allerhöchsten Grade.

Weshalb ich Gretchen nicht geheirathet habe? Ja, fast hätte ich es gethan! Ein Wahn, ein Nichts hinderte mich daran, der jämmerlichste aller Gründe, mir selbst jetzt so unbegreiflich und unhaltbar erscheinend: ich konnte mich nicht entschließen! –

In meine Schwankungen fiel meine Versetzung. Gretchen verlobte sich bald darauf mit dem Regierungsrath Reich, einem Mann, der seinen Namen mit Recht führte. –

„Der rothe Titian,“ Gräfin Agnes Gansberg, war eine blendende Schönheit; nur Neider konnten sagen: „zu gesund“. Sie trug die Bürgschaft hausbackenen Glückes in sich: geistig unbedeutend und sehr praktisch erzogen. Darum dachte ich auch ernstlich daran, sie zu heirathen. Aber die hübsche Agnes hatte eine unangenehme Vorliebe für langgewachsene dünne Lieutenants und besaß eine Art Tanzwuth, wie ich leider ihre Lust zum Tanzen bezeichnen muß. Beide Passionen waren nicht dazu geeignet, einen kleinen breitschulterigen Ober-Regierungsrath, welchem bei der kleinsten Walzertour schwindlig wurde, besonders zu ermuthigen. Ich stieß gar bald auf einen baumlangen Rivalen, der die Polka auf eine ganz besondere Weise zu tanzen verstand und zwar keine Einnahme, aber dafür reichliche Ausgaben hatte. Verdrießlich zog ich mich zurück; als „angenehmer Alter“ mochte ich nicht bei der schönen Gräfin gelten. Unverrichteter Sache reiste ich nach Berlin ab, augenscheinlich zum Hagestolzen prädestinirt; denn wer in einer kleinen Stadt nicht zu einer Frau kam, kommt in einer großen niemals dazu.


Punkt fünf Uhr stieg ich die Treppe zu Frau v. K.’s Wohnung hinan. Alte Bekannte wiederzusehen, stimmt mich leicht wehmüthig; wie viele Mädchen, mit denen ich noch getanzt habe, sah ich als Mütter, – als Großmütter wieder! Ach, so eine Männerjugend überdauert manchen Mädchenfrühling! Nun sollte ich hier drei glücklichen Frauen begegnen, einstigen Flammen, die ohne mich so sehr – glücklich geworden waren.

Geräusch von Stimmen und klirrenden Tassen schwirrte mir entgegen. Ich trat in einen großen Kreis von geputzten Damen, der nur hin und wieder durch einige sparsam gestreute Männergestalten im schwarzen Frack oder in reicher Uniform unterbrochen wurde. Geblendet von Farben und Licht konnte ich anfangs Niemand erkennen und suchte ängstlich nach der Wirthin. Dicht neben mir sagte eine klare Frauenstimme wichtig zu einer Nachbarin:

„Liebste, Maier in der Kochstraße hat dreierlei Sorten von Butter; ich nehme stets das Pfund zu vierzehn Silbergroschen, sie ist ungesalzen, daher bekommt man ein größeres Pfund gewogen ...“

„Ich muß Sie unterbrechen, Frau Ada!“ kam Frau v. K. lächelnd herbei, „Sie übersehen im Feuereifer eines Gesprächs über Wirthschaftsangelegenheiten unsern lieben alten Freund, den Präsidenten von Mebes.“

Frau Ada sprang elektrisirt auf und begrüßte mich mit holder Ueberraschung. Wir fanden rasch die alte Art unseres Verkehrs wieder; pikant und geistreich, ganz dieselbe, träumerisch und bewegt zugleich, die interessante Ada von ehedem.

Ich sah sie an, die hingeflossenen fünfzehn Jahre der Trennung schienen mir ausgelöscht, das schöne Gesicht, umkränzt von schwarzen Flechten in fast unverändertem Blüthenschmelz, der nämliche Kinderblick in den großen dunklen Augen, nur um den Mund ein schmerzlich sanfter Zug. Sie mußte jetzt fünfunddreißig Jahre [211] zählen, dennoch war sie so glanzvoll schön, das; die Bezeichnung „Purpurnelke“ jetzt noch besser als damals auf sie paßte. „Die Blume ist schöner, wenn sie ihre duftenden Blätter ganz entfaltet; am Mittag strahlt und flammt die Sonne höher als am Morgen,“ singt Torquato Tasso von Leonore d’Este.

Wir sprachen von vergangnen Zeiten; Frau von Rüdel hatte ein pietätvolles Gedächtniß für alle Kleinigkeiten ihres Jugendlebens. Mitten in der eifrigsten Unterhaltung unterbrach sie sich plötzlich, zog ein Notizbuch aus der Tasche, riß ein Blättchen heraus und sagte entschuldigend: „ich will nur rasch die Butteradresse für die Dame neben mir aufschreiben.“

„Ihre poetische Ader hat wohl aufgehört zu fließen?“ erlaubte ich nur lächelnd zu fragen.

„O nein,“ erwiderte sie mit gutem Humor, „mein Mann hat sogar meine Gedichte gesammelt und in einem Prachtbändchen herausgegeben, doch er hat die kleine Bosheit geübt, mir alle tadelnden Recensionen, welche er auffinden konnte, mit einem Rothstift angestrichen, auf den Frühstückstisch zu legen.“

Herr von Rüdel kam herbei, um mich freundschaftlich zu begrüßen. Er hatte den letzten Theil unseres Gesprächs gehört und meinte nun, Ada’s Gedichte seien doch im Ganzen sehr günstig von dem Publicum aufgenommen; überhaupt beklage er, daß seiner Frau schönes poetisches Talent sich wegen Zeitmangels nicht in wünschenswerther Weise entwickeln könne.

O Ballabend! Du bist verrauscht, aber meine Erinnerung hält noch fest die ängstliche Frage: „macht sie auch ganz gewiß keine Gedichte?“ –

Eine große Gestalt mit einem eingefallenen Gesicht trat zu mir: „Herr Präsident, Sie kennen mich nicht mehr?“

Großer Gott, ist’s möglich, Gretchen Hein, die Regierungsräthin Reich? Welch’ trostlose Veränderung! jetzt in Wahrheit eine Tochter von Freund Hein, – ein lachender Todtenkopf. Ja, das Lachen, das alte süße silberhelle Lachen! Der Ton klang jetzt so gezwungen, er that mir weh. Aus dem kleinen Munde zwei große falsche Zähne hervor stehend, – o, es ist wohl ein böser Traum, ein Bild im Hohlspiegel, welches mich äffte?

Aus der Thür des Nebenzimmers guckten fünf bis sechs neugierige Kinderköpfe wie die Orgelpfeifen hervor. Gewiß sind das Alles Gretchens Kinder, dachte ich mit einem leisen Schauer; also ist sie doch eine glückliche Familienmutter. Ich fragte sie.

„Ich habe keine Kinder,“ sagte sie kurz, und ein dunkler Schatten verfinsterte ihr Gesicht.

„Komm’, Frau, empfiehl Dich der Wirthin; ich will fort,“ rief eine harte Stimme, die dem Regierungsrath Reich angehörte, einer langen nach vorn gebeugten Beamtenfigur, deren Gesichtsfarbe Leberleiden und Reizbarkeit der Stimmung ausdrückte.

Gretchen brach hastig das Gespräch ab, lief eilig ihrem schon vorangegangenen Gemahl nach, raffte im Vorzimmer ihre Sachen zusammen, stülpte sich den Hut auf, und stürmte die Treppe hinunter, von deren unterster Treppe es wie dumpfer Donner grollte: „Gretchen, Frau! komm’!“

Ach, der geflügelte freie Sturmwind in rührender Dienstbarkeit – wer hätte sich das je gedacht! Eine pflichttreue Frau ist ein edles Wesen, doch dürfen wir nicht dabei an Knechtschaft erinnert werden.

Als Trost für Gretchens unerwartet veränderte Erscheinung sollte mir nun die sicherlich glückstrahlende und blühende Frau von Arnim dienen, so hieß jetzt die Gräfin Gansberg.

Vergebens durchforschte ich den Kreis junonischer Frauengestalten, ich konnte sie nicht herausfinden. Die Purpurnelke kam mir freundlich zu Hülfe:

„Frau von Arnim sitzt dort an jenem Tisch, von Herren umgeben.“

Ich ging etwas zweifelhaft auf die Bezeichnete zu. Die Gestalt mit dem dünnen langen Halse schien mir nicht der „rothe Titian“ zu sein, höchstens ein „bleicher Guido Reni“. Aber sie war’s doch.

„Wir sind nach Berlin gezogen, weil es mir an geistiger Nahrung in der Provinz fehlte. Hier verkehre ich fast nur mit berühmten Leuten und Männern, die mir gewogen sind. Lesen Sie Gedichte? Ich werde Ihnen morgen ein Bändchen von mir zuschicken; es ist betitelt ,Lethefluthen’.“

Ich stand starr vor der Sprecherin. War’s ein Papagei, der Auswendiggelerntes hersagte, oder war’s die frische unbekümmerte und unbedeutende Agnes Gansberg? Dahin Frische und Schönheit, dafür war Müdigkeit und Langeweile eingetreten, doch schien es nicht die Ausspannung der Ruhe, sondern die Abspannung der Unruhe, des Jagens und Haschens zu sein. An Stelle der früheren Zuversicht und Unabsichtlichkeit sprach jetzt Unzufriedenheit und forcirte Koketterie auf ihren verblühten Zügen. Ach, und wie weit hatte sie sich in ihrer Wahl von ihrem einstigen Ideal entfernt! Dem sah der kleine wohlbeleibte Major von Arnim in keiner Weise ähnlich. Wie verschieden waren überhaupt die Exemplare dieser Ehemänner von dem Bilde, welches sich die drei Damen einst von ihren Zukünftigen entworfen hatten! Ist’s denn durchaus nothwendig, daß Ideal und Wirklichkeit so grell miteinander contrastiren? Nun, vielleicht sind sie glücklicher, als wenn eine Jede ihr personificirtes Phantasiebild geheirathet hätte.


Die Kaffeegäste hatten sich allmählich entfernt. Ich zündete mir eine Cigarre an, das Rauchen erlaubte mir meine gütige Gönnerin, und schob mich in einen Sessel neben Frau von K., welche nachdenklich auf dem Sopha saß. Ich sehnte mich lebhaft nach einem Plauderstündchen. Nach einer Pause, unterbrach ich das Schweigen und sagte seufzend:

„Ach, es ist traurig, daß unser langes schmerzreiches Leben oft hauptsächlich dazu dient, um die Wahrheit oder die Unhaltbarkeit von Gemeinplätzen festzustellen! So bin ich heute von dem viel angenommenen Glauben zurückgekommen, daß ein unbedeutendes praktisch erzogenes Mädchen mehr Chancen zum Glücke einer Ehe biete als ein geniales kluges Weib. Wenn man doch in der Jugend des Alters Erfahrungen hätte, wie viel sicherer könnte man sich das Glück erringen!“

„Ich habe auch spät etwas gelernt,“ erwiderte Frau von K., „ich glaube jetzt an die Existenz der Liebe.“

Ich lachte hell auf. „Gnädige Frau, dieses Vorhandensein sollten Sie erst jetzt entdeckt haben? Das Dasein der Empfindung, welche unsere Dichter schafft, das meiste Unglück in die Welt bringt und doch nur allein wirkliches Glück geben kann?“

„Gewiß,“ sagte Frau von K. ruhig. „Liebe schien mir bis dahin ein Wahn, ein Gespenst, welches nur in der Phantasie aufgeregter Menschen lebte, ein Gefühl, dem in sehr unvernünftiger Weise Werth beigelegt wird, das unsere Dichter aus Eitelkeit in den Himmel erheben, um dadurch sehr schädlich auf die Jugend einzuwirken. Ich selbst heirathete als sechszehnjähriges unmündiges Ding auf den Befehl meiner Eltern meinen vortrefflichen lieben Mann, später würde ich mich mit freiem Willen nicht mehr verheiratet haben. Ueberredung oder ein unabweisbares ,Muß’ treibt ein Mädchen zur Ehe; ich bin überzeugt, könnte man alle Einwirkungen der Art fortschaffen, es würde keine einzige mehr zu Stande kommen. Liebe und Liebessehnsucht sind mir, die heilige menschliche Empfindung der Verwandtenliebe ausgenommen, Gottlob fremd geblieben. Jedoch die Herzensgeschichte meiner drei Schützlinge hat mir über das Wesen der Liebe einen andern Aufschluß gegeben. Besonders hat mich meine Nichte Agnes tief gerührt, es erschütterte mich, daß eine so sanfte einfache Natur von der Liebe gleich einer vulcanischen Eruption getroffen wurde. Wie veränderte sie das putzsüchtige, nur an Bälle und Gesellschaften denkende Mädchen! Daß so viel edle Gefühle, so viel echte Weiblichkeit, so viel leidenschaftliche Kraft sich in diesem Innern erheben konnte, welches mir bis dahin stets den Eindruck eines stillen Binnensees gemacht hatte, nicht der Mühe werth, tief unterzutauchen: das hat mich von dem wirklichen Vorhandensein der Liebe überzeugt. Ich sah die Wellen hoch aufrauschen und erblickte die Perlen tief im Grunde, die Liebe sprengte die verhüllenden Muscheln. Liebe ist die Blüthe unseres Seelenlebens, genährt von Wasser und Feuer. Die arme Agnes ist gereift unter Kampf und Schmerz, die Blüthe trug die Frucht ihrer geistigen Entwickelung; wir Menschen bedürfen des Unglücks, um seelisch zu wachsen.“

„So hat Agnes Gansberg in der That eine unglückliche Liebe gehabt?“ fragte ich kurz.

„Ja,“ erwiderte Frau von K., „alle drei Damen haben einen Roman erlebt, der sich vor der Ehe abspann.“

Ich stutzte.

Frau von K. lächelte. „Sie, mein lieber Präsident, sind darin mit keiner Rolle bedacht, gar mancher ,Epouseux’ würde sich wundern, wenn er in seiner Zuversicht eine Einsicht in die Herzen [212] der heirathsfähigen jungen Damen haben könnte. Man läßt sich zur Liebe so wenig wie zum Essen zwingen. Das weibliche Herz ist ein unabhängiges, wunderbar starkes Ding, weich und spröde zugleich. Dieses Herz ist der stärkste Impuls, die treibende Kraft des Frauenlebens, es unterwirft sich nicht den Einschränkungen menschlicher Gesetze, sondern hat seine eigene Logik, die man freilich als eine solche nicht gelten lassen will. Ich bin der Ansicht, erzieht man ein Mädchen auch noch so rationell, wenn es das wirkliche Bild seiner umhertastenden Träume erblickt, so verliebt es sich tüchtig in eine hohe Gestalt, in ein paar schöne Augen, ja manchmal in reelle anerkannte Häßlichkeit, denn nicht immer sind die Ideale ,ideal’. Wenn Sie wollen, mein lieber Präsident, so erzähle ich Ihnen die Herzensgeschichten Ihrer drei Flammen.“

„Gewiß, meine Gnädigste, ich bin ganz Ohr.“

„Nun, wohlan denn,“ sagte Frau von K., verhüllte die blendende Lampe mit einem grünen Schirm, rückte sich in ihrem Sessel zurecht und begann:

„Bis zu ihrem achtzehnten Jahre war Ada Schwanfeld ein wildes, unbekümmertes Kind, das blutwenig in die beengte Geselligkeit der Festung Y. hineinpaßte. Bei ihr lagen das schwere Gold und die verhüllenden Schlacken dicht nebeneinander. Sie las, was ihr unter die Hände kam, beschäftigte ihre Phantasie mit Heldengestalten der Geschichte und mit lyrischen Dichtern. Die Herren ihrer Bekanntschaft interessirten sie nicht, von Heirathen wollte sie nichts wissen und bemerkte oft scherzend, sie sei dem Sturme vermählt, und in der That, sie lief bei Wind und Wetter, mit zerzausten Haaren und groben, ledernen Stiefeln, ohne Hut und Handschuhe in den Garten und in’s Feld. Leider hatte man versäumt, ihrem kindlichen Herzen echte Frömmigkeit einzupflanzen; sie war eine kleine Gottesleugnerin geworden. Sie hatte ein ungewöhnliches poetisches Talent, machte wirklich sehr schöne Gedichte und sehnte sich darnach, eine recht berühmte Frau zu werden.

Ein junger Maler kam unerwartet in unser Städtchen, um den berühmten gothischen Chor des Domes zu zeichnen. Es begleiteten ihn allerlei interessante Gerüchte. Er war streng katholisch, vornehm und reich, benutzte aber die Zinsen seines Vermögens, ja selbst den Erwerb seiner Kunst zu rein kirchlichen und wohlthätigen Zwecken. Er hatte ein schönes, blasses Gesicht, sah aus wie ein Gemälde von van Dyk; man erzählte sich in Y., er trüge auf seinem schlanken, edlen Leibe ein härenes Gewand unter den Kleidern, um sich zu kasteien. Der junge Maler hielt sich allen Gesellschaften fern, dennoch wurde er in kurzer Zeit der Held des Tages, der Löwe von Y.

Jeden Morgen besuchte er Schlag sieben Uhr die heilige Messe und passirte dabei das Haus des Major Schwanfeld. Ada begann plötzlich frühes Aufstehen zu lernen und schöpfte schon um dieselbe Zeit frische Luft vor der Hausthür. Sonntags besuchte sie den katholischen Gottesdienst und verspürte überhaupt die lebhaftesten Sympathien mit unserem ältesten Dogma. Die schöne Sitte, daß die katholischen Kirchen stets geöffnet sind, verlockte sie auch wohl, manchmal ein Stündchen in einem verborgenen Betstuhl träumend zuzubringen, während der Maler seine Studien im Chore machte.

Den vereinten Anstrengungen der Y’schen Familien gelang es endlich den Maler zu einigem Verkehr zu bewegen, er nahm Einladungen an und tanzte auch – ja, sogar einen Cotillon mit Ada – und begann, dem wahrhaft schönen und geistreichen Mädchen zu huldigen.

Da wurde immer katholischer und immer ,malerischer’. Stundenlang saß sie in der krausköpfigen Laube, von Kletterrosen umrankt, zu den Füßen des Domes, ihres steinernen Freundes, lauschte den brausenden Orgelklängen und dachte Dessen, der die fromme Stätte täglich betrat.

Beunruhigende Gerüchte tauchten auf, der eifrig katholische Maler werde nie eine Protestantin heirathen; er selbst hatte dies einer Verwandten Ada’s ausgesprochen. Leute, welche seine Familientraditionen kannten, bestätigten es. Ada hätte gewiß mit Ueberzeugung übertreten können, aber eine Convertitin? Würde er sie würdig finden, mitzuarbeiten an seinen kirchlichen Bestrebungen?

Das bang Geahnte traf ein, der Maler vollendete seine Bilder und reiste ab, ohne sich zu erklären. Ada war zerschmettert. Der alte Dom und der wilde grüne Garten, die ihre Kindheit und ihre erste junge Liebe beschirmt hatten, wurden nun die Zeugen ihrer Verzweiflung, in der sich ihre Seele oft sogar verirrte zu bösen Gedanken und gefährlichen Plänen. Der friedliche Klang der Orgel versöhnte ihr trotziges Herz nicht, und die stille Laube verbarg Schmerzen, von denen der fromme Maler wohl keine Ahnung hatte. Ada hat ihre erste Liebe nie vergessen, sie gedenkt ihrer als der schnell verschwundenen Morgenröthe einer hoffnungsreichen Zeit, und noch jetzt erkundet sie mit Theilnahme das Wohlergehen des Malers.

Er hat nie mehr nach ihr gefragt. Er kasteite sich wegen seiner Neigung zu einer Protestantin und wurde mehr und mehr Asket. Für ihn war die Episode in Y. die Versuchung des heiligen Antonius gewesen. Nach Jahren sah ich ihn wieder am Rhein, beschäftigt am Bau und an der Ausschmückung der herrlichen Apollinariskirche bei Remagen. Er war nun berühmt geworden und sah aus wie ein Klostermaler des Mittelalters, bleich, schlank, mit langen Locken. Seine Madonnen sind Idealbilder himmlischer Weiblichkeit, sie ähneln denen Raffael’s, alle sind blonde, sanfte Lichtgestalten, ganz das Gegentheil von Ada, aber unter seinen profanen Figuren, unter den Ketzern und Verdammten, sah ich öfter ein wunderschönes Weib, mit schwarzen Schlangenhaaren und mit Flammenaugen zum Himmel blickend, nach Erlösung schmachtend – das war Ada. –

Und nun beginne ich Gretchen Hein’s kurzen Jugendtraum, eine Novelle mit wenig Handlung, aber vielen Täuschungen. Gretchen lernte in einem Badeort die Verkörperung der Wünsche und Hoffnungen eines armen bürgerlichen Mädchens kennen. Graf Wyhrn war Majoratsbesitzer, schön wie ein junger Antinous, und dabei ungewöhnlich bescheiden und liebenswürdig. Er machte dem reizenden ,Sturmwind’ sehr den Hof und besuchte nach der Badesaison einen verheiratheten Freund in Y., offenbar mit der Absicht, Gretchen wiederzusehen. Aber Gretchen war krank und mußte wegen eines Zahngeschwüres vierzehn Tage zu Bett liegen. Als sie wieder hergestellt war, wurde sie eines Abends zum Thee eingeladen zu der Familie, wo Gras Wyhrn zum Besuch war; hier traf sie freudige Aufregung an, man proclamirte die Verlobung des Grafen mit der jungen Schwägerin des verheiratheten Freundes, einem Mädchen, welches ebenso arm und bürgerlich wie Gretchen war, nur lange nicht so hübsch.

Nach dieser Erfahrung fiel es wie Mehlthau auf Gretchens Schönheit und Heiterkeit, doch nützte ihr dieselbe insofern, als sie etwas besonnener wurde und endlich den Bewerbungen des soliden ältlichen Regierungsrathes Reich Gehör schenkte, der ihr jetzt wenigstens ein sorgloses Leben des Reichthums bereitet, wenn auch das Glück ausblieb, das sie verdiente. –

Agnes Gansberg’s Liebesroman ist ohne jeglichen grellen Uebergang gewesen; die meisten Herzen werden im Stillen gebrochen! Agnes sprach öfters von Liebe, so daß man leicht merken konnte, wie sehr sie ihr terra incognita war. Ich sagte dann wohl zu ihr: ,Kind, wie Du und die meisten jungen Mädchen sich die Liebe denken, das ist nur Phantasiegebilde der Eitelkeit und des Müßigganges. Aber wenn mir eine von Euch hochmüthigen putzsüchtigen jungen Dingern sagt: ich liebe Herrn Maier oder Müller-Schulze, ich kann nicht ohne ihn leben, dann will ich an Eure wahre echte Liebe glauben!’

Eines Abends fuhr ich mit meiner Nichte von einem Balle nach Hause. ,Wie hat Dir Herr Maier gefallen?’ fragte sie mich zwei Mal. ‚Kind, ich habe keinen Herrn Maier bemerkt,’ sagte ich müde und gähnend.

Andern Tags machte ein baumlanger Lieutenant Maier bei uns einen Besuch. Er schien ein intelligenter befähigter Mensch zu sein, man hörte viel Lobenswerthes von ihm und prophezeite ihm eine glänzende Laufbahn.

Ich nahm also Herrn Maier in meinen Salon auf. Er besuchte uns häufig zum Thee und widmete sich dann ausschließlich meiner Nichte, die unter diesem Einflüsse ein ganz anderes Mädchen wurde, sich vollständig nach seinem Geschmack ummodelte, studirte und gute Bücher las, ja es erging ihr wie Ottilien in den Wahlverwandtschaften, ihre Handschrift begann der des Lieutenants zu ähneln. Dabei war sie blendend schön geworden in ihrer Liebe; Titian’sche Farben- und Formenschönheit war geistig verklärt, und sie sah aus wie des Meisters schönste Gestalt seiner Kunst, wie Lavinia, Titian’s Tochter.

Trotz Maier’s Vortrefflichkeit und großer Liebenswürdigkeit schien er mir doch von kalt berechnender Natur und mit brennendem Ehrgeiz begabt zu sein.

[214] Maier erhielt einen Ruf in den Generalstab nach Berlin. Jetzt mußte er sich erklären, falls er Agnes aufrichtig liebte. Meine Nichte war in einem entsetzlichen Zustand der Angst und Spannung. Der Tag seiner Abreise rückte immer näher.

Mir kam plötzlich der Gedanke, Maier wage nicht um eine Gräfin aus dem stolzen Hause der Gansberge anzuhalten, und ich faßte daher einen außergewöhnlichen Entschluß. Ich ließ ihn rufen und deutete ihm, so zart ich vermochte, ihre Liebe an. Er wurde sehr verlegen und stotterte etwas vom „Elend der Ehe“, welches er meiner Nichte nicht zumuthen könne. Ich sprach vom Warten, vielleicht auf eine Capitainsstelle. Da faßte ihn wahres Entsetzen. Seine Hand suchte die Thürklinke, er stieß einige Worte über die Unverantwortlichst, die Aussichten eines Mädchens zu verderben, von der Unannehmlichkeit eines langen Brautstandes hervor und war verschwunden.

Ich hatte einen Korb bekommen.

Agnes durfte niemals das Nähere dieses Auftritts erfahren. Das arme Mädchen verblutete sein Herz und hoffte immer noch. Wir lasen zwei Mal in den Zeitungen Maier’s Rangerhöhungen, doch er ließ nichts von sich hören. Agnes wurde eine Zeitlang menschenscheu, ihr Aeußeres veränderte sich traurig. Nur mit Mühe konnte ich sie bewegen, des kleinen Herrn von Arnim’s Hand anzunehmen, der ihr eine Versorgung bieten konnte. Nach ihrer Verheirathung ist sie wunderbarer Weise Schöngeist und Schriftstellerin geworden; das wunde, getäuschte Herz sucht Befriedigung.

Als ich im vorigen Sommer den Major von Maier, jetzt Schwiegersohn des Kriegsministers und geadelt, in Carlsbad wiedersah, geschah zufällig meiner Nichte Erwähnung. Der Major stutzte, besann sich und sagte: ,Ach, die Agnes Gansberg! jetzt erinnere ich mich, sie war ein gutes Mädchen, ein sehr gutes Kind.’

Arme Agnes, so viel Thränen, so viel Kummer, mit Liebe geharrt schmerzvolle Jahre hindurch, das arme Herz an das schwächste Hoffnungshälmchen angstvoll angeklammert, und kein anderes Zeugniß aus dem geliebten Munde als – ,sie war ein sehr gutes Mädchen’!“


Ich nahm rasch Abschied von der redseligen Erzählerin, um meine wehmüthige Empfindung über die Liebestäuschungen der drei Mädchen zu verbergen; die armen Blumen, welche meine Hagestolzlaufbahn geschmückt hatten, kamen mir wie verwelkt vor nach so vielem Leiden! Ich war aber doch froh, daß ich mich nicht verheirathet hatte, da es so offenbar Menschenschicksal ist, das Gegentheil von seinen Liebesträumen durch die Ehe zu verwirklichen!