Drei Sommer in Tirol/Die beiden Walserthäler

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
« Reute — Lechthal — Bregenzerwald Drei Sommer in Tirol Wallgau — Montavon — Paznaun »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
[66]
Die beiden Walserthäler.


Kreuzweise über dem innern Bregenzerwald, nur durch das Flußgebiet der Ache von einander geschieden, liegen die beiden Walserthäler. Das eine derselben geht an der Breitach hin, die unter dem bayerischen Marktflecken Oberstdorf mit andern Bächen vereint die Iller bildet und heißt das äußere, untere, oder kleine Walserthal; das andere läuft dem Lutzbache entlang, der im Wallgau in die Ill fällt und wird das innere, obere, oder große Walserthal genannt. Ueber Herkunft der Bewohner dieser Thäler haben wir schon oben in Kürze gesprochen; weitere Ausführung versparen wir bis die Höhe von Damils erreicht ist. Die nationale Verbindung zwischen den Ansiedlern an der Lutz und jenen an der Breitach ist durch den Schrecken, das Dorf am Tannberg hergestellt; denn die Leute des Schreckens gehören ebenfalls zu den Walsern, und „sind sich, wie Bergmann sagt, bewußt, daß sie keine Urbewohner, sondern Einwanderer sind. Im Schrecken hält sich bei weitem der größere Theil, die ausgedehntesten Geschlechter Walch und Jochum, für Abkömmlinge aus der Schweiz, aus Wallis. Betrachtet man die auffallende Aehnlichkeit, welche sie mit den obern und untern Walsern haben, in Hinsicht auf Sprache, Kleidung, Charakter, Geschlechtsnamen, Bauart ihrer Wohnungen, Beschäftigung u. s. w., so läßt sich ihre gemeinsame Abstammung mit den Walsern nicht verkennen." Wir werden nun jene beiden Thäler durchwandern, zuerst das kleine, das sich ins bayerische Allgau mündet und nur von diesem aus einen fahrbaren Zugang hat, und dann das große, das sich gegen Süden öffnet.

[67] Es war an einem schönen Sommersonntag des Jahres 1843, als unser drei Gefährten den großen Flecken Oberstdorf, der zwischen hohen Bergen in weiten frischen Wiesen liegt, verließen und oft zurückblickend auf das billigerweise vielgerühmte Thalgelände die Höhe hinankletterten, die nach Kornau und von dort an die Walserschanze führt. Dieß ist eine kleine Mauthstation mit einem Wirthshäuschen, wo die Gäste, die des Sommers über aus dem bayerischen Schwaben in Oberstdorf und dem Tiefenbacher Bade zusammenkommen, sich gerne einfinden, um den Tirolerwein zu verkosten. Den Namen hat der Ort daher, daß hier im Jahre 1632 nach den Pfingstfeiertagen eine Schanze gegen die Schweden aufgeworfen wurde. Jetzt sieht man wenig mehr davon; das Schanzthor und der Wachtthurm sind vor Jahren wieder abgebrochen worden.

Ehe diese Labestätte erreicht wird, ist rechter Hand vom Wege eine Merkwürdigkeit mitzunehmen, nämlich die Walserklamm oder Zwing, will sagen, ein Tobel, wo der Bach zwischen senkrechten Felsenwänden in tiefem Bette dahin tost. Der Blick aus dem Tannenwalde in die Schlucht hinunter ist schauerlich, das Ganze aber für den der die Klamm bei Finkenberg im Duxerthale und jene wunderbare am Schwarzenbach bei Unken an der Salzburgischen Saale angestaunt hat, nicht besonders eindrücklich. Die Zöllner auf der Schanze sind in Oberstdorf als grimmige verschrien, deßwegen schlüpften unsre Reisenden, aller Durchsuchung feind, ohne Geräusch um den Schlagbaum und gelangten unbeschrien ins Kaiserthum Oesterreich, hatten dagegen auf den Wein im Wirthshause, der schon so viele ihrer Landsleute erquickt hat, für dießmal zu verzichten. Je mehr sie auf Riezlern, die vorderste Kirche des Thales, zukamen, desto vollkommenere Einsicht gewannen sie in die Art der Gegend. Dieser gebricht es an eigentlicher Thalsohle nahezu eben so sehr, wie dem innern Land der Walser, aber die Halden laufen hier nicht so entschieden und so eilfertig aufwärts, sondern lehnen sich bequemer an die höhern Berge, machen sich breit und verbuckeln sich allenthalben, und auf allen Büheln und in allen Mulden stehen Häuser, fast ununterbrochen vom Anfang bis zum Ende, und zwar hölzerne schuppige Häuser wie im Bregenzerwald; [68] braun mit gemalten Fensterläden, mit gastlichen Schopfen, unter denen zwei oder drei Falltische zum Abendtrunk, und mit Galerien oder deutsch zu sprechen Lauben um den obern Stock, auf denen die Walser allerlei rare Blumenstöcke ausstellen. Verschiedenes Feldgeräthe, Sensen, Rechen, Sicheln, hängt unbesorgt und gleichsam als Zierrath um die Hütten her, vor denen auch je zuweilen ein kleiner umzäunter Garten blüht. Ackerbau ist nicht zu gewahren – alles Wiesen, wie im Walde. Die drei Hauptkirchen des Thales, Riezlern, Hirscheck und Mittelberg mit ihren spitzen Thürmen stehen in perspectivischer Reihe hintereinander und um das ganze Gelände her zieht sich ein zackiger Reif von hohen Jöchern.

In Riezlern trafen wir die Gemeinde eben auf dem „Umgange." Die Kirche war leer, aber draußen wallte der Zug mit Standarten, Fahnen und Heiligenbildern langsam durch die thauigen Wiesen. Die Mädchen sangen dazu ein altes, schönes Kirchenlied, was feiertäglich über die stillen Auen hinhallte und die Schäpelen, die funkelnden Jungfernkränzchen glitzerten in der Morgensonne mit den Thautropfen in die Wette. Die Männer beteten tiefstimmig ihren Rosenkranz. Als der Umgang sich allmählig nahte, stellten wir uns an die Friedhofmauer, wo er vorbeikommen mußte und betrachteten dann mit Aufmerksamkeit die Beter von Riezlern. Die Männer grüßten theilweise sehr freundlich aus dem Zuge heraus, die Mädchen fielen aus der Andacht und kicherten uns an, wie nicht anders zu erwarten. Es zeigte sich da übrigens in den Gewändern der Leute viele Wohlhabenheit, denn die Stoffe waren meistentheils gut und fein. Die männlichen Walser haben in dieser Gegend heutzutage keine eigentliche Thaltracht mehr, das andere Geschlecht aber bringt bei aller Verfeinerung in seinen Kleidern die alte Verwandtschaft mit den Walserinnen vom Sonnentag und von Ragall noch ziemlich deutlich zur Schau. Der Schnitt ist nämlich hier und dort derselbe, nur daß der Busen etwas rücksichtsvoller behandelt wird und daß die Frauen vom Mittelberg, wahrscheinlich ihren lebhaftern Berührungen mit dem Flachland zuliebe, die rothe Leibfarbe ihrer Basen jenseits der Berge aufgegeben haben und jetzt dunkle Zeuge, [69] meistens schwarze wählen. Die Jungfrauen trugen alle das glänzende Schäpele das sie hier Kranz heißen, die Weiber kleine niedere Hütchen und über Ohr und Schläfe weit vorgreifende Spitzenscheiben, welche die Blicke der Matronen vor aller Verirrung zu schützen bestimmt schienen. Ferner hatten auch sämmtliche Weibsen, alte und junge, ungeheure seidene Halstücher umgebunden, und zwar sehr schlotterig, so daß sie nach Belieben Kinn und Mund darein verbergen konnten und verbargen.

Als der Zug in der Kirche verschwunden war, eilten wir nach der Herberge, wo die Wirthin-Mutter in der reinlichen Stube uns empfing und mit Eifer zu laben begann. Wir äußerten manches lobende Wort über ihren Wein, den sie in schöngeschliffenen Gläsern schenkte; sie jedoch wehrte der Schmeichelei und behauptete, das sey all noch nichts, aber in ihrem Keller liege ganz anderes seltsames und theures Getränke, das sie freilich nicht zu nennen wisse. Wir riethen hin und her, konnten ihr aber nicht auf den Namen helfen. Um dem Grübeln ein Ende zu machen, ging sie zuletzt hinaus und brachte eine Flasche herein, bei deren Anblick wir freilich aus der Ferne schon riefen ob sie nicht auch Champagnergläser habe. Als wir uns wunderten, wie dieß fremdländische Gewächs in den goldenen Adler zu Riezlern gerathen, erzählte die Frau, es seyen deren wohl noch mehrere dagewesen, indem man ein halbes Duzend herbeigeschafft um den Herrn Landesgouverneur, der eben zu der Zeit seinen Umritt durch Vorarlberg hielt, standesgemäß tractiren zu können; nunmehr seyen aber nur noch ihrer drei im Keller, die von jenem feierlichen Tage übergeblieben. Während sie uns viel vom gnädigen Herrn berichtete und was er alles gesagt, hatte einer der Gefährten, auf willfährige Genehmigung der anderen bauend, die Flasche vom Tische genommen und ihr die Tarnkappe abgezogen, und als die Walser von Riezlern in dicken Haufen aus der Kirche in das Wirthshaus strömten, hatten wir schon einige Toaste ausgebracht und auf verschiedener Länder Wohl getrunken. Als nun aber auch der Wirth herbeigeeilt kam von der Andacht, und unsere frische Fröhlichkeit gewahrte, und daß wir uns an sein [70] theures, aber gern vergebenes Kleinod gewagt, da wußte er gleich gar nicht was er Alles ersinnen sollte, um das Seinige zur Erhöhung unsrer Freuden beizutragen. Zuerst einmal wollte er die Thüre zuschlagen, die in die volle äußere Wirthsstube führt, Herr ** verhinderte dieß aber mit den schönen Worten: ich kann nur froh seyn unter meinem Volk – dann ließ er die Vorhänge herunter, damit man nicht von außen durch Neugier beschwerlich würde, brachte das Beste aus seinem Rauchfange, Schinken und Zungen, damit wir auch etwas zu essen hätten, und dann als das Töchterlein Ludwina endlich auch aus der Kirche gekommen, mußte sie gleich ihre Harmonika holen, einen großen Kasten, in dem allerlei Walzer und Ländler schlummerten und den sie auf dem Schooß mit zierlicher Geläufigkeit behandelte, während der rechte Fuß klappernd den Tact dazu schlug. Als aber die erste Flasche ausgestochen, waren wir schnell entschlossen und beschworen auch noch die beiden andern gebieterisch herauf aus ihrem traurigen Verließe. Mit welchen freundlichen Ausrufungen bewunderte da der Wirth nicht unsere Fertigkeit, als wir ihnen ihr silbernes Häubchen herunterrissen, ihr Drathgerüste abzogen und den Pfropfen springen ließen? Und als wir die ganze Familie eingeladen und allen von dem Wein eingeschenkt hatten von dem der Landesgouverneur genippt, da fehlte nur noch sehr wenig, so hätten wir alle zusammen förmlich Brüderschaft getrunken fürs liebe lange Leben und wären uns sämmtlich um den Hals gefallen – die Gäste vielleicht am ersten dem hübschen Töchterlein, das noch immer rastlos in unsern Enthusiasmus hineinschalmeite.

Das alles mußte aber auch ein Ende nehmen, und gegen Mittag schien’s Zeit die flackernden Dünste, die das Banket in unsre Häupter getrieben, im Freien wieder verfliegen zu lassen. So griffen wir zum Stabe, begleitet von allen Hausgenossen, beschenkt mit Blumensträußen und einer Fluth von Abschiedsworten, die uns noch weithin nachgerufen wurden, insbesondere aber angestaunt von den Trinkern, die in der großen Stube saßen und alle aufstanden und mit gezogenen Hüten Spalier bildeten, wie aus Ehrfurcht vor einem geahnten [71] hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe.

Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen – jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge – der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie „wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser – er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß – beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige *)[1] [72] Mann lustig herum nach Messern, Gabeln, Gläsern und Flaschen, was wußte er für niedliche Reden zu setzen, wie milde flötete Anna Kathri mit dem feinen Sang ihrer Wäldersprache dazwischen, und als ich des Wirths jungfräuliche Schwester, die auch hereingekommen, näher besah, wer war es anders, als die Sennerin von Hohen-Krumbach, die mich voriges Jahr auf der Alm so gastlich bewirthet hatte und die mir nun, des Wiedersehens froh, gestand, daß sie eigentlich Seraphine heiße, welch ätherischer Name übrigens im schneidenden Gegensatze steht zu der strotzenden, rothbackigen Bauernmaid. Schade war’s, daß wir uns so bald wieder trennen mußten, wo sie uns doch so gerne ein paar Tage behalten hätten, der Einhax, Anna Kathri vom Walde und Seraphine, die Sennerin. Die Abschiedsfeierlichkeiten verschweige ich gänzlich. So viel ist gewiß: eine Halbe hatten wir getrunken und für ein Fuder waren wir gekost und gehätschelt worden, und wer sich einmal recht schön thun, recht freundlich aufnehmen, bewirthen, beabschieden lassen will, der muß zu den burgundischen Walsern ins kleine Walserthal reisen.

Es sey hier erlaubt eine allgemeine Bemerkung einzuschalten, nämlich: wenn die Wälderinnen aus dem Walde herausheirathen oder in der Fremde dienen, so ändern sie ihre Kleidung nicht, sondern behalten vielmehr die Wäldertracht zeitlebens bei; wenn aber eine Fremde in den Wald kommt, so legt sie ihre Gewänder ab und die Wäldertracht an. Denn die Sitte des Waldes hat über alles Land der Umgegend den Vorrang.

Als wir durch Mittelberg kamen, ergab es sich daß gesammte Dorfschaft beim Nachmittagsgottesdienst in der Kirche war. Um darin nicht zu stören, zogen wir stille durch den kleinen Ort, der größtentheils aus alten braunen Häusern besteht, welche rothe oder grüne Läden führen. Eines der ältesten dieser Gebäude ist vielleicht das Pfarrhaus, auf dem die Jahrzahl 1640 zu lesen war.

Eine halbe Stunde hinter Mittelberg sind des Thales letzte Häuser, im Bad genannt, mit einer kleinen Kirche und einem Seelsorger. Im Bad dachten wir ein Wirthshaus [73] zu finden, um uns zum letztenmale zu erfrischen für den Weg über die hohe Starzel, die ein sehr mühsames Joch ist und das Walserthal von dem Bregenzerwalde scheidet. Wir hörten aber bald daß das Bad eingegangen und nur der bedeutungslose Name geblieben sey. Doch zeigten sich die Leute die wir ansprachen gastlich, führten uns in das Haus und setzten uns Milch, Butter und Käse vor, von denen wir lange zu essen hatten, ehe wir ihren Wünschen Genüge gethan. Sie erzählten uns dabei allerlei Rühmliches von dem alten Daniel Müller, einem schlichten Bauern, bei dem verschiedene schöne und alterthümliche Sachen zu sehen seyen, insbesondere hundert Jahre altes Korn. Es dünkte uns ärgerlich an dem Alterthumsforscher des Thales, der seinen Hof auf den Bödmen bei Mittelberg hat, vorbeigegangen zu seyn, und da sich unterdessen die Sonne mehr und mehr gegen Abend geneigt hatte, auch etliche verdächtige Nebel auf der Starzel zusammen kamen, sogar einige Regentropfen fielen, ferner zwei Stunden auf die Höhe und zwei weitere Stunden von dort nach Schopernau in Walde angegeben waren, so schien es uns nachgerade rathsamer, in die gute Herberge von Mittelberg zurückzukehren und auf dem Wege Daniel Müller den Archäologen aufzusuchen, als heute noch den Weg übers Joch zu wagen. Daß da schon viele Menschen das Leben eingebüßt, war an unserm Entschlusse ohne alle Schuld, denn wir lasen die betreffende Stelle bei Waizenegger erst später.

So gingen wir denn durch waldigen Tobel am rauschenden Bache wieder abwärts und fragten auf den Bödmen nach Daniel Müller, wurden immer höflich gewiesen, um so mehr, da uns die Leute schon anzusehen glaubten, daß wir das uralte Korn, des Thales Wunder, beschauen wollten, fanden auch das Haus, aber die Thüre geschlossen und niemand darinnen – der Herr war mit den Seinen noch in der Kirche. So ließen wir die Falltische im Schopf herunter, setzten uns daran und verfielen in sanften Schlummer, alle drei – nach dem lustigen Vormittag in Riezlern und dem fröhlichen Mittag auf Hirscheck nicht zu verwundern. Wir haben nicht erfahren, was sich Daniel Müller gedacht, als er in seinem Schopf [74] drei landesfremde Gesellen schlafend fand, indessen wußte er sich wohl zu helfen. Er weckte uns ehrerbietig auf und fragte freundlich nach unserm Begehr. Als er’s vernommen, führte er uns, überrascht durch der drei Schläfer wachen Forschungseifer und mit der grundlosen Behauptung, daß er’s für eine große Ehre ansehe, zuerst einmal in die Wohnstube, um uns dort zu tractiren und dann, nachdem wir noch gethan was die Umstände erlaubten, in den obern Stock, wo in altfränkischen Kästen und auf altmodischen Tischen die Sammlung aufbewahrt ist. Vorher jedoch zeigte er uns noch den Scheffel mit dem mehr als hundertjährigen Korne von 1728 und einen Büschel eben so alten Heues – Schätze, die er nach seinem Stande billig als die werthvollsten seines Cabinets betrachtet, an denen wir indessen das Anziehende nicht recht abzusehen vermochten. Darauf aber brachte er uns an seine Tische und schloß seine Kästen auf, und nunmehr zeigte sich allerdings manches werthvolle Stück walserischer Merkwürdigkeiten, wie es von Ahnen und Urahnen zurückgelassen war. So nennen wir z. B. Hochzeitschuhe vom Jahre 1696, die Daniels Urgroßvater, Hans Müller, getragen, viel schmucker als die jetzigen, mit hohen Absätzen und rothen Lederlappen; andere Hochzeitschuhe der Maria Müllerin, Bernhard Müllers Tochter, vom Jahre 1767, und wieder andre vom Jahre 1775 von Daniels Mutter. Ferner einen grünen, flotten Bubenhut, den Daniel in seiner Jugend selbst getragen und darunter wahrscheinlich mancher Jungfrau Herz bethört – jetzt ist im ganzen Thale ein so kokettes Stück Filz nicht mehr zu finden – einen dreigestülpten Brauthut aus dem vorigen Jahrhundert – lederne, reichgestickte Hosenträger, verschiedene Leibbinden, darunter eine ganz durchaus mit feinen zinnernen Nägelchen beschlagen; verschiedene seltsam geschnittene Feiertagsjacken mit ledernem Brustfleck und Aermeln von Tuch in frischen, frohen Farben, roth, weiß, gelb – sogenannte Lederleibe, die jetzt kein vernünftiger Walser mehr tragen möchte, obgleich sie gewiß zur idyllischen Landschaft sehr gut paßten, und jedenfalls besser, als z. B. der rothbraune manchesterne, allenthalben herrenmäßige Hochzeitsrock des jetzigen Hofbauern. Alte Trinkgläser [75] mit Malereien und Sprüchen wurden uns auch gezeigt und in einem Fenster waren ein paar gemalte runde Scheiben zu sehen, die auf die Vermuthung führen mußten, als hätten die Walser ehemals in ihrer Ueppigkeit gar die Stubenfenster malen lassen. In der Flur hingen einige wehrhafte Hellebarden und ein treffliches Schwert mit langer Klinge und großem Korbe. Auch ein Spinnrad vom Jahre 1543 ist zu bemerken und ein paar alte Kalender aus dem Anfange vorigen Jahrhunderts, mit großer astrologischer Gelehrsamkeit geziert und genauer Angabe, welche Tage nichts nutz und welche gut zum Schröpfen, Aderlassen und Purgiren.

Nicht ohne vergnügte Neugier betrachteten wir den alten seltsamen Kram und machten mit Bedauern, die Wahrnehmung, daß einst auch im Walserthale das Leben viel reicher, farbiger und malerischer gewesen als heutzutage. Daniel Müller schenkte uns auch ein Packetchen von seinem alten Roggen und gab uns einen eigenhändig schön und orthographisch geschriebenen Zettel dazu, der die Geschichte desselben erzählt. Unser Eifer für die Sache hatte ihn übrigens so eingenommen, daß er uns nicht mehr aus dem Hause lassen, sondern über Nacht behalten wollte. Er zeigte uns mit Selbstgefühl seine schmucken Gastbetten, doch wollten wir dem alten Manne so viel Unruhe nicht ins Haus bringen, und gingen daher nach herzlichem Abschied auf das Mittelberger Wirthshaus zu, wo wir jetzt die Leute zu Hause fanden und abermals freundschaftlichst aufgenommen ein Nachtquartier bestellten. Es läßt sich nach allen vorausgehenden Beispielen von der Art der Walser denken, daß der Wirth, nachdem er erst die Frage gethan, wo wir herkämen und was wir seyen, bis zu später Stunde keinen Augenblick abließ uns zu erheitern, von der Geschichte des Thales zu erzählen, die Weltläufte zu glossiren und die Bewirthung zu besorgen. Er ist der dritte im Kleeblatt der ausgezeichneten Wirthe des Walserthales, hatte übrigens auch, wie alle Leute, die wir den Nachmittag gesprochen, eine überschwängliche und maßlose Meinung von Daniel Müllers hundertjährigem Roggen und dessen archäologischer Bedeutsamkeit, legte dagegen sehr wenig Werth auf die historischen [76] Kittel, Brautschuhe, Trinkgläser und Fensterscheiben, die uns so sehr gefallen.

Unter den Zechern in der Trinkstube fanden wir dieselbe manierliche, wohlgezogene Art, die wir an den Wirthen schon liebgewonnen hatten, dieselbe gutmüthige menschenfreundliche Höflichkeit, welche die Mittelberger bei allen die je ihr Thal betreten, so beliebt gemacht. Zu großem Ruhme wird ihnen auch nachgesagt, daß sie das hohe Joch der Starzel, welches sie vom Bregenzerwalde trennt, in keiner Beziehung weniger belästigt, als in ihren Wallfahrten zum zuständigen Landgericht [in] Bezau, da sie bei ihrer Friedensliebe desselben nur selten bedürfen. Die äußern Walser gehen nicht wie die andern Vorarlberger in die Fremde, wissen aber gleichwohl durch Fleiß und Sparsamkeit in der Heimath einen mäßigen Wohlstand zu unterhalten. Aus Viehzucht und Käseerzeugung fließt ihr Haupterwerb; die Mädchen haben aber auch schon angefangen zu sticken. Das Getreide wird aus Bayern bezogen. In jedem Hause findet sich stets ergänzt der Vorrath für ein Jahr. Diese Sitte soll sich aus dem siebenzehnten Jahrhunderte herschreiben, wo im Allgau eine Pest wüthete, das Mittelberger Thal abgesperrt und dadurch dem Hungertode nahe gebracht wurde. Schon in manchen Fällen hat sich diese Vorsicht ersprießlich gezeigt.

Am andern Tage gingen wir also den Weg, den wir gestern ins Bad gemacht, wieder hinauf, grüßten die Leute noch einmal, die uns am Vortage aufgenommen hatten und standen eben an dem letzten Hause zur hohen Starzel emporblickend, um uns den Weg etwas auszudenken, als ein Frauenzimmer nachgeeilt kam, welche einen Gruß vom Herrn Caplan ausrichtete und sich die Erklärung erbat, ob wir nicht etwas verziehen möchten, bis ihr Herr sein Frühstück eingenommen, worauf er dann mit uns über das Joch gehen wollte. Wir, sehr erfreut einen solchen Führer und Begleiter zu gewinnen, sagten gerne zu. Hierauf ermunterte sie uns, die kurze Weile lieber im Herrnhäuschen abzuwarten als da im Freien, und so zogen wir alle zusammen in die bescheidene Hütte des Geistlichen, der uns unter der Thüre herzlich grüßend entgegentrat. [77] Die Schaffnerin hatte auch gleich einen größern Topf ans Feuer gesetzt, um uns des Frühstücks ebenfalls theilhaft werden zu lassen. Da aber noch immer einige Zeit zu warten war, so gingen wir über die Bibliothek des Caplans, und während der eine in St. Augustins sämmtlichen Werken las, nahm der andere ein handschriftliches Buch über das Walserthal von Franz Michael Feuerstein, der im Jahre 1782 Caplan im Bade war, aus dem Nahmen, neugierig was darin zu lesen seyn möchte. Das Werk führt den Titel: Vornehmste Merkwürdigkeiten des Walserthales – und das Motto: Ich habe sie ohne Arglist erlernt und theile sie ohne Mißgunst mit. Weisheit 7. 13. – ein Spruch, den wir auch auf uns beziehen wollen.

„Nichts, sagt der Verfasser am Eingang, nichts, geneigter Leser, machte mir bei meiner Ankunft die Weil länger und diese Einöde beschwerlicher, als nicht einen Buchstaben von meinen Schuldigkeiten und den Gebräuchen dieses Ortes lesen zu können. Ich mußte nur hören, und gleichwohl thun, was mir jeder Myops anzuvertrauen die Gnade hatte. Mit Suchen und Fragen wurde ich inne, was ich meinem verehrungswürdigen Nachfolger nun gutmüthig mittheile. Wenn wohl selber genatürt wie ich, so bin ich versichert, ich werde ihm angenehmeres als diese Zeilen auf der Welt nichts hinterlassen können."

Im weitern Nachblättern glaubten wir zu gewahren, daß der Fund keiner von den verächtlichsten – es kam allerlei vor, was uns ansprach, und einiges, was etwa auch andre ansprechen kann, wollen wir auszugsweise hier mittheilen:

„Das Walserthal soll seinen Namen von dem ersten Einwohner, der ein Walliser gewesen, ererbet haben. Seine erste Wohnung stand jenseits des Wassers neben den Bödmen, im Gestraüß genannt. Er war glaublich noch ein Heid und wie ganz Rhätia der römischen Botmäßigkeit unterworfen." – Diese erste Ansiedlung auf den Bödmen, wo Daniel Müller wohnt, stimmt recht gut zu der Sage selbst; denn wenn die Walser vom Schrecken herüber kamen, so war in jener Lage der erste paßliche Ort, um ein Haus zu erbauen. Nach einer von Bergmann angeführten alten Aufzeichnung, die sich in der Kirchenlade [78] zu Mittelberg findet, wäre sogar noch der Name dieses ersten Walsers gegeben, da es dort heißt: „Es ist zu wissen, das Hanns Wüstner der Alt zu dem ersten ain Anfänger und stifter gewesen ist Sant Josen Gotteshus (zu Mittelberg) und dises Tals." Diesen Hans Wüstner darf man als historische Person in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts setzen. Bergmann zeigt auch, daß sein Geschlechtsname wenigstens vor dreihundert Jahren noch im Wallis vorkam.

Mehrere historische Kleinigkeiten aus diesen frühern Zeiten wollen wir übergehen. Einmal wird erwähnt, daß die Pest ausgebrochen, weil man einen Altar des heiligen Sebastians, des Pestpatrons, weggerissen. Auch der Schnee hat viele Unglücksfälle veranlaßt. Am 3 Junius 1778 fiel er im Bade drei Fuß hoch; 1770 ging er erst den 15 Julius weg.

Einzelne spätere Begebenheiten sind von späteren Händen beigesetzt. Eine solche belehrt uns auch, daß am Abend des 15 Septembers 1841 um 6 Uhr bei ganz schönem Wetter zwei bamherzige Schwestern in Mittelberg anlangten, welche der Priester Stephan Krißmer von Ried hieherbrachte. „Daraus entstand große Freude – jedoch nicht bei allen, denn die fleischlich gesinnten Menschen verstanden nicht, was des Geistes ist."

Manchmal verliert sich der Chronist in Betrachtungen, aus denen das Gefühl der Bergeinsamkeit nicht sehr erfreulich herausspricht. „Würden die Einkünfte verbessert, hat er sich einmal gedacht, so könnte ein Herr Beneficiat bei etwas besserm Tisch wohl bälder jenes Grausen wieder vergessen, das er etwa gefaßt, da er jene wenigen Spannen Himmel betrachtet, die er hier sehen kann; da er dem brausenden Schneegestöber hinter dem Ofen hervor traurig entgegenzublicken so lange gezwungen wird; da seinem Auge keine bessere Ergötzung vergönnt ist, als die es etwa in den Saublumen findet; da er ein paar Stunden einer priesterlichen Unterhaltung zulaufen muß und oft den Leib- und Seelenarzt, wenn es geschehen kann, mehrere Tage umsonst erwartet." Diese Gedanken sind nicht ohne Folgen geblieben. „Deßwegen, fährt der Verfasser fort, entschloß sich Herr Beneficiat (er selbst) mit einem [79] jährlichen Zusatz der Revenuen zu einem bessern Daseyn zu ermuntern, so daß er sich auf Reisen machte und an gutthätigen Beiträgen von Bischöfen, Aebten, Stiftern und Privaten 555 fl. Stiftungsgelder zusammen brachte."

Im Gegenhalt zu den Sagen von früherer Sitteneinfalt erschien dem Caplan der zunehmende Aufwand seiner Zeit in sehr düsterer Beleuchtung. Das erste Wirthshaus stand in der Gruob, „allwo der Unrath mehrerer Orten zusammen laufender Petulanten auf einander loff." Der Weingenuß soll ehemals sehr sparsam gewesen und das Getränk lange Zeit maßweise von Oberstdorf geholt worden seyn – also auch hier wie allenthalben der Glaube an saturnische Jahrhunderte voll Enthaltsamkeit und Mäßigung, während sich auf historischem Wege, wie es scheint, viel leichter erhärten ließe, daß man im Land Tirol und Vorarlberg nie weniger getrunken und geschlemmt, als gerade jetzt. „Einmal auf eine Fastnacht legte der Wirth ein ganzes Faß in den Keller, wobei jedoch ein aufrichtiger Hausvater, als er es heranfahren sah, mit schweren Seufzern ausrief: „O unser Thal muß wohl verderben, wenn so zu saufen gewohnet wird!" – Was würde der gute Alte weissagen, meint der Chronist, wenn er jetzo mehrere Fuder Wein, ganze Saumladungen Branntwein, fünf goldene Kappen (Weibermützen), hundert Gulden theure Sackuhren anschaffen und das Geld so unnöthig verschwenden sähe!" Und was würde er sagen, hat eine jüngere Hand beigefügt, wenn er von 1830–40 zweiundzwanzig goldene Kappen, zwei Braustätten, und in vier Wirthshäusern tagtäglich viele, viele Zecher sähe!

Einer der neueren Fortsetzer hat seine Klagen darüber niedergelegt, daß das sündige Tanzen so schwer zu verbannen sey. Es zeugt von Unbefangenheit, daß er dabei auch die Gründe seiner bäuerlichen Gegner nicht verheimlicht. Es geschieht mehr Böses, läßt er seine Schäflein sprechen, an solchen Tagen, wenn man nicht tanzt, als wenn man tanzt. Betagte Leute sagen: wir sind in unsrer Jugend auch lustig gewesen; wenn wir nie ärger gesündigt, als bei derlei fröhlichen Unterhaltungen, so hätten wir gut sterben. Auch wollten sie bemerken, [80] jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. – Wenn das alles wahr ist – und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen.

Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: „Erscheinung einer Seele" und lautet ungefähr so:

Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet’ für mich, du bist es schuldig – ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub’; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie [81] machen das Fegfeuer heißer als es sey; denn die Hitze der Sonne ist nur ein Schein und das irdische Feuer bloßes Eis gegen die Flammen des Fegfeuers. Es geht in jener Welt mit den Strafen erschrecklich und unbeschreiblich zu. Es fallen die Seelen der Christen so schnell und häufig in das Feuer, als das Wasser durch ein Brunnenrohr. „So viel vom Jodocusle, welches ich selbst abgehört. Es lernt, faßt und redet hart. Es scheint mir eines Betruges, besonders in einer solchen Sache unfähig."

Nach diesen Denkwürdigkeiten lassen wir noch etliche Sagen folgen, zuerst eine Nachricht von dem Walsermännle, einem wahrscheinlich nur den Walsern eigenthümlichen Nationaldämon. Dasselbe meldete sich gegen Ausgang des Jahres 1772 in Straußberg der Pfarre Riezlern bei der Wittfrau Katharina Elsaßerin. Es nahm ihr die Milch im Stalle, das Mus auf dem Tische und verhinderte die Hausgenossen im Arbeiten. Sichtbar war es nur einem einzigen Sohne, mit dem es öfter scherzte, andern Leuten machte es sich vernehmlich durch Murmeln, Pfeifen, Klatschen. Christoph Bader, lange Zeit unerschrockener preußischer Soldat, hörte es auf der Straße zischen und ein anderer merkte es mit solcher Schwere auf dem Wagen liegen, daß er ihn kaum mehr von der Stelle bringen konnte. 1773 in der Fasten meldete es sich bei Victorinus Müller auf Bödmen mit Zuschlagung der Läden, langte auch durch das Fenster hinein und klopfte der Tochter des Hauses auf die Achsel, so daß es alle Anwesenden hören, doch nicht sehen konnten. Insbesondere war es einem armen Kinde aufsässig, welches in dem Hause erzogen wurde. Es schlug dasselbe, zerzauste ihm die Haare und begleitete es auf allen seinen Wegen, sprach auch ärgerliche Reden aus ihm. Nach zwei Jahren verschwand das Ungemach.

Von den Bergmännlein scheint seiner Zeit auch im Walserthale viel Rede gewesen zu seyn. Nach der Chronik kamen sie zur Fastnacht, wo niemand lustiger war als sie, mit ihren ansehnlichen Weibern vom Heuberg herunter ins öffentliche Tanzhaus, tummelten sich bis Sonnenuntergang muthig herum und zogen Abends mit Trommel und Pfeifen wieder auf [82] den Gänstelberg, wo sie dann jählings unsichtbar wurden. Sie waren Heiden, hatten ihre Wohnung in Höhlen und lebten von Wurzeln. Ihr Alter stieg wie das vieler andrer Einwohner weit über hundert Jahre. – Ein Bergmännlein wurde einmal vor Jahren zur Sommerszeit auf der Bärenweid, einer hohen Alpenrevier, sichtbar und bot sich dem Hirten als Freiwilliger zum Viehhüten an. Dem Hirten war es recht, und das Männlein bewies sich so fleißig in seinem Dienste, daß ihm der andere eines Tages, nachdem es einen Sommer gedient, als Lohn und Aufmunterung ein grünes Röckchen hinlegte[.] Das Männlein zieht das Röcklein an, besieht sich darin ganz wohlgefällig, ruft: Wenn ich gewußt, daß ich ein solcher Kerl bin, hätt’ ich nicht so lange gehütet – lauft davon und kommt nicht wieder. Auch das Nachtvolk („Striges," zu deutsch wohl: Hexen) machte großes Aufsehen im Walserthal und hatte seine Einkehr zumeist auf dem vordern Boden. Einmal stellte es daselbst am hellen Tage, an einem Apostel- oder Maria-Fest, während des Gottesdienstes einen prächtigen Schmaus an. Es nahm die schönste Kuh aus dem Stalle, machte sich viel Geschäft, sie zu schlachten, zu sieden, zu braten und verzehrte sie unter Tanzen und Springen, Singen und Jauchzen und unter dem angenehmsten Trommel- und Saitenspiel. Es gab auch den Kindern des Hauses gar niedlich zu essen, verbot ihnen aber einen Knochen zu zernagen oder zu verlieren. Endlich suchte es die Knochen sorgsam zusammen, konnte aber trotz allen Fleißes einen nicht mehr finden. Nun wickelte es die übrigen in die Haut und sagte, es müsse die Kuh gleichwohl hinken lassen, was sich auch in der That so befand; denn dieselbe stand im Stalle, so brauchbar als zuvor, nur daß sie den einen Fuß etwas nachschleppte. Ferner erzählt die Chronik: Ein Liebhaber der Musik ging dem lustigen Nachtvolk einstens auf den Brunnenberg nach, horchte seines Saitenspiels und schaute seinem Tanz und anderer Kurzweil die ganze Nacht hindurch zu. Gegen Morgen machte sich eines nach dem andern davon, aber das letzte steckte noch ein Messer, wie es dem Zuschauer bedünkte, ober die Thür der Tanzhütte; in der Wirklichkeit jedoch befand sich solches in einem Knie des [83] Fürwitzigen. Es konnte leider von Niemanden herausgezogen werden und der Unglückliche trug den Schnitzer in seinem Fuß ein ganzes Jahr, doch ohne Schmerzen herum. Als aber das Jahr vorüber war, ging er abermals auf denselben Platz, wo er die Versammlung wieder richtig fand. Es wird, wie vormals, prächtig gezecht, muthig gesprungen und bei anbrechender Morgenröthe fürsichtig abgefahren. Dabei langte der letzte noch über die Thüre, sagte: will doch mein Messer wieder mitlassen, und der Zuschauer ging von dannen, ohne den Schnitzer im Knie weiter zu gewahren. „Dergleichen Begebenheiten träumte es den guten Alten noch viele."

An einem andern Orte gedenken die Merkwürdigkeiten auch der Passionskomödie, jener bei den Gebirgsvölkern bis ins vorige Jahrhundert so beliebten Vorstellungen, deren letztes Ueberbleibsel sich in Ammergau erhalten hat. Die erste Komödie wurde angeblich 1722 gespielt, das Theatrum 1727 hergestellt. So viel aus der Chronik.

Darnach machten wir uns mit dem geistlichen Herrn auf und gingen der Starzel zu. Nach langem jähen Steigen gelangten wir auf die Höhe. Dort auf dem Grate hatten wir zur einen Seite, dem Walserthale zu, hellen Sonnenschein, gegen den Wald zu aber dicke Nebel, und als wir noch ein paar Schritte gegangen, fanden wir uns mitten drin in den feuchten Wolken. Diese begannen auch bald zu regnen und regneten immer heftiger, so daß wir triefend über die glatten Steine und an den jähen Abgründen hintrabten, sehr verdrießlich im Gemüthe, denn nach Schopernau im Walde war noch weit zu gehen. Einstweilen standen wir in einer Sennhütte unter, die Peter Bilgeri in Andelsbuch gehört und in welcher ein wälscher Senne wirthschaftete, ein sehr unwirscher Bursche, der es fast übel nahm, daß wir uns an seinem Feuer wärmten.

Allmählig verzogen sich die Wolken, und als wir aus der düstern Hütte wieder hinaustraten, hatten wir unsre Freude an der hohen Berglandschaft, die jetzt ganz grün und hell da lag, und so eilten wir mit hergestellter Laune durch Wald und Fels, vor uns im tiefen Thale die smaragdenen [84] Auen des Waldes und seine braunen Häuser, hinunter und immer eiliger hinunter bis wir die Starzel nimmer sahen, bis uns der Waldbach hinausgeleitete auf die Wiesen von Schopernau, wo eine Stimme aus dem Wirthshaus erscholl, wir möchten nicht vorbeigehen, sondern lieber einkehren. Es war ein Freund aus der Au, der viele Freude hatte als er den Pilger vom letzten Jahre wieder im Walde sah, aber kaum mehr als dieser, daß er den erinnerungsreichen Boden alten freien Volksthums wieder betrat.


Um nun auch das innere Walserthal zu befahren, steigen wir von der Au im hintern Wald nach Damils hinauf. Es geht nur ein schmaler Fußpfad durch Wald und Tobel, der oft mühselig steil wird. Der Argenbach tost unten in der Fichtenschlucht und läßt sich wenig sehen, aber desto öfter hören. Lange Zeit ist keine menschliche Wohnung mehr zu gewahren, nur auf fernen Bergwiesen etliche Heuschoppen. Dann verliert sich endlich der Forst und der Steig führt durch weiche Auen; man erschaut von weitem wieder Häuser, und einige Sennhütten zeigen sich auch schon, hoch oben auf den Bergmatten. Da wo es auf Bödmen heißt, wurde in einer solchen „Götze" Rast gehalten. Der Senne tischte seine Butter auf und stellte seine Pfleglinge vor, zwei Knaben, guter Leute Kinder aus der Au, die hieher gesetzt waren um die hypochondrischen Anfechtungen der Winterschule in sommerlicher Bergfreiheit zu verwinden. Dieß schien ihnen auch vortrefflich von der Hand zu gehen; denn durch den dicken Schmutz, der über ihren Backen lag, brach sehr deutlich die volle Röthe der Alpenjugend, und auch den hellen Glanz der Augen schrieb der Rinderhirt und Pädagog der wunderthätigen Kraft des Bergwassers zu. Er war der Ansicht, jetzt sey die schönste Zeit des Lebens für die Jungen, denn sie hätten allzumal nichts zu thun als feister zu werden. – An dieser Stelle ungefähr erschaut man auch zum erstenmal die Kirche von Damils, die aber noch weit oben im Thal auf einem grünen Berghang liegt. Erst wenn man von der Au an drei Stunden [85] aufwärts gestiegen ist, steht man am Fuß dieses Bühels, und findet sich in einer Gegend, welche zu den höchsten gehört die im Alpengebirg bewohnt werden. Die Ansicht der Landschaft ist ernst und einfach. Der Holzwuchs fängt an sich zu verlieren; Anbau ist nur in kleinen Hausgärtchen zu gewahren, wo Kartoffeln gezogen werden; Viehzucht ist die Hauptsache, und die Höfe oder „Heimathen" liegen weit zerstreut in den grünen Triften, die von vielen Zäunen eingesäumt werden. Es sind ihrer etliche sechzig mit vierhundert Einwohnern.

Es war Sonntag und der Gottesdienst eben zu Ende. Auf den Höhen herum sah man die Kirchgänger klimmen, die nach ihren Heimathen trachteten. Unten im Tobel, der sich um den Kirchbühel zieht, und herauf an seiner Halde bewegte sich ein Zug von Mädchen in der seltsamen Feiertagstracht von Damils. Diese ist in der That eine sehr wunderliche Zusammenstellung, und sieht gerade aus wie eigens erfunden um dem „ehrbaren Häs" der Wälderinnen ein höhnendes Widerspiel entgegenzusetzen. Die schwarze zuckerhutförmige Wollmütze ist zwar dieselbe hier oben auf dem Berg wie unten an der Ache, aber während die Wälderinnen aus ihrem schlanken Wuchs kein Geheimniß machen und den Ledergürtel dicht über den Hüften tragen, ist die Taille hier unzierlich bis an den Hals hinauf gerückt, so daß, was fast peinlich zu verrathen, der Busen unterhalb derselben liegt. Ferner ist dort das feierliche Schwarz die tongebende Farbe, hier aber vom Halse an abwärts alles roth: rothes Mieder, rother Rock, rothe Strümpfe, alles feurig roth wie der Abendhimmel wenn er einen goldenen Morgen verspricht. Statt des Gollers tragen sie ein leichtes Tuch um den Hals, das hinten gebunden wird, so daß die Zipfel über den Rücken fallen. Das kurze, kaum handbreite Mieder – Fürtuch heißt es – ist an den Rock angenäht, der Lona, Loden genannt, und dessen Zeug im Dorf selbst zur Hälfte aus Garn, zur Hälfte aus Schafwolle verfertigt, daher auch Walsertuch genannt wird. In solchem Aufzug also stieg ein Duzend jungfräulicher Kirchgängerinnen schäckernd die Halde hinauf, und von Zeit zu [86] Zeit drehten sie sich sämmtlich um und verwunderten sich über den Fremden, der seinerseits auch allen Grund zu haben glaubte sich über sie zu verwundern. Noch ärger war die Neugierde unter den Bauern, die in großer Anzahl im kleinen Wirthshause versammelt waren. Da zeigten sich alle Fenster mit Köpfen eingerammt zu Ehren des unbekannten Pilgers, und in der Trinkstube war kaum der Weg zum Tisch zu bahnen. Sie staunten alle, aber sie sprachen nicht.

Vor dem hölzernen Gasthöfchen zu Damils steht zwar ein lustiger Maibaum, als wenn’s da je zuweilen hoch herginge, aber innerlich ist es ein rußig schwarzes Haus, finster und, abgesehen von der Gutmüthigkeit der Leute, etwas unwirthlich. Deßwegen sind denn auch, wie in solchen selten besuchten Alpengegenden der Brauch, im Pfarrhof ein paar Gastbetten aufgeschlagen, die der Fremde in Anspruch nehmen darf. Im übrigen ist dieser Pfarrhof nichts als ein kleines hölzernes Alpenhaus, zwischen dem Wirth und der Kirche gelegen, und diese drei Gebäude bilden den Stock der Gemeinde, auf den die übrigen Heimathen weit herum von den Bergen herunterschauen. Die jetzige Kirche zu Damils ist mit Ausnahme des neueren Thurmes im Jahr 1484 gebaut, nachdem die ältere abgebrannt war. Auf diese ältere geht ein in der Kirchenlade verwahrter Brief Grafen Rudolfs von Montfort, gegeben zu Feldkirch nach Christus Geburt im 1382sten Jahr, worin er den Walsern zu Damils aufträgt ihrer Kirche, die seine Vorfahren erbauen und gestift han, die Zehenten und Gilten getreulich abzugeben. Jetzt sieht man an der äußern Wand die dem Thal zugekehrt ist hoch oben den Bindenschild von Oesterreich und die rothe Fahne der Grafen von Montfort aufgemalt. In einer Nische der Kirche ist auch die alte gothische Tafel zu sehen, die ehedem auf dem Hochaltar stand. In ihren Zellen sind vier Heilige in früherer Kunst zierlich geschnitzt und bemalt, darunter St. Theodul, der Bischof von Sitten, der hier zu Land seine eigene Bedeutung hat, die wir später hervorheben werden. Im spitzbogigen Chor der Kirche thürmt sich ein steinernes Sacramenthäuschen in leichten gothischen Schnörkeln empor. Die Decke [87] des Schiffes ist getäfelt und bemalt; da und dort sind noch andere Schnitzereien angebracht, allenthalben erblickt man die rothe Fahne der Montforte, und so ist das Ganze sehr geeignet den Wanderer zu überraschen, der wohl in solcher Schneehöhe, wo die Werke der Menschen so vergänglich sind, nicht darauf gefaßt war derlei anziehende Denkmale vergangener Tage aufzufinden. An der äußern Mauer der Vorkirche, etliche Schuhe über dem Thore ist die Jahrzahl 1776 zu lesen, ein Andenken, daß damals der Schnee bis zu jener Höhe gereicht.

Nachmittag, als an einem Feiertage, versammelten sich die Väter der Gemeinde im Wirthshause, sämmtlich bejahrte Männer von hohem hagerem Wuchs mit blauen Augen und hellen Haaren. Das waren also keine Wälder mehr wie in der Au, sondern Walser, Stammverwandte der freundlichen Leute von Riezlern, Hirscheck und Mittelberg. Jener Name muß ehemals einen besonders guten Klang gehabt haben, denn sie wiederholen ihn jetzt noch gern, und der Leser wird sich erinnern, wie ja auch Seraphine, die rothbackige Sennerin auf Hohen Krumbach, mir gleich anfangs mit Selbstgefühl eröffnete, sie sey eine Walserin.

Wer sonst von den Walsern sprach – und es geschah nicht gar zu oft – der hielt sie ihrem Namen nach für die Abkömmlinge fremdsprechender, hier also rhäto-romanischer Vorbewohner, und dachte dieser Name sprosse aus derselben Wurzel, aus der die Deutschen für alle nichtgermanischen Völker in der langen Linie vom englischen Herzogthum Wales bis in die daco-romanische Walachei die Benennung gebildet haben. Solcher Meinung waren z. B. Ildephons von Arx, der Geschichtschreiber des Kantons St. Gallen, und Weizenegger, der vorarlbergische Sammler, wogegen die bündnerischen Historiker allerdings schon seit langem die wallisische Abkunft annahmen. Es konnte diese Ansicht nur bestärken, daß es mit andern naheliegenden Namen wie Walenstad und Wallensee im Kanton St. Gallen, Churwallen in Graubünden, dem Wallgau an der Ill, Wallgau und Walchensee im bayerischen Gebirg die nämliche Bewandtniß hat. Wer sich indessen näher um du Geschichte der Walser erkundigt, [88] wird nothwendig auf eine andere Spur kommen. Einmal steht gegen jene erste Annahme daß die Walser in Bünden, wo ihrer in früherer Zeit öfter gedacht wird, immer als deutsch Redende, nie als Romanschen erscheinen, und daß auch ihre Geschlechtsnamen alle deutsch sind. Ferner berichtet ein bündnerischer Geschichtforscher, Johann Ulrich von Salis-Seewis daß im Prätigau die deutsche Sprache erst durch die Walser vom Schloß Belfort bis auf Davos und durch die Davoser selbst, die gleichfalls Walser waren, eingeführt und verbreitet worden sey. Derselbe gibt auch an daß diese Walser freie fremde Einwanderer gewesen, die sich am liebsten in höhern Alpengegenden ansiedelten und meist Viehzucht trieben, und bei Ildephons v. Arx (2.167) finden sich ein paar bisher nicht beachtete Stellen aus alten Satzungen des Klosters Pfäffers, die dasselbe urkundlich belegen. Dort heißt es nämlich, wenn ein Leibeigener des Klosters mit einem Weibe das eine eingewanderte Walserin oder sonst frei sey (cum muliere advena Walisense vel alias libera), oder wenn eine Leibeigene des Klosters cum viro Walisense vel alias libero eine Ehe eingehe, so sollen die Kinder des Klosters eigen werden, und ebendort ist auch die Rede von den Kindern die ab alienigenis Walisensibus vel alias liberis erzeugt werden. Diese Stellen gehören dem 14ten Jahrhundert an, und da die Waliser hier noch Ankömmlinge und Fremdlinge heißen, so scheint die Einwanderung nicht gar lange vorher stattgefunden zu haben. Will man nun aber den früheren Sitzen der Waliser nachgehen, so leitet ihr Name allerdings am ersten auf das schweizerische Wallis. Es ist auch eine in diesen Thälern verbreitete Meinung daß man allzusammt vor langen Zeiten aus der Schweiz gekommen sey, und was uns weiland Caplan Feuerstein im Bad berichtet, zeigt deutlich, daß diese Sage alt und ächt, und nicht wie manche andere, an welchen unbefangene Touristen einen Fund gemacht zu haben glauben, erst in unfern Tagen durch Geistliche und Schullehrer unter die Leute gebracht worden sey. Als Vorstehendes zum erstenmal veröffentlicht wurde,*)[2] [89] wäre zu erwähnen gewesen, daß auch Albert Schott in seinen Untersuchungen über die deutschen Colonien in Piemont der Walser gedacht hat. Einerseits ist er dort den Spuren derselben neuerdings bis nach Graubünden nachgegangen, so daß ihm von Vorarlberg aus leicht die Hand zu bieten, andrerseits hat er auch durch seine sprachlichen Forschungen unter den Deutschen von Gressoney und Macugnaga ein ausgiebiges Vergleichsmaterial ans Licht gestellt. Nehmen wir dieses zur Hand, um die Sprachproben, die wir von Damils mitgebracht, daneben zu halten, so können wir uns des Glaubens nicht erwehren, daß der Zusammenhang der Waliser an der Lutz und an der Breitach mit jenen am Simplon und an der Lys auch auf sprachlichem Wege bestätigt werden könnte.

Unter andern lassen sich dafür anführen die Ueberbleibsel einer breitern Aussprache des s *)[3], die Aussprache des neuhochdeutschen k wie ch, es Hus, mis Hus für ein Haus, mein Haus, jehen für sagen und andere Eigenthümlichkeiten, welche im übrigen Vorarlberg nicht wieder gefunden werden, dagegen aber im Wallis und bei den Sylviern vorkommen. Wenn nun Albert Schott mit seiner Ansicht, daß die Schweizer jenseits der Reus und sohin auch die Walliser burgundischen Stammes seyen, das Richtige getroffen hat, so dürfen wir auch bei den Aelplern von Damils, vom Sonnentag und von Mittelberg den Rest jener Sprache wieder erkennen, „die einst aus Chriemhildens Mund den Helden Sigfrid entzückte" **)[4], und wenn die nächste deutsche Sprachkarte sich diese Ausscheidung will angelegen seyn lassen, so wird sie nicht anders können, als die vorarlbergischen Walser als burgundische Insassen im alemannischen Sprachland einzutragen.

Die neueste Aufhellung dieser Frage verdanken wir aber Dem Custos der Ambraser Sammlung zu Wien, Hrn. Joseph [90] Bergmann, der selbst zu Hüttisau im Bregenzerwald gebürtig, schon zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten manche schätzbare und oben öfter angeführte Nachweisungen über seine Heimath gegeben hat. Auch die Walser hat derselbe, obwohl nur kurz, schon ein paarmal in österreichischen Zeitschriften besprochen – nunmehr aber auf dieses Thema zurückkommend, in den Wiener Jahrbüchern eine gründliche und erschöpfende Abhandlung darüber niedergelegt.*)[5]

Es ist dort mit Fleiß und Geschick nicht allein Alles zusammengestellt, was bisher über diese Völkerschaft geschrieben worden, sondern auch sehr viel Neues beigebracht aus alten Urkunden sowohl, die im Wiener Archive liegen, als aus Erhebungen der jüngsten Zeit, wozu geistliche und weltliche Gebildete in Vorarlberg und in Graubünden bereitwillige Hülfe geleistet. In dieser seiner Untersuchung greift nun Herr Custos Bergmann die Geschichte der bündnerischen und der vorarlbergischen Walser von ihrem ersten urkundlichen Erscheinen an wieder auf und führt sie den Hauptumrissen nach bis auf unsre Zeit herunter. Er bespricht nicht allein ihre Niederlassungen in den beiden Thälern, die von ihnen den Namen erhalten, sondern auch in jenen andern Gegenden, wo die Walser jetzt schon lange nicht mehr genannt werden. Dabei kommen Beschäftigung und Nahrungszweige, Kleidertracht, Wohnungen, Geschlechtsnamen und die Mundart zur Sprache, wodurch dem vergleichenden ethnographischen Studium mancher willkommene Anhaltspunkt gereicht wird. Ein bemerkenswerthes Capitel ist auch den undeutschen Ortsnamen in Vorarlberg gewidmet. Der Verfasser kämpft darin gegen Hrn. Ludwig Steub, den „Etruskomanen", für die romanische Abkunft derselben, und zwar, wie dieser selbst gerne gesteht, in vielen Fällen – nur nicht in allen – mit beneidenswerthem Glücke. Obendrein hat Hr. Oberst von Hauslab zum Besten dieser Untersuchungen ein chromolithographisches [91] Kärtchen angefertigt, so niedlich und so klar, daß man recht lebhaft wünschen muß, es möge dieses Beispiel nicht unfruchtbar bleiben.

Nach allen bis jetzt eröffneten Quellen läßt sich aber aus der Geschichte der Walser noch beibringen, daß sie zuerst im hohen Rhätien erwähnt werden, zu den Zeiten Herrn Walters von Vatz, der ums Jahr 1233 gelebt hat. Diesem freisamen und biedern Herrn meldeten einst seine Jäger, ihr Gang habe sie den Quellen des Landwassers entgegen, weiter einwärts als sonst zu einer Ebene im Walde geführt, anmuthig unterbrochen von fischreichen Seen, wo sie sich mit seinem Erlaub wohl anbauen möchten gegen bescheidenen Zins. Man hatte diese Landschaft bis dahin unter dem Namen der hintern Gegend – Davos – geringer Aufmerksamkeit werth geachtet, und so bewilligte Herr Walter gerne, daß die Entdecker, welche deutsche Oberwalliser gewesen seyn sollen, vollkommene Freiheit in ihren neuen Wohnsitzen genössen, und wie sie auch jeder der zu ihnen zöge. Nur den Blutbann, den Waffendienst und mäßige Zinsen behielt sich der Herr bevor. Zuerst sollen sich zwölf Familien hier zusammengethan haben, und unter diesen vier, welche dermaßen wohlhabend waren, daß sie sich gemauerte Häuser erbauen konnten. Diese Sage hat Bergmann nach langem Suchen bekräftigt gefunden in einem alten Buche von 1574, das Josias Simler unter dem Titel Vallesiae descriptio zu Zürich herausgab. Dort ist dieses Zuges der Walser ins Gebiet des Herrn von Vatz als einer ausgemachten Sache gedacht und dabei als wahrscheinlich angenommen, daß sie aus der Gegend von Raron weggezogen seyen.

Aus dem Jahre 1277 ist der erste Freiheitsbrief, den ein späterer Walter von Vatz ausstellte für alle homines Theotunicos residentiam habentes in Valle Rheni usque ad montem qui dicitur Vogel.*)[6] Im Jahre 1289 wurde ein anderer ausgefertigt von Johann Donat Freiherr von Vatz. Um diese Zeit scheinen sich die Werdenberger, welche damals auch in Graubünden [92] schon begütert waren, der wallisischen Auswanderung angenommen und sie nach Vorarlberg gezogen zu haben, wo dann ihre Niederlassungen bald noch zahlreicher geworden, als in Graubünden. Jetzt ist der Name der Walser freilich nur noch in den Thälern an der Breitach und an der Lutz, dann auch auf der Höhe von Damils zu Hause; ferner ist es noch in der Erinnerung der Landleute geblieben, daß die Bauern, welche am Tannberge und im Thale von Laterns und auf dem Dünserberge bei Schnifis wohnen, des gleichen Stammes sind. In frühern Jahrhunderten aber werden die Walliser gewissermaßen als ausgeschiedene, für sich bestehende Leute noch in allerlei andern Gegenden dieser Alpen erwähnt, und in jenen Zeiten mochte ihre Verschiedenheit auch augenfälliger seyn, wenn sie mitten unter den damals noch romanisch redenden Nachbarn deutsch sprachen. Ein ziemlich vollständiges Verzeichniß der Stammangehörigen, wie sie noch im Jahr 1408 sich kennbar erhalten hatten, gibt ein Schiedsspruch Kaiser Ruprechts, den er zu dieser Zeit in Constanz that, nachdem die Appenzeller am 13 Wintermond desselben Jahres, Bregenz belagernd, von dem schwäbischen St. Jörgenbund aufs Haupt geschlagen waren und mit ihren Feinden Frieden zu machen begehrten. In dieser Urkunde erscheinen alle die an dem Kriege Theil genommen hatten und den Frieden zu halten versprachen, nicht allein Herzog Friedrich von Oesterreich, die Bischöfe von Augsburg und Constanz, Graf Eberhard von Wirtenberg und andere Herren, sondern auch die Städte St. Gallen, Feldkirch, Bludenz und Constanz, die Ammänner und Landleute im Wallgau, im Muntafun, im Bregenzerwald, im Lechthal, und mit diesen die Walliser zu Tamuls, zum Sonnentage, in Glaterns und am Tunserberge, und alle andern Walliser die „zu uns" gehören, alle Walliser zu Muntafun mit den Silbern (d. h. im Silberthal) daselbst, und alle Walliser auf Galthür. Fügt man dazu noch die Walser am Triesnerberg im Vaduzischen und jene welche in der Gegend von Sargans und unter dem Krummstabe des Abts zu Pfäfers lebten, so dürfte das Verzeichniß der wallisischen Auswanderer, die sich diesseits der Landmarken Graubündens [93] niedergelassen, vollständig seyn. Ein religiöses Band um alle diese einstigen Fremdlinge zieht die Verehrung des heiligen Theoduls – walserisch St. Joder – der fast in jeder ihrer Kirchen und Capellen als Haupt- oder Nebenpatron seine Stelle hat. Auch St. Theoduls Name weist auf das Wallis; dort wird er als Landesheiliger verehrt, obgleich Herr Custos Bergmann nicht ganz verlässig ermitteln konnte ob und wann er gelebt. Wahrscheinlich ist damit Theodor, ein Bischof von Sitten gemeint, der im Jahre 505 der Kirchweihe des vom burgundischen König Sigmund gestifteten Klosters St. Moriz beigewohnt haben soll. Wenigstens mag dieser minder zweifelhaft seyn, als jener Bischof Theodulus, den Johannes von Müller auf die Legende bauend in die Zeiten der Karlinger setzt.

Kehren wir indessen wieder nach Damils zurück, wo also die Aeltesten der Gemeinde im Wirthshaus sitzen und friedlich plaudernd ihren Branntwein trinken, während es draußen, mitten im Sommer, etwas zu schneien anhebt. Sie erzählen von den alten Landammännern und den alten Tagen wo die Damilser noch rothe Kamisole mit Haften statt der Knöpfe getragen haben. Sie wissen aber auch von Dingen zu erzählen die länger vergangen sind, denn Damils hat in allem Ernst eine Sagengeschichte der Urzeit. Als die Walser von dieser Alpenhöhe Besitz nahmen, sollen „am Brand", was auch zur Gemeinde gehört, schon Menschen gewohnt haben, aber wilde. Das waren wohl Abkömmlinge der Rhätier, der alten Ureinwohner, die auch der Gegend die Namen gaben, denn Damils, Scafells, Garsella u. dergl. was sich hier herum findet, sind rhätische Klänge, wogegen wieder andere Namen wie Fontanella, Rungal, Ragall (Roncale) etc. zeigen, daß nach dem Rhätischen hier romanisch gesprochen wurde. Sie, die fremden Ankömmlinge, hätten darauf ihre ersten Hütten „auf den Bödmen" erbaut, wo noch seit uralten Zeiten ein Schatz vergraben liegt. Dessen zum Zeichen sieht man auch in dieser Gegend öftermalen blanke Thaler sich behaglich in den Lüften wiegen, gar nicht viel höher als man mit dem Arm reichen mag, aber gerade so hoch um sie nicht erreichen zu können. Die Einwanderung ihrer Ahnen setzten die erzählenden Zecher [94] in die Zeit der Christenverfolgungen. Damals sind sie nach der Sage als Flüchtlinge auf die Wiesen von Damils gekommen und, verzagt und scheu, hielten sie sich noch lange Zeit verborgen und abgeschieden von der Welt. Eines Tages aber verfolgten zwei Grafen von Montfort das Walserthal entlang einen Hirsch, und während den einen sein Leithund auf den Tannberg führte, gelangte der andere nach Damils, wo er höchlich überrascht war, statt der Wildniß menschliche Wohnungen zu finden. Die Hirten sagten ihm sofort daß sie Flüchtlinge seyen, und auf dieß versprach er sie zu schützen. Und nachdem sie ihn so gut sie konnten bewirthet hatten, verlangte er sie sollten ihn abwärts geleiten, den Argenbach hinunter. Dieß geschah alsbald, und sie führten den Grafen in den innern Wald, an den Ort wo jetzt die Au steht, wo aber damals noch weit und breit unbewohnter Hochwald war. Die Stelle gefiel dem Herrn der Jagd wegen, und er baute sich daselbst ein Jagdhaus, wovon noch heutigen Tages, wie oben gedacht, der Häuserhaufen um die Kirche in der Au Jaghausen genannt wird. Von da an blieb Damils bei den Montforten, und die Leute haben noch allerlei von ihnen zu berichten, wie sie ihnen nämlich die Kirche gebaut und die alten Freiheiten gegeben haben. Diese wurden später von den Herzogen zu Oesterreich und ihren Nachfolgern in Tirol bestätigt. Das große pergamentene Buch der Privilegien, die Kaiser Leopold I am 17 Junius 1678 erneuert hat, ist mit mächtigem Insiegel versehen in der Kirchenlade hinterlegt. Es enthält die Abschriften der alten Freiheitsbriefe, deren ersten 1390 Raimund von Wahingen, der Landvogt zu Feldkirch, im Namen Herzog Albrechts zu Oesterreich ertheilte. Darauf folgen noch fünf andere von Herzogen, Erzherzogen und Kaisern. Angehängt sind in 36 Artikeln das Damilser Erbrecht und das Kauf-, Zug- und Abzugsrecht. In den ältern Briefen haben die Herzoge zu Oesterreich „ihren lieben und getreuen, ihren Leuten, den Walsern zu Tamüls", bestätigt daß ihnen, wenn sie mit Schild und Speer zu Kriegsdiensten aufgerufen würden, der Landesherr den Unterhalt auf seine Kosten zu reichen habe; auch sollten sie nie verpfändet werden. Die erste Anerkennung dieses alten Walserrechts wollen also die Damilser [95] auch den Grafen von Montfort zu Verdanken haben, und aus solchen Gründen stehen die ehemaligen Herren noch in frischem und gutem Angedenken. Seit dem Jahr 1390, wo Graf Rudolf von Montfort-Feldkirch starb und seine Herrschaften nach dem Kaufvertrag von 1375 an Herzog Albrecht von Oesterreich übergingen, scheint hier oben nichts mehr vorgefallen zu seyn was sich dem Gedächtniß dieser Aelpler besonders empfohlen hätte. Seit dem Todestage Grafen Rudolfs ist nun freilich bald ein halbes Jahrtausend dahingegangen, aber die alten Zecher im Wirthshause sprachen von den Montforten gerade so als wenn sie noch im vorigen Sommer hier oben auf der Gemsenjagd gewesen wären und erst vor wenigen Monden ihre Herrschaft Damils an das Erzhaus Oesterreich übergeben hätten. So kamen mir die armen Hirten vor wie ein lebendiges Mausoleum der alten rhätischen Ritter, die sie nie vergessen können, weil sie ihnen die Kirche gebaut und die Freiheiten gegeben haben. Es ist auch gut für jene daß sie noch ihrer gedenken, denn sonst singen und sagen die Bauern sehr wenig von dem untergegangenen Geschlecht. Und doch hat es eine Zeit gegeben wo all die Länder vor dem Arlberg, der Bregenzer Wald, die Walserthäler, der Wallgau, Montafun, Feldkirch und Bregenz den Montforten unterthan waren, und überdieß hatten sie noch viel schönes Gebiet über dem Rhein, wo Fortifels, ihr Stammschloß stand, und das reiche Erbe der Freiherren von Vatz in Graubündten; dann kamen auch noch die Herrschaften Heiligenberg und Tettnang an das Haus, und die Grafen von der Fahne, wie man sie von ihrem Wappen nannte, waren weit und breit geehrt unter den Herren in Rhätien, in Schwaben und im heiligen römischen Reich. Sie hatten ihren Schöppenstuhl bei dem freien kaiserlichen Landgericht auf der Wiese zu Münsinen bei Rankweil und schrieben sich Landgrafen in Rhätien. Mancher Sohn des Hauses saß zu Chur und zu Constanz als Bischof, oder als Würdenträger in der Abtei zu St. Gallen, und sogar ein Familienheiliger verherrlichte das Geschlecht, St. Johannes von Montfort nämlich, der von einer Kreuzfahrt nach Palästina heimkehrend 1176 zu Leukosia auf der Insel Cypern die frommen Augen schloß [96] und später auch als der Schutzpatron der grünen Insel im Morgenland verehrt wurde. So prächtig war der Name ausgestattet zu seiner Zeit, aber mit dem Lauf der Jahre geriethen alle Länder, die einst die Fahne besessen, entweder an die Eidgenossen oder die Herzoge von Oesterreich, und der, mit dem Schild und Helm zu Grabe ging, starb 1787 beim Pfarrer zu Mariabronn bei Tettnang in tiefer Armuth. Die Damilser haben auch nicht viel, aber zuletzt war doch jeder noch reicher als der letzte der Montforte.

Die Damilser sind wahrhaftig sehr arm und leben kümmerlich von Mehlmus und Kartoffeln, trinken auch nur am Sonntag ein Gläschen Schnaps. Ihre hölzernen Hütten sind eng und armselig, nur selten mit einem Rauchfang versehen. Wir wohnen sieben Stunden hinter Gott erbarm und der Ort heißt Elend – sagte einer der ältern Männer mit traurigem Witze. Auch ist ihnen wohl für die Zukunft nicht viel Erleichterung zu weissagen, denn nach allen Anzeichen wird das Klima immer rauher. Hat man doch vor nicht gar langer Zeit hoch über Damils auf dem Brand eine Dreschtenne abgebrochen, während jetzt nicht einmal auf den niedern Höfen irgend eine Getreideart gedeihen will; ja die zaubernde Sage verlegt sogar einen Weingarten an den hohen Tristen, der zwischen Damils und Mellau sich erhebt. Auch das Holz geht zusammen und kommt am obern Saum der Wälder nicht mehr fort.

Von diesen und ähnlichen Dingen hatten wir mit den Männern von Damils geredet, und nun sollte noch einer der ältern, der einzige unter den Bauern, der die pergamentenen Urkunden in der Kirchenlade zu lesen und zu verdeutschen wußte, ein kurzes Gespräch zum Besten geben und zwar in der alten Damilsersprache, wie sie vor fünfzig Jahren gesprochen worden. Diese soll nach Versicherung des Pfarrherrn sehr seltsam und unverständlich lauten und müßte also wohl sehr verschieden seyn von dem jetzigen ausgetragenen und vollsylbigen Dialekt der Walser, der uns im Vergleich mit dem stenographisch abgekürzten Deutsch der Wälder ganz verständlich vorkam. Unsere Neugier war sehr groß dieß Altdamilserische [97] zu hören, aber der alte Bauer und die andern die nach ihm aufgefordert wurden, thaten sehr scheu damit und wollten nichts zum Besten geben.

Seitdem ich in Damils gewesen, hat der jetzige Herr Pfarrer, der einstweilen den damaligen Seelsorger abgelöst, in einem Briefe an Herrn Custos Bergmann *)[7] alles, was ich, wie oben zu lesen, „von der sehr seltsam und unverständlich lautenden Mundart so schön erwähnt", **)[8] als lediglich unrichtig erklärt und sey dasselbe wahrscheinlich dem begierigen Frager nur bejahet worden, um ihm die Freude einer vermeinten Entdeckung nicht zu verkümmern. Ich will zwar nicht bestreiten, daß die Damilser Humor genug besäßen, um mir oder einem andern Gaste solche Freude zu machen – durch den Zweifel an dieser Begabtheit würden sich im Land Tirol und Vorarlberg viele aufs empfindlichste mitgetroffen fühlen – aber erstens fiel ich gewiß nicht von selbst auf die Frage, ob hier nicht eine altdamilserische Sprache gesprochen werde, und zweitens bestätigt ja der Berichtiger im Grunde doch nur was ich erzählte – nämlich „bei allem Nachforschen hierüber könne man nur so viel herausbringen, daß man früher schwerfälliger gesprochen habe – nach der alten Mode heißt man’s, wie es ja überall der Fall ist, bevor der bessere Sprachgebrauch Eingang findet." Viel mehr dürfte nach den sehr zweifelhaften Ausdrücken, in denen er von dieser alten Sprache redet, auch der erste Berichterstatter nicht gewärtigt haben – aber auch in diesem alten „Schwerfälligen" könnte für den allenfallsigen Sprachforscher manches Brauchbare zu finden seyn. Im übrigen ist’s eine Wahrnehmung, die sich allenthalben darbietet, daß in unsern Zeiten mit den Trachten auch die Nüancen der Dialekte in größeren Ganzen untergehen. Wie die Tracht zu Pfafflar von der lechthalischen verschlungen worden, wie die Riezlerinnen sich zu der des Allgaus hinneigen, so scheinen allmählich alle nordtirolischen in der unterinnthalischen unterzugehen, und durch gleiche Anziehungskraft [98] verschwinden auch die Dialekte der Nebenthäler in denen der Hauptthäler. So hat ja auch schon Bergmann berichtet, wie in Rüfensberg, der äußersten Pfarre des vordern Bregenzerwaldes, gegen Staufen hin, Kleidung und Mundart zugleich dem fremden Einflusse erliegen; so haben vor mehreren Jahrzehnten Zillerthaler und Zillerthalerinnen nicht allein sich duxerisch gekleidet, sondern gewiß auch duxerisch gesprochen u. s. w. Ueberdieß ist das Volk gar nicht so ganz ohne Eitelkeit in Bezug auf seinen Dialekt; die Hauptthäler streiten mit einander, welches die „feinere" Sprache habe, von den Nebenthälern wirft eines dem andern vor, daß es so grob, „gar so viel grob" daherrede. Deßwegen denn wohl auch ein Streben der rauhern Dialekte sich den feinern anzuschließen, welches die Schule unterstützt. Nun ist es aber nach dem Obigen mehr als wahrscheinlich daß die Damilser vor Jahren einen gröbern Dialekt geführt und diesen dann mit dem feinern jetzigen vertauscht, und insofern – freilich nur insofern – kann es immer noch erlaubt seyn, von der altdamilserischen Sprache zu reden. Allerdings bleibt dabei der Zweifel frei, ob noch Jemand vorhanden, der sie jetzt noch, ganz so wie sie gewesen, von sich geben könnte.

Auf dem Friedhof von Damils sieht der Wanderer, wenn er gegen Mitternacht schaut, eine sanft ansteigende lange Halde, baumlos, aber mit vielen Heimathen besetzt. Da wo diese grüne Fläche am Horizonte abbricht, steigt aus ihr ein Felsenkegel empor, der die Mittagsspitze oder mit einem schon oben erwähnten Namen der Tristen heißt. Der Weg bis an den Fuß desselben läßt sich in anderthalb Stunden zurücklegen und ist bequem und anmuthig; die steilen Seiten des Kofels aber, der etwa ein halbtausend Fuß hoch seyn mag – seine Höhe über dem Meere beträgt 6600 Wiener Fuß – sind pfadlos und mit schlüpfrigem Grase bewachsen. Der Erklimmer der Spitze genießt eine unermeßliche Aussicht. Es ist ein wunderherrlicher Anblick, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne auf den Kranz von glänzenden Fernern fallen, die mit ewigem Eis und Schnee bekleidet, schroff und unnahbar, stolz und schweigend in die blauen Lüfte steigen. In der langen Runde [99] von den Gletschern des Berner Oberlandes über die Gipfel des Rhätico und die Ferner des Oetzthales bis zu den nähern Schneebergen, die aus dem Land der Walser ragen, und den höchsten Höhen des Allgaus, die klein und kindlich dastehen gegenüber den ungeheuern Vätern im rhätischen Hochlande – von der Jungfrau also bis zum Pfänder, der ober Lindau aufsteigt, keine Lücke in dieser Krone von Bergen und nur der Unterschied, daß die innern, die Schweizer und Tiroler, sämmtlich mit Silber beschlagen, die äußern, die Allgauer, mit smaragdenem Grün überlegt sind. Steil unter der Spitze liegt das Dörfchen Mellau an der Ache und an dieser hin die schmalen Thalgaue des Bregenzerwaldes, eingeschlossen von weidereichen Höhen und über den Wald hinaus liegt der Bodensee, und alle die Städte und Flecken, die das schwäbische Meer bespült, winken weiß und zierlich herauf. Auf der Schweizer Seite des Sees sind die Gebirge von Appenzell und St. Gallen mit ihren Bergstädten und drüber hin das hügelige Flachland der Eidgenossenschaft und am fernen Rande der blaue Jura zu sehen. Dagegen hebt vom deutschen Ufer die schwäbische Ebene an und breitet sich mit weißen Pünktchen durchsäet maßlos dahin bis zum Bussen[WS 1] und zum kaiserlichen Hohenstaufen und zum Schwarzwald, ja sogar die elsässischen Vogesen dämmern über diesem auf in der ungeheuern Ferne.

Und nun bieten wir denn auch Damils unsern Abschiedsgruß. Hieher ins uralte Walserdorf laden wir den ein, der da lernen will was man unter einem abgeschiedenen Alpenleben versteht. Da dreht sich alles um Gottesdienst und Tageswerk, und dieß selbst kennt keinen andern Wechsel als Arbeit in den Hütten und Arbeit auf den nahen Wiesen. Kriegsläufte und Zeitbegebenheiten, die ganze Reiche umstürzen, hallen nur undeutlich herauf, und das geräuschvollste Ding in der Runde ist das Meßglöcklein das im Kirchenthurm hängt. Der Lebenslauf scheidet sich in die Langweile der endlosen Schneezeit und die kargen Freuden des winterlichen Sommers. Grün und lachend sind zwar im Sonnenschein die Matten, freundlich grüßt das Jodeln der Sennen von den Höhen und [100] das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt.

Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt – wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma’s, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen.*)[9]

Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht’s an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf [101] diesem letztern Gang kommt man bald zum Dorf „am Sonnentag." Auch an diesem Orte thut sich die Gewalt der Lauwenen oft in erschrecklicher Weise kund. So brachen sie im Jahre 1806 das Schiff der Kirche zusammen, und das neue Gotteshaus konnte nur durch einen aufgemauerten Wall vor künftigen Verwüstungen geschützt werden.

Uebrigens ist darin auch ein Jahrtag gestiftet für jene Kämpfer aus dieser Pfarre, die am 20 April 1499 in der unglücklichen Schlacht bei Frastenz unter dem Schwert der Eidgenossen gefallen sind. Die Namen der Gebliebenen, deren es 46 waren, wurden vordem noch alle Jahre in der Kirche verlesen. Jene Schlacht war wohl die blutigste, welche in Vorarlberg je gekämpft worden ist. Ein Verräther, Ulrich Malis aus Schan bei Vaduz, führte die Feinde, deren Hauptmann Heini Wohlleb aus Uri war, auf geheimen Wegen in den Rücken des österreichischen Heeres. Noch soll es zu Frastenz in Uebung seyn, daß am Dienstage in der Bittwoche der Umgang auf dem Schlachtfelde inne hält, für die gefallenen Landesvertheidiger laut betet, und auch vom Verräther Meldung thut, um sein Andenken auf ewige Zeiten zu schänden.

Nicht weit vom Sonnentag geht der Weg in die Höhe, an den Halden hinauf, während der Bach unten im Tobel fortschießt, allenthalben von düsterem Wald beschattet. Die Landschaft ist kaum ein Thal zu nennen – die schmale Ebene am Wasser verliert sich ganz und gar, und alles was des Menschen eigen, Auen und Wälder, Sennhütten, Höfe und Dörfer, liegt hinauf nach einander an den steilen Berghängen. So gestaltet sich eine der schönsten Alpengegenden, die man in diesem Theil des Gebirges sehen kann. Drüben ein langes tiefgrünes Bild, übersichtlich ausgespannt, in reizender Mannichfaltigkeit von Forst und Wiesen, von Felsen und Wänden, Bächen und Wasserfällen, mit Wegen und Pfaden verbrämt, überall mit idyllischen Häusern durchsäet, die friedlich und freundlich auf dem Rücken der Berge stehen, deren höchste Zacken stolz in den blauen Himmel stechen – herüben dagegen ein anmuthiger Steig, der gemächlich dahinschlendert, alle Vorsprünge der Abhänge und alle Einbrüche der Bergwasser [102] abläuft und dabei doch nicht ermüdend wird, da die Abwechselung der niedlichsten Kleinigkeiten, des üppigen Wachsthums der Büsche, des prächtigen Schattens der Bäume mit den großen Aussichten in die düstere Schlucht hinab oder auf hohe Bergfirsten und die Zinnen des Rhätico, die im Mittag aufsteigen, immer aufs neue wieder anzieht. Nicht zu vergessen sind dabei jene engen lebensvollen Gemälde, die da entgegentreten wo an den gießenden Bächen, die vom Felsen herunterfallen und ins Laubdunkel abwärts stürzen, sich die sprudelnden Mühlwerke angebaut haben, überragt von rothem Gestein, umgeben von kleinen Hausgärten, von Mauern und Zäunen, von Brücken und gefährlichen Stegen, geräuschvoll durch das Plaudern der Brunnen, das Kreischen der Sägen, das Schnurren der Mühlgänge, den Fall der Wasser, durch Kindergeschrei, Hundegebell und Hühnergackern.

Eine Stunde etwa vor dem Ausgang des Thales erhebt das Klösterlein St. Gerold sein graues Dach aus der Mitte hoher Ahornbäume, friedlich stillen Anblicks in der großen Berglandschaft. Die Abendsonne fiel auf seine Zinnen und glänzte in seinen Fenstern, und so nahm es sich gerade aus wie eine Illustration zu jener bekanntesten aller deutschen Balladen. Es hat da in den Tagen Kaiser Otto’s I ein frommer Einsiedler gelebt, Gerold mit Namen, der nach der Legende aus dem Hause der Herzoge von Sachsen und ein Verwandter des Kaisers gewesen seyn soll. Andere lassen ihn nicht so weit herkommen, sondern nur aus dem rheinthalischen Geschlecht der Herren von Sax, obgleich man zur Bekräftigung der Legende da und dort den sächsischen Rautenschild angebracht sieht. Damals hieß die Gegend wo jetzt das Kloster steht, Frasuna, und dieß Gebiet das Graf Otto von Jagdberg dem Einsiedler geschenkt hatte, vergabte dieser vor seinem Tod an die Abtei zu Einsiedeln, welche es auch als reichsfreie Herrschaft bis zum Untergang des deutschen Reichs besaß. Jetzt sind die Gebäude und die Seelsorge wieder dem Stift zurückgegeben, und dasselbe läßt hier drei Benedictiner wohnen. Die Herren „wirthen" selbst, wie die Schwaben [103] sagen, und schenken im kühlen Refectorium guten Wein aus, den sie mit anmuthigen Gesprächen würzen. In der Kirche sieht man St. Gerolds Ruhestätte, geschmückt mit einem schönen alten Grabstein; sein Haupt ist auf dem Altare zur Verehrung ausgestellt, seine Lebensgeschichte in Bildern auf die Wand gemalt.

Am Ende des Thales thut sich die Aussicht in das Wallgau auf. Rechts liegt das Dorf Thüringen, wo der Engländer Douglas eine gigantische Spinnerei errichtet hat; zur linken Hand führt ein Fußsteig schnell über die Halde hinunter nach dem Dorfe Ludesch das am Lutzbach liegt. Der Weg streift an den öden Mauern des Blumenegger Schlosses hin, welches sammt der Herrschaft einst den Werdenbergen, später der Abtei zu Weingarten bei Ravensburg gehörte. – Die Sonne war untergegangen, die Gipfel des Rhätico ragten weiß aus dem goldenen Abendroth, das sich auch rückwärts auf den nackten Bergspitzen des Walserthales spiegelte, die Dämmerung lag im Thal, und die Ruinen von Blumenegg mit ihren hohlen Fenstern standen ernst und düster über dem Pfade. So raschelten wir den langen Abhang hinab und setzten uns in Ludesch zur Nachtruhe.


  1. *) Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa,poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt „einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.
  2. *) Allgemeine Zeitg. vom 29 Dec. 1843 in der Beilage.
  3. *) Bei Schott [?]. Vgl. die deutschen Colonien in Piemont S. 158 und 177 ff. mit Bergmann: Untersuchungen über die freien Walliser S. 87. Auch das innerwalserische Meike, Mädchen, stimmt ganz zu dem sylvischen Meidje (Matge).
  4. **) Schott a. a. O. S. 194.
  5. *) Im CV. bis CVIII. Bande unter dem Titel: Untersuchungen über die freien Walliser oder Walser in Graubünden und Vorarlberg. Daraus besonders abgedruckt: Wien, bei Karl Gerold, 1844 – aber nicht im Buchhandel.
  6. *) Mitgetheilt von Ulysses von Salis in den Fragmenten der Staatsgeschichte Veltelins 4. 54.
  7. *) Untersuchungen über die freien Walliser S. 55.
  8. **) A. Z. a. a. O.
  9. *) Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bussen, ein 767 Meter hoher Berg bei Uttenweiler in Oberschwaben
« Reute — Lechthal — Bregenzerwald Drei Sommer in Tirol Wallgau — Montavon — Paznaun »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).